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In den letzten beiden Dekaden haben sowohl der Diskurs als auch der empirische Kenntnisstand zur politischen Praxis Sozialer Arbeit wesentliche Fortschritte gemacht. Dies gilt sowohl international als auch hierzulande, wo in diesem Themenfeld der DGSA, dem DBSH sowie dem Engagement der freien Wohlfahrtspflege eine besondere Bedeutung zukommt. Jeder dieser Aspekte findet sich in dem von Andrea Dischler und Dieter Kulke vorgelegten Sammelband wieder, so dass dieser Band auch als Zwischenergebnis zum Stand der Forschung und des Diskurses im Themenfeld gelesen werden kann. Da die Sektion „Politik Sozialer Arbeit“ in der DGSA den Rahmen für das Projekt gegeben hat, ist es passend, dass der Band als Nr. 22 der Schriftenreihe ‚Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit‘ der DGSA erschienen ist.

Gegliedert ist das Buch in drei Teile: Grundlagen (vier Beiträge mit zusammen gut 80 Seiten Umfang), Empirie (sechs Beiträge mit 140 Seiten) und Aspekte in Praxis und Lehre (vier Beiträge mit gut 70 Seiten). Schon dieser Überblick zeigt, dass die Präsentation empirischer Ergebnisse den Kern des Sammelbandes ausmacht und dass die theoretisch-konzeptionellen Beiträge gleichsam der Hinführung auf diesen Empiriefokus dienen, während die praktisch-lehrbezogenen Beiträge an den empirischen Kenntnisstand anschließen.

Im Grundlagenteil finden sich Beiträge von Oscar Gabriel zur politischen Beteiligung als Qualität der Demokratie, von Günter Rieger zur Sozialarbeitspolitik, von Jens Wurzbacher zur Sozialen Arbeit als politischer Praxis und von Tobias Kindler zur politischen Aktivität von Sozialarbeitenden. Im Zentrum dieser Beiträge steht der Anspruch an eine erfolgreiche Sozialarbeitspolitik, der vor dem Hintergrund allgemeiner Partizipationserfahrungen wie auch spezieller Aspekte der Sozialen Arbeit diskutiert wird. Dabei zeigen sich offenkundig Licht und Schatten, neue Möglichkeiten und alte Grenzen der politischen Partizipation und dies in bemerkenswerter Konsistenz auch im internationalen Vergleich, wenn man sich – dies nur als ein Beispiel – Tobias Kindlers Beitrag zum US-amerikanischen Forschungstand vor Augen hält und diesen mit den hiesigen Erfahrungen vergleicht. Dazu ist es gut und angemessen, auch moderne Klassiker der deutschen Forschung der Politik Sozialer Arbeit – gemeint sind Günter Rieger und Jens Wurzbacher – in den Band aufzunehmen, da mit deren Beiträgen auch sehr gut Diskurse und Differenzen innerhalb wissenschaftlichen Gemeinschaft deutlich werden.

Im empirischen Teil werden eine Reihe von Studien zum Thema referiert, wobei hier unterschiedliche methodische Ansätze auffallen. Die Beiträge von Sandra Majer (Studierende im Fächergruppenvergleich in Deutschland), Dieter Kulke (Studierende der Sozialen Arbeit in Deutschland) und Tobias Kindler (Fachkräfte und Studierende in der Schweiz) stellen quantitative und daher auch stärker komparative Studien vor, während die Beiträge von Benedikt Angstenberger (Praxisreflektion durch Fachkräfte), Spieß/Uftring/Weiß/Kulke (Verbandsfunktionäre der Sozialwirtschaft) und Notdurfter/Nagy/Frei (Fachkräfte und Adressat_innen in Südtirol) qualitativ vorgehen. Bereits aus dieser Aufzählung erkennt man sowohl eine internationale Differenzierung als auch eine solche nach unterschiedlichen Akteur_innengruppen. Darüber hinaus ist es die methodische Spiegelung der quantitativen und qualitativen Ergebnisse, die einerseits in eine ähnliche Richtung weist (Tendenz: Es existiert ein großer Wille zum politischen Engagement der Sozialen Arbeit, der sich jedoch in der Praxis nur unter großen Mühen umsetzen lässt), andererseits jedoch auch aus den Methoden unterschiedliche Akzente setzen kann. Hier ist es sehr positiv zu bemerken, dass mehrere quantitative Studien Items aus anderen Studien übernehmen und so eine unmittelbare Vergleichbarkeit ermöglichen. Ebenso ist es einprägsam und unersetzlich, wörtliche Zitate aus den qualitativen Interviews zu lesen, welche die Situation aus der Sicht der Akteur_innen in einer sprachlichen Prägnanz auf den Punkt bringen, die von der Formulierungspraxis der Forscher_innen selten erreicht wird.

Der abschließende Teil zu Aspekten in Praxis und Lehre präsentiert eher praktisch orientierte Beiträge. Er umfasst zunächst Andreas Schwarz (Zugänge, Strategien und Mandate) und sodann Umsetzungsbeispiele von Kirsten Rössler (Junge DBSH Bayern), Miriam Burzlaff (Policy-Practice-Lehre) und Anna Pfaffenberger (Rassismuskritik in politischer Beratungspraxis). Aus Sicht eines Hochschullehrers im Feld der Politik Sozialer Arbeit seien dabei die Beiträge von Rössler und Burzlaff als praktische Lehrimpulse besonders hervorgehoben, da sie nach Art einer Case-Study genutzt werden können bzw. sehr konkrete Tipps für die Lehre geben. Beides ist in der Lehrpraxis sehr nützlich und motiviert zur eigenen Umsetzung.

Insgesamt ist dem Herausgeberteam somit ein sehr gutes Kompendium zur politischen Praxis Sozialer Arbeit gelungen, dem man die sorgfältige editorische Arbeit anmerkt. Nach der Lektüre zeigt sich das Themenfeld in seinen bekannten Dilemmata, aber auch in einer guten Entwicklung sowohl in theoretischer als auch praktischer Hinsicht. Gerade in Zeiten, die vermutlich von einer erneuten Politisierung auch der Sozialen Arbeit geprägt sind, mag der Band als Referenz gelten.