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Stadt im Wandel / Towns in Change

Der Donau-Karpatenraum im langen 18. Jahrhundert / The Danube-Carpathien area in the long 18th century

von Mathias Beer (Band-Herausgeber:in) Harald Heppner (Band-Herausgeber:in) Ulrike Tischler-Hofer (Band-Herausgeber:in)
©2023 Sammelband 456 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

Der politische Umbruch im Donau-Karpatenraum am Ende des 17. Jahrhunderts erweist sich als tiefe Zäsur. Schrittweise verändern sich die Rahmenbedingungen, die im Laufe des 18. Jahrhunderts in der Stadt mehr als auf dem Land zu grundlegenden Veränderungen führen. Alte Diversitäten werden von neuen abgelöst oder konkurriert, was sich bei der Privatsphäre ebenso erkennen lässt wie im öffentlichen Raum. Obwohl in jener Periode die „Europäisierung" voranschreitet, kommt der besagte Schauplatz dennoch nicht aus der Peripherie des allgemeinen Wandels heraus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Wandel im urbanen Raum
  • Die Verschönerung der Städte (Christian Benedik)
  • Budaer Bäder: Öffentliche Plätze der Genesung und des Gesellschaftslebens (Eleonóra Géra)
  • Building an episcopal town in 18th century Transylvania (Greta Monica Miron)
  • From the Danube to the Rhine (and back). Cities along the war path of Simeon Piščević (Filip Krčmar)
  • Extra muros. Anmerkungen zur Gestalt der Grazer Vorstädte von der Frühen Neuzeit bis ins späte 18. Jahrhundert (Ulrich Becker)
  • Wandel in der urbanen Gesellschaft
  • Zünfte und Handwerker in der Gesellschaft von Buda zu Anfang des 18. Jahrhunderts (Eleonóra Géra)
  • Sehnsuchtsort und Konfliktraum. Sozialisierungsprozesse von Wandergesellen in ungarischen Städten (Karl-Peter Krauss)
  • Zwischen privater und öffentlicher Sphäre. Gesellschaften in Laibach im langen 18. Jahrhundert (Luka Vidmar)
  • Die serbische Kirche in der Habsburgermonarchie und der Wandel im urbanen Raum im 18. Jahrhundert (Nenad Ninković)
  • Die Rolle der Banater Bergstädte für die Transformation des ländlichen Umfeldes. Das Beispiel Orawitza (Rudolf Gräf)
  • Wandel im öffentlichen Raum der Stadt
  • Die städtischen Religionen zwischen Repression und Duldung am Beispiel der oberungarischen Städte (Eva Kowalská)
  • Staatliche Innovation und städtische Selbstverwaltung. Erste Schritte Richtung Professionalisierung der städtischen Verwaltung (1670–1733) (István H. Németh)
  • Strategien zur Machtsicherung im Kreis sächsischer Amtsträger in Kronstadt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Familienrekonstruktion und Analyse von Beziehungsnetzwerken (Andor Nagy)
  • Wandel im Rahmen ständischer Strukturen. Die Städte der Sächsischen Nation Siebenbürgens im Spannungsfeld zwischen Wahrung historischer Rechts- und Existenzgrundlagen und neuzeitlichen Veränderungen (Harald Roth)
  • Laibach als Schauplatz der Erbhuldigung an Kaiser Karl VI. im Jahr 1728. Herrscherrepräsentation im öffentlichen Raum am Beispiel der krainischen Hauptstadt (Vanja Kočevar)
  • Gheorghe Cantacuzino und Nicola de Porta. Oder: Einblicke in die Verwaltung der Kleinen Walachei im Jahr 1723 (Peter Mario Kreuter)
  • Die Laibacher Presselandschaft im Wandel (1707–1810): Von den „Wochentlichen Ordinari-Laybacher Zeitungen“ zur „Laibacher Zeitung“ und ihrer Beilage zum Nutzen und Vergnügen (Tanja Žigon)
  • The Private/Public Divide in the Administration of Wallachia during the Second Half of the 18th Century* (Mihai Olaru)
  • Wandel in der Privatsphäre des urbanen Raumes
  • Privatsphäre und Stadtentwicklung: Das Harruckern-Schloss in Gyula (Márta Velladics)
  • Privatmeinungen über die Reformierten aus den Städten im Südosten Ungarns (Ádám Hegyi)
  • Lay the Table! Food and Dining in the Urban Households of Habsburg Temeswar and Banat (Sandra Hirsch)
  • Domestic Interiors of the Nobility in Carniolan Towns in the First Half of the 18th Century as Spaces of Cultural Transfer (Marko Štuhec)
  • In Search of Wellbeing: The Struggle against Diseases and for Good Food and Longevity in Noble Families in 18th Century Carniolan Towns (Dušan Kos)
  • Conclusion
  • Conclusion
  • Liste der Autorinnen und Autoren
  • Reihenübersicht

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Christian Benedik

Die Verschönerung der Städte

Einleitung

Das Erscheinungsbild gewachsener Städte charakterisiert eine inhomogene Struktur aus Gebäuden, Verkehrswegen, Frei- und Grünflächen, die in der Regel unterschiedlichen Epochen entstammen. Diese urbane Diversität ist zumeist das Resultat von politischen, religiösen oder ökonomischen Prozessen, gleichwohl auch technische Innovationen oder vereinzelt sogar katastrophale Ereignisse zu Veränderungen des Stadtbildes beigetragen haben. Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts konnte darüber hinaus ein weiteres Kriterium für bauliche oder gestalterische Veränderungen und Erneuerungen ausschlaggebend sein: ein ästhetisch unbefriedigender Status quo.

Sébastien Le Clerc (1637–1714) befasste sich in einer 1714 erschienenen Schrift ausschließlich mit der ästhetischen Komponente der Architektur.1 Im Gegensatz zu seinen architekturtheoretischen Vorgängern überließ er es jedoch einzig der sinnlichen Wahrnehmung des Betrachters, über die Schönheit von Architektur zu befinden. Zeitgleich entbrannte in der philosophischen Ästhetik ein Streit darüber, ob Schönheit Reflex einer subjektiven Empfindung oder Ausdruck einer objektiven Idee sei2, die seit der Antike in enger Verbindung mit sittlich-moralischen Qualitäten gesehen und oftmals als das Gute per se betrachtet wurde.3 Um die Mitte des 18. Jahrhunderts stellte „embellissement“ (deutsch: Verschönerung) bereits einen der Leitbegriffe im urbanen Diskurs dar, dem sich auch Voltaire (1694–1778) in der Streitschrift mit dem Titel „Des embellissemens de Paris“ mit Leidenschaft und Vehemenz widmete.4

←13 | 14→Bezug nehmend auf das habsburgische Bauwesen hat nach aktuellem Forschungsstand5 Hofarchitekt Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg (1733–1816) den Begriff „Verschönerung“ erstmals im Jahre 1770 in der Beschriftung eines Projekts für die architektonische Neugestaltung des Schönbrunner Schlossberges6 verwendet.

Abb. 1Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg, Projekt für die Verschönerung des Schönbrunner Schloßberges, 1770 Albertina Wien, ASA, Az. 8816

Obwohl zwischen der Schrift von Voltaire und dem Entwurf Hohenbergs ein zeitlicher Abstand von zwanzig Jahre besteht, können im Sinne eines Kulturtransfers beide Werke durch die Person Wenzel Anton Fürst Kaunitz- Rietberg (1711–1794)7 miteinander in Verbindung gebracht werden. Fürst Kaunitz weilte von 1750 bis 1752 als bevollmächtigter Minister und Botschafter in Paris, fungierte ab 1770 als Protektor des an der Akademie der Bildenden Künste lehrenden Hofarchitekten und interessierte sich als Staatsmann für die Architektur im Allgemeinen und die Stadtplanung im Besonderen. So forderte er 1770 die Bildung einer aus Architekten bestehenden Baukommission ←14 | 15→in Wien, bei welcher Risse der neu erbauten [Privat-]Häuser eingereicht werden sollten.8 Gemeinsam mit Erzherzogin Maria Anna (1738–1789), dem Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738–1822) und dem Grafen Johann von Fries (1719–1785) gehörte der Fürst einem hochrangigen Personenkomitee an9, das die verschönerung einiger pläze in Wienn10 nach Ideen von Johann Wilhelm Beyer (1725–1796) finanziell unterstützte. Die Reputation des Komitees veranlasste Beyer, der damals als Hof-Statuarius in Schönbrunn tätig war, im Jahre 1771 an Kaiser Joseph II. (1741–1790) die Bitte zu richten, […] ihm den nahmen eines verschönerungsarchitecten zu verleihen.11 In einem weiteren Schreiben unterrichtete er Staatskanzler Kaunitz, dass […] Ihro kais. königl. Apostl. Majestät aus allerweisesten Absichten […] die Verschönerung der Residenz Stadt Wien auf das feyerlichste zu befehlen […] allergnädigst geruhet […] haben.12 Während Beyers Bitte nach Verleihung des Titels abschlägig behandelt wurde, setzte der Kaiser 1772 tatsächlich eine „Verschönerungskommission“ ein, der neben Johann Wilhelm Beyer der ebenfalls von Fürst Kaunitz protegierte Mathematiker Joseph Anton Nagel (1717–1794)13 angehörte. Über die wohl von Fürst Kaunitz initiierte „Verschönerungskommission“ ist außer den Namen der beiden Kommissionsmitglieder Nagel und Beyer bislang nichts bekannt geworden, und selbst die neueste Forschung zur Kulturpolitik von Staatskanzler Kaunitz muss darauf verweisen, dass […] ihr Wirkungskreis, ihre Aufgaben oder Befugnisse im Dunkel […] liegen.14

Sofern diese Problematik bereits von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde, könnte Johann Pezzl (1756–1823) mit seiner 1787 erschienenen Publikation „Skizzen von Wien“ den Versuch unternommen haben, den Verschönerungsinitiativen des Staatskanzlers neuen Schwung zu verleihen. Der ←15 | 16→Schriftsteller, der seit 1785 als Sekretär und Bibliothekar bei Fürst Kaunitz tätig war, schlägt darin die Einsetzung einer „Stadtverschönerungskommission“ vor, der jedermann seine Ideen freimütig unterbreiten dürfe. Pezzls Anregung sähe die Bepflanzung des Josephsplatzes mit einer schattenspendenden Lindenallee vor.15 Dieser Vorschlag reflektiert auf die 1772 erfolgte Baumbepflanzung der Löwelbastei vor dem Hofburgareal und schließt den Kreis zum Hofstatuarius Johann Wilhelm Beyer, von dem dieser Entwurf stammte.16

Friedrich Wilhelm Taube über die „Schönheit“ einer Stadt

Das Wissen um die Existenz einer „Verschönerungskommission“ in Wien war zumindest vier Jahre nach deren Einsetzung noch nicht ganz verblasst, wie ein 1776 im „Deutschen Museum“ publizierter Artikel von Friedrich Wilhelm Taube (1728–1778) belegt. Friedrich Wilhelm Taube17, in England geborener deutscher Rechtsgelehrter und in Diensten Kaiser Josephs II. weit gereister kaiserlich- königlicher Regierungsrat, berichtet in seinen „Gedanken über die Verschönerung der Städte“18 im Abschnitt zu Wien, dass hierorts im Jahre 1772 zumindest eine Verschönerungskommission eingesetzt worden sei. Taubes Essay stellt eine der wichtigsten deutschsprachigen Publikationen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Thema „Verschönerung“ dar und soll deshalb nachfolgend eingehender betrachtet werden.

Gleich zu Beginn urteilt der Autor pauschalierend, Je ungesitteter ein Volk ist: je schlechter ist die Bauart bey demselben19 und […] sobald Künste und Wissenschaften in einem Lande anfangen zu erblühen: sobald verschönern sich die Städte [….].20 Hinsichtlich des ästhetisch-philosophischen Diskurses zu „Schönheit“ merkt er an, dass […] die menschlichen Begriffe von der Schönheit noch gar zu unbestimmt [sind], gar zu schwankend, um ein gleichförmiges übereinstimmendes Urtheil aller Menschen erwarten zu können.21 Er selbst ←16 | 17→sieht sich durch Intellekt und Vernunft (nach Edmund Burke der erworbene Geschmack22) legitimiert, ein Urteil darüber abzugeben, welche Aktivitäten in europäischen Städten zu deren Verschönerung beigetragen bzw. daran aktuellen Anteil hätten. Grundsätzlich hat eine Stadt wohl gebaut, angenehm und reinlich zu sein, um eine Lebhaftigkeit des Geistes sowie eine stille Zufriedenheit, deren die Bewohner zur Erfüllung ihrer Pflichten höchst benötigen […], zu fördern.23

Madrid attestierte er, eine übel riechende und schlecht gepflasterte Residenzstadt gewesen zu sein, die dank einer neuen unterirdischen Kanalisation und den nunmehr ebenmäßig hergestellten, geradlinigen Straßen, die zudem mit Laternen hell beleuchtet seien, viele Fremde anlocke, die ihr Geld mit Vergnügen ausgäben.24 Seine Geburtsstadt London rühmt Taube über alle Maßen, möchte jedoch von den unzähligen Verschönerungen nur deren drei erwähnen. Zuerst informierte er über die gute Neupflasterung aller Gassen, auf die – wie in Madrid – kein Unrat geleert oder Abfall geworfen werden darf. Die breiten, geraden und mit abgetrenntem Trottoir angelegten neuen Straßen beeindruckten ihn wegen der hellen Beleuchtung zur Nachtzeit und der Beschilderung mit ←17 | 18→den betreffenden Straßennamen. In der Abnahme der alten Hauszeichen und der Anbringung von Hausnummern sah er ebenfalls einen Akt der Verschönerung, denn die oftmals übergroßen Zeichen und Schilder behinderten den freyen Zug der Luft, verunstalteten die Hausfassaden und konnten bei Stürmen vorbeigehende Passanten erschlagen.

Danach zollt er den neuangelegten Plätzen in London wie Grosvenor Square, Lincoln’s Inn Fields oder Leicester Square höchstes Lob, denn nichts ziere einen Ort mehr […] als grosse, regelmässig angelegte öffentliche Pläze, die reinlich gehalten werden, mit schönen Häusern umzingelt sind, und in ihrem Mittelpunkt einen Springbrunnen,[…], oder auch nur einen grünen Anger mit einer schönen Bildsäule haben.25 Im Unterschied zu Rom oder Paris, konstatiert er über die Stadt an der Themse, […] izo mit […] prächtigen Pläzen […] reichlich ausgeschmückt […] zu sein. Die Anmerkungen zu seiner Geburtsstadt beschloss Taube mit einem ausführlichen Bericht zur Errichtung der alten, steinernen Blackfriars Bridge, die als ein Meisterstück der Baukunst26 eine neue Zierde dieser Hauptstadt darstelle und als zusätzlicher Themseübergang vor allem der Bequemlichkeit der Bewohner diene.

Die italienischen Residenzstädte erhielten mit Ausnahme von Neapel durchwegs negative Kritiken, denn […] die Reinlichkeit gehört noch nicht zu den Tugenden der südlichen Europäer.27 Taube bescheinigte Rom, aufgrund seiner herrlichen Paläste und öffentlichen Gebäude die prächtigste Stadt der Welt zu sein, aber nach seiner Einschätzung werde sie niemand für die allerschönste halten.28 An Lissabon29 bewunderte er die regelmäßige Neuplanung zwischen dem Fluss Tejo und den Hügeln nach dem verheerenden Erdbeben von 1755, weil dem Gassengewirr in den verwinkelten, alten Stadtkernen immer eine großzügige Regelmäßigkeit vorzuziehen sei. Zur Verschönerung von Lissabon trügen abseits architektonischer Maßnahmen vor allem auch die gesunde Luft und die Lebhaftigkeit der Stadt bei. Paris, das bei den Fremden sehr beliebt sei, reihte er hinter London ein, weil die meisten Paläste und schönen Häuser hinter hohen Mauern versteckt seien und so dem Auge des Betrachters entzogen wären.30 Dennoch sind es auch hier die neuangelegten, breiten Straßen und der ←18 | 19→öffentlich zugängliche Tuilerien-Garten, die vortrefflich ins Auge fallen und die Stadt verschönern.

Summa summarum definiert Taube eine Hauptstadt als „schön“, wenn sie neben prächtigen Gebäuden breite und gerade Straßen mit davon abgetrennten Gehsteigen sowie öffentlich zugängliche Plätze und Gärten besitze. Weiters muss eine solche gut beleuchtet und sauber sein, über eine funktionierende Kanalisation verfügen und von gesunder Luft durchströmt werden. Diese architektonischen, infrastrukturellen, sicherheitsrelevanten und hygienischen Kriterien stellen für ihn jene urbanen Standards dar, die das Prädikat “schön“ verdienen oder deren Realisierung als „Verschönerung“ einer Stadt bewertet werden.

Taube über die Residenzstadt Wien

Der Residenzstadt Wien widmete sich der hier ansässige Taube am ausführlichsten, denn sie war für ihn […] die weitläufigste, reichste, größte und mit Palästen am meisten ausgezierte Stadt in Deutschland […].31 Der allergrößte Vorzug im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals bestehe allerdings darin, […] daß sie der Wohnsitz eines Josephs und einer Marie Theresie ist.32 Danach folgt nach altbekanntem Schema eine Aufzählung von Verschönerungen, die durch die Einfügung einiger bedeutsamer historischer Ereignisse sowie topografischer Besonderheiten von Wien bereichert werden. Den Platz „Am Hof“ bezeichnete Taube als den größten und prächtigsten öffentlichen Platz der Residenzstadt, da er ringsherum mit schönen Häusern eingefasst sei und auch abends zu Spaziergängen einlade. Unter den schönen Häusern erwähnte er das Hofkriegsratsgebäude33, das ihn durch seine Höhe und die stattliche Anzahl an Stockwerken beeindruckte. Selbiges träfe auch auf den neuerbauten Trattnerhof34 am Graben und auf das Schubladkastenhaus35 auf der Freyung zu. Im Anschluss wandte er sich der Wiener Stadtbefestigung zu, die vergleichbar mit Paris nun ebenfalls bebaut und mit Gärten geschmückt sei.36 Ohne den selbst ernannten Verschönerungsarchitekten Johann Wilhelm Beyer namentlich zu erwähnen, informiert Taube über die Bepflanzungen auf den Stadtwällen und ←19 | 20→Basteien37 sowie die Neugestaltung des vorgelagerten, unbebauten Glacis. Seiner Meinung nach biete der Grünstreifen zwischen Stadt und Vorstädten mit seinen unbefestigten Geh- und Fahrwegen sowie etlichen Rinnsalen bislang einen öden und wilden Anblick. Die Errichtung von Drainagekanälen, voneinander getrennten Fahr- und Gehwegen, die der bequemen Kommunikation zwischen den Stadtteilen dienen38, und die Bepflanzung mit Klee und Blumen39 verwandelten die vormals wüste Ebene in eine angenehme, sehr lustige Gegend. Dem Autor war es ein überaus wichtiges Anliegen, explizit den Urheber dieser bedeutenden Verschönerung zu nennen: Kaiser Joseph II. Den zukunftsträchtigen Ideen des Kaisers wäre es darüber hinaus zu verdanken gewesen, wenn die, wie am Beispiel Dresden gesehen, nutzlos gewordenen Festungswerke endlich geschliffen und mit Häusern und Gassen verbaut worden wären. Wien würde ein zweites Paris sein, aber den Aufsehern über die Befestigung, dem Hofkriegsrat, gefiel dieser Entwurf gar nicht, weshalb das einengende, antiquierte Befestigungskorsett weiterhin erhalten blieb. Interessanterweise erwähnte Taube mit keinem Wort, dass Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) die Schleifung der Stadtbefestigung strikt ablehne.

Die von Kaiser Joseph II. veranlassten Verschönerungen standen auch fürderhin im Zentrum von Taubes Ausführungen, denn für ihn dokumentiere die Öffnung der vormals höfisch-ärarischen Gebiete im Prater sowie im Augarten für die Öffentlichkeit am eindringlichsten das neue Verhältnis zwischen Kaiser und Bevölkerung. Der Prater mit seiner vierfachen Kastanienallee, diversen Waldungen, Auen und Wiesen verdiene nach Taube mit größerer Berechtigung als die Pariser Tuilerien ein „Elysium“ genannt zu werden.40 In ihm fanden unterschiedlichste Vergnügungen wie Ringelrennen statt, und es gebe mehrere, gut besuchte Trink- und Esshallen. Wöchentliche Feuerwerke erfreuten die Besucher ebenfalls, womit der Prater einer der lustigsten und angenehmsten Orte Wiens sei. Die Öffnung dieses kaiserlichen Jagdgebietes, das bis 1766 nur für privilegierte Personengruppen zugänglich war, für alle Menschen ist nach ←20 | 21→Taube einem einzigen Umstand zu verdanken: der Menschenliebe eines großen Monarchen.41 Nicht anders lauten die Lobpreisungen auf Kaiser Joseph II. beim Augarten42, der als vormaliger kaiserlicher Residenzgarten „Favorita“ mit neuen Bäumen bepflanzt sei und seit 1775 an allen Tagen von jedermann nach seinem Geschmack genossen werden könne.

Abb. 2Johann Ziegler, Die Lindenallee im Augarten, 1783 Albertina Wien, GSA, DG 1935/1110

Details

Seiten
456
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631894453
ISBN (ePUB)
9783631894460
ISBN (MOBI)
9783631894477
ISBN (Hardcover)
9783631894446
DOI
10.3726/b20613
Open Access
CC-BY-NC-ND
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (April)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 456 S., 47 s/w Abb., 6 Tab.

Biographische Angaben

Mathias Beer (Band-Herausgeber:in) Harald Heppner (Band-Herausgeber:in) Ulrike Tischler-Hofer (Band-Herausgeber:in)

Mathias Beer, Vorsitzender der Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Migrationsgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. Harald Heppner, Obmann der Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts im südöstlichen Europa (SOG18). Seine Forschungsschwerpunkte sind die Transformationsprozesse seit dem 18. Jahrhundert im südöstlichen Europa. Ulrike Tischler-Hofer, Vorstandsmitglied der SOG18. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den transkulturellen Phänomenen im südöstlichen Europa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.

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Titel: Stadt im Wandel / Towns in Change
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