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Ausgangspunkt des Buches war die erste kooperative Tagung der Sektion Forschung und der Fachgruppe Gender der DGSA 2018. Das Werk versammelt Beiträge von Genderforscher_innen, die auf dieser Fachtagung Vorträge hielten sowie ergänzende Artikel von Genderforscher_innen aus der Sozialen Arbeit. Im Eröffnungsteil des Buches geben die Autorinnen ein Gruppengespräch mit sechs renommierten Geschlechterforscherinnen in gekürzter Form wieder. Anlass dieser Diskussion ist die Frage nach der Füllung des Begriffes und der Konturierung der sozialarbeitswissenschaftlichen Geschlechterforschung, hier durch eine „ältere“, im Wissenschaftsbereich profilierte und privilegierte Gruppe von Forscherinnen. Die Frage nach den relevanten theoretischen Bezügen für die sozialarbeitswissenschaftliche Geschlechterforschung bewirkt zunächst Irritationen bei den Teilnehmerinnen der Diskussionsrunde. Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass es nicht die eine sozialarbeitswissenschaftliche Geschlechterforschung gibt und das Feld einen großen Facettenreichtum aufweist.

Nach dieser sehr interessanten und diskursiven Einführung in die Thematik gliedert sich das Buch in fünfzehn Einzelbeiträge verschiedener Autor_innen(-teams). Die Bandbreite der Inhalte reicht von der Frage, inwiefern Geschlecht die Professionalisierung der Sozialen Arbeit beeinflusst (Gudrun Ehlert) über Gewaltdiskurse und deren Bedeutung für die sozialarbeitswissenschaftliche Geschlechterforschung (Margit Brückner) bis hin zum Fokus auf unterschiedliche Lebensalter. Regina-Maria Dackweiler, Reinhild Schäfer, Angela Merkle und Franziska Peters ergründen das Geschlechterwissen zu Gewalt in Paarbeziehungen Älterer. Yvonne Rubin widmet sich geschlechtsbezogenen Ungleichheiten in der Versorgung älterer Personen durch freiwillig Engagierte.

Das andere Ende der Altersspanne beschäftigt Melanie Kubandt, die sich mit der Zweigeschlechtlichkeit als sozialpädagogischem Fokus in Kindertagesstätten auseinandersetzt. Svenja Garbade nimmt mit den Jüngsten arbeitende Fachkräfte in den Blick. Sie arbeitet Genderkonstruktionen bei Fachpersonal in der Krippe und deren methodische Konsequenzen für eine geschlechterreflexive Haltung heraus.

Lotte Rose und Judith Pape thematisieren Geschlechterordnungen in der Familie, indem sie der Positionierung des Vaters in Bildungsangeboten zur Geburt und ersten Lebenszeit des Kindes auf den Grund gehen. Reflexive Überlegungen zur Datenkonstruktion zum Verständnis von Gender in Interviews mit Fachkräften der Schulsozialarbeit beleuchtet Heike Rainer.

Auch in den weiteren Beiträgen wird die große Bandbreite der Geschlechterforschung für die Soziale Arbeit deutlich: Susanne Fegter und Kim-Patrick Sabla beschäftigen sich mit Professionalität und Geschlecht als diskursive Konstruktionen in Äußerungen (sozial-) pädagogischer Fachkräfte und thematisieren theoretische und methodologische Überlegungen im Kontext rekonstruktiver Professionsforschung.

Über den Zusammenhang von Lebenswelt, Care und Geschlecht skizziert Barbara Thiessen Impulse der Care-Theorien für die sozialarbeitswissenschaftliche Geschlechterforschung. Sie plädiert für eine Rekonzeptualisierung von partizipativer Gestaltung des Gemeinwohls und demokratischer Mitbestimmung. Dafür könnte (laut Thiessen) Care als Leitkategorie dienen.

Auch Maria Bitzan bezieht sich auf partizipative Ansätze. Hier mit Bezug auf Praxisforschung, indem sie (verdeckte) Machtstrukturen in der Forschung und die Verwobenheit unterschiedlicher Macht- und Ungleichheitsverhältnisse als methodologische Herausforderungen reflektiert.

Thematisch ergänzt wird der Sammelband durch zwei Beiträge, die sich mit historischen Dokumenten auseinandersetzen. Dayana Lau nimmt die „Familienstudien der Berliner Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit (1930–1933) als frühe Ansätze der Geschlechterforschung in der Sozialen Arbeit“ in den Blick. Klemens Ketelhut betrachtet als einer der wenigen männlichen Vertreter in diesem Buch „Geschlechterkonstruktionen in (frühen) Projekten der parteilichen Mädchen- und antisexistischen Jungenarbeit“. Alexandra Roth und Elke Schimpf thematisieren in ihrem Beitrag, welche Relevanz der Forschungszugang und die Forschungssituation für die sozialarbeitswissenschaftliche Geschlechterforschung haben. Dorothee Schäfer und Alice Blum richten ihren Blick über den deutschsprachigen Tellerrand hinaus. Sie zeigen sexismus-, rassismus- und adultismuskritische Befunde einer Ethnografie zu sozialer Freiwilligenarbeit im Globalen Süden auf.

Lotte Rose und Elke Schimpf geben mit ihrer Einführung und ihrem abschließenden kritischen Statement den Rahmen des Buches. Sie wagen einen Rückblick und Ausblick zu diesem Buchprojekt zur sozialarbeitswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Sie postulieren, dass die Buchbeiträge einstimmig vom Paradigma der sozialen Konstruktion von Geschlecht ausgehen und sich in die hegemonialen Theoriediskurse der Genderstudies einordnen. Der theoretische Bezug zur Wissenschaft Soziale Arbeit wird dagegen häufig außen vorgelassen. Zudem kritisieren die Herausgeberinnen, die ausschließlich qualitative Ausrichtung der Forschungsarbeiten sowie die deutliche Überzahl der von Frauen verfassten Beiträge in diesem Buch.

Das Werk mag zunächst verwirren, da es keine einheitliche Begriffsbestimmung von sozialarbeitswissenschaftlicher Geschlechterforschung gibt, die allen Beiträgen zugrunde liegt. Dennoch sei es denjenigen Leser_innen ans Herz gelegt, die sich einen Einblick in die Thematik verschaffen wollen. Die Bandbreite der Geschlechterforschung, wenn auch zum Teil ohne Bezug zur Sozialen Arbeit und die Diskursivität im Feld werden in diesem Herausgeberwerk deutlich und fordern Interessierte zur Auseinandersetzung mit der Thematik der Rekonstruktion von Geschlechterverhältnissen und Sexualität als Forschungsgegenstand heraus.