Der magische Realismus in ausgewählten Werken Gabriel García Márquez und seine Relevanz für die lateinamerikanische Identität


Diplomarbeit, 2015

47 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Leben und Werke des Gabriel García Márquez
2.1. Über Gabriel García Márquez
2.2. Realistische Werke
2.3. Fantastische Werke
2.4. Werke des magischen Realismus

3. Wirklichkeitsbegriff und der Begriff der Magie in der Weltanschauung von Gabriel García Márquez
3.1. Wirklichkeitsbegriff
3.2. Aberglaube, Mythen und Legenden
3.3. Wichtigkeit des magischen Realismus in Bezug auf die lateinamerikanische Identität

4. Analyse dreier magisch realistischer Erzählungen
4.1. „La increíble y triste historia de la cándida Eréndira y su abuela desalmada” .
4.2. „Muerte constante más allá del amor”
4.3. „Un señor muy viejo con unas alas enormes”

5. Schlussfolgerungen

1. Einführung

Gabriel García Márquez: Schriftsteller, Journalist, Literaturnobelpreisträger, Visionär. Er ist ein Mann der sich durch seine besondere Kreativität und seiner Liebe zu seiner Heimat Kolumbien bzw. seinem Heimatkontinenten Lateinamerika identifiziert. In die- ser Hausarbeit werde ich mich hauptsächlich mit dem magischen Realismus auseinan- dersetzten, der seine Werke dominiert hat und ihn letztendlich zum Literaturnobelpreis geführt hat. Jedoch nicht nur der magische Realismus ausschließlich wird Thema sein, sondern auch die zwei weiteren Merkmale einige seiner Erzählungen: die fantastische Erzählung und die Realistische. Um ein genaueres Verständnis für all seine erzähleri- schen Facetten zu bekommen werde ich mich auf einige seiner journalistischen Werke über diese beziehen, aber auch explizit auf 3 magisch realistische Erzählungen einge- hen.

2. Leben und Werke des Gabriel García Márquez

2.1. Über Gabriel García Márquez

Die Lebensgeschichte von García Márquez beginnt am 6. März 1927, als er in seinem Heimatort Aracataca, Kolumbien geboren wird. Nachdem er erfolgreich sein Abitur be- endet hatte, begann er 1947 in Bogotá Rechtswissenschaften zu studieren und gleichzei- tig veröffentlichte er im El Espectador seine erste Erzählung „La tercera resignación“. Er entdeckt in diesem Jahr Franz Kafka für sich, der einen starken Einfluss auf seine fantastischen Erzählungen haben wird. Als er 1950 dann eine eigene Kolumne bei La Heraldo bekommt, steht für ihn fest, dass er sich nur dem Schreiben widmen möchte und nicht seinem begonnenen Studium. In dieser Zeit zeigt er ein starkes Interesse an der Lektüre von Faulkner und Hemingway, die ihn in Zukunft beeinflusst werden. Bis 1954 arbeitet er für La Heraldo bis er dann im Februar zum El Espectador wechselt. Nach dieser Zeit veröffentlicht García Márquez unzählige Werke wie z.B. seinen ersten Roman „La hojarasca“ (1955), realistische Erzählungen wie „Un día de estos“ (1962), fantastische Erzählungen wie „Ojos de perro azul“ (1974) und natürlich auch magisch- realistische Werke wie „La increíble y triste historia de la cándida Eréndira y su abuela desalmada“ (1972) und sein Hauptwerk, welches ihm zum Literaturnobelperis führte „Cien años de soledad“ (1967). Wichtig zu erwähnen ist, dass er seine Memoiren im Jahre 2002 schrieb und danach sein letztes Werk „Memorias de mis putas tristes“ (2004) veröffentlichte, bevor er am 17.April 2014 in Mexiko City starb.

Abgesehen von seinen schriftlichen Werken wirke García Márquez auch an verschiedenen Filmen mit und schrieb Drehbücher, wie z.B. „El gallo de oro“ (1963), welches sein erstes war. Ein durchaus bekanntes Filmbeispiel ist die Verfilmung der Novelle „El amor en los tiempos de cholera“ im Jahre 2007.

So bewegt García Márquez‘ Erzählungen und Novellen waren, so bewegt war auch sein Leben. Sein Lebensweg führte ihn in viele Länder. Europa, Nordamerika und viele la- teinamerikanische Länder kann er zu seinen Zielen zählen. Er ging zu diesen Orten um sich für seine Werke inspirieren zu lassen, um Sprachen zu lernen oder aber auch weil er von höheren Persönlichkeiten eingeladen wurde. So war er zum Beispiel ständiger Gast bei Fidel Castro in La Habana und hatte sogar Audienzen beim spanischen König Juan Carlos I und beim Papst Johannes Paul II. Jedoch ist der Höhepunkt seiner Karriere der Erhalt des Literarturnobelpreises 1982 in Stockholm. 1 2

Zusammenfassend ist Gabriel García Márquez eine Persönlichkeit mit vielen Facetten, der unzählige Werke geschrieben hat und die Leser in seine magische Welt eintauchen lässt. Er hat in den verschiedensten Bereichen gewirkt und es so geschafft seine Werke und sein Leben auf der ganzen Welt zu verbreiten.

2.2. Realistische Werke

Wie schon in 2.1 erwähnt, stieg das Interesse von Gabriel García Márquez um das Jahr 1950, für die realistischen Kurzgeschichten nach Hemingway und Faulkner. Diese bei- den Autoren und deren Erzähl- und Darstellungsweisen, prägten viele seiner realisti- schen Erzählungen. Jedoch ist zunächst wichtig zu erklären, was eine Kurzgeschichte im Allgemeinen ausmacht. Zu Beginn hat eine Kurzgeschichte einen proteischen, d.h. wandelbaren Charakter. Sie ist historischen Veränderungen unterworfen, die durch zeit- genössische, soziale und kulturelle Gegebenheiten geprägt sind. Des Weiteren ist sie kurz, zeigt aber trotzdem ein hohes Maß an inhaltlicher Komplexität und Funktionalität. Dabei ist entscheidend, dass auf Ortswechsel und auf viele Charaktere verzichtet wird, d.h. heißt auch, dass es in der Regel keine multiperspektivische Erzählweise gibt. Die Darstellung der Handlung erfolgt durch präzise Beschreibungen von Ereignissen, Situa- tionen oder Szenen, die am Ende von Enthüllungen geprägt sind.3 Bei Hemingway war es nicht unbedingt der historische Hintergrund, der seine Ge- schichten proteisch machten, sondern der Autobiografische. Er erzeugte eine negative nahezu pessimistische Weltansicht, indem er viel Gewalt, Tod oder Angst in seine Er- zählungen einbrachte. Weiterhin erwähnenswert, ist die Benutzung einer einfachen Sprache ohne überflüssige Kommentare im Erzählverlauf. Auch bei ihm waren die Si- tuationsbeschreibungen stark realistisch und wiesen Antithesen und Symbole auf.4

Viele dieser kurzgeschichtlichen Charakteristiken sieht man, unter anderen, bei Gabriel García Márquez’ Erzählung „Un día de éstos“. In der Erzählung geht es um den Zahn- arzt Don Aurelio Escovar, der widerwillig den Zahn des Bürgermeisters ziehen soll. Dabei stellt man anfänglich fest, dass Situations- und Vorgangsbeschreibungen den Text dominieren. Auch ein Orts- oder Perspektivenwechsel findet hier nicht statt. Das Ereig- nis findet ausschließlich in der Kammer des Zahnarztes statt. Auch die Anzahl der Per- sonen ist auf 3 minimiert worden, der Zahnarzt, ein Sohn und der Bürgermeister. Au- ßerdem ist die Erzählung durch den historischen Hintergrund beeinflusst. Zu Beginn der Erzählung, weiß man nicht, warum Don Aurelio den Bürgermeister nicht empfangen will oder warum er ihm den Zahn zieht ohne ihn zu betäuben. Am Ende jedoch wird enthüllt, dass es um Korruption in der Politik geht, da der Bürgermeister die Rechnung des Zahnarztes über das Rathaus laufen lässt. Das Geschehen findet wahrscheinlich im Jahre 1962 statt (Entstehungsdatum des Werkes), zur Zeit der Violencia, wo Politiker wegen ihrer Korruption verhasst waren. Aufgrund dessen reagiert der Zahnarzt auch negativ auf den Bürgermeister und entfernt ihm den faulen Zahn ohne Betäubung, was er wahrscheinlich nicht gemacht hätte wenn der historische Kontext anders wäre.5 Wei- tere realistische Werke sind zum Beispiel „El coronel no Tiere quien le escriba“ („Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“) und „La hojarasca“ („Laubsturm“).

Zusammenfassend ist Gabriel García Márquez dem klassischen Muster der Kurzge- schichte gefolgt. Er wollte die Realität so einfangen wie sie war und dadurch auf zeitge- nössische Themen hinweisen und diese kritisieren. Wie jedoch bekannt ist, hat er noch weitere Stilrichtungen für sich entdeckt die im Folgenden weiter ausgeführt werden.

2.3. Fantastische Werke

Nachdem die realistischen Werke präsentiert wurden, wird im Folgenden das Konzept der fantastischen Erzählung vorgestellt, welches sich von dem Konzept des magischen Realismus differenziert. Im Laufe der nächsten beiden Unterkapiteln wird dies präziser erläutert.

Zunächst muss geklärt werden was die fantastische Erzählung ausmacht bzw. an wen sich García Márquez orientiert hat. Der Name Franz Kafka sticht dabei besonders her- aus. Er gilt als einer der bekanntesten Autoren fantastischer Werke, der es um 1920 ge- schafft hat den kanonischen Status in der Weltliteratur zu erlangen.6 Charakteristisch für all seine Texte ist, die nicht vorausgeplante, sondern spontan eingebaute Handlung der Erzählung, während des Schreibvorgangs. Durch die Affektiertheit des Schreibens ent- steht ein verwirrender und unvollendeter Text, dessen einzelne Teile austauschbar scheinen. Die einzige Konstante stellt dabei die beständige Entwicklung des Protagonis- ten, die den Text vollendet wirken lässt.7 Sprachlich, ist die nüchterne und distanzierte Erzählweise Kafkas, die durch wenig Adjektive unterstützt wird, dominierend. Außer- dem schreibt er aus der Perspektive des Protagonisten, benutzt aber die dritte Person um den Rezipienten zu verwirren. Die Tatsache, dass es keinen allwissenden Erzähler gibt verstärkt diesen Effekt. Ein weiteres Merkmal in seinen Erzählungen ist das Erwachen des Protagonisten aus einem Traum mit anschließender Verwandlung in ein Tier wie zB. in „Die Verwandlung“. Diese Verwandlung wird von den Beteiligten als normal emp- funden.8 9 Es ist eindeutig, dass der Traumaspekt ein tragende Rolle in der fantastischen Erzählung spielt.

Auch in den fantastischen Erzählungen von Gabriel García Márquez spielt der Traum eine prägende Rolle. Jedoch bezieht er den Aspekt der Phantasie und der Imagination mit ein, die bei den Kafkastudien nur sekundär berücksichtigt werden. In seinem Artikel „Fantasía y creación artistica“ zu Deutsch „Phantasie und künstlerische Schöpfung“ geht er explizit auf den gemachten Fehler der RAE bei der Definition der Wörter „fan- tasía“ und „imaginación“. Die Bedeutungen erscheinen ihm als vertauscht, da seiner Meinung nach die Phantasie „ no tiene nada que ver con la realidad del mundo en que vivimos “ und die Imagination „ es una facultad especial que tienen los artistas para crear una realidad nueva a partir de la realidad en que viven. “ 10

In García Márquez’ Erzählung „Ojos de perro ázul“ („Augen eines blauen Hundes“) findet man viele Parallelen zur kafkaesken Erzählung. Die beiden Protagonisten, ein Mann und eine Frau, wachen zwar nicht aus einem Traum verwandelt auf, jedoch befin- den sie sich in Einem. Beide wissen, dass sie träumen und sie wollen versuchen sich außerhalb des Traumes zu begegnen. Die Idee ist deshalb fantastischer Natur, da die Frau sich an den Traum erinnert und überall, auf neurotischer Weise, das von beiden ausgesuchte Codewort „Augen eines blauen Hundes“ benutzt. Sie spricht Kellner damit an und ritzt es in Bartische ein. Sie ist im Traum aber verzweifelt, weil der Mann sich nie an sie oder das Codewort erinnert. Und sie weiß, dass er es auch in Zukunft nicht tun wird. Eine ebenfalls fantastische Wirkung stellt der Kontakt zwischen wirklicher Welt und Traumwelt dar. Der Mann verspürt eine kalte Brise im Traum und geht davon aus, dass ihm die Decke weggerutscht sein muss. Außerdem bemerken sie andere Men- schen, die in ihrem Traum waren und die Gegenstände durcheinander bringen. Ein wei- teres Merkmal, welches dem kafkaesken Stil ähnelt, ist, das nicht eindeutig verfasste Ende und die Möglichkeit die verschiedenen Teilstücke der Erzählung zu vertauschen. Das Ende ist offen, weil man nicht weiß ob der Mann sich beim nächsten Mal erinnert wird. Die Austauschbarkeit ergibt sich daraus, dass es keinen eindeutigen roten Faden in der Erzählung gibt. Es werden viele Gegebenheiten und Situationen beschrieben, die auch in einer anderen Reihenfolge hätten stehen können.11

Nach Feststellung des Einflusses von Kafka auf die Erzählungen von Márquez werden im folgenden Unterkapitel einige magisch-realistische Werke vorgestellt um die Be- schreibung seiner verschiedenen Stile zu vollenden und einige Beispiele dazu zu lesen.

2.4. Werke des magischen Realismus

Am interessantesten zu erforschen, sind die magisch-realistischen Werke des Gabriel García Márquez, da diese charakteristisch für ihn sind. Das Hauptwerk in dieser Kategorie ist „Cien años de soledad“ zu Deutsch „Hundert Jahre Einsamkeit“. Dieses Werk ist nicht nur das Aushängeschild des magischen Realismus, sondern auch der Grund für den Erhalt des Literaturnobelpreises.

Der magische Realismus, der im Folgekapitel ausführlich dargestellt wird, befasst sich mit dem mythischen, abergläubischen Elementen in der realen Welt. „Cien años de so- ledad“ zeigt viele dieser magischen Elemente auf. Der Roman selbst ist schwierig zu- sammenzufassen, jedoch stellen die verschiedenen Generationen der Familie Buendía und der Aufbau der fiktiven Stadt Macondo, nach einer Naturkatastrophe, die Haupt- handlung dar. Während der Erzählung, findet man unterschiedliche Themen die in dem Werk behandelt werden. Da wären die Inzucht zwischen den Familienmitgliedern (z.B. die Heirat zwischen Cousins José Arcadio Buendía und Ursula „ Eran primos entre 12 s í“ (S.24) oder die Tatsache, dass Aureliano José in seine Tante Amaranta verliebt ist und sie vorher liebkosten [ … ]no solo durmieron juntos, desnudos, intercambiando cari- cias agotadoras[ … ] “ (S.127)) und die dünne Linie zwischen Realität und Fiktion. In der Stadt Macondo, die fiktiv ist, ereignen sich fantastische bzw. magische Dinge, die von den Menschen als normal gesehen werden, wie z.B. das Wiederauftauchen von ver- storbenen Personen, wie Melquíades „ Hab í a estado en la muerte, en efecto, per hab í a regresado[ … ] “ (S.49). Ein weiteres angesprochenes Thema ist, wie der Titel schon im- pliziert, die Einsamkeit. Das beste Beispiel dafür ist Aureliano Buendía der sich stets isoliert, weil er nicht in der Lage ist seine Gefühle auszudrücken und deshalb auch zur Armee gegangen ist „ [ … ]pasi ó n irresistible de su juventud[ … ]se convirti ó para é l en una referencia remote: un vac í o. “ (S.142)

Aber nicht nur das berühmteste Werk García Márquez’ zeigt diese Merkmale. Auch we- niger bekannte Erzählungen wie „El otoño del patriarca“ („Der Herbst des Patriarchen“) oder „Del amor y otros demonios“ („Von der Liebe und anderen Dämonen“) sind Stell- vertreter dieses Stils. Weitere Beispiele für den magischen Realismus finden sich im Kapitel 4, wo drei magisch-realistische Erzählung explizit analysiert werden.

Nachdem alle stilistischen Variationen und passende Beispiele von García Márquez vorgestellt wurden, ist es wichtig sich im folgenden Kapitel mit seiner Hauptkategorie zu beschäftigen und den magischen Realismus besser zu beschreiben.

3. Wirklichkeitsbegriff und der Begriff der Magie in der Weltanschauung von Gabriel García Márquez

Die Erzählungen und Texte des Gabriel García Márquez zeichnen sich durch die Facet- ten ab, die in Kapitel 2 genannt werden. Da er bei den fantastischen und realistischen Erzählungen sich an den Erzählweisen von Hemingway, Kafka und Co. orientiert, ist es nun umso wichtiger sein eigenes Merkmal genauer zu betrachten, den magischen Rea- lismus und die damit verbundenen Begriffe der Wirklichkeit und des Aberglaubens.

3.1. Wirklichkeitsbegriff

Der Eintrag im Duden erklärt: „ Realit ä t, die; Def.: Wirklichkeit, reale Seinsweise, greif- bare Tatsache oder Gegebenheit. “ 13 Das Verständnis über den Begriff der Realität, in der Weltanschauung von Gabriel García Márquez, weicht von dem Verständnis ab, wel- ches „normale“ Menschen über diesen Begriff haben. Wo bei den meisten Menschen die Realität oder der Realismus etwas erfassbares und greifbares sind, so denkt García Már- quez, dass der Realismus als solches nicht ausreicht um die Realität zu erklären und zu verstehen. Nach seinem Verständnis gehört alles zur Realität was auch Teil der latein- amerikanischen Gesellschaft ist. So zählt er die Legenden, Geschichten und die Mythen der Menschen, die ihren Alltag stark prägen, als Realität. Man könnte zunächst denken, dass dies außerhalb der Definition von Realität ist, García Márquez argumentiert aber wie folgt:

„ [..]Y en este momento yo he llegado a creer que hay algo que pode- mos llamar pararealidad, que no es ni mucho menos metaf í sica, ni obedece a supersticiones, ni a especulaciones imaginativas, sino que existe como consecuencia de deficiencias o limitaciones de las inves- tigaciones cient í ficas y por eso todav í a no podemos llamarla realidad real.[..] ” 14

Damit will er sagen, dass es aufgrund fehlender oder mangelhafter wissenschaftlicher Forschung noch keine Erklärung in der metaphysischen Ebene gibt und man sie deshalb nur als Pararealität bezeichnen kann und nicht als reale Realität. Er deutet damit an, dass es durchaus passieren kann, dass in Zukunft einige Phänomene erklärt werden können und dann zur realen Realität gezählt werden können. Bei diesen Phänomenen handelt es sich um Konzepte wie z.B. die Telepathie oder die Vorahnung. Diese Realität ist uns jetzt noch nicht bekannt aber García Márquez äußert, dass er ein starkes Interesse für diese hat.15

An dieser Stelle kann man schon erkennen, dass sich García Márquez‘ Definition schwer einordnen lässt, da sich die Grenzen zwischen real und magisch vermischen. Im nächsten Teilkapitel wird nochmal genauer untersucht, was er unter den Begriffen des Aberglaubens, der Mythen und Legenden versteht und wie es im Verhältnis zum erläuterten Wirklichkeitsbegriff García Márquez‘ steht.

3.2. Aberglaube, Mythen und Legenden

Wie bereits erschlossen, sind der magische Realismus und die mit ihm verbundenen Mythen, Legenden und Aberglauben ein wichtiger Teil in vielen von Gabriel García Márquez‘ Erzählungen. In vielen seiner Artikel erzählt er von eigenen Beispielen my- thischer Erfahrungen oder Erfahrungen anderer und versucht so die Relevanz dieser im Alltag zu zeigen.

In dem Artikel „Telepatía sin hilos“ also „Drahtlose Telepathie“, nennt er zunächst eini- ge allgemeine Beispiele in denen versucht wurde gezielt eine telepathische Verbindung zwischen zwei Menschen herzustellen. Diese Versuche wurden in der US-Navy ge- macht, als man den Kontakt zu einem U-Boot verlor. Dies war selbstverständlich zum Scheitern verurteilt, weil nach García Márquez so etwas wie Telepathie nicht erzwungen werden kann, sondern nur spontan geschieht, wie zum Beispiel bei eineiigen Zwillin- gen, die den gleichen Schmerz über große Entfernungen spüren können. Auch aus sei- nem Familienkreis kann er von solchen Erfahrungen berichten. Seine Mutter hatte dem- nach viele Vorahnungen, die ihr in dem Moment unklar waren, später aber Sinn erga- ben. So wusste sie zum Beispiel worum es in einem verschlossenen Brief ging. In die- sem Zusammenhang ist auch sehr wichtig zu erwähnen, dass seine Mutter streng katho- lisch war. Trotzdem hat sie nicht geglaubt, dass diese Vorahnungen etwas Teuflisches oder Böses sind. García Márquez will damit ausdrücken, dass diese „Übernatürlichen“ Gegebenheiten gar nicht so unnatürlich sind, sondern von den meisten Menschen als etwas Natürliches und spontan Entstandenes angesehen werden.16 Nicht nur wie natürlich, sondern auch wie fest ein Aberglaube verankert sein kann beschreibt er in einem weiteren Artikel in dem es um Flugangst geht. Seine Mutter zündet demnach immer wenn eines ihre Kinder fliegt eine Kerze an um sie zu beschützen. Als bei einem ihrer Söhne bei der Arbeit ein Bulldozer in einen Graben fällt und dieser sich sorgen um die Kosten der Bergung macht, beruhigt sie ihn, indem sie sagt dass sie eine Kerze anzünden wird. Er findet dies lächerlich, aber sie entgegnet ihm, dass diese Kerze auch jedes Mal das Flugzeug in der Luft hält, wenn jemand aus der Familie fliegt.17 Hier wird erneut klar, für wie normal und selbstverständlich ein großer Teil der Bevölkerung das mythische hält und wie fest es in den Köpfen verankert ist.

Die Präsenz des magischen Realismus beschreibt García Márquez in seinem Artikel „Caribe mágico“, zu Deutsch „Magische Karibik“. Dort beschreibt er zunächst die suri- namische Hauptstadt Paramaribo, die an Französisch-Guayana grenzt, in dessen Haupt- stadt Cayenne, sich bis vor kurzem eine schreckliche Sträflingskolonie befand. Er er- zählt die Geschichte eines von dort geflohenen Häftlings, der über Nacht Millionär ge- worden ist und was sich niemand erklären konnte. Als dieser Sträfling aus der Stadt floh, fand die Polizei in seinem Schrank 1 Million in gefälschten Scheinen. Man ging davon aus, dass das Geld, unkontrolliert, über eine Gipsstatue ins Land gebracht wurde, die er vorher bestellt hatte. García Márquez erinnert sich an diese Geschichte, als er 1957 einen Zwischenstopp in Paramaribo machen musste. Damals war es ein primitiver Fluglandeplatz mit nur einem Kurbeltelefon und einer schönen, schwangeren, dunkel- häutigen Einheimischen, die Ingwer verkaufte und ihre Zigarre im karibischen Stil (brennende Spitze im Mund) rauchte. Dieses Bild der Einheimischen ist für García Márquez ein ultimatives magisches Bild der Karibik. Interessant wird es allerdings erst, als er 22 Jahre später erneut dort zwischenlanden musste. Das gesamte Bild des Flug- landeplatzes hatte sich verändert.

[...]


1 http://culturavallenata.org/images/documentos/GABRIEL%20GARCIA%20MARQUEZ.pdf

2 http://www.biografiasyvidas.com/reportaje/garcia_marquez/cronologia.htm

3 Ahrends, Günter: „ Kapitel 3 Gattungshistorischer Überblick. F.Scott Fitzgerald und Ernest Heming- way“ In: Günter Ahrends: Die amerikanische Kurzgeschichte. Trier. Wiss.Verlag, 2008 S

4 Ahrends, Günter: „ Kapitel 2 Gattungstheoretischer Überblick. Zusammenfassung: Konstitutive Merk- male der Kurzgeschichte“ In: Günter Ahrends: Die amerikanische Kurzgeschichte. Trier. Wiss.Verlag, 2008 S.128-138

5 http://www.ciudadseva.com/textos/cuentos/esp/ggm/un_dia_de_estos.htm

6 Rollestone, James: „Introduction: Kafka Begins“. In: James Rolleston: A companion to the works of Franz Kafka. USA. Camden House, 2002 S.1-21

7 Palmier, Jean-Pierre: „Kafkas Lust und Mühe am Schreiben. Leichtsinniges Erzählverfahren im Proce ß und im Schlo ß “. In: Harald Neumeyer und Wilke Steffens: Kafkas narrative Verfahren. Kafkas Tiere. Würzburg. Verlag Königshausen & Neumann GmbH, 2015 S.129-143

8 http://blog.zeit.de/schueler/2015/04/24/franz-kafka-ein-raetsel-das-immer-modern-bleibt/

9 Neumeyer, Harald: „Ein Leutnant und drei Insekten: Franz Kafkas Die Verwandlung “ . In: Harald Neu- meyer und Wilke Steffens: Kafkas narrative Verfahren. Kafkas Tiere. Würzburg. Verlag Königshausen & Neumann GmbH, 2015 S.91.-101

10 García Márquez, Gabriel: „Fantasía y creación artística“ In: Notas de Prensa 1980-1984. Madrid. Mondadori, 1991 S.113-115

11 García Márquez, Gabriel: „Ojos de perro azul“. In: Todos los cuentos. Barcelona. Debolsillo. 2013, S. 75-81

12 García Márquez, Gabriel: Cien anos de soledad. Buenos Aires. Editorial Sudamericana. 1969 9

13 http://www.duden.de/suchen/dudenonline/Realität%20

14 González Bermejo,Ernesto: „García Márquez: Ahora son doscientos años de soledad” In: Peter Earle: Garc í a M á rquez. El escritor y la cr í tica. Madrid: Taurus, 1981 S.245-246.

15 Siehe Fußnote 14.

16 García Márquez, Gabriel: „Drahtlose Telepathie“. (S.Becker Übers.). Dornr ö schens Flugzeug. Journalistische Arbeiten. S.50-54.

17 García Márquez, Gabriel: „Seien wir Machos: Sprechen wir über die Angst vorm Fliegen“.(Svenja Becker Übers.) Dornr ö schens Flugzeug. Journalistische Arbeiten. S.37-40.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Der magische Realismus in ausgewählten Werken Gabriel García Márquez und seine Relevanz für die lateinamerikanische Identität
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
47
Katalognummer
V385795
ISBN (eBook)
9783668605718
ISBN (Buch)
9783668605725
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gabriel García Márquez, Eréndira, Señor viejo con unas alas enormes, muerte constante más allá del amor, identidad latinoamericana, Magischer Realismus, Kolumbien
Arbeit zitieren
Anastasia Toliou (Autor:in), 2015, Der magische Realismus in ausgewählten Werken Gabriel García Márquez und seine Relevanz für die lateinamerikanische Identität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385795

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