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Feuchtwanger und München

von Tamara Fröhler (Band-Herausgeber:in) Andreas Heusler (Band-Herausgeber:in)
©2022 Sammelband XIV, 446 Seiten
Reihe: Feuchtwanger Studies, Band 8

Zusammenfassung

Im Oktober 2019 fand die Tagung der International Feuchtwanger Society erstmals in Lion Feuchtwangers Heimatstadt München statt. Ziel der Tagung war es, sich dem frühen Feuchtwanger, dem «Münchner Feuchtwanger» anzunähern und seinen literarisch ambitionierten Werdegang im Spannungsfeld der bayerischen Metropole auszuleuchten und einzuordnen. Welche Rolle spielt das «Münchner Milieu» für den jungen Intellektuellen, welche Prägungen und Einfl üsse der Münchner Kunst-, Theater- und Literaturszene lassen sich nachweisen, welche Netzwerke und Verbindungen waren es, die den ehrgeizigen jungen Autor trugen, begleiteten und motivierten?
Wenn Lion Feuchtwanger später Gericht hielt, wenn er die Jahre seiner Kindheit und Jugend in München bilanzierte, wusste er über seine Heimatstadt wenig Positives zu sagen. Im Gegenteil. Er fand wiederholt scharfe, bittere Worte für dieses München, das mit seiner eigenen Vita so intensiv und gleichermaßen schmerzhaft verwachsen war. Dennoch, das heftig gescholtene Milieu «München» war der Nährboden, auf dem der Mensch Lion Feuchtwanger heranwuchs, auf dem die literarische Persönlichkeit, der eigenwillige Denker und selbstbewusste Schriftsteller reifte.
Der vorliegende Band spiegelt Verlauf und Ergebnisse der Tagung wider und unterstreicht, dass das literarische Werk des weltberühmten Schriftstellers seiner Heimatstadt München weit mehr verdankt, als bisher angenommen wurde.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Abbildungen
  • Im Memoriam (Tanja Kinkel / Frank Stern)
  • Einleitung (Tamara Fröhler / Andreas Heusler)
  • Teil I Feuchtwanger und München / Feuchtwanger and Munich
  • 1 Lion und die Feuchtwangers – Eine historische Familienaufstellung (Heike Specht)
  • 2 Lion und Marta Feuchtwanger. Ein junges Paar in München (Birgit Maier-Katkin)
  • 3 Enfant terrible der Münchner Kulturszene. Lion Feuchtwanger und der Phoebus-Skandal (Andreas Heusler)
  • 4 Ein Literaturstreit zwischen Lion Feuchtwanger und Georg Queri um die Passionsspiele in Oberammergau im Jahre 1910 (Michael Stephan)
  • 5 Feuchtwangers Münchner und Berliner Verlage 1903–1933 (Roland Jaeger)
  • Teil II Frühe literarische Arbeiten / Early Literary Works
  • 6 „Sie wissen, daß ich persönlich Wedekind nicht allzu hoch schätze“. Frank Wedekind und Lion Feuchtwangers Der Fetisch (1906) (Tamara Fröhler)
  • 7 Pep: Feuchtwanger’s Imaginary of the United States from Munich to Los Angeles (Natalie Martz)
  • 8 Jud Süß – Vom Drama zum Roman (Tanja Kinkel)
  • 9 Lion Feuchtwanger and Warren Hastings (Ian Wallace)
  • Teil III Frühe literaturkritische und wissenschaftliche Arbeiten / Early Works as Literary Critic and Scholar 191
  • 10 Feuchtwangers Spiegel (Antonie Magen)
  • 11 Der Spiegel (1908) – ein Porträt (Gerald Sommer)
  • 12 „In Kunstdingen nicht die geringste Lässigkeit“ – Feuchtwangers dramatischer Stil im Spiegel seiner Entstehungszeit (Dominik Frank)
  • 13 Zur Dramaturgie des dramatischen Romans. Der junge Feuchtwanger zwischen Heine und Shakespeare (Herwig Lewy)
  • Teil IV Schlüsselwerke: Thomas Wendt / Key Works: Thomas Wendt
  • 14 Vom „dramatischen Roman“ zum „epischen Theater“ – Lion Feuchtwangers Thomas Wendt (1920) und der junge Brecht (Dirk Heißerer)
  • 15 Thomas Wendt: Anarchist manqué. Eine Untersuchung des dritten Teils von Lion Feuchtwangers dramatischem Roman (Jörg Thunecke)
  • 16 Revolution und Drama Lion Feuchtwangers dramatischer Roman Thomas Wendt – Entstehung, Aufführung, Folgen (Klaus-Peter Möller)
  • Teil V Schlüsselwerke: Erfolg / Key Works: Erfolg
  • Bayern auf der Couch – Feuchtwangers Erfolg psychoanalytisch gelesen (Franziska Wolf)
  • 18 “Das Buch Bayern”: The Portrayal of Antisemitism and the “Wahrhaft Deutschen” in Erfolg (Adrian Feuchtwanger)
  • Teil VI Menschen und Prägungen / Contemporaries and Influences
  • 19 Max Reinhardt in München 1909–1911. Lion Feuchtwangers Theaterkritiken zum Künstlertheater und zu den Münchener Festspielen 1909–1911 (Camille Jenn-Gastal)
  • 20 Recognizing Lion Feuchtwanger’s Philological Accomplishment in the Light of Victor Klemperer’s Language of the Third Reich (William Katin)
  • 21 Die Rolle Feuchtwangers in Marieluise Fleißers Leben und Werk (Shaimaa Ahmed El Saghir Tawfik)
  • Autor*innenverzeichnis
  • Index
  • Reihenübersicht

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Abbildungen

Abb. 4.1. Foto von Georg Queri, um 1910 (Privatbesitz).

Abb. 4.2. Edition von 1662 im Schmuckschuber, 1910.

Abb. 5.1. Werke von Lion Feuchtwanger im Verlag Georg Müller, München, und im Drei Masken Verlag, München, 1923 (Verlagsanzeige).

Abb. 5.2. Die Einsamen. Zwei Skizzen. München: Monachia 1903.

Abb. 5.3. Der Fetisch. Schauspiel in fünf Akten. München; Leipzig: Georg Müller 1907 (Innentitel).

Abb. 5.4. Anzeige für Julia Farnese im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 11.10.1915.

Abb. 5.5. Vasantasena. Nach dem Indischen des Königs Sudraka. München: Georg Müller 1916.

Abb. 5.6. Anzeige für Warren Hastings im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 2.10.1918.

Abb. 5.7. Jud Süß. Schauspiel in drei Akten (vier Bildern). München: Georg Müller 1918 [1917].

Abb. 5.8. Die Kriegsgefangenen. Ein Schauspiel in fünf Akten. München: Georg Müller 1919.

Abb. 5.9. Der Amerikaner oder Die entzauberte Stadt. München: Drei Masken 1921.

Abb. 5.10. Jud Süß. Roman. München: Drei Masken 1925 (Schutzumschlag von Otto Nückel).

Abb. 5.11. Anzeige für Jud Süß im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 25.3.1925.←ix | x→

Abb. 5.12. Jud Süß. München: Drei Masken 1926 (Schutzumschlagvariante wohl von Otto Nückel).

Abb. 5.13. Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch. Potsdam: Gustav Kiepenheuer 1926 (Schutzumschlag von Anton Elsner).

Abb. 5.14. Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch. Potsdam: Gustav Kiepenheuer 1928 (Schutzumschlag von Caspar Neher).

Abb. 5.15. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Berlin: Gustav Kiepenheuer Verlag 1930 (zweibändige Ausgabe, Schutzumschlag von Georg Salter).

Abb. 5.16. Anzeige (Kleinplakat) zu Erfolg im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 13.10.1930.

Abb. 5.17. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Berlin: Gustav Kiepenheuer Verlag 1931 (einbändige Ausgabe, Schutzumschlag von Georg Salter).

Abb. 5.18. Jud Süß. Berlin: Verlag von Th. Knaur Nachf. 1931 (Schutzumschlag von Hans Meid).

Abb. 5.19. Der Jüdische Krieg. Berlin: Propyläen-Verlag 1932 (Schutzumschlag von Fritz Löwen).

Abb. 5.20. Anzeige des Propyläen-Verlags im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 29.3.1933.

Abb. 11.1. Der Spiegel. Münchener Halbmonatsschrift für Literatur, Musik und Bühne (1. Jahrgang, Heft 9).

Abb. 11.2. Der Spiegel (Cover-Detail).

Abb. 11.3. Der Kopf der ersten Ausgabe sowie Blick ins „Geleit“.

Abb. 11.4. Das Paradies der Damen – Hermann Tietz am Bahnhofsplatz.←x | xi→

Abb. 11.5. PEBECO ZAHNPASTA – vor Einführung der TESA-Tube.

Abb. 11.6. Lion Feuchtwanger und Adolf Hartmann-Trepka im Nebenerwerb?

Abb. 11.7. Der Spiegelverlag auf Kundenfang?

Abb. 11.8. Die Druckerei des Spiegel –Jos. C. Huber in Diessen.

Abb. 11.9. Max Monheimer hilft …

Abb. 11.10. … durch Werbeschaltungen.

Abb. 11.11. Eigenwerbung, aber keine Einnahmen.

Abb. 11.12. Kein leises Servus zum Abschied.

Abb. 16.1. Lion Feuchtwangers Tagebucheinträge von Ende April – Anfang Mai 1919 (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).

Abb. 16.2. Lion Feuchtwangers Tagebucheintrag vom 22. November 1918 (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).

Abb. 16.3. Lion Feuchtwangers Tagebucheintrag vom 18. Februar 1919 (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).

Abb. 16.4. Titelseiten der beiden Erstausgaben von Thomas Wendt – Textversion und Bühnenfassung (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).

Abb. 16.5. Die jeweils erste Textseite der beiden Erstausgaben von Thomas Wendt – Textversion und Bühnenfassung (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).←xi | xii→

Abb. 16.6. Copyright-Vermerke der beiden Erstausgaben von Thomas Wendt – Textversion und Bühnenfassung (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).

Abb. 16.7. Die Sammlung 1/11 (1934) (Foto: privat).

Abb. 16.8. Stücke in Prosa – die Ausgabe letzter Hand (Foto: privat).

Abb. 16.9. Lion Feuchtwangers Tagebucheinträge vom 31. Mai und 1. Juni 1934 (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).

Abb. 16.10. Exemplar mit Feuchtwangers handschriftlichen Korrekturen (University of South California. Feuchtwanger Memorial Library).

Abb. 16.11. Die beiden für die Hauptrolle gesetzten Schauspieler Erwin Kalser und Friedrich Kayßler (Bild: privat).

Abb. 16.12. Sybille Binder – gesetzt für die Rolle der Annemarie (Bild: privat).

Abb. 16.13. L[ion] F[euchtwanger]: „Dichter und Böotier“. In: Münchner Sonntagszeitung 7 (1920). Quelle: University of South California. Feuchtwanger Memorial Library.

Abb. 16.14. Bühnen-Fassung Frankfurt 1990 (Felix Bloch Erben).

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Tanja Kinkel / Frank Stern

Im Memoriam

Die Internationale Tagung der Feuchtwanger Gesellschaft in München, deren Ergebnisse hier vorliegen, wird für die Mitglieder und Freunde in besonderer Erinnerung bleiben. Es war das letzte Mal, dass wir die souveräne, freundschaftliche und gentlemanlike Persönlichkeit von Ian ←xiii | xiv→Wallace erleben konnten. Er war Gründungspräsident, Herausgeber der Feuchtwanger Studies, inspirierte viele Aktivitäten der Gesellschaft und wurde für viele ein Freund, den wir nun missen werden.

Im März 2000 kam er in die Feuchtwanger Memorial Library an der University of South California, Los Angeles, um dort zu forschen. Er arbeitete mit den MitarbeiterInnen der Library im folgenden Jahr daran, Wissenschaftler für Exilstudien zu gewinnen, um eine internationale Feuchtwanger-Gesellschaft zu gründen. Die erste Konferenz fand vom 9. bis 11. Juli 2001 in der Villa Aurora unter dem Motto „Lion Feuchtwanger im 21. Jahrhundert: Probleme und Perspektiven“ statt. Ian Wallace hielt seinen Vortrag über „‚Der Teufel in Frankreich‘ und seine Veröffentlichung in der DDR“. Die Anwesenden erinnern sich nicht nur an seine wissenschaftliche Präzision, seine bestechende Kenntnis der Literatur- und Kulturszene der DDR, sondern auch an das Funkeln in seinen Augen, als er erwähnte, wie in der DDR-Ausgabe Feuchtwangers“ „bourgeoise“ Erwähnung seiner Diener geflissentlich gestrichen worden war. Diese Konferenz war die Geburtsstunde der IFS.

Ian Wallace hatte eine freundliche, liebenswürdige und intellektuell offene Persönlichkeit. Er war maßgeblich an der Konzeption jeder Konferenz, sei es in Los Angeles, Sanary-sur-mer, Wien, Berlin oder Paris beteiligt. Nach ersten Anfängen der Publikation der Beiträge unserer Tagungen konnte er den Verlag Peter Lang für eine Kooperation gewinnen. So entstanden die Feuchtwanger Studies, die die Ergebnisse unserer Konferenzen einem breiten Publikum zur Verfügung stellen. Die letzte Tagung, die er als Präsident der IFS leitete, fand in Feuchtwangers Geburtsstadt München statt. In seine Fußstapfen zu treten war eine sehr einschüchternde Herausforderung, aber Ians unerschütterliche Begeisterung und Großzügigkeit waren einfach überzeugend.

Wir trauern um ihn und sind froh, ihn so lange gekannt zu haben. Möge seine Erinnerung Segen und Inspiration sein.

Tanja Kinkel, Präsidentin der IFS
Frank Stern, Vize-Präsident und Herausgeber der Feuchtwanger Studies

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Tamara Fröhler / Andreas Heusler

Einleitung

Lebensläufe sind geprägt von menschlichen Begegnungen und räumlichen Gegebenheiten. Soziale Interaktion und Orte bilden das Koordinatensystem biographischer Entwicklung, soziale Interaktion und Orte markieren die Etappen, Meilensteine und Zäsuren eines jeden Lebenswegs – von der Wiege bis zur Bahre. Will man sich dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger annähern, will man seinen künstlerischen Werdegang und sein literarisches Credo verstehen, kommt man nicht umhin, den Blick auf das komplizierte Verhältnis Feuchtwangers mit seiner Heimatstadt München zu richten. Und auf die Menschen, die den besonderen Makrokosmos der bayerischen Metropole belebt, bewohnt und geformt haben. Lion Feuchtwanger verbrachte immerhin mehr als die Hälfte seines Lebens in München. In diesen Jahren verließ er die Stadt nur zweimal und jeweils nur für kurze Zeit. Kindheit und Jugend, Schule und Studium, die schriftstellerischen Gehversuche, die leidvollen Erfahrungen des Scheiterns wie auch der ersten literarischen Erfolge sind unmittelbar und ursächlich mit dem politischen, dem sozialen und kulturellen Klima der bayerischen Haupt- und Residenzstadt verknüpft.

Mit anderen Worten: Das Milieu ‚München‘ ist aus der Feuchtwanger-Vita nicht wegzudenken. Ohne Blick auf die Wirkungsmacht des literarisch-künstlerischen Umfelds der Prinzregentenzeit, ohne das spannungsgeladene Reizklima der Zeit vor und nach der Jahrhundertwende, wo eine grobmotorische altbayerische Mentalität auf die Konventionen sprengende Kraft der Schwabinger Bohème traf, wo katholisch-bürgerlicher Dünkel voller Abscheu eine Verwahrlosung der Sitten durch eine fremdartige künstlerische Avantgarde beklagte, ist der Werdegang des jungen Lion Feuchtwanger zu einem der bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts kaum erklärbar. Das zornige Reiben und schmerzhafte Leiden Lion Feuchtwangers an dieser vielfach selbstgefälligen, satten, urbanen ←1 | 2→und gleichermaßen provinziellen Münchner Welt, die kaum Selbstzweifel kannte und immer wieder in eine bedrückende intellektuelle Bewegungsstarre verfiel, waren entscheidend für den künstlerischen Werdegang des Schriftstellers.

Wenn Lion Feuchtwanger später Gericht hielt, wenn er die Jahre seiner Kindheit und Jugend in München bilanzierte, wusste er über seine Heimatstadt wenig Positives zu sagen. Im Gegenteil. Er fand wiederholt scharfe, bittere Worte für dieses München, das mit seiner eigenen Vita so intensiv und gleichermaßen schmerzhaft verwachsen war. Dennoch, das heftig gescholtene Milieu ‚München‘ war der Nährboden, auf dem der Mensch Lion Feuchtwanger heranwuchs, auf dem die literarische Persönlichkeit, der eigenwillige Denker und selbstbewusste Schriftsteller reifte. 1884 wurde er in eine orthodox-jüdische Familie hineingeboren. Der Vater hatte als Kunstbutter-Fabrikant in Haidhausen sein Glück gemacht. Die Feuchtwangers gehörten zum jüdischen Establishment der Stadt. Die religiöse Strenge des orthodoxen Familienalltags war für den jungen Lion jedoch ein stetiges Ärgernis. Immer wieder kam es zum Aufbegehren gegen das beklemmende Korsett einer strikt observanten Lebenspraxis. Noch Jahrzehnte später beklagte Feuchtwanger die strenge Ausrichtung von Alltag und Familienleben an den religiösen Vorschriften. Dieses Familienleben spielte sich im Herzen der bayerischen Haupt- und Residenzstadt ab, im Lehel. Hier ging Lion Feuchtwanger zur Schule, zunächst in die St. Anna-Volksschule, später an das Wilhelmsgymnasium. Studium und Promotion absolviert er an der Ludwig-Maximilians-Universität. Auch die ersten literarischen Aktivitäten als Kritiker der lokalen Theaterszene erfolgten in München. Zu Weltruhm gelangte er – nach ernüchternden Umwegen – freilich erst in den 1920er-Jahren mit seinem Roman Jüd Süß, der zu großen Teilen im Lesesaal der Münchner Staatsbibliothek entstand.

1925 verließ Feuchtwanger München und ging – wie viele andere Intellektuelle, denen die kalte, dünne und trockene Luft der ‚Ordnungszelle Bayern‘ zusetzte – nach Berlin, in die Reichshauptstadt. Dort entstand Ende der 1920er-Jahre der legendäre München-Roman Erfolg – eine Abrechnung Feuchtwangers mit seiner bayerischen Heimat, aber auch eine spröde Liebeserklärung an München. In diesem Buch findet sich ein prägnantes München-Label, ein pointierter Begriffsdreiklang zur Charakterisierung ←2 | 3→der bayerischen Metropole. Dieser Dreiklang ist ähnlich formelhaft, wie Thomas Manns berühmte Sentenz vom ‚leuchtenden München‘, lässt aber in seiner drastischen Zuspitzung ungleich weniger Deutungsspielraum als das für Stadtmarketing besser geeignete – weil positiv lesbare – Etikett des großen Kollegen. Feuchtwangers München-Label ist die pure Provokation, ein Affront in drei Worten: „Bauen, brauen, sauen“1 lautet die respektlose und – zugegebenermaßen – auch nicht ganz faire Kurzformel für die Stadt an der Isar und ihre Bewohner*innen. Die Münchner*innen haben Lion Feuchtwanger diese boshafte Etikettierung lange nicht verziehen.

Feuchtwangers Erfolg ist wohl für viele der München-Roman schlechthin. Ein prall ausgeführtes Sittengemälde einer Stadt in den frühen 1920er-Jahren. Ein kraftvoll und doch sensibel akzentuiertes Panorama der bayerischen Haupt- und Residenzstadt mit all ihren Widersprüchen und moralischen Untiefen. Im Erfolg beschreibt Lion Feuchtwanger den Abstieg der Stadt vom ‚leuchtenden München‘ zur unheilvollen ‚Hauptstadt der Bewegung‘. Erfolg ist ein Erklärungsversuch, der nicht nur an ein breites Publikum adressiert ist, sondern wie in einem inneren Dialog auch den eigenen nagenden Fragen, dem eigenen verzweifelten Hadern mit dem Milieu ‚München‘ nachspürt: Warum ausgerechnet die mit heißem Herzen geliebte Heimatstadt zur Kapitale dekadenten Spießertums und politischer Verkommenheit degenerieren musste.

Darum – und um andere Fragen, die mit Feuchtwangers Münchner Schaffensphasen zu tun haben – ging es bei der 9. Tagung der International Feuchtwanger Society, die im Oktober 2019 nach Stationen in Los Angeles (2003, 2007, 2011, 2015), Sanary sur Mer (2005), Wien (2009), Berlin (2011) und Paris (2017) erstmals in Feuchtwangers Heimatstadt stattfand. Die Tagung war ein Versuch, sich dem ‚frühen Feuchtwanger‘, dem ‚Münchner Feuchtwanger‘ anzunähern und seinen literarisch ambitionierten Werdegang im Spannungsfeld der bayerischen Metropole auszuleuchten und einzuordnen. Welche Rolle spielt das ‚Münchner Milieu‘ für den jungen Intellektuellen, welche Prägungen und Einflüsse der Münchner Kunst-, Theater- und Literaturszene lassen sich nachweisen, welche Netzwerke ←3 | 4→und Verbindungen waren es, die den ehrgeizigen jungen Autor trugen, begleiteten und motivierten? Der vorliegende Band spiegelt Verlauf und Ertrag der Tagung.

Details

Seiten
XIV, 446
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9781800797499
ISBN (ePUB)
9781800797505
ISBN (Paperback)
9781800797482
DOI
10.3726/b19341
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (September)
Schlagworte
Lion Feuchtwanger Munich Bavaria Nationalsocialism German literature in the 20th century Jewish literature Tamara Fröhler Andreas Heusler Feuchtwanger und München
Erschienen
Oxford, Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Wien, 2022. XIV, 446 S., 13 farb. Abb., 36 s/w Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Tamara Fröhler (Band-Herausgeber:in) Andreas Heusler (Band-Herausgeber:in)

Tamara Fröhler ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet als wissenschaftliche Bibliothekarin an der Technischen Universität in München. Andreas Heusler ist Historiker und leitet das Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur im Kulturreferat der Landeshauptstadt München.

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Titel: Feuchtwanger und München
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