Epidemiologische Daten zeigen für Jugendliche und junge Erwachsene, die berufsbildende Schulen besuchen, eine besonders hohe Prävalenz von Suchtverhaltensweisen. Präventionsmaßnahmen stehen vor der großen Herausforderung, die Heterogenität der Lernenden im Hinblick auf deren Sucht- und Gesundheitsverhalten aber auch deren Bildungsniveau zu berücksichtigen. In diesem Beitrag werden Präventionsbedarfe für Subgruppen Lernender identifiziert und Hinweise zur inhaltlichen Ausgestaltung von Präventionsmaßnahmen auf Grundlage der inhaltlichen Interessen der Lernenden ermittelt.

Einleitung

Der Einstieg in den Beruf geht für Jugendliche und junge Erwachsene mit vielen Veränderungen und neuen Herausforderungen einher. Finanzielle Unabhängigkeit und die soziale Ablösung von den Eltern resultieren in einer höheren Autonomie, gleichzeitig wächst die Verantwortung für das eigene Handeln und das betriebliche Umfeld konfrontiert Berufslernende mit der Arbeitsrealität, die häufig mit Stress, Zeit- und Erfolgsdruck einhergeht.

Internationale Surveys in weiterführenden Schulen, wie z. B. die Studie Health Behaviour in School Age Children (HBSC; [14]) oder das European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs (ESPAD; [6]), liefern Daten zum Gesundheitsverhalten und zur Prävalenz von Risikofaktoren für Jugendliche im Alter bis 16 Jahren. Darüber hinaus haben sich zahlreiche Studien mit dem Gesundheitsverhalten von Studierenden beschäftigt [15, 18, 21].

Allerdings ist bislang relativ wenig über das Gesundheitsverhalten von Berufslernenden bekannt. Diese sind eine heterogene Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener, überwiegend im Alter zwischen 16 und 20 Jahren mit einem breiten Spektrum an Bildungsniveaus. Basierend auf Daten des Schweizer Bundesamtes für Statistik absolviert knapp die Hälfte der Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 Jahren eine berufliche Grundausbildung, wobei der Anteil von Männern etwas höher liegt (51 % vs. 38 %; [3]).

Epidemiologische Daten zeigen für Jugendliche und junge Erwachsene, die berufsbildende Einrichtungen besuchen, eine besonders hohe Prävalenz von Suchtverhaltensweisen [9, 12, 16]. In der bislang einzigen repräsentativen Untersuchung aus Mecklenburg-Vorpommern zeigten 43 % der Auszubildenden an beruflichen Schulen ein Konsummuster, das in mindestens einem der betrachteten sieben Bereiche auf eine Suchtstörung hinweist: Tabakkonsum, Alkoholkonsum, Cannabiskonsum, Glücksspiel, Computerspiel, Internetgebrauch und Smartphonenutzung [16]. Andererseits erfüllte rund ein 1/6 der Auszubildenden (17 %) für keinen Bereich die Kriterien für ein riskantes Konsummuster.

Aufgrund wissenschaftlicher Übersichtsarbeiten sind bei (noch) nicht substanzkonsumierenden Jugendlichen insbesondere Lebenskompetenzprogramme, die u. a. den Umgang mit Stress und Sozialkompetenzen vermitteln, wirksam zur Verhinderung des Einstiegs in den Substanzkonsum [19]. Bei bereits Konsumierenden erwiesen sich substanzspezifische Interventionen auch im Setting Berufsschule als gut durchführbar und wirksam zur Reduktion des Alkohol- und Tabakkonsums [8, 10, 13].

Aufgrund der Heterogenität im Sucht- und Gesundheitsverhalten sind für Lernende in beruflichen Schulen insbesondere selektive und individualisierte Präventionsmaßnahmen Erfolg versprechend, welche Unterschiede im Gesundheits- und Suchtverhalten auf individueller Ebene oder auf Ebene der Schulklasse berücksichtigen [11].

Die vorliegende Arbeit untersucht auf Grundlage der Daten einer großen Stichprobe Berufslernender in der Schweiz, (1) in welchen demographischen Subgruppen Suchtverhaltensweisen sowie Belastungs- und Schutzfaktoren, die innerhalb von suchtpräventiven Programmen häufig adressiert werden (Stress, Sozialkompetenz, Selbstwirksamkeit), besonders prävalent sind. (2) Sie überprüft Zusammenhänge zwischen diesen Suchtverhaltensweisen sowie Belastungs- und Schutzfaktoren und (3) exploriert anhand der Themenwahl innerhalb eines multibehavioralen Suchtpräventionsprogramms für Berufslernende, welche Suchtverhaltensweisen, Belastungs- und Schutzfaktoren auf besonderes Interesse stoßen. Die Ergebnisse sollen Hinweise für die Ermittlung von Präventionsbedarfen für spezifische Subgruppen Berufslernender sowie die inhaltliche Ausgestaltung von Präventionsmaßnahmen geben.

Methodik

Stichprobe

Die Daten für diese Studie wurden im Rahmen der Durchführung des Suchtpräventionsprogramms ready4life in Berufsschulklassen im Schuljahr 2020/2021 in der Schweiz erhoben. Eine Bewilligung der Studie erfolgte durch die Ethikkommission der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Die Berufslernenden wurden ausführlich über das Programm und die damit zusammenhängenden Datenauswertungen informiert und gaben ihr Einverständnis zur Teilnahme. Eine Information der Lernenden über das Programm, dessen Ziele und Ablauf sowie die damit zusammenhängende Evaluation erfolgte innerhalb einer Unterrichtsstunde oder einer Informationsveranstaltung für mehrere Schulklassen, von speziell in der Durchführung des Programms geschulten Präventionsfachkräften. Anschließend wurden sie eingeladen, aus dem App-Store von Google oder Apple die ready4life-App herunterzuladen und individuell die Eingangsbefragung zu bearbeiten. Nach Zustimmung zur Datenschutzerklärung und Eingabe eines klassenspezifischen Passworts erfolgte innerhalb eines automatisiertem Dialogsystem mit einem selbstgewählten Avatar (Chatbot) die Erhebung von soziodemographischen Angaben (Sprache, Geschlecht, Alter), Angaben zum Suchtverhalten (Nikotin und Tabak‑, Alkohol- und Cannabiskonsum, Internetgebrauch) und zu Belastungs- und Schutzfaktoren (Sozialkompetenz, Selbstwirksamkeit und Stresswahrnehmung). Die Jugendlichen wurden innerhalb des Chatbot-Dialogs nochmals ausführlich über das Programm informiert und eingeladen, sich für dies anzumelden. Programmteilnehmende erhielten anschließend ein individuelles Ampel-Feedback zu den Themen des Programms: (1) Stress, (2) Sozialkompetenz, (3) Internetgebrauch, (4) Alkohol, (5) Tabak/Nikotin und (6) Cannabis. Unabhängig vom Feedback konnten die Lernenden aus diesen sechs Themen zwei frei auswählen und erhielten anschließend via Smartphone für einen Zeitraum von jeweils 8 Wochen pro Thema, d. h. gesamthaft knapp 4 Monaten, ein Coaching durch den Chatbot (vergleiche Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Ampelfeedback (links) und Themenwahl (rechts) innerhalb des Chatbot-Dialogs von ready4life

Studieninstrumente

Überprüft wurden sowohl individuelle als auch schulklassenspezifische Prädiktoren für das Suchtverhalten sowie die Belastungs- und Schutzfaktoren. Auf Ebene der Berufsschulkasse wurden die Daten aus den Klassenrekrutierungsprotokollen verwendet, welche von den rekrutierenden Fach- und Lehrpersonen für jede Klasse separat ausgefüllt wurden und u. a. folgende Angaben beinhalteten: Anzahl Anwesende, Berufsbranche nach der International Standard Classification of Education – Fields of Education and Training 2013 (ISCED‑F 2013) und Art der Ausbildung (Brückenangebot, 2‑jährige Ausbildung mit eidgenössischem Berufsattest, 3‑ bis 4‑jährige Ausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis und 3‑ bis 4‑jährige Ausbildung mit eidgenössischem Fähigkeits- und Maturitätszeugnis).

Die Erhebung individueller Daten erfolgte im Anschluss an den Download der App und das Onboarding (Sprach- und Avatarwahl), wobei eine Befragung zu demographischen Charakteristika (Alter und soziales Geschlecht) zu den im Programm adressierten Suchtverhaltensweisen (Internetgebrauch, Alkoholkonsum, Rauchen von Tabak/Nikotin, Cannabiskonsum) sowie Belastungs- und Schutzfaktoren (Stress, Sozialkompetenz) erfolgte. Darüber hinaus wurde die allgemeine Selbstwirksamkeit als übergreifender Schutzfaktor erhoben.

Der Alkoholkonsum wurde zunächst über die Frage „an wie vielen Tagen hast du in den letzten 30 Tagen Alkohol getrunken erhoben“. Sofern Teilnehmende an mindestens einem Tag Alkohol tranken, erfolgte anschließend über eine virtuelle interaktive Bar eine Erhebung, (1) wie viele und welche alkoholische Getränke sie üblicherweise an einem Trinktag zu sich nahmen sowie (2) wie viele und welche Getränke bei einer Gelegenheit in den letzten 30 Tagen maximal getrunken wurden. Aus der Anzahl der Trinktage/Monat und dem üblichen Tageskonsum wurde die Anzahl alkoholischer Standardgetränke pro Monat errechnet.

Zur Einstufung des aktuellen Tabak‑/Nikotinrauchstatus sollten die Befragten angeben, ob sie in den letzten 30 Tagen (1) täglich, (2) gelegentlich aber nicht an jedem Tag oder (3) nie tabak- oder nikotinhaltige Produkte geraucht haben.

Der Konsum von THC-haltigem Cannabis wurde zunächst über die folgende Einstiegsfrage erhoben: „Hast du jemals THC-haltiges Cannabis konsumiert oder zu dir genommen?“ (Ja/Nein). Konsumierende wurden weiter gefragt, wie häufig sie in den letzten 6 Monaten THC-haltiges Cannabis geraucht oder zu sich genommen haben. Die Antwortmöglichkeiten waren dabei „gar nicht“, „einmal im Monat oder seltener“, „2- bis 4‑mal im Monat“, „2- bis 3‑mal die Woche“ und „4-mal oder öfter die Woche“. Überdies sollten Konsumierende angeben, an wie vielen Tagen sie in den letzten 30 Tagen Cannabis konsumierten.

Eine Erhebung des Internetgebrauchs unter besonderer Berücksichtigung der Nutzung von sozialen Medien und Gaming erfolgte über die Kurzversion der Compulsive Internet Use Scale (Short-CIUS; [2]).

Für die Risikorückmeldung im Anschluss an die Eingangsbefragung (risikoarm, risikoreich, sehr risikoreich; Ampelfeedback) sowie die Kategorienbildung im Rahmen dieser Studie wurden die im Anhang aufgeführten Grenzwerte und Grundlagen verwendet (Tab. 4 im Anhang). Als zusammenfassendes Maß für die vier betrachteten Suchtverhaltensweisen diente ein Risikoscore. Dieser reflektiert für jede Person, wie viele Verhaltensweisen mindestens risikoreich waren und lag damit zwischen 0 und 4.

Sozialkompetenz wurde erfasst über 8 Items, formuliert in Anlehnung an das „assertion inventory“ [7]. Je 2 Items können dabei zu folgenden Subskalen zusammengefasst werden: (1) auf andere zugehen, (2) Bedürfnisse ausdrücken, (3) Gruppendruck aushalten und (4) zu sich stehen.

Eine Einschätzung des subjektive Stresserlebens erfolgte anhand des folgenden Items [5]: „Stress ist ein Zustand, in dem sich eine Person angespannt, unruhig, nervös oder ängstlich fühlt oder nachts aufgrund von störenden Gedanken nicht schlafen kann. Spürst du derzeit diese Art von Stress?“ (1: „überhaupt nicht“–5: „sehr stark“).

Als Maß für die allgemeine Selbstwirksamkeit der Berufslernenden diente die allgemeine Selbstwirksamkeitskurzskala (ASKU; [1]).

Datenanalysen

In einem ersten Schritt wurde überprüft, welche Variablen auf Ebene der Schulklasse und des Individuums univariat einen Einfluss auf den Risikoscore und jede einzelne Suchtverhaltensweise hatten; darüber hinaus, welche Variablen auf Klassen- und Individualebene Stress, Sozialkompetenz und Selbstwirksamkeit vorhersagten. Als unabhängige Variablen wurden in den Modellen Berufsbranche und Art der Ausbildung auf Klassenebene und Geschlecht, Alter und Sprache auf Individualebene berücksichtigt.

Bei allen abhängigen Variablen wurde der Anteil der Varianz geschätzt, der durch die entsprechende Cluster-Zugehörigkeit aufgeklärt werden konnte (Intraklassenkorrelationskoeffizient, ICC). Im Falle der Suchtverhaltensweisen lag der ICC bei 17,8 % für Alkohol, 13,2 % für Tabak/Nikotin, 10,1 % für Internetgebrauch und bei 6,8 % für Cannabis. Diese ICC lassen vermuten, dass sich Berufslernende innerhalb einer Schulklasse in den genannten Suchtverhaltensweisen eher ähneln als zwischen den Schulklassen und die Beobachtungen somit nicht unabhängig voneinander sind. Die Vernachlässigung der sog. Unabhängigkeitsvoraussetzung kann zur Fehlinterpretation von empirischen Ergebnissen führen [20]. Infolgedessen wurden logistische Mehrebenenregressionen mit „random intercept“ berechnet. Bei diesen Modellen erfolgt simultan zur Prüfung der oben genannten unabhängigen Variablen eine Prüfung, ob sich eine signifikante Varianz der Mittelwerte zwischen den Schulklassen ergibt. Diese Prüfung hat den Vorteil gegenüber einer logistischen Regression, dass die Signifikanztestung der unabhängigen Variablen trotz geclusteter Datenstruktur korrekt erfolgen kann [20]. Die Ergebnisse in Bezug auf die unabhängigen Variablen lassen sich ansonsten gleich interpretieren wie bei den klassischen Modellen.

Im Falle des Risikoscores sowie bei Stress, Sozialkompetenz und Selbstwirksamkeit lag der ICC < 5 %, dem gängigen Cut-off für Mehrebenenanalysen [22]. Eine lineare Regression wurde zur Vorhersage von Sozialkompetenz berechnet, beim Risikoscore, Stress und Selbstwirksamkeit waren dies Poisson-Regressionen. Zur Vorhersage des Risikoscores und der vier Suchtverhaltensweisen wurden zuletzt multivariate Modelle angewandt, die in einem ersten Block die Prädiktoren auf Individual- und Klassenebene und in einem zweiten Block, die Gesundheitsmerkmale Stress, Sozialkompetenz und Selbstwirksamkeit enthielten.

In einem zweiten Schritt wurde überprüft, inwieweit die vom Lernenden gewählte Themenkombination dem eigenen Risikoprofil entsprach (z. B. ob risikoreich Alkoholkonsumierende auch eher das Thema Alkohol wählen) und welche Themen unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils für die Jugendlichen besonders interessant waren. Die Auswertung erfolgte deskriptiv anhand der Häufigkeiten mit der die Programmthemen gewählt wurden 1) durch alle Programmteilnehmenden, 2) durch alle Programmteilnehmenden, die im entsprechendem Thema risikoreich bis sehr risikoreiches Verhalten zeigten und 3) durch alle Programmteilnehmenden, die im entsprechendem Thema sehr risikoreiches Verhalten zeigten.

Ergebnisse

Stichprobe

In 60 Schulen mit 493 Schulklassen haben 7495 Berufslernende die Eingangsbefragung innerhalb der ready4life-App begonnen. Aus 392 dieser 493 (79,5 %) Schulklassen lagen Informationen zur Anzahl der in der Schulklasse anwesenden Lernenden vor. Die mittlere Teilnahmebereitschaft lag über die 392 Schulklassen hinweg bei 58 %. Von den 7495 Lernenden gaben 5622 (75,0 %) ihr Einverständnis zur Teilnahme am Programm. Diese bilden die Datengrundlage für die vorliegenden Analysen zu Suchtverhaltensweisen sowie Belastungs- und Schutzfaktoren. Für die Analysen zu den inhaltlichen Präferenzen konnten die Daten von insgesamt 5142 Lernenden verwendet werden, welche nach Abschluss der Eingangsbefragung und Einverständnis zum Programm auch zwei Themen auswählten, bevor sie ins Programm starten konnten.

Von den 5622 Berufslernenden, die zur Teilnahme am Programm bereit waren, waren 51,8 % weiblich und im Mittel 17,4 (SD = 3,5) Jahre alt. Weitere demographische Charakteristika der Stichprobe sind in Tab. 1 dargestellt. Einen risikoreichen oder sehr risikoreichen Alkoholkonsum auf Grundlage der Empfehlungen der eidgenössischen Kommission für Alkoholfragen [EKAL, 4] zeigte über die Hälfte der teilnehmenden Lernenden (52,1 %). Gelegentlich oder täglich Tabak konsumierten 44,0 %, Cannabis konsumierten 28,2 % der Lernenden. Am weitesten war risikoreicher Internetgebrauch verbreitet, insgesamt 75,2 % der Lernenden zeigten diesen gemäß dem CIUS [2]. Knapp jeder 10. Berufslernende (8,9 %) zeigte kein risikoreiches Suchtverhalten. Bei der Mehrheit (77,1 %) wurden ein bis drei Suchtverhaltensweisen als zumindest risikoreich eingestuft. Bei der Betrachtung aller Suchtverhaltensweisen waren 13,8 % der Befragten risikoreich oder sehr risikoreich.

Tab. 1 Deskriptive Charakteristika der Berufslernenden

Prädiktoren für Suchtverhaltensweisen, Belastungs- und Schutzfaktoren

Die Ergebnisse in Tab. 2 zeigen, wie sich die Suchtverhaltensweisen sowie Belastungs- und Schutzfaktoren nach individuellen und klassenbezogenen Charakteristika verteilen. Im Hinblick auf die Belastungs- und Schutzfaktoren ist festzuhalten, dass weibliche Berufslernende im Vergleich zu den männlichen Berufslernenden angaben, stärker gestresst, weniger sozialkompetent und weniger selbstwirksam zu sein. Ältere Lernende gaben an, gestresster zu sein als jüngere. Französischsprachige Lernende waren weniger gestresst als deutschsprachige und fast alle Berufsgruppen waren weniger gestresst, als diejenigen, die eine Ausbildung im Bereich Wirtschaft/Verwaltung/Recht und Gesundheit/Medizin und Sozialwesen absolvierten. Lernende, die eine 3‑ bis 4‑jährige Ausbildung mit zusätzlicher Maturität machten, waren weniger gestresst, als solche, die ein Brückenangebot besuchten. Zuletzt gaben Lernende aus dem Bereich Gesundheit, Medizin und Sozialwesen an, sich weniger sozialkompetent zu fühlen, als Lernenden aus dem Bereich Wirtschaft, Verwaltung und Recht.

Tab. 2 Belastungs‑, Schutzfaktoren und risikoreiche Suchtverhaltensweisen nach individuellen und klassenbezogenen Merkmalen (n = 5622)

In Tab. 3 wird ersichtlich, welche klassenbezogenen und individuellen Merkmale mit den einzelnen Suchtverhaltensweisen und dem Risikoscore in Zusammenhang stehen. Die Wahrscheinlichkeit für einen risikoreichen Alkoholkonsum war größer für weibliche Lernende, für Lernende in den Bereichen Informatik/Kommunikationstechnologie, Ingenieurwesen/verarbeitendes Gewerbe/Baugewerbe oder Land‑/Forstwirtschaft/Fischerei/Tiermedizin und kleiner für 17- bis 18-jährige im Vergleich zu jüngere Lernende. Risikoreicher Tabak‑/Nikotinkonsum war wahrscheinlicher bei älteren im Vergleich zu jüngeren Lernenden und bei Lernenden aus dem Bereich Ingenieurwesen/verarbeitendes Gewerbe/Baugewerbe. Ein niedrigeres Risiko hinsichtlich Tabak/Nikotin zeigten Frauen sowie Lernende, die ein Grundbildungsprogramm oder eine 3‑ bis 4‑jährige Ausbildung mit Maturität absolvierten. Die Wahrscheinlichkeit für risikoreichen Internetgebrauch war kleiner für Männer, für über 19-Jährige und diejenigen, die in den Bereichen Ingenieurwesen/verarbeitendes Gewerbe/Baugewerbe, Land‑/Forstwirtschaft/Fischerei/Tiermedizin oder Dienstleistungen ihre Ausbildung absolvierten. Risikoreicher Cannabiskonsum war in der Altersgruppe der 17- bis 18-Jährigen wahrscheinlicher als bei den jüngeren, dagegen seltener bei Frauen und französischsprachigen Lernenden. Obwohl das Geschlecht signifikant zur Vorhersage der einzelnen Suchtverhaltensweisen beitrug, waren in Bezug auf den Risikoscore keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern festzustellen. Dies wurde durch das Alter und die Berufsbranche vorhergesagt. Die Wahrscheinlichkeit für ein zusätzliches Suchtrisiko stieg für 17- bis 18-Jährigen im Vergleich zu den jüngeren Berufslernenden um 1,06, wenn alle anderen Variablen konstant gehalten wurden und sank um 0,84 für Berufslernende, die ein Grundbildungsprogramm absolvierten im Vergleich zu solchen, die im Bereich Wirtschaft, Verwaltung und Recht eine Ausbildung machten. Die Hinzunahme der Prädiktoren Stress, Sozialkompetenz und Selbstwirksamkeit in einem zweiten Block führte zu einer signifikant höheren Aufklärung der Varianz bei den Suchtverhaltensweisen Alkohol (+0,2 %), Tabak/Nikotin (+1,7 %), Internetgebrauch (+5,4 %), Cannabis (+1,0 %) und dem Risikoscore (+2,5 %). Mit höherem Stress stieg die Wahrscheinlichkeit, eine der Suchtverhaltensweisen zu zeigen, sowie im Risikoscore um eine Einheit zu steigen (p < 0,001 in allen Modellen). Die Wahrscheinlichkeit risikoreich Alkohol und das Internet zu gebrauchen sank mit höheren Sozialkompetenzwerten (A: p = 0,047; I: p < 0,01). Umgekehrt stieg die Wahrscheinlichkeit, Tabak/Nikotin zu konsumieren mit höheren Sozialkompetenzwerten (p < 0,01). Die Wahrscheinlichkeit eines risikoreichen Internetgebrauchs, sank mit höheren Selbstwirksamkeitswerten (p < 0,01).

Tab. 3 Finale Modelle zur Vorhersage der risikoreicher Suchtverhaltensweisen (n = 5622)

Thematische Interessen der Berufslernenden

Das oberste Diagramm in Abb. 2 zeigt für alle Programmteilnehmenden in ready4life die Anteile Lernender, welche die jeweiligen Coaching-Themen gewählt haben. Wie bereits oben beschrieben, konnten 2 aus 6 Themen gewählt werden (vergleiche auch Abb. 1). Mit Abstand am häufigsten erfolgte die Wahl des Themas Stress (65,5 %), gefolgt von Soziale Medien und Gaming (48,7 %). Am dritthöchsten war das Interesse für das Thema Sozialkompetenz (27,6 %). Die substanzbezogenen Themen Alkohol und Tabak/Nikotin wurden jeweils von einem Viertel (23,6 % bzw. 23,3 %), Cannabis von einem Zehntel (11,2 %) bevorzugt.

Abb. 2
figure 2

Häufigkeit der Wahl eines der 6 Programmthemen nach Risikoprofil

Da neben den persönlichen Interessen vermutlich auch die Risiko- und Ressourcenrückmeldung (Ampelfeedback) am Ende der Eingangsbefragung und vor der Themenwahl die Auswahl beeinflusste und der Anteil grüner, gelber und roter Rückmeldungen für die Themen sehr unterschiedlich war, wurde die Themenwahl im mittleren und unteren Diagramm von Abb. 2 jeweils noch für die Subgruppen mit gelber/roter und ausschließlich roter Rückmeldung für das jeweilige Thema dargestellt. Dabei zeigt sich v. a. bei den substanzbezogenen Themen, wie z. B. Tabak/Nikotin, dass diese von Lernenden, die sich risikoreich oder sehr risikoreich verhielten und auch ein dementsprechendes Ampelfeedback erhielten, häufiger gewählt wurden als bei Betrachtung der Gesamtgruppe. Dennoch blieb „Stress“ auch bei der Betrachtung der jeweiligen Subgruppen mit gelber und roter bzw. ausschließlich roter Rückmeldung, weiter das am meisten gewählte Thema.

Diskussion

Auf Grundlage der Daten einer großen Stichprobe Berufslernender in der Schweiz untersuchte diese Arbeit erstmals die Verbreitung von Suchtverhaltensweisen sowie Belastungs- und Schutzfaktoren, die in Suchtpräventionsprogrammen häufig adressiert werden (Stress, Sozialkompetenz, Selbstwirksamkeit). Dabei zeigte sich, dass knapp jeder 10. Berufslernende kein risikoreiches Suchtverhalten zeigte, während bei der Mehrheit ein- bis drei Suchtverhaltensweisen als zumindest risikoreich eingestuft wurden. Alle betrachteten Suchtverhaltensweisen waren bei 13,8 % der Befragten risikoreich oder sehr risikoreich. Damit war der Anteil Lernender mit risikoarmen Konsummustern halb so groß wie in der repräsentativen Untersuchung aus Mecklenburg-Vorpommern (9 % vs. 17 %).

Die vorliegende Arbeit zeigte in Bezug auf die Verteilung von Suchtverhaltensweisen, Belastungs- und Schutzfaktoren in Subgruppen, dass weibliche Lernende häufiger berichten, sich gestresst, wenig sozialkompetent und selbstwirksam zu erleben und häufiger risikoreichen Alkoholkonsum und Internetgebrauch zeigen. Unter männlichen Lernenden ist dagegen risikoreicher Konsum von Tabak, Nikotin und Cannabis prävalenter. Die stärkere Verbreitung von risikoreichem Alkoholkonsum unter weiblichen Lernenden und risikoreichem Tabak/Nikotin/Cannabiskonsum unter männlichen Lernenden steht im Gegensatz zu den Befunden aus der letzten Erhebung in der deutschsprachigen Schweiz [12], wonach eher männliche Lernende ein erhöhtes Risiko im Bereich Alkohol aufwiesen und keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Bereich Tabak zu konstatieren waren. Weiter zeigte die vorliegende Arbeit, dass Lernende kurz vor oder nach der Erreichung der Volljährigkeit den höchsten Stresslevel aufweisen und der risikoreiche Konsum von Tabak, Nikotin und Cannabis in der Altersgruppe der 17- bis 18-Jährigen deutlich gegenüber jüngeren Lernenden ansteigt. Dagegen nimmt der risikoreiche Internetgebrauch bei älteren Lernenden deutlich ab. Auch haben deutschsprachige Lernende ein höheres Risiko für schädlichen Cannabisgebrauch und berichten stärker gestresst zu sein, als ihre französischsprachigen Peers. Zuletzt zeigte sich ein differenziertes Risikoprofil nach Berufsbranche, mit einem geringeren Gesamtsuchtrisiko für Lernende, die eine Grundqualifikation absolvierten und einem erhöhten Risiko für schädlichen Alkohol- oder Tabakkonsum bei Lernenden, in den Bereichen Ingenieurwesen, verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe. Risikoreicher Alkoholkonsum war außerdem besonders prävalent in Berufsgruppen der Informatik/Kommunikationstechnologie und Land‑/Forstwirtschaft/Fischerei und Tiermedizin, während in diesen und im Bereich der Dienstleistungen, schädlicher Internetgebrauch deutlich seltener vorkam. Die Berufsgruppen mit den höchsten Stressniveaus waren diejenigen aus den Bereichen Wirtschaft/Verwaltung/Recht und Gesundheit/Medizin/Sozialwesen, die fast alle anderen Berufsgruppen übertrafen. Niedrige Sozialkompetenz war v. a. in der Berufsgruppe Gesundheit/Medizin/Sozialwesen verbreitet. Die Ergebnisse nach Berufsgruppe lassen sich nur indirekt mit der Studie von Haug et al. [8] vergleichen, da die internationale Klassifizierung nach Berufsgruppen seither verändert wurde. Vergleichbar ist v. a. das Ergebnis, wonach Lernende, die eine Grundqualifikation besuchen, ein geringeres Risiko für einen risikoreichen Alkoholkonsum zeigen.

In Bezug auf den Zusammenhang zwischen den Suchtverhaltensweisen und den Belastungs- und Schutzfaktoren zeigte sich, dass mit erhöhtem Stress die Wahrscheinlichkeit für alle betrachteten Suchtverhaltensweisen deutlich ansteigt. Dieser Zusammenhang konnte bereits in mehreren Untersuchungen bei Erwachsenen und Jugendlichen gezeigt werden [17]. Höhere Selbstwirksamkeit und Sozialkompetenz waren mit einem risikoärmeren Internetgebrauch assoziiert. Hohe Sozialkompetenzen gingen weiter mit einem reduzierten Risiko für schädlichen Alkoholkonsum einher, steigerten jedoch das Risiko für schädlichen Tabak- und Nikotinkonsum. Dieser Zusammenhang ist besonders hervorzuheben und weiter zu beforschen, könnte man doch davon ausgehen, dass höhere Sozialkompetenzen für beide Substanzen denselben präventiven Effekt haben sollten.

Zuletzt zeigte die vorliegende Arbeit, dass mindestens die Hälfte der teilnehmenden Lernenden an den Themen Stress und Soziale Medien und Gaming interessiert waren, während andere substanzbezogene Themen wie Alkohol, Tabak/Nikotin und Cannabis auf weniger Interesse stießen, insbesondere dann, wenn die Lernenden kein risikoreiches Suchtverhalten in diesen Substanzen zeigten. Dies geht einher mit früheren Befunden, wonach substanzspezifische Interventionen im Setting Berufsschule v. a. solche Lernende ansprachen, die bereits Tabak oder Alkohol konsumierten und Lernende eher nicht erreicht wurden, die über kein risikoreiches Konsummuster bei diesen Substanzen zeigten [8, 10, 13].

Die Befunde dieser Arbeit müssen unter der Berücksichtigung folgender Limitationen interpretiert werden:

  • Die Daten sind nicht repräsentativ für die Lernenden in der Schweiz. Da individuelle Charakteristika nur von einem Teil der Berufslernenden vorliegen, welche die App heruntergeladen und die Eingangsbefragung bis zur Frage nach der Teilnahmebereitschaft ausgefüllt haben, wird auch nur ein Ausschnitt der Lernenden beleuchtet. Über Jugendliche, welche die App nicht runtergeladen oder die Eingangsbefragung vorzeitig abgebrochen haben, liegen keine entsprechenden Daten vor.

  • Es liegen nicht aus allen Berufsgruppen entsprechende Daten vor. Hinzu kommt, dass die Anzahl Lernende in bestimmten Berufsgruppen recht klein war und kleine bis mittlere Unterschiede dadurch nicht identifiziert werden konnten.

  • Die mit der Coronapandemie einhergehenden Maßnahmen im Erhebungszeitraum könnten einen Einfluss auf die Suchtverhaltensweisen, Belastungs- und Schutzfaktoren sowie die Themenpräferenzen der Lernenden gehabt haben. So gab es aufgrund der Kontaktbeschränkungen vermutlich weniger Möglichkeiten gemeinsam mit anderen Substanzen zu konsumieren und der Internetgebrauch war vergleichsweise höher, was auch die im Vergleich zur Untersuchung von Meyer et al. [16] deutlich höheren Prävalenzen beim risikoreichen Internetgebrauch erklären könnte.

Trotz dieser Einschränkungen liefert die Arbeit wertvolle Hinweise auf Subgruppen von Lernenden die besonders vulnerabel sind. Sie gibt Hinweise auf Bedarfe für selektive und individualisierte Präventionsmaßnahmen, die in Berufsschulklassen auf Charakteristika der jeweiligen Schulklasse abgestimmt werden könnten.

Fazit für die Praxis

  • Berufslernende kurz vor oder nach der Erreichung der Volljährigkeit weisen die höchste Vulnerabilität in Bezug auf Suchtverhaltensweisen sowie Belastungs- und Schutzfaktoren auf, weshalb Anstrengungen zur Erreichung dieser Subgruppen intensiviert werden sollten.

  • Die Prävalenzen von Suchtverhaltensweisen, Belastungs- und Schutzfaktoren fallen je nach Berufsgruppe und Art der Ausbildung unterschiedlich aus. Es sind v. a. solche Präventionsmaßnahmen zu bevorzugen, die nebst dem Individuum, die Ebene der Schulklasse mitberücksichtigen und Maßnahmen auf Basis des Schulklassenrisikoprofils integrieren.

  • Das Angebot von substanzunspezifischen Themen entspricht den Interessen der Lernenden. Die Bearbeitung des Themas „Stress“ ist nicht nur für eine Mehrheit von Lernenden interessant, sondern könnte auch positive Auswirkungen auf andere Suchtverhaltensweisen haben.