Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Karl Julius Ullrich (Abb. 1) verstarb am 2. August 2010 in Falkenstein bei Frankfurt am Main im Alter von 84 Jahren. Karl Ullrich studierte in Würzburg von 1946 bis 1951 Medizin und leistete bei Professor Wollheim seine Medizinalassistentenzeit ab. Sein Interesse für naturwissenschaftliche Grundlagen führte ihn zu Professor Kurt Kramer, einem angesehenen Physiologen in Marburg. Nach dem Umzug der Arbeitsgruppe an das Physiologische Institut in Göttingen im Jahr 1955 begann Ullrich seine grundlegenden und bald international Aufsehen erregenden Untersuchungen zur Nierenfunktion. Er entwickelte neue Mikrokatheterisierungs- und Perfusionstechniken zur quantitativen Beschreibung der tubulären Transportfunktionen. Nach einem Auslandsaufenthalt in Chapel Hill, USA, nahm Ullrich den Ruf auf den Lehrstuhl für Physiologie an der Freien Universität in Berlin im Jahr 1962 an. Fünf Jahre später wurde er zum Direktor der Abteilung Physiologie am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1993 wirkte.

Abb. 1
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Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Karl Julius Ullrich (18.11.1925–02.08.2010)

Zunächst wandte sich Ullrich den Harnkonzentrierungsmechanismen zu. Er wies nach, dass im Nierenmark Kochsalz und Harnstoff in hohen Konzentrationen vorliegen und dass die Sammelrohre Natriumionen und Harnstoff resorbieren. Eine damalige Veröffentlichung Ullrichs zur Funktion des Gegenstromsystems wurde mit mehr als eintausend Zitierungen ein „citation classic“. In Berlin untersuchte er den Salz- und Wassertransport in den proximalen Nierentubuli und bestimmte die Triebkräfte für die Natrium-, Chlorid-, Bikarbonat- und Kalziumionenresorption. In den 1970er- und 1980er-Jahren standen die natriumabhängigen Resorptionsvorgänge, z. B. für Glukose, Aminosäuren und Phosphat, in den proximalen Tubuli im Vordergrund seiner Untersuchungen. Mit einer in Frankfurt neu entwickelten Methode gelang es ihm, auch die an der Sekretion von organischen Anionen und Kationen beteiligten Transportsysteme in der basolateralen Membran proximaler Tubuluszellen aufzuklären. Mit mehreren hundert Substanzen bestimmte er die für die Interaktion mit den Transportsystemen wichtigen Parameter. Mit seinen Ergebnissen lassen sich Voraussagen treffen, welche Medikamente durch Sekretion mit dem Harn ausgeschieden werden.

Seine Fähigkeit, neue Konzepte zu entwickeln und experimentell auf höchstem Niveau zu verfolgen, zog zahlreiche bekannte Wissenschaftler aus der ganzen Welt nach Berlin und Frankfurt. Aus vielen Gastaufenthalten entwickelten sich lebenslange, persönliche Freundschaften. Viele berühmte Namen der Nierenphysiologie sind auf gemeinsamen Publikationen mit Ullrich zu finden. Der Name Ullrich dagegen taucht fast nie auf den Publikationen seiner langjährigen Arbeitsgruppenleiter auf, an deren wissenschaftlicher Eigenständigkeit ihm viel gelegen war. Insgesamt publizierte Karl Ullrich etwa 200 Originalmitteilungen, Übersichtsarbeiten und Lehrbuchbeiträge.

Prof. Ullrich erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen: die Feldberg Lecture for Experimental Medicine (1961), den Robert-Pfleger-Preis (1968), den Homer W. Smith Award of the New York Heart Association (1975), die Walter B. Cannon Lecture of the American Physiological Society (1987), den Ernst-Jung-Preis (1987), den A.N. Richards Award of the International Society of Nephrology (1990), die Purkinje-Medaille der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, die Jacob-Henle-Medaille der Göttinger Medizinischen Fakultät, die Medaille des Fachbereichs Medizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, die Borelli-Goldmedaille der Società Italiana di Nefrologia in Neapel und die Pavlov-Medaille der Russischen Akademie der Wissenschaften. Die medizinischen Fakultäten in Marburg, Berlin und Zürich verliehen Ullrich die Ehrendoktorwürde. Seit 1969 war er Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der heutigen Nationalen Akademie der Wissenschaften. Er war Ehrenmitglied der Australian Society of Nephrology, der American Society of Physiology, der Hungarian Society of Physiology, der Deutschen Physiologischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Nephrologie, die ihn im Jahr 1985 mit der Franz-Volhard-Medaille ehrte, und Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse.

Über drei Jahrzehnte gab Professor Ullrich der Nierenforschung entscheidende Impulse. Viele seiner Befunde gehören heute zu den Grundlagen, die wir den Studierenden vermitteln und auf denen wir in der Klinik aufbauen. Mit Professor Ullrich haben wir einen großen Nierenphysiologen verloren. Alle, die sein enormes Wissen schätzten und sein zutiefst humorvolles Wesen kannten, erinnern sich seiner in großer Dankbarkeit.