1 Einleitung

Der angemessene Umgang mit Heterogenität gilt als eine der zentralen Herausforderungen von Schule und Unterricht (Bohl et al. 2017) und kann als Chance verstanden werden, durch pädagogisch reflektierten Umgang mit Vielfalt einen Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt zu leisten (Vock und Gronostaj 2017). Eine adäquate Berücksichtigung von Heterogenität in Bildungsprozessen soll dabei dazu beitragen, allen Schülerinnen und Schülern bestmöglich das Erreichen mehrdimensionaler Bildungsziele zu ermöglichen (Schiepe-Tiska et al. 2016). Vor diesem Hintergrund befasst sich die aktuelle Unterrichtsforschung mit der Frage, wie unterrichtliche Lehr-Lern- und Bildungsprozesse individuell unterschiedliche Lernvoraussetzungen effektiv aufgreifen können (Corno 2008; Lipowsky und Lotz 2015). Dabei werden zumeist soziale, kulturelle und sprachliche (Gogolin 2016) oder geschlechtsbezogene Heterogenität (Hannover 2004; Kessels et al. 2016) sowie inklusive Bildung (Moser und Lütje-Klose 2016) und leistungsbezogene Unterschiede (Praetorius et al. 2018b) von Lernenden in den Blick genommen. Seltener befasst sich die Unterrichtsforschung bislang jedoch mit der Frage, wie Unterrichtsprozesse auch unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern angemessen aufgreifen können und inwiefern geschlechtsbezogene, sprachliche oder soziale Heterogenität mit unterschiedlichen motivationalen Merkmalen und Entwicklungsverläufen zusammenspielt. Der vorliegende Beitrag hat vor diesem Hintergrund zum Ziel, verschiedene theoretische Ansätze aus der Motivationspsychologie und Unterrichtstheorie zusammenzuführen, um durch die Integration verschiedener theoretischer Ansätze ein besseres Verständnis der Genese und Wirkung motivationaler Heterogenität im Unterricht zu ermöglichen. Dabei gehen wir auch der Frage nach, wie und unter welchen Bedingungen Unterricht adaptiv unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen aufgreifen kann.

2 Genese und Entwicklung motivationaler Heterogenität: Theoretische Perspektiven

Als aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzuges auf einen spezifischen, als positiv bewerteten, Zielzustand gilt Motivation als handlungsleitend (Rheinberg und Vollmeyer 2012). In der Klassischen Motivationspsychologie (z. B. Atkinson 1957; Heckhausen und Heckhausen 2018) wird zwischen personenbezogenen und situativen Einflussfaktoren unterschieden. Es wird davon ausgegangen, dass situationsübergreifende Personenmerkmale wie beispielsweise Fähigkeitsselbstkonzepte oder Ziele allein noch nicht bedingen, dass Individuen motiviert sind. Erst die Passung der Merkmale der Lernsituation zu den Merkmalen des Individuums führt zu situationsspezifischer Motivation. Der Prozess der situativen Anregung von motivationalen Merkmalen innerhalb einer Person wird als Motivierung bezeichnet.

Betrachtet man dieses einfache Grundmodell unter der Perspektive des Umgangs mit motivationaler Heterogenität im Unterricht, so zeigen sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Motivationale Heterogenität kann sich zum einen auf die Heterogenität der individuellen (Lern‑)Voraussetzungen und Personenmerkmale Lernender – und Lehrender – beziehen und sich zum anderen in der Heterogenität aktueller situationsspezifischer Motivation im Unterricht widerspiegeln. Der Unterrichtsgestaltung selbst kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, da diese auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten zur Motivierung bietet. Hierbei werden auch Überschneidungen zwischen motivationspsychologischen Theorien und theoretischen Annahmen von Angebots-Nutzungs-Modellen der Unterrichtsforschung deutlich (Helmke 2003; Seidel 2014; Vieluf et al. 2020). Letztere beschreiben ebenfalls, dass die Motivation von Lernenden im Unterricht an mehreren Stellen Berücksichtigung finden muss – einerseits als stabile individuelle Lernvoraussetzung (‚Lernpotential‘), die individuelle Nutzungsprozesse im Unterricht beeinflussen kann und andererseits als situationsspezifische Erlebensqualität Einzelner, die als Teil der Nutzungsprozesse Lernender im Unterricht verstanden wird (Vieluf et al. 2020).

Vor diesem Hintergrund befassen wir uns in den folgenden Teilkapiteln mit theoretischen Überlegungen und empirischen Befunden zur Heterogenität der Motivation von Schülerinnen und Schülern auf Ebene der Person (interindividuell unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen) und auf Ebene der Interaktion zwischen Person und Situation (situationsspezifische motivationale Erlebensqualität) und leiten daraus ein Prozessmodell motivationaler Heterogenität im Unterricht und damit verbundene Implikationen für eine adaptive Unterrichtsgestaltung im Kontext motivationaler Heterogenität ab.

Dabei nehmen wir Bezug auf Theoriemodelle, denen gemeinsame theoretische Annahmen zugrunde liegen und deren integrative Betrachtung in der aktuellen Forschung bereits zu einem besseren Verständnis motivationaler Heterogenität beigetragen haben. Unser Überblick über motivationspsychologische und unterrichtstheoretische Modelle und Studien hat dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr dienen die dargestellten empirischen Studien der Illustration der erläuterten theoretischen Annahmen. Hierbei haben wir aktuelle Studien ausgewählt, die sich auf den jeweils dargestellten theoretischen Hintergrund beziehen bzw. im Sinne des vorliegenden Beitrages auch theoretische Integrationsleistungen erbringen.

2.1 Heterogenität motivationaler Lernvoraussetzungen

Lernprozesse in Schule und Unterricht sind stark durch die Unterschiedlichkeit motivationaler Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern geprägt: Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren verdeutlicht, dass einzelne Lernende sich stark voneinander in der Ausprägung ihrer fachspezifischen Motivation unterscheiden. Manche Lernende weisen Niveauunterschiede auf und berichten beispielsweise gleichmäßig hohe, mittlere oder geringe Motivation (Chow et al. 2012; Linnenbrink-Garcia et al. 2018). Andere Lernende weisen motivationale Muster auf, die durch Variabilität in der Ausprägung motivationaler Merkmale innerhalb einer Person gekennzeichnet sind. Beispielsweise schätzen sich einige Schülerinnen und Schüler zwar in einzelnen Fächern als kompetent ein, bewerten diese Fächer aber als nur wenig relevant für sich (Lazarides et al. 41,42,a; b; Viljaranta et al. 2017).

Eine bedeutsame Fragestellung ist, wie unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen entstehen und wodurch sie geprägt sind. Im vorliegenden Beitrag beziehen wir uns auf die theoretische Grundlage der erweiterten Erwartungs-Wert Theorie (im Folgenden: EVT; Eccles et al. 1983) sowie auf die Theorie dimensionaler Vergleiche (im Folgenden DCT; Möller und Marsh 2013). Die Kombination beider etablierter Theoriemodelle ermöglicht eine systematische Erklärung motivationaler Heterogenität auf Ebene der individuellen Lernvoraussetzungen und wird in verschiedenen theoretischen (z. B. Wigfield et al. 2020) und empirischen Arbeiten (Gaspard et al. 2018; Oppermann et al. 2021) zur Entstehung interindividuell unterschiedlicher motivationaler Lernvoraussetzungen aufgegriffen.

Die erweiterte Erwartungs-Wert Theorie (Eccles und Wigfield 2020) beschreibt, dass Lernende im Laufe ihrer Schulzeit intraindividuelle motivationale Hierarchien entwickeln. Das heißt, sie entwickeln im Laufe ihrer Schullaufbahn spezifische innere Priorisierungen in Bezug auf Fächer oder Aktivitäten, die schließlich auch ihre zukünftigen akademischen und beruflichen Entscheidungen beeinflussen. Laut EVT entstehen interindividuell unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen in spezifischen Fächern durch (geschlechtsspezifische) Sozialisationsprozesse (Eccles 2015) und etablieren sich im Zuge der individuellen Identitätsentwicklung (Eccles 2009). Studien zu geschlechtsbezogenen Sozialisationserfahrungen Lernender verdeutlichen in diesem Kontext, dass Lehrkräfte bereits in der Grundschule die Mathematikfähigkeiten von Mädchen unterschätzen (Tiedemann 2000) und an Jungen in Bezug auf die Lesefähigkeiten geringere Leistungserwartungen stellen (Muntoni und Retelsdorf 2018). Dies können mögliche Gründe dafür sein, dass Mädchen häufiger motivationale Muster aufweisen, die durch eine geringe Motivation im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich charakterisiert sind (Chow und Salmela-Aro 2011), während Jungen häufiger in Gruppen Lernender vertreten sind, deren Lesekompetenzerleben im Verlauf der Sekundarstufe stark sinkt (Gaspard et al. 2020).

Die Theorie dimensionaler Vergleiche (Möller und Marsh 2013) beschreibt neben solchen sozialen Einflussfaktoren relevante innerpsychische Prozesse, die eine Bedeutung für die Entwicklung interindividuell unterschiedlicher motivationaler Lernvoraussetzungen inne haben. Die Theorie geht – kurz gefasst – davon aus, dass Lernende ihre eigenen Leistungen in einem spezifischen akademischen Bereich mit ihren eigenen Leistungen in kontrastierenden und in ähnlichen akademischen Bereichen vergleichen. Die vorgenommenen Vergleichsprozesse beeinflussen die Ausprägung motivationaler Merkmale und führen dementsprechend zu interindividuellen Unterschieden in der Motivation Lernender. Die Theorie differenziert hierbei Kontrasteffekte – wenn beispielsweise eine hohe Leistung und ein damit verbundenes hohes Fähigkeitsselbstkonzept in einem spezifischen Fach (z. B. Mathematik) zu einem geringen Fähigkeitsselbstkonzept in einem kontrastierenden Fach (z. B. Deutsch) beiträgt. Außerdem werden Assimilationseffekte beschrieben – wenn eine gute eigene Leistung und ein damit verbundenes hohes Fähigkeitsselbstkonzept in einem spezifischen Fach (z. B. Mathematik) zu einem hohen Fähigkeitsselbstkonzept in ähnlichen Fächern (z. B. Physik) beiträgt. Dimensionale Vergleichsprozesse wurden bislang insbesondere in Bezug auf die Ausbildung des domänenbezogenen akademischen Selbstkonzepts untersucht (z. B. Jansen et al. 2014), prägen jedoch auch andere motivationale Merkmale wie subjektive Wertüberzeugungen (Gaspard et al. 2018; Lazarides und Lauermann 2019).

Einige wenige aktuelle empirische Arbeiten kombinieren die Annahmen der EVT und DCT und verweisen darauf, dass sich entsprechend der Annahmen geschlechtsspezifischer Sozialisation und dimensionaler Vergleichsprozesse sukzessive interindividuell unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen im Laufe des Jugendalters entwickeln. Gaspard et al. (2020) identifizieren beispielsweise neben einem Entwicklungsmuster, bei dem das Interessenniveau Lernender in zwei komplementären Fächern auf ähnlich moderatem Niveau verbleibt („Stable Math and Language Arts Trajectories“) auch Entwicklungsmuster des akademischen Fähigkeitsselbstkonzeptes, die eine innere Priorisierung bestimmter Fächer im Laufe der Schulzeit nahelegen (Selbstkonzept: „Moderate Math Decline/Stable High Language Arts“; „Moderate Math Decline/Strong Language Arts Decline“; intrinsischer Wert: „Strong Math Decline/Language Arts Decline Leveling Off“; „Moderate Math Decline/Strong Language Arts Decline“), wobei Jungen überrepräsentiert waren in Gruppen, die eine starke Abnahme der sprachlichen Erfolgserwartungen bei gleichzeitig geringer Abnahme der mathematikbezogenen Erfolgserwartungen erlebten. Interindividuell unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen in unterschiedlichen Fächern prägen spätere Bildungsentscheidungen. So verweisen empirische Studien im Kontext der EVT beispielsweise darauf, dass interindividuell unterschiedliche motivationale Muster individuelle berufliche Aspirationen (Oppermann et al. 2021) und Studienfach- und Berufswahlentscheidungen im Jugend- und Erwachsenenalter maßgeblich prägen (Lazarides et al. 2019).

2.2 Heterogenität situationsspezifischer motivationaler Merkmale

Im Mittelpunkt neuerer Forschungsarbeiten steht zunehmend die Frage nach der situationsspezifischen Ausprägung motivationaler Merkmale Lernender (Dietrich et al. 2017; Martin et al. 2020; Moeller et al. 2020). Dabei ist von Interesse inwiefern unterschiedliche motivationale Erlebensqualitäten in Bezug auf einzelne Lernsituationen, Themen oder Unterrichtseinheiten innerhalb einer Gruppe existieren. Empirische Befunde verweisen in diesem Kontext auf substantielle momentane Schwankungen in motivationalen Merkmalen, die in empirischen Studien in Abhängigkeit von Studiendesign, statistischer Methodik und motivationalen Konstrukt unterschiedlich stark ausfallen (z. B. topic-related task value: ICC = 0,36, vgl. Dietrich et al. 2017; lesson-specific self-efficacy: ICC = 0,33, vgl. Martin et al. 2020). Auf theoretischer Ebene haben sich in den letzten Jahren verschiedene Arbeiten mit der Entstehung situationsspezifischer motivationaler Heterogenität auseinandergesetzt. Im vorliegenden Beitrag fokussieren wir die ‚situated expectancy-value theory‘ (Eccles und Wigfield 2020) sowie die Interessentheorie (Hidi und Renninger 2006; Schiefele 2009), da beide Theorieansätze detailliert das Entstehen situationsspezifischer motivationaler Erlebensqualitäten erklären und sich dabei auf ähnliche motivationale Konstrukte beziehen.

In ihrer ‚situated expectancy-value theory‘ (im Folgenden ‚SEVT‘) beschreiben Eccles und Wigfield (2020), dass das situationsspezifische Erleben von Erfolgschancen beim Bewältigen einer Aufgabe oder Aktivität und die situationsspezifische Ausprägung individueller Wertüberzeugungen zu einzelnen Aufgaben und Aktivitäten durch die ihnen situationsabhängig zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen und Ressourcen beeinflusst wird. Zu jedem Zeitpunkt des Lernprozesses stehen Lernenden nur limitierte Entscheidungsmöglichkeiten, Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten zur Verfügung, die ihre Erwartungs- und Wertüberzeugungen in Bezug auf bestimmte Aktivitäten sowie ihr individuelles Anstrengungs- und Entscheidungsverhalten beeinflussen. Dementsprechend führen eigene Wahrnehmungen der Lernsituation und die entsprechenden Einschätzungen von Interaktionspartnern dazu, dass sowohl die individuelle Hierarchie von Erwartungs-Wert Überzeugungen als auch damit verbundene Handlungen stark durch die jeweilige individuelle Situation geprägt ist.

Auch interessentheoretische Arbeiten (Hidi und Renninger 2006; Krapp 2007; Schiefele 2009) widmen sich der Frage nach den Entstehungsbedingungen situationsspezifischer motivationaler Erlebensqualitäten. Die Interessenforschung unterscheidet zwischen situationalem Interesse und individuellem Interesse. Im Kontext situationsspezifischer Heterogenität von Motivation ist besonders das situationale Interesse relevant. Situationales Interesse gilt als kurzfristige situationsspezifische Erlebensqualität, die durch erhöhte Aufmerksamkeit und positive Emotionen in der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand gekennzeichnet ist, aus einer Wechselwirkung zwischen Person- und Situationsfaktoren resultiert und durch externe Merkmale der Lernumgebung hervorgerufen werden kann (Hidi und Renninger 2006). In ihrem Vier-Phasen Modell der Interessenentwicklung beschreiben Hidi und Renninger (2006) zentrale Merkmale der Lernumgebung, die situationales Interesse hervorrufen können. So wird beispielsweise beschrieben, dass das Erleben persönlicher Relevanz und die Wahrnehmung neuer und überraschender Informationen im Kontext von Aufgaben oder Texten die Entwicklung von situationalem Interesse begünstigen können. Empirische Befunde verweisen zudem auf eine günstige Wirkung von Wahlfreiheiten (Linnenbrink-Garcia et al. 2013) und kohärent aufgebauten Texten und Aufgaben (Schraw et al. 2001) auf das situationale Interesse Lernender.

Eine Integration der SEVT und theoretischer Ansätze zu situationalem Interesse zur Untersuchung situationsspezifischer motivationaler Erlebensqualitäten findet bislang insofern statt als das in den letzten Jahren vermehrt Forschungsarbeiten zur situationsspezifischen Ausprägung von subjektiven Erfolgserwartungen und Wertüberzeugungen sowie situationalem Interesse entstanden sind, die darauf verweisen, dass sowohl Erwartungs- und Wert Komponenten (Dietrich et al. 2017; Salmela-Aro et al. 2021) als auch situationales Interesse (Moeller et al. 2020) substantiell von Lernsituation zu Lernsituation innerhalb derselben Person variieren. Zur Untersuchung der instruktionalen Faktoren, die solche individuell unterschiedlichen momentanen Fluktuationen erklären, bieten motivationspsychologische Theorien zu situationalem Interesse aber auch unterrichtstheoretische Ansätze eine bedeutsame Grundlage.

3 Unterrichtstheoretische Ansätze und motivationale Heterogenität

Ausgehend von den dargestellten Überlegungen stellt sich die Frage, wie Unterricht diese Unterschiede adaptiv aufgreifen kann, um Lernenden die Lerngelegenheiten zu bieten, die sowohl zu ihren individuellen motivationalen Lernvoraussetzungen als auch zu ihren situationsspezifischen motivationalen Erlebensqualitäten passen. Um diese Fragestellung zu erörtern, gehen wir im Folgenden zunächst auf Grundprinzipien adaptiven Unterrichtens ein, erläutern anschließend Grundprinzipien qualitätsvollen Unterrichts, wobei besonders die Dimension der motivationsrelevanten Lernunterstützung fokussiert wird, und führen beide Perspektiven in einem letzten Schritt in einem integrativen Prozessmodell zusammen.

3.1 Prinzipien adaptiven Unterrichtens

In der Unterrichtsforschung wird die Frage, wie Unterrichtsplanung und -entwicklung die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen innerhalb der Schülergruppe aufgreifen kann, häufig im Kontext adaptiven Unterrichtens diskutiert (Dumont 2019; Hardy et al. 2019; Vock und Gronostaj 2017). Adaptives Unterrichten bezieht sich dabei einerseits auf die Makroebene der Unterrichtsgestaltung, also auf differenzierende Lehr-Lernformen, die es ermöglichen spezifische Schülergruppen ihren Lernvoraussetzungen entsprechend zu unterrichten. Andererseits findet adaptives Unterrichten auf der Mikroebene des Unterrichts statt, also innerhalb der Interaktionen zwischen Lehrkräften und einzelnen Lernenden im Unterricht, beispielsweise wenn Lehrkräfte die Lernschwierigkeiten oder Begabungen einzelner Lernender diagnostizieren und systematisch in der Lehrer-Schüler Interaktion mit adaptiven Lernangeboten darauf reagieren (Corno 2008). In der psychologischen Lehr-Lernforschung wird ein solches Vorgehen auch als ‚Scaffolding‘ bezeichnet – hierunter werden kontinuierliche Unterstützungshandlungen der Lehrkraft in der Interaktion mit Lernenden verstanden, die auf die individuellen Lernvoraussetzungen der Lernenden zugeschnitten sind und ihnen die nächsten Schritte in ihrem persönlichen Lernprozess ermöglichen (Wood et al. 1976). Adaptives Unterrichten wird als ein inhärenter Bestandteil eines qualitätsvollen Unterrichts verstanden, da erst die erfolgreiche Diagnose und Berücksichtigung der sozialen, sprachlichen, kognitiven und motivationalen Lernvoraussetzungen durch die Lehrkraft es ermöglicht, instruktionale und sozio-emotionale Unterstützung in Schulklassen lern- und leistungsförderlich umzusetzen (Hardy et al. 2019). In diesem Sinne wird adaptives Unterrichten auch als Gesamtunterrichtsstrategie konzipiert, die sämtliche Unterrichtsaktivitäten einschließt und sich nicht auf einzelne Methoden oder Maßnahmen beschränkt (Dumont 2019). Im Kontext motivationaler Heterogenität stellt sich die Frage, welche Unterrichtsprinzipien adaptiven Unterrichtens im Sinne einer solchen Gesamtstrategie zu berücksichtigen sind, um die unterschiedlich ausgeprägten motivationalen Lernvoraussetzungen und situationsspezifischen Erlebensqualitäten optimal aufzugreifen.

3.2 Prinzipien motivierenden Unterrichts

Lehr-lernpsychologische Unterrichtstheorien wie das Modell der generischen Basisdimensionen von Unterrichtsqualität (Klieme 2018; Praetorius et al. 2018a) beschreiben drei Dimensionen von Unterrichtsqualität – kognitive Aktivierung, Klassenführung und konstruktive Unterstützung – die lern- und leistungsrelevant im Unterricht sind. Dabei wird theoretisch angenommen, dass für die Förderung der motivationalen Entwicklung Lernender der konstruktiven Unterstützung eine besondere Bedeutung zukommt. Empirische Studien, die sich auf diesen theoretischen Rahmen beziehen, verdeutlichen allerdings, dass neben der konstruktiven Unterstützung unter bestimmten Bedingungen auch die kognitive Aktivierung (Fauth et al. 2014; Schiepe-Tiska 2019) und effektive Klassenführung (Kunter et al. 2007) motivations- und interessenförderlich im Unterricht wirken können. Kritisch betrachtet werden kann folglich, dass die Vielfalt der Aspekte des Unterrichtshandelns von Lehrkräften, die zu einem motivationsförderlichen Klima im Unterricht beitragen weit über die Dimension ‚Konstruktive Unterstützung‘ hinaus gehen. Daher wird in einigen lehr-lernpsychologische Konzeptualisierungen qualitätsvollen Unterrichts die Motivierung im Unterricht auch als eigenständige Qualitätsdimension beschrieben (Lüftenegger et al. 2014; Ophardt und Thiel 2008). Komponenten einer in diesem Sinne motivierenden Unterrichtsgestaltung sind unter anderem die Relevanz der Lerninhalte, Erwartungs- und Zielklarheit, Interessenförderung, konstruktives Feedback und ein positives Sozialklima (Thiel et al. 2012). Diese als motivationsförderlich beschriebenen Unterrichtsstrategien sind stark an motivationspsychologischen Theorien orientiert. Die Annahme, dass das Erleben persönlicher Relevanz in Lernprozessen maßgeblich zur Leistungsmotivation von Schülerinnen und Schülern beiträgt, geht beispielweise auf Annahmen der erweiterten Erwartungs-Wert Theorie (Eccles und Wigfield 2002) sowie der Interessentheorie (Krapp 2007; Schiefele 2014) zurück. Schiefele (2014) benennt aus interessentheoretischer Sicht als Merkmale einer interessenförderlichen Unterrichtsgestaltung neben der Förderung der persönlichen Bedeutsamkeit des Lerngegenstandes zudem die Förderung von Kompetenzwahrnehmung (z. B. durch konstruktives Feedback zu ihren Lernfortschritten), die Förderung von Selbstbestimmung (z. B. durch Auswahl der Themen und Aufgaben) und die Förderung der sozialen Einbindung (z. B. durch partnerschaftliche Interaktion zwischen Lehrkraft und Lernenden) und integriert somit Annahmen der Selbstbestimmungstheorie (Deci und Ryan 2002). Arbeiten, die auf der erweiterten Erwartungs-Wert-Theorie basieren, beschreiben ebenfalls das Hervorheben und Diskutieren der persönlichen Relevanz von Lerninhalten (Gaspard et al. 2015) sowie die Förderung von Autonomie im Lernprozess (Eccles et al. 1993; Wang 2012) als zentral für die Förderung der individuellen motivationalen Überzeugungen im Lern- und Leistungskontext. Insgesamt besteht aktuell ein Desiderat hinsichtlich der empirischen Untersuchung der Wirkung verschiedener Aspekte motivierenden Unterrichtshandelns im Sinne einer gelungenen ‚Motivierung‘ auf verschiedene motivationale Merkmale Lernender, die auch die Ebene der Situation und der Person gleichzeitig in den Blick nimmt.

3.3 Integratives Prozessmodell adaptiven motivationsförderlichen Unterrichts

Bezugnehmend auf Angebots-Nutzungs-Modelle der Unterrichtsforschung (Helmke 2003; Seidel 2014; Vieluf et al. 2020) gehen wir davon aus, dass die Motivation von Lernenden im Unterricht einerseits im Sinne individueller Lernvoraussetzung berücksichtigt werden muss und andererseits als situationsspezifische Erlebensqualität einzelner Lernender. Vor dem Hintergrund aktueller Forschungsarbeiten zur individuellen Förderung (Dumont 2019; Hardy et al. 2019) und unterrichtstheoretischen Überlegungen zu motivationsförderlicher Unterrichtsgestaltung (Klieme 2018; Praetorius et al. 2018a) nehmen wir zudem an, dass Lehrkräfte motivationale Lernvoraussetzungen und individuelle Erlebensqualitäten nur durch eine kontinuierliche Motivierung im Sinne einer Gesamtunterrichtsstrategie adäquat berücksichtigen können – also nicht durch den Einsatz vereinzelter motivierender Unterrichtselemente sondern durch eine kontinuierliche motivierende Interaktion zwischen Lehrkraft und Lernenden, die unter anderem aktivierende Gesprächsangebote, konstruktives Feedback, Diskurse zur Relevanz des Lerngegenstands, Mitwirkungsmöglichkeiten und ein wertschätzendes Miteinander einbezieht. Eine solche motivierende Unterrichtsgestaltung greift situationale Aspekte wie situationsspezifische Phasen des Desinteresses einzelner Schülerinnen und Schüler kontinuierlich im Rahmen motivierender Interaktionen auf und berücksichtigt gleichzeitig durch systematische Planung und Entwicklung von Unterricht die in Schulklassen existierende Heterogenität motivationaler Lernvoraussetzungen. Ausgehend von der Annahme, dass erfolgreiche Lernprozesse sich in Wechselwirkung zwischen einzelnen Lernenden mit ihren je individuellen Lernvoraussetzungen, der Lerngruppe und der Lehrkraft gestalten (Klieme 2018; Lazarides und Schiefele 2021), nehmen wir zudem an, dass eine solche Strategie effektiver adaptiver Motivierung im Unterricht in ihrer Wirkung auch stark abhängig von den Kompetenzen der Lehrkräfte ist, die sie gestalten. Dabei stellt sich die Frage, über welche Fähigkeiten und Fertigkeiten Lehrkräfte verfügen müssen, um Unterricht spezifisch an den motivationalen Lernvoraussetzungen und Erlebensqualitäten einzelner Lernender auszurichten.

Angebots-Nutzungs-Modelle der Unterrichtsforschung (Helmke 2003; Seidel 2014; Vieluf et al. 2020) beschreiben, dass das Unterrichtsangebot wesentlich von den professionellen Handlungskompetenzen der Lehrperson abhängt. Im Kontext adaptiven motivierenden Unterrichtens würde dies bedeuten, dass für die Gestaltung eines motivierenden Unterrichtsangebotes, welches die motivationale Heterogenität der Lerngruppe sowohl im Sinne individueller motivationaler Lernvoraussetzungen als auch im Sinne situationsspezifischer unterschiedlicher motivationaler Erlebensqualitäten aufgreift, ein komplexes Zusammenwirken von Professionswissen, motivationalen Orientierungen, Wertehaltungen und Überzeugungen sowie selbstregulativen Fähigkeiten von Lehrkräften relevant ist (Baumert und Kunter 2006).

Im Kontext adaptiven Unterrichts kommt dabei den diagnostischen Kompetenzen der Lehrkraft eine besondere Rolle zu. Diagnostische Kompetenzen sind definiert als die Gesamtheit der Fähigkeiten von Lehrpersonen, die sie dazu in die Lage versetzen, korrekte Urteile über Lernvoraussetzungen, Lernprozesse und Lernergebnisse von Lernenden zu treffen mit dem Ziel, Informationen zu gewinnen, die für verschiedene pädagogische Entscheidungen (Notengebung, Versetzung, Übergangsempfehlungen, Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung, Schul- und Unterrichtsentwicklung) genutzt werden können (Ostermann et al. 2019). Diagnostische Kompetenzen ermöglichen es Lehrkräften folglich, kontinuierlich die (motivationalen) Lernvoraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler in den Lehr- und Lernprozess einzubeziehen (Hardy et al. 2019). Forschungsarbeiten zu diagnostischen Kompetenzen (Schrader 2013; Südkamp und Praetorius 2017) verweisen darauf, dass Lehrkräfte dabei kognitive Prozesse des Beurteilens und Bewertens vollziehen müssen, die sich auch auf interindividuelle Unterschiede in motivationalen Merkmalen der Lerngruppe beziehen, über fachdidaktisches Wissen zum – hier motivationsförderlichen – Potenzial von Aufgaben und Materialien verfügen müssen (Baumert und Kunter 2006) und im Zuge ihrer beruflichen Erfahrungen lernen, besonders Schülerinnen und Schüler mit interindividuell unterschiedlichen Lernvoraussetzungen (z. B. geringes Fachinteresse, aber hohe kognitive Fähigkeiten) in Unterrichtssituationen zu erkennen (Seidel et al. 2020).

Neben den diagnostischen Kompetenzen spielen auch Einstellungen von Lehrkräften für die Gestaltung adaptiven Unterrichts im Kontext motivationaler Heterogenität eine bedeutsame Rolle. Empirische Arbeiten verweisen in Bezug auf den Umgang mit Heterogenität im Unterricht darauf, dass Lehrkräfte unterschiedliche Einstellungen zu sozialer, kultureller und leistungsbezogener Heterogenität im Unterricht aufweisen (Gebauer und McElvany 2017; Hachfeld und Syring 2020), die sich auch auf ihr (intendiertes) Unterrichtsverhalten auswirken (Gebauer und McElvany 2017). Zu den Einstellungen von Lehrkräften gegenüber motivationaler Heterogenität liegen aktuell keine empirischen Befunde vor, so dass unklar ist, inwiefern Lehrkräfte sich abhängig von ihren Einstellungen zu mehr oder weniger motivierten Lerngruppen auch unterschiedlich motivierend im Unterricht verhalten.

Lazarides und Schiefele (2021) verweisen schließlich darauf, dass für ein motivierendes Unterrichtsangebot auch die motivationalen Merkmale der Lehrkräfte eine zentrale Rolle spielen. Im Sinne erwartungs-wert theoretischer Überlegungen können dabei erwartungsbezogene motivationale Merkmale (z. B. unterrichtsbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen) sowie wertbezogene motivationale Merkmale (z. B. Interessen, Enthusiasmus, Ziele) unterschieden werden (Daumiller 2019). Empirische Forschungsarbeiten verweisen im Kontext motivierenden Unterrichtens darauf, dass Lehramtsstudierende und Lehrkräfte unterschiedliche Selbstwirksamkeitserwartungen hinsichtlich der Motivierung Lernender an den Tag legen (Tschannen-Moran und Woolfolk Hoy 2001). Studien verdeutlichen weiterhin, dass sowohl Selbstwirksamkeitserwartungen im Bereich der Klassenführung (Hettinger et al. 2021) als auch der von Lernenden wahrgenommene Lehrerenthusiasmus (Frommelt et al. 2021) sich positiv auf das von Lernenden berichtete Gefühl sozialer Eingebundenheit im Unterricht auswirken, das wiederum mit einem Zuwachs an Motivation und Lernfreude assoziiert ist. Während verschiedene Arbeiten sich mit der Bedeutung von Lehrkräftemotivation für motivierendes Unterrichten auseinandersetzen, ist allerdings nur wenig darüber bekannt, inwiefern eventuell nur einzelne Gruppen Lernender abhängig von ihren motivatonalen Lernvoraussetzungen und momentanen Erlebensqualitäten von selbstwirksamem und interessierten Lehrkräften profitieren.

Insgesamt verweisen die dargestellten Befunde darauf, dass noch erheblicher Forschungsbedarf in Bezug auf die Voraussetzungen adaptiven Unterrichtens im Kontext motivationaler Lernmerkmale und Erlebensqualitäten besteht. Forschungsdesiderata bestehen in Bezug auf die Frage nach professionellen Kompetenzen, die es Lehrkräften ermöglichen, Unterrichtsangebote zu unterbreiten, die sich an unterschiedlichen individuellen motivationalen Lernvoraussetzungen orientieren. Gleichzeitig ist nur wenig dazu bekannt, inwiefern motivierende Unterrichtsgelegenheiten mit unterschiedlichen motivationalen Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern interagieren. Um die benannten Desiderata systematisch zu untersuchen, schlagen wir ein Modell zur Untersuchung motivationaler Heterogenität im Unterricht vor, das in Abb. 1 abgebildet ist.

Abb. 1
figure 1

Prozessmodell adaptiver Unterrichtsgestaltung im Kontext interindividuell unterschiedlicher motivationaler Lernvoraussetzungen

Im Modell gehen wir orientiert an Angebots-Nutzungs-Modellen der Unterrichtsforschung (Helmke 2003; Seidel 2014; Vieluf et al. 2020) sowie basierend auf Modellen professioneller Handlungskompetenzen von Lehrkräften (Baumert und Kunter 2006) davon aus, dass die (motivierende) Unterrichtsgestaltung von Lehrkräften wesentlich von ihren Fähigkeiten, ihrem Professionswissen, ihren eigenen motivationalen Orientierungen sowie von ihren Einstellungen abhängt. Dabei schlagen wir vor, dass für den Umgang mit unterschiedlichen motivationalen Lernvoraussetzungen im Unterricht unter anderem die entsprechenden diagnostischen Kompetenzen einer Lehrkraft, ihre Einstellungen zum Umgang mit unterschiedlich motivierten Lernenden, ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bezüglich der Motivierung von Lernenden und ihr Professionswissen auf den Gebieten des adaptiven und motivierenden Unterrichtens zentral für eine motivierende Unterrichtsgestaltung im Kontext unterschiedlicher motivationaler Lernvoraussetzungen und situationsspezifisch unterschiedlich ausgeprägter motivationaler Merkmale sind. In Integration unterrichtstheoretischer und motivationspsychologischer Überlegungen (Klieme 2018; Lüftenegger et al. 2014; Thiel et al. 2012) sowie Prinzipien adaptiven Unterrichtens (Dumont 2019; Hardy et al. 2019), schlagen wir vor, dass eine adaptive motivierende Unterrichtsgestaltung situationsspezifisch unterschiedliche motivationale Erlebensqualitäten und unterschiedliche individuelle motivationale Lernvoraussetzungen in den Blick nehmen sollte und Lehrkräfte diese Unterschiede insbesondere auch auf der Mikroebene der direkten Interaktion mit einzelnen Lernenden einbeziehen sollten.

Wenn beispielsweise eine Lehrkraft plant, in ihrem Unterricht Wahl- und Mitbestimmungsmöglichkeiten einzusetzen, um selbstbestimmtes Lernen zu ermöglichen, so gehört dazu auch zu berücksichtigen, ob alle Lernenden in der aktuellen Lernsituation gleichermaßen motiviert für offenere Lerngelegenheiten sind. Hierbei ist es auch für Lehrkräfte wichtig zu wissen, dass unterschiedliche motivationale Merkmale existieren die jeweils unterschiedlich situationsspezifisch ausgeprägt sein können. Beispielsweise könnte eine Lehrkraft, die bei einzelnen Lernenden den Eindruck hat, dass ihr Interesse situations- oder themenspezifisch absinkt, durchaus ein höheres Interesse durch spontane Wahlmöglichkeiten erreichen. Wären die Lernenden jedoch in einer bestimmten Lernsituation nur wenig von ihren eigenen Kompetenzen überzeugt, würden eher aufgabenbezogene Feedbackstrategien helfen. Gleichzeitig ist es wichtig zu berücksichtigen, welche motivationalen Lernvoraussetzungen in der Klasse generell bestehen – so profitieren Lernende mit geringer intrinsischer Motivation von geöffneten Lernsettings während Lernende mit hoher Leistungsmotivation eher ein Absinken ihrer Motivation im geöffneten Unterricht erleben (Giaconia und Hedges 1982; Lipowsky und Lotz 2015) – angenommen wird hier, dass diese Unterrichtsformen als zu wenig ergebnisorientiert erlebt werden (Lipowsky und Lotz 2015).

Aus unserer Sicht ist dabei stets relevant, dass Lehrkräfte einerseits dazu in der Lage sind, die aktuelle Motiviertheit und individuelle motivationale Lernvoraussetzungen der Lernenden systematisch zu diagnostizieren und andererseits auch auf situationsspezifische motivationale Schwankungen in der Klasse schnell und angemessen reagieren können. Im Sinne von Unterricht als fachspezifischer Ko-Konstruktion (Klieme 2018; Vieluf et al. 2020) gehen auch wir von einer Wechselseitigkeit zwischen Unterrichtsangebot und Nutzungsprozessen aus, d. h. die Merkmale bzw. das Erleben der Lernenden prägen das Unterrichtsangebot wie auch das Unterrichtsangebot die motivationalen Erlebensqualitäten der Lernenden prägt.

Die empirische Untersuchung der hier vorgeschlagenen wechselseitigen Zusammenhänge zwischen interindividuell unterschiedlichen motivationalen Lernvoraussetzungen, Erlebensqualitäten und Unterrichtswahrnehmung steht noch weitestgehend aus. Vereinzelt befassen sich Studien mit der Frage, wie sich interindividuell unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen auf die Wahrnehmung des Unterrichts auswirken. Patrick, Mantzicopoulos, Samarapungavan und French (2008) verdeutlichen beispielsweise, dass Lernende mit hohen Kompetenzeinschätzungen und geringen Interessen weniger Unterstützung durch die Lehrkraft wahrnehmen als Lernende mit stark ausgeprägter Motivation. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass interindividuell unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen die Wahrnehmung Lernender auf ihren Unterricht nachhaltig mitbestimmen.

4 Fazit

Ziel des vorliegenden Artikels war es, einen integrativen Überblick über theoretische Annahmen und empirische Ergebnisse zu situationsübergreifender und situationsspezifischer Heterogenität motivationaler Merkmale im Unterricht zu geben und dabei zu erörtern, wie Unterricht adaptiv sowohl die unterschiedlichen motivationalen Lernvoraussetzungen als auch die unterschiedlichen situationsspezifischen motivationalen Erlebensqualitäten von Schülerinnen und Schülern in Lernprozessen aufgreifen kann. Um diese Frage zu beantworten, schlagen wir ein integratives Prozessmodell vor, das motivationspsychologische und unterrichtstheoretische Theorien zusammenführt. Aufbauend auf klassischen motivationspsychologischen Ansätzen (Atkinson 1957; Heckhausen und Rheinberg 1980) zum Zusammenwirken von Merkmalen der Lernsituation und der Person, verdeutlicht unser Forschungsüberblick zunächst, dass bei der Entwicklung von Motivation in aktuellen Arbeiten der prozesshafte, entwicklungsbedingte und vor allem situations- und kontextspezifische Charakter der Motivation von Lernenden betont wird (Eccles und Wigfield 2020). Empirische Arbeiten zeigen, dass motivationale Lernvoraussetzungen stark zwischen einzelnen Lernenden variieren und dass solche Unterschiede durch (geschlechtsspezifische) Sozialisationserfahrungen und innerpsychische dimensionale Vergleichsprozesse geprägt sind. Gleichzeitig variiert die motivationale Erlebensqualität von Schülerinnen und Schülern situationsspezifisch stark abhängig vom behandelten Thema (Dietrich et al. 2017) und abhängig von der einzelnen Unterrichtsstunde (Martin et al. 2020).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Unterrichtsgestaltung die unterschiedlichen motivationalen Lernvoraussetzungen und -merkmale von Schülerinnen und Schülern sowie ihr unterschiedliches motivationales Erleben in Lernsituationen bestmöglich aufgreifen kann. Um diese Frage zu beantworten, schlagen wir im vorliegenden Beitrag ein integratives Prozessmodell vor, das grundlegende Prinzipien einer adaptiven Unterrichtsgestaltung als auch Prinzipien motivationaler Unterrichtsgestaltung zusammenführt, die in unterrichtstheoretischen Modellen (Klieme 2018) und motivationspsychologischen Theorien (Eccles und Wigfield 2020; Krapp 2007) beschrieben werden. Dabei beziehen wir uns auf eine limitierte Auswahl einzelner Theorien, die Motivation explizit als situationsspezifisch und situationsübergreifend konzipieren und die zudem ähnliche Aspekte der Motivationsförderung im Unterricht aufgreifen (z. B. Relevanzerhöhung und Autonomieförderung), die auch der gewählte unterrichtstheoretische Zugang des Modells der drei generischen Basisdimensionen aufgreift – so beschreibt beispielsweise Klieme (2018) die konstruktive Unterstützung als motivationsrelevant und fasst darunter eine Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, in der individuellen Bedürfnissen und Interessen Raum gegeben wird. Dabei bezieht sich der unterrichtstheoretische Zugang auf Annahmen, die auch in der Interessentheorie (Krapp 2007) und im erweiterten Erwartungs-Wert Modell (Eccles und Wigfield 2020) beschrieben werden. Insgesamt gehen wir davon aus, dass unser integratives Rahmenmodell durch die Verbindung motivationspsychologischer und unterrichtstheoretischer Ansätze zu einem besseren Verständnis heterogener motivationaler Schülerdispositionen und Erlebensqualitäten im Unterricht beiträgt und dabei auch Hinweise auf praktische Implikationen deutlich werden lässt. Orientiert an einem theoretischen Verständnis adaptiven Unterrichtens als Gesamtunterrichtsstrategie (Dumont 2019) schlagen wir vor, Motivierung im Unterricht als die Gesamtheit der an den interindividuell unterschiedlich ausgeprägten motivationalen Lernvoraussetzungen und Erlebensqualitäten ausgerichteten Interaktionen im Unterricht zu verstehen, die auch motivierende Aufgabenstellungen, Materialien und Lernsettings einbeziehen und ein effektives Scaffolding in Bezug auf die individuelle Lern- und Leistungsmotivation im Unterricht ermöglichen. Allerdings existieren verschiedene Forschungsdesiderata in Bezug auf die Frage, wie und unter welchen Voraussetzungen Unterricht adaptiv unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen und -merkmale berücksichtigen kann.

Ein erstes Forschungsdesiderat betrifft die Frage, inwiefern eine adaptiv auf einzelne Lernende ausgerichtete Motivierung im Unterricht die interindividuell unterschiedlichen Entwicklungsverläufe Lernender prägt und von ihnen geprägt wird. Weitestgehend ungeklärt ist in diesem Kontext, wie eine solche Unterrichtsgestaltung sich situationsspezifisch auf die intraindividuell unterschiedliche Ausprägung motivationaler Merkmale von Lernenden auswirkt. Unserer Ansicht nach ist auch zu klären, welche Art der motivierenden Unterrichtsgestaltung (z. B. Autonomieförderung) und welche Art von motivierenden Aufgaben und Materialien (z. B. Relevanzbetonung) sich für welche Lernende abhängig von ihren individuellen sozialen, geschlechtsbezogenen, motivationalen und kognitiven Lernvoraussetzungen günstig auf die Motivationsentwicklung auswirken.

Ein zweites Forschungsdesiderat betrifft professionelle Handlungskompetenzen, die es Lehrkräften ermöglichen, inter- und intraindividuelle motivationale Variabilität bei Schülerinnen und Schülern im Unterricht angemessen zu berücksichtigen. Dabei gehen wir davon aus, dass unter anderem diagnostische Kompetenzen dabei ebenso eine Rolle spielen wie die Überzeugung, auch unmotivierte Lernende für Fachinhalte begeistern zu können (Tschannen-Moran und Woolfolk Hoy 2001). Zukünftige Forschung in diesem Bereich kann unserer Ansicht nach zu einem besseren Verständnis der Bedingungsfaktoren für eine gelingende adaptive Motivierung im Unterricht beitragen. Eine weitere Frage ist, inwiefern auch unterschiedliche motivationale Muster von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften eine Bedeutung für den Umgang mit motivationaler Heterogenität im Unterricht innehaben (Holzberger et al. 2021). Allerdings befassen sich bislang nur wenige Studien mit den motivationalen Mustern Lehrender, ihrer zeitlichen Stabilität und Veränderung sowie mit ihren Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung.

Ein drittes Desiderat betrifft die Unvollständigkeit der eingebundenen theoretischen Ansätze – ohne Zweifel existieren weitere Theorieansätze, die einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung motivationaler Heterogenität leisten können und die in zukünftigen Arbeiten aufgegriffen werden sollten. Dazu gehören beispielsweise die Flow-Theorie, die ebenfalls das Zusammenwirken von Situation und Person als ausschlaggebend für motivationale Prozesse beschreiben (Csikszentmihalyi und Massimini 1985), das TAGET Modell (Lüftenegger et al. 2014) das verschiedene Merkmale einer lernzielorientierungsförderlichen Unterrichtsgestaltung definiert oder das QAIT Modell (Slavin 1994), das mit der Dimension ‚Incentive‘ Merkmale einer motivationsförderlichen Unterrichtsgestaltung zusammenfasst sowie das CLASS Modell (Pianta und Hamre 2009), das ebenfalls motivierende Unterrichtselemente definiert und empirisch zugänglich macht. Die Integration weiterer theoretischer Perspektiven bei der Untersuchung des Phänomens motivationaler Heterogenität ermöglicht dabei das komplexe Zusammenwirken zwischen Aufgabenanforderungen, Fähigkeiten Lernender und individuellen Zielen und Motiven besser zu verstehen und im Unterricht zu berücksichtigen (Schiepe-Tiska und Engeser 2021).

Aus unserem Überblick lassen sich auch Überlegungen zu Implikationen für die Lehrkräftebildung und Unterrichtspraxis ableiten. In der Lehrkräftebildung scheint es angesichts der zahlreichen Befunde zu interindividueller motivationaler Heterogenität in Lerngruppen von Relevanz zu sein, fachdidaktisches Wissen zum diagnostischen Potenzial von Aufgaben, Arbeitsaufträgen und Aktivitäten zu vermitteln, dass sich nicht nur auf kognitive Lernmerkmale sondern auch auf motivationale Prozesse bezieht. Dabei kann auch künstliche Intelligenz einen Beitrag zu diagnostischen Prozessen im Bereich motivationaler Schülermerkmale leisten – etwa wenn es um eine kontinuierliche Diagnostik motivationaler Merkmale während spezifischer Lernaktivitäten geht (Lazarides und Chevalère 2021). In der Unterrichtspraxis scheint es aus unserer Sicht wichtig zu sein, in die Planung, Gestaltung und Entwicklung von Unterricht neben Überlegungen zur allgemeinen Motivierung auch die Frage einzubeziehen, welche motivierende Unterrichtsgestaltung für welche Lernenden motivierend wirkt. Angesichts der Herausforderung, mehrdimensionale Bildungsziele im Unterricht zu erreichen (Schiepe-Tiska et al. 2016), steht motivationale Heterogenität hierbei nicht als Alleinstellungsmerkmal im Vordergrund, sondern sollte im Zusammenwirken mit anderen Schülermerkmalen wie kognitiven Lernvoraussetzungen, Geschlecht oder sozialem Hintergrund betrachtet werden, um zu ermöglichen, dass Schülerinnen und Schüler bestmöglich ihren individuellen Lernvoraussetzungen entsprechend von Lernprozessen im Unterricht profitieren.