Weltkulturerbestätten haben sich zunehmend zu Bildungsorten entwickelt und auch in Schulbüchern dienen sie vielfach als Beispiel, um Themen wie Massentourismus oder Stadtentwicklung zu illustrieren. Schülerinnen und Schüler sind somit eine wichtige Zielgruppe von Welterbe-Bildung. Ihre Vorstellungen zur Bedeutung von Welterbestätten, die eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Lernangeboten liefern, sind bisher jedoch nicht im Fokus des wissenschaftlichen Interesses gewesen. Die vorliegende Dissertation untersuche daher die Perspektiven von Jugendlichen aus Niedersachsen zwischen 14-17 Jahren auf Weltkulturerbe und daran anschließende Themen. Dazu wurden mit 43 Schülerinnen und Schülern aus Hannover, Alfeld, Hildesheim und Goslar Fokusgruppen und Vor-Ort-Erkundungen mittels reflexiver Fotografie durchgeführt. Während bei den Fokusgruppen die Vorstellungen, Bedeutungszuweisungen, Einstellungen und Werthaltungen in Bezug auf Weltkulturerbe im Allgemeinen zentral standen, wurden mit der reflexiven Fotografie selbst aufgenommene Motive kommentiert, die die persönliche und eine universelle Bedeutung gegenüber einer ausgewählte Weltkulturerbestätte in Niedersachsen zum Ausdruck brachten. Zusammenfassend beruhen die erhobenen Vorstellungen, Bedeutungszuweisungen, Einstellungen und Werthaltungen der meisten befragten Jugendlichen über viele Themenbereiche hinweg auf Stereotypen, die von Eurozentrismus und Kulturessenzialismus geprägt sind. Diese Denkmuster spiegeln sich beispielsweise in der Fokussierung auf Vergangenheit, Monumente und Gebäu-de, den Begründungsansätzen zur ungleichen globalen Verteilung von Weltkulturerbe und den mehrheitlich essenzialistischen Assoziationen zum Begriff ‚kulturelle Identität‘ wider.
Die im Rahmen der reflexiven Fotografie aufgenommen Motive entsprechen diesen Ergebnissen nur bedingt. So hatte die Frage nach universellen Motiven einen homogenisierenden Effekt, der vor allem klassische Ansichten von Gebäuden bzw. städtischen Räumen beförderte. In ihren persönlichen Motiven setzten sich die Teilnehmenden jedoch zunehmend mit gegenwärtigen Bedeutungen auseinander und lieferten heterogenere Motive. Hierbei wird das Potenzial der Methode deutlich, verschiedene Wahrnehmungsweisen bewusst zu machen.
Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer kritisch-reflexiven Welterbe-Bildung. Im Anschluss an die kritisch-emanzipatorischen Ansätzen aus der Friedenserziehung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Global Citizenship Education wird die Bewusstseinsentwicklung und die kritische Reflexion der persönlichen Wahrnehmungen und der eigenen Position als grundlegendes Ziel einer solchen Welterbe-Bildung vorgeschlagen. Die abschließend vorgestellten Thesen liefern Anstöße für die Umsetzung und benennen u.a. das Hinterfragen der involvierten Institutionen und ihren Interessen, die Dekonstruktion eurozentrischer Denkweisen und die Thematisierung von Zielkonflikten der Nachhaltigkeit als wichtige Inhalte.
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