Die Abgrenzung von Flexion und Derivation in der Morphologie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Klassische Definitionen

3. Abgrenzungskriterien zwischen Flexion und Derivation
3.1. Traditionelle Kriterien
3.2. Nach Scalise
3.3. Nach Bybee
3.4. Nach Haspelmath

4. Traditionelle Sichtweise
4.1. Strukturalistische Dichotomie
4.2. „Split Morphology“

5. Kognitive Ansätze
5.1. Der Kontinuum-Ansatz
5.2. Der Dreiteilungsansatz

6. Gegenüberstellung der verschiedenen Theorien

7. Schlussbemerkungen

8. Bibliographie

1. Einleitung

Das Flexion-Derivation-Problem ist eine Forschungsaufgabe, der sich schon viele Linguisten angenommen haben. Für die Bildung von Wortformen eines bestimmten Paradigmas auf der einen Seite und für die Ableitung neuer Lexeme auf der anderen Seite werden die gleichen morphologischen Prozesse angewendet, diese sind im Allgemeinen Affigierung und Modifikation. Dadurch entsteht oft die Frage, ob die traditionelle systematische Trennung zwischen Flexion und Derivation gerechtfertigt ist und ob die Affixe eindeutig als Flexionsaffixe oder als Derivationsaffixe identifiziert werden können.

Dazu gibt es zahlreiche verschiedene Positionen in der morphologischen Forschung. Bis heute gibt es unter den Linguisten keine wirkliche Übereinstimmung, ob Flexion und Derivation als ähnlich oder unterschiedlich betrachtet werden sollen. Dadurch, dass den semantischen Aspekten der Morphologie auch immer eine größere Bedeutung zugeschrieben wird, entstehen verschiedene kognitive Theorien, die das Problem aus einem anderen Blickwinkel angehen. Im Folgenden werden unterschiedliche Ansätze erläutert, die versuchen das Problem zu erklären.

Nach den klassischen Definitionen, folgen die unterschiedlichen Abgrenzungskriterien zwischen Flexion und Derivation. Es werden dann die verschiedenen traditionellen und kognitiven Ansätze dargestellt. Darüber hinaus steht die Gegenüberstellung der verschiedenen Theorien im Mittelpunkt. In den Schlussbemerkungen werden die Kernpunkte nochmals aufgeführt.

2. Klassische Definitionen

In der Morphologie, dem Teilbereich der Linguistik, der sich mit der inneren Struktur der Wörter befasst, wird zwischen der Wortbildungslehre und der Formenlehre unterschieden. Seewald (1996: 5) bezeichnet den Prozess der Formenbildung auch als Beugung oder Flexion. Diese beschäftigt sich mit dem Aufbau der verschiedenen Wortformen eines Wortes. Im Gegensatz dazu untersucht die Wortbildung, wie neue Wörter nach bestimmten Regeln aus bestehenden Wörtern und Morphemen gebildet werden. (vgl. Seewald 1996: 5) Nach Schpak-Dolt (1992: 36) stellt die Flexionslehre die Bildung verschiedener Formen eines Lexems dar, während die Wortbildung die Verfahren darstellt, nach denen aus einfachen Lexemen komplexere gebildet werden.

In der Wortbildung wird zwischen der Derivation (Ableitung) und der Komposition (Zusammensetzung) unterschieden. Nach Seewald (1996: 5f) ist bei der Derivation ein gebundenes Wortbildungsmorphem an der Wortbildung beteiligt, bei der Komposition dagegen entsteht durch die Zusammensetzung zweier eigenständiger Wörter ein neues Wort. Bei Derivationsprozessen wird unter anderem ein Derivationsaffix an eine sprachliche Form angefügt, so dass eine neue sprachliche Form entsteht. Die Ausgangsform wird Derivationsbasis genannt und die resultierende sprachliche Form ist das Derivat (vgl. Schpak-Dolt 1992: 43) Neben Derivation und Komposition gehören auch die Konversion und die Wortkürzung zu den Wortbildungsverfahren.

In der Morphologie wird traditionell zwischen verschiedenen Morphemtypen, Komponenten der Wörter, unterschieden. Morpheme sind die bedeutungstragenden Bestandteile eines Wortes, die gegenüber den Morphen die abstrakteren Einheiten bilden und deshalb auf der Ebene des Sprachsystems angesiedelt werden. Sowohl Seewald (1996: 5-9) als auch Schpak-Dolt (1992: 24) klassifizieren Morpheme formal nach folgenden Gesichtspunkten: freies und gebundenes Morphem, grammatisches und lexikalisches Morphem und die Unterscheidung zwischen Affix und Wurzel.

In der traditionellen Morphologie liegt der Schwerpunkt auf den Affixen, die ihrerseits auch in verschiedene Affixtypen unterteilt werden. Dabei unterscheidet Schpak-Dolt (1992: 28) die Affixe nach ihrer Position im Wort (Präfixe, Suffixe, Infixe, usw.) und ihrer systematischen Funktion (Flexionsaffixe, Derivationsaffixe, usw.). Diese Konzentration auf die Elemente der Wörter, hauptsächlich auf die Affixe, ist ein formaler Schwerpunkt in der traditionellen Morphologie.

In der klassischen Definition von Morphologie wird die Morphologie oft mit Formen- oder Flexionslehre gleichgesetzt. (vgl. Schpak-Dolt 1992: 1) Nach dieser Sichtweise ist es schwierig, die Flexion von der Wortbildung zu unterscheiden und einen Oberbegriff für diese beiden Typen der Morphologie zu finden. Traditionell wurde die Morphologie jedoch tatsächlich als eine reine Formenlehre gesehen, in der nachstrukturalistischen Sprachwissenschaft wird hingegen die Beziehung zwischen Form und Inhalt immer mehr von großer Bedeutung.

3. Abgrenzungskriterien zwischen Flexion und Derivation

Um Flexion und Derivation voneinander abgrenzen zu können, wird das Augenmerk oft, hauptsächlich in der strukturalistischen und der generativistischen Tradition, auf die Affixe gelegt. Inwiefern lassen sich die verschiedenen Affixe voneinander trennen? Was ist der Unterschied zwischen Flexions- und Derivationsaffixen? Gibt es einen Unterschied oder ist eine strikte Trennung der beiden Affixtypen nicht möglich? Im Folgenden werden die Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Ansätze aufgeführt, die die unterschiedliche Funktion von Flexions- und Derivationsaffixen aufzeigen.

3.1. Traditionelle Kriterien

Traditionell wird gelehrt, dass es drei Kriterien für die Unterscheidung zwischen Flexions- und Derivationsaffixen gibt: Kategoriewechsel, Reihenfolge und Produktivität. Die Flexion verändert die grammatische Kategorie oder die Bedeutung nicht, während die Derivationsaffixe normalerweise die Kategorie oder die Bedeutung verändern. In Bezug auf die Reihenfolge müssen die Derivationsaffixe sich zuerst mit der Wurzel verbinden, danach folgen die Flexionsaffixe. Derivationsaffixe befinden sich somit näher zum Stamm und die Position der Flexionsaffixe ist weiter weg vom Stamm. Flexionsaffixe haben eine hohe Produktivität, Derivationsaffixe hingegen eine niedrige. Daraus folgt, dass Flexionsaffixe relativ wenige Ausnahmen haben, während Derivationsaffixe sich nur mit bestimmten Wortklassen verbinden.

Schpak-Dolt (1992: 28f) zählt die folgenden Punkte auf, die Flexionsaffixe von Derivationsaffixen unterscheiden:

1. Flexionsaffixe treten häufiger und regelmäßiger auf als Derivationsaffixe.
2. Im Französischen sind Flexionsaffixe immer Suffixe, Derivationsaffixe können Suffixe oder Präfixe sein.
3. Flexionsaffixe besetzen im Wort eher „äußere“ Positionen, Derivationsaffixe eher „innere“ Positionen.
4. Flexionsaffixe drücken grammatische Kategorien aus (Tempus, Modus, Person, Numerus, usw.).
5. Flexionsaffixe dienen zur Bildung von verschiedenen Formen des gleichen Lexems, Derivationsaffixe dienen zur Bildung neuer Lexeme.

Auch im Italienischen werden Flexionsaffixe durch Suffixe ausgedrückt, Derivationsaffixe können sowohl Präfixe als auch Suffixe sein. In dem Wort gondol-ier-e (dt. Gondelführer) gibt es zwei Suffixe, -ier- ist ein Derivationssuffix und das zweite Suffix, -e, ist ein Flexionssuffix. (vgl. Seewald 1996: 10)

Neben Schpak-Dolt nennt auch Seewald (1996: 10) ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, welches mit dem dritten Punkt der Abgrenzungskriterien Schpak-Dolts zu vergleichen ist. Die Reihenfolge der Flexions- und Derivationsaffixe ist nicht beliebig. Morphologische Regeln werden nach hierarchischen Prinzipien angewendet, so dass auf einen Wortstamm zuerst die Wortbildungsregeln zur Anwendung kommen. Es werden erst alle Wortbildungsprozesse durchgeführt, danach folgen die Flexionsregeln. Somit nehmen Flexionsendungen immer die äußerste Position in einem Wort ein. (vgl. Seewald 1996: 10)

3.2. Nach Scalise

Der Generativist Sergio Scalise (1988: 578) ist der Meinung, dass Flexion und Derivation klar voneinander abgrenzbare Entitäten sind und die Unterscheidung zwischen Flexion und Derivation nicht nur möglich sei, sondern auch notwendig. Er stellt 15 Kriterien auf, die für ihn einen Unterschied zwischen Flexions- und Derivationsregeln darstellen. Einige Kriterien führt er davon im Detail auf und begründet seine Position:

1. Derivationsregeln verändern die syntaktische Kategorie des Stamms, Flexionsregeln jedoch nicht.

Scalise (1988: 564f) behauptet außerdem, dass Derivationsregeln die syntaktische Kategorie des Stamms immer verändern. Auch wenn ein Nomen ein Nomen bleibt, haben sich dennoch die Informationen des Stamms durch das Derivationssuffix geändert:

(1) engl. man à man-hood

Das Derivationssuffix -hood ändert zum Beispiel die Eigenschaften des Stamms von –abstrakt und +zählbar in +abstrakt und –zählbar. Die Derivationssuffixe haben einen eigenen Inhalt unabhängig von den Informationen des Stamms.

Die Tatsache, dass Flexionsregeln die Kategorie nicht verändern, zeigt Scalise (1988: 566) an dem Partizip Perfekt, welches auch als adjektivische Form verwendet werden kann. Es gibt Behauptungen, dass Flexionsregeln auf diese Weise die Kategorie ändern können. Doch Scalise betrachtet diesen Prozess als Nullaffigierung oder Konversion:

(2) it. coperta (von coprire)

it. attraente (von attrarre)

it. cantante (von cantare)

it. (il) dire (von dire)

In Sprachen wie im Italienischen wird die Konversion auch in anderen Fällen angewendet. Wie in Beispiel (2) zu sehen ist, werden aus einem Partizip Präsens Adjektive oder Nomen und Infinitivkonstruktionen zu Nomen.

2. Derivationsregeln werden vor Flexionsregeln angewendet.

Ein Gegenbeispiel, welches sehr umstritten ist, ist die Bildung der Adverbien in den romanischen Sprachen:

(3) it. cert a mente

(Scalise 1988: 566)

In Beispiel (3) wird deutlich, dass das Flexionssuffix -a vor dem Derivationssuffix -mente kommt. Scalise (1988: 566) erklärt dieses Phänomen jedoch mit den „readjustment-Regeln“. Das von vielen Linguisten angenommene Flexionselement -a ist laut Scalise kein Flexionsaffix, sondern die Folge einer „readjustment-Regel“. Durch diese Regeln verändert sich nach der Affigierung der Stamm oder bzw. die endgültige phonetische Repräsentation, da die „readjustment-Regeln“ eine Art phonologische Regeln sind. Obwohl das Kriterium, das Derivationsregeln vor den Flexionsregeln angewendet werden, auch Ausnahmen hat, kann nicht bewiesen werden, dass die Reihenfolge der Derivations- und Flexionsregeln willkürlich ist. Deshalb vertritt Scalise (1988: 566f) die Meinung, dass dieses Unterscheidungsmerkmal im Allgemeinen in vielen Sprachen zutrifft.

3. Derivationsaffixe sind Köpfe, Flexionsaffixe sind niemals Köpfe.

Es gibt Theorien, dass ein Flexionsaffix ein Kopf ist, da es das stärkste Element in der Wortstruktur ist und in gewisser Weise das grammatische Verhalten des Wortes zeigt. Dieser Theorie schließt sich Scalise (1988: 567f) noch an, doch die Ansicht, dass der Kopf immer durch die „Rechte-Hand-Regel“ bestimmt wird, vertritt er nicht. In vielen romanischen Sprachen ist dies nicht der Fall, da beispielsweise bei der Komposition das linke Element der Kopf ist. Seine Schlussfolgerung ist, dass Derivationssuffixe Köpfe sind und Flexionsaffixe keine Köpfe darstellen.

[...]

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Details

Titel
Die Abgrenzung von Flexion und Derivation in der Morphologie
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Linguistik/ Romanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar Aspekte der Morphologie des Italienischen
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V144678
ISBN (eBook)
9783640556847
ISBN (Buch)
9783640557431
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Abgrenzung, Flexion, Derivation, Morphologie
Arbeit zitieren
Anastasia Deibert (Autor:in), 2008, Die Abgrenzung von Flexion und Derivation in der Morphologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144678

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