Gyburc - Kriegerische Amazone oder christliche Heilsbringerin?

Analyse der Frauenfigur im "Willehalm" von Wolfram von Eschenbach


Hausarbeit, 2005

17 Seiten, Note: 2


Leseprobe


GLIEDERUNG

A Gyburc – eine außergewöhnliche Frau

B Gyburc – kriegerische Amazone oder christliche Heilsbringerin?
I. Das Frauenbild und die Stellung der Frau im Mittelalter
1. Theologisch diffamierendes Frauenbild
2. Positives biblisch fundiertes Frauenbild
3. Das Frauenbild der höfischen Dichtung
II. Gyburc – die ideale Frauengestalt?
1. Gyburcs Verhältnis zu Willehalm
a) Aufgabe der Machtposition als heidnische Königin aus Liebe zu Willehalm
b) Gleichberechtigung zwischen Gyburc und Willehalm
c) Harmonische Übereinstimmung bei der ehelichen Liebe
d) Gyburcs Güte als Vorbild für Willehalm
2. Gyburc – eine kriegerische Amazone?
a) Entwicklung eigener politischer Konzepte und militärischer Strategien
b) Bewahrung von Rationalität
c) Aktiver Einfluss auf das Kriegsgeschehen durch Schonungsrede
3. Gyburc – eine christliche Heilsbringerin?
a) Heiligkeit durch Seelenmartyrium
b) Gyburcs Schonungsgebot
c) Verkörperung von christlichem „sin“ mit Einfluss auf andere
III. Resümee: Verkörpert Gyburc die ideale höfische Frau?
1. Argumente gegen ihre Idealität
2. Argumente für ihre Idealität

C Persönliches Fazit

Verwendete Literatur:

A Gyburc – eine außergewöhnliche Frau

Bei der Lektüre des „Willehalm“ von Wolfram von Eschenbach wird einem eines schnell klar: Diese Gyburc ist eine besondere Frau. Sie verließ Mann, Kinder und ihre gesamte Verwandtschaft, verzichtete auf die Macht über ein riesiges Königreich, um dem Christentum anzugehören und aus Liebe zu Willehalm. Sie kämpft wie ein Mann in voller Rüstung, verteidigt zusammen mit ihren Hofdamen ohne die Hilfe von Männern Orange, während Willehalm Hilfe für den Kampf gegen die Heiden holt. Sie beweist Mut und Stärke, aber auch Intelligenz und weibliche List. Im einen Moment wehrt sie noch mit der Steinschleuder Feinde ab, im nächsten sinkt sie aus Freude über die Rückkehr ihres geliebten Ehemannes ohnmächtig zu Boden. Sie beweist sowohl männlichen Kampfgeist als auch weibliche Zärtlichkeit, Fürsorge und Güte.

Wer ist diese Frau und welchen Einfluss hat sie auf den Ausgang des Kampfes zwischen Heiden und Christen? Auf diese Frage soll nun hier unter Einbeziehung des mittelalterlichen Frauenbildes eingegangen werden.

B Gyburc – kriegerische Amazone oder christliche Heilsbringerin?

I. Das Frauenbild und die Stellung der Frau im Mittelalter

Das Frauenbild zur Blütezeit der höfischen Dichtung um 1200 wurzelt in der von den Kirchenvätern begründeten, scholastisch ausgeformten und systematisierten Tradition der christlich-mittelalterlichen Anthropologie, die auf den biblischen Aussagen zum Menschsein basiert. Aus diesem theologisch definierten Menschenbild resultiert die Differenzierung der Geschlechter, wonach sich Mann und Frau schöpfungsbedingt gemäß ihrer Ebenbildlichkeit unterscheiden.

1. Theologisch diffamierendes Frauenbild

Zum großen Teil ist das mittelalterliche Frauenbild von einem diffamierenden theologischen Frauenbild abgeleitet, dass in Genesis 2,21-23 begründet ist:

„Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen.“[1]

Aus dieser Bibelstelle wurde geschlossen, dass Eva als Frau und Zweitgeschaffene gegenüber Adam, dem Mann und Erstgeschaffenen, die geringere „imago Dei“, Gottesebenbildlichkeit, zugesprochen wird. Die Erschaffung der Frau um Adams willen[2] lässt sie zur Ergänzung des Mannes werden. Als „virago de viro sumpta“, Männin, vom Manne genommen, ist sie, wenn auch wesensgleich, doch existentiell auf ihn bezogen.

Auch der Bericht vom Sündenfall vermittelt ein negatives Frauenbild[3]: Dort wird die Natur der Frau als Sinnenwesen festgelegt, die dem als Vernunftwesen geschaffenen Mann untergeordnet ist. Sie hat sich der göttlich gebotenen Herrschaft des Mannes über die Frau zu fügen hat. In der neutestamentlich-paulinischen Auslegung der Genesis im ersten Brief an die Korinther wird ausgesagt:

„Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes. Denn der Mann stammt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann. Der Mann wurde auch nicht für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann.“[4]

Demnach wird die von der Schöpfung vermittelte Rangordnung als Stufenfolge der Abbildlichkeit von Gott zum Mann und vom Mann zur Frau wiedergegeben. Eine ähnliche Unterordnungsforderung wird auch im Brief an die Epheser aufgestellt: Hier ist Christus als Haupt der Kirche analog zum Mann als Haupt der Frau[5].

All diese Bibelstellen bestärken das anthropologische Modell der geschöpflichen Ungleichheit von Mann und Frau. Es zielt darauf ab, dass die Frau, die ihrer Natur nach schwach und verführbar ist, die Führung des Mannes braucht, wozu diesen seine geistige Überlegenheit befähigt. Das Menschenbild Augustins, das das mittelalterliche Frauenbild ebenfalls beeinflusste, geht sogar von einer zweifachen Defizienz des Weiblichen aus: Zum einen ist die Frau schöpfungsbedingt zweitrangig, zum anderen ist ihre Unterordnung göttlich verfügt als Strafe nachdem Sündenfall, der sie zum niederen Teil des Menschenpaares macht. Demnach ist die geringe Vernunft einer Frau Kennzeichen und Ausdruck ihres geringerwertigen Geschlechtes. Aus dieser Inferioriät folgt natürlich die notwendige soziale Unterordnung der Frau.

Diese Ansicht bestimmte im Mittelalter die gesellschaftliche Realität.[6]

2. Positives biblisch fundiertes Frauenbild

Doch aus der Bibel lässt sich auch ein positives Frauenbild ableiten. Die in Genesis 2,20 fundierte adiutor-Funktion der Frau lässt auf eine ihr eigene Kraft schließen, deren der Mann als Hilfe existentiell bedarf. Besonders die alttestamentlichen Lehrbücher vermitteln das Ideal der tatkräftigen und klugen Frau, deren wesentliche Eigenschaften Stärke und Weisheit sind. „fortitudo“ und „sapientia“ sind konstituierende Elemente göttlich verliehenen Herrschertums und zugleich Eigenschaften Gottes. Aus diesen beiden geistig-seelischen Fähigkeiten leitet sich eine unmittelbare Gottesebenbildlichkeit jenseits der Instanz des Mannes ab.

Auch Paulus führt Aspekte auf, die das negative Bild seiner Genesis-Exegese entkräften: Seine Briefe vermitteln das Gleichheits- und Ebenbürtigkeitsprinzip im ehelichen Verhältnis zwischen Mann und Frau und innerhalb der Gemeinschaft der Christen. Außerdem stellt er

ein „Gebot der gegenseitigen Liebe“[7] auf. Diese Theorie fand Eingang in die Theologie der Frühscholastik: Die naturgegebene Zweitrangigkeit der Frau wird zugunsten einer Nebenordnung aufgehoben. Diese beinhaltet die von Gott verliehene Stärke, die ihre naturhaft bedingte Schwäche aufhebt.

Beide Vorstellungen haben ihren Platz im komplexen Gefüge des mittelalterlichen Welt- und Menschenbildes und prägen sich als Grundanschauungen der Zeit auch im literarischen Frauenbild aus.[8]

3. Das Frauenbild der höfischen Dichtung

Das Frauenbild in der höfischen Dichtung zeigt sich sehr vielgestaltig: Es differiert sowohl zwischen den Gattungen, als auch innerhalb einer Gattung und ihrer Tradition. Selbst in den Werken eines Dichters muss es nicht einheitlich sind.

Die Unterschiedlichkeit der Geschlechterrollen wird hier zum Erörterungsgegenstand erhoben, es werden je eigene Lebensnormen und Verhaltensregeln für Frauen und Männer aufgestellt. Während die Existenz der Frau entsprechend der negativen theologischen Konzeption auf den Mann bezogen wird, und demnach die meisten für sie gültigen Anweisungen das richtige Verhalten in Liebe und Ehe betreffen, wird der Minnesang weiterhin von einem positiven Frauenbild bestimmt. Hier wird die Frau als Herrin verehrt oder steht als gleichwertige Partnerin des Mannes, als vollkommene „vrouwe“ im Mittelpunkt lyrischer Reflexion. Sie ist in der Lage, innerhalb des Minne-Verhältnisses die ethisch-moralische Persönlichkeitsformung des Mannes zu beeinflussen. Dadurch erzieht sie auch sich selbst zum Bemühen um die Erhaltung ihrer Vorbildlichkeit.

Diese Ambivalenz wirkt sich besonders im Frauenbild der Epik aus: Dort sind Frauengestalten oft auf typische Eigenschaften festgelegt, die oft Teilaspekte aus dem Gesamtspektrum der Idee vom Weiblichen in einer Person darstellen. Während die Figuren der Widersacherinnen meist einsträngig negativ-kontrastierend typisiert sind, verkörpern positive weibliche Hauptfiguren Vollkommenheit auf vielfältige Weise. Bezeichnend für die negative oder positive Sicht der Frau ist in der mittelalterlichen Literatur insbesondere die Einschätzung weiblicher Schönheit, durch diese wird das schöpfungsbedingte Anderssein der Frau am sinnfälltigsten verdeutlicht. So zeigt sich im Minnesang die ideale Übereinstimmung von Erscheinung und Sein, äußere Schönheit ist Ausdruck innerer Reinheit im Sinne ethisch-moralischer Integrität. In der Lehrdichtung dagegen wird der Mann dagegen gewarnt, sich auf die verführerische Hülle äußerer Schönheit, die keine innere Vollkommenheit impliziert, einlässt, da er sich sonst ins Verderben stürzt. Ebenso wird das Auseinanderklaffen von makelloser Erscheinung und mangelhaftem ethischem Sein als Indiz für die Defizienz weiblicher Geschöpflichkeit gewertet, die schon im Sündenfall zum Verhängnis wurde. Im negativen Frauenbild ist Schönheit nämlich Ausdruck der weiblichen Sinnlichkeit und ihrer Eigenschaft zur Sünde der erotischen Begierde, die eine andauernde Bedrohung für den Mann darstellt, da dieser in Gefahr läuft, sein Vernunft bestimmtes Denken und damit auch seine Selbstbestimmtheit zu verlieren und zum Sklaven der Minne zu werden. Es wird so weit gegangen, dass die Schönheit einer Frauenfigur als dämonische Macht gesehen wird, die handlungsbestimmend wirken kann und wenn sie die Frau und den männlichen Partner zu Sinnlichkeit verführt, die beiden ins Verderben stürzen kann. Andererseits kann die in der schönen Erscheinung nach außen gekehrte Idealität einer Frau den Mann zu Heldentaten anregen, zum Guten bewegen und seine Persönlichkeit vervollkommnen. Selbst das Bild einer schönen Frau vor dem geistigen Auge eines Mannes kann diesen auf Grund inniger seelischer Verbundenheit positiv beeinflussen. Meist ist die Frau durch einen Mann und seinen gesellschaftlichen Stand festgelegt: so treten Frauen als Töchter, Ehefrauen, Schwestern, Witwen adeliger Herren und Geliebte auf, deren Stand ihre soziale Existenz bestimmt. Dennoch hat die Frau in der höfischen Epik vielfältige Möglichkeiten der Beeinflussung eines Mannes, sowohl auf sein Heil als auch auf sein Verderben hin.[9]

[...]


[1] Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1993, Gen

2,21-23, S.6 f.

[2] vgl. ebd. Gen 2,18, S.6

[3] vgl. Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1993,

Gen 3, S.7 f.

[4] ebd. I Kor 11,7-9, S.1289

[5] ebd. Eph 5,22-24, S.1320

[6] vgl. Ukena-Best, Elke: Die Klugheit der Frauen in Wolframs von Eschenbach „Willehalm“. In: Krause,

Christine; Mayer, Sylvia u. a. (Hrsg.): Zwischen Schrift und Bild. Entwürfe des Weiblichen in literarischer

Verfahrensweise. Mattes Verlag, Heidelberg 1994, S.6/7

[7] Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1993, Eph
5,25-30

[8] vgl. Ukena-Best, Elke: Die Klugheit der Frauen in Wolframs von Eschenbach „Willehalm“. In: Krause,

Christine; Mayer, Sylvia u. a. (Hrsg.): Zwischen Schrift und Bild. Entwürfe des Weiblichen in literarischer

Verfahrensweise. Mattes Verlag, Heidelberg 1994, S.7-9

[9] vgl. Ukena-Best, Elke: Die Klugheit der Frauen in Wolframs von Eschenbach „Willehalm“. In: Krause,

Christine; Mayer, Sylvia u. a. (Hrsg.): Zwischen Schrift und Bild. Entwürfe des Weiblichen in literarischer

Verfahrensweise. Mattes Verlag, Heidelberg 1994, S.9-13

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Gyburc - Kriegerische Amazone oder christliche Heilsbringerin?
Untertitel
Analyse der Frauenfigur im "Willehalm" von Wolfram von Eschenbach
Hochschule
Universität Regensburg
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V134581
ISBN (eBook)
9783640426621
ISBN (Buch)
9783640423262
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gyburc, Kriegerische, Amazone, Heilsbringerin, Analyse, Frauenfigur, Willehalm, Wolfram, Eschenbach
Arbeit zitieren
Magistra Angelika Zahn (Autor:in), 2005, Gyburc - Kriegerische Amazone oder christliche Heilsbringerin?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134581

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