Der Sammelband Media Literacy, herausgegeben von Guido Keel und Wibke Weber, ist das Resultat ausgewählter Beiträge der Jahrestagung 2020 der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM). Der Sammelband bietet mit theoretischen und empirischen Beiträgen einen interdisziplinären Zugang zum Konzept Media Literacy. Der Anspruch des Bandes besteht nicht in einem vollständigen Aufrollen des Themengebietes, vielmehr vereint er vielfältige und heterogene Schlaglichter aus Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie Erziehungswissenschaft. Das Ziel des Bandes liegt in der Sichtbarmachung einer „Brücke zwischen den Erkenntnissen“ dieser Disziplinen (S. 10).

Der Band ist in drei voneinander abgegrenzte Teile gegliedert. Der erste Teil versammelt vor allem theoretische Zugänge und Begriffsdefinitionen. Hier wird bereits der heterogene Charakter des Sammelbandes deutlich, denn über Media Literacy hinausgehend werden mit Medienkompetenz, Nachrichtenkompetenz und Informationskompetenz nicht nur verschiedene, disziplintypische Kompetenzen verhandelt, sondern mit Medienhandeln, Nachrichtenverständnis, Social Media und Fake News jeweils auch unterschiedliche gegenständliche Zugänge gewählt. Der einzige Beitrag, der sich in diesem Teil konzentriert mit Media Literacy auseinandersetzt, wurde von Uwe Hasebrink geschrieben und verweist dabei selbst auf die Vielfältigkeit von Media Literacy in einer mediatisierten Welt.

Der zweite Teil will Media Literacy im Kontext von institutionellen ((Hoch‑)Schule, Familie) und organisationalen Rahmen (Non-Profit-Organisationen) verhandeln. Zu den bereits genannten Kompetenzkonzepten kommen nun noch Medienbildung, Digital Literacy und Social Media Literacy hinzu.

Die Autor:innen im dritten Teil diskutieren „technologische, gesellschaftliche und ästhetische Aspekte von Media Literacy“ (S. 9). Dazu gehören Data und Privacy Literacy, Satirical Literacy oder Social Bots. Dieser Teil ist weniger kongruent als die beiden vorangegangenen und erlaubt Einblicke in weiterführende Themenbereiche.

Ein Buch zu Media Literacy ist in Zeiten tiefgreifender Mediatisierung niemals überholt. Originell ist der Sammelband von Guido Keel und Wibke Weber allemal. Dies liegt an der Kombination der oben skizzierten breiten Thematik mit der stets auf konkret angewandte Themen- und Forschungsbereiche zielenden Beiträge. Im Tagungsband erwarten den Leser:innen heterogene Beiträge, überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) mit unterschiedlichen Zielgruppen (Schüler:innen, Student:innen, Eltern, Mediennutzer:innen) in verschiedenen disziplinären Kontexten (politikwissenschaftliche, technologische, pädagogische, journalistische), die sich alle um den Allgemeinplatz Media Literacy versammeln.

Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Media Literacy nicht der Ausgangpunkt oder die Zieldimension der einzelnen Beiträge ist. Bis auf zwei Beiträge (Hasebrink, Rosenberger et al.) kommt der Sammelband ohne eine Diskussion um den Begriff Media Literacy und dessen Abgrenzung zu Schwesterbegriffen wie Medienkompetenz oder Medienbildung herum. Eine Darlegung des Forschungsstandes und des theoretischen Rückbaus von medienpädagogischen Konzepten wie Medienkritik, Medienkompetenz und Media Literacy bleibt außen vor, wäre aber als Rahmenschrift oder Einleitung zu erwarten gewesen.

Diese auffallenden Leerstellen im Sammelband müssen nicht zwangsläufig als Manko interpretiert werden, sondern viel eher als bewusst in Kauf genommene Reduktion auf die Tiefengrabungen der Beiträge. Somit ist den Herausgeber:innen des Tagungsbandes vollumfänglich zuzustimmen, wenn sie „Anknüpfungspunkte für die Medien- und Kommunikationswissenschaft“ (S. 10) als angestrebtes Ziel angeben. Das Buch wird vor allem für Wissenschaftler:innen in medien- und kommunikationswissenschaftlichen und darüber hinaus in erziehungswissenschaftlichen, politikwissenschaftlichen und journalistischen Kontexten eine Rolle spielen.

Der Sammelband „Media Literacy“ bietet einen aktuellen und vielfältigen Überblick über die theoretische Bedeutung der Literacy-Forschung sowie deren empirische Operationalisierung an ausgewählten Beispielen (wie Newsrepertoires oder Selbststeuerung bei der Social Media Nutzung). Der Tagungsband steht damit auch beispielhaft für den Wandel von Konzepten der Medienpädagogik wie beispielsweise im Fall der Media Literacy: weg von einer rein subjektivistischen hin zu einer ganzheitlichen Disziplin, die auch individuelle, soziale und mediale Aspekte in ihrem wissenschaftlichen Repertoire ihr Eigen nennt.