Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Entstehung der Hip-Hop-Kultur
1.1 „Fremd im eigenen Land“1- Deutschland und der Hip-Hop
1.2 Die Kunst der Reproduzierbarkeit
2. Montage und Collage und ihre Verwendung in der Musik
3. Sampling als Kulturtechnik im Hip-Hop
3.1 Theoretische Annäherung in die Gestaltungsmethodik des Samplings
3.2 Kunst oder Diebstahl?
3.3 Klassik trifft Hip-Hop: Beispiel Mitternacht2
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
In einer Welt unendlicher künstlerischer Vielfalt und kultureller Ausdrucksformen bietet das Verfahren des Samplings eine Auflösung der Trennung von Eigenem und Fremden. Die Musik, die als Bindeglied verschiedener Kulturen fungiert, ist eine im Alltag situierte Sprache, die sich vervielfältigt und entwickelt. Das Sampling bietet die Möglichkeit, Hörern eine große Bandbreite von Musik zu präsentieren, denn es versetzt sie in ein Genre oder gar anderes Musikjahrzehnt. Im Sinne der Kunst bietet sich das zu untersuchende Genre Hip-Hop besonders an, da die Sampling-Technik zur Entstehung jener Kultur beigetragen hat. Das Sampling, vor allem in der Blütezeit des HipHops, wird als eine Ausdrucksform angesehen, die Zugehörigkeit, Identitätsmerkmale wie auch persönliche und selbstreflexive Botschaften vermittelt.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema Sampling: Die Kunst der Wiederentdeckung und Neuverbindung im Bereich des Musikgenres Hip-Hop. Ein Vergleich zwischen der amerikanischen und deutschen Hip-Hop-Kultur gibt einen Einblick, inwiefern sich der Hip-Hop mit einer Identität auseinandersetzen kann und welche Wirkung dieses Genre auf die Musiker:innen hat. Eine reduzierte Darstellung des Kunstbegriffes soll einen ersten Eindruck vermitteln, inwiefern der Hip-Hop als Kunstform betrachtet werden kann. Eine Gegenüberstellung der Techniken der Montage und Collage soll darstellen, wie jene Begrifflichkeiten miteinander verschmelzen können, da sie in den gleichen Bereichen angewandt werden. Da der Platz für allgemeingültige Definitionen und Entwicklungen der Begriffe nicht gegeben ist, werden jene kurz skizziert und ihre Verwendung im musikalischen Bereich erläutert. Das Sampling wird als subkulturelle Kopierpraxis präsentiert, technische Verfahren werden dabei komprimiert dargestellt. In einem letzten Schritt bietet die Arbeit einen juristischen Ein- und Ausblick, der sich mit der Frage: ,Kunstform oder Diebstahl?' beschäftigt und die vorangehende These der Arbeit aufarbeitet und mit musikalischen Beispielen abschließen soll. Ziel ist das Verfahren der Wiederentdeckung und Neuverbindung als eine Form der Kunst darzustellen, die ganz im Sinne der Kunstfreiheit in der Musikindustrie fungiert.
1. Die Entstehung der Hip-Hop Kultur
Hip-Hop ist the last true folk art3- Mos Def
Die Hip-Hop Kultur entstand in den 1970er und 1980er Jahren auf den Blockparties der South-Bronx inmitten der schwarzen Ghettokultur. Die Kulturausprägung zeichnet sich durch verschiedene Formen kulturellen Ausdrucks aus wie beispielsweise der Rapmusik, Breakdance, Graffiti oder dem DJing. Die Disko-Ära in den Ghettos von New York spielt hierbei für die Entstehungsgeschichte der Performance-Kunst eine zentrale Rolle. Die Musikform wendet sich primär an ethnische Minderheiten, um den „erniedrigenden Lebensbedingungen, Unterdrückung, Rassismus und Kampf Ausdruck zu verleihen.“4 Das bedeutet, Menschen die wenig materiellen und gesellschaftlichen Status besitzen, nutzen die Lebensweise als eine Form von Protest gegen das System. Im gleichen Moment steht der Hip-Hop für „eine aus Armut, Entbehrung und Verlangen schöpfende Kreativität und Produktivität, die durch den Erfolg dieser Aus- drucksform“5 weitere soziale Randgruppen postkolonialer und postindustrieller Orte der Welt miteinbezieht und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schafft.6 Trotz, dass die Rap-Musik als das am schnellsten wachsende Genre der populären Musik angesehen wird, ist jener Anspruch auf künstlerischen Status in Schmähkritik und Anfeindungen ertränkt worden. Moralische und ästhetische Verurteilungen bis hin zu Zensuren, Verhaftungen oder Konzertauflösungen erschwerten der Hip-Hop Szene den Weg. Darüber hinaus wurde auf weiteren Ebenen der Versuch unternommen, ethnischen und politischen Inhalt des Raps zu untergraben. In Anbetracht dessen schien dies keine große Überraschung zu sein, denn der Rap verortet seinen kulturellen Ursprung in der afroamerikanischen Unterschicht der Gesellschaft. Durch die politisch geprägten Ansichten fanden sich ästhetische Gründe, die dem Rap die Legitimation als Kunstform abgesprochen haben, denn der Rap sei nicht gesungen sondern gesprochen. Weitere Gründe beziehen sich auf die Zusammenstellung eines Musikstückes. Hierbei handle es sich nicht um Original-Musik, da der Rap lediglich aus einzelnen Ausschnitten (Samples) bestehe, von bereits produzierten und bekannten Künst- ler:innen. Außerdem wären die Texte einfältig, rau gereimt und anzüglich. Doch in Wirklichkeit zeichnet sich der Rap durch ein rhythmisches Sprechen aus, begleitet von einer klangvollen Hintergrundmusik. Die Hintergrundmusik kann beispielsweise aus einem Beat bestehen, welcher von einem Schlagzeug vorgegeben wird.7 Laut Poschardt machte sich der DJ durch das Bedienen an den Schöpfungen der Musikgeschichte „[...] zum Autor, das heißt zum Urheber, Schöpfer und Begründer von etwas Neuem und Eigenem.“8 Etabliert hat sich der Hip-Hop vor allem in den Diskotheken und in Clubs, da der Rap von Publikum lebt, welches er beeindruckt. Die neuen Abspielgeräte sind hierbei ein wichtiges Hilfsmittel, da keine besonderen Fertigkeiten im Komponieren notwendig sind oder ein Instrument beherrscht werden muss.9
Das hierbei vorangehende Zitat von Mos Def der Hip-Hop sei die letzte echte Volkskunst, lässt sich mit der Philosophie des Hip-Hops weitestgehend bestätigen. Die Mu- siker:innen erlebten die Musik emanzipatorisch und ermöglichten sich mit ihrer eigens produzierten Kunst, großes Ansehen und Akzeptanz aus der Welt zu erlangen.
1.1 „Fremd im eigenen Land“ - Deutschland und der Hip-Hop
Der Hip-Hop entwickelte sich sowohl zu einer Kultur als auch zu einer Lebenseinstellung mit globaler Auswirkung. In den 80er Jahren erreichte der englischsprachige Rap Deutschland, als das Land noch in DDR und BRD geteilt war. Die Frage nach der deutschen Identität war ein Thema, das vor allem nach der Wiedervereinigung des Landes politische wie auch kulturelle Fragen aufwarf. Rap wurde nicht als ein Teil der deutschen Kultur gesehen, sondern vielmehr als eine Entwicklung „gegen die deutsche Kultur.“1011 Jene Behauptung trifft jedoch bei den deutschen Musiker:innen nicht auf Zustimmung, da sie für sich „beanspruchen, Teil der deutschen Nation zu sein und Deutschland zu verkörpern“12, wenngleich sie die englische Sprache nutzten.13
Die Sprache ist ein Instrument der Kommunikation und des Ausdrucks, das vor allem im Hip-Hop einen besonderen Stellenwert einnimmt. Die Nutzung des Englischen ist nicht nur auf den Ursprung der Hip-Hop-Kultur zurückzuführen. Die Sprache als Medium schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit der jeweiligen Kultur. Sie ist ein „Symbol für eine andere Lebensart.“14 Die Vermittlung eines Identitätsgefühls steht somit in einer engen Relation mit dem Hip-Hop. Durch die englischsprachige Musik bringen die deutschen Künstler:innen, wie auch ihre Pioniere des Hip-Hops, ihren Seelenzustand zum Ausdruck und vermitteln ihre Zugehörigkeit zu jener Kultur. Wodurch wiederum die Frage nach der deutschen Identität ins Zentrum rückt.15
Die Nutzung der deutschen Sprache etablierte sich im Hip-Hop durch Künstler:in- nen wie die Gruppe Die Fantastischen Vier, die ihren ersten kommerziellen Erfolg mit dem Lied Die da?! schaffte. Durch sie und weitere Musiker:innen wie Rödelheim Hartreim Projekt, Advanced Chemistry, Marius No. 1 und Cora E., die ebenso zu dieser Zeit zählten, erhielt der deutsche Hip-Hop vermehrt mediale Aufmerksamkeit. Das Ablegen der englischen Sprache hatte den Grund, dass die deutschen Musiker:innen nicht mehr nur die Geschichte ihrer Pioniere erzählen wollten sondern ihre eigene. Die Fantastischen Vier begründen ihre Entscheidung, deutschen Rap zu produzieren wie folgt:
„Zum einen hat's für mich den Sinn zu sagen, wer ich bin,
Zu beschreiben, wo ich herkomme und da ist halt nicht so schlimm Zum andern kann ich, was ich denke, so zum Ausdruck bringen Indem ich meine Sprache nutze, doch vermeiden kann zu singen Das hat natürlich den Effekt, dass sich einige erschrecken
Denn ich kann mich ja jetzt gar nicht hinter Rap-Klischees verstecken [...]“16
Die deutsche Sprache ist eine Möglichkeit für jeden Schaffenden, Ideen und Gedanken mit der Musik in ihrer Herkunftssprache auszudrücken. Während die englische Sprache die Zugehörigkeit zur ursprünglichen Hip-Hop-Kultur vermittelte, schafft die deutsche Sprache das Gleiche: Eine Verbindung zum eigenen Land schaffen.17
Mit der Verwendung des Deutschen kam auch vermehrt die Ablehnung der Kultur durch Künstler:innen mit Migrationshintergrund. Dieses Gefühl der Ausgrenzung verdeutlicht die Gruppe Advanced Chemistry mit ihrem Titel Fremd im eigenen Land, in welchem sie beschreiben, was es bedeutet, deutsch zu sein. Sie rufen zu mehr Toleranz und Akzeptanz auf und verweisen darauf, dass das Beherrschen der deutschen Sprache bedeutet, Teil von diesem Land zu sein.18
Der Rap ist eine auf Sprechen basierende Kunstform, die wie andere Sprachen auch einen Sprachwandel erfuhr. Wurde in den 1990er Jahren noch eine ,normale‘, gar gehobene Sprache benutzt, veränderte sich dies mit der Jahrhundertwende. Die Sprache entwickelte sich zu einer alltäglichen, teilweise vulgären Sprache, wie sie beispielsweise in den Texten des Künstlers Bushido zu finden ist. Der Gebrauch des Vulgären ist größtenteils auf das politische System, Heuchelei, Betrug in allen Bereichen oder auch Korruption zurückzuführen. Die Aggressivität in der Sprache soll die harte Realität widerspiegeln und sich mit den Makeln der Gesellschaft auseinander- setzen.19
Die Bedeutung und die Präsenz des Raps wuchs unter anderem durch eine Entwicklung der Sprache und durch Bezüge zum Historischen und Literarischen. Die Mu- siker:innen wählten bewusst deutsche Inhalte aus literarischen Werken, um die deutsche Kultur mit dem Genre zu verbinden. Die Bezugnahmen auf andere Gattungen zeigten sowohl die Teilhabe an der deutschen Identität, aber auch gleichzeitig die Äußerung von Kritik gegenüber politischen, kulturellen und sozialen Situationen. Rapper machten auf gegenwärtige Probleme der Gesellschaft aufmerksam und strebten mit ihrer Arbeit eine bessere Gestaltung der Zukunft an.20
1.2 Die Kunst der Reproduzierbarkeit
Eine Definition der Kunst ist epochenabhängig und lässt sich auf verschiedene Weisen einschätzen. Folgt man einer Definition der Griechen, versteht man unter dem Begriff Kunst in erster Linie all das, was nicht natürlichen Ursprungs ist, sondern ein Produkt des absichtlichen menschlichen Erschaffens. Die Griechen führten hierfür die miteinander korrelierenden Begriffe poiesis, aisthesis (Wahrnehmung), techne (Technik) und hedone (Lust) ein.21 Ihre Wechselbeziehung wird definiert als „die Kunst ist Technik und Kunst ist Poesie, und da sie auch rezipiert, sinnlich-sensitiv empfunden und gehört wird, ist sie auch Wahrnehmung und bereitet dabei Lust.“22 Kann das Genre Hip-Hop somit als eine Art Kunst gesehen werden? Der Definition zufolge benötigt es eine menschliche Technik, um etwas Kunstvolles hervorbringen zu können. Sei es ein Gemälde oder eine Komposition eines Musikstückes - dass alle Sinne erreicht werden, braucht man kreatives und technisches Gestaltungsvermögen. Um den Kunstbegriff heute greifen zu können, muss der Ursprung der Kunst verstanden werden. Spricht man von Kunst, so meint man oft die ästhetischen Künste wie die Architektur, Malerei, Poesie und auch die Musik.23 Doch was die Kunst zur heutigen Zeit bedeutet, fasst Tiedemann treffend zusammen:
[...]
1 Die Band Advanced Chemistry zählt zu den Pionieren des deutschen Hip-Hops. Mit der Single Fremd im eigenen Land aus dem Jahr 1992 schafften sie ihren Durchbruch.
2 Das Lied Mitternacht der Künstler Kollegah und Farid Bang wurde in einer ersten Version 2009 veröffentlicht und Mitternacht 2 als Fortsetzung 2018.
3 Def, Mos: https://www.azquotes.com/quote/75354. Stand: 11.09.2012 (Zugriffsdatum: 15.10.2021).
4 Winter, Rainer: HipHop als kulturelle Praxis in der globalen Postmoderne: Die kultursoziologische Perspektive der Cultural Studies. In: Nünning, Ansgar; Sommer, Roy (Hrsg.): Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft. Tübingen: Narr Verlag 2004, S. 216f.
5 Ebd., S. 217.
6 Vgl. ebd.
7 Vgl. Shusterman, Richard: The Fine Art of Rap . In: New Literary History 22 (1991) H. 3, S. 613.
8 Ebd., S. 219.
9 Vgl. Winter: HipHop als kulturelle Praxis in der globalen Postmoderne, 2004, S. 218.
10 Die Band Advanced Chemistry zählt zu den Pionieren des deutschen Hip-Hops. Mit der Single Fremd im eigenen Land aus dem Jahr 1992 schafften sie ihren Durchbruch.
11 Chemeta, David: Deutsche Identität, Kultur und Sprache im deutschen Rap. In: Zeitschrift für Ethnologie 138 (2013) H. 1, S. 38.
12 Ebd., S. 39.
13 Vgl. ebd., S. 38
14 Chemeta: Deutsche Identität, Kultur und Sprache im deutschen Rap, 2013, S. 38.
15 Vgl. Chemeta: Deutsche Identität, Kultur und Sprache im deutschen Rap, 2013, S. 41.
16 Ebd., S. 42.
17 Vgl. ebd.
18 Vgl. ebd., S. 43.
19 Vgl. Chemeta: Deutsche Identität, Kultur und Sprache im deutschen Rap, 2013, S. 45.
20 Vgl. ebd., S. 53.
21 Vgl. Arabatzis, Stavros: Kunsttheorie: Eine ideengeschichtliche Erkundung. Wiesbaden: Springer VS 2018, S. 2.
22 Ebd., S. 2.
23 Vgl. Stavros: Kunsttheorie: Eine ideengeschichtliche Erkundung, 2018 S. 1f.
- Arbeit zitieren
- Diana Warkentin (Autor:in), 2021, Sampling. Die Kunst der Wiederentdeckung und Neuverbindung im Bereich des Hip-Hops, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1187533
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