Empirische Befunde zur Wirksamkeit und zu den Wirkungen pädagogischer Maßnahmen werden vor allem im Rahmen von Interventionsstudien gewonnen (Schneider 2019; Souvignier 2021). Die Kenntnis solcher Wirkmechanismen ist allerdings noch nicht mit einer Aufforderung zur unmittelbaren Anwendung in der Praxis gleichzusetzen. Vielmehr sind dafür weitere Bedingungen zu prüfen. Ob Transfer im Sinne einer Weitergabe und Verbreitung von Konzepten ratsam ist, hängt beispielsweise davon ab, ob eine Maßnahme hinreichend einfach umzusetzen ist und schnell zu erfahrbaren Verbesserungen führt. Auch die Ausgestaltung von Fortbildungsangeboten erweist sich als wesentliche Transferbedingung (vgl. Gräsel 2010). Der nächste, über Transfer hinausgehende Schritt einer Verbreitung bewährter Maßnahmen ist die Implementation. Das damit verbundene Ziel besteht in der nachhaltigen Verankerung entsprechender Konzepte im pädagogischen Feld (Hasselhorn et al. 2014). In den Beiträgen zu diesem Themenheft werden Beispiele aus der Forschung vorgestellt, deren Interesse darin besteht, transfer- und implementationsrelevante Ergebnisse zum Problem der Bildung im Kontext sprachlicher und kultureller Diversität zu erzielen. Dieses bildet ein Beispiel für Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Forschungsinteresses in einem praxisrelevanten Gegenstandsfeld, und zugleich für die Ausdifferenzierung der Erkenntnisse über die Frage nach dem Verhältnis zwischen Forschungsergebnissen und deren Anwendung in der Erziehungs- und Bildungspraxis.

1 Bildung im Kontext von sprachlicher und kultureller Diversität

Lehren und Lernen im Kontext sprachlicher, kultureller und sozialer Diversität ist eine bedeutende Herausforderung für zahlreiche Bildungssysteme weltweit. Von der Forschung zum Umgang mit Diversität in bildungspraktischen Kontexten erhofft man sich Hinweise darauf, wie dieser Herausforderung mit theoretisch fundierten und empirisch abgesicherten Konzepten begegnet werden kann.

Die Frage, wie Bildung im Kontext von sprachlicher und kultureller Diversität beschaffen sein könnte oder sollte, damit aus dieser Konstellation weder Nachteile für Lernende entstehen noch unlösbare Aufgaben für die Unterrichtenden, beschäftigt die Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung seit langem. Ein Lösungsansatz seit den 1970er-Jahren ist die wissenschaftliche Beteiligung an Modellprojekten. Mit der bildungspolitischen Strategie der Etablierung solcher Projekte war das Interesse daran verbunden, mustergültige Problemlösungen zu identifizieren, deren Erfolgsprinzipien sich andere Bildungseinrichtungen zu eigen machen. In der begleitenden Forschung wurde bereits früh eine international vergleichende Perspektive eingenommen – begründet durch die Einsicht, dass wachsende sprachliche und kulturelle Diversität in der Bevölkerung, und somit: der Schülerschaft, ein Phänomen ist, das viele Staaten der Welt gemeinsam haben (Boos-Nünning et al. 1986). Bildungspolitisch jedoch wurde stärker auf nationale Strategien gesetzt. Hier bestand das Interesse, durch Beobachtung und Begleitung der Modellprojekte im eigenen Land ein wissenschaftlich fundiertes Urteil über die Tauglichkeit der Maßnahmen zu erhalten – und somit Grundlagen für die Steuerung der Praxis. Ergebnisse der wissenschaftlichen Beobachtung wurden im politischen Raum bekanntgemacht (Esser und Steindl 1987), aber auch in speziellen Organen publiziert, die sich an eine wissenschaftlich interessierte Bildungspraxis richteten.Footnote 1 Insgesamt gesehen, war die eingehende Beschäftigung mit den Folgen sprachlicher, kultureller und sozialer Diversität für Erziehung und Bildung über eine längere Zeit das Spezialinteresse einer relativ kleinen Gemeinschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (Krüger-Potratz 2004).

Die mit Modellprojekten in diesem Themenfeld befasste Forschung war von vornherein nicht allein an Antworten auf die Frage interessiert, ob und in welcher Hinsicht sich die sprachliche und kulturelle Herkunft von Lernenden nachteilig auf ihren potentiellen Bildungserfolg auswirkt. Vielmehr etablierte sich eine Forschungsrichtung, in der es darum ging, das Verhältnis zwischen benachteiligenden Faktoren und solchen Begleiterscheinungen der sprachlichen und kulturellen Diversität zu erkunden, die zumindest potentiell von Vorteil für das (sprachliche) Lernen sein können. Begründet wurde das damit, dass die Herausforderung der Diversität nicht als vorübergehendes Phänomen anzusehen sei, sondern – soweit absehbar – von langer Dauer; und dass die darauf gerichteten Maßnahmen die Heranwachsenden insgesamt berücksichtigen müssten, da nicht allein die spezielle Gruppe der Zuwandernden von den Folgen der Verschiedenheit für Entwicklung und Lernen betroffen seien (Gogolin und Nauck 2000). Allerdings ebbte das bildungspolitische Interesse an der Förderung von Modellen und der sie begleitenden Forschung gegen Ende der 1980er-Jahre zunächst ab. Grund dafür war nicht zuletzt die – von den an Migration interessierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht geteilte – Einschätzung, dass die mit Diversität verbundenen „Probleme“ für Bildung und Erziehung schon bewältigt seien. Im Stichwortartikel zum Thementeil dieser Ausgabe knüpfen Roth, Uçan, Sieger und Gollan an diese Forschungstradition an und verbinden sie mit der Analyse des gegenwärtig erreichten Standes.

In der Zwischenzeit hat die Klärung von Zusammenhängen zwischen Migration, Sprache, Mehrsprachigkeit und Bildung mehr Aufmerksamkeit gewonnen, und das Forschungsfeld hat sich weiter ausdifferenziert. Weithin geteilt wird inzwischen die Sicht, dass sprachliche, kulturelle und soziale Diversität in der Schülerschaft ein Grundphänomen von Bildung in differenzierten Gesellschaften darstellt, das mit der Konzentration auf fehlende Deutschkenntnisse keineswegs hinreichend erklärt oder bearbeitet werden kann. Beispielhaft zu nennen sind hier Untersuchungen zum wechselseitigen Einfluss von Sprachen, die ein Kind sich parallel oder konsekutiv aneignet, auf Sprachentwicklung generell (Klinger et al. 2019) oder auf andere bildungsrelevante Merkmale und Eigenschaften (Kempert et al. 2018).

Rapide gewachsen ist in der jüngeren Zeit auch das spezielle Interesse an Erkenntnissen darüber, wie sprachförderliches Bildungshandeln gestaltet sein sollte, damit die Bedingung der Mehrsprachigkeit in der Lerngruppe nicht zum Nachteil für das Lernen und den Bildungserfolg gerät. Dabei ist angesichts der demographischen Lage, die in Deutschland (vor allem) infolge von Migration besteht, nicht mehr zu übersehen, dass die multilinguale Konstellation im Bildungskontext der „Normalfall“ ist. Gut abgesichert sind inzwischen Erkenntnisse zur Beschreibung bzw. Erklärung von Divergenzen im Lernerfolg zwischen Heranwachsenden aus altansässigen, einsprachigen Familien und solchen aus Migrantenfamilien mit einer zwei- oder mehrsprachigen Lebenspraxis. Darüber hinausgehende Ergebnisse aber, die die Folgen des pädagogischen Handelns im Kontext der Diversität betreffen und auf die sich Förderinitiativen im multilingualen Kontext stützen können, sind immer noch rar (Klinger et al. 2019). Weitgehende Übereinstimmung besteht zwischenzeitlich dahingehend, dass Zwei- oder Mehrsprachigkeit per se keinen Bildungsnachteil ausmacht. Am Beispiel eines Modells bilingualer Erziehung wurde auch für den hiesigen Kontext gezeigt, dass weder die Aneignung der Schul- und Unterrichtssprache Deutsch noch der Erwerb fachlicher Fähigkeiten unter dem Lernen von und in zwei Sprachen leiden muss (Möller et al. 2017). Untersuchungen zur Frage nach erfolgreichen Ansätzen zum Lehren und Lernen im Kontext sprachlicher Diversität sind aber nach wie vor Pionierleistungen. Auf solche stützen sich die Beiträge zu diesem Themenheft.

2 Forschung in den Förderinitiativen KoMBi und BiSS

Entsprechende Forschung wird weiterhin im Wesentlichen initiiert durch bildungspolitische Förderinitiativen. Das Interesse daran erwachte erneut als eine der Folgen des „PISA-Schocks“ am Anfang der 2000er Jahre. Als erstes wurde das Modellprogramm „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FörMig“ (2003 bis 2009) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zehn Bundesländern gefördert (Gogolin et al. 2011).Footnote 2 Die wohl größte Förderung dieser Art ist inzwischen das von Bund und Ländern getragene Programm „Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)“ (seit 2020 BiSS-Transfer; siehe https://biss-sprachbildung.de/). Eine weitere Initiative im Rahmen des Programms zur Förderung der Bildungsforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung trägt den Titel „Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit“ (abgekürzt „KoMBi“, gefördert 2013 bis 2020; http://www.kombi-hamburg.de/).

Ein wesentliches Motiv für Förderinitiativen wie FörMig, KoMBi und BiSS ist das gemeinsame Interesse von Bildungspolitik, Bildungspraxis und Forschung an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bildungspolitische Entscheidungen unterstützen und zugleich der Praxis fundierte Handlungsanregungen geben. Die Beiträge zum Themenschwerpunkt geben exemplarisch Einblicke in den erreichten Stand der Forschung und Entwicklung.

3 Gestaltung sprachförderlichen Bildungshandelns

Das vorliegende Themenheft umfasst einen Stichwortbeitrag und fünf empirische Originalbeiträge.

In dem Stichwortbeitrag von Roth, Uçan, Sieger und Gollan wird zunächst ein Überblick über die konzeptuellen Differenzen zwischen Interventions‑, Transfer- und Implementationsforschung zu sprachlicher Bildung gegeben. Die zugrundeliegende Analyse bezieht sich überwiegend auf Studien zu Programmen und Maßnahmen, die sich auf das Erlernen der deutschen Sprache konzentrieren. Untersuchungen, die die Mehrsprachigkeit in der Schülerschaft als eigene Bildungsbedingung berücksichtigen, sind deutlich seltener. Im Stichwortartikel werden sie anhand aktueller Studien zur Sprachförderung und Sprachbildung im Elementarbereich sowie zum Ansatz des Translanguaging vorgestellt. Abschließend werden in diesem Beitrag Hinweise zu Gelingensbedingungen von Implementation in der sprachlichen Bildung formuliert.

Die fünf Originalbeiträge nehmen naturgemäß jeweils spezifischere Perspektiven ein. Sie sind fokussiert auf Effekte bilingualen Lernens, förderliche Bedingungen für die Lesemotivation, Voraussetzungen gelingender Implementation und Wirkungen von Fortbildungen. Marx und Steinhoff betrachten in ihrer längsschnittlichen Studie in 6. Klassen, wie sich Interventionen in deutscher Sprache auf das Schreiben in türkischer Sprache auswirken und welche sprachenübergreifenden Zusammenhänge dabei zwischen der Textqualität und den Textrevisionen bestehen, die die Lernenden im Rahmen der entsprechenden Trainings vornehmen. Ihre Befunde aus dem Schreibunterricht weisen darauf hin, dass Teilkompetenzen des Schreibens nicht an Einzelsprachen gebunden sind, sondern transversal, d. h. in mehreren Sprachen nutzbar. Solche Teilkompetenzen können daher von der schulischen Majoritätssprache in die Herkunftssprache transferiert werden; es liegt also auch im Unterricht einer Einzelsprache (wie Deutsch) ein Potential für die Förderung von Mehrsprachigkeit.

In ihrer Interventionsstudie zur bilingualen Kommunikation beim kooperativen Lernen analysieren Decristan, Schastak, Reitenbach und Rauch die Umsetzungsgenauigkeit eines Peer-Tutoring-Ansatzes. Exemplarisch wurde dabei Türkisch als Herkunftssprache in Tandems zur Förderung im mathematischen bzw. dem Lernbereich Deutsch einbezogen. In der Intervention wurden jeweils zwei Grundschulkinder von einer geschulten studentischen Trainingsleitung angeleitet, fachliche Inhalte (auch) in ihrer Herkunftssprache zu besprechen. Die differenziert für Trainingsleitungen und Lernende erfassten Sprachhandlungen zeigen, dass die Lernenden in diesem Setting nur wenig miteinander in ihrer Herkunftssprache kommunizierten. Zwar gelang eine Aktivierung bilingualer Kommunikation in der überwiegenden Zahl der Tandems – wie zu erwarten, in mathematikbezogenen Aktivitäten in deutlich höherem Maße als bei der Deutschförderung. Mehr türkischsprachige Impulse durch Trainingsleitungen gingen jedoch nicht mit mehr bilingualer Kommunikation durch die Lernenden einher. Das Autorenteam weist darauf hin, dass zu prüfen bleibe, wieweit und in welchem Bereich das gewählte Setting positive Folgen für das Lernen haben kann. Zu diskutieren sei auch, ob das Set an „Erfolgsfaktoren“, die in der Implementationsforschung geläufig seien, erweitert werden sollte. Im gegebenen Fall des Fokus auf Sprache sei etwa zu fragen, ob die Anzahl von Äußerungen aussagekräftig über Lernförderung sei, oder ob Art und Qualität von Äußerungen einbezogen werden müssten.

Die Frage, welche unterrichtlichen Bedingungen sich als förderlich für die Entwicklung intrinsischer Lesemotivation erweisen, steht im Zentrum des Beitrags von Ohle-Peters, Igler, Schittler, Teerling, Köller und McElvany. In dieser quasi-experimentellen Längsschnittstudie zeigte sich, dass Differenzierung im Leseunterricht, Störungen im Unterricht und Merkmale des unterstützenden Unterrichtsklimas prädiktiv für intrinsische Lesemotivation auf Individualebene sind. Die Teilnahme an einem BiSS-Verbund war dabei – mit einem kleinen Effekt – positiv mit der Differenzierung im Leseunterricht assoziiert.

Einen Vergleich konzeptuell unterschiedlicher Maßnahmen zur Leseförderung in zwei BiSS-Verbünden nehmen Souvignier, Zeuch, Jost, Karstens, Meudt und Schmitz vor. In dieser längsschnittlichen Evaluationsstudie zeigte sich, dass weniger eine bestimmte Implementationsstrategie (top-down vs. bottom-up) oder ein bestimmtes Förderkonzept (einfach vs. komplex) Vorteile hinsichtlich der Implementation aufwiesen. Vielmehr wurde deutlich, dass eine erfolgreiche Implementation letztlich von einer hohen Passung zwischen Merkmalen auf Seiten der Maßnahme, der Lehrkraft und der schulischen Rahmenbedingungen abhängt.

Zu den Gelingensbedingungen für die Implementation erprobter und bewährter Konzepte gehört schließlich auch die Qualifikation des beteiligten Personals. Diesem Problem wendet sich der Beitrag von Kämpfe, Betz und Kucharz zu. Sie betrachten Wirkungen von Fortbildungen zur Sprachförderung für pädagogische Fach- und Lehrkräfte. Zur Analyse der Heterogenität von Teilnehmenden an Fortbildungen nehmen sie zunächst eine Typenbildung von Fach- und Lehrkräften anhand von deren Sprachförderkompetenzen und der Intensität von Fortbildungsbesuchen vor. Vor diesem Hintergrund beschreiben sie auf der Grundlage von Interviews die wahrgenommenen Wirkungen von Fortbildungen in Bezug auf Zufriedenheit, Akzeptanz, Lernerfolg, Handeln und Performanz.

Insgesamt geben die empirischen Beiträge in diesem Themenheft Hinweise auf unterschiedlichen Ebenen darauf, wie Bildung im Kontext von sprachlicher und kultureller Diversität beschaffen sein könnte oder sollte, damit ungewollte Benachteiligung vermieden wird und Chancen, die in der Diversität für Erziehung und Bildung liegen, genutzt werden. Dazu gehören Erkenntnisse auf der Prozessebene (z. B. des bilingualen Lernens), auf der Ebene der Ausgestaltung von Implementationsprozessen sowie der wahrgenommenen Folgen von Unterrichts- und Fortbildungsmaßnahmen. Zusammen mit dem Stichwortbeitrag von Roth et al. unterstreichen sie die Bedeutung, die methodisch anspruchsvollen Interventionsstudien als Grundlage von Implementationsmaßnahmen zukommt. Diese Perspektive einer forschungsbasierten Optimierung der Bildungspraxis kommt auch in weiteren aktuellen Analysen und Bestandsaufnahmen zur Implementationsforschung im Bildungswesen zum Ausdruck (Schrader et al. 2020; Slavin 2020). Der förderliche Umgang mit den Herausforderungen, die sich dem Bildungssystem im Kontext von Mehrsprachigkeit und sprachlicher Bildung stellen, bildet ein Beispiel für die Beharrlichkeit einer Herausforderung an Erziehung und Bildung (Gogolin und Nauck 2000), zugleich für die Weiterentwicklung der an Verstehen, Erklärung und die Optimierung der Praxis interessierten Forschung.