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Der Mensch und seine Grammatik

2020
978-3-8233-9429-7
Gunter Narr Verlag 
Simon Kasper
10.2357/9783823394297
CC BY-SA 4.0https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Welchen Stellenwert hat die Kenntnis einer Grammatik für das Verhältnis des Menschen zur Welt und zu sich selbst? Und wofür braucht es Grammatik überhaupt, wenn grammatische Mehrdeutigkeit ohnehin meist unbemerkt bleibt und selten ein Verständnisproblem darstellt? Auf diese Fragen gibt Simon Kasper empirisch und theoretisch fundiert eine umfassende Antwort. Anhand einer historischen Korpusstudie an Paralleltexten dokumentiert er den erfolgreichen menschlichen Umgang mit Mehrdeutigkeit und liefert in der Folge einen anthropologischen Entwurf zum Verstehen, der sowohl der leiblichen Existenz des Menschen (Embodiment) als auch der Grammatizität seiner Sprache Rechnung trägt. Dabei bezieht er nicht nur Grundannahmen der Kognitiven Linguistik und der Philosophischen Anthropologie ein, sondern führt auch quantitative (Frequenz) und qualitative (Bedeutsamkeit) Ansätze der Sprachtheorie zusammen.

Der Mensch und seine Grammatik Simon Kasper Eine historische Korpusstudie in anthropologischer Absicht 18429_Kasper_SL5.indd 2 18429_Kasper_SL5.indd 2 20.08.2020 10: 54: 54 20.08.2020 10: 54: 54 Simon Kasper Der Mensch und seine Grammatik Eine historische Korpusstudie in anthropologischer Absicht 18429_Kasper_SL5.indd 3 18429_Kasper_SL5.indd 3 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 Die vorliegende Arbeit wurde im Winter 2019/ 2020 vom Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Habilitationsschrift angenommen. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-8233-8429-8 (Print) ISBN 978-3-8233-9429-7 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0044-1 (ePub) Umschlagabbildung: Simon Kasper auf Grundlage einer Grafik von pixabay.com Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 18429_Kasper_SL5.indd 4 18429_Kasper_SL5.indd 4 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 Meinem Vater 18429_Kasper_SL5.indd 5 18429_Kasper_SL5.indd 5 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 18429_Kasper_SL5.indd 6 18429_Kasper_SL5.indd 6 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 Inhalt Vorwort ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 11 Abkürzungsverzeichnis ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 13 1 Einleitung: Verstehen als Leistung ���������������������������������������������������������������������������������������� 15 1.1 Ein Alltagsphänomen ........................................................................................................... 15 1.2 (Be-)deuten und Interpretieren ......................................................................................... 17 1.3 Mehrdeutigkeit und Ausdeutbarkeit ................................................................................. 18 1.4 Verstehen ................................................................................................................................. 20 1.5 Deutungsautomatismen, Deutungsroutinen und Deutungsarbeit ............................. 23 1.6 Die „W“-Fragen des vorliegenden Buches ....................................................................... 26 1.7 Das Korpus und die verwendeten Bibelübersetzungen ................................................ 29 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur ����������������������������������������������������� 39 2.1 Sprachliche Konventionen und Verstehen ...................................................................... 39 2.1.1 Vom Privaten zum Öffentlichen ............................................................................ 39 2.1.2 Öffentlichkeit und sprachliche Konventionen .................................................. 40 2.1.3 Die Zwänge der Öffentlichkeit: Treue und Sparsamkeit ................................. 42 2.1.4 Die Zwänge der Öffentlichkeit: symbolische Auslagerungen ........................ 44 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur ................................................................. 47 2.2.1 Die Überstrukturiertheit sprachlicher Konventionen ...................................... 47 2.2.2 Vom Öffentlichen zum Privaten: ein erster geschummelter Versuch ........... 48 2.2.3 Das gemeinsame Private ......................................................................................... 56 2.2.4 Vom Öffentlichen zum gemeinsamen Privaten mit sprachlichen Eigenstrukturen ........................................................................................................ 57 2.2.5 Die Funktion eigenstrukturellen „Know-hows“ ................................................ 65 2.2.6 Die Zeitlichkeit des Interpretierens und wechselseitige Vorhersagbarkeit .... 67 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit ................. 68 2.3.1 Grenzen der Sprachkonventionen: eigenstrukturell vermittelte Mehrdeutigkeiten ..................................................................................................... 68 2.3.2 Grenzphänomene: die bewegliche Grenze der Eigenstruktur ....................... 75 2.3.3 Der Einfluss der Schrift auf die sprachliche Eigenstruktur ............................ 84 2.3.4 Zu den morphologischen Eigenstrukturen in den Sprach(stuf)en ............... 91 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise ....................................................... 92 2.4.1 Die Beziehung der eigenstrukturellen Hinweise zueinander ......................... 92 2.4.2 Synchronische und diachronische, globale und lokale, Offline- und Online-Betrachtungsweisen ................................................................................... 92 2.4.3 Zurückhaltung bezüglich der instruktiven Mittel .......................................... 101 18429_Kasper_SL5.indd 7 18429_Kasper_SL5.indd 7 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 8 Inhalt 2.4.4 Die zu untersuchenden Sprach(stuf)en ............................................................. 102 2.4.5 Wo morphologische Differenzen bleiben: morphologisches Minimum .... 107 2.5 Eigenstrukturen und Übersetzungstechniken .............................................................. 108 2.6 Die vorgestellten generalisierten Leserinnen ............................................................... 114 2.7 Der instruktive Wert der Prosodie beim Lesen-für-sich ............................................ 114 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise .................................................. 117 2.8.1 Vorgehen, Klassifikationskategorien, kontrollierte Bedingungen .............. 117 2.8.2 Morphologische Mehrdeutigkeit ......................................................................... 122 2.8.3 Syntaktische Mehrdeutigkeit (Reihenfolge) ..................................................... 135 2.8.4 Zusammenfassung zu den eigenstrukturellen Hinweisen insgesamt ........ 170 2.9 Bedeutung für die Ausgangshypothese ......................................................................... 176 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise ������������������������������������������������������������������������ 179 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff ..................................... 180 3.1.1 Belebtheit aus der synchronischen Offline-Perspektive ................................ 183 3.1.2 Belebtheit aus der diachronischen Offline-Perspektive ................................. 187 3.1.3 Belebtheit aus der synchronischen Online-Perspektive ................................ 189 3.1.4 Update der Hypothese ........................................................................................... 191 3.2 Akzessibilität: Gegenstände im Gedächtnis und die Wahl ihrer Ausdrucksform .... 192 3.2.1 Akzessibilität aus der synchronischen Offline-Perspektive ........................ 194 3.2.2 Akzessibilität aus der diachronischen Offline-Perspektive .......................... 196 3.2.3 Update der Hypothese ........................................................................................... 198 3.3 Weitere Kandidaten? ........................................................................................................... 199 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise (I) .................................... 201 3.4.1 Differenzierung nach Satzgliedbeziehung (I-VI) ............................................ 202 3.4.2 Differenzierung nach realisierten und imaginären Satzgliedern (1-10/ 1-5) ......................................................................................... 208 3.5 Bedeutung für die Belebtheits- und Akzessibilitätshypothesen ............................... 213 3.6 Satzgliedreihenfolge: außergrammatisch betrachtet ................................................... 216 3.6.1 Ein Ort, sie zu knechten, sie alle zu binden ...................................................... 217 3.6.2 Update der Hypothese ........................................................................................... 217 3.7 Der Analyse dritter Teil: außergrammatische Hinweise (II) ..................................... 218 3.8 Bedeutung für die Belebtheits- und Reihenfolgehypothese ...................................... 222 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze ���������������������������� 225 4.1 Grenzen der philologisch-sprachwissenschaftlichen Innenperspektive ................ 229 4.1.1 Ein lokales synchronisches Offline-Filtermodell ............................................. 229 4.1.2 Manche Äußerung(styp)en sind gleicher als andere ...................................... 231 4.1.3 Gebrauchsfrequenz als Lösung ............................................................................ 233 4.1.4 Gebrauchsfrequenz als Problem .......................................................................... 235 4.2 Der Schwenk zur Außenperspektive .............................................................................. 237 4.2.1 Die Reihenfolge von Agens- und Patiens-Satzgliedern sprachenübergreifend ............................................................................................ 238 18429_Kasper_SL5.indd 8 18429_Kasper_SL5.indd 8 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 Inhalt 9 4.2.2 Die Agens zuerst-Präferenz im inkrementellen Sprachverstehen .............. 239 4.2.3 Der Schluss von humanen Ursachen auf echte Agenten .............................. 241 4.2.4 Die Zuverlässigkeit/ Verbindlichkeit von Hinweistypen ............................... 242 4.2.5 Bedeutsamkeit als Gelenkstelle ........................................................................... 243 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz .......................................................... 245 4.3.1 Salienz und Pertinenz im Alltag .......................................................................... 245 4.3.2 Die sensomotorische Linie Geschlossenheit - Salienz - Verhalten - Automatismus - vitale Funktionen .................................................................... 248 4.3.3 Die ideomotorische Linie Offenheit - Pertinenz - Handlung - Routine - Zwecke ...................................................................................................................... 250 4.3.4 Der Leib, Routinisierung und die Aspektvereinseitigung von Vorstellungen .......................................................................................................... 253 4.3.5 Die Fünfte im Bunde: Effizienz ............................................................................ 259 4.3.6 Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste: Effizienz online ......................... 261 4.3.7 Die Präferenz für verantwortliche Ursachen im inklusiven Handlungskreis ....................................................................................................... 264 4.3.8 Belebtheit auf der Salienzlinie ............................................................................. 266 4.4 Der Blick zurück auf die außergrammatischen Hinweise ......................................... 270 4.4.1 Rekapitulation ......................................................................................................... 270 4.4.2 Außergrammatische Hinweise im inklusiven Handlungskreis ................... 271 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur .................................................. 276 4.5.1 Die Interventionsleistung eigenstruktureller Hinweise ................................ 277 4.5.2 Die Stattgabefunktion der eigenstrukturellen Hinweise ............................... 279 4.5.3 Animal symbolis interveniens: mit Symbolen gegen die Suggestionen von innen .................................................................................................................. 280 4.6 Die Antworten des vorliegenden Buches ...................................................................... 288 4.6.1 Was steht womit in welcher Beziehung? .......................................................... 289 4.6.2 Was kann ich (jetzt) tun? ...................................................................................... 293 5 Literaturverzeichnis ������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 295 5.1 Quellentexte .......................................................................................................................... 295 5.2 Übersichtswerke zur Syntax und Grammatik von Sprach(stuf)en .......................... 296 5.3 Forschungsliteratur ............................................................................................................. 298 Anhang: Paradigmen ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 319 A.1 Altenglisch ........................................................................................................................... 319 A.2 Mittelenglisch ...................................................................................................................... 321 A.3 Althochdeutsch ................................................................................................................... 323 A.4 Mittelhochdeutsch .............................................................................................................. 325 A.5 Frühneuhochdeutsch ......................................................................................................... 327 A.6 Neuhochdeutsch ................................................................................................................. 329 A.7 Hochalemannisch ............................................................................................................... 331 A.8 Nordniederdeutsch ............................................................................................................. 333 18429_Kasper_SL5.indd 9 18429_Kasper_SL5.indd 9 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 10 Inhalt Abbildungsverzeichnis �������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 337 Tabellenverzeichnis ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 343 Register ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 345 18429_Kasper_SL5.indd 10 18429_Kasper_SL5.indd 10 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 11 Vorwort Ich habe versucht, ein Buch zu schreiben, das jede Leserin mit linguistischen Grundkenntnissen mit Gewinn lesen kann, das aber auch der interessierten Forschungscommunity noch Impulse geben kann. Ohne Kompromisse ließ sich das nicht bewerkstelligen. So habe ich speziell in den sprachtheoretischen Kapiteln und Abschnitten mit Literaturverweisen gespart. Dass ich William James, Karl Bühler, Ernst Cassirer, Arnold Gehlen, Alfred Schütz und Thomas Luckmann, Peter Janich, den generativen, kognitiv-funktionalen, Inhalts- und Ausdrucks-, Dependenz- und Valenzgrammatiken viele Anlässe für An- und Abgrenzungen verdanke, werden Eingeweihte dennoch bemerken - und auch so sind die Verweise nicht wenige. Meine Bemühungen gingen dahin, eine empirisch gestützte, kohärente und lebensweltnahe Skizze über den Zusammenhang von grammatischen Signalisierungsmitteln, ihrer Interpretation und der leiblich-psychischen Verfasstheit des Menschen zu entwerfen. Dem Ziel, diesen Entwurf geschlossen, kontinuierlich und nachvollziehbar darzustellen, habe ich bereitwillig den Anspruch untergeordnet, jeden möglichen Bezug zur Forschung explizit zu machen. Das betrifft auch den weitgehenden Verzicht auf eine Terminologie, die an Einzeltheorien gebunden ist, aber fürs Ganze versagt. Der Geschlossenheit ist es geschuldet, dass ich im Einleitungskapitel bereits Voraussetzungen mache, die ich erst spät vollends einlösen kann. Der Lebensweltnähe soll es geschuldet sein, dass diese Voraussetzungen nicht zu sehr auffallen und das Buch dennoch von Beginn an nachvollziehbar ist. Was meinen Genusgebrauch bei Personenbezeichnungen angeht, der manchen Leser zum Nachfragen veranlasst hat, bin ich folgendermaßen verfahren: Auf bestimmte literarische oder historische Figuren(gruppen) beziehe ich mich mit dem entsprechenden Genus. Beispielsweise verwende ich für die historisch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit männliche Gruppe von Bibelschreibern und -übersetzern das Maskulinum. Für Personenbezeichnungen, die niemand Bestimmtes, aber potentiell Sie, mich und andere meinen könnten, habe ich kurzerhand Rollen verteilt. So rechne ich beispielsweise mit Leserinnen und Interpretinnen für die besprochenen Texte. Die entsprechenden Aussagen gelten selbstverständlich auch für jeweils andersgeschlechtige Personen, die ich für diese Rollen nicht besetzt habe. Die Zahlenaffinen unter Ihnen, die sich nur für die Daten der Korpusstudie interessieren, denen der Vorlauf mit der Entwicklung der Hypothese aber zu basal oder zu lang ist und die sich nicht für die anthropologischen Implikationen interessieren, mögen folgende Abschnitte lesen: 1.6, 1.7, 2.8, 2.9, 3.4-3.8. Wem auch das noch zu viel ist und wer lediglich die Ergebnisse erfahren möchte, lese die Abschnitte 2.9, 3.7 und 3.8. Die Zahlenaversen unter Ihnen mögen das Buch von vorn nach hinten lesen und das lange Auswertungskapitel 2.8 bis auf Abschnitt 2.8.4 weglassen und auch auf Kapitel 3.4 verzichten. Wer meinen Erklärungsversuch für die Ergebnisse in den Kapiteln 2.9, 3.7 und 3.8 kennenlernen möchte, mit Grammatik aber sonst nicht so viel am Hut hat, nehme sich Kapitel 4 vor. Das Buch führt zusammen, was der Sache nach zusammengehört, was ich aber bisher getrennt behandelt habe: die Sprachtheorie in Form meiner Instruktionsgrammatik und die variationslinguistische Empirie. Anlass dieser Zusammenführung bot der LOEWE-Schwerpunkt 18429_Kasper_SL5.indd 11 18429_Kasper_SL5.indd 11 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 12 Vorwort „Fundierung linguistischer Basiskategorien“, der von 2012 bis 2015 an der Philipps-Universität Marburg beheimatet war und sich auf syntaktisch-semantischer Seite mit der Beziehung von Serialisierung, Morphologie und Belebtheit beschäftigte. Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit ist aus diesem Projekt erwachsen. Mit dem theoretischen und anthropologischen Unterbau, der die ganze Sprache und den ganzen Menschen umfasst, befasse ich mich schon zehn Jahre länger. Empirischen Niederschlag hat das bereits im SyHD-Projekt gefunden, derzeit schlägt sich manches davon in der Syntaxerhebung im Projekt „Regionalsprache.de“ (REDE) nieder. Für die im LOEWE-Projekt geleisteten Vorarbeiten, von denen ich zehren konnte, danke ich herzlich Magnus Birkenes, Ina Bornkessel-Schlesewsky, Alexander Dröge, Max Düngen, Sophie Ellsäßer, Felix Esser, Jürg Fleischer, Giulia Grassi, Axel Harlos, Sara Hayden-Billion, Julia Hertel, Mícheál Hoyne, Greta Kaufeld, Paul-André Meÿer-Magis, Erich Poppe, Elisabeth Rabs, Elisabeth Rieken, Jürgen Erich Schmidt, Michael Waltisberg, Stefan Weninger, Alexander Werth und Paul Widmer. Darüber hinaus hat mir die Zusammenarbeit großen Spaß bereitet. Alle Datenbankklassifikationen stammen von mir, Vorarbeiten anderer habe ich vollständig überprüft und überarbeitet. Darum stehe ich selbstverständlich für alles Kritikwürdige gerade. Für die Programmierung der Datenbank auf der REDE-Oberfläche danke ich Frank Nagel, bei allen weiteren technischen Angelegenheiten haben mir die REDE-Kollegen Dennis Bock, Robert Engsterhold, Slawomir Messner und Raphael Stroh geholfen. Für Korrekturen am Manuskript danke ich Lars Bieker, Merle Gudjons, Robin Kropf und Lena Stutz. Ich danke für inhaltliche Ratschläge und Anregungen Magnus Birkenes, Michael Cysouw, Jürg Fleischer, Damaris Nübling, Wolfgang Klein, Oliver Schallert, Jürgen Erich Schmidt, Augustin Speyer und Alexander Werth. Für die fruchtbaren Diskussionen und ausführliches Feedback danke ich Vilmos Ágel, Christoph Purschke, Jürgen Erich Schmidt, Hanni Schnell und Alexander Werth. Ich danke Valeska Lembke vom Narr Verlag für die professionelle und angenehme Zusammenarbeit. Ich danke Jürgen Erich Schmidt für seine seit 2008 ununterbrochene Unterstützung und sein fortgesetztes Vertrauen in das, was ich tue. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie und meinen Freund_innen für alles, was dazugehört. Simon Kasper Marburg (Lahn), August 2020 18429_Kasper_SL5.indd 12 18429_Kasper_SL5.indd 12 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 13 Abkürzungsverzeichnis Bei gleichen Abkürzungen erscheint diejenige in Großbuchstaben in Glossierungen, die jeweils andere außerhalb von Glossierungen. 1 1. Person 2 2. Person 3 3. Person AKK / Akk Akkusativ D Diathese DAT / Dat Dativ Def Definitheit DET Determinierer DO direktes Objekt F / f Femininum Finit Finitheit G Genus GEN / Gen Genitiv IND / Ind Indikativ INDEF Indefinitpronomen IMP Imperativ IO indirektes Objekt K Kasus KONJ Konjunktion KONJ Konjunktiv M / m Maskulinum MD Modus N [im Strukturschema] Numerus N / n Neutrum N Nomen NOM / Nom Nominativ O Objekt P Person PL / Pl Plural POSS Possessivrelator PPP Partizip Perfekt Passiv PRÄS Präsens PRÄT Präteritum PRO Pronomen PTZII Partizip II REL Relativierer 18429_Kasper_SL5.indd 13 18429_Kasper_SL5.indd 13 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 14 Abkürzungsverzeichnis TP Tempus S Subjekt SG / Sg Singular SUBJ / Subj Subjunktiv V (finites) Verb X Satzglied 18429_Kasper_SL5.indd 14 18429_Kasper_SL5.indd 14 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 1.1 Ein Alltagsphänomen 15 1 Einleitung: Verstehen als Leistung Man könnte (und, wie ich denke, mit gutem Recht) behaupten, die Unfähigkeit, sich bei der Suche nach einer Sicherheit, wie sie Menschen möglich ist, auf das Handeln zu konzentrieren, sei ein Überbleibsel der Unfähigkeit der Menschen auf jenen Stufen der Zivilisation, auf denen sie erst wenige Mittel besaßen, um die Bedingungen zu regulieren und nutzbar zu machen, von denen das Eintreten der Folgen abhängt. Solange der Mensch unfähig war, mit Hilfe der Künste der Praxis den Lauf der Ereignisse zu lenken, war es für ihn natürlich, einen emotionalen Ersatz zu suchen; mangels wirklicher Gewißheit inmitten einer prekären und vom Zufall bestimmten Welt kultivierten die Menschen alle Arten von Dingen, die ihnen das Gefühl der Sicherheit gaben. Und es ist möglich, daß die Kultivierung des Gefühls, wenn sie nicht bis zu einem illusorischen Punkt getrieben wurde, dem Menschen Mut und Vertrauen gab und ihn befähigte, die Last des Lebens leichter zu ertragen. (Dewey, Die Suche nach Gewißheit, S. 37) 1.1 Ein Alltagsphänomen Kurz nachdem Jesus von den römischen Soldaten ans Kreuz geschlagen worden war, traten seine Mutter Maria und der Lieblingsjünger Jesu vor das Kreuz. Im Bewusstsein, dass mit seinem Tod sowohl der Jünger als auch Maria den wichtigsten Menschen in ihrer beider Leben verlieren würden, erklärte Jesus, vom Kreuz herabsprechend, Maria und seinen Lieblingsjünger zu Mutter und Sohn. In Emil Webers hochalemannischer Bibelübertragung berichtet uns der Evangelist Johannes im anschließenden 27. Vers des 19. Kapitels Folgendes: (1) Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich naa. von jener an hat genommen (Hochalemannisch, S Nöi Teschtamänt, Weber [1997]) Eine Leserin, die die Bibel in ihrer eigenen Muttersprache lesen möchte und die Geschichte noch nicht in allen Details kennt, liest vielleicht einfach über diese Stelle hinweg und geht nun davon aus, dass Maria, Jesu Wunsch entsprechend, den Jünger bei sich aufgenommen hat. Möglicherweise wird sie überrascht sein, wenn diese Stelle in einem Gespräch mit einem Zürcher Zeitgenossen zur Sprache kommt und dieser den Glauben äußert, nicht Maria habe den Jünger, sondern umgekehrt der Jünger Maria zu sich genommen. Der Zeitgenosse mag seinerseits überrascht von der Annahme sein, dass es anders sein könnte. Wenn sie gemeinsam die entsprechende Stelle nachschlagen, um zu überprüfen, wie es nun tatsächlich erzählt wird, werden sie feststellen, dass es nicht entscheidbar ist: Das Pronomen si , mit dem hier auf Maria referiert wird, und die Form de Jünger können beide sowohl den Nominativ als auch den Akkusativ darstellen und beide kongruieren in Person und Numerus mit dem Auxiliar hät . Da Satzsubjekte im zürichdeutschen Hochalemannischen im Nominativ stehen und mit 18429_Kasper_SL5.indd 15 18429_Kasper_SL5.indd 15 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 16 1 Einleitung: Verstehen als Leistung dem finiten Verb kongruieren und da (direkte) Objekte von nèè ‚nehmen‘ im Akkusativ stehen, können hier beide Ausdrücke, morphologisch gesehen, sowohl als Subjekt als auch als Objekt fungieren. Auch sind die Funktionen der beiden Ausdrücke nicht über ihre Position im Satz unterscheidbar. Die Form der Äußerung gibt Leserinnen also keinen Aufschluss darüber, wer hier wen zu sich nahm. Plausibilitätserwägungen, also inhaltliche Erwägungen auf Basis durchschnittlichen Weltwissens, könnten ergeben, dass Maria durch ihre Mutterrolle legitimiert gewesen wäre, den Jünger, und der Jünger qua Gender, die Frau zu sich zu nehmen. Für hochalemannische Leserinnen ist dieser Satz also grammatisch mehrdeutig und sie werden weder in diesem Satz noch in einem vorangehenden oder nachfolgenden Satz einen zuverlässigen Hinweis darauf finden, wie er denn nun richtig zu interpretieren ist. Äußerungen, die anders interpretierbar sind, als ein Sprecher oder Schreiber es beabsichtigt hat, sind schnell produziert und die Mehrdeutigkeit bleibt auch leicht unbemerkt, sowohl für den Urheber der Äußerung als auch für die Interpretierende, die sie verstehen möchte. (Wer hat beispielsweise bemerkt, dass der vorangehende Relativsatz der Form nach mehrdeutig ist? ) Dass sprachliche Äußerungen bisweilen mehrdeutig sind, gehört zu den Alltagsbeobachtungen der meisten Menschen. Dabei werden die Mehrdeutigkeiten sehr häufig aber deswegen gar nicht bemerkt, weil sie folgenlos bleiben. Sie können einerseits folgenlos bleiben, weil sie für die Lebenspraxis irrelevante Bedeutungsnuancen betreffen. Dass wir etwas falsch interpretiert haben, bemerken wir nur, wenn in der Folge der Interpretation etwas schiefgeht, was mit der Interpretation zu tun hat. Eine Interpretation aufgrund unsicherer Indizienlage ist eine bloße Annahme, auf deren Basis wir weiter handeln und die von unserer nichtsprachlichen Praxis oder kommunikativ von anderen Personen als falsch erwiesen werden kann, aber nicht muss. Die Annahme wird dann entweder modifiziert und eventuell als besser gesicherte Annahme beibehalten oder sie bleibt unverändert bestehen. Es ist gut möglich, dass unsere fiktive hochalemannische Leserin den Satz in Johannes 19, 27 falsch interpretiert hat, er aber nie wieder zur Sprache kommt und sie bis an ihr Lebensende davon ausgeht, dass Maria den Jünger zu sich genommen hat. Oder sie vergisst das Ganze. Unbemerkte Mehrdeutigkeiten können andererseits auch deswegen folgenlos bleiben, weil sie trotz der formalen Mehrdeutigkeit richtig, das heißt im Sinne des Urhebers, interpretiert werden, wie im Falle des Relativsatzes oben. (2) Grandmother of Eight Makes Hole in One Ob diese (kolportierte 1 ) Schlagzeile in dem Bewusstsein formuliert wurde, dass sie mehrdeutig ist, und wie viele Leserinnen sie nur auf eine Art interpretiert haben, wissen wir nicht. Aber wer sich den Sportteil einer Zeitung vornimmt, geht mit bestimmten Erwartungen an die entsprechenden Schlagzeilen und Artikel. Wenn dort dann die Rede von einem Hole in One ist, wird dies sehr wahrscheinlich als sportliches Erfolgserlebnis beim Golf interpretiert - das Einlochen mit einem Schlag auf einem Loch, für das drei Schläge vorgesehen sind -, weil dies bereits im Erwartungshorizont der Leserin gelegen hat. Widmet man sich dagegen dem Gesellschaftsteil einer Zeitung und entdeckt die gleiche Schlagzeile dort, erwartet man eher, dass die Rede von Menschen ist, die andere Menschen zu deren Leidwesen mit Löchern versehen, und interpretiert die Schlagzeile entsprechend. Das Beispiel zeigt, dass Erwartungen, 1 www.departments.bucknell.edu/ linguistics/ synhead.html [28.05.19]. 18429_Kasper_SL5.indd 16 18429_Kasper_SL5.indd 16 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 1.2 (Be-)deuten und Interpretieren 17 die leitend für die Interpretation einer Äußerung werden können, nicht nur durch die grammatischen Eigenschaften von Sprachen aufgebaut werden können, wie sie sich in konkreten Äußerungen und deren sprachlichem Begleittext zeigen, sondern auch von außerhalb der sprachlichen Struktur kommen können. Je stärker sprachliche Äußerungen zur Erreichung praktischer (nichtsprachlicher oder sprachlicher) Zwecke eingesetzt werden, desto höher, so scheint es, ist die Wahrscheinlichkeit, dass falsche Interpretationen im Rückblick bemerkt werden. Nichtsprachliche Handlungen infolge von Kochrezepten, Bauanleitungen oder Wegbeschreibungen, die unmittelbare praktische Relevanz haben, sind gute Beispiele, um zu zeigen, wie Fehlinterpretationen, die aufgrund von Mehrdeutigkeiten entstanden sind, spürbare Folgen haben können und wie diese Folgen auf die Interpretation und die Äußerung zurückverweisen. 1.2 (Be-)deuten und Interpretieren Anstatt interpretieren hätte ich bisher auch deuten schreiben können. Mit beidem bezeichne ich dieselbe Tätigkeit einer Person. Wenn wir statt der Verben die Substantive Interpretation oder Deutung verwenden, tritt der Tätigkeitsaspekt in den Hintergrund und der Resultatsaspekt in den Vordergrund, im Sinne einer abgeschlossenen Interpretation oder Deutung. Den Ausdruck etwas bedeuten im Sinne von ‚mit einer Deutung versehen‘ hätte ich ebenso verwenden können, er ist heute aber abseits von hermeneutischen Diskursen kaum noch gebräuchlich. Das agentive Verb bedeuten betont den konstruktiven Aspekt des Deutens stärker als die anderen beiden Verben. Damit meine ich, dass wir, wenn wir etwas deuten, die Deutung eher aus einem Phänomen herauslesen, während wir, wenn wir etwas bedeuten, sie in das Phänomen hineintragen. Beim Substantiv Bedeutung ist aber nicht nur die Tätigkeitslesart zugunsten einer Resultatslesart verloren gegangen. Die Substantivierung hat uns auch nachhaltig davon entbunden, den Handlungsträger des Bedeutens zu nennen. Niemand sagt, er habe dieses oder jenes so oder so bedeutet . Dadurch ist auch der - man muss es so sagen - Bedeutungsaspekt weitgehend verloren gegangen, dass Bedeuten eine individuelle konstruktive Tätigkeit ist. Stattdessen wird mit der Bedeutung eines Phänomens etwas Fertiges und Überindividuelles bezeichnet, das man nur abzupflücken braucht, das mit dem konstruktiven Deuten, das jede Interpretierende an einem Phänomen selbst vornehmen muss, kaum mehr etwas zu tun hat. Vor dem Hintergrund eines konventionalisierten Zeichen- und Zeichenverknüpfungssystems wie der hochalemannischen (und jeder anderen natürlichen) Sprache mag die Äußerung in (1) der Leserin relativ enge Grenzen dafür setzen, wie sie die Äußerung hinsichtlich ihres Gehalts konstruktiv bedeuten kann. Sie mag sich den Ort, die Personen und was sie tun auf individuelle Weise vorstellen, so dass diese Vorstellung mit keiner Vorstellung identisch ist, die jemand anderes vornimmt, wenn er dieselbe Äußerung interpretiert. Wir können uns Vorstellungen durchaus bildhaft vorstellen, so wie Wahrnehmungen, nur dass die äußeren Reize fehlen. Die Vagheit der Ausdrücke in der Äußerung erlaubt der Phantasie einigen Spielraum, aber diese Vagheit ist etwas anderes als Mehrdeutigkeit. Die Eckdaten der sprachlich vermittelten Vorstellung - grob gesprochen, was wo wie und wann womit in welcher Beziehung steht - sind konventionalisiert. 18429_Kasper_SL5.indd 17 18429_Kasper_SL5.indd 17 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 18 1 Einleitung: Verstehen als Leistung Diese Konventionalität setzt nicht nur der Ausdeutbarkeit der Äußerung enge Grenzen, also ihrem Bedeutungspotenzial, sondern sie ist auch konstitutiv für ihre Zwei deutigkeit. Ohne die sprachlichen Konventionen wäre diese Äußerung als bloße Sequenz von Geräuschen beinahe beliebig bedeutbar. Unter Berücksichtigung der sprachlichen Konventionen wird die Ausdeutbarkeit der grammatisch mehrdeutigen Äußerung lediglich etwas offener, als es eine grammatisch eindeutige Äußerung wäre, nämlich zweideutig. 1.3 Mehrdeutigkeit und Ausdeutbarkeit Der konstruktive Aspekt des Bedeutens wird vielleicht offensichtlicher, wenn man die Tätigkeit des Bedeutens jenseits der Sprache in den Blick nimmt. Mehrdeutigkeit - oder besser gesagt, unterschiedliche Ausdeutbarkeit - begegnet uns nicht nur in der Sprache. Vielmehr ist sie ein allgegenwärtiges Phänomen. Was immer wir wahrnehmen - einen auf uns zulaufenden Hund, einen Geruch, ein Geräusch, ein Bild vor unserem inneren Auge - versehen wir automatisch oder routinemäßig mit einer Deutung, das heißt wir be-deuten es. Es gibt wohl kein Phänomen, das nicht verschiedenartig deutbar wäre. Phänomene zu deuten ist so basal, weil unsere menschliche Existenz ohne diese Tätigkeit nicht denkbar wäre. Es hält uns in der spezifisch menschlichen Weise reaktions- und handlungsfähig. Um nur die äußeren Extreme zu nennen: Es schützt uns vor Gefahren für Leib und Leben, eröffnet uns Handlungsmöglichkeiten für selbstgesetzte Zwecke und erlaubt uns, unsere Gene in einer Weise weiterzugeben, die für die Reproduktion aussichtsreich ist. Wir deuten Phänomene in jedem wachen Moment. Diese lebenserhaltenden und lebensermöglichenden Funktionen des Bedeutens geben die Hinsichten vor, in denen wir Phänomene deuten. Als Annäherung an diese Hinsichten können uns die deutschen W -Wörter dienen: Was oder wer ist es (zum Beispiel: Freund oder Feind)? Wo ist es (zum Beispiel: zu nah)? Woher kommt es (zum Beispiel: Ist da noch mehr davon)? Was oder wer hat es verursacht (zum Beispiel: Warum passiert es)? Wohin geht es (zum Beispiel: Hört es auf)? Zusammen: • Was steht womit in welcher Beziehung? Die Antworten auf diese Fragen, das Deuten von Phänomenen, stehen im Dienst einer übergeordneten Frage: • Was kann ich (jetzt) tun? Unsere wachen Momente sind in der Regel nicht dadurch gekennzeichnet, dass wir interesselos dasitzen und Eindrücke auf uns einströmen lassen, obwohl so manches kognitionswissenschaftliche Laborexperiment unter dieser Prämisse durchgeführt zu werden scheint. Stattdessen bewegen wir uns die meiste Zeit aktiv durch unsere Umwelt und versuchen, unsere kleinen (Tasse nehmen) oder großen (Raketenwissenschaftlerin werden) Ziele zu erreichen. Daher verwundert es kaum, wenn die Antworten auf die obigen W -Fragen, die uns alle ständig betreffen, bei verschiedenen Personen in derselben Situation oder bei derselben Person in verschiedenen Situationen, unterschiedlich ausfallen. Wie unsere Deutungen ausfallen, ist abhängig von unserer menschlichen Physis und Kognition, von sozialen Normen und Konventionen, von der inneren und äußeren Situation, in der 18429_Kasper_SL5.indd 18 18429_Kasper_SL5.indd 18 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 1.3 Mehrdeutigkeit und Ausdeutbarkeit 19 wir uns gegenwärtig befinden, und von dem, was ich die „-enz“-Faktoren von Phänomenen nenne: ihrer Salienz, Pertinenz, Frequenz und Rezenz. 2 Salienz betrifft die Auffälligkeit von Phänomenen in der Wahrnehmung, noch bevor sie als etwas ( Was ist es? ) erkannt wurden. Auffällige Phänomene sind diejenigen, die überhaupt erst Gegenstand der W -Fragen werden, zum Beispiel ein Knall oder etwas, das sich in unser Sichtfeld bewegt und dadurch unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Pertinenz betrifft die Relevanz von Phänomenen vor dem Hintergrund unserer gegenwärtigen Handlungsziele und -interessen. In verschiedenen Situationen kann das gleiche Phänomen (zum Beispiel das Schild Frische Kreppeln ) aufgrund verschiedener Pertinenzen (durch Hunger gegenüber Magen-Darm-Grippe) in Hinsicht auf die Frage Was kann ich tun? verschieden bedeutet werden. Was ich tun kann, verengt sich in Abhängigkeit von der Pertinenz eines Phänomens darauf, was ich tun will. Frequenz betrifft die Auftretenshäufigkeit von Phänomenen in Beziehung zu anderen Phänomenen. Jemand, der schon mehrmals von einem Hund verletzt wurde, wird das Herannahen eines Hundes mit einer anderen Bedeutung versehen als ein durchschnittlicher deutscher Hundezüchter, dem gewöhnlich nur die Hand abgeschlabbert wird. Was oft zusammen in einem bestimmten Kontext auftritt, wird leichter zusammen erinnert und dafür liegt in entsprechenden Kontexten leichter ein Deutungsrezept samt Deutungsroutine bereit. Das kann auch das gemeinsame Auftreten von grammatischen Form(typ)en und Funktionen betreffen. Wenn eine immer die Form gib am Satzanfang wahrgenommen hat und (erfolgreich) als Befehl, etwas zu geben interpretiert hat, wird sie die Form auch beim nächsten Auftreten so interpretieren. Tatsächlich scheint der Frequenz eine große Bedeutung in der Sprache zuzukommen. Ähnliches wie für frequente Phänomene gilt auch für rezente Phänomene, also solche, die kurz vor dem Wahrnehmungsereignis schon einmal wahrgenommen und gedeutet wurden. Die früher vorgenommene Deutung ist leichter wieder zu aktualisieren als eine davon abweichende. Die Grenzen hinsichtlich der Möglichkeit, einem Phänomen Bedeutung zuzumessen - und damit seiner Ausdeutbarkeit - sind prinzipiell nur durch die kognitiven und physischen Schranken des Menschen gezogen. Die Breite der faktischen Bedeutungszuweisungen dürfte aber nicht viel geringer als die der möglichen sein. Kulturelle Variation besteht nicht nur hinsichtlich gravierender Unterschiede in den typischen Situationen, in denen Menschen sich befinden - im Kaffeehaus in Marokko, im Giraffengehege in Frankfurt, bis zum Hals im Sumpf bei den Pirah- - und damit hinsichtlich der salienten, frequenten und rezenten Phänomene, mit denen Menschen konfrontiert sind, sondern auch in der Ausprägung der Pertinenz-Systeme sowie in normativen Beschränkungen der Frage Was kann ich (jetzt) tun? auf die Frage Was darf, soll oder muss ich (jetzt) tun? . Ähnlich wie sprachliche Phänomene sind nichtsprachliche Phänomene nämlich ebenfalls nicht beliebig ausdeutbar. Auch ihre Deutungen sind durch soziale Konventionen begrenzt und unstatthafte Interpretationen führen zu Misserfolg. Das gilt beispielsweise für die Zuschreibung von Verantwortlichkeit. Im Zusammenleben von Menschen ist die Frage, ob jemand etwas verantwortlich - also geplant, kontrolliert, willentlich, bewusst - tut, tun kann oder getan hat, oder eben nicht, von überragender Bedeutung. Wir können aber mit unseren Sinnesorganen gar nicht erfassen, ob jemand etwas verantwortlich tut oder ob es ihm bloß passiert. Wenn Opa Willi jetzt noch ein Glas in der Hand hat, sich dann der Griff etwas lockert 2 In Kapitel 4 werden alle ausführlich wiederkehren und die Effizienz wird sich noch dazugesellen. 18429_Kasper_SL5.indd 19 18429_Kasper_SL5.indd 19 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 20 1 Einleitung: Verstehen als Leistung und das Glas zu Boden fällt, nehmen wir nicht wahr, ob er aus zweckrationalen Erwägungen den Griff gelockert hat, damit das Glas herunterfällt, oder ob ihm die Lockerung des Griffs aus Versehen widerfahren ist. Wir unterlassen in solchen Fällen die Interpretation aber nicht. Wir interpretieren jemandes Tun in solchen Situationen trotzdem hinsichtlich Verantwortlichkeit, aber eben nicht beliebig. Wenn sich jemand konsequent jedes auch noch so zufällige oder glückliche Widerfahrnis öffentlich als Verdienst zurechnet und gleichzeitig jemand anderem für jedes versehentliche Missgeschick ebenfalls öffentlich Verantwortlichkeit zuschreibt, dann wird dies sehr wahrscheinlich sozial sanktioniert werden. So können soziale Normen oder Konventionen der Ausdeutung von nichtsprachlichen Phänomenen Grenzen setzen. Eine sprachliche Äußerung ist nicht nur Anlass einer Deutungstätigkeit, wie derjenigen unserer Leserin des Beispiels in (1), sondern aus anderer Perspektive auch das Resultat einer solchen Deutungstätigkeit. Emil Weber hat mit der Äußerung Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa für die Leserinnen der Evangelien schon vieles verschieden Ausdeutbare in der berichteten nichtsprachlichen Situation ausgedeutet. Dabei hat er die Ausdeutung des Evangelisten Johannes in dessen griechischem Text vermittelt. Weber hat unter anderem das Geschehen in der Vergangenheit situiert ( hät … gnaa ), es in den Kontext früheren Geschehens gestellt ( Und … ), es innerhalb der Vergangenheit nochmals zeitlich verortet ( vo säbere Stund aa ) und er hat eine Aktivität des zu-sich-Nehmens ( … zue sich gnaa ) identifiziert. Johannes (und Emil Weber als Vermittler) hat all diese Deutungen anstatt unzähliger anderer möglicher Deutungen vorgenommen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Er hat etwas als ‚zu sich nehmen‘ gedeutet und es entsprechend sprachlich mitgeteilt. Das Phänomen, das der Deutung zugrunde lag, ist verschiedenartig ausdeutbar, etwa als ‚zufällig gemeinsam irgendwohin gehen‘, ‚zufällig hintereinander in die gleiche Richtung bewegen‘ oder ‚entführen‘, um nur einige naheliegende Deutungen zu nennen. Diese normen- und durch die „-enz“-Faktoren gefilterte Deutungsarbeit hat bereits Johannes (vermittelt durch Emil Weber) der Leserin abgenommen. Mit seiner Äußerung unterbreitet Emil Weber nun wiederum der Leserin ein Deutungsangebot, das sie zunächst einmal nachvollziehen muss, noch bevor sie es als angemessen anerkennen oder ablehnen kann. Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa ist also Emil Webers sprachkonventionengefilterter Ausdruck dieses Geschehens und er dient der Leserin als eine Anleitung zum Nachvollzug einer hinreichend ähnlichen Vorstellung dieses Geschehens. Der im gegenwärtigen Zusammenhang wichtigste Aspekt dieser Ähnlichkeit ist die Frage, was womit in welcher Beziehung steht. Und da ist Emil Webers sprachlich vermitteltes Deutungsangebot, anders als dasjenige Johannes’, wie wir sehen werden, mehrdeutig. Es sollte beinhalten, wer wen zu sich nimmt, und die Äußerung bietet der Leserin diesbezüglich si de Jünger an. 1.4 Verstehen Wenn sie sich anstrengt, kann sich unsere hochalemannische Leserin natürlich über alle Konventionen hinwegsetzen und die Äußerung Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa so individuell und konstruktiv bedeuten, wie sie möchte. Dabei sind ihr keine Grenzen gesetzt. Es sind durchaus Zwecke denkbar, vor deren Hintergrund solche unkonventionellen Interpretationen motiviert, also pertinent hinsichtlich eines Zweckes sind. Ob eine solche 18429_Kasper_SL5.indd 20 18429_Kasper_SL5.indd 20 20.08.2020 10: 54: 55 20.08.2020 10: 54: 55 1.4 Verstehen 21 Praxis aber alltäglicher gelungener Kommunikation zuträglich ist, ist eine andere Frage. Weite Teile unserer sprachlichen Interaktion koordinieren und organisieren andere sprachliche und nichtsprachliche Handlungen. Damit diese wiederum erfolgreich sind, ist es nötig, dass wechselseitige sprachliche Äußerungen von den Beteiligten nicht willkürlich interpretiert werden. Aber unter welchen Umständen können wir jetzt sagen, dass die Leserin Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa nicht nur interpretiert, sondern auch verstanden hat? Anders als fast alle anderen menschlichen Tätigkeiten scheint Deuten oder Interpretieren nicht misslingen zu können. Dabei kommt immer etwas heraus, was den Namen Deutung oder Interpretation verdient. Aber man kann erfolgreich oder erfolglos interpretieren, je nachdem, ob die Interpretation ihre Funktion erfüllt beziehungsweise zur Realisierung des Zweckes führt, für den sie das Mittel gewesen ist. Wenn ich im besten Wissen Diesel in mein Benzinfahrzeug fülle, um weiterfahren zu können, dann habe ich offenbar bestimmte Phänomene, unter anderem den Zapfhahn und das Fahrzeug, in irgendeiner Weise gedeutet, die sie mir zu Handlungsgegenständen macht, aber eben in einer Weise, die meinem Handlungserfolg nicht zuträglich ist. In diesem Moment habe ich vor dem Hintergrund meiner Ziele den Zusammenhang zwischen dem Zapfhahn, meinem Fahrzeug und der Möglichkeit des Weiterfahrens zwar gedeutet, aber nicht verstanden. Ähnlich verhält es sich zunächst mit sprachlichen Äußerungen. Eine Wegbeschreibung wird ein Umherirrender üblicherweise mit dem Zweck interpretieren, dass sie ihn über kurz oder lang zum gewünschten Ort bringt. Die Ankunft am Zielort ist ein Erfolgskriterium für die Interpretation beziehungsweise für das Verstehen der Wegbeschreibung. Aber anders als beim nichtsprachlichen Tankbeispiel ist hier noch eine andere Person involviert, die den Weg beschreibt und die - anders als der Zapfhahn - eigene Ziele verfolgt. Diese Person kann unterschiedliche Einstellungen zu dem einnehmen, was sie sagt. Sie kann den Zweck des Fragenden zu einem gemeinsamen machen und ihm nach bestem Wissen und Gewissen den Weg mitteilen. Sie kann aber auch einen anderen Zweck verfolgen, zum Beispiel den Fragenden zu belügen, damit er an einem anderen Ort als dem Gewünschten herauskommt. Ein sprachliches Ereignis ist also (mindestens) ein zweischichtiges Ereignis und muss daher auch auf jeder Schicht einzeln gedeutet werden. Meine obigen W -Fragen stellen sich einerseits für das Ereignis, in dem jemand Geräusche, Gesten oder Graphisches hervorbringt, also grob gesprochen für die Handlung des Äußerns. Sie stellen sich andererseits für das vokalisch, gestisch oder graphisch Geäußerte, also für das konventionell sprachlich Ausgedrückte. Beides muss interpretiert werden. Unser Umherirrender kann sowohl das, was die Auskunftgeberin tut , indem sie ihm den Weg beschreibt - zum Beispiel helfen oder belügen - als auch das, was sie in ihrer Äußerung mitteilt - den Weg zu einem Ort - verstehen oder missverstehen. Der Fragende kann also gleichzeitig den Äußerungsinhalt verstehen und trotzdem nicht seinen Zielort erreichen, weil er das, was seine Gewährsperson getan hat, indem sie ihm einen Weg beschrieb, missverstanden hat. Ähnlich wie beim Tanken lassen sich für das Verstehen der Äußerungshandlung prinzipiell praktische Kriterien angeben, nämlich praktischer Erfolg oder Misserfolg hinsichtlich des eigenen Ziels infolge der Interpretation. Kommt unser Umherirrender am Brauhaus statt am Bahnhof heraus und hat er den Äußerungsinhalt richtig interpretiert und ansonsten alles richtig gemacht (was ich hier voraussetzen möchte), kann er davon ausgehen, dass er die Handlung seiner Gewährsperson falsch gedeutet hat, beziehungsweise nicht verstanden hat, dass sie ihn also getäuscht hat. Unser Umherirrender könnte, am 18429_Kasper_SL5.indd 21 18429_Kasper_SL5.indd 21 20.08.2020 10: 54: 56 20.08.2020 10: 54: 56 22 1 Einleitung: Verstehen als Leistung Brauhaus statt am Bahnhof angekommen, wohin er eigentlich wollte, einer kompetenten und kooperativeren Zeitgenossin die Wegbeschreibung nacherzählen, die er befolgt hat. Wenn sie ihm sagt, dass die Wegbeschreibung den Weg zum Brauhaus, aber nicht zum Bahnhof richtig wiedergibt, weiß er, dass er die Wegbeschreibung verstanden, aber die Motive der Gewährsperson falsch verstanden hat. Auf diese Weise ist prinzipiell unterscheidbar, ob etwas oder jemand missverstanden wurde. Im Einzelfall wird aber bisweilen nicht mehr zu klären sein, ob die Äußerung oder die Handlung der Interaktionspartnerin oder beide missverstanden wurden, weil beide nicht mehr verfügbar sind. Im Falle unserer hochalemannischen Bibelleserin ist die Äußerung verfügbar, der Interaktionspartner, der Urheber der Äußerung, dagegen nicht, weder Emil Weber noch Johannes, der Evangelist. Die Interpretation der Leserin, ihre Antwort auf die Frage Was steht womit in welcher Beziehung? war ja, wie ich zu Anfang angenommen hatte, dass in Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa Maria den Jünger zu sich nahm. Ob sie damit die Äußerung auch verstanden hat, wird sie vielleicht nie erfahren, weil ihre Interpretation keine praktischen Folgen zeitigt, wie dies im Tankbeispiel und bei der Wegbeschreibung möglich wäre. Aber wir, die wir die Deutungen unserer Leserin deuten, können, möglicherweise im Unterschied zu ihr, trotzdem angeben, ob sie die Äußerung richtig oder falsch verstanden hat. Wir können dem Urheber der Äußerung aufgrund der Äußerung, die allen Konventionen der hochalemannischen Sprache folgt, zuschreiben, welche Vorstellung er davon gehabt haben muss, was in der berichteten Situation was ist, wo was ist und was womit in welcher Beziehung steht. Für grammatisch eindeutige Äußerungen ist es ohnehin möglich anzugeben, wie sie hinsichtlich der Frage zu verstehen sind, was in ihnen womit in welcher Beziehung steht. Für grammatisch mehrdeutige Äußerungen wie Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa kann man sich, zumindest im Falle der Bibel, mit der Textsorte behelfen. Das Neue Testament ist in ca. 1900 Sprachen übertragen und was in einer Bibel grammatisch mehrdeutig ist, ist in vielen anderen grammatisch eindeutig. 3 Das wird für die spätere Untersuchung von großem Nutzen sein. Wir können dagegen nicht viel Zuverlässiges darüber sagen, welche Ziele Weber und Johannes verfolgt haben, indem sie uns ihre neutestamentlichen Äußerungen vorgelegt haben. Nach eigener Aussage wollte Weber aber genau übertragen. 4 Damit verschöbe sich die Frage nach den Motiven und Zwecken zurück zu Johannes und würde zu einer theologischen. Aber beide haben sich schon in notwendiger Weise kommunikativ kooperativ gezeigt, indem sie uns Texte vorgelegt haben, die den Konventionen ihrer jeweiligen Sprache entsprechen. Wir können davon ausgehen, dass der Evangelist Johannes - der sich möglicherweise in der Rolle des Lieblingsjüngers Jesu selbst in der Frohen Botschaft untergebracht hat - seine Deutungen, mit welchen Motiven auch immer, mit seinen Äußerungen unmissverständlich kundtun wollte. In der altgriechischen Version der Evangelien, die Emil Weber seiner Übertragung Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa zugrunde gelegt hat, ist unser Beispielsatz nun auch grammatisch eindeutig. Dort repräsentiert ὁ μαθητὴς ( ho mathētēs) ‚der Jünger‘ eindeutig 3 www.die-bibel.de/ service/ pressebereich/ detailansicht/ news/ detail/ News/ komplette-bibel-jetzt-in-563sprachen-uebersetzt/ [28.05.19]. 4 Vgl. Weber (1997: 7-8). Man solle merken, so Weber, „dass es im Neuen Testament auch schwierige Sätze und Ausdrücke gibt und nicht alles aufgeht.“ (Weber 1997: 8; meine Übersetzung). Mit Genauigkeit meint er also den Verzicht darauf, die schwierigen Stellen der Vorlage in der Übersetzung verschwinden zu lassen. 18429_Kasper_SL5.indd 22 18429_Kasper_SL5.indd 22 20.08.2020 10: 54: 56 20.08.2020 10: 54: 56 1.5 Deutungsautomatismen, Deutungsroutinen und Deutungsarbeit 23 einen Nominativ und αὐτὴν (autēn) ‚sie‘ eindeutig einen Akkusativ. Der Jünger nahm also die Frau mit sich. Eine andere Interpretation ist hier vor dem Hintergrund der entsprechenden sprachlichen Konventionen ausgeschlossen. Wir können auch davon ausgehen, dass Emil Weber seinen Leserinnen diese Informationen nicht vorenthalten wollte. Er hatte aufgrund der eindeutigen altgriechischen Äußerung eine klare Vorstellung davon, wer wen mitnahm und er verwendete die sprachlichen Ausdrucksformen, die ihm in seiner zürichdeutschen Muttersprache zur Verfügung standen und gleichzeitig nah an der griechischen Vorlage lagen. Die Unterscheidung zwischen Nominativ und Akkusativ, die an den altgriechischen Formen erkennbar ist, stand ihm in der hochalemannischen Übertragung nicht zur Verfügung und die Reihenfolge zwischen beiden Ausdrücken hat er umgedreht. Dass dies bei seinen Leserinnen zu einer von ihm nicht beabsichtigten Deutung davon führen kann, wer wen mitnahm, hat er wahrscheinlich gar nicht bemerkt. 1.5 Deutungsautomatismen, Deutungsroutinen und Deutungsarbeit Wenn wir hier darüber reflektieren, wie Sprachbenutzerinnen sprachliche Äußerungen interpretieren, deuten wir ihre Deutungsaktivitäten. Dass wir unsere und ihre Tätigkeiten mit dem gleichen Ausdruck deuten bezeichnen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aktivität des Deutens ganz unterschiedliche Qualitäten annehmen kann; deuten ist ein vager Ausdruck. Die hochalemannische Leserin, hier wieder stellvertretend für alle Sprachbenutzerinnen, kann in Windeseile einfach über unseren Beispielsatz aus dem Johannesevangelium hinweglesen und dabei wird in Sekundenbruchteilen die komplexe Vorstellung in ihr hervorgerufen, dass die Frau den Jünger zu sich genommen hat. In gleicher Weise lesen Sie die meisten Sätze in diesem Buch. Deuten in dieser Weise ist zwar komplex und besteht aus vielen Teilprozessen und -aktivitäten, die von basalen Wahrnehmungsprozessen bis hin zu Antworten auf die Frage Was kann ich (jetzt) tun? reichen, aber zugleich vollziehen wir es hochgradig automatisiert und routinisiert. Automatisch laufen dabei Prozesse ab, die immer ablaufen, wenn bestimmte Phänomene wahrgenommen werden und die nicht unterbrochen werden können, wie zum Beispiel die Assoziation der Buchstabenfolge Jünger und der Vorstellung eines Jüngers. Routinen umfassen dagegen Handlungen, die so oft ausgeführt worden sind, dass sie nicht mehr aufmerksam ausgeführt werden müssen. Sie können allerdings, anders als die Automatismen, unterbrochen werden, wenn es nötig ist. Ohne die entsprechenden Experimente, und das heißt im alltäglichen Einzelfall, sind Routinehandlungen und automatisches Verhalten oft nicht zu unterscheiden. Das Deuten im automatischen und routinisierten Modus erfolgt schnell und effektiv, aber alternative Deutungen werden dabei übersehen. Haben Sie bemerkt, dass weiter oben in diesem Absatz der Satz In gleicher Weise lesen Sie die meisten Sätze in diesem Buch grammatisch mehrdeutig ist? 5 Wenn wir in diesem Modus des Deutens sind, ist die Form einer 5 Es stimmt natürlich, dass Sätze (Subjekt) Sie (Objekt) nicht lesen können, aber das ist ein Argument, das sich auf mehr beruft als die grammatische Form der Äußerung. Im Übrigen sind Situationen vorstellbar, in denen die Aussage, dass Sätze (Subjekt) Personen (Objekt) lesen - im Sinne von ‚deuten‘ oder ‚auslegen‘ -, eine kommunikativ erfolgreiche Äußerung darstellt; so beispielsweise, wenn wir feststellen, dass Äußerungen, etwa in Dostojewskis Romanen, Wahrheiten über uns kundtun, über die wir uns selbst noch gar nicht im Klaren gewesen sind und angesichts deren wir uns entlarvt fühlen. Solche Sätze lesen uns ebenso, wie wir sie lesen - ein Fall von Metonymie, in dem die Sätze für ihren Verfasser stehen. 18429_Kasper_SL5.indd 23 18429_Kasper_SL5.indd 23 20.08.2020 10: 54: 56 20.08.2020 10: 54: 56 24 1 Einleitung: Verstehen als Leistung Äußerung äußerst fl üchtig und sie ist uns nur so lange präsent, bis sie sich in unserem Kopf in Vorstellungen verwandelt hat. Von diesem automatisierten und routinisierten Deuten ist das Deuten zu unterscheiden, das wir vollziehen, wenn wir uns die Ausdeutbarkeit einer Äußerung vergegenwärtigen. Dieses Deuten ist viel weniger automatisiert und routinisiert, es ist um ein Vielfaches langsamer und liefert gleichzeitig oft anscheinend nur einen relativ geringen Zugewinn an Deutungsakkuratheit. 6 Bei diesem Deuten, das wir als Deutungsarbeit bezeichnen können, ist die sprachliche Form beziehungsweise das wahrnehmbare Phänomen viel weniger fl üchtig. 7 Vielmehr wird es dabei vor dem (inneren oder wirklichen) Auge oder Ohr präsent gehalten und gegebenenfalls dorthin zurückgeholt, also refl ektiert. Bestimmte Teile der komplexen Deutungsaktivität werden zyklisch wiederholt, zum Beispiel das Scannen des Phänomens, das (innere oder äußere) Verweilen auf einem Teil davon, das Umschalten und erneute Umschalten der Zuordnungen zwischen bestimmten Formen und den Vorstellungen, die sie hervorrufen. Wir haben dies beispielsweise bei si und de Jünger in (1) sowie bei Hole in One in (2) getan. Darin - Scannen, Verweilen, Umschalten, Wiederholen - unterscheiden sich unsere Interpretationen mehrdeutiger Äußerungen kaum von unseren Interpretationen gestaltpsychologischer Kippbilder wie desjenigen in Abbildung 1. Abb. 1: Gestaltpsychologisches Kippbild Wenn wir ein Phänomen interpretieren, tun wir dies aber nicht entweder automatisch beziehungsweise routinisiert oder mit kognitivem Arbeitsaufwand. Gerade das zyklische Wiederholen von automatisierten beziehungsweise routinisierten Schritten und das wiederholte Umschalten zwischen Interpretationen bei der Deutungsarbeit zeigen, dass diese auf den automatischen und routinisierten Aktivitäten und Prozessen aufbaut und auf sie angewiesen ist. Dies lässt sich bereits am Kippbild illustrieren. Wenn wir beispielsweise unseren Blick darauf richten, um daran durch wiederholtes Umschalten Deutungsarbeit zu leisten, können wir nicht vermeiden, dass uns zuerst automatisch entweder die Gesichtsprofi le oder der Kelch erscheinen. 6 Der Hinweis auf die Mehrdeutigkeit der Äußerung weiter oben hat Ihnen keinen (unmittelbaren) erkennbaren Vorteil gebracht, denn Sie hatten den Satz ohnehin so interpretiert, wie ich ihn verstanden wissen wollte. Mittelbar kann eine erhöhte Sensibilität für Mehrdeutigkeit natürlich praktische Vorteile bringen, zum Beispiel um Kommunikation, die gescheitert ist, zu verstehen und die Ursachen künftig zu vermeiden. 7 Den Ausdruck „Deutungsarbeit“ habe ich von Sigmund Freud übernommen (vgl. Freud [1917] 2009). 18429_Kasper_SL5.indd 24 18429_Kasper_SL5.indd 24 20.08.2020 10: 54: 57 20.08.2020 10: 54: 57 1.5 Deutungsautomatismen, Deutungsroutinen und Deutungsarbeit 25 Auch an unserem Umgang mit sogenannten lokalen Mehrdeutigkeiten in der Sprache lässt sich das beobachten. Oben ist davon die Rede gewesen, dass Mehrdeutigkeiten oft nur dann bemerkt werden, wenn in der Folge etwas schiefgeht. Es ist möglich, dass schon im Laufe der Interpretation einer Äußerung etwas schiefgeht. Sprachliche Äußerungen haben einen Anfang und ein Ende. Sie werden entsprechend sukzessive wahrgenommen und die herandrängenden Geräusche, Gesten oder Graphen rufen jeweils Vorstellungen hervor und die aufgebaute, komplexe Vorstellung eines Ereignisses oder einer Situation wird durch jede weitere hereinkommende Information modifiziert. Zugleich erwarten wir auf Basis dessen, was wir bereits wahrgenommen haben, immer schon, was als nächstes kommen wird. Diese Erwartungen können bestätigt oder verletzt werden. So beginnt die neuhochdeutsche „Einheitsübersetzung“ von Johannes 19, 27 folgendermaßen: (3) Und von jener Stunde an nahm sie … (Neuhochdeutsch, Einheitsübersetzung, Bischöfe Deutschlands [1980]) Beim sukzessiven, oder inkrementellen, Interpretieren dieser Teiläußerung bauen wir eine komplexe Vorstellung auf und erwarten weitere Informationen bestimmter Art. Wir werden uns höchstwahrscheinlich den Referenten des Ausdrucks sie (die Mutter Jesu) als die Nehmerin in dieser Äußerung vorstellen, 8 weil wir die Form als Nominativ erkennen und sie in einer Kongruenzbeziehung mit dem Verb steht, und wir werden als weitere Information ein Objekt erwarten, das genommen wird und durch eine Akkusativform ausgedrückt ist. Auch wenn wir solcher grammatischen Beschreibungen unkundig sind, heißt das lediglich, dass wir vielleicht nicht beschreiben können, was wir da tun, tun können wir es aber dennoch. Die aufgebauten Erwartungen auf Form- und Vorstellungsebene sind unter anderem durch die bereits erwähnten „-enz“-Faktoren gesteuert: Frequenz, Rezenz, Pertinenz. Nun ist die Vorstellung, die durch (3) hervorgerufen wird, wie wir oben gesehen haben, aber nur so etwas wie eine Annahme, weil die Indizienlage unsicher ist. Sie kann zwar den Nominativ und damit das Subjekt des Satzes repräsentieren, aber auch den Akkusativ, das heißt das direkte Objekt. An der Stelle sie ist die Äußerung in (3) also lokal mehrdeutig. Wir haben uns für die Nominativlesart „entschieden“. Entschieden steht hier in Anführungszeichen, weil diese „Entscheidung“ im Modus des automatischen oder routinisierten Deutens ausgeführt wurde, dem keine vorgängige Reflexion zugrunde gelegen hat. In der Einheitsübersetzung wird die Äußerung wie folgt zu Ende geführt: (3') … der Jünger zu sich. (Neuhochdeutsch, Einheitsübersetzung, Bischöfe Deutschlands [1980]) Hier wird unsere aufgebaute Erwartung eines Objekts, das genommen wird und das durch den Akkusativ ausgedrückt wird, verletzt. Damit hat sich unsere aufgebaute Vorstellung als falsch erwiesen: Die Mutter Jesu ist nicht die Nehmerin. Der Ausdruck der Jünger zwingt uns nun aufgrund seiner eindeutigen Nominativform, unsere bereits aufgebaute Vorstellung davon, was hier womit in welcher Beziehung steht, zu modifizieren. Wir werden von dieser Nominativ- 8 Vgl. Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009b). 18429_Kasper_SL5.indd 25 18429_Kasper_SL5.indd 25 20.08.2020 10: 54: 57 20.08.2020 10: 54: 57 26 1 Einleitung: Verstehen als Leistung form überrascht und sie lässt unseren Deutungsautomatismus oder unsere Deutungsroutine scheitern. Möglicherweise macht uns der Jünger erst darauf aufmerksam, dass sie mehrdeutig zwischen Nominativ und Akkusativ gewesen ist. An diesem Punkt, der die lokale Mehrdeutigkeit auflöst, gehen wir vom Modus des automatischen oder routinisierten Interpretierens in den der Deutungsarbeit über. Das Scheitern unseres Automatismus oder unserer Routine dabei, graphische Symbole in Vorstellungen zu überführen, macht uns auf die Form der Äußerung aufmerksam, Alternativen ihrer Ausdeutung scheinen auf und zwingen uns, mit einigem kognitiven Aufwand - Arbeit - eine modifizierte Vorstellung aufzubauen, nämlich mit umgedrehten Rollen zwischen Maria und dem Jünger. Eine solche Reanalyse im alltäglichen Sprachverstehen kann natürlich schneller erfolgen als die linguistische oder philologische Deutungsarbeit, wie wir sie oben an (1) vorgenommen haben. Dennoch teilt sie mehr mit der Deutungsarbeit als mit den Automatismen und Routinen, nämlich die Aspekte des Gewahrwerdens der unterschiedlichen Ausdeutbarkeit des Phänomens und der Reflexion auf die eigene Deutungsaktivität. 9 1.6 Die „W“-Fragen des vorliegenden Buches Das vorliegende Buch stellt den Versuch dar, besser zu verstehen, wie Sprachbenutzerinnen auch angesichts von Mehrdeutigkeit sprachliche Äußerungen verstehen, das heißt erfolgreich oder richtig interpretieren können. Dafür war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dem Verstehen sowohl von nichtsprachlichen als auch von sprachlichen Phänomenen (Be-) Deutungstätigkeiten zugrunde liegen, die sich in sehr basalen Aspekten - den W -Fragen im Dienste von Was kann ich (jetzt) tun? - gleichen und sich in anderen Aspekten - der Mehrschichtigkeit von sprachlichen Äußerungen - unterscheiden. Insofern sucht dieses Buch, wie jede Interpretation, Antworten auf die oben genannten W -Fragen. Was ist es? Das infragestehende Phänomen kann bereits grob charakterisiert werden. Es sind mehrdeutige Äußerungen auf der einen und die offensichtliche Problemlosigkeit, mit der Sprachbenutzerinnen erfolgreich mit ihnen umgehen, auf der anderen Seite. Dass Sprachbenutzerinnen auch mehrdeutige Sätze verstehen können, ist für sich genommen noch nicht überraschend. Auch Sprachbenutzerinnen, die nicht zugleich professionelle Linguistinnen sind, erklären sich ihre Verstehensfähigkeiten und berufen sich dabei gern - und durchaus zu Recht - auf den Kontext , anhand dessen alle oder fast alle Äußerungen verstehbar seien. Als Kontext gilt bei dieser nichttechnischen Verwendung des Ausdrucks bald mehr, bald weniger von dem, was in der fraglichen Äußerung nicht zur lexikalischen oder grammatischen Bedeutung gehört und nicht auf Basis der Wörter und ihrer Verknüpfung zuverlässig erschlossen werden kann. Zu diesem Kontext im weiteren Sinne zählen erstens das in vorangegangenen und nachfolgenden Äußerungen grammatisch und lexikalisch Ausgedrückte - der Kotext , zweitens die vielfältigen Faktoren, die die Situation kennzeichnen, in der die Äußerung getätigt und/ oder rezipiert wird - der Kontext im engeren Sinne -, und drittens das sogenannte Weltwissen, das heißt das enzyklopädische Wissen über basale, aber auch beispielsweise kulturspezifische Zusammenhänge in der Wirklichkeit, unabhängig von der konkreten Äuße- 9 In Kapitel 4 werden Automatismen, Routinen und Arbeit ausführlicher diskutiert. 18429_Kasper_SL5.indd 26 18429_Kasper_SL5.indd 26 20.08.2020 10: 54: 57 20.08.2020 10: 54: 57 1.6 Die „W“-Fragen des vorliegenden Buches 27 rung, ihrem Kotext und Kontext. Auf Basis dieser Informationstypen dürfte tatsächlich so gut wie jede Äußerung im Alltag, sei es in einer face-to-face -Situation oder bei der Lektüre eines Textes, zum Beispiel eines Bibeltextes, für eine kompetente Sprachbenutzerin verstehbar sein. Ich möchte in diesem Buch daher eine sehr viel stärkere Hypothese überprüfen: Für das Verstehen von Äußerungen, die hinsichtlich der Frage mehrdeutig sind, was in ihnen womit in welcher Beziehung steht, sind auf der Seite einer muttersprachlich kompetenten Rezipientin mit normalen kognitiven Fähigkeiten so gut wie keine dieser Informationsquellen erforderlich. Ist sie mit einer grammatisch mehrdeutigen Äußerung konfrontiert, so wird sie fast vollständig ohne Informationen auskommen, die über die infragestehende Äußerung hinausgehen. Hier möchte ich es fürs Erste mit der Präzisierung bewenden lassen, dass die Informationen, auf die die Rezipientin sich stützen kann, aufs Engste mit der Belebtheitshierarchie zusammenhängen. 10 Wo ist das Phänomen zu finden? Äußerungen, die mehrdeutig hinsichtlich der Frage sind, was in ihnen womit in welcher Beziehung steht, finden sich überall dort, wo die konventionellen grammatischen Mittel für den Ausdruck solcher Beziehungen in einer Sprache nicht verfügbar oder trotz prinzipieller Verfügbarkeit unzuverlässig sind. So sind in Beispiel (1) einige Kasusmarkierungen ( si beziehungsweise de Jünger ) prinzipiell verfügbar, aber bei den vorliegenden Ausdrücken unzuverlässig und die Reihenfolge zwischen den Ausdrücken wird nicht konventionell für die Unterscheidung von Subjekt und Objekt verwendet. Verschiedene Sprachen und Sprachstufen einer Sprache unterscheiden sich natürlich darin, ob in ihnen die Reihenfolge für solche Zwecke eingesetzt wird und ob beziehungsweise wie viele mehrdeutige morphologische Formen sie aufweisen. Aus Gründen, die ich noch ausführlicher darlegen werde, möchte ich die Stichhaltigkeit der obigen Annahme anhand von wortlauttreueren und freieren Bibelübersetzungen ins Altenglische, Mittelenglische, Althochdeutsche, Mittelhochdeutsche, Frühneuhochdeutsche, Neuhochdeutsche und in die modernen deutschen Dialekte des Hochalemannischen und Nordniederdeutschen überprüfen. 11 Einer der gewichtigsten Gründe, Bibeltexte dafür zu wählen, ist, dass wir - anders als bei anderen Quellen - für die darin vorkommenden Äußerungen sicher angeben können, welche Interpretation die richtige ist, auch wenn sie in einer Übertragung mehrdeutig sind. Für die Überprüfung der Hypothese ist dies unabdingbar, da wir andernfalls über kein Erfolgskriterium für die Interpretation mehrdeutiger Äußerungen verfügen würden, und dass man Erfolg bei ihrer Interpretation haben kann, möchte ich ja gerade zeigen. Ein weiterer Grund ist, dass alle untersuchten Sprach(stuf)en - die richtige Übersetzung vorausgesetzt - dieselben Inhalte ausdrücken, dazu aber jeweils ihre eigenen sprachlichen Mittel zur Verfügung haben und dabei unter dem Druck stehen, verstehbar zu sein. Damit wird vergleichbar, wie mit den vorhandenen sprachlichen Mitteln ausgedrückt wird, was womit in welcher Beziehung steht und wie sie von Äußerung zu Äußerung eingesetzt werden. Dabei ist nicht nur ein synchronischer Quervergleich zwischen den Sprachen und Dialekten möglich, sondern auch ein diachronischer Längsvergleich, der uns mit der gebotenen Vorsicht erlaubt nachzuverfolgen, wie diese grammatischen Mittel sich historisch im Deutschen und Englischen verändern und welche Anforderungen dies an unser Verstehen stellt. Ein Grund, Englisch und Deutsch zu wählen, ist die Tatsache, dass für diese Sprachen in der Forschung bereits viele Annahmen darüber geäußert worden sind, wie die sprachlichen Mittel sich zueinander verhalten und wie sie sich historisch entwickelt 10 Die Belebtheitshierarchie wird in Kapitel 3 ausführlich Thema werden. 11 Zur Übersetzungsfreiheit siehe die Abschnitte 1.7 und 2.5. 18429_Kasper_SL5.indd 27 18429_Kasper_SL5.indd 27 20.08.2020 10: 54: 57 20.08.2020 10: 54: 57 28 1 Einleitung: Verstehen als Leistung und verändert haben sollen. Dass diese Entwicklungen fürs Deutsche und Englische jeweils verschiedene gewesen sind, obwohl sie einen gemeinsamen historischen Ursprung haben, ist dabei ebenfalls von theoretischem und historischem Interesse. Primär von theoretischem Interesse ist, dass auch zwei moderne deutsche Dialekte analysiert werden sollen. Interessant sind sie deshalb, weil sie im Vergleich zum standarddeutschen System mit drei Kasus jeweils nur zwei Kasus aufweisen, dabei aber mutmaßlich ähnliche Satzgliedreihenfolgen zulassen. Die Dialekte versprechen somit größeres Mehrdeutigkeitspotenzial. 12 Woher kommt das Phänomen? Was hat es verursacht? Wohin geht es? Vieles - und darüber wird noch sehr viel mehr zu sagen sein - spricht dafür, dass Sprachen sich grammatische Mehrdeutigkeit leisten können, eben weil Sprachbenutzerinnen erfolgreich damit umgehen können. Dennoch unterscheiden sich Sprachen in dem Grad, in dem sie Mehrdeutigkeit tatsächlich aufweisen, gravierend, aber nicht zufällig. Neben Sprachen, die wenige oder gar keine Äußerungen aufweisen, in denen grammatisch nicht geregelt ist, was womit in welcher Beziehung steht - Althethitisch dürfte dem nahekommen -, finden sich, wie ich zeigen werde, auch Sprachen, in denen jede vierte für die Fragestellung relevante Äußerung grammatisch mehrdeutig ist. Dies zeigt, dass Sprachen sich bisweilen des in ihnen vorkommenden lautlichen, gestischen oder graphischen Materials viel mehr als grammatische Mittel bedienen, als es nötig wäre, um als erfolgreiche Kommunikationsmittel zu dienen. Man könnte nun vermuten, dass das Material, das dafür verwendet wird, anzuzeigen, was womit in welcher Beziehung steht - zum Beispiel Kasus- und Kongruenzmorpheme -, sich in einer Sprache unabhängig von der Kommunikationsfunktion und unabhängig von menschlichen Zwecken entwickelt und nur für diese Funktion verwendet wird, weil es eben unbeabsichtigt entstanden ist, deshalb nun einmal da ist und, weil es da ist, wiederum interpretiert werden muss und mit einer nützlichen Funktion besetzt werden kann . Wie bereits gesagt, können wir die Interpretation von bestimmten Phänomenen nicht einfach unterlassen, und lautliches, gestisches oder graphisches Material scheint dazuzugehören. Ganz unabhängig können die Entstehung dieses Materials durch verstehensunabhängige Ursachen und seine nachträgliche verstehensabhängige Funktionalisierung aber nicht voneinander sein, denn - so werde ich berichten - es scheint so etwas wie Obergrenzen von Mehrdeutigkeit zu geben, jenseits derer die Funktionalität der Sprache als Kommunikationsmittel gefährdet zu sein scheint. Was steht womit in welcher Beziehung? Dies ist also nicht nur die zentrale Frage, vor der Sprachbenutzerinnen bei der automatischen und routinisierten Interpretation von sprachlichen Äußerungen stehen, seien sie grammatisch eindeutig oder mehrdeutig, sondern auch wir. Ich möchte detailliert herausarbeiten, welche Informationstypen bei der Interpretation sprachlicher Äußerungen herangezogen werden (können), in welcher Beziehung diese Informationstypen zueinander stehen, warum sie verfügbar sind, zu welchem Grad sie in verschiedenen Sprach(stuf)en herangezogen werden und ob beziehungsweise wie sich diese Heranziehung historisch verändert. Kapitel 2 widmet sich zunächst detailliert der Frage, wie es überhaupt dazu kommt, dass Äußerungen eindeutig sein können, um zu erklären, wie es zu mehrdeutigen Äußerungen kommt. Sodann werde ich mittels einer historischen Korpusstudie nachweisen, dass es gram- 12 Während im Standarddeutschen als adverbale Kasus Nominativ, Dativ und Akkusativ unterschieden werden (mit Resten eines Genitivs), sind im Hochalemannischen der Nominativ und der Akkusativ ununterscheidbar geworden und im Nordniederdeutschen der Dativ und der Akkusativ (s. Anhang). 18429_Kasper_SL5.indd 28 18429_Kasper_SL5.indd 28 20.08.2020 10: 54: 57 20.08.2020 10: 54: 57 1.7 Das Korpus und die verwendeten Bibelübersetzungen 29 matisch mehrdeutige Äußerungen gibt und wie sie sich historisch entwickelt haben. Darauf aufbauend werde ich in Kapitel 3 die Hypothese immer weiter präzisieren, indem ich Kandidaten von Informationstypen diskutiere, die von Interpretinnen zum richtigen Verstehen mehrdeutiger Äußerungen herangezogen werden könnten. Anschließend werde ich in einem zweiten Auswertungsteil die Hypothese überprüfen. Im abschließenden Kapitel 4 werde ich eine anthropologische Skizze zeichnen, mit der ich die Resultate der Korpusstudie erklären und in einen weiteren als nur einen sprachwissenschaftlichen Kontext stellen möchte. Ich werde dafür argumentieren, dass wir grammatisch mehrdeutige Äußerungen erfolgreich interpretieren können, weil wir sie in wichtigen Aspekten auf die gleiche Weise wie andere, nichtsprachliche Ereignisse auch interpretieren. Grammatisch eindeutige Äußerungen sind insofern speziell, als sie uns sowohl effektiv daran hindern als auch bestärken können, bestimmte Interpretationen vorzunehmen. Aus einer engeren, philologisch-sprachwissenschaftlichen Perspektive ist es daher in gewissem Maß unnötig, die Verstehbarkeit sprachlicher Äußerungen auf sprachliche Konventionen zurückzuführen. Aus der weiteren Perspektive anderer mit dem Menschen befassten Wissenschaften ist dies sogar unplausibel. Was ich tun möchte, ist also, die Strukturlinguistik (wieder) mit anderen Wissenschaften vom Menschen ins Gespräch zu bringen. Dieses war abgebrochen, nachdem sich die Versprechungen einer grammatischen Tiefenstruktur nicht erfüllt hatten. 13 Was ich über den anthropologischen Unterbau unserer Verstehensleistungen zu sagen haben werde, lässt sich auch so interpretieren: Unser leibliches In-der-Welt-Sein liefert der Grammatik und unserem Verstehen die Tiefenstruktur. 1.7 Das Korpus und die verwendeten Bibelübersetzungen Die Untersuchung wird in allen Sprachstufen an den Kapiteln 26 und 27 des Matthäusevangeliums und den Kapiteln 18 und 19 des Johannesevangeliums erfolgen. (Für den althochdeutschen „Tatian“ verhält es sich ein wenig anders. Siehe dazu unten.) Hinter diesen Kapiteln verbergen sich zentrale Teile der Passionsgeschichte Jesu. Die Passionsgeschichte, so die Erwägung bei der Textauswahl, ist inhaltlich in besonderer Weise für die Analyse geeignet. Die (Teil-)Sätze, aus denen sich die genannten Kapitel zusammensetzen, sind nämlich wenig überraschend dadurch gekennzeichnet, dass darin viel erlitten wird, und wo viel erlitten wird, ist der Urheber des Leids nicht weit, sowohl wirklich als auch in der sprachlichen Vermittlung. Wir haben es also häufig mit semantisch transitiven Beziehungen zwischen eher agentiven und eher patientiven Personen oder Gegenständen zu tun. In den hier untersuchten Sprachen werden solche Beziehungen grammatisch häufig so strukturiert, dass sie zum einen innerhalb der Grenzen von (Teil-)Sätzen ausgedrückt werden und diese (Teil-)Sätze zum anderen eine Binnenstruktur aufweisen, die besonders anfällig für grammatische Mehrdeutigkeit hinsichtlich der Frage ist, was womit in welcher Beziehung steht. Das sind (Teil-)Sätze dann, wenn, wie in unserem Beispiel (1) oben, zwei oder mehr Satzglieder für die syntaktische Funktion des jeweils anderen in Frage kommen. Die betreffenden Satzglieder können dann sowohl als Agens (zum Beispiel Nehmer) als auch als Patiens (zum Beispiel Genommenes), möglicherweise sogar als Rezipient interpretiert werden. 13 Vgl. Jackendoff (2009: 33). 18429_Kasper_SL5.indd 29 18429_Kasper_SL5.indd 29 20.08.2020 10: 54: 57 20.08.2020 10: 54: 57 30 1 Einleitung: Verstehen als Leistung Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Bibelübersetzungen, die ich untersuchen werde. Ich möchte sie nun kurz charakterisieren und einige Aspekte diskutieren, die für die Untersuchung von Relevanz sind. Kurztitel Sprach(stuf)e/ Dialekt Entstehungszeit Übersetzer Edition (Ahd.) Tatian Althochdeutsch (Ostfränkisch) 2. Viertel 9. Jhdt. Team Fulda Masser Evangelienbuch Mittelhochdeutsch (Mitteldeutsch) 1343 unbekannt Bechstein Biblia Frühneuhochdeutsch (Ostmitteldeutsch) 1545 Luther Bibel Neuhochdeutsch 1984 Luther und EKD 14 S Nöi Teschtamänt Neuhochalemannisch (Zürichdeutsch) 1997 Emil Weber Dat Nie Testament Neunordniederdeutsch 1933 Johannes Jessen Wessex Gospels Altenglisch (Westsächsisch) ~ 1000 unbekannter Ælfric Liuzza Wycliffe- Bibel Mittelenglisch ([ ? Central] Midland) zw. 1395 u. 1420 Wycliffe, Purvey und Team Forshall & Madden Tab. 1: Die untersuchten Bibelübersetzungen Methodische Fragen, etwa inwiefern diese Texte überhaupt für die Untersuchung geeignet sind, werde ich erst an späterer Stelle (Abschnitt 2.5) reflektieren, nachdem ich die grammatischen Mittel diskutiert habe, die von Interpretinnen herangezogen werden können, um zu bestimmen, was in sprachlichen Äußerungen womit in welcher Beziehung steht. Dadurch, dass die Einführung des Buchdrucks in die Mitte des 15. Jahrhunderts fiel, sind die davor entstandenen Bibelübersetzungen - der althochdeutsche „Tatian“, das mittelhochdeutsche „Evangelienbuch“, die altenglischen „Wessex Gospels“ und die mittelenglische Bibel aus dem Umfeld John Wycliffes, im Folgenden „Wycliffe-Bibel“ - handschriftlich überliefert. Für ihre Analyse bin ich daher auf den gedruckten Text angewiesen, den mir die jeweilige moderne Edition präsentiert, und dadurch mache ich mich auch von den jeweiligen editorischen Prinzipien abhängig. 15 Je nachdem, welchen Prinzipien die Herausgeber dabei folgten, entfernt dies die edierten Texte, die ich analysieren werde, mehr oder weniger weit von den Handschriften, die ihnen zugrundeliegen. Das wird mich zwar nicht davon abhalten, die Texte dennoch hinsichtlich grammatischer Mehrdeutigkeit zu analysieren, aber in meinen Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen werde ich diesen Faktor berücksichtigen müssen. Massers Textedition des althochdeutschen „Tatian“ basiert auf einer einzigen Handschrift mit der Signatur Cod. 56. Sie wird in St. Gallen aufbewahrt und ist wohl im zweiten Viertel 14 Evangelische Kirche Deutschland. 15 Diese sind in der Regel den entsprechenden Editionen selbst zu entnehmen. 18429_Kasper_SL5.indd 30 18429_Kasper_SL5.indd 30 20.08.2020 10: 54: 57 20.08.2020 10: 54: 57 1.7 Das Korpus und die verwendeten Bibelübersetzungen 31 des 9. Jahrhunderts im Skriptorium des Klosters Fulda entstanden. Sprachlich, und das heißt primär hinsichtlich des Lautstands, der über die Schrift erschlossen wurde, trägt dieses Althochdeutsch das Gepräge des damaligen Kulturzentrums Fulda, dessen schriftliche Erzeugnisse konstitutiv für den ostfränkischen Dialektverband waren. Der althochdeutsche „Tatian“ unterscheidet sich in drei wesentlichen Punkten von den anderen Bibelübersetzungen, die ich verwenden werde. Zum einen enthält er zwar den kanonischen Text der Evangelien, aber in Form einer Evangelienharmonie, bei der ein fortlaufender Text über das Leben Jesu aus Textinhalten aller vier Evangelien „harmonisch“ kompiliert wurde. Zum anderen hat er, da es sich trotzdem noch um eine Übersetzung handelt, auch keine Vorlage, in der die vier Evangelien gesondert vorkommen, sondern die Vorlage ist selbst schon eine Evangelienharmonie. Diese lateinische Evangelienharmonie war wohl wiederum eine von Victor von Capua im 6. Jahrhundert vorgenommene Bearbeitung des sogenannten „Diatessarons“, das dem Assyrer Tatian aus dem 2. Jahrhundert zugeschrieben wird. Victors Bearbeitung lag (und liegt) in Fulda vor. Drittens handelt es sich bei dem althochdeutschen „Tatian“ um eine Bilingue. Jede Seite der Handschrift besteht aus zwei Spalten, wobei die linke den lateinischen Text aus Victors von Capua Bearbeitung und die entsprechende Zeile in der rechten Spalte die diesem Text zeilengenau entsprechende althochdeutsche Übersetzung enthält. 16 Dies setzt der Freiheit der Übersetzung schon enge konzeptionelle Grenzen: Vorgesehen war, dass ein Element in der lateinischen Zeile in der linken Spalte genau in der gleichen Zeile gegenüber in der rechten Spalte übersetzt steht und nicht schon in der vorangehenden oder erst in der folgenden Zeile, wie es ein Übersetzer vielleicht getan hätte, der keine Rücksicht auf den Zeilenumbruch hätte nehmen müssen. Ein lateinischer Ablativus absolutus, der oft nur aus zwei Wörtern besteht, ist dann kaum noch in genuines Althochdeutsch auflösbar, denn dafür wird meist ein ganzer Nebensatz gebraucht. Schon am Aufwand, der der äußeren Gestaltung der lateinischen und althochdeutschen Spalten zuteilwurde, lässt sich ersehen, dass dem lateinischen Text ein Vorrang an Wertschätzung zukam und dass der althochdeutsche Text ihm gegenüber eine bloß dienende Funktion besaß und das Verständnis des lateinischen Textes befördern konnte. Dagegen nimmt man an, dass eine unabhängige Rezeption des althochdeutschen Textes nicht vorgesehen war. Am Schriftstil lässt sich erkennen, dass mehrere Schreiber bei der Anfertigung der Bilingue beteiligt waren, aber daraus lässt sich nicht schließen, dass diese Schreiber die Passagen, die sie schrieben, auch übersetzten. Dies könnte auf Konzeptvorlagen auch durch andere Personen geschehen sein. Ob die Schreiber Übersetzern entsprechen, harrt noch der Klärung. In der Analyse wird dieser Faktor unberücksichtigt bleiben, zumal angenommen wird, dass die Übersetzer weitgehend mit der gleichen Strategie übersetzten. 17 Masser hat die Spaltenorganisation mit der peniblen Konkordanz der lateinischen und althochdeutschen Spalten getreu in die Edition umgesetzt. Da durch die Abhängigkeit der althochdeutschen von der lateinischen Zeile dieser eine Bedeutung zukommt, werde ich Sprachbeispiele aus dem „Tatian“ so notieren, dass zwei Virgeln (/ / ) Zeilenumbruch bedeuten, und ich werde grundsätzlich den lateinischen Text mit aufführen. Auch ansonsten ist die Edition Massers der Handschrift relativ treu. Die Interpunktion wurde nicht verändert, die Orthographie wurde nicht normalisiert. Die meisten Abkürzungen wurden allerdings aufgelöst. Im Bereich der 16 Die Handschrift ist digitalisiert einsehbar unter <https: / / www.e-codices.unifr.ch/ de/ list/ one/ csg/ 0056> [29.05.19]. 17 Vgl. Masser (1997b: 126). 18429_Kasper_SL5.indd 31 18429_Kasper_SL5.indd 31 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 32 1 Einleitung: Verstehen als Leistung Zusammen- und Getrenntschreibung wurden Derivations- und Kompositionsglieder gegen die Handschrift oft mit ihren Bezugselementen zusammengedruckt. Dagegen wurden manche Zusammenschreibungen, die auf Sprecheinheiten hinweisen, getrennt. Wie bei allen Handschriften, die ich analysieren werde, sind auch verschieden breite Leerräume zwischen graphischen Wörtern im Druck neutralisiert, obwohl ihnen möglicherweise gliedernde Funktion beim lauten Lesen zukam. 18 Ich werde für die Textstellen Blatt und Zeile aus Massers Edition angeben, die Zählung der Sievers’schen Edition aber stets mit aufführen. Auch „des Matthias von Beheim Evangelienbuch“, das von Bechstein herausgegeben wurde, basiert auf nur einer mittelalterlichen Handschrift, dem Ms. 34 aus der Universitätsbibliothek Leipzig. Das Werk entstand wohl in der unmittelbaren Zeit vor 1343 im Zisterzienserkloster St. Marien in Altenzelle bei Nossen und trägt sprachlich (ost)mitteldeutsches Gepräge. „Zu der byblien ist dise ubirtragunge in daz mittelste dutsch mit einualdigen slechtin worten uz gedruckit. zů glicheit des einvalidgen textes.“ 19 Was den Text der Evangelien betrifft, so enthält die Handschrift den „mitteldeutschen“ Text, nicht aber den der Vorlage, die sie möglichst genau wiedergeben will. 20 Sowohl der Evangelientext als auch die Anwesenheit der ebenfalls übersetzten Vorreden des Hieronymus zeigen uns aber, dass die Vorlage aus der Vulgata-Tradition stammen muss. Dass die Vorlage lateinisch war, bezeugt auch der Text. „Dise dutunge des latines in daz dutsche ist gemachit. Mathie von beheim dem clusenere zů Halle.“ 21 Anders als der Titel suggeriert, entstand das „Evangelienbuch“ also auch nicht durch, sondern für den Haller Klausner Matthias von Beheim. Worin seine Funktion bestand, wissen wir nicht. Wahrscheinlich war an der Niederschrift nur ein Schreiber beteiligt. Die Übersetzung wird laut Bechstein über die vier Evangelien hinweg „besser“, das heißt sie reicht von anfänglich sklavischer Orientierung an der lateinischen Syntax vor allem in den Vorreden bis hin zur Anmutung als „deutsches Buch“ im Johannesevangelium. 22 Anders als Bechstein angenommen hatte, steht das Werk nicht ohne Vorbild da. Es scheint sich passagenweise an einer Evangelienharmonie orientiert zu haben, die über die Grenzen des deutschsprachigen Gebiets verbreitet war. 23 Die übersetzungstechnisch „besseren“ Passagen könnten auch diesem Vorbild geschuldet sein. Bechsteins edierter Text unterscheidet sich äußerlich recht stark von dem der Handschrift. Für eine grammatische Analyse ist dabei primär die modifizierte Interpunktion von Relevanz, die Bechstein nach philologischer Manier des 19. Jahrhunderts nicht unangetastet lassen wollte. Meine Unterteilung in (Teil-)Sätze wird ihr aber weitgehend entsprechen. 24 Schon die Handschrift weist fortlaufenden Text auf und es musste, anders als beim althochdeutschen „Tatian“, bei der Verteilung des Textes auf den verfügbaren Raum keine Rücksicht auf Blatt-, Zeilenenden oder Ähnliches genommen werden. Die Edition musste daher auch keine Rücksicht darauf nehmen und auch ich werde bei Sprachbeispielen aus dem „Evangelienbuch“ unberücksichtigt lassen, wie die entsprechende Stelle in der Handschrift über Zeilen und Blätter verteilt ist. Dies gilt, mit Ausnahme des „Tatian“, auch für alle weiteren Bibelübersetzungen. 18 Vgl. Masser (1994: 9-35). 19 Beheim, xviii. 20 Die Handschrift wird in der Universitätsbibliothek Leipzig als Ms. 34 verwahrt und ist als Digitalisat über <www.manuscripta-mediaevalia.de/ > [29.05.19] einsehbar. 21 Bechstein, xix. 22 Bechstein, xxxi. 23 Vgl. Maurer (1929) und Walther (1889-1892: Sp. 498-506). 24 Zu den editorischen Entscheidungen, die die Textgestalt betreffen, vgl. Bechstein (1867: xx-xxiv). 18429_Kasper_SL5.indd 32 18429_Kasper_SL5.indd 32 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 1.7 Das Korpus und die verwendeten Bibelübersetzungen 33 Die altenglischen Evangelien sind in acht Handschriften überliefert, von denen sechs vollständig sind. 25 Von diesen wurden zwei dem kentischen Dialekt des Altenglischen zugeordnet. 26 Die Handschrift im Corpus Christi College Cambridge (CCCC) Nummer 140 ist wie die übrigen westsächsischer Provenienz. Daraus leitet sich die Bezeichnung westsächsische oder „Wessex Gospels“ ab. 27 CCCC 140 liegt als Text der Edition von Liuzza und damit auch meiner Analyse zugrunde. 28 Die Evangelien in diesem Textzeugen stellen eine Abschrift dar, die wohl in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts angefertigt wurde und kurz danach in Bath aufbewahrt wurde. An der Abschrift waren vier Schreiber beteiligt (aber nicht unbedingt vier Übersetzer), deren jeder sich (fast) 29 genau einem Evangelium gewidmet hat. 30 Die Vorlage dieser Gospels wird, insbesondere was das Matthäusevangelium betrifft, der irisch-bretonischen Bibeltradition zugeordnet. Weniger deutlich zeigt sich eine solche Vorlage in den Evangelien Markus’ und Lukas’, am wenigsten im Johannesevangelium. 31 Obwohl nichts über die Leserschaft des Werks bekannt ist, scheint es ein reges Interesse an seiner Verbreitung und Verwendung gegeben zu haben. Die Hinweise über seine Funktion sind aber „in quälender Weise mehrdeutig“. 32 Ob es lediglich dazu diente, den vielen nicht lateinfirmen Geistlichen in einsamer Lektüre beim Verständnis der lateinischen Bibel zu helfen, ob es als pastoraler Schulungstext verwendet wurde oder gar in der Liturgie rezitiert wurde, - für all das gibt es Hinweise, aber keine, die unwidersprochen geblieben sind. 33 Liuzza hat sich bemüht, möglichst wenig in den Text der Handschrift CCCC 140 einzugreifen. Die Interpunktion wurde belassen, Abkürzungen ausgeschrieben, Korrekturen auf Basis anderer Handschriften gekennzeichnet, Varianten aus anderen Handschriften angemerkt, mit Ausnahme „bloß“ orthographischer Varianten. Dass diese damit nicht mehr nachvollziehbar sind, obwohl sie auch von dialektologischem Interesse sein können, wurde dabei in Kauf genommen. Die Korrekturen werden in meine Analyse einfließen, die Varianten nicht. Auch das betrifft alle Editionen. Die Wycliffe-Bibel zu edieren ist eine undankbare Aufgabe, denn ihre Überlieferungsgeschichte ist unübersichtlich und unbewältigt. 250 Handschriften sind bekannt und es ist gewiss, dass viel mehr existier(t)en. Bekannt ist ebenfalls, dass John Wycliffe schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts Passagen der Bibel kommentiert und in diesem Zuge auch übersetzt hatte und dass diese Übersetzungen teilweise Eingang in eine frühere Version der mittelenglischen Bibel fanden. 34 Diese frühere Version war aber bereits das Werk mehrerer Beteiligter. Wie die meisten hier behandelten Texte ist die Wycliffe-Bibel das Produkt echter Projektarbeit. Es gab einen Projektleiter, den Theologen und Kirchenreformer Wycliffe, dem vor allem Konzeption und Verantwortung oblagen, und eine Schar Mitarbeiter, die sich um die Umsetzung, also 25 Vgl. Liuzza (1994, 2000). 26 Vgl. Reimann (1883). 27 Vgl. etwa Harris (1901), Trilsbach (1905) und die Arbeiten von Kemble & Hardwick (1858), Skeat (1878), Bright (1904), Bosworth (1907) und Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016). 28 Zu dieser Handschrift siehe auch Da Rold et al. (2013) unter <https: / / www.le.ac.uk/ english/ em1060to1220/ mss/ EM.CCCC.140.htm> [29.05.19]. 29 Vgl. Liuzza (1994: xxxi). 30 Einen Eindruck der Handschrift CCCC 140 kann man sich hier verschaffen: <https: / / parker.stanford.edu/ parker/ catalog/ ks656dq8163> [29.05.19]. 31 Vgl. Harris (1901). Liuzza (2000) sieht das ganze Werk in der irisch-bretonischen Tradition. 32 Liuzza (1998: 14). 33 Vgl. Liuzza (1998). 34 Vgl. Forshall & Madden (1850: ix). 18429_Kasper_SL5.indd 33 18429_Kasper_SL5.indd 33 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 34 1 Einleitung: Verstehen als Leistung vor allem das Übersetzen und das Schreiben kümmerte. 35 Da dieses Unterfangen reformerischer Natur war, war es auch verboten. 36 Das führte dazu, dass in den Handschriften keine Namen auftauchen, wodurch die Zuweisung von Arbeitsschritten zu Einzelpersonen kaum zu bewerkstelligen ist. 37 Schon die bekannten frühen Versionen der Wycliffe-Bibel weisen in unterschiedlichem Grade Revisionsbemühungen auf, die zu einer späteren Version führten. Diese Bemühungen erstreckten sich über den Tod Wycliffes zur Jahreswende 1384/ 1385 hinaus und wurden von dessen Schüler John Purvey weiter vorangetrieben. (Es handelte sich um ein Projekt mit vielen Johns.) Die eher frühen Versionen zeichnen sich dabei eher durch eine „close, literal, and sometimes rather unpolished form“ aus, während die eher späteren „a little less literal, […] more smooth and flowing“ anmuten und „in more idiomatic and less laboured English“ verfasst sind. 38 Obwohl reformerischen Charakters und dafür von der Orthodoxie verdammt, hatte die Wycliffe-Bibel für ein Werk vor dem Buchdruck doch beträchtliche Verbreitung. Sie reichte bis in aristokratische Laienkreise, die ein allgemeiner Prolog sogar anspricht. 39 Zu dem Anspruch auf Breitenwirkung - zumindest in Bezug auf die spätere Version - passt, dass die Wycliffe-Bibel keinem mittelenglischen Dialektverband eindeutig zuordenbar ist. Vielmehr dominieren überregional geläufige Formen, die am ehesten dem Midland, vielleicht dem Central Midland entsprechen. 40 Diese Varietät verlor am Ende des 15. Jahrhunderts ihre überregionale Bedeutung. Eine einheitliche lateinische Vorlage hat es nicht gegeben. 41 Die zahlreichen Übersetzer hatten anscheinend verschiedene zur Hand und verwendeten diese auch. Ich werde mich auf die Edition von Forshall und Madden aus dem Jahr 1850 stützen. Diese Edition bietet den Text der früheren Version in der linken Spalte einer Seite, den Text der späteren Version rechts daneben, außerdem den allgemeinen Prolog. Die spätere Version in der Edition basiert auf der Handschrift MS 1 C VIII aus der Royal Library des British Museum. Sie entstand um die Wende zum 15. Jahrhundert und sie werde ich analysieren. 42 Die Herausgeber zogen zahlreiche Handschriften zum Vergleich heran. Auch wenn ihr Verfahren nicht in allen Aspekten ganz transparent war, ist diese Edition immer noch diejenige, die zum Studium empfohlen wird, insbesondere, was unsere spätere Version betrifft. 43 Während in England bis in Wycliffes und in Deutschland bis in Luthers Tage kaum eine Laiin mit englischer beziehungsweise deutscher Muttersprache einen Bibeltext in ihrer eigenen Sprache zu hören, geschweige denn zu lesen bekam - wenn sie denn lesen konnte -, änderte sich dies sowohl in England als auch in Deutschland infolge des Buchdrucks. Eine erste gedruckte englische Bibel erschien 1526 in der Übersetzung von Tyndale. Da dieser sich 35 Vgl. Levy (2017: 27). 36 Zum historischen Kontext vgl. Deanesly (1920), Catto (2017). 37 Eine Ausnahme ist Nicholas Hereford, der namentlich als Übersetzer genannt wird. Vgl. Hudson (2017b: 149). 38 Skeat (1879: vi). Zu der Beziehung zwischen der früheren und späteren Version vgl. auch Dove (2007) und Hudson (2017b). 39 Der Text des Prologs befindet sich in Forshall & Madden (1850, I, 1-60). Vgl. dazu auch Ghosh (2017). 40 Vgl. Skeat (1898), Samuels (1989), Peikola (2003), Sopolova (2017). Zur Standardisierung im Englischen vgl. auch Nielsen (2005). 41 Vgl. Hudson & Sopolova (2017). 42 Einen Eindruck dieser Handschrift kann man hier bekommen: <https: / / www.bl.uk/ catalogues/ illumina tedmanuscripts/ record.asp? MSID=7480&CollID=16&NStart=10308> [29.05.19]. 43 Für die editorischen Prinzipien vgl. Forshall & Madden (1850, I, i-lxiv). Für Kritik vgl. Fristedt (1953), für Kritik und Würdigung Hudson (2017a). 18429_Kasper_SL5.indd 34 18429_Kasper_SL5.indd 34 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 1.7 Das Korpus und die verwendeten Bibelübersetzungen 35 mit Luther gemein machte und seine Übersetzung nicht legal war, wurden nicht nur die Übersetzungsexemplare, sondern auch ihr geistiger Vater dem Feuer anheimgegeben. Eine von der - zu diesem Zeitpunkt dann anglikanischen - Kirche autorisierte englische Bibel erschien 1611 mit der „King James-Bibel“. In Deutschland verhalf dagegen eine Allianz aus Druckerkunst und politisch-territorial durchgesetzter Reformation der volkssprachlichen Bibel zum Durchbruch. 44 Nun wurde die frühneuhochdeutsche „Biblia“ oder „Luther-Bibel“ gedruckt, vervielfältigt, verbreitet und ihr Besitz und Gebrauch waren juristisch-politisch gedeckt. Infolge der Reformation - und wohlgemerkt anders als zuvor - wurden Messen in reformierten Ländern bald auch in deutscher Sprache gehalten. Die katholische Kirche zog im Rahmen des Trienter Konzils diesbezüglich aber notgedrungen bald nach. Ich werde keine jüngere englische Bibelübersetzung als die des Teams Wycliffe mehr analysieren. Die Untersuchung widmet sich der Frage, wie Leserinnen auch grammatisch mehrdeutige Äußerungen richtig verstehen können, wenn es um die Frage geht, was womit in welcher Beziehung steht. Die Entscheidung, nach der mittelenglischen keine Bibel im modernen Englisch mehr zu untersuchen, folgt der Erwägung, dass eine solche die Mehrdeutigkeiten, die uns interessieren, nicht mehr aufweisen wird. Es wird sich zeigen, dass dies im Deutschen anders ist. Die Verbreitung der lutherischen, frühneuhochdeutschen Bibelübersetzung erreichte ganz andere Dimensionen als die der mittelalterlichen Handschriften. Es wird davon ausgegangen, dass von 1522 bis 1546 „etwa eine halbe Million Luther-Bibeln im Umlauf waren.“ 45 Die beiden Daten geben den Zeitraum vom Erscheinen des Neuen Testaments, dann der Gesamtbibel 1534 und der Gesamtausgabe letzter Hand 1545 bis hin zu Luthers Tod an. Luther hatte zwar schon Anfang der 1520er Jahre das Neue Testament aus den altgriechischen Originaltexten übersetzt, in den späteren Drucken aber Revisionen vorgenommen, die bis ins letzte Jahrhundert Bestand hatten. Die Tendenz dieser Revisionen war es, Luthers eigene ostmitteldeutsche, teilweise auch niederdeutsch geprägte Varianten dann, wenn sie eher landschaftlich begrenzt waren, durch großräumiger geläufige Varianten zu ersetzen, mit einer Orientierung ins Ostoberdeutsche. 46 Das Ziel seiner Übersetzungen war, dass bei treuer, sinngemäßer Übersetzug und aller dialektalen Unterschiede alle Deutschsprecherinnen sie verstehen konnten, 47 und zwar vollständig unabhängig von den aramäischen, hebräischen und griechischen Grundsprachen der Bibel sowie von Textversionen der mittelalterlichen lateinischen Tradition. 48 Dieser theologisch-hermeneutischen Intention ordnete Luther alles Weitere unter. 49 Das macht ihn aber nicht zum Wegbereiter oder gar zum Schöpfer unseres heutigen Deutschs. 50 Grammatisch stand er weitgehend auf dem Boden seiner Zeit, teilweise sogar einer früheren, aber im 44 In Bezug auf England schreibt Deanesly (1920: 206): „Thus, till the period of Wycliffe’s own influence, and even later, lay people of the upper classes who used translations of the scriptures, or books of devotion, would naturally have had them in French.“ 45 Bentzinger/ Kettmann (1983), zit. in Besch (2000: 1718). 46 Vgl. Besch (2000). 47 Vgl. Besch (2014: 129). 48 Besch (2014: 64) geht jedoch davon aus, dass Niederdeutschsprecherinnen noch lange auf Übersetzungen ins Niederdeutsche angewiesen waren. Sein Ausgleichsbestreben richtete sich nämlich vornehmlich auf die Graphie. 49 Vgl. Sonderegger (1998). 50 Vgl. Besch (2014: 11), Wolf (2017). 18429_Kasper_SL5.indd 35 18429_Kasper_SL5.indd 35 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 36 1 Einleitung: Verstehen als Leistung funktionalen Einsatz seines Stils im Dienste sakraler Sprache war er ein wirkmächtiger Meister. 51 Obwohl einer Einzelperson nicht die gestalterische Schöpfung einer Sprach(stuf)e zugerechnet werden kann, muss man aber dennoch berücksichtigen, dass Luthers Bibeldeutsch, auch wenn es nicht exklusiv das seine war, im Fahrwasser der Reformation an überregionaler Bedeutung gewinnen musste. Dabei war es vom Glück seiner sprachgeographischen Mittellage begünstigt. „Luther in Kiel oder in Konstanz hätte sich sprachlich schwergetan, wäre wahrscheinlich gescheitert.“ 52 Zur Analyse wird mir die Ausgabe letzter Hand dienen, in denen Luthers eigene Revisionen zu einem Ende gekommen sind. 53 Auch wenn die 1545er Bibel und die späteren gedruckten Bibeln, die ich verwenden werde, keine historisch-kritischen Editionen sind, so erleichtert die Tatsache, dass die entsprechenden Übersetzungen schon für den Druck konzipiert waren, dass die Drucke - trotz Raubdrucken - von ihren Urhebern autorisiert waren und dass das Druckverfahren existierende Fehler oder Abweichungen eher tradiert statt neue zu produzieren, das Problem, das bei den Handschriften besteht: der Abstand zwischen Handschriftentext(en) und Editionstext und den Unwägbarkeiten, mit denen anonyme mittelalterliche Handschriften verbunden sind. Die jüngeren weiteren Revisionen der Luther-Bibel obliegen seit dem Bestehen der Bundesrepublik offiziell der Evangelischen Kirche in Deutschland, die in unregelmäßigen Abständen (1956 beziehungsweise 1964, 1975, 1984 beziehungsweise 1999, 2017) eine Schar Leute daransetzt, Änderungen an der jeweils vorangegangenen Revision vorzunehmen, immer in Auseinandersetzung mit Luthers eigener Übersetzung, ihrer theologischen Bedeutung und aktuellen Veränderungen im Sprachgebrauch. Ich werde stellvertretend für die neuhochdeutsche Sprache die Revision von 1984 analysieren. Der Siegeszug der Luther-Bibel war auch der Siegeszug der überregionalen geschriebenen Sprache der Luther-Bibel. Selbst dort, wo ihre Verwendung aus theologisch-konfessionellen Gründen abgelehnt wurde, entstanden Bibelübersetzungen, denen diese überregionale Schriftsprache als Vorbild diente. Selbst in der Schweiz hielt im 17. und 18. Jahrhundert die Schriftnorm der deutschen Drucker Einzug, noch früher breitete sich diese Norm im niederdeutschen Raum aus. Die überregionale Schriftsprache gelangte mit den Bibelübersetzungen nicht nur in die Kirchen, sondern geriet bald auch als Aussprachenorm in die höheren urbanen Gesellschaftsschichten und von dort weiter hinab in die anderen Gesellschaftsschichten (und später auch in die Schule). Sie ersetzte nicht die alten, lokal begrenzten Sprechweisen, sondern etablierte sich als situationsspezifisch gebrauchte Sprechweise neben den alten, lokalen Sprechweisen. Ab diesem Zeitpunkt, etwa um 1700 herum, entwickelten sich die kleinräumigen Dialekte auch in Auseinandersetzung mit der überregionalen Schrift- und Aussprachenorm weiter. Die Geschichte der deutschen Dialekte lässt sich auch als eine solche des Rückzugs des Dialekts aus Situationstypen erzählen. Dieser kurze historische Abriss ist wichtig, um den Status der hochalemannischen Bibel von Emil Weber (1997) und der nordniederdeutschen (schleswigischen) Bibel von Johannes Jessen ([1933] 2006) besser einschätzen zu können. Es führt keine Traditionslinie von den regional geprägten Bibelübersetzungen des Mittelalters zu diesen beiden Dialektbibeln des 20. 51 Vgl. Besch (2014), Eroms (2017). 52 Besch (2000: 1717). 53 Ein Exemplar ist hier einsehbar: <http: / / digital.wlb-stuttgart.de/ sammlungen/ sammlungsliste/ werksansicht/ ? no_cache=1&tx_dlf%5Bid%5D=4036&tx_dlf%5Bpage%5D=1> [16.2.18]. 18429_Kasper_SL5.indd 36 18429_Kasper_SL5.indd 36 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 1.7 Das Korpus und die verwendeten Bibelübersetzungen 37 Jahrhunderts. Dazwischen ist die neuhochdeutsche Standardsprache geraten, die den Dialekt nicht nur aus vielen Lebensbereichen verdrängt hat, sondern ihn auch gar nicht erst in der Kirche hat heimisch werden lassen. Hinzu kommt, dass die reformierten Kirchen durchaus auch ihre schützende Hand über ihre jeweiligen Bibelübersetzungen halten und ein Interesse an einer autorisierten Bibelversion haben. Dass diese keine dialektale sein kann, versteht sich von selbst. Solche Dialektübersetzungen sind am ehesten als Reaktion auf die Dominanz der deutschen Standardsprache im religiösen Bereich zu werten. Die neuhochdeutsche Standardsprache ist für die meisten Deutschschweizer und war noch vor hundert Jahren für die Niederdeutschen die erste Fremdsprache. Religiöse Gefühle gehören zum Ureigenen vieler Menschen und sie durch eine Sprache vermittelt zu bekommen, die primär die von jemand anderem ist, muss als Mangel empfunden werden. Emil Weber sagt es selbst: Ali Zürcher chönd sie ja uf Hoochtüütsch läse, zum Biischpil i de nöie Zürcher Übersetzig. Aber vilicht isch grad drum d Bible vilne frönd plibe. S Hoochtüütschi isch ebe e Fröndspraach für öis. […] Wänn s stimmt, das d Büecher vom Nöie Teschtamänt für s Hèèrz gschribe sind, dänn mues es au e züritüütschi Übesetzig gèè. 54 Diesen beiden Bibeln ist daher auch keine große öffentliche Wirkung beschieden. Sie dienen vielmehr der privaten Erbauung. „Dat Nie Testament“ von Jessen ist eine relativ freie Übersetzung, deren Stil als „Hartslag“ bezeichnet wird. Sowohl Weber als auch Jessen haben aus dem Griechischen übersetzt. Die Kurzcharakterisierungen der Bibelübersetzungen beziehungsweise -editionen sollte zumindest andeuten, dass sie jeweils unter sehr verschiedenen kulturhistorischen, theologie- und kirchengeschichtlichen, sprachhistorischen und editionstheoretischen Umständen entstanden sind. Wenn wir uns vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund unserer Fragestellung für jede Übersetzung so etwas wie eine generalisierte Leserin vorstellen, an der wir Interpretationsautomatismen und -routinen durchspielen, die für alle Texte gelten sollen, dann ist es klar, dass wir von den meisten dieser variablen Umstände absehen müssen, um überhaupt vergleichen zu können. Die wichtigsten beiden Faktoren haben wir dabei noch nicht ausreichend berücksichtigt. Es ist der Charakter der Übersetzung selbst und die Bedingungen ihrer Rezeption. Die Übersetzung ist geprägt von den ideellen Auffassungen, die die Übersetzer von der Quellsprache der Vorlage und der Zielsprache des jeweiligen Übersetzungstextes hatten. Davon ist ebenfalls abhängig, wie sie gelesen wurde und wird. Und wie eine Bibelübersetzung gelesen wurde und wird, ist schließlich davon abhängig, wie zu einer bestimmten Zeit generell gelesen wurde. In Bezug auf diese Faktoren stehen unsere Bibelübersetzungen unter ganz verschiedenen Vorzeichen. Welche das genau sind und wie mit ihren Konsequenzen zu verfahren ist, soll aber erst erörtert werden, wenn deutlich geworden ist, was es für sprachliche Äußerungen bedeutet, grammatisch eindeutig und grammatisch mehrdeutig zu sein. 55 54 Weber (1997: 7). ‚Alle Zürcher können sie [die Bibel] ja auf Hochdeutsch lesen, zum Beispiel in der neuen Zürcher Übersetzung. Aber vielleicht ist die Bibel vielen gerade deswegen fremd geblieben. Das Hochdeutsche ist eben eine Fremdsprache für uns. … Wenn es stimmt, dass die Bücher des Neuen Testaments für das Herz geschrieben sind, dann muss es auch eine zürichdeutsche Übersetzung geben.‘ (meine Übersetzung). 55 Siehe Abschnitt 2.5. 18429_Kasper_SL5.indd 37 18429_Kasper_SL5.indd 37 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 18429_Kasper_SL5.indd 38 18429_Kasper_SL5.indd 38 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 2.1 Sprachliche Konventionen und Verstehen 39 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur [A] particular utterance can have many different meanings in different situations and one and the same impression can be produced by many different utterances. Nevertheless, the hearer has the feeling of being directly in the presence of anger or other feelings of [the] o[ther person], and it would be hard to find a difference between this feeling of presence and the feeling of being in the presence of directly, visually seen objects. There certainly does not have to intervene a ‘judgment’ or an ‘inference’ just because meanings are essential data in the perceptual process. (Heider, The psychology of interpersonal relations, S. 47) Das Ziel dieses Großkapitels wird es sein, nachzuweisen, dass Leserinnen unserer neutestamentlichen Kapitel es mit grammatisch mehrdeutigen Sätzen zu tun bekommen. Und wenn wir verstehen möchten, wie mehrdeutige sprachliche Äußerungen verstanden werden können, müssen wir zunächst einmal klären, wie es dazu kommt, dass sprachliche Äußerungen für Leserinnen anscheinend eindeutig sein können. Die Natur der Mittel, mit denen die Ausdeutbarkeit von sprachlichen Äußerungen eingeschränkt werden kann, ist das Thema von Abschnitt 2.1. Welche Mittel dies konkret sind und welche Leistungen sie für die Interpretation erbringen können, werde ich in Abschnitt 2.2 illustrieren. In Abschnitt 2.3 werden wir sehen, wie Mehrdeutigkeit daraus resultiert, dass diese Mittel in der Interpretation nicht zur Verfügung stehen oder nicht genutzt werden. In Abschnitt 2.4 wird es dann darum gehen, wie sich diese Mittel den Lehrmeinungen zufolge zueinander verhalten. Die Abschnitte 2.5 bis 2.7 werden dann die Korpusuntersuchung vorbereiten, indem sie die Fragen behandeln, wie wir mit den historisch bedingten unterschiedlichen Übersetzungsstilen umgehen werden, wie wir die Übersetzungen auf einen gemeinsamen erkenntnistheoretischen Nenner bringen können und welche Rolle eine möglicherweise stille Prosodie als weiteres sprachliches Mittel spielen könnte. Im letzten Abschnitt 2.8 folgt der Korpusanalyse erster Teil. 2.1 Sprachliche Konventionen und Verstehen 2.1.1 Vom Privaten zum Öffentlichen Wir verwenden Sprache nicht nur, um uns gegenseitig das Neue Testament zu übersetzen, sondern auch dazu, einander über alles Mögliche zu informieren, einander aufzufordern, etwas zu tun, Gefühle und Einstellungen miteinander zu teilen, Kontakt untereinander zu organisieren, uns zu verfluchen, zu dichten, zu beten und zu beschwören. Einige Philosophen verstehen auch das Denken - hier zu unterscheiden vom Wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern und Fühlen - als sprachliche Aktivität, also als so etwas wie simuliertes Sprechen. Die meisten dieser Aktivitäten sind solche, die zwischen zwei oder mehr Interaktionspartnern stattfinden. Selbst die Dichterin, Denkerin und Tagebuchschreiberin übernimmt mindestens zwei Rollen, die der Sprachproduzentin und die der Interpretin des eigenen (simulierten) Sprechens oder Schreibens. Sie kann sich sogar durch die Mehrdeutigkeit ihrer eigenen Äußerungen selbst 18429_Kasper_SL5.indd 39 18429_Kasper_SL5.indd 39 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 40 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur täuschen oder an ihr Misserfolge erleben. Auch beim Beten und Beschwören wird ein Gegenüber, ob personhaft oder nicht, vorgestellt. Um diese interaktiven Funktionen zu erfüllen, müssen sprachliche Äußerungen eine wesentliche Eigenschaft aufweisen, die man als funktionales Universal bezeichnen könnte: Sie müssen regelmäßig erfolgreich interpretierbar hinsichtlich der Frage sein, was womit in welcher Beziehung steht. Dass dies keine triviale Leistung ist, soll einmal mehr an unserem Satz aus Johannes 19, 27 demonstriert werden, aber diesmal an der neuhochdeutschen Neuen Genfer Bibelübersetzung. Dort lautet er folgendermaßen: (4) Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich [ … ] . (Neuhochdeutsch, Neue Genfer Übersetzung, Deutsche/ Genfer Bibelgesellschaft [2009]) Zu Illustrationszwecken möchte ich diesmal davon ausgehen, dass der Schreiber das Ereignis, das dieser Äußerung zugrunde liegt, selbst wahrgenommen und als bestimmtes Ereignis erkannt habe und es ihm nicht bereits sprachlich vermittelt worden sei. Wir können dann sagen, dass der Schreiber in Bezug auf dieses Ereignis eine für ihn bestimmte, komplexe Vorstellung erwarb; bestimmt, was die Zeit des Ereignisses (Vergangenheit relativ zum Zeitpunkt der Niederschrift), den Beginn des Ereignisses (ab dem Zeitpunkt von Jesu Erklärung), den Jünger, Jesus, die Mutter und etwa die Heimstatt des Jüngers betrifft; bestimmt auch dahingehend, dass der Jünger der Nehmer und die Mutter die Genommene war und die Bewegung des Nehmens auf den Jünger (beziehungsweise seine Heimstatt) gerichtet war; bestimmt möglicherweise auch darin, wie es dort roch, wie sich die Beteiligten fühlten, wie Jesus litt, welche Farbe der Himmel hatte, welches Material die Kleider der Beteiligten hatten, welche Frisuren sie trugen, wie der Weg beschaffen war, auf welchem Weg sie zur Heimstatt des Jüngers gelangten und so weiter. Dabei ist zu beachten, dass dies bereits eine normen-, konventionen- und durch die „-enz“-Faktoren gefilterte Deutung des Ereignisses ist. (Streng genommen bringt die Deutung das Ereignis als solches erst hervor.) Ihre Bestimmtheit in Bezug auf die darin vorkommenden Gegenstände, ihre Beziehungen zueinander, ihre phänomenalen Qualitäten und ihre Wirklichkeit besitzt sie auf Kosten anderer möglicher Bestimmungen. Auf die übergeordnete W -Frage Was kann ich (jetzt) tun? mag eine spätere Antwort des Schreibers gewesen sein, denen davon berichten zu wollen, die es noch nicht erfahren haben. Vorstellungen sind wie alle mentalen Vorgänge aber privat, das heißt nur derjenige, der sich etwas vorstellt, weiß auch, was er sich vorstellt. Daher war der Schreiber darauf angewiesen, seine Vorstellung auf irgendeine Art zugänglich zu machen. Kopieren und Einfügen waren und sind dabei auf absehbare Zeit keine realistischen Optionen. Der einzig mögliche Weg ist, etwas wahrnehmbar zu machen, indem man es entäußert. Dadurch wird es öffentlich. 2.1.2 Öffentlichkeit und sprachliche Konventionen Im ersten Kapitel hatten wir gesehen, dass unter Beachtung der Konventionen einer Sprache die Ausdeutbarkeit einer Äußerung engen Grenzen unterliegt und dass dies zu den Eigenschaften gehört, die Sprache zu einem praktisch erfolgreichen Kommunikationsmittel machen. Ich möchte nun die Frage diskutieren, wie wir dieses Konventionalisierte im Sprachgebrauch besser fassen können. Denn wenn unser Schreiber etwas von seiner Vorstellung dadurch kommunizieren möchte, dass er vokalisch, manuell oder graphisch Erzeugtes öffentlich wahr- 18429_Kasper_SL5.indd 40 18429_Kasper_SL5.indd 40 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 2.1 Sprachliche Konventionen und Verstehen 41 nehmbar macht, sind diese Erzeugnisse ohne Konventionen nahezu beliebig ausdeutbar, wie wir gesehen haben. Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass unter Konvention nicht eine Übereinkunft in dem Sinne verstanden werden kann, dass eine Gruppe von Menschen sich darüber einigt, welche Regeln künftig für ihr kommunikatives Miteinander gelten sollen, denn wie sollte man sich über etwas einigen, ohne dass bereits Konventionen bestünden, die eine solche Einigung ermöglichten? Plausibler erscheint, dass die Entstehung und Fortentwicklung des Kommunikationsmittels Sprache durch unzählige Zyklen aus Variation (vielfältiges Ausprobieren), Selektion (Weiterverwendung des Erfolgreichen) und Reproduktion (Weitergabe beziehungsweise Übernahme des Bewährten) zwischen Menschen innerhalb von Gruppen und zwischen Gruppen gekennzeichnet sind, die sich über Lebzeiten und Generationen hinweg erstrecken. Mit ihren jeweiligen kognitiven und physischen Fähigkeiten versuchen Menschen, auf vielfältige Weise mit bestimmten vokalischen oder manuellen Gesten ihre Vorstellungen zu gemeinsamen Vorstellungen zu machen. 56 Sie verwenden solche Gesten weiter, die sich dabei in der gemeinsamen Praxis als erfolgreicher erweisen als andere, und geben sie im Rahmen der Kultur einander und an nachfolgende Generationen weiter. Diese wiederum übernehmen die bewährten sprachlichen Praktiken, verändern sie dabei aber, indem sie neue Gesten ausprobieren, praktisch bewährte auf Kosten anderer weiterverwenden, übernommene Gesten enger oder weiter gebrauchen, die Gestalt der Gesten verändern und so weiter. 57 Aus diesem kumulativen Zyklus aus Versuch und (Miss-)Erfolg, aus dem immer Mittel weiterverwendet werden, die sich als praktisch erfolgreich erwiesen haben, kann durch zunehmende Ausdifferenzierung des Gesteninventars und ihrer Funktionen schließlich das entstehen, was wir heute als natürliche Sprachen kennen. 58 Dafür ist keine metasprachliche Einigung darüber nötig, welche Ausdrucksmittel zu gebrauchen sind und welche nicht. Die Konventionen kommen mit dem Gebrauch. Sie beruhen wesentlich auf dem öffentlichen Charakter des Kommunikationsmittels und bilden sich in der Interaktion heraus. Dass alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft eine Konvention befolgen, ist dabei in der Regel nicht das geplante oder planbare Resultat der Sprecherin, die sie eingeführt hat, sondern meistens eine Folge davon, dass eine hinreichende Menge anderer Sprachbenutzerinnen sie, ob bewusst oder unbewusst, übernimmt. Konventionen sind nicht als Regelwerke verfügbar, in denen expliziert wäre, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Für unsere Interpretin haben sie den Charakter eines positiven Know-hows : Sie verfügt über die Fertigkeit, physische und kognitive Aktivitäten gelungen und erfolgreich ausführen, oft in routinisierter oder gar automatisierter Weise. Dieses Know-how ist scharf von einem Know-that zu unterscheiden, das ein explizierbares Wissen 56 Tomasello (2008) nennt das „Infrastruktur“. 57 Das kann und soll durchaus im Sinne von Rudi Kellers Theorie der unsichtbaren Hand verstanden werden. Vgl. Keller (2003). 58 Das Zauberwort ist hier kumulativ . Die Gestalt einer Sprache ist die Folge von absichtlichen Sprechhandlungen vieler Personen, aber selbst nicht beabsichtigt. Das geht deswegen, weil absichtliche Handlungen auch stets unbeabsichtigte Nebenfolgen zeitigen. Und die Sprachstruktur kumuliert aus unbeabsichtigten Nebenfolgen von absichtlichen Sprechhandlungen, wobei diese Nebenfolgen sozusagen in die gleiche Richtung verlaufen (vgl. Schmidts & Herrgens 2011 Begriff der Synchronisierung). Dies wiederum tun sie, weil sie für die Sprachbenutzerinnen bestimmte Leistungen erbringen, deren sie aber gar nicht gewahr sind, während sie sprechen. Hierbei lässt sich die Sprache anderen menschlichen Institutionen vergleichen. Vgl. Menger (1883: 178-183), von Hayek (1956/ 1957) sowie die philosophischen Aufsätze in von Hayek (1967, insbesondere „The results of human action but not of human design“). 18429_Kasper_SL5.indd 41 18429_Kasper_SL5.indd 41 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 42 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur darüber umfasst, wie diese Aktivitäten analysierbar sind und wie nicht, und darüber, was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für ihr Gelingen und ihren Erfolg sind. 59 Für das Know-how , das unsere Interpretin bei ihren tagtäglichen Verrichtungen demonstriert, zu denen auch Sprechen, Schreiben, Hör- und Leseverstehen gehören, bedarf sie des Know-thats nicht. Das gilt es auch zu bedenken, wenn ich im Folgenden davon spreche, dass eine Interpretin Grammatisches „kennt“ oder „weiß“. 2.1.3 Die Zwänge der Öffentlichkeit: Treue und Sparsamkeit Von Anfang an begleitet diesen Zyklus aus Versuch und (Miss-)Erfolg aber auch ein Kompromiss aus dem Wünschenswerten und dem Machbaren. Wünschenswert wäre beispielsweise die Möglichkeit, bestimmte Vorstellungen - dieser konkrete Jünger, diese konkrete Frau, vielleicht auch das ganze konkrete Ereignis in seiner phänomenalen Fülle 60 - mit bestimmten, nur für diese konkreten Gegenstände oder dieses Ereignis verwendbaren Gesten sozusagen vorstellungsgetreu auszudrücken und für andere konkrete Jünger, Frauen oder Ereignisse ebenso treu jeweils andere Ausdrücke zu verwenden. Obwohl dies nicht einmal der radikalste mögliche Wunsch im Sinne der Treue ist, mag selbst er, wenn überhaupt, nur so lange praktizierbar sein, wie die Miniaturwelt, in der so kommuniziert wird, klein genug ist und der Kreis, mit dem so kommuniziert wird, dieser Miniaturwelt angehört. Er wird sehr schnell an Grenzen stoßen. Diese Grenzen betreffen einerseits die geringen Erfolgsaussichten, die die verfügbaren Ausdrucksmittel besitzen, sobald nicht mehr alle Sprecher über den gleichen Erfahrungsschatz verfügen, und andererseits die kognitive Beherrschbarkeit der Ausdrucksmittel, sobald die Zahl der Gegenstände oder Ereignisse des gleichen Typs, aber auch unterschiedlichen Typs, zu hoch wird. Solche Erfordernisse der Sparsamkeit erzeugen bei Menschen einen Selektionsdruck auf solche Ausdrucksmittel, die in ihrer Bestimmtheit in gewissem Maße untreu gegenüber den bestimmten Vorstellungen sind, zu deren Ausdruck sie dienen, aber immer noch treu genug, um den Interaktionserfolg sicherzustellen. Ein zentraler Aspekt dieser Untreue im Dienste der Sparsamkeit ist auch, für alle möglichen Beziehungen zwischen allen möglichen Dingen ( Was steht womit in welcher Beziehung? ) ein begrenztes Inventar an Ausdrucksmustern zu entwickeln. Gestern wies der Präsident alle Anschuldigungen von sich mag hinsichtlich des Vorstellungsinhalts wenig mit unserer Äußerung in (4) gemeinsam haben, aber die Ausdrucksmuster können als sehr ähnlich oder sogar identisch beschrieben werden, wenn wir von der jeweiligen Bestimmung des Was? , Womit? und 59 Vgl. dazu die Unterscheidung bei Ryle ([1949] 1990). 60 Den Begriff der Fülle habe ich Husserl (1954) entnommen. Er verwendet ihn, um die lebensweltliche, und das heißt von naturwissenschaftlichen und mathematischen Abstraktionen und Idealisierungen undurchsetzte Wahrnehmung von etwas zu charakterisieren: „Konkret […] sind uns, zunächst in der empirischen sinnlichen Anschauung, die wirklichen und möglichen empirischen Gestalten bloß als ‚Formen‘ einer ‚Materie‘, einer sinnlichen Fülle gegeben; also mit dem, was sich in den sogenannten ‚spezifischen‘ Sinnesqualitäten, Farbe, Ton, Geruch und dergleichen, und in eigenen Gradualitäten darstellt.“ (Husserl 1954: 27) Und er präzisiert: „Wir sprechen hier und überall, getreu die wirkliche Erfahrung zur Aussprache bringend, von Qualitäten, von Eigenschaften der wirklich in diesen Eigenschaften wahrgenommenen Körper. Und wenn wir sie als Füllen von Gestalten bezeichnen, so nehmen wir auch diese Gestalten als ‚Qualitäten‘ der Körper selbst, und auch als sinnliche, nur daß sie […] nicht die Bezogenheit auf ihnen allein zugehörige Sinnesorgane haben […].“ (Husserl 1954: 28, Fußnote) 18429_Kasper_SL5.indd 42 18429_Kasper_SL5.indd 42 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 2.1 Sprachliche Konventionen und Verstehen 43 Welche Beziehung? absehen. In dem langen Prozess der Konventionalisierung einer Sprache setzt die Herausbildung eines solchen begrenzten Inventars an routinisierten Ausdrucksmustern der Kreativität ihrer Sprecher zunehmend Grenzen. Dadurch entsteht in der Sprache so etwas wie eine Eigenstruktur in einem Bereich zwischen dem Privaten der individuellen Vorstellungswelt und dem Öffentlichen, Überindividuellen des Kommunikationsmittels Sprache. 61 Die Eigenstruktur ist nämlich einerseits niemals völlig unabhängig vom Vorstellungsleben der Sprecher. Die beiden Äußerungen weisen, wenn wir vom Konkreten der Vorstellungen absehen, jeweils eine Agens-Handlung-Patiens-Pfad-Lokation-Konfiguration auf, was dem Treuezwang Genüge tut; andererseits kann nicht (mehr) jede Konfiguration von Vorstellungsinhalten so kreativ ausgedrückt werden, dass ständig neue Ausdrucksmuster entstünden, die zu Routinen neben anderen Routinen führen würden - jemanden zu sich zu nehmen und Vorwürfe von sich zu weisen unterscheiden sich in der Ausgestaltung der obigen Konfiguration nämlich recht stark. Die Sprecher einer Sprache sind stattdessen gezwungen, das meiste vorstellungsmäßig Neue analogisch mit einer geschlossenen Klasse an überkommenen Mitteln auszudrücken. Diese Konventionen erstrecken sich irgendwann auf die meisten Aspekte der Formgebung auf verschiedenen Ebenen der Sprache und sind so eng aneinandergeknüpft, dass jede Innovation, die dann doch einmal von anderen Sprechern übernommen wird, das strapazierte Gleichgewicht aus Treue und Sparsamkeit stören und Modifikationen in den überkommenen Mitteln erzwingen kann, damit dieses Gleichgewicht im Dienste der Funktionalität und Beherrschbarkeit der Sprache wieder hergestellt wird. Von allen Kommunikationsformen, die wir kennen, ist Sprache in Bezug auf Treue und Sparsamkeit die effektivste, zu der Menschen fähig sind, und das heißt, diejenige mit dem besten realisierbaren Verhältnis von Anwendungsbreite, Aufwand (Sparsamkeit, Beherrschbarkeit), Eindeutigkeit (Treue), Übertragungsrate und Erfolgsaussichten. Der Schreiber der Äußerung in (4) und seine Rezipientinnen sind räumlich und zeitlich voneinander getrennt. Er kann daher nicht einfach auf das Ereignis zeigen, damit sie es ebenfalls in seiner phänomenalen Fülle wahrnehmen und deuten können, was hinsichtlich des Aufwands, der Eindeutigkeit, Übertragungsrate und der Erfolgsaussichten vielleicht effektiver sein könnte - unter der Voraussetzung, dass die Rezipientinnen das Ereignis vor einem vergleichbaren Horizont von Normen, Konventionen und Pertinenzen deuteten. Ohne diesen gemeinsamen Horizont hätte der Schreiber es mit der Zeigegeste den Rezipientinnen selbst überlassen, die pertinenten Aspekte der gesamten Szene auszusondern, was bei ihnen ziemlich sicher zu anderen Antworten auf ihre W -Fragen geführt hätte als bei ihm. Er verwendete also den (geschriebenen) sprachlichen Ausdruck, dessen Anwendungsbreite auch die räumliche und zeitliche Trennung zwischen Schreiber und Rezipientinnen überbrückt. Eine Konsequenz dieser Anwendungsbreite ist, dass die Übertragungsrate viel geringer ist. In derselben Zeit, die eine Zeigegeste benötigt, können viel weniger Vorstellungen mitsamt ihren phänomenalen Qualitäten sprachlich kommuniziert werden. Dadurch war der Schreiber gezwungen, das vor seinem Deutungshorizont bereits gedeutete Ereignis zum Zweck der sprachlichen Kommunikation nochmals hinsichtlich seiner - nun kommunikativ - pertinenten Aspekte zu verschlanken, denn nicht alle Aspekte seiner Vorstellung waren ihm bei dem gebotenen Aufwand gleich mitteilenswert (und für die Rezipientinnen gleich bemerkenswert). So geht auf dem Weg von der privaten, 61 Den Terminus „Eigenstruktur“ und viele dazugehörige ideelle Anregungen habe ich Schwemmer (1997a) zu verdanken. 18429_Kasper_SL5.indd 43 18429_Kasper_SL5.indd 43 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 44 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur aber bestimmten Vorstellung des Ereignisses mitsamt seiner phänomenalen Fülle zu der öffentlich wahrnehmbaren und deutbaren Äußerung in (4) vieles dieser Bestimmtheit mitsamt den phänomenalen Qualitäten verloren. 2.1.4 Die Zwänge der Öffentlichkeit: symbolische Auslagerungen Ich gehe aus methodischen Gründen davon aus, dass das, was die Interpretin zu ihrer interpretativen Aufgabe mitbringt, zunächst nicht mehr ist als ein genetisch ererbtes und im Lebensvollzug ausgeprägtes Know-how zur Unterscheidung zwischen Dingen/ Gegenständen auf der einen und Eventualitäten auf der anderen Seite. Eventualitäten sind Zustände wie das Blausein eines Buches, Prozesse wie das Erkalten des Bodens, Aktivitäten wie das Singen des Vaters oder das Lächeln der Mutter, oder Kombinationen aus diesen wie das Ereignis des Aufgießens von Earl Grey. Dieses beinhaltet beispielsweise die Aktivitäten des Hebens, Neigens, Gießens und den Prozess des Fließens. Bei dieser Charakterisierung von Eventualitäten ist bereits zu erkennen, dass Eventualitäten streng genommen nichts von den Dingen Unterschiedenes, nichts neben den Dingen sind, sondern diesen zugesprochen werden, um sie zu bestimmen. Die Interpretin kann aber weder auf das Blaue zeigen, ohne gleichzeitig auf das Buch zu zeigen, noch kann sie sich ein Singen vorstellen, ohne sich jemanden vorzustellen, der singt. Das Blausein manifestiert sich für sie am Buch und das Singen am Vater, ohne etwas von dem jeweiligen Gegenstand Verschiedenes zu sein. Der Zustand des Blauseins und die Aktivität des Singens sind Bestimmungen, die sie an den Gegenständen vornimmt. Aus der übergeordneten Perspektive der Deutung von Eventualitäten hat unsere Interpretin, so wie wir alle, gute Karten, ihr Wohlergehen zu sichern, wenn sie beispielsweise in der Lage ist, Gegenstände als Steine zu erkennen und einen Prozess, in dem die Steine involviert sind, als ein auf-sie-zu-Fliegen. Wenn der Schreiber nun auf konventionelle Weise spricht oder schreibt und dabei an die Eigenstruktur der Sprache gebunden ist, kann die Interpretin aber nicht davon ausgehen, dass diese Eigenstruktur in einem einfachen Verhältnis zu ihrem vorsprachlichen Umgang mit Dingen und Eventualitäten steht. Die sprachliche Eigenstruktur weist ihre eigenen Einteilungsschablonen auf, die sie den Vorstellungen bisweilen aufdrücken muss. Man sagt beispielsweise die Aufmerksamkeit auf etwas richten und die Aufmerksamkeit verlieren , als ob über einen Gegenstand geredet würde - die Aufmerksamkeit -, aber man käme sehr schnell in Verlegenheit, wenn man auf ihn zeigen sollte. Der Schreiber von (4) hat zwei Gegenstände wahrgenommen und sie anschließend als Jünger beziehungsweise Mutter Jesu bestimmt, und er hat zwischen den beiden eine Eventualität des zu-sich-Nehmens erkannt. Aber diese vorsprachliche Tatsache hat zunächst keine zwingenden Konsequenzen für seine Äußerung. Sie zwingt ihn nicht, die als Jünger beziehungsweise Mutter bestimmten Gegenstände mit Substantiven und die Eventualität mit einem Verb und einer Präposition auszudrücken, wie deutsche Muttersprachlerinnen dies vielleicht als natürlich empfinden würden. Wir könnten uns nämlich sehr gut unabgeleitete Verben wie jüngern , muttern und jesussen oder unabgeleitete Adjektive wie jünger (hier nicht als komparativ zu jung), mutter und jesus vorstellen, die so etwas bedeuten würden wie ‚tun, was ein Jünger/ eine Mutter/ Jesus tut‘ beziehungsweise ‚jünger-/ mutter-/ jesushaft‘ und wir könnten uns ein unabgeleitetes Substantiv Nehm vorstellen, das ‚jemanden, der nimmt‘ bezeichnet. Nur 18429_Kasper_SL5.indd 44 18429_Kasper_SL5.indd 44 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 2.1 Sprachliche Konventionen und Verstehen 45 gibt es diese Möglichkeiten im Dudendeutschen nicht. Das normierte Standarddeutsche weist hier lexikalische Lücken auf. Aber es könnte diese Möglichkeiten geben, wie es Spitze , spitzen und spitz gibt. Abseits vom Dudendeutschen wird beispielsweise tatsächlich das Verb muttern verwendet und in der Sprache der Yuma werden Verwandtschaftsbeziehungen generell durch Verben ausgedrückt. 62 Der Schreiber war also nicht gezwungen, der Jünger … nahm zu schreiben, es wären auch der Nehmer jüngerte oder Ähnliches denkbar gewesen. Seine Sprache erlaubt ihm, eine Bestimmung des Gegenstandes ( Jüngersein) in das Substantiv einzulagern ( Jünger ), eine andere in das Verb und die Präposition ( nehmen … zu ) und eine dritte in das Adjektiv auszulagern (zum Beispiel langfüßig ). Bei aller hypothetischen Unbeschränktheit ist aber auffällig, dass die Sprachen der Welt nicht zufällig darin variieren, welche Bestimmungen von Gegenständen sie in welche Wortarten ein- oder auslagern. Darin ähneln sie sich sogar weitgehend. 63 Ich möchte jede einzelne dieser Bestimmungen als eine konventionalisierte Aspektvereinseitigung des betreffenden Gegenstandes auf Kosten anderer möglicher Aspektvereinseitigungen charakterisieren. Ein Gegenstand, dem das Jüngersein zugesprochen wird, ist niemals nur ein Jünger und sonst nichts, und wenn ihm außerdem zugeschrieben wird, dass er etwas nimmt, tut er immer auch etwas anderes als zu nehmen. Wir können aber möglicherweise sagen, dass ihm das Jüngersein länger zukommt und für uns eher als ein konstantes Unterscheidungsmerkmal dienen kann als sein Nehmen. Raumzeitlich konstante Eigenschaften wie Menschsein, Steinsein, Baumsein, Telefonsein, Jüngersein, Muttersein oder Jesussein, die für uns pertinente Kriterien für die Unterscheidbarkeit, Erkennbarkeit und Handhabbarkeit von Gegenständen sind, finden wir eher in (unabgeleitete) Substantive eingelagert, während wir dynamische, variable Bestimmungen, die einem Gegenstand bald zukommen, bald nicht zukommen, wie zu greifen, zuzuhören, betrunken zu sein oder etwas zu nehmen, eher in (unabgeleitete) Verben ausgelagert finden. Der Begriff der Auslagerung bedarf vielleicht einer Erläuterung. Während in der bestimmten Vorstellung eine Eventualität nichts von dem Gegenstand Verschiedenes ist, an dem sie sich manifestiert, müssen im sprachlichen Ausdruck manche Eventualitäten symbolisch in den Gegenstand einbeziehungsweise aus dem Gegenstand ausgelagert werden, so wie das Jüngersein im Substantiv eingelagert und das Nehmen in das Verb ausgelagert ist. Wir bekommen neben Jünger (und Mutter ) auch noch nahm . Diese Notwendigkeit zur symbolischen Auslagerung ist einer der Kompromisse aus Treue und Sparsamkeit, die die menschliche Sprache kennzeichnen und die zu durchschauen zum grundlegendsten sprachlichen Know-how gehört. Denn was wäre die Alternative zu einer 62 „Wie man entspannt muttert“ (http: / / mamablog-mamamia.com/ 2016/ 11/ 17/ wie-man-entspannt-muttert/ ) [9.6.17]. „Wenn es im Freundeskreis muttert, wird der eigene Kinderwunsch überdacht.“, Berliner Morgenpost, 26.9.2010 (www.morgenpost.de/ familie/ article104677757/ Wenn-es-im-Freundeskreis-muttertwird-der-eigene-Kinderwunsch-ueberdacht.html) [9.6.17]. „Kate und Hunziker schwanger. Es muttert bei der Prominenz“, Kölner Stadt-Anzeiger, 8.9.14 (www.ksta.de/ panorama/ -es-muttert-bei-der-prominenz-851574) [9.6.17]. Vgl. auch engl. to mother , unter anderem als ‚To be or become the mother of, give birth to‘ und ‚To bring up, take care of, or protect as a mother; to look after in a (sometimes excessively) kindly and protective way‘ (Oxford English Dictionary, Eintrag mother (www.oed.com/ ) [31.05.19]. Zu Yuma vgl. Halpern (1942). 63 Vgl. Dixon (2010, 26). 18429_Kasper_SL5.indd 45 18429_Kasper_SL5.indd 45 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 46 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur solchen symbolischen Auslagerung? Wir bräuchten einen Ausdruck, der die Einheit aus Gegenstand und Eventualität treu abbildet, aber so, dass er von anderen Ausdrücken für andere Gegenstände und deren Eventualitäten unterscheidbar wäre. Mit anderen Worten, wir bräuchten einen holistischen, das heißt in seiner Binnenstruktur ungegliederten Ausdruck für einen springenden Jünger, einen (völlig) anderen Ausdruck für einen sich duckenden Jünger, wieder einen (völlig) anderen für einen nehmenden Jünger, ja sogar für einen die Mutter Jesu nehmenden Jünger und so weiter. Und der Ausdruck für eine springende Mutter wäre natürlich ein (völlig) anderer als der für einen springenden Jünger. Es ist leicht einzusehen, dass sich ein solches kommunikatives Verkehrsmittel niemals durchsetzen könnte, aus dem einfachen Grund, dass es angesichts der erforderlichen Anwendungsbreite für Menschen kaum lernbar sein dürfte. Was wir tatsächlich haben, ist ein kommunikatives Verkehrsmittel, in dem Aspekte von Vorstellungen aus diesen Vorstellungen symbolisch ausgelagert werden. Wir erhalten ein trennbares sprachliches Nebeneinander, wo wir ein untrennbares Ineinander in der Vorstellung haben. Das führt nun aber zu einer bedeutenden Asymmetrie im sprachlichen Ausdruck: Für die Vorstellung von Eventualitäten auf der Basis von sprachlichen Ausdrücken ist es nötig, sich die Dinge, an denen sie sich manifestieren, mit vorzustellen, während es umgekehrt möglich ist, sich Dinge in so etwas wie einer Null-Eventualität vorzustellen, die meistens dem Ruhezustand entspricht. Das heißt, die Leserin muss sich, um sich auf der Basis von nahm eine Beziehung des Nehmens vorstellen zu können, etwas vorstellen, an dem sich das Nehmen manifestiert. Dazu gehören ein Nehmer und ein Genommenes. Die Kompromisslösung der symbolischen Auslagerung führt somit zu Dependenz in der Sprache: Um sich auf Basis eines Ausdrucks, zum Beispiel nahm , etwas vorstellen zu können, ist es nötig, sich etwas anderes vorzustellen - den Nehmer und das Genommene. Es kann natürlich sein, dass der in diesem Verhältnis abhängige Ausdruck ( nahm ) in Relation zu einem dritten Ausdruck wiederum der unabhängigere Teil ist. Um sich nämlich auf der Basis von zu etwas Gerichtetes vorzustellen, muss die Interpretin sich das, woran es sich manifestiert, und die räumlichen Bezugspunkte vorstellen. Da Gerichtetheit wiederum nur einen Aspekt einer Eventualität und nicht die Eventualität selbst bezeichnet, muss die Interpretin sich also auch noch eine Eventualität vorstellen, von der Gerichtetheit einen Aspekt darstellt. Nahm drückt eine solche Eventualität aus, nahm und zu sind zwei Bestandteile der gleichen Äußerung und sie befinden sich bei der Interpretation der Äußerung in relativer räumlicher und zeitlicher Nähe zueinander. Es liegt dann für die Leserin nahe, anhand beider eine komplexe Vorstellung eines gerichteten Nehmens zu konstruieren. Was nach einer recht statischen Kompositionsleistung klingt, ist in Wirklichkeit hochgradig dynamisch. Denn je nachdem, welche anderen Vorstellungen und Vorstellungsaspekte zur Vorstellungskonstruktion auf der Basis von zu oder nahm verwendet werden, ändert dies die gesamte komplexe Vorstellung der Aktivität des Nehmens. Nehmen ist beispielsweise einer der wenigen Eventualitätsausdrücke (im Deutschen), die nicht nur die Art und Weise einer Aktivität ausdrücken, sondern in den auch gleichzeitig der Aspekt der Gerichtetheit schon eingelagert ist. Ein Nehmen ist - zumindest in der entscheidenden Endphase - auf den Nehmer gerichtet. Andernfalls wäre es kein Nehmen. Insofern kann die Leserin erschließen, dass die zusätzliche Angabe einer Gerichtetheit durch zu eine Modifikation der Vorstellung des Nehmens erfordert, so dass das Nehmen nicht nur auf den Nehmer gerichtet ist, wofür nahm auch ohne zu gereicht hätte, sondern dass der Nehmer und das Genommene zusätzlich in einer mitgemeinten zweiten 18429_Kasper_SL5.indd 46 18429_Kasper_SL5.indd 46 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 47 Eventualität, zum Beispiel einer des Gehens oder Bringens, auf etwas gerichtet sind. Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich … bedeutet dann so etwas wie ‚Da nahm der Jünger die Mutter Jesu und brachte sie zu sich nach Hause‘ oder ‚… und ging mit ihr zu sich nach Hause‘. 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 2.2.1 Die Überstrukturiertheit sprachlicher Konventionen Dass das Deutsche, wie jede andere Sprache auch, seine eigenen Einteilungsschablonen aufweist, wovon die Wortarten eine sind, und dass diese nur lose mit der vorsprachlichen Einteilung in Dinge und Eventualitäten korrespondieren, führt dazu, dass unsere Interpretin nicht weiß, wo sie in der Äußerung in (4) ihren interpretativen Anker werfen soll. Ich hatte sie ja nur mit ihrem ererbten und erworbenen, vorsprachlichen Know-how über Gegenstände und Eventualitäten ausgestattet. Selbst wenn wir nun davon ausgehen, dass sie Da , Jünger , nahm , Mutter , Jesu und zu aus der Äußerung segmentieren und damit etwas assoziieren kann, kann sie eben (noch) nicht die Wortarten der Segmente erschließen (und wenn wir berücksichtigen, dass die Äußerung auf andere folgt und anderen vorangeht, kann sie auch nicht angeben, wo sie beginnt und endet). Sie muss also die Einteilungsschablone kennen, die zur sprachlichen Eigenstruktur gehört und wissen, welche lexikalischen Lücken diese Schablone (konventionell) füllt und welche sie offenlässt. Sie würde dann wissen - im Sinne eines Know-hows -, dass sie es in der Äußerung Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich … mit den Kategorien Adverb, Verb, Artikel, Substantiv, Artikel, Substantiv, Substantiv, Präposition, Reflexivpronomen zu tun hat. Aber wo kann sie ihren interpretativen Anker werfen? Ein möglicher Ankerpunkt dürfte für die Interpretin die Kenntnis sein, welche Handlung der Schreiber vollzieht, indem er die Äußerung tätigt. Wir haben gesehen, dass allein schon das Ansprechen der Interpretin eine kommunikative Handlung ist. Sie weiß aber noch nicht, was für eine Handlung es ist. Behauptet, erfragt oder befiehlt der Schreiber etwas? Natürlich könnten wir sagen, dass in dem Ausdruck Jünger eine Zuschreibung steckt, die einem Gegenstand das Jüngersein zuschreibt. Aber die Äußerung in (4) enthält neben dieser und ähnlichen Zuschreibungen eine noch zentralere, nämlich die zu-sich-Nehmen-Beziehung zwischen dem Jünger und der Mutter Jesu. Vor dem Hintergrund dieser Beziehung werden das Jüngersein des Jüngers und das Mutter-Jesu-Sein der Mutter zwischen Schreiber und Interpretin bloß vorausgesetzt. Die Nehmen-Beziehung ist einerseits zentral, weil sie als Eventualität salienter ist als das Jünger- und Muttersein. Dass sie dem Jünger und der Mutter zukommt, ist flüchtig und veränderlich und provoziert in besonderer Weise Antworten auf die W -Fragen. Die Nehmen-Beziehung ist andererseits zentral, weil sie durch Ausdrucksmittel gekennzeichnet ist, die zur Eigenstruktur der Sprache gehören. Das ist im Deutschen und Englischen vor allem die Finitheit des Verbs, mit der diverse Funktionen wie Person, Numerus, Modus, Tempus, (mehr oder weniger periphrastisch) Diathese und die Kasusbestimmung für das Subjekt assoziiert sind. In der Äußerung in (4) ist nahm ein finites Verb und zeigt die 1. oder 3. Person Singular Indikativ Imperfekt Aktiv an. Damit geht einher, dass die Nehmen-Beziehung, nicht aber das Jünger- oder Muttersein zur Debatte gestellt wird. Anhand weiterer Merkmale der sprachlichen Eigenstruktur kann die Interpretin dann erschließen, ob der Schreiber ihr etwas mitteilt, sie etwas fragt oder ihr etwas befiehlt. Zu diesen Merkmalen gehören die Abfolge der 18429_Kasper_SL5.indd 47 18429_Kasper_SL5.indd 47 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 48 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Elemente ( Nahm der Jünger … zu sich? ), die Flexionsform des Verbs ( Nimm … zu dir! ) und die Prosodie ( Der Jünger nahm … zu sich? / . ). Das heißt, wenn jemand auf die Äußerung in (4) hin Das stimmt nicht. ohne weitere Ausführungen antwortet, bestreitet sie, dass die Beziehung so bestand, aber nicht, dass den in dieser Beziehung vorkommenden Gegenständen das Jüngersein, Muttersein und so weiter zukommt. Diese Zuschreibungen sind zwar prinzipiell auch anerkennbar oder bestreitbar, aber sie stehen in dieser konkreten Äußerung nicht zur Debatte, weil sie nicht explizit mittels finiter Verbformen zugeschrieben werden. Die Interpretin könnte so ihren interpretativen Anker in die Entäußerung des Schreibers werfen und nun Antworten auf die W -Fragen suchen, die durch die Äußerung provoziert werden. Ich möchte wenigstens versuchen, prinzipiell nachzuvollziehen, über welche Kenntnisse die Interpretin verfügen muss, um ihren Anker in die Äußerung werfen und Antworten auf die W -Fragen geben zu können. Welche Antworten kann sie geben, welche wird sie nicht geben, und warum? Dies darzustellen muss einerseits sehr allgemein und kursorisch ausfallen. Es ist leicht zu sehen, dass eine ausführliche Beschreibung der Ursachen, warum die Deutungen sprachlicher Äußerungen nicht willkürlich erfolgen, einer Universalgrammatik nahekäme, die erklärt, warum Sprache als menschliches Phänomen sowie Einzelsprachen als ihre Instanzen jeweils als Kommunikationsmittel funktionieren. Sie muss andererseits auch zu spezifisch ausfallen, weil ich mich im vorliegenden Buch primär für das Deutsche und Englische interessiere sowie für die W -Fragen in Bezug auf den Äußerungsinhalt. Zum Dritten kann eine schrittweise, das heißt methodische Rekonstruktion der Geregeltheit von Deutungen nicht geleistet werden. Der Grund ist folgender: Bei der Beschreibung, wie die Interpretin ihren interpretativen Anker werfen kann, haben wir bereits auf einige Ausdrucksmittel Bezug genommen, die bereits zur konventionalisierten Eigenstruktur von Sprache gehören, zum Beispiel auf Wortarten, Satzgliedreihenfolge, Prosodie und Flexion. Wenn wir diese Regelungen, denen Deutungen unterliegen, schrittweise einführen wollten, könnten wir sie uns in Form von Wenn …, dann … -Instruktionen denken, so zum Beispiel: Wenn die Äußerung Jünger aufweist, stelle Dir einen bestimmten Jünger vor! Die Schwierigkeiten sind leicht zu erkennen: Der Ausdruck Jünger benötigt für seine Bestimmtheit einen Determinierer. Um die Bestimmung nachzuvollziehen, wird ein Ko(n)text benötigt. Der Determinierer muss in Kasus, Numerus und Genus mit Jünger kongruieren. Jünger kann auch ein Plural sein. Jünger kann überdies auch als Komparativ von jung verwendet werden. Und warum sollte Jünger ein Ausdruck für einen Gegenstand sein und nicht für eine Tätigkeit oder eine Eigenschaft? Die Anweisung müsste also in der Wenn -Klausel alle unerwünschten Deutungen ausschließen. Dafür müssten wir die Wenn -Klausel um weitere Wenns erweitern, bis die Dann -Klausel erfolgreich befolgt werden könnte. Konsequent durchgeführt, würde das darauf hinauslaufen, dass jede einzelne dieser Wenn …, dann … -Anweisungen unzählige, wenn nicht alle Wenn -Klauseln für eine Sprache, das heißt alle eigenstrukturellen Regelungen für erfolgreiche Interpretationen enthielte. Der erste Schritt der Rekonstruktion wäre damit unter Umständen schon der letzte. 2.2.2 Vom Öffentlichen zum Privaten: ein erster geschummelter Versuch Unabhängig davon, dass die Äußerung des Schreibers ein kooperativer kommunikativer Akt ist, fordert sie bereits als salientes Phänomen von der Interpretin eine Deutung. Dass die Äußerung ein kooperativer kommunikativer Akt ist, ist bereits das Resultat einer Deutung. 18429_Kasper_SL5.indd 48 18429_Kasper_SL5.indd 48 20.08.2020 10: 54: 58 20.08.2020 10: 54: 58 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 49 Die Interpretin erkennt in der Äußerungshandlung eine kooperative kommunikative Absicht. Nun muss sie für das Geäußerte selbst Antworten auf die W -Fragen fi nden. Diese Aufgabe ist - um noch einmal daran zu erinnern - umso anspruchsvoller dadurch, dass ihre Deutung etwas mit der Vorstellung des Schreibers gemeinsam haben muss, obwohl diese doch in ihrer sprachlichen Verpackung der meisten Bestimmungen entledigt ist. Denn das Gemeinsame bildet den Kern des Ausdrucks Kommunikation . Als kooperativer kommunikativer Akt ist die Äußerung für die Interpretin so etwas wie eine Handlungsauff orderung im Sinne von Werde angesichts meiner Äußerung tätig! In welcher Weise sie tätig werden soll, ist damit natürlich noch nicht spezifi ziert. Wir haben versucht, mit der Interpretin einen interpretativen Anker in der Äußerung in (4) zu werfen, was sie einer Antwort auf diese Frage näherbringt. Wir konnten über die fl ektierte Form des Verbs eine Behauptung identifi zieren. Als Behauptung zeigt die Äußerung der Interpretin an, wie sie das Behauptete nun praktisch verwerten, also beispielsweise zur Kenntnis nehmen, anerkennen, ihm zustimmen oder es bestreiten und ablehnen kann. Wir mussten dabei aber Bezug auf diverse andere sprachliche Ausdrucksmittel nehmen, die alle ebenfalls Funktionen für die Interpretation haben und kaum unabhängig voneinander charakterisiert werden können. Kraft ihrer Geregeltheit stellen Äußerungen für die Interpretin nun so etwas wie Instruktionen zum Aufbau von komplexen Vorstellungen und zum praktischen Verfahren mit diesen Vorstellungen dar . 64 Sowohl beim Vorstellen als auch beim praktischen Handhaben der Vorstellungen können wir noch weitere Unterscheidungen treff en, die in Abbildung 2 aufgeführt sind. Abb. 2: Der Instruktionscharakter von Äußerungen Die Unterscheidungen können sicher auch feingliedriger getroff en werden, aber für mein Erkenntnisinteresse reichen sie aus. Das Vorstellen von etwas betriff t die einzelnen Vorstellungen, die durch Ausdrücke oder Ausdrucksteile hervorgerufen werden (a). Hierhin gehören bereits die Dependenzen, die durch symbolische Auslagerungen entstehen. Ein Ausdruck, der eine symbolische Auslagerung enthält, instruiert zwar zum Vorstellen von etwas, aber um die Instruktion zu befolgen, muss zuerst dasjenige vorgestellt werden, aus dem der betreff ende Aspekt ausgelagert wurde. Eventualitäten können darüber hinaus auf verschiedene Art und Weise vorgestellt werden, wie beispielsweise das zu-sich-Nehmen der Mutter Jesu durch den 64 Der Instruktionsbegriff überschneidet sich hier mit demjenigen Weinrichs (1976), unterscheidet sich aber von diesem deutlich darin, wie das Instruierte konkret aufgefasst wird. Vgl. zu meiner Herleitung einer Instruktionsgrammatik Kasper (2014, 2015b). 18429_Kasper_SL5.indd 49 18429_Kasper_SL5.indd 49 20.08.2020 10: 54: 59 20.08.2020 10: 54: 59 50 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Jünger aus der - durchaus wörtlich zu verstehenden - Perspektive des Jüngers oder aus der Perspektive der Mutter vorgestellt werden kann (b). Dabei ändert sich der Inhalt der komplexen Vorstellung nicht. Wenn mit Ausdrucksmitteln zum Handeln instruiert wird, betrifft dieses nun nicht mehr den Vorstellungsinhalt oder die Vorstellungsart und -weise. Dabei geht es einerseits um das Ko(n)textualisieren der Vorstellungen durch ihre Erdung und die Herstellung von Kohärenz . Indem die komplexe Vorstellung in verschiedenen Spannungsfeldern verortet wird, erfährt sie eine Erdung (c). Diese Spannungsfelder betreffen beispielsweise solche zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Abgeschlossenheit und Unabgeschlossenheit, zwischen Wirklichkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit, zwischen Wunsch und Notwendigkeit oder zwischen zuverlässiger und unzuverlässiger Evidenz. Dadurch, dass einzelne oder komplexe Vorstellungen zu anderen Vorstellungen in Bezug gesetzt werden, seien sie im Kotext, im Kontext oder im gemeinsamen (Welt-)Wissen präsent, werden sie ko(n)textualisiert, wodurch Kohärenz entsteht (d). Andererseits betreffen Instruktionen zum Handeln die praktische Verwertung von (geerdeten und ko(n)textualisierten) Vorstellungen, wie wir bereits gesehen haben (e). Eine konkrete sprachliche Äußerung instruiert zu diesen Tätigkeiten auf spezifische Weise, aber diese Tätigkeiten sind im Allgemeinen nicht auf die Interpretation sprachlicher Äußerungen beschränkt. Wenn der Schreiber Zeuge der Ereignisse des Evangeliums geworden ist, hat er etwas wahrgenommen, genauso wie die Interpretin der Äußerung sich etwas vorstellt (a); er hat es auf eine bestimmte Weise wahrgenommen, wie die Interpretin sich etwas auf eine bestimmte Weise vorstellt (b); ebenso musste er es deutend in Bezug zu bereits Wahrgenommenem setzen, dabei Beziehungen zwischen diesen erkennen, wie dies die Interpretin mit ihren Vorstellungen ebenfalls tun muss (d); und er nahm die Wahrnehmungen zum Anlass für eigenes Handeln, ebenso wie die Interpretin dies mit der Deutung ihrer Äußerung tun muss (e). Sogar die Aktivität des Erdens übernehmen sowohl der Deutende eines wirklichen Ereignisses als auch die Interpretin eines sprachlich ausgedrückten Ereignisses (c): Während ein wahrgenommenes Ereignis durch seine bloße Gegebenheit für den Wahrnehmenden bereits geerdet ist, gilt dies für eine Vorstellung von einem Ereignis noch nicht, oder nicht mehr. Denn dahingehend, ob die Vorstellung eines Jordanienurlaubs beispielsweise eine Erinnerung an Geschehenes, eine bloße Fiktion oder eine Wunschvorstellung über die Zukunft ist, ist die Vorstellung selbst unbestimmt. Je nachdem, um was es sich handelt, veranlasst sie aber zu unterschiedlichem Handeln. Dann muss - ähnlich wie bei der Konfrontation mit einer Äußerung - zwischen der Bestimmung des Was steht womit in welcher Beziehung? und des Was kann ich (jetzt) tun? die Vorstellung erst einmal geerdet werden. Ich möchte am Beispiel der Äußerung in (4), Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich … , nun einen ersten Versuch unternehmen, die Bestandteile der Äußerung in den Verästelungen von Abbildung 2 zu verorten oder, anders gesprochen, ich lasse unsere Interpretin die sprachliche Instruktion mit ihren funktional gegliederten Bestandteilen erfolgreich befolgen und verstehen. Wir werden im Anschluss daran sehen, dass und wie dieser Erfolg an die spezifische Kenntnis der einzelsprachlichen Eigenstruktur gebunden ist. Ich verleihe unserer Interpretin also das Know-how für eine erfolgreiche Interpretation, indem ich sie bei allen Ausdrücken der Äußerung die richtigen Unterscheidungen und Entscheidungen treffen lasse. Ich werde sie ihr aber dann wieder entziehen, um aufzuzeigen, dass es so einfach dann doch nicht ist, dass sie die Unterscheidungen und Entscheidungen vielmehr nur unter Berücksichtigung eines ganzen 18429_Kasper_SL5.indd 50 18429_Kasper_SL5.indd 50 20.08.2020 10: 54: 59 20.08.2020 10: 54: 59 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 51 Komplexes von sprachlicher Eigenstrukturiertheit richtig treffen kann. Dieses Vorgehen soll dazu dienen, diese Eigenstrukturiertheit besser herauszupräparieren. Wir müssen dazu den engen Dunstkreis unserer isolierten Äußerung in (4) verlassen und sie in die gesamte kommunikative Interaktion einbetten. Die Äußerung ist mit dem vorangegangenen und dem folgenden Text vielfach verwoben und dieses Gewebe betrifft viele Aspekte des Vorstellens und Handelns. Die Äußerung in (4) erscheint erst im drittletzten Kapitel des Johannesevangeliums. Dort heißt es folgendermaßen: (5) 25 Bei dem Kreuz, an dem Jesus hing, standen seine Mutter und ihre Schwester sowie Maria, die Frau von Klopas, und Maria aus Magdala. 26 Als Jesus seine Mutter sah und neben ihr den Jünger, den er besonders geliebt hatte, sagte er zu seiner Mutter: „Liebe Frau, das ist jetzt dein Sohn! “ 27 Dann wandte er sich zu dem Jünger und sagte: „Sieh, das ist jetzt deine Mutter! “ Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich und sorgte von da an für sie. (Neuhochdeutsch, Neue Genfer Übersetzung, Johannes 19, Deutsche/ Genfer Bibelgesellschaft [2009]) Abbildung 2 oben enthält die fünf instruktiven Leistungen Vorstellen von etwas (a), Vorstellen auf eine bestimmte Art und Weise (b), Erden (c), Kohärenz herstellen (d) und Verwerten (e). Da verbindet im Sinne von ‚infolge des Vorangegangenen‘ die in (4) ausgedrückte Eventualität mit den im Text vorangehenden Eventualitäten. Es zeigt also eine bestimmte Beziehung zwischen dem, was links von ihm steht beziehungsweise vorgängig geäußert wurde, und dem, was rechts von ihm steht beziehungsweise nachgängig geäußert wird. 65 Insofern dient es zur Herstellung von Kohärenz (d). Nahm instruiert zum Vorstellen einer Nehmen-Beziehung. Wir haben allerdings gesehen, dass es sich bei nahm um eine symbolische Auslagerung einer Aktivität aus Gegenständen handelt und dass eine Vorstellung des Nehmens nicht ohne die Vorstellungen der Gegenstände möglich ist, an denen es sich manifestiert. Daher ist nahm offen, oder ergänzungsbedürftig , denn es erfordert die Ausdrücke der Gegenstände, die eine (bestimmte) Vorstellung des Nehmens erst ermöglichen und die Nehmen-Beziehung schließen (a). Durch seine 3. Person Singular Aktivform instruiert es außerdem dazu, sich das Nehmen auf eine bestimmte Weise vorzustellen: Der Ausdruck des Nehmens mittels der Aktivdiathese führt dazu, dass es aus einer neutralen Perspektive oder aus der Perspektive des Nehmers vorgestellt wird. In dieser Hinsicht ist nahm bestimmend: Durch seine Diathesespezifikation bestimmt der Ausdruck, dass der Gegenstand, der die gleichen Person- und Numerusspezifikationen aufweist und im Nominativ steht, der Nehmer ist. Für den anderen Gegenstandsausdruck bestimmt es den Akkusativ und damit die Genommenenrolle (b). Die Form der 3. Person Singular Indikativ Präsens ist es auch, die die Eventualität des Nehmens erdet. Die Erdung in Zeit, Wirklichkeit und 65 Links von und rechts von stellen hier natürlich insofern komfortable Idealisierungen dar, als die Ausdrücke den Eindruck erwecken, Texte seien in einer beliebig langen Zeile von links nach rechts geschrieben oder gedruckt, ohne Zeilenumbrüche, Absätze, Seiten und so weiter. So, wie geschriebener oder gedruckter Text tatsächlich gestaltet ist, kann sich ein Äußerungselement auch an einem Punkt im dreidimensionalen Raum befinden, zum Beispiel auf der Hälfte der quer verlaufenden Zeile, auf der Hälfte der längs verlaufenden Seite und in Hälfte des Buches hinsichtlich seiner räumlichen Tiefe. Dann kann sich vorgängiger Text nicht nur links und nachgängiger Text nicht nur rechts von diesem Element befinden, sondern auf den Längs-, Quer- und Hochachsen des Textträgers in bestimmten, aber in aller Regel nicht beliebigen Positionen zu ihm verortet sein. 18429_Kasper_SL5.indd 51 18429_Kasper_SL5.indd 51 20.08.2020 10: 54: 59 20.08.2020 10: 54: 59 52 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur so weiter betrifft natürlich nicht nur den Ausdruck nahm , an dem diese Kategorien angezeigt werden, sondern weil nahm eine symbolische Auslagerung ist, erfasst die Erdung auch alles mit, woraus das Nehmen symbolisch ausgelagert wurde. Insofern schließt es nach links und rechts (c). Damit sind die Leistungen des Ausdrucks nahm aber noch nicht erschöpft. Durch seine Tempusspezifikation und dadurch, dass vorangegangene Äußerungen das gleiche Tempus aufweisen, kann eine kohärente Vorstellung des ganzen Geschehens konstruiert werden. Hier schließt es nach links (d). Zuletzt instruiert nahm kraft seiner Finitheitsspezifikationen dazu, die gesamte Äußerung als Behauptung zu behandeln und unter den einer Behauptung angemessenen Re-Aktionen eine zu wählen. Voraussetzung dafür ist allerdings die Abwesenheit eines Fragesignals wie einer Frageprosodie oder eines Fragezeichens (e). In Bezug auf das Vorstellen von etwas (a) möchte ich noch etwas präzisieren. Wenn wir genau hinsehen, finden wir, dass sich die instruktiven Leistungen des Ausdrucks nahm auf zwei verschiedene Teile von ihm verteilen: einen lexikalischen Teil, der zur Vorstellung des Nehmens im engeren Sinne instruiert, und einen morphologischen Teil, der die konkrete morphologische Form ausmacht. Um nun zu präzisieren: Die Vorstellungen der Gegenstände schließen nur den lexikalischen Teil (a) von nahm . Bei den anderen Leistungen (b) bis (e) ist gerade der morphologische Teil von nahm wichtig. Wir können dem Rechnung tragen, indem wir auf der Ebene „Vorstellen von etwas“ (a) den lexikalischen und den flexivischen Teil von nahm gesondert behandeln. Dann können wir sagen, dass der flexivische Teil dazu instruiert, sich - ja, was denn eigentlich? - vorzustellen. Die Antwort ist: nicht viel, vielleicht sogar gar nichts. Aber dieser Teil ist nicht nur salient in der Sprachwahrnehmung, er ist auch pertinent, indem er Leistungen für die Interpretation erbringt. Auch wenn er nicht zur Vorstellung von etwas beiträgt, so ist er doch, um seine Leistungen zu erbringen, auf diverse andere Vorstellungen angewiesen, das heißt er ist offen. In seinen Person-, Numerus-, Modus-, Tempus- und Diathesespezifikationen muss der flexivische Teil von nahm durch seinen lexikalischen Teil geschlossen werden. Was den Person- und Numerusaspekt betrifft, sind diese Spezifikationen zusätzlich auf diejenige eines Gegenstandsausdrucks angewiesen, der die gleichen Spezifikationen aufweist (a). Umgekehrt bestimmen die Finitheitsaspekte des Verbs den Nominativ für diesen Gegenstandsausdruck (b). Im finiten Verb - und insbesondere in seinem finiten Anteil - sind also eine ganze Menge einzelner Instruktionen für diese Äußerung gebündelt. Der kann zur Herstellung von Kohärenz instruieren, indem es anzeigt - wir könnten sagen, kraft seiner Definitheitsmerkmale -, dass ein Gegenstand vorgestellt werden soll, der innerhalb des Kotextes schon einmal vorgestellt wurde und dort bereits Bestimmungen erhalten hat. Insofern hat es eine Verbindung zu diesem Gegenstand und schließt eine offene Beziehung in den vorangegangenen Kotext (d). Der kann aber nicht selbst zur Vorstellung dieses Gegenstandes instruieren, weil es sich nur um eine symbolische Auslagerung eines Gegenstandes handelt und bloß dessen Identifizierbarkeit im Kotext anzeigt. Als symbolische Auslagerung ist es auf die Vorstellung eines Gegenstandes angewiesen. Daher ist es in Bezug auf den Vorstellungsinhalt offen (a), während es den Gegenstand bezüglich Kohärenz bestimmt (d). Indem der zudem von Jünger in seinen Person-, Kasus-, Numerus- und Genusspezifikationen (P.K.N.G.) bestimmt wird, aber diese Merkmale durch seinen Flexionsbestandteil auch für Jünger erst sichtbar macht, trägt es mittelbar zu der Art und Weise bei, wie der Jüngergegenstand im Nehmen-Ereignis vorgestellt werden soll, nämlich als Nehmer der Nehmen-Beziehung (b). 18429_Kasper_SL5.indd 52 18429_Kasper_SL5.indd 52 20.08.2020 10: 54: 59 20.08.2020 10: 54: 59 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 53 Jünger instruiert zur Vorstellung eines Jünger-Gegenstandes. Aber nicht zu einem beliebigen Gegenstand, dem das Jüngersein zukommt, sondern zu einem bestimmten. Ihre Bestimmung erhält die Vorstellung des Jüngers durch der , das hinsichtlich seines Vorstellungsinhalts offen war und durch Jünger nun geschlossen werden kann (a). Gleichzeitig kann anhand von der für die Vorstellung des Jüngers Kohärenz hergestellt werden, indem der anzeigt, was Jünger selbst nicht anzeigen kann: dass kein neuer, beliebiger Jünger vorgestellt werden muss, sondern die Vorstellung eines bereits bekannten Jüngers evoziert werden soll (d). Mit den P.K.N.G.-Spezifikationen, die Jünger mit der teilt beziehungsweise die der für Jünger erst sichtbar macht, kann es nun auch das Ziel der Bestimmungen werden, die von nahm ausgehen (b). Die und Mutter leisten instruktiv weitgehend das Gleiche wie der und Jünger . Unterschiede bestehen zum einen in den Ausprägungen der P.K.N.G.-Kategorien und damit bezüglich der Rolle, die ihnen gemeinsam durch die Diathese- und Kasus-Bestimmungen von nahm zufallen (b). Zum anderen könnte der Schreiber eventuell die Gefahr gesehen haben, dass die Mutter Jesu anhand von die Mutter im Kotext noch nicht eindeutig identifizierbar ist. So wäre zu erklären, dass mit Jesu Kohärenz gestiftet wird, indem es dazu instruiert, sich unter den diversen Personen am Kreuz auch wirklich die Mutter Jesu vorzustellen, und nicht etwa die Mutter von jemand anderem. Am Kreuz stehen ja tatsächlich auch mehrere potentielle Mütter (d). Jesu erlaubt denn auch eine Vorstellung eines Gegenstandes (a), wobei aber keiner der anderen Ausdrücke prinzipiell durch die Vorstellung Jesu ergänzungsbedürftig ist. Insbesondere durch die Kasusspezifikationen und die unmittelbare Nachbarschaft zu (die) Mutter ist klar, dass der Ausdruck nicht durch nahm , sondern durch (die) Mutter von links her bestimmt wird (b). Zu instruiert dazu, wie weiter oben bereits angedeutet, sich einen Aspekt der Gerichtetheit vorzustellen, wozu es einer Eventualität bedarf, die diesen Aspekt von Gerichtetheit aufweist. (Für die Eventualität wiederum müssen Gegenstände vorgestellt werden.) Mit nahm ist ein Ausdruck für diese Eventualität vorhanden, so dass die Vorstellung zu zu offen ist und mit nahm geschlossen werden kann. Neben der Eventualität bedarf die Vorstellung auf Basis von zu auch noch eines gerichteten Gegenstands. Diesbezüglich wird der Ausdruck von (die) Mutter Jesu geschlossen. Und er bedarf eines Gegenstands, auf den er gerichtet ist (a). Dafür wird sich dienen. Als nicht beliebige Gerichtetheit instruiert zu außerdem dazu, sich die Aktivität des Nehmens auf eine bestimmte gerichtete Weise vorzustellen (b), für die es nach rechts hin sich in dessen Kasus bestimmt, aber nach links hin keine bestimmende Funktion hat. Es ergänzt hier zwar die Vorstellung davon, wie genommen wird, das Nehmen ist aber nicht ergänzungsbedürftig. Zuletzt liefert sich die Gegenstandsvorstellung, hinsichtlich deren zu ergänzungsbedürftig ist, indem sich zur Vorstellung dessen, worauf etwas gerichtet ist, instruiert. Damit kann zu anhand von sich geschlossen werden (a). Mittels seiner Kasusspezifikationen instruiert sich daneben zu der Art und Weise, wie der Gegenstand in der Beziehung der Gerichtetheit vorgestellt werden soll. Darin ist der Ausdruck aber von zu bestimmt (b). Sich ist zwar ein Gegenstandsausdruck und instruiert zu einer Vorstellung (a), aber den konkreten Vorstellungsinhalt muss er von anderswo im Kotext beziehen. Sich ist also diesbezüglich offen und kann hier durch (der) Jünger geschlossen werden, indem unter sich der Jünger vorgestellt wird (a). Dadurch, dass sich die Identität mit einem bereits bekannten Gegenstand anzeigt, stiftet es zudem auch Kohärenz (d). Die folgende Abbildung 3 liefert eine Darstellungsweise für die besprochenen Beziehungen für die Leistung „Vorstellen von etwas“ (a). Dass ein Ausdruck diese Leistung erbringen kann, wird in der Abbildung durch fette vertikale Linien angezeigt, die von diesem Ausdruck 18429_Kasper_SL5.indd 53 18429_Kasper_SL5.indd 53 20.08.2020 10: 55: 00 20.08.2020 10: 55: 00 54 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur wegführen. Worauf sich diese Leistung bezieht, ist dann durch die Verbindungen mit normal dicken Linien erkennbar. Dabei ist der Ausdruck, von dem die fette Linie wegführt, immer der bestimmende oder schließende in Bezug auf andere Einheiten. Die Einheit, mit dem dieser Ausdruck verbunden ist, ist entsprechend eine, die ergänzungs- oder bestimmungsbedürftig beziehungsweise off en ist. Zusätzlich enthalten die horizontalen Verbindungslinien entsprechende Symbole. Die Zeichen spezifi zieren immer die Beziehung zwischen den zwei Einheiten. „|<“ heißt, die Einheit rechts ist Leistungsgeber für die Einheit links, die Einheit links ist aber auf diese Leistung prinzipiell nicht angewiesen. Wenn sie darauf angewiesen ist und die Leistung auch bekommt, steht „<<“. „||“ heißt, beide Einheiten sind auf keine Leistung einer anderen Einheit angewiesen, sie stehen aber trotzdem in einer Relation zueinander. Wenn das Leistungsgeben und -nehmen über eine linguistische Kategorie läuft, wie in nachfolgenden Abbildungen, steht das Kürzel dieser Kategorie zwischen den Symbolen (zum Beispiel „<Def<“). Es ist so auch erkennbar, dass Abhängigkeiten vererbbar sind. Die Vorstellung auf Basis von zu ist unter anderem ergänzungsbedürftig durch diejenige auf Basis von nahm . Diese wiederum ist abhängig von denen auf Basis von Jünger und Mutt er . Um sich unter zu also etwas Bestimmtes vorstellen zu können, ist letztlich eine vollständige Vorstellung des Nehmenereignisses erforderlich. Der Übersichtlichkeit halber habe ich darauf verzichtet, hier die komplizierten Abhängigkeiten der Flexive darzustellen. Abb. 3: Die Funktion „Vorstellen von etwas“ Ich möchte mit den gleichen symbolischen Konventionen nun die Beziehungen für die Leistung „Vorstellen auf eine Art und Weise“ darstellen. In Abbildung 4 ist dies durch eine zusätzliche Ebene über der Äußerung umgesetzt. Abb. 4: Die Funktionen „Vorstellen von etwas“ und „Vorstellen auf eine Art und Weise“ 18429_Kasper_SL5.indd 54 18429_Kasper_SL5.indd 54 20.08.2020 10: 55: 01 20.08.2020 10: 55: 01 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 55 Was möglicherweise erst bei dieser Gesamtschau auff ällt, ist, dass die Beziehungen bei Leistung (b) beinahe ein Spiegelbild derjenigen bei Leistung (a) sind. Die Glossen stehen - von links nach rechts und von oben nach unten - für Diathese, Kasus, Person, Numerus und Genus. Fett ist wieder der bestimmende Ausdruck, normal dick der bestimmte Ausdruck. Die Pfeilquelle bestimmt mittels der jeweils angezeigten Kategorie, wie das Pfeilziel vorgestellt werden soll. Bei nahm sehen wir beispielsweise, dass der Ausdruck bezüglich seiner Gegenstände bestimmungsbedürftig beim Vorstellungsinhalt (a), aber bestimmend bei der Art und Weise ist, wie diese Gegenstände vorgestellt werden sollen, nämlich als Nehmer und Genommenes beziehungsweise Gerichtetes und Ziel der Gerichtetheit. Das Schema enthält hier eine Vereinfachung. Die Vorstellung des Nehmens, das unabhängig von der Flexionsform des Verbs - das heißt jeder Form des Verbs - evoziert wird, ist ergänzungsbedürftig hinsichtlich der Gegenstände. Aber die Flexionsform des Verbs ist es, die bestimmt, wie die Gegenstände vorgestellt werden sollen. Weil das Verb fi nit und aktiv ist, bestimmt es die Kasusform eines Gegenstandes, der dann als Nehmer vorgestellt werden soll. Die Ausprägungen der P.N.-Spezifi kationen am Verb sind wiederum durch diesen Gegenstand bestimmt. Auch hier können wir die Vererbung beobachten. Der ist in seiner Kasusausprägung von Jünger abhängig, und Jünger ist darin von dem fi niten Teil des Verbs abhängig. Wir bauen nun auch die Beziehungen der Erdungs- und Kohärenzherstellungsleistung in dieses Schema ein. Die gestrichelten, vertikalen Linien in Abbildung 5 zeigen an, dass ein Ausdruck auf einer Ebene keine Rolle spielt, das heißt weder eine Leistung erbringt noch eine Leistung erhält. Da spielt beispielsweise nur für die Kohärenz eine Rolle und Mutt er überall außer bei der Erdung. Die Erdung wird durch die Person-, Numerus-, Modus- und Tempusspezifi kationen (P.N.MD.TP.) am Verb geleistet, die in den verbalen Flexiven weitgehend fusioniert sind. Zur Kohärenz tragen nahm mit seinen MD.TP.-Spezifi kationen, die Artikel mit ihrer Defi nitheit, Jesu mit seiner Kasusspezifi kation und sich mit seinem korreferierenden Status bei. Die Pfeilquelle bestimmt durch die jeweils angezeigten Kategorien, wie das Pfeilziel geerdet werden soll, beziehungsweise wie für das Pfeilziel Kohärenz hergestellt werden soll. Abb. 5: Vier Funktionen sprachlicher Ausdrücke 18429_Kasper_SL5.indd 55 18429_Kasper_SL5.indd 55 20.08.2020 10: 55: 03 20.08.2020 10: 55: 03 56 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Zuletzt fügen wir in Abbildung 6 noch die Verwertungsebene hinzu. Die Pfeilrichtung bestimmt mittels der angezeigten Kategorie, wie das Pfeilziel verwertet werden soll. Für unsere Interpretin ist das Ergebnis dieser Interpretationsleistungen eine komplexe Vorstellung davon, dass infolge dessen, was zuvor passierte, der Lieblingsjünger Jesu dessen Mutter Maria zu sich, dem Jünger, genommen hat. Das ist eine wohlbestimmte Antwort auf die Frage Was steht womit in welcher Beziehung? 66 Abb. 6: Die fünf instruktiven Funktionen sprachlicher Ausdrücke 2.2.3 Das gemeinsame Private Ignorieren wir für den Moment, dass diese Interpretation erschummelt ist und auf dem adäquaten Know-how beruht, das wir der Interpretin kurzzeitig verliehen haben. Was hat sie durch dieses Know-how gewonnen? Sie mag sich ohne weitere Refl exion nicht darüber im Klaren sein, wir müssen uns aber klar machen, dass sie nun nicht über die bestimmte Vorstellung von diesem Ereignis verfügt, über die auch der Schreiber verfügte. Dieser hatte bestimmte Vorstellungen von vielen Aspekten des Ereignisses, aber nur einen Teil davon hat er ausgedrückt. Zu den normen-, konventionen- und durch die „-enz“-Faktoren gefi lterten Bestimmungen, die er an dem Ereignis vorgenommen hatte, gehörte, wie wir der Illustration halber angenommen hatten, die Heimstatt des Jüngers, wie es dort roch, wie sich die Betei- 66 Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Strukturen ober- und unterhalb der sprachlichen Instruktion keine syntaktische Struktur darstellen. Sie stellen entzeitlichte praktische und Vorstellungsbeziehungen, also nicht sprachliche Beziehungen, dar, die Interpretinnen auf Basis von Ausdrücken und Ausdrucksteilen vornehmen (s. auch Abschnitt 2.4.2 zu solchen Offl ine-Abhängigkeiten.) Daraus folgt auch, dass die routinemäßige oder automatische Wahl einer Lesart nicht die Entscheidung für eine von mehreren syntaktischen Strukturen ist. Vgl. zum größeren Kontext solcher Fragen Ágel (2009). 18429_Kasper_SL5.indd 56 18429_Kasper_SL5.indd 56 20.08.2020 10: 55: 05 20.08.2020 10: 55: 05 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 57 ligten fühlten, wie Jesus litt, welche Farbe der Himmel hatte, welches Material die Kleider der Beteiligten hatten, welche Frisuren sie trugen, wie der Weg beschaffen war, auf welchem Weg sie zur Heimstatt des Jüngers gelangten und so weiter. Davon und von vielem mehr, worüber der Schreiber möglicherweise bestimmte Vorstellungen hatte, hat die Interpretin andere oder keine. Wir können daher nicht sagen, sie habe die gleichen Vorstellungen wie der Schreiber. Dieser hatte ja nur von denjenigen Eventualitäten berichtet, die ihm vor dem Hintergrund seiner kommunikativen Absichten pertinent erschienen waren. Das heißt, er hatte für den sprachlichen Ausdruck die bereits gefilterte Deutung des Ereignisses nochmals gefiltert. Und selbst, was das Resultat dieses kommunikativen Filters angeht, also die Bestimmungen, die er öffentlich entäußert hat, so können wir nicht davon ausgehen, dass diejenigen der Interpretin mit ihnen identisch sind. Wie das Nehmen in allen Aspekten, hinsichtlich deren es bestimmbar ist, konkret vollzogen wurde oder mit welchen physischen, physiognomischen und charakterlichen Qualitäten das Männlichsein des Jüngers und Jesu sowie das Weiblichsein der Mutter verbunden war, darin können sich die Vorstellungen des Schreibers und der Interpretin noch immer beträchtlich unterscheiden. Wovon sie jetzt aber gemeinsame private Vorstellungen haben, ist, dass infolge dessen, was Jesus sagte, sein Lieblingsjünger Jesu dessen Mutter Maria zu sich, dem Jünger, nahm. Diese komplexe Vorstellung ist durch viele Fäden in kohärenter Weise mit anderen Vorstellungen verwoben, die ihr das Johannesevangelium vermittelt. Nicht mehr und nicht weniger. 2.2.4 Vom Öffentlichen zum gemeinsamen Privaten mit sprachlichen Eigenstrukturen Ich entziehe unserer Interpretin nun das Know-how wieder und ermesse die Distanz zwischen dem, was sie mit ihm interpretativ leisten konnte und dem, was sie ohne es leisten kann, um herauszupräparieren, worin es besteht. Was sie behält, sind ihre vorsprachlichen interpretativen Fähigkeiten, ihre Einsicht in das, was wir die Zwänge der Öffentlichkeit bezeichnet haben, wozu zentral die Notwendigkeit der symbolischen Auslagerung gehört, und die Evokation von Vorstellungen durch sprachliche Ausdrücke. Vor diesem Hintergrund kann nun die Äußerung in (4) so gedeutet werden, dass ganz andere Instruktionen zutage treten, also Möglichkeiten, wie die Ausdrücke in (4) hinsichtlich ihres instruktiven Wertes behandelt werden können. Mit verschiedenen Deutungen ändert sich, ob ein Ausdruck eine Leistung erbringt, ob er bestimmungsbedürftig oder bestimmend ist und worauf eine Bestimmung konkret gerichtet ist. Ich greife nur einige Möglichkeiten heraus. Da könnte beispielsweise auch als Spezifikation eines Ortes statt eines Zeitpunkts, beziehungsweise als Indikator eines Suchraums interpretiert werden. Insofern würde der Ausdruck auch zur Vorstellung von etwas instruieren, könnte diesen Vorstellungsinhalt aber nicht selbst beisteuern, sondern diesen müsste die Interpretin aus dem Ko- oder Kontext beziehen (a), womit der Ausdruck auch eine kohärenzstiftende Funktion bekäme (d). Es könnte sein, dass das gesamte Ereignis des zu-sich-Nehmens als an diesem Ort stattfindend vorgestellt werden soll (‚An diesem Ort nahm …‘). Wenn die Interpretin dies täte, würde sich aber die ganze komplexe Vorstellung verändern. Wir haben gesehen, dass das zu-sich-Nehmen neben dem Nehmen auch eine zweite Eventualität des (Weg-)Bringens oder gemeinsam (Weg-)Gehens beinhaltet, die mit zu zusammenhängt. Zu sich kann dann aber schwerlich so interpretiert werden, dass 18429_Kasper_SL5.indd 57 18429_Kasper_SL5.indd 57 20.08.2020 10: 55: 05 20.08.2020 10: 55: 05 58 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur es einen anderen Ort als den Ort des Nehmens bezeichnet ( ? ‚An diesem Ort nahm der Jünger die Mutter Jesu zu seiner Heimstatt‘). Das ginge wahrscheinlich nur, wenn kein (Weg-)Bringen oder -Gehen vorgestellt würde. Da muss aber nicht als Ort des Nehmen-Ereignisses interpretiert werden. Es kann auch den Ort einzelner Gegenstände spezifizieren (‚der Jünger da‘, ‚die Mutter da‘) (a). Insofern wäre der Ausdruck eine in die außersprachliche Situation gerichtete Suchanweisung, die der Erdung der Vorstellung dienen würde (c), aber in einer Weise, die der Kohärenz des Gesamttextes nicht zuträglich wäre, da es für den Schreiber und die Interpretin keine gemeinsame außersprachliche Situation gibt. Der und die müssen nicht als bestimmte Artikel (oder Demonstrativartikel), sie können auch als Demonstrativpronomen interpretiert werden. Dann instruieren sie, anders als die Artikel, zur Vorstellung von Gegenständen (a). Die Vorstellungen müssten aber aus dem unmittelbaren Ko(n)text bezogen werden und wären dann andere als diejenigen des Jüngers, der Mutter und Jesu. Sofern sie in den unmittelbaren außersprachlichen Kontext verwiesen, wären sie auch geerdet (c). Sofern sie in den unmittelbaren Kotext verwiesen, stifteten sie Kohärenz (d). Das alles würde dazu führen, dass die demonstrativ ausgedrückten Gegenstände beispielsweise Kandidaten für die Rollen als Nehmer und Genommenes würden (b). Neben den anderen Gegenständen wären das eindeutig zu viele Kandidaten für diese Rollen, zumal keine zwei Gegenstände koordiniert sind und gemeinsam eine Rolle einnehmen könnten. Selbst dann, wenn die Interpretin der und die als Artikel identifizierte, würde sie ohne weitere Kenntnisse nichts daran hindern, der als Bestimmer von Mutter , die als Bestimmer von Jünger oder einen von beiden als Bestimmer von Jesus zu interpretieren ((a), (b), (c)). Es gibt auch nichts, das die Interpretin zwänge, mit zu das Nehmen zu spezifizieren. Zu kann auch als Spezifikation zu einem Gegenstand oder einem Ort verwendet werden. Da könnte also durchaus auch als Ort zu zu vorgestellt werden (‚gerichtet auf den Ort, der durch Da bezeichnet wird‘) ((a), (b), (c), (d)). Für sich ist beispielsweise nicht klar, woher der Vorstellungsinhalt bezogen werden soll. Die Interpretin könnte sich darunter den Jünger, die Mutter, Jesus oder den Referenten von der oder die (als Demonstrativpronomen) vorstellen (a). Zudem käme die Vorstellung des Gegenstandes auch als Kandidat für eine Rolle in der Nehmen-Beziehung in Frage - sowohl des Genommenen als auch im Sinne eines freien Dativs (b). Dadurch wäre nicht klar, was genau die Vorstellung des sich-Gegenstandes schließt (a). Neben diese Probleme treten die bereits erwähnten bezüglich der Zuordnung von vorsprachlichen Gegenständen und Eventualitäten zu den Einteilungsschablonen, die Sprachen über diese vorsprachlichen Einteilungen stülpen können und die es zwar nicht unwahrscheinlich, aber auch nicht gewiss erscheinen lassen, dass aus den Eventualitäten des Jüngerseins und Nehmens auf ein Substantiv beziehungsweise Verb zu schließen ist. Würde Jünger als Ausdruck für die Aktivität des Jüngerns interpretiert, veränderte sich die Deutung der Äußerung gewaltig ((a) bis (e)). Selbst die Illustration dieser Fehldeutungen ist noch eine Vereinfachung. Die Interpretin wüsste ohne ihr Eigenstruktur- Know-how nämlich gar nicht, welche Leistungen die P.K.N.G.MD.TP.D.-Spezifikationen überhaupt erbringen. Die Möglichkeiten, die Äußerung in (4) zu interpretieren, sind somit noch weitaus zu zahlreich für die Interpretin, als dass sie die Äußerung - wenn nicht gerade durch Erraten - erfolgreich interpretieren könnte. 18429_Kasper_SL5.indd 58 18429_Kasper_SL5.indd 58 20.08.2020 10: 55: 05 20.08.2020 10: 55: 05 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 59 Welches Know-how benötigt sie nun, um die Distanz zwischen der privaten Vorstellung des Schreibers und ihrer eigenen zu reduzieren oder, anders ausgedrückt, um nicht bei solchen falschen Interpretationen zu landen, die eben beispielhaft dargestellt wurden? Mein Vorschlag lautet, dieses Know-how als solches über einzelsprachliche Eigenstrukturen zu charakterisieren. Zu diesen gehören wohlgemerkt weder die vorsprachlichen interpretativen Fähigkeiten, noch die Einsicht in die Notwendigkeit symbolischer Auslagerungen, noch die Fähigkeit, sich auf Basis arbiträrer Entäußerungen etwas vorzustellen. Die Kenntnisse der einzelsprachlichen Eigenstrukturen erlauben es der Interpretin, an bestimmten Äußerungsteilen zuverlässig zu erkennen, wozu sie sie konkret instruieren. Wir können die Eigenstruktur schon in den Wortarten ausmachen. Die Linguistik wäre eine einfachere Disziplin und das Sprachenlernen eine einfachere Aufgabe, wenn das, was wir schon vorsprachlich als Dinge oder Gegenstände, Aktivitäten, Prozesse und Zustände unterscheiden können, auch konsequent, nachvollziehbar und alternativlos als Dinge oder Gegenstände, Aktivitäten und so weiter versprachlicht würde. Wir könnten das eine lebenswelttreue Wortartenlehre nennen. Dieser Gefallen wird uns nicht getan. Wer schon einmal Heidegger gelesen hat, wird vorsichtig dabei, irgendetwas auszuschließen. „Das Spiegel-Spiel der weltenden Welt entringt als das Gering des Ringes die einigen Vier in das eigene Fügsame, das Ringe ihres Wesens. Aus dem Spiegel-Spiel des Gerings des Ringen ereignet sich das Dingen des Dinges.“ 67 Es gibt einige Diagnostiken, um die Wortarten in Sprachen zu ermitteln. Sie führen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen, auch innerhalb einer Sprache. Was sie aber alle zeigen, ist, dass die Annahme von Lebenswelttreue den sprachlichen Phänomenen nicht gerecht wird. Wir müssen in der Sprache mit Wortarten rechnen, die zumindest teilweise unabhängig von der vorsprachlichen Einteilung in Dinge und Eventualitäten sind. Wer das anerkennt, erkennt damit bereits die Eigenstrukturiertheit einer Sprache an. 68 Ich hatte oben bereits versucht, auf der Suche nach einer interpretativen Ankerstelle diesen Anker für unsere Interpretin am Verb zu befestigen, weil es finit ist und damit einen zentralen Hinweis darauf gibt, welche Handlung der Schreiber mit der Äußerung tätigt und welche Möglichkeiten zur Verwertung der Äußerung die Interpretin hat. Das finite Verb leistet aber noch mehr. Wir können dies in Abbildung 6 daran erkennen, wie viele fette Linien von dem Ausdruck nach oben hin führen. Das heißt, mit dem (finiten) Verb instruiert der Schreiber zu allen Aspekten des Vorstellens und Handelns infolge einer sprachlichen Äußerung. Anhand des Verbs kann die Interpretin die für die Deutung bestimmungsbedürftigen Ausdrücke, die bereits wahrgenommen wurden, bestimmen (b) und aufgrund des Verbs kann sie diejenigen Bestimmungen im noch folgenden Teil der Äußerung erwarten, die für die Vorstellung nötig sind, zu der das Verb selbst instruiert (a). Durch diese Erwartungen kann die Ausdeutbarkeit der folgenden Ausdrücke eingeschränkt werden, denn ihre Deutung kann an den Erwartungen ausgerichtet werden, die das Verb hervorruft. Damit ist es der Interpretin möglich, über das Verb die meisten Äußerungsteile interpretativ zusammenzubinden. Es ist allerdings nicht so, dass die Interpretin ohne das (finite) Verb keine irgendwie kohärente Deutung zustandebringen könnte. Was das finite Verb leistet, ist zuverlässig zu instruieren und zur korrekten 67 Heidegger (1967: 53). 68 Und wer dann doch annimmt, dass die Wortarten lebenswelttreu sind, wird die Eigenstrukturiertheit nur woandershin verlagern, beispielsweise in das Denken oder in andere Beschreibungsebenen der Grammatik. 18429_Kasper_SL5.indd 59 18429_Kasper_SL5.indd 59 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 60 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Interpretation zu instruieren. Es ist also für die Interpretin angezeigt, nahm zuverlässig als (finites) Verb zu erkennen. Die Kriterien zur Abgrenzung von anderen Wortarten kann die Interpretin nicht allein aus dem Ausdruck selbst gewinnen. Ohne weitere Kenntnisse weiß sie nicht einmal, ob nahm ein Ausdruck, nur ein Teil eines Ausdrucks wie Entnahme oder Vereinnahmung ist oder es gar zwei Teile verschiedener Ausdrücke sind, wie in nah mit jemandem verwandt ist. Sie muss also über die Kenntnisse der Wortbildung und Flexion verfügen und von den Ausdrücken in der Umgebung auch bereits wissen, ob sie mit nahm einen Ausdruck bilden können oder nicht. Das läuft darauf hinaus, dass sie über diese Ausdrücke auch schon wissen muss, ob sie selbst Wörter oder bloß Wortteile sind. Weiß sie dann, dass nahm ein Wort ist, muss sie wissen, dass es auf eine bestimmte Weise flektiert werden kann und dass die Flexionsweise für Verben sich von derjenigen für Substantive und andere Wortarten darin unterscheidet, was sie jeweils instruktiv leisten. Die Flexive sind auch eine Form von symbolischen Auslagerungen, die bestimmte vorstellungs- und handlungsbezogene Aspekte von Deutungen anzeigen, aber selbst keine Vorstellungsinhalte ausdrücken. Die Tatsache, dass in Sprachen symbolisch ein- und ausgelagert wird, gehört nicht zur Eigenstruktur einer Sprache, sondern aller Sprachen, aber es gehört sehr wohl zur einzelsprachlichen Eigenstruktur, mit welchen eigensprachlichen Mitteln welche Aspekte in welche Ausdruckstypen ein- und ausgelagert werden. Die Kenntnisse über die morphologischen Eigenschaften von Ausdrücken reichen aber immer noch nicht aus, um sie in jedem Fall als Substantive, Verben, Adjektive und so weiter zu erkennen. Wir können an der Form / 'ʃpɪt͡sə/ mit all unserem morphologischen Know-how nicht erkennen, ob es sich um ein Verb, ein Substantiv oder ein Adjektiv handelt. Um nahm als Verb zu erkennen, muss die Interpretin neben den verschiedenen morphologischen Formen, die der Ausdruck als Verb annehmen kann, also auch über die Kenntnis darüber verfügen, ob es beispielsweise gleichgestaltige Substantive oder Adjektive gibt. Für nahm kann sie das ausschließen, wenn sie die lexikalischen Lücken im Deutschen kennt, für Jünger kann sie es aber - wenn wir von den graphischen Hinweisen absehen - nicht ausschließen. Bei Jünger beziehungsweise / 'jʏŋɐ / ist nicht klar, ob der Ausdruck zur Vorstellung eines Gegenstandes instruiert, dem religiöse Anhängerschaft zugeschrieben werden soll, oder dazu, sich einen Gegenstand als geringer im Alter (im Vergleich zu einem anderen) vorzustellen. 69 Hier muss die Interpretin also andere Kriterien als morphologische heranziehen. Hinweise erhält sie daraus, wie die einzelnen Ausdrücke mit ihren jeweiligen morphologischen Formen in Äußerungen miteinander kombiniert sind und kombinierbar sind. Wenn wir in der geschriebenen Äußerung in (4), Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich … , das Substantiv Jünger durch das komparierte Adjektiv jünger ersetzen, erhalten wir eine Äußerung, die uns hinsichtlich ihrer Interpretierbarkeit verunsichert: Wenn wir davon ausgehen, dass der Schreiber die kodifizierten Regeln der Groß- und Kleinschreibung beherrscht, werden wir die Äußerung als fehlerhaft, als außerhalb dessen liegend betrachten, was in unserer Sprache möglich ist. Das verunsichert uns aber in anderer Weise als das, was in unserer Sprache möglich ist, was wir aber vielleicht dennoch nicht verstehen können: Farblose grüne Ideen schlafen wütend . Während wir auf letztere Äußerung hin zuverlässig sagen können, was in welcher Eventualität vorkommend vorgestellt werden soll, aber vielleicht nicht unbedingt, 69 Die historische Verbindung zwischen dem Substantiv Jünger und dem Adjektiv jünger , die über die Assoziation von jungem Alter und Schülersein verläuft, dürfte heute nicht mehr transparent sein. 18429_Kasper_SL5.indd 60 18429_Kasper_SL5.indd 60 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 61 was wir daraufhin tun können, lässt uns die erste Äußerung mit dem Adjektiv jünger sowohl im Unklaren darüber, was womit in welcher Beziehung stehend vorgestellt werden soll, als auch darüber, was wir daraufhin tun können. Die Äußerung instruiert im Unterschied zu der grüne Ideen-Äußerung eben nicht zuverlässig zu einer bestimmten Interpretation. Mit anderen Worten, eine Äußerung instruiert nicht einmal zuverlässig dazu, was vorgestellt werden soll, wenn die Interpretin nicht in der Lage ist, die Wortarten zu erkennen. Ähnlich wie bei nahm verhält es sich bei der und die in der Äußerung in (4). Unsere Interpretin kann beispielsweise an den morphologischen Formen der und die nicht erkennen, ob es sich dabei um Artikel oder Pronomen handelt. Auch unter Kenntnis der morphologischen Paradigmen dieser Ausdrücke als Artikel oder Pronomen würde sie nicht dahinterkommen, da sich die Paradigmen gleichen. Ihre paradigmatischen Eigenschaften sind allerdings verschiedene. Wir können der Jünger und die Mutter Jesu durch d(ies)er beziehungsweise di(es)e ersetzen und erhalten einen Satz, der den Konventionen des neuhochdeutschen Standards entspricht: Da nahm d(ies)er di(es)e zu sich . Die Demonstrativpronomen verweisen aber, damit sich etwas unter ihnen vorgestellt werden kann, in den unmittelbaren Ko(n)text, aus dem die Gegenstände, die vorgestellt werden sollen, geholt werden müssen. (Im Falle von diessind es die nächsten vorangegangenen Gegenstände, die mit denselben P.N.G.-Spezifikationen ausgedrückt wurden.) Das ist anders bei bestimmten Artikeln, denen dieser Zeigecharakter in den unmittelbaren Ko(n)text fehlt. 70 Ihre kohärenzstiftende Bestimmungsfunktion können die bestimmten Artikel ohne die Nennung des entsprechenden Gegenstandes nicht erfüllen. Ohne deren Nennung stünde die Interpretin wieder vor dem Problem, weder angeben zu können, was womit in welcher Beziehung steht, noch angeben zu können, welche Handlungsmöglichkeiten es ihr eröffnet. Offensichtlich lassen sich Ausdrücke durch andere Ausdrücke an gleichen Stellen ersetzen, so wie wir Da durch Dann und nahm durch brachte ersetzen könnten. An dem Beispiel, dass der Jünger durch d(ies)er ersetzbar ist, zeigt sich aber, dass die Einheiten, die hier gegeneinander austauschbar sind, nicht unbedingt einzelne Ausdrücke, oder Wörter, sind, sondern auch Gruppen von Ausdrücken beziehungsweise Wortgruppen sein können. Da wäre beispielsweise auch austauschbar gegen Von jener Stunde an . Beide fungieren als adverbiale Bestimmungen und instruieren zur Herstellung von Kohärenz, aber nur Da kann der Wortart Adverb zugeordnet werden. Von jener Stunde an ist und enthält kein Adverb, wird aber wie eines, das heißt in der Funktion einer adverbialen Bestimmung, verwendet. Diese größeren Einheiten - ich werde sie Satzglieder nennen - könnten auch in unterschiedlicher Reihenfolge geäußert werden, ohne dass sie dann zu einem anderen Vorstellungsinhalt instruieren würden, zum Beispiel Der Jünger nahm da die Mutter Jesu zu sich oder Zu sich nahm da der Jünger die Mutter Jesu oder Die Mutter Jesu nahm der Jünger da zu sich , aber wohl nicht *Der Jünger die Mutter Jesu nahm zu sich da . Die Satzglieder können unterschieden werden von den kleineren Einheiten, die die Satzglieder konstituieren, wie die , Mutter und Jesu , und auch unter diesen 70 Wenn man der in der Jünger als Demonstrativartikel versteht, kann mit dem Satzglied auch auf einen für die Interpretin unbestimmten Gegenstand hingewiesen werden, der noch gar nicht oder lange nicht Thema des Diskurses gewesen ist, wie in Da war dann noch dieser Jünger. Wie hieß er noch? Die Bedingungen dieses (anamnestischen) Gebrauchs sind aber hier nicht erfüllt. Beispielsweise sollte dabei der betreffende Gegenstand seine Erstnennung oder eine erneute Nennung nach ausgedehnter Nichtnennung erfahren. Das ist im hiesigen Kotext deutlich nicht der Fall (siehe [5] oben). 18429_Kasper_SL5.indd 61 18429_Kasper_SL5.indd 61 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 62 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur sind die möglichen Reihenfolgen geregelt, meist sogar strikter als unter den verschiedenen Satzgliedern. Der Jünger , die Mutter Jesu und zu sich gehören jeweils nur in dieser Reihenfolge zur Eigenstruktur des Deutschen, zumindest, wenn sie die gleichen Funktionen wie in der Äußerung in (4) erfüllen sollen. Auch *das Jünger und *dem Mutter sind nicht zu erwarten. Substantive bringen im Satz spezifische P.K.N.G.-Spezifikationen mit. Bestimmte andere Ausdrücke müssen dieselben Spezifikationen auch aufweisen, wenn sie in determinierender oder attributiver Funktion mit den Substantiven zu einem Satzglied zusammengebunden werden sollen. Den Kasus haben ihnen Jünger beziehungsweise Mutter aber nur weitergereicht. In ihrem Kasus sind diese nämlich vom Verb abhängig. So entsprächen den Jüngern und der Mutter zwar den Anforderungen der P.K.N.G.-Kongruenz, aber mit *Da nahm den Jüngern der Mutter zu sich hätte es die Interpretin wieder nicht mit einer Instruktion zu tun, die zuverlässig zu einer bestimmten Interpretation anleitete. Der Gebrauch einer finiten Aktivform von nehmen ist konventionell an den Gebrauch eines Satzglieds im Nominativ - das Subjekt - und eines im Akkusativ - das direkte Objekt - gebunden und in der Interpretation löst die Wahrnehmung von nahm die Erwartung eben solcher formal spezifizierten Satzglieder aus. In Abbildung 6 schlägt sich dies darin nieder, dass nahm kraft seiner Flexionsform bestimmende Funktion hat (b), aber dennoch ergänzungsbedürftig ist (a). Das setzt der Interpretation recht enge Grenzen. Diese formalen Anforderungen, die an den Gebrauch von Verben gebunden sind, sind ein Grund dafür, dass die Interpretin neben Jünger und Mutter nicht auch der und die als Pronomen sowie Jesu als mögliche Nehmer und Genommene für die Nehmen-Beziehung interpretieren wird, sondern der und die als Artikel statt als Demonstrativpronomen und Jesu als Attribut zu Jünger oder Mutter , da der Ausdruck im Genitiv steht und dadurch nicht die Bedingungen erfüllt, als Nehmer oder Genommenes zu fungieren. Hinsichtlich der Formdependenz (b) kann über zu Ähnliches gesagt werden. Die Präposition ist konventionell an den Gebrauch einer Substantivgruppe im Dativ gebunden. Damit scheiden die Nichtdative der Jünger , die Mutter und Jesu als mögliche Ziele der Gerichtetheit aus. Da (‚dazu‘) und sich (‚zu sich‘) können aber ohne weitere Einschränkungen neben einem diskontinuierlichen der … Mutter (‚zu der Mutter‘) immer noch von zu bestimmt werden (b). Was seine Flexionsform betrifft, so kongruiert das Verb mit dem im Nominativ stehenden Satzglied in Person und Numerus. In Kombination mit anderen verbbezogenen Spezifikationen wie der Diathese können die entsprechenden morphologischen und syntaktischen Hinweise dazu benutzt werden, Subjekt- und Objektfunktionen und damit Nehmer und Genommenes zu unterscheiden. Die formalen Erfordernisse des Verbgebrauchs sind auch einer der Gründe, warum die Interpretin die diskontinuierlichen Elemente der und Mutter auf der einen Seite und die und Jünger auf der anderen Seite nicht jeweils als Satzglieder behandelt, also so, dass diese Artikel und diese Substantive jeweils Bestimmungen füreinander liefern. Der und Mutter und die und Jünger sind zwar in Kasus, Numerus und Genus kongruent, aber die Kasus sind nicht die, die zuverlässig zu einer korrekten Vorstellung des Nehmen-Ereignisses führen. Damit scheidet auch der … Mutter als Objekt zu zu aus. Mit der Kenntnis der Wortarten, der Wortbildung und der Flexion, der Satzglieder, der Kasusbestimmung, der Kongruenz und den formalen Dependenzbeziehungen kommt die Interpretin einer erfolgreichen Interpretation schon näher. Sie kann jetzt wissen, zu welcher komplexen Vorstellung nahm der Jünger die Mutter sie instruiert, weil sie die einzelnen Aus- 18429_Kasper_SL5.indd 62 18429_Kasper_SL5.indd 62 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 63 drücke, ihre Formen und ihre Beziehungen untereinander so interpretieren kann, dass sie die Leistungen erbringen, die ihnen in Abbildung 6 auch tatsächlich zugeordnet wurden. Sie kann aber die restlichen Ausdrücke, Da , Jesu , zu und sich , noch nicht zuverlässig unterbringen. Dass sie das nicht kann, hängt daran, dass sie einen wichtigen Faktor der sprachlichen Eigenstrukturiertheit noch nicht kennt, nämlich, dass die Kombinierbarkeit von Äußerungsteilen nicht nur durch Wortarten und morphologische Marker sowie deren kombinatorische Erfordernisse geregelt ist, sondern auch durch die relative Position von Ausdrücken in der Äußerung. Weder aus den jeweiligen morphologischen Formen, noch aus den Wortarten der beteiligten Ausdrücke und den kombinatorischen Erfordernissen von beiden folgt, dass mit zu kein Präpositionalattribut eingeleitet wird, dass mit Jesu kein Genitivattribut zu Jünger ausgedrückt wird, dass mit der nicht der Artikel zu Mutter gemeint ist, dass mit Da nicht der adverbiale Teil einer gespaltenen (präpositional-)adverbiellen Bestimmung Dazu realisiert ist, dass mit Da nicht bloß der Jünger oder die Mutter Jesu im Kontext geerdet werden und so weiter. Mit relativer Position sind entweder die relativen räumlichen oder die relativen zeitlichen Positionen von Einheiten in einer geschriebenen beziehungsweise gesprochenen Äußerung gemeint. Die erforderlichen Kenntnisse bestehen darin, dass die Interpretin wissen muss, worauf das, wozu ein Ausdruck oder Ausdrucksteil instruiert, anwendbar ist. Das Worauf kann wiederum aus Einheiten verschiedener Größe und verschiedener Funktion bestehen. Die P.K.N.G.-Spezifikationen, die, wie man vielleicht sagen könnte, im -er -Bestandteil von der sitzen, können die Wortgrenze von der nicht überschreiten und etwa auf den d -Bestandteil von die angewendet werden. Ebenso darf Da nicht durch bestimmte Elemente von dem Satzglied der Jünger getrennt sein, ohne seine Zugehörigkeit zu diesem Satzglied und seine erdende Funktion für den Jüngergegenstand einzubüßen. Da der Jünger oder der Jünger da sind zwar denkbar, aber in Da nahm der Jünger … wäre Da nicht mehr mit der Jünger als Satzglied integrierbar. Dagegen wäre es in Da hinten der Jünger noch möglich. Es spielt also eine Rolle, welche Ausdrücke zwischen den Ausdrücken stehen, für die wir uns fragen, ob sie Leistungen füreinander erbringen oder nicht. Ebenso darf nichts zwischen einem Substantiv und seinem Genitivattribut stehen, so dass Jesu wohl von keinem deutschen Muttersprachler auf Jünger bezogen werden kann. Wie verhält es sich mit zu und sich ? Die positionalen Regelungen würden es ermöglichen, Da und zu als gespaltene (präpositional-)adverbielle Bestimmung zu interpretieren, im Sinne von ‚Der Jünger nahm die Mutter Jesu dazu‘, aber dann bliebe sich übrig. Diesen Ausdruck könnte die Interpretin aber versuchen, als Reflexivpronomen unterzubringen im Sinne von ‚Der Jünger nahm sich die Mutter Jesu dazu‘. Instruiert die Äußerung in (4), Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich , zu dieser Deutung? Wohl eher nicht. Dass sowohl das Objekt als auch der präpositionale Teil des Präpositionaladverbs zwischen nahm und sich stehen, scheint eine solche Interpretation auszuschließen. 71 Schon am Beispiel der neuhochdeutschen Äußerung in (4) sehen wir also, was dieser letztgenannte Aspekt der sprachlichen Eigenstruktur - die Regelung, welche bestimmungsbedürftigen Elemente auf welche bestimmenden Elemente in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Position beziehbar sind - für die Interpretation leistet: Er verhindert, dass die Interpretin naheliegende, aber nicht beabsichtigte Bestimmungen an den Ausdrucksteilen und Ausdrücken 71 Im Mittelfeld darf vor einem unbetonten Personal- oder Reflexivpronomen nur das Subjekt als volle Substantivgruppe stehen. 18429_Kasper_SL5.indd 63 18429_Kasper_SL5.indd 63 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 64 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur vornimmt. Welche Regelungen das im Einzelnen sind, kann hier nicht diskutiert werden. 72 Da es einzelsprachliche Eigenstrukturen sind, unterscheiden sie sich, wenn auch nicht in zufälliger Weise, von Sprach(stuf)e zu Sprach(stuf)e. Um diesen Punkt aber wenigstens kurz zu illustrieren, schauen wir auf die mittelenglische Übertragung von Johannes 19, 27. (6) And fro that our the KONJ von DET Stunde.3SG.NOM/ DAT/ AKK DET disciple took hir in Jünger.3SG.NOM/ DAT/ AKK nehm.3SG.PRÄT 3SG.F.DAT/ AKK an to his modir. als seine Mutter.3SG.NOM/ DAT/ AKK ‚Und von dieser Stunde nahm der Jünger sie als seine Mutter auf.‘ (Mittelenglisch, Wycliffe-Bibel, ~1400, Ed. Forshall & Madden [1850]) Um sich unter fro etwas vorstellen zu können, muss sich eine Interpretin hier mindestens einen Gegenstand vorstellen, der den Ausgangspunkt der zeitlichen Gerichtetheit darstellt, die durch fro ausgedrückt wird (a). Umgekehrt bestimmt fro die Art und Weise, wie diese Gerichtetheit vorgestellt werden soll, indem es einen Objektkasus für diesen Gegenstand bestimmt (b). Sowohl that , als auch (that) our , als auch (the) disciple , hir und (his) modir erfüllen diese Forderung. Dieselben Ausdrücke erfüllen daneben auch die Forderungen von in und to . Auf der anderen Seite bestimmt took durch seinen flexivischen Bestandteil, wie die Nehmen-Beziehung vorgestellt werden soll, indem es für Nehmer-Ausdruck die 3. Person Singular und den Nominativ sowie für den Genommenen-Ausdruck einen Objektskasus bestimmt. Als Nehmer kommen damit in Frage that , (that) our , (the) disciple und (his) modir , als Genommenes that , (that) our , (the) disciple , hir und (his) modir . Mit anderen Worten, fast alle Ausdrücke, die prinzipiell Gegenstände bezeichnen können, können fast alle vorstellungsmäßig offenen Eventualitätsausdrücke schließen! Bezüglich der Frage, was womit in welcher Beziehung steht, kann die Interpretin lediglich ausschließen, dass sie sich unter hir die Nehmerin vorstellen soll. In der mittelenglischen Äußerung gibt es anders als im neuhochdeutschen Beispiel in (4) kaum aussagekräftige K.N.G.-Spezifikationen. Dieser Teil der sprachlichen Eigenstruktur - Kasus und Kongruenz - kann aber zuverlässig regeln, dass sich eine Interpretin die Eventualität auf die korrekte Art und Weise vorstellt, sie also sicher erkennen kann, was womit in welcher Beziehung steht. Mit diesen Mitteln kommt eine Interpretin im Neuhochdeutschen weiter als ihre Schicksalsgenossin im Mittelenglischen (und im modernen Standardenglischen). Der andere Aspekt der sprachlichen Eigenstruktur - positionale oder Reihenfolgeregelungen - spielt dagegen im Mittelenglischen und in der darauffolgenden Sprachgeschichte des Englischen anscheinend eine besonders große Rolle dabei, zuverlässig zur korrekten Interpretation zu instruieren und Interpretinnen Äußerungen auch regelmäßig verstehen zu lassen. Diese Regelungen scheinen im Mittelenglischen in viel stärkerem Maße als noch im 72 Am detailliertesten ist dies vermutlich in den Theorien des generativistischen Mainstreams expliziert (vgl. Fanselow & Felix 1993, Grewendorf 2002). Ob man allerdings alle Hintergrundannahmen mittragen möchte, die deren Explikationen zugrunde liegen, ist eine andere Frage. In Kasper (2015b) habe ich diese Frage für das instruktionsgrammatische Forschungsprogramm verneint. Die vorliegende Arbeit ist diesem Forschungsprogramm verpflichtet. 18429_Kasper_SL5.indd 64 18429_Kasper_SL5.indd 64 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 65 Altenglischen und in allen Sprachstufen und Dialekten des Deutschen die relativen Positionen der vom Verb abhängigen Satzglieder zu erfassen. Gemeinhin wird angenommen, dass im späteren Mittelenglischen der überarbeiteten Bibelübersetzung vom Team Wycliffe das Subjekt fast immer an seiner Position relativ zum finiten Verb und dem Objekt erkannt werden kann. 73 Dies soll sogar dann gelten, wenn Kasus- und Kongruenzspezifikationen bereits zuverlässig instruieren, wie in Äußerung (6). Eine alternative mittelenglische Äußerung wie And fro that our hir took the disciple in to his modir sollte also bei Wycliffe höchstwahrscheinlich nicht zu finden sein, obwohl für hir bereits ausgeschlossen ist, dass es das Subjekt ist. Dagegen scheint es im Mittelhochdeutschen problemlos möglich zu sein, die Positionen von Subjekt und Objekt zu tauschen, wie die Übertragung desselben Verses durch Matthias von Beheim zeigt. (7) Und von der stunde intfînc KONJ von der Stunde.3SG.GEN/ DAT nehm.3SG.PRÄT si der jungere in di 3SG.F/ M/ N.NOM/ GEN/ AKK DET Jünger.3SG.NOM in DET sîne . Sein(ig)e.3SG.NOM/ AKK ‚Und von dieser Stunde (an) nahm der Jünger sie in die Sein(ig)e.‘ (Mittelhochdeutsch, Evangelienbuch, 1343, Ed. Bechstein [1867]) Was womit in welcher Beziehung steht, würde eine Interpretin in der mittelhochdeutschen Äußerung also nur an den morphologischen Formen und nicht an der Satzgliedreihenfolge erkennen, während es eine Interpretin der entsprechenden mittelenglischen Äußerung sowohl an den relativen Positionen der Elemente - Subjekt, finites Verb, Objekt - als auch an dem Kasus von hir erkennen würde. In vielen anderen mittelenglischen Äußerungen würde sie es mutmaßlich nur an der Reihenfolge erkennen. Sollen wir daraus schließen, dass für eine Interpretin die positionalen Regelungen die zuverlässigen eigenstrukturellen Hinweise darauf sind, was womit in welcher Beziehung steht, wenn die Kasus- und Kongruenzverhältnisse nicht aussagekräftig sind - wie anscheinend im Mittelenglischen? Aber warum gelten die positionalen Regelungen dann immer noch, wenn die Kasus- und Kongruenzverhältnisse eindeutig sind? Sollen wir schließen, dass positionale Regelungen keine funktionsanzeigenden eigenstrukturellen Hinweise sind, wenn die Kasus- und Kongruenzverhältnisse aussagekräftig sind - wie im Mittelhochdeutschen? Oder sollen wir schließen, dass Kasus und Kongruenz immer zuverlässige Hinweise sind und dass positionale Regelungen zuverlässige Hinweise sein können, aber nicht müssen? Ich werde diese Fragen weiter in diesem Buch zu beantworten versuchen. 2.2.5 Die Funktion eigenstrukturellen „Know-hows“ Obwohl wir uns mit dem Vers Johannes 19, 27 bisher nur ein einziges Ereignis beziehungsweise seine sprachliche Entäußerung angeschaut haben, sind wir einen recht langen Weg gegangen, um herauszustellen, über welche Kenntnisse eine Interpretin verfügen muss, um 73 Vgl. Mossé 1952: 122. 18429_Kasper_SL5.indd 65 18429_Kasper_SL5.indd 65 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 66 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur aus einer gesprochenen oder geschriebenen Äußerung zu einer komplexen Vorstellung von diesem Ereignis zu gelangen. Diese Vorstellung sollte in den pertinenten Aspekten - Was steht womit in welcher Beziehung? - mit derjenigen des Produzenten der Äußerung geteilt werden. Dabei hat sich gezeigt, dass eine Interpretin entscheidend auf die Kenntnis der sprachlichen Eigenstruktur angewiesen ist. Es könnte zwar sein, dass sie allein mit ihren vorsprachlichen interpretativen Fähigkeiten, ihren Vorstellungsfähigkeiten und der Einsicht in die symbolische Auslagerung die Beziehungen zwischen den Vorstellungen und Vorstellungsteilen in der Äußerung in (4) erfolgreich interpretiert, doch die vorangegangenen Ausführungen sollten gezeigt haben, dass dies ohne die Kenntnisse der sprachlichen Eigenstruktur ein großer Zufall wäre. Die Interpretin könnte keine hinreichenden Kriterien angeben, warum diese Interpretation und keine andere die korrekte sein sollte. Wenn das Verstehen nicht regelmäßig gelingt, können wir bei ihr nicht von einer Fähigkeit sprechen, sprachliche Äußerungen zu verstehen. Die Kenntnis der sprachlichen Eigenstruktur spielt insofern eine herausragende Rolle für diese Fähigkeit, als sie Verlässlichkeit für die Interpretation herstellt. Die folgenden sind die wichtigsten eigenstrukturellen Hinweise in einer öffentlichen Entäußerung von Vorstellungen, damit eine Sprachbenutzerin zuverlässig zu deren korrekter Interpretation gelangen kann: • Wortkategorien • Kasus- und Kongruenzmorphologie • Reihenfolge (Kombinierbarkeit und relative Positionen) Der Wert sprachlicher Eigenstrukturen lässt sich noch von einer anderen Seite her erhellen. Der Schreiber unserer Äußerung in (4) hatte eine bestimmte Vorstellung des entsprechenden Ereignisses. Für ihn, in seiner Vorstellungswelt, war völlig klar, was womit in welcher Beziehung steht. Wir sahen, dass diese Klarheit und Bestimmtheit durch die Entäußerung dieser Vorstellung verloren geht, was ich auf die Treue- und Sparsamkeitszwänge zurückführte, denen das öffentliche Verkehrsmittel Sprache ausgesetzt ist. In den symbolischen Auslagerungen identifizierte ich eine Kompromisslösung für diese Zwänge der Öffentlichkeit. Sie führen zu Dependenzbeziehungen zwischen Ausdrücken und sogar zwischen Ausdrucksteilen. Die Einheit, die eine Auslagerung eines Aspektes aus einer Vorstellung symbolisiert, ist dann abhängig von der Einheit, aus der dieser Aspekt ausgelagert wurde. Für die Beziehungen in unserem Beispielsatz habe ich dies so ausgedrückt, dass die Auslagerungen offen, unbestimmt oder ergänzungsbedürftig sind und durch andere Elemente geschlossen, bestimmt beziehungsweise ergänzt werden müssen. Dies ist, was die Ebene „Vorstellen von etwas“ in Abbildung 6 illustriert. Wir sahen aber ebenfalls, dass eine Interpretin nur mit der Kenntnis der Wortarten identifizieren kann, welcher Ausdruck überhaupt ein Etwas und welcher nur einen Aspekt von einem Etwas bezeichnet, also welche Ausdrücke oder Ausdrucksteile überhaupt Auslagerungen darstellen. Das galt selbst dann, wenn die Ausdrücke in der Äußerung schon unabhängig von den Wortarten Vorstellungen in der Interpretin hervorrufen. Vor allem anhand ihrer Kenntnis der kasus- und kongruenzmorphologischen, kombinatorischen und positionsbezogenen Eigenstruktur kann sie dann identifizieren, welche Ausdrücke oder Ausdrucksteile mit welchen anderen in einer Auslagerungsbeziehung stehen und welche qualitativen Beziehungen zwischen ihnen bestehen. Die Tatsache, dass mehrere Ausdrücke in einem Satz jeweils mehrere Auslagerungen haben können, führt dazu, dass diese Ausdrücke 18429_Kasper_SL5.indd 66 18429_Kasper_SL5.indd 66 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 2.2 Die Leistung der sprachlichen Eigenstruktur 67 und ihre Auslagerungen nicht immer direkt nebeneinander stehen können. So interveniert beispielsweise der zwischen nahm und Jünger , aber sowohl der als auch nahm sind beide Auslagerungen aus dem Jüngergegenstand. Die Vorstellung zu zu ist ergänzungsbedürftig unter anderem durch die Vorstellung zu nahm , doch dazwischen stehen der , Jünger , die , Mutter und Jesu . Dieses Geflecht von Beziehungen zwischen verschiedenen Einheiten, die zudem zu größeren Einheiten zusammengebunden werden können und auf den verschiedenen Ebenen Beziehungen miteinander eingehen können, bringen das Bezugsproblem hervor, nämlich zu bestimmen, was eine Auslagerung wovon ist. Diese Verhältnisse sind in Abbildung 6 in dem Überbau über der Äußerung, das heißt auf den Ebenen (b) bis (e) dargestellt. Die Überstrukturiertheit der sprachlichen Eigenstruktur war daran erkennbar, dass wir die Wortarten, die uns vor allem anzeigen, was wir uns vorstellen sollen (a), nicht ohne Bezug auf die anderen Aspekte der Eigenstruktur identifizieren können, die ihre Leistungen für eine Interpretin vor allem auf den anderen Ebenen erbringen ((b) bis (e)). Umgekehrt können wir diese anderen instruktiven Mittel nicht ohne die Kenntnis der Wortarten gebrauchen. 2.2.6 Die Zeitlichkeit des Interpretierens und wechselseitige Vorhersagbarkeit Wenn wir uns die Abhängigkeiten auf der Ebene „Vorstellen der Art und Weise“ (b) sowie die Abhängigkeitsrichtungen auf dieser Ebene anschauen, könnten wir uns fragen, warum nahm Formaspekte von der Jünger und die Mutter bestimmt und warum nicht umgekehrt diese Bestimmung von der Jünger und die Mutter zu nahm verläuft. Für die umgekehrte Bestimmungsrichtung spricht beispielsweise, dass nahm , aber nicht gefiel erfolgreich vorhergesagt werden kann, wenn ein Satzglied im Nominativ und eines im Akkusativ gegeben sind. Das Kriterium, das für nahm als das bestimmende Element spricht, ist aber, wie viel wie zuverlässig wechselseitig vorhergesagt werden kann. Eine finite, aktivische Form des Verbs nehmen erlaubt eine ziemlich zuverlässige Vorhersage eines Satzglieds im Nominativ und eines im Akkusativ. Der Jünger und die Mutter erlauben zwar zunächst einmal gemeinsam und als Satzglieder auch die zuverlässige Vorhersage eines finiten Verbs. Aber erstens ist dieses Verb nicht zuverlässig aktivisch. Wir können dabei an Da bekam der Jünger die Mutter Jesu überantwortet denken. Zweitens wüssten wir ohne weitere Informationen nicht einmal, dass es sich bei der Jünger und die Mutter überhaupt um Satzglieder und nicht um Satzgliedteile handelt. Drittens habe ich unterschieden, ob wir die Abhängigkeiten beziehungsweise Bestimmungen prozessual oder nicht prozessual betrachten. In gesprochenen Äußerungen haben wir nicht die komplette Äußerung von Anfang an vor uns, sondern wir hängen an den Lippen des artikulierenden Sprechers, während dieser sie erst hervorbringt. Im Vergleich zu unserer mühelosen und blitzschnellen auditiven Wahrnehmung ist die Artikulation mühevoll und langsam. Beim Hören und Interpretieren warten wir nicht mit unserer Interpretation, bis die Äußerung beendet ist, sondern wir konstruieren inkrementell, oder online, eine Interpretation auf Basis des bereits Gehörten und generieren Vorhersagen über das, was noch kommen mag. 74 Diese Vorhersagen betreffen auch Kategorien der sprachlichen Eigenstruktur wie Wortarten, morphologische 74 Vgl. Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009b). 18429_Kasper_SL5.indd 67 18429_Kasper_SL5.indd 67 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 68 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Formen und Satzglieder. (Inhaltliche Erwartungen lasse ich hier noch außer Acht.) Bei geschriebenen Äußerungen verhält es sich prinzipiell ähnlich, wir können aber mit unseren visuellen Fixationen in der Äußerung hin- und zurückspringen. Unter diesen prozessualen Vorzeichen können wir sehen, dass in gewisser Weise jede vorhergesagte Einheit abhängig von der Einheit ist, auf deren Basis die Vorhersage getätigt wurde: In der Onlineinterpretation von nahm in (4) führt die Interpretation an der Stelle dieses Ausdrucks zu der Vorhersage eines Satzglieds der 1. oder 3. Person Singular im Nominativ und eines Satzglieds im Akkusativ. Wäre die Äußerung aber ein Nebensatz und nahm stünde am Ende, würde die Interpretin der Jünger zuerst interpretieren und ein finites Verb vorhersagen, das die Form der 3. Person Singular aufweist. An der Stelle die Mutter Jesu könnte sie vielleicht sogar zusätzlich ein aktivisches transitives Verb vorhersagen. Die Abhängigkeitsrichtung zwischen zwei Ausdrücken wäre dann immer abhängig von der Reihenfolge, in der sie auftreten. Die Abhängigkeiten in Abbildung 6 sind nicht in diesem Sinne zu verstehen, sondern stellen Offlineabhängigkeiten dar. Lassen sich nicht prozessuale Abhängigkeiten überhaupt rechtfertigen? Ich denke ja, nämlich indem man in einem Abhängigkeitsverhältnis den besseren Prädiktor zum bestimmenden Element macht. Denn unabhängig davon, ob der Jünger oder nahm zuerst interpretiert wird, kann die Interpretin auf Basis des einen die Form des anderen effektiver vorhersagen, eher erwarten als umgekehrt. Auf Basis von nahm sagt sie genau zwei Satzglieder mit bestimmten morphologischen Formen vorher. Sie wird sich aber hüten, auf Basis von der Jünger ein transitives, aktivisches Verb vorherzusagen. Sie wird das nicht tun, weil die Wahrscheinlichkeit, von der wirklichen Fortführung enttäuscht zu werden, groß ist. Auf der Jünger könnte einfach ein intransitives Verb folgen. Und diese Enttäuschung kostet sie etwas, nämlich Aufwand und Zeit: den Aufwand, eine Vorhersage überhaupt erst zu machen, den Aufwand, das, was wirklich gekommen ist, anders in ihre Vorstellung einzubauen, als sie es erwartet hat, und die Zeit, dies alles zu tun. Wenn die Interpretin auch die Mutter Jesu wahrgenommen und interpretiert hat, kann sie zwar einen Verbtypen und eine Verbform vorhersagen, denen nahm tatsächlich entspricht. Aber zuverlässig ist das noch immer nicht, denn es könnte ja auch noch ein Satzglied im Dativ auftreten, wodurch sich die Vorhersage womöglich erneut ändern würde. In nahm ist also in weniger Zeit auf weniger Raum zuverlässigere pertinente Information über andere Äußerungsbestandteile verdichtet als umgekehrt. Das werden wir auch noch bei den inhaltlichen Erwägungen sehen. 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 2.3.1 Grenzen der Sprachkonventionen: eigenstrukturell vermittelte Mehrdeutigkeiten Wir haben gesehen, wie sprachliche Konventionen der Ausdeutbarkeit von Äußerungen Grenzen setzen und mit welchen theoretischen Hilfsmitteln dies beschreibbar ist: Wortkategorien, Kasus- und Kongruenzmorphologie und Reihenfolgeregelungen. Nun müssen die eigensprachlichen Regelungen nicht dazu hinreichen, dass eine Interpretin sie nur auf eine Weise interpretieren kann. Dies hat bereits unser hochalemannischer Beispielsatz (1) vom Anfang gezeigt: Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa . 18429_Kasper_SL5.indd 68 18429_Kasper_SL5.indd 68 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 69 Ich war ja davon ausgegangen, dass unsere hochalemannische Interpretin - in Kenntnis der Eigenstrukturen des Zürichdeutschen - in dieser Äußerung si als Nehmerin und de Jünger als Genommenen interpretiert hat, also nicht im Sinne des Schreibers dieser Äußerung. Diese Beobachtung hatte uns erst auf die sprachlichen Konventionen verwiesen, die Äußerungen wenn nicht eindeutig, so doch erheblich weniger mehrdeutig machen können. Wie viel sprachlich vermittelte Mehrdeutigkeit die englischen und deutschen Sprach(stuf)en tatsächlich zulassen, auch wenn ihre Eigenstrukturen berücksichtigt werden, überprüfe ich später detailliert. Hier möchte ich darauf hinweisen, dass sprachliche Äußerungen in seltenen Fällen zu einem erstaunlich hohen Grad verschiedenartig ausdeutbar sind, obwohl sie allen eigenstrukturellen Vorgaben entsprechen. In diesem Zusammenhang werde ich einige Unterscheidungen bezüglich solcher Mehrdeutigkeiten einführen. Besonders ein (geschriebener) englischer Satz hat in der Forschung zur Verarbeitung natürlicher Sprache einige Berühmtheit erlangt. In dieser Forschungsrichtung versucht man mit computerprogrammierten Parsern die menschliche Sprachverstehenstätigkeit nachzubilden, indem man ihnen die Eigenstrukturen einer Sprache sozusagen einprogrammiert. (8) Time flies like an arrow. Der Satz mag recht unauffällig anmuten. Die Interpretation, derzufolge die Zeit wie ein Pfeil fliegt, kommt einem leicht in den Sinn, auch wenn sie die Vorstellungskraft durchaus ein wenig herausfordert. Ein früher Parser, dem man das menschliche eigensprachliche Know-how des Englischen als Do-that einprogrammierte und der diesen Satz daraufhin analysierte, hat nun allerdings gezeigt, dass eine Interpretin, die diese Regeln der englischen Grammatik befolgt, unter anderem die folgenden Deutungen für die Äußerung vornehmen könnte: 75 a. ‚Zeit fliegt (auf die gleiche Weise,) wie ein Pfeil (fliegt).‘ b. ‚Zeitfliegen mögen einen Pfeil.‘ c. ‚Stoppe (mit einer Stoppuhr) Fliegen (auf die gleiche Weise,) wie (du) einen Pfeil (stoppst).‘ d. ‚Stoppe (mit einer Stoppuhr) Fliegen (auf die gleiche Weise,) wie ein Pfeil (Fliegen mit einer Stoppuhr stoppt).‘ e. ‚Stoppe (mit einer Stoppuhr solche) Fliegen (, die in bestimmten Hinsichten) wie ein Pfeil (sind).‘ Ich ergänze noch zwei weitere, die ich einem amerikanisch-englischen Kollegen erst nach einer Common Sense -Gehirnwäsche abringen konnte. 76 f. ‚Time Flüge (auf die gleiche Weise,) wie ein Pfeil (Flüge timet).‘ g. ‚Time Flüge (, die in bestimmten Hinsichten) wie ein Pfeil (sind).‘ Nach erneuter Prüfung der Äußerung wird man zugeben müssen: Ja, es stimmt. Man kann das so interpretieren. Einige Interpretationen mögen unsinnig klingen, aber wir können uns Welten vorstellen, in denen sie sinnvoll sind. Zudem kommt man sehr schnell in Schwierigkeiten, wenn man Kriterien dafür angeben sollte, warum Interpretation (a.), die bereits einige Anforderungen an unsere Vorstellungskraft stellt, eine sinnvolle Interpretation ist, die ande- 75 Vgl. Kuno (1965). 76 Mit Dank an Jeffrey Pheiff. 18429_Kasper_SL5.indd 69 18429_Kasper_SL5.indd 69 20.08.2020 10: 55: 06 20.08.2020 10: 55: 06 70 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur ren aber nicht. Und an Interpretationen wie (h.), (i.) und (j.) unten, die den Konventionen des Englischen nicht entsprechen, lässt sich auch leicht ersehen, dass sich regelkonforme von nonkonformen Interpretationen deutlich unterscheiden und das interpretative Erweckungserlebnis bei ihnen ausbleibt. h. *‚Ein Pfeil stoppt (mit einer Stoppuhr,) wie Fliegen (mit einer Stoppuhr stoppen).‘ i. *‚Fliegenzeit mag einen Pfeil.‘ j. *‚Einer stoppt, fliegt und mag Pfeile.‘ Der Satz eignet sich gut, um einige Typen von sprachlich vermittelter Mehrdeutigkeit voneinander abzugrenzen. Dazu muss ich Bezug auf spezifisch sprachliche Kategorien nehmen. Zunächst einmal sind verschiedene Ausdrücke in dem Satz Vertreter verschiedener Wortkategorien. 77 Time kann sowohl als Substantiv wie in (a.) als auch als Verb wie in (c.) bis (g.) interpretiert werden. Insofern ist der Ausdruck kategorial mehrdeutig. Auch flies und like sind kategorial mehrdeutig. Während flies ebenfalls ein Substantiv wie in (b.) bis (g.) und ein Verb wie in (a.) repräsentieren kann, kann like ein Verb wie in (b.) darstellen, etwas anderes in (e.) und (g.) und möglicherweise noch etwas anderes in den restlichen Lesarten. 78 Aber auch innerhalb der Kategorie Verb sind Time und like offensichtlich mehrdeutig. Sie können als Infinitiv, Imperativ und jede Indikativ Präsens Aktiv-Form außer der 3. Person Singular und als jede Konjunktiv Präsens-Form gebraucht werden. Das macht sie als Verben zusätzlich morphologisch mehrdeutig. Die Lesart (b.) mit den Zeitfliegen wird dadurch möglich, dass im Englischen solche Nomen-Nomen-Komposita graphisch nicht von Kombinationen aus finiten Verben plus Satzglied, wie in den restlichen Lesarten, unterscheidbar sein müssen. Hierbei haben wir es also mit einer kombinatorischen, genauer mit einer Kompositamehrdeutigkeit zu tun. 79 Hinzu kommt, dass beispielsweise Time als Verb lexikalisch mehrdeutig ist. Mit dem Ausdruck bezeichnet man das Stoppen von Zeit, aber auch das Wählen eines Zeitpunkts für das Stattfinden irgendeiner Eventualität. Im Deutschen ist der Ausdruck umgangssprachlich ebenfalls als timen bekannt. Sofern flies mit einem Eventualitätsnomen im Sinne von ‚Flüge‘ bezeichnet werden kann, entstehen zwei weitere Lesarten. Daraus ergeben sich die Lesarten (f.) und (g.). Diese Mehrdeutigkeiten auf der kategorialen, morphologischen, lexikalischen und kombinatorischen Ebene reichen aus, um verschiedene Interpretationen für die Äußerung als Ganze nach sich zu ziehen. Sowohl Time als auch time flies können als Subjekt interpretiert werden, womit einhergeht, dass in ersterem Fall flies und in letzterem Fall like das Verb ist. Oder das Subjekt ist als Subjekt eines Imperativs Time nicht ausgedrückt, dann fungiert flies als grammatisches Objekt. 77 Für das Folgende vgl. das Oxford English Dictionary. 78 Für die letztgenannten Verwendungen von like liefern die einschlägigen Kriterien für Wortarten keine eindeutigen Ergebnisse. Kandidaten sind Konjunktion, Präposition (für (e.)) und die Resterampe Partikel. Das Oxford English Dictionary bietet auch Adverb an. 79 Handelte es sich bei der Äußerung in (8) um eine gesprochene Äußerung, wäre zu überlegen - oder zu testen -, ob eine Interpretin die Unterscheidung auf Basis prosodischer Merkmale zuverlässig vornehmen könnte. Ich bezweifle das. Ohne Kontrast- oder enge Fokusakzente mag ein Akzent auf flies die Kompositumlesart (b.) ausschließen, aber weder die Deklarativ- (a.) noch die Imperativlesarten ((c.) bis (g.)). Mit Kontrastfokus auf Time oder flies scheint jede Lesart möglich zu sein. 18429_Kasper_SL5.indd 70 18429_Kasper_SL5.indd 70 20.08.2020 10: 55: 07 20.08.2020 10: 55: 07 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 71 Die Mehrdeutigkeit zwischen (a.), (c.), (d.) und (f.) lebt auch davon, dass sich in like an arrow potentiell ganze Eventualitäten verbergen, die ausdrucksseitig um das Verb und eines der beiden Satzglieder reduziert sind, wie die Klammersetzungen in den Paraphrasen deutlich machen. 80 Dies sind einige der Interpretationen, die selbst unter Berücksichtigung der eigenstrukturellen Konventionen des Englischen möglich sind. Daneben existieren noch weitere Mehrdeutigkeiten, die die Prämissen des Experiments oder die Eigenstrukturen des Englischen aber überstrapazieren würden: Wenn wir annähmen, (8) müsste kein Satz sein, könnten wir das Ganze als eine komplexe Substantivgruppe ‚Zeitfliegen (, die in bestimmten Hinsichten) wie ein Pfeil (sind)‘ interpretieren. Guess what I saw yesterday: Time flies like an arrow . Daneben ist like noch stärker kategorial mehrdeutig als angedeutet, denn der Ausdruck kann auch als Nomen (‚Ähnliches‘, ‚Gleichartiges‘) und Adjektiv fungieren. Ähnliches gilt für arrow , das auch als Verb verwendet werden kann (zum Beispiel ‚einen Pfeil abschießen‘). Diese Mehrdeutigkeiten sind aber im Kotext der Äußerung (8) wohl nicht auszumachen. Die Äußerung stellt insofern eine Besonderheit dar, als sie eine sehr hohe Quote an kategorial mehrdeutigen Ausdrücken aufweist und zugleich ko(n)textlos präsentiert ist. Beides ist bei den neutestamentlichen Äußerungen, die ich untersuchen werde, nicht der Fall. Daher sollen kategoriale, lexikalische und Kompositamehrdeutigkeiten auch nicht im Mittelpunkt unseres Interesses stehen. Ich hätte oben, als es darum ging, eine Interpretation für die Interpretin von Äußerung (4) zu erarbeiten, beispielsweise auch darauf hinweisen können, dass Mutter lexikalisch mehrdeutig ist. Aus Gründen der Übersichtlichkeit habe ich darauf verzichtet. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass die Interpretin weiß, dass der Jünger die Mutter nicht zum Schrauben mitgenommen hat. Die für Äußerung (8) ermittelten Mehrdeutigkeiten bereiten Interpretinnen Schwierigkeiten, wenn es darum geht, erst einmal herauszufinden, was ein Etwas ist. Uns interessiert der etwas spätere Schritt, bei dem Interpretinnen ermitteln müssen, welches bereits ermittelte Etwas mit welchem anderen Etwas in welcher Beziehung steht, also beispielsweise, ob der Jünger oder die Mutter Jesu in unserer Äußerung in (4) Subjekt und Nehmer(in) beziehungsweise Objekt und Genommene(r) ist. Die Arten von sprachlich vermittelten Mehrdeutigkeiten, die dafür eine zentrale Rolle spielen, sind entsprechend andere, nämlich solche bezüglich syntaktischer Funktionen wie Subjekt und Objekt und semantischer Rollen wie Nehmer und Genommenes, oder allgemeiner, Agens und Patiens. Auch diese Mehrdeutigkeiten sind bisweilen auszumachen, wenn eine Äußerung allen eigenstrukturellen Regelungen einer Sprache entspricht. Unsere hochalemannische Äußerung (1) aus Kapitel 1 illustriert genau einen solchen Fall. Sie ist hier im Vergleich zur neuhochdeutschen Äußerung (4) aufgeführt, die uns bis hierhin durch dieses Kapitel begleitet hat. (1) Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa. (Hochalemannisch; S Nöi Teschtamänt; Johannes 19, 27; Weber [1997]) 80 Insofern ähnelt like hier tatsächlich Konjunktionen. Vgl. (c.) Time flies like (you time) an arrow mit Pilate saw Jesus or (Pilate saw) the disciple sowie (d.) Time flies like an arrow (times flies) mit Pilate saw Jesus or the disciple (saw Jesus) . 18429_Kasper_SL5.indd 71 18429_Kasper_SL5.indd 71 20.08.2020 10: 55: 07 20.08.2020 10: 55: 07 72 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur (4) Da nahm der Jünger die Mutt er Jesu zu sich [ … ] . (Neuhochdeutsch; Neue Genfer Übersetzung; Johannes 19, 27; Deutsche/ Genfer Bibelgesellschaft [2009]) Mit den gleichen eigenstrukturellen Mitteln, mit denen ich gezeigt habe, dass die neuhochdeutsche Äußerung eindeutig ist, lässt sich auch zeigen, dass die hochalemannische Äußerung (mindestens) zweideutig ist. Mit den Worten von vorhin ausgedrückt, können wir sagen, dass die Eigenstruktur hier nicht verhindert, dass die Interpretin naheliegende, aber nicht beabsichtigte Bestimmungen an den Ausdrücken und Ausdrucksteilen vornimmt. Wenn ich die Bestimmungen wieder mithilfe eines Strukturschemas darstelle, erhalten wir daher zwei verschiedene Strukturschemata für dieselbe Äußerung. Abbildung 7 zeigt im relevanten Ausschnitt die Struktur der ersten möglichen Interpretation, diejenige, die der Schreiber auch kommunizieren wollte: Der Jünger hat sie, die Mutter, zu sich, dem Jünger, genommen. Abb. 7: Die Funktion sprachlicher Ausdrücke für die intendierte Interpretation am Beispiel von „(Und vo säbere Stund aa) hät si de Jünger zue sich gnaa“ Welchen Deutungsroutinen ist die Interpretin hier gefolgt und durch welche eigenstrukturellen Leistungen ist sie bei dieser Interpretation angelangt? Als ersten kritischen Hinweis fi ndet die Interpretin zunächst hät . Als fi nites aktivisches Auxiliar tut es für die Art und Weise, wie sich die Eventualität vorgestellt wird, wenig mehr als ein Satzglied im Nominativ zu fordern, das als Subjekt fungiert. Dieses fi ndet die Interpretin in de Jünger . Durch Jünger wird das Auxiliar in seinen P.N.-Spezifi kationen bestimmt. Die Interpretin weiß nun, dass der Jünger der Habende ist. Als Auxiliar bestimmt hät auch die Form des Passivpartizips Perfekt (PPP) 18429_Kasper_SL5.indd 72 18429_Kasper_SL5.indd 72 20.08.2020 10: 55: 09 20.08.2020 10: 55: 09 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 73 für das Vollverb. Das Vollverb wiederum bestimmt ein Satzglied im Akkusativ, das als Objekt fungiert. Dieses fi ndet die Interpretin in si . Zusammengenommen erlaubt dies der Interpretin, eine Aktivdiathese für den gesamten Komplex anzunehmen, so dass sie si als Patiens und de Jünger als Agens identifi zieren kann. Der Jünger ist also ein sie-zu-sich-genommen-Habender. 81 In dieser Lesart steht sich in einem Kohärenz stiftenden Verhältnis zu Jünger . In der Gerichtetheitsbeziehung, die durch zue ausgedrückt wird, fungiert zudem die Mutter als das Gerichtete. Auf die Darstellung der diffi zilen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Flexiven und lexikalischen Ausdrücken habe ich hier erneut verzichtet. Schauen wir uns in Abbildung 8 im gleichen Ausschnitt die zweite, nicht intendierte Interpretation an, derzufolge sie, die Mutter, den Jünger zu sich, der Mutter, genommen hat. Als das Satzglied, für das hät den Nominativ bestimmt und von dem hät seine P.N.-Spezifi kationen erhält, identifi ziert die Interpretin nun si . Die restlichen Unterschiede sind mehr oder weniger zwingend eine Folge davon: De Jünger ist das Satzglied, das in seiner Akkusativform von gnaa bestimmt ist. Sich steht in einem Kohärenz stiftenden Verhältnis zu si und das Gerichtete in der Gerichtetheitsbeziehung ist nun der Jünger. Abb. 8: Die Funktion sprachlicher Ausdrücke für die nicht intendierte Interpretation am Beispiel von „(Und vo säbere Stund aa) hät si de Jünger zue sich gnaa“ Die Mehrdeutigkeit kommt hier off ensichtlich dadurch zustande, dass die morphologische Eigenstruktur des Hochalemannischen weder für das Personalpronomen der 3. Person Femininum, si , noch für den bestimmten Artikel de , noch für das Substantiv Jünger unterscheidbare Formen für den Nominativ und den Akkusativ aufweist. Da es sich bei beiden Satzgliedern 81 Es gibt hier kein eigenstrukturelles Signal, dass eine Passivlesart zuverlässig ausschließen würde, außer man möchte die Abwesenheit eines Passivauxiliars als Signal verstehen. 18429_Kasper_SL5.indd 73 18429_Kasper_SL5.indd 73 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 74 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur um solche der 3. Person Singular handelt, kann die Interpretin die Flexionsform des Auxiliars hät ebenfalls nicht als eindeutiges Instruktionsmittel nutzen. Hier haben wir es mit morphologischer Mehrdeutigkeit zu tun. Die relative Reihenfolge von Subjekt und Objekt hat im Hochalemannischen nach allem, was wir wissen, auch keinen instruktiven Wert in Bezug auf die Frage, in welcher Beziehung die Vorstellungsinhalte zueinander stehen. Ich werde das als syntaktische Mehrdeutigkeit bezeichnen. Wir können also festhalten, dass die Äußerung sowohl morphologisch als auch syntaktisch mehrdeutig ist. Aus der Perspektive der symbolischen Auslagerung ist es für eine Interpretin dieser Äußerung somit gleich naheliegend, die ergänzungsbedürftigen Teile des Verbkomplexes mit dem einen oder dem anderen Gegenstandsausdruck zu schließen. Anders ausgedrückt, die Äußerung ist mehrdeutig in Bezug auf die syntaktischen Funktionen Subjekt und Objekt, und, dadurch vermittelt, in Bezug auf die Rollen Agens und Patiens. Im ersten Kapitel hatte ich die Äußerung in (1) noch als grammatisch mehrdeutig bezeichnet. Diesen Ausdruck verwende ich dann, wenn eine Äußerung sowohl morphologisch als auch syntaktisch mehrdeutig ist. An Beispiel (1) können wir noch eine weitere Art von Mehrdeutigkeit aus unserer Untersuchung ausschließen. Im betreffenden Bibelkapitel gibt es neben Maria, auf die sich si bezieht, auch diverse andere Gegenstände, auf die mit den grammatischen Merkmalen Femininum oder Plural Bezug genommen werden kann. Auf sie alle könnte, morphologisch gesehen, si sich beziehen. Solche Mehrdeutigkeiten im Pronomenbezug werden uns nicht interessieren. Es ist auch leicht zu erkennen, dass je nachdem, welcher Partnerausdruck für si gewählt wird, sich daran, dass seine syntaktische Funktion und semantische Rolle unklar sind, nichts ändert. Bezugsmehrdeutigkeiten und Mehrdeutigkeiten syntaktischer Funktionen beziehungsweise semantischer Rollen sind unabhängig voneinander. Subjekt-Objekt-Mehrdeutigkeiten sind aber nicht die einzigen, die wir in unseren Bibeltexten erwarten dürfen. Viele Äußerungen weisen nämlich neben einem Subjekt und einem Objekt auch mindestens ein weiteres Objekt auf. Objekte weisen entweder einen Kasus auf, der direkt vom Verb bestimmt wird, wie (die) Mutter ( Jesu) (Akkusativ) in Äußerung (4) oder einen, der von einer Präposition bestimmt wird, wie (zu) sich in derselben Äußerung. Der Ausdruck der Objekte mittels verschiedener Kasusmarkierungen oder Präpositionen geht üblicherweise damit einher, dass diese Objekte in verschiedenen semantischen Rollen interpretiert werden. Neben der Patiensrolle können wir für Objekte noch die Rezipientenrolle und die Lokationsrolle unterscheiden. Mehrdeutigkeiten können dann auftreten, wenn zwei Objekte vorhanden sind, bei denen die Kasusspezifikationen nicht unterscheidbar sind, wie in dem folgenden Beispiel (9). (9) Vun den verlang’n se, dat he Von dem verlangten sie KONJ 3SG.M.NOM Jesus dat Krüz Jesus.3SG.M.NOM/ DAT/ AKK DET Kreuz.3SG.N.NOM/ DAT/ AKK affnehmen dä. abnehmen tun.1/ 3.SG.PRÄT ‚Von dem verlangten sie, dass er Jesus das Kreuz abnehmen solle.‘ ‚Von dem verlangten sie, dass er Jesus dem Kreuz abnehmen solle.‘ (Nordniederdeutsch; Dat Nie Testament; Matthäus 27, 32; Jessen [[1933] 2006]) 18429_Kasper_SL5.indd 74 18429_Kasper_SL5.indd 74 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 75 Damit geht einher, dass die Objekte auch in ihren semantischen Rollen nicht unterscheidbar sind. Was hier das Genommene - das Patiens - ist und wem es abgenommen wird - sozusagen der Anti-Rezipient -, ist für eine Interpretin an den morphologischen Formen also nicht erkennbar. In Bezug auf das Zustandekommen von Objekt-Objekt-Mehrdeutigkeiten gibt es einen großen Unterschied zu den Subjekt-Objekt-Mehrdeutigkeiten. Subjekt und Objekt können außer über den Kasus auch über die Kongruenzbeziehung zum finiten Verb unterschieden werden. Diese Möglichkeit fehlt bei Objekt-Objekt-Mehrdeutigkeiten. Beide Objekttypen haben nichts mit den Person- und Numerusspezifikationen des Verbs am Hut. Umgekehrt kann mit der präpositionalen Markierung eines oder beider Objekte nur zwischen Objekten ein eigenstrukturelles Mittel zur Verfügung stehen, anhand dessen die beiden Objekte dann unterscheidbar und ihre jeweiligen Rollen beim Aufbau der Vorstellung erkennbar werden. In Beispiel (1) sind Lokation (der Referent von sich ) und Patiens ( si oder de Jünger ) nicht verwechselbar. Was Subjekt-Objekt- und Objekt-Objekt-Beziehungen wiederum gemeinsam haben, ist, dass der relativen Reihenfolge zwischen den Satzgliedern instruktiver Wert zukommen kann. Es sind also solche Äußerungen, die bezüglich ihrer syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen mehrdeutig sind, die ich in den alt- und mittelenglischen, altbis neuhochdeutschen, hochalemannischen und nordniederdeutschen Bibelübertragungen identifizieren muss. An ihnen möchte ich überprüfen, wie sie trotz morphologischer und syntaktischer Mehrdeutigkeit verstehbar sind. Daher war es wichtig, Kriterien herauszuarbeiten, an denen wir morphologisch und syntaktisch mehrdeutige Äußerungen von eindeutigen unterscheiden können. Ich werde später alle Äußerungen in meiner Textsammlung hinsichtlich ihrer morphologischen Ausprägungen klassifizieren und die relativen Positionen ihrer Elemente erfassen. Auf diese Weise werde ich für die allermeisten Äußerungen in der Lage sein, die eindeutigen von den mehrdeutigen zu unterscheiden. Aber nicht für alle. 2.3.2 Grenzphänomene: die bewegliche Grenze der Eigenstruktur Ich möchte noch zwei Phänomene ansprechen, die in der späteren Untersuchung häufig auftreten werden und mit denen ich im Rahmen der Deutungsarbeit umgehen werden muss. Die Herausforderung bei diesen Phänomenen besteht darin, dass es - anders als etwa bei der grammatischen Morphologie - nicht klar ist oder es sich zwischen Sprach(stuf)en unterscheidet, ob die Interpretation durch die einzelsprachliche Eigenstruktur geregelt ist oder nicht. Die beiden Phänomene hängen eng miteinander zusammen. Das erste der beiden Phänomene sind Pronomen. Wir haben an Personal- und Reflexivpronomen gesehen, dass sie zur Vorstellung von Gegenständen instruieren, dass eine Interpretin den Vorstellungsinhalt aber aus dem Ko(n)text holen muss. Wir schauen uns wieder einmal unsere Äußerung (4) an, Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich , denn wir sind noch immer nicht fertig mit ihr. Ich bin bei seinem syntaktisch mehrdeutigen hochalemannischen Pendant … hät si de Jünger zue sich gnaa davon ausgegangen, dass der Vorstellungsinhalt von sich vom Jüngergegenstand bezogen wird, wenn de Jünger als Subjekt fungiert, aber vom Muttergegenstand, wenn si als Subjekt fungiert (s. Abbildung 7 und Abbildung 8). Es wäre also zu überlegen, ob der Partnerausdruck von sich etwas mit der Subjektfunktion zu tun hat. Wenn dem allgemein so wäre, könnten wir sagen, dass es eigenstrukturell geregelt ist, worauf sich sich bezieht, 18429_Kasper_SL5.indd 75 18429_Kasper_SL5.indd 75 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 76 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur denn das Subjekt habe ich nur unter Bezugnahme auf eigenstrukturelle Einheiten charakterisiert. In der Äußerung in (4) sehen wir ebenfalls, dass die Interpretation, nach der unter sich der Jüngergegenstand vorgestellt wird, sehr nahe liegt. Man kann aber auch daran zweifeln, dass eine Interpretin dies so interpretieren muss. In Er nahm sie zu sich mag es noch schwer fallen, sich nicht auf das Subjekt, sondern auf das Objekt sie zu beziehen. Aber stellen wir uns vor, ‚sie‘ sei bewusstlos geworden und ‚er‘ unternehme einiges, um sie wieder zu Bewusstsein zu bringen. Sollen wir dann ausschließen, dass in Er brachte sie wieder zu sich das Reflexivpronomen auf das Objekt beziehen lässt? Ich denke, dass wir es nicht ausschließen sollten und dass dabei Faktoren beteiligt sind, die sich nicht unter der sprachlichen Eigenstruktur subsumieren lassen. 82 Den eigenstrukturellen Regelungen lässt sich dagegen aber wohl zurechnen, dass sich der Partnerausdruck von sich nicht an einer beliebigen Stelle im Kotext finden lässt. Bei der Suche nach dem Partnerausdruck sollte die Interpretin außerhalb bestimmter Einheiten eines Textes nicht fündig werden. Im Falle von Reflexivpronomen ist diese Einheit der (Teil-)Satz, in dem es auftritt. Wie die Ausführungen oben gezeigt haben, ist der (Teil-)Satz maßgeblich von den Bestimmungen geprägt, die vom Finitheitsanteil des Verbs ausgehen. Jenseits dessen, was vom finiten Verb bestimmt wird, ist der Partnerausdruck von sich nicht zu finden. Ähnliche Probleme ergeben sich bei Personalpronomen. Wir nehmen dafür diesmal ein altenglisches Beispiel. (10) Witodlice þa hig ætun se Wahrlich KONJ 3PL.NOM/ AKK ess.PL.PRÄT DET hælend nam hlaf Heiland.3SG.NOM nehm.1/ 3SG.PRÄT Brot.3SG.M.NOM/ AKK and hyne gebletsode [ … ] KONJ 3SG.AKK.M segn.1/ (2/ )3SG.IND(/ KONJ).PRÄT ‚Wahrlich, als sie aßen, nahm Jesus (ein) Brot und segnete es (…)‘ (Altenglisch; Wessex Gospels; Matthäus 26, 26; ~ 1000; Ed. Liuzza [1994]) Ich greife nun in den Wortlaut dieser Äußerung ein und tue so, als enthielte der Teilsatz, der durch and eingeleitet wird, noch ein Personalpronomen he (3SG.M.NOM), so dass wir and he hyne gebletsode bekommen. Die korrekte Interpretation bliebe dieselbe. Anders als beim Reflexivpronomen muss die Interpretin den Vorstellungsinhalt eines Personalpronomens oft von außerhalb des (Teil-)Satzes holen. 83 In der obigen fingierten Äußerung finden wir nun (das fingierte) he und hyne . Den Vorstellungsinhalt zu beiden Pronomen muss die Interpretin aus dem Kotext holen. In Frage kommen Ausdrücke, die, wie diese Pronomen selbst, das Maskulinum und den Singular aufweisen. Da neben se hælend auch der Ausdruck für Brot, hlaf , im Altenglischen das Maskulinum aufweist, kommen sie beide jeweils als Partnerausdrücke zu he und hyne in Frage. Es wäre also für die fingierte Äußerung möglich, dass die Interpretin ‚und es (das Brot) segnete ihn (den Heiland)‘ interpretiert. Das Altenglische weist außerdem 82 Vgl. Kuno & Kaburaki (1977), Culicover (2009, Kap. 10). In generativistischen Ansätzen wird das über zugrundeliegende und abgeleitete syntaktische Strukturen geregelt. 83 Das ist eine Vereinfachung. Ausführlicher sind die Bedingungen in der Bindungstheorie der Rektions- und Bindungstheorie formuliert; vgl. Fanselow & Felix (1993). Für das Neuhochdeutsche vgl. auch Zifonun (2001), (2003) und (2005). 18429_Kasper_SL5.indd 76 18429_Kasper_SL5.indd 76 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 77 kein eigenes Reflexivpronomen auf. Das Personalpronomen kann auch reflexiv verwendet und interpretiert werden. Insofern wäre es für die Interpretin auch möglich, and he hyne gebletsode als ‚und er segnete sich‘ beziehungsweise ‚und es segnete sich‘ zu interpretieren. Dass sie hier zugunsten der richtigen Interpretation von hyne den Vorstellungsinhalt von hlaf heranziehen muss, kann also prinzipiell nicht mehr auf die sprachliche Eigenstruktur zurückgeführt werden. Ich habe die fingierte Äußerung verwendet, um das Pronomeninhaltsproblem einigermaßen getrennt von dem zweiten Phänomen behandeln zu können. Es handelt sich dabei meistens um koordinierte (Teil-)Sätze, in denen bestimmte Vorstellungsinhalte nicht ausgedrückt sind. Ich lasse nun das fingierte he wieder verschwinden und belasse die Äußerung in (10) in ihrer ursprünglichen Form. Was dadurch passiert, ist, dass wir nun tatsächlich wieder darüber diskutieren können, ob die Interpretin hyne auf hlaf nicht nur beziehen kann, sondern sogar muss. Dies hat aber nichts mit dem Gebrauch des Pronomens hyne zu tun, sondern mit der Abwesenheit eines Subjektausdrucks. In den bisher diskutierten Äußerungen konnten wir jeweils Ausdrücke finden, die dem Was? , dem Womit? und dem Welche Beziehung? aus der Vorstellung des Schreibers entsprachen. Die Interpretin konnte sozusagen imaginäre Linien zwischen den Ausdrücken in der Äußerung und ihren W -Fragen ziehen. Ihr Know-how über die eigenstrukturellen Mittel half ihr dabei - außer im Hochalemannischen - die Linien zu den richtigen Ausdrücken in der Äußerung zu ziehen. Nun haben es Interpretinnen, wenn sie sich nicht mehr nur Einzeläußerungen anschauen, kaum jemals mit Texten zu tun, in denen dies durchgängig möglich wäre, denn sie begegnen Äußerungen, mit denen die Schreiber zwar ein Was steht womit in welcher Beziehung? gemeint, aber nicht alles davon geäußert haben, so dass es auch nicht öffentlich und wahrnehmbar geworden ist. Dies ist in der Äußerung in (10) der Fall. Die Äußerung geht nach gebletsode wie folgt weiter. (10') [ … ] and bræc. and KONJ brech.1/ (2/ )3SG.IND(/ KONJ). PRÄT KONJ sealde hys leorningcnihtum geb.1/ (2/ )3SG.IND(/ KONJ).PRÄT 3SG.M.GEN Jünger.3PL.DAT and cwæđ; Onfoþ and etađ. KONJ sprech.1/ 3SG.IND.PRÄT take.2PL.IMP KONJ ess.2PL.IMP ‚(…) und brach (es) und gab (es/ davon) seinen Jüngern und sprach: „Nehmt und esst! “‘ (Altenglisch; Wessex Gospels; Matthäus 26, 26; ~ 1000; Ed. Liuzza [1994]) Was steht in der gesamten Äußerung (10) womit in welcher Beziehung? Eine Interpretin versteht, dass Jesus Brot nahm, Jesus dann das Brot segnete, Jesus dann das Brot brach, Jesus dann das Brot den Jüngern gab und Jesus dann (zu den Jüngern) sagte, sie sollen (vom Brot) nehmen und sie sollen (vom Brot) essen. Die Vorstellung, die die Interpretin auf Basis der Äußerung konstruiert, ist also vorstellungsmäßig weitaus reicher, als sie sein könnte, wenn sie nur auf Basis des wahrnehmbar Ausgedrückten konstruiert wäre. Die Äußerung in (10) enthält nur ein Mal den Ausdruck se hælend , der entsprechende Gegenstand fungiert aber fünf Mal als Agens, das heißt in jedem der fünf Konjunkte, die jeweils durch and verbunden sind. Die Vorstellung des Brotgegenstands wird einmal durch hlaf , einmal durch hyne und zwei Mal durch gar keinen Gegenstandausdruck evoziert, fungiert aber in den letzten beiden 18429_Kasper_SL5.indd 77 18429_Kasper_SL5.indd 77 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 78 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Fällen dennoch als Patiens, also als Gebrochenes und Gegebenes. Woher weiß die Interpretin das? Gehört dieses Know-how zur sprachlichen Eigenstruktur? Wir können dies als Inhalt-ohne-Ausdruck-Problem bezeichnen. Sicher nicht zur sprachlichen Eigenstruktur gehört, dass die Interpretin sich bei niman ‚nehmen‘ einen Nehmer und ein Genommenes vorstellen muss, bei gebletsian ‚segnen‘ Segner und Gesegnetes, bei brecan ‚brechen‘ Brecher und Gebrochenes, bei sellan ‚geben‘ Geber, Gegebenes und Rezipient sowie bei cweđan ‚sagen, sprechen‘ Sprecher und Gesprochenes. Schon eher zur Eigenstruktur der Sprache gehört, dass bei etan ‚essen‘ im Nebensatz, der durch þa eingeleitet ist, das Gegessene auch ohne Ko(n)textinformation unausgedrückt bleiben kann, während bei den anderen Verben das Patiens (und der Rezipient) bei fehlender Ko(n)textinformation ausgedrückt werden müssen. Nicht ausgedrückte, aber in der Interpretation enthaltene Elemente sind dann deshalb in der Interpretation als Vorstellung enthalten, weil sie aus dem Ko(n)text geholt werden können (und müssen), um die ergänzungsbedürftige Vorstellung zu ergänzen. Darin, dass sie aus dem Ko(n)text geholt werden müssen, sind diese Non-Ausdrücke Pronomen ganz ähnlich. Ich werde die unausgedrückten Informationen behelfsweise mit Nullstellen sichtbar machen. Die Position der Nullstelle ist dabei zunächst nicht von Belang. Wichtig ist, dass erkennbar ist, welches Verb sie jeweils ergänzt. (10'') [ … ] se hælend nam hlaf and Ø hyne gebletsode and Ø Ø bræc. and Ø Ø sealde hys leorningcnihtum and Ø cwæđ; Onfoþ and etađ. ‚(…) nahm Jesus (ein) Brot und segnete es und brach (es) und gab (es/ davon) seinen Jüngern und sprach: „Nehmt und esst! “‘ Unausgedrücktes, aber Vorgestelltes kann nun trivialerweise keine eigenstrukturellen Hinweise geben, wie es se hælend , hlaf und hyne tun: weder eine Wortkategorie, noch eine morphologische Form, noch (fürs Erste) eine relative Position. Auf Basis irgendwelcher Kriterien muss die Interpretin aber zur richtigen Interpretation gelangen, denn diese Äußerung ist verständlich. Eine Möglichkeit für die Interpretin wäre, anzunehmen, dass jede unausgedrückte Vorstellung, wenn sie ausgedrückt wäre, die eigenstrukturellen Spezifikationen hätte, die ihr Partnerausdruck im Kotext aufweist, von dem sie die Gegenstandsvorstellung bezieht. [ … ] and Ø hyne gebletsode ist das zweite Konjunkt und weist eine Nullstelle auf. Die Interpretin müsste nun den Partnerausdruck der Nullstelle im Kotext suchen, seine eigenstrukturellen Spezifikationen nehmen und die Nullstelle so interpretieren, als stünde dort ein Ausdruck mit denselben Spezifikationen. Wir gehen nun davon aus, die Interpretin habe wenigstens schon das Pronomeninhaltsproblem gelöst und wüsste, dass mit hyne das Brot ( hlaf ) gemeint ist: ‚… und segnete es‘. Der Ausdruck für Brot, hlaf , ist im vorangegangenen (Teil-)Satz se hælend nam hlaf das Objekt. Das kann die Interpretin nicht aus seinen Kasusspezifikationen, sondern nur per Ausschlussverfahren ermitteln, weil se hælend schon den Nominativ trägt, den nam für eins seiner Satzglieder bestimmt. Hyne muss also das Objekt zu gebletsode sein. Die Nullstelle wäre also durch ein Subjekt besetzt, wenn dort eins stünde. Weil hlaf dafür nicht in Frage kommt, wäre se hælend der Kandidat der Wahl. Die Nullstelle und hyne hätten also die gleichen morphologischen Spezifikationen wie ihre Partnerausdrücke se hælend und hlaf und damit auch die gleichen syntaktischen Funktionen, Subjekt beziehungsweise (direktes) Objekt. Und so geht es ja offensichtlich auch weiter in der Äußerung: Se hælend kann für die Nullstellen bei bræc , 18429_Kasper_SL5.indd 78 18429_Kasper_SL5.indd 78 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 79 sealde und cwæđ eingesetzt werden und würde als imaginäres Subjekt dieser Verben fungieren. Und hlaf kann für das Gesegnete, Gebrochene und Gegebene eingesetzt werden und in den entsprechenden Teilsätzen als imaginäres Objekt fungieren. Sprachlich ausgedrückt ist das Brot durch hlaf im ersten Konjunkt, durch hyne im zweiten und gar nicht mehr ausgedrückt ist es im dritten und vierten Konjunkt. Dort würde es mit seinen Objektspezifikationen aber hineinpassen. Im fünften Konjunkt mit cwæđ würde es das aber nicht mehr, da es dort keine Nullstelle mehr für ein imaginäres Objekt gibt, sondern ein Objekt in Form einer direkten Rede bereits vorhanden ist. Die Interpretationsroutine, den Nullstellen imaginär die gleichen eigenstrukturellen Spezifikationen wie ihren kotextuellen Partnerausdrücken zu verpassen, um ergänzungsbedürftige Vorstellungen zu ergänzen, würde also zum Interpretationserfolg führen. Im Zusammenhang der Pronomen und der Nullstellen möchte ich nun zwei Aspekte unterscheiden. Der erste, das Pronomeninhaltsproblem, betrifft den konkreten Vorstellungsinhalt, den eine Interpretin aus dem Ko(n)text holen muss, um sie zu interpretieren. Der zweite betrifft die Identifikation der syntaktischen Funktion der imaginär gefüllten Nullstelle. Pronomen und Nullstellen in koordinierten Teilsätzen sind sich sehr ähnlich darin, dass sie auf fremde Vorstellungsinhalte angewiesen sind. Es scheint aber ein Unterschied in dem Grad zu bestehen, zu dem das fingierte Pronomen he und die Nullstelle die Interpretin darauf verpflichten, einen bestimmten Vorstellungsinhalt und keinen anderen aus dem Kotext zu holen. Wir haben gesehen, dass (mein fingiertes) and he hyne gebletsode auf verschiedene Weisen interpretiert werden kann: ‚und der Heiland segnete das Brot‘, ‚und der Heiland segnete sich‘, ‚und das Brot segnete den Heiland‘, ‚und das Brot segnete sich‘. Fehlt he dagegen, ist zumindest zweifelhaft, ob and hyne gebletsode anders interpretiert werden kann als mit dem Heiland in der imaginären Subjektfunktion. Die Frage ist also, ob eine Nullstelle in einem koordinierten Teilsatz ihren Vorstellungsinhalt auch von einer anderen syntaktischen Funktion beziehen kann, als sie ihr Partnerausdruck im entsprechenden vollständigen Teilsatz einnimmt - etwas, das mit Pronomen problemlos möglich ist. Nach allem, was ich weiß, geht das, die Fälle scheinen aber auf die älteren Sprachstufen beschränkt zu sein. Ich gebe ein altenglisches und ein frühneuhochdeutsches Beispiel von Luther selbst. (11) he lustlice from eallum onfongen wæs, & his word Er freudig von allen.3PL.DAT empfangen war, und sein Wort geornlice geherdon. gern hörten ‚Er wurde freudig von allen empfangen und (sie) hörten seinen Worten gern zu.‘ (Altenglisch; Ælfric, Bede 258, 6; ~ 1000; zit. in Visser [1963: 6]) (12) Da jamert den Herrn des selbigen Knechts / vnd lies Da Mitleid-erfasste den Herrn.AKK.SG dieses Knechts und ließ jn los ihn los ‚Da erfasste Mitleid den Herrn dieses Knechts und (er) ließ ihn los.‘ (Frühneuhochdeutsch; Biblia; Matthäus 18, 27; Luther [1545]) 18429_Kasper_SL5.indd 79 18429_Kasper_SL5.indd 79 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 80 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur In dem altenglischen (westsächsischen) Beispiel bezieht die Nullstelle mit der imaginären Subjektfunktion den Vorstellungsinhalt vom Präpositionalobjekt from eallum und in dem frühneuhochdeutschen Beispiel vom Akkusativobjekt den Herrn . Aus diesen und analogen Beobachtungen können wir schließen, dass zumindest in den älteren Sprachstufen die Frage, woher eine Interpretin den Vorstellungsinhalt für eine Nullstelle bezieht, nicht durch die Eigenstruktur der jeweiligen Sprach(stuf)e geregelt ist. Im Neuhochdeutschen und den modernen Dialekten könnte dies allerdings anders sein. 84 Sie weisen bei Matthäus 18, 27 auch modernere Strukturen auf, die mindestens darauf hinweisen, dass solche Strukturen nicht mehr selbstverständlich waren. 85 Das Subjekt des zweiten Teilsatzes fehlt in den jungen Übersetzungen nur dann, wenn die entsprechende Gegenstandsvorstellung im ersten Teilsatz bereits als Subjekt fungiert, und das Subjekt scheint im zweiten Teilsatz realisiert werden zu müssen, wenn die entsprechende Gegenstandsvorstellung im ersten Teilsatz nicht bereits Subjekt gewesen ist. Wichtig ist auch, dass die Frage, woher der Vorstellungsinhalt für ein Pronomen oder eine Nullstelle bezogen wird, keinen Einfluss auf die Mehrdeutigkeiten hat, die syntaktische Funktionen oder semantische Rollen betreffen: Die Nullstellen bei gebletsode in der Äußerung in (10) sowie die Nullstellen in (11) und (12) sind jeweils das imaginäre Subjekt, im Aktivsatz das Agens und im Passivsatz das Patiens, unabhängig davon, welchen Vorstellungsinhalt eine Interpretin dafür heranholt. 86 Das ist anders beim zweiten Aspekt des Problems. Er betrifft die imaginäre syntaktische Funktion der Nullstelle. In and hyne gebletsode in der Äußerung in (10) und in den späteren Teilsätzen in den Äußerungen (11) und (12) können wir sagen, dass die Eigenstruktur der Sprache erzwingt, dass die Nullstellen als Subjekte interpretiert werden: Die Vorstellung der Eventualität erfordert eine Gegenstandsvorstellung und das finite Verb bestimmt für den imaginären Gegenstandsausdruck Subjektspezifikationen. Es gibt aber auch den viel selteneren Fall, dass eine Nullstelle nicht als Subjekt interpretiert werden kann, sondern als Objekt interpretiert werden muss, wie in der folgenden Äußerung. (13) Take ȝe hym, and crucifie ȝe, for Nehmt 2PL.NOM 3SG.M.DAT/ AKK und kreuzigt 2PL.NOM denn Y fynde no cause in hym. 1.SG.NOM finde keinen Grund in 3.SG.M.DAT/ AKK ‚Nehmt ihr ihn und kreuzigt ihr (ihn), denn ich finde keinen Anlass dafür an ihm.‘ (Mittelenglisch; Wycliffe-Bibel; Johannes 19, 6; ~ 1400; Ed. Forshall & Madden [1850]) Viel seltener ist dieser Fall deshalb, weil es - zumindest im Deutschen und Englischen - viel seltener vorkommt, dass das Subjekt ausgedrückt ist und das Objekt nicht, zumal in einem Imperativsatz. Hier unterscheiden sich die Eigenstrukturen der einzelnen Sprach(stuf)en aber erneut, nämlich darin, unter welchen Umständen ein Objekt in koordinierten Sätzen unausgedrückt bleiben kann. In der neuhochdeutschen Standardsprache und in den modernen 84 Siehe Abschnitt 2.3.3 zum Einfluss des Standarddeutschen und -englischen. 85 Die 1984er Luther-Bibel weist auf Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei [ … ]. Weber übersetzt ins Zürichdeutsche Da hät de Herr Mitläid mit säbem Chnächt ghaa, hät en gaa laa [ … ] und bei Jessen lautet der Vers Dat güng den Herrn dörch un dörch, un he harr Erbarmen mit sin Knecht . 86 Siehe auch Abschnitt 2.3.1, wo Mehrdeutigkeiten des Pronomenbezugs abgegrenzt und von der Untersuchung ausgeschlossen wurden. 18429_Kasper_SL5.indd 80 18429_Kasper_SL5.indd 80 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 81 Dialekten wäre eine Äußerung, die analog zu der in (13) gebaut ist, kaum zu erwarten. Die entsprechenden Übertragungen ins Neuhochdeutsche und Hochalemannische enthalten denn auch ein Objekt. 87 (14) Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn [ … ] . (15) Nämed iir en und chrüüziged en! Dagegen hatte der mittelenglische Schreiber offenbar die Wahl, das Objekt entweder auszudrücken oder nicht. In den jüngeren Sprach(stuf)en geht das nur, wenn das Subjekt ebenfalls nicht ausgedrückt wird, oder wenn das Objekt im ersten Konjunkt fehlt, aber im zweiten steht - Der Eine mag (Ø) und der Andere hasst Fischsuppe -, oder wenn der Vorstellungsinhalt des Objektes das besonders hervorgehobene Thema in allen Konjunkten ist. Dieser letztere Fall wäre daran erkennbar, dass es am linken Satzrand stünde: Fischsuppe mag der Eine und (Ø) hasst der Andere. Eine Interpretin kann Der Eine und der Andere hier als Subjekte und die Nullstelle entsprechend als imaginäres Objekt interpretieren. Dagegen wirkt Der Eine mag Fischsuppe und der Andere hasst (Ø). unvollständig. Im zweiten Konjunkt fehlt ein Ausdruck für die Fischsuppe. Was hier also im Standarddeutschen nur unter spezifischen Bedingungen möglich ist, die positionell charakterisiert werden müssen, ist in den älteren Sprach(stuf)en nicht eigenstrukturell geregelt. In den bisher betrachteten Fällen konnte eine Interpretin eine Nullstelle entweder imaginär mit der syntaktischen Funktion ihres Partnerausdrucks oder, wo das durch die Eigenstruktur ausgeschlossen war, mit der imaginären Subjektfunktion füllen. Diese Strategie wird ihr bei dem folgenden Beispiel womöglich Probleme bereiten. (16) Do reck een vun sin Frünn’n Da streckte INDEF.3SG.M.NOM/ GEN/ DAT/ AKK von seinen Freunden de Hand ut un trocksin DEF Hand.3SG.F.NOM/ GEN/ DAT/ AKK aus und zog sein Swert rut. Schwert.3SG.NOM/ GEN/ DAT/ AKK heraus ‚Da streckte einer von seinen Freunden die Hand aus und zog sein Schwert.‘ (Niederdeutsch; Dat Nie Testament; Matthäus 26, 51; Jessen [[1933] 2006]) Das Problem besteht für die Interpretin darin, dass bereits im ersten Teilsatz - Do reck een … de Hand ut - die Kasus- und Kongruenzformen nicht zuverlässig instruieren. Es ist aufgrund der sprachlichen Eigenstruktur nicht klar, ob een … oder de Hand das Subjekt ist. Im zweiten Teilsatz - un trock sin Swert - ist sin Swert ebenfalls morphologisch mehrdeutig. Für mich besteht das Problem darin, dass ich beurteilen muss, ob die Entscheidung der Interpretin, wie sie im ersten Teilsatz die syntaktischen Funktionen identifiziert, Einfluss darauf hat, wie sie sie im zweiten identifizieren kann. Wenn wir annehmen, een … sei das Subjekt und der Partnerausdruck der Nullstelle, kann oder muss dann die Nullstelle auch als imaginäres Subjekt identifiziert werden? Oder kann die Nullstelle auch als imaginäres Objekt identifiziert werden: ‚Da streckte einer die Hand aus 87 Das kann durchaus auch an der Übersetzungstreue der Übersetzer liegen. Es illustriert aber dennoch eine allgemeine Beobachtung. 18429_Kasper_SL5.indd 81 18429_Kasper_SL5.indd 81 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 82 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur und (ihn) zog sein Schwert‘? Im Neuhochdeutschen, in dem Einer nicht offen für beide syntaktische Funktionen ist, erscheint die Objektlesart für die Nullstelle unmöglich. Sie erschiene auch dann noch unmöglich, wenn es Einen hieße und dieser Ausdruck das Objekt wäre. Wenn es überhaupt gehen soll, so scheint es, wäre eine Mindestanforderung, dass der Partnerausdruck der Nullstelle morphologisch mehrdeutig zwischen Subjekt- und Objektkasus ist. Es gibt historische Belege, in denen Schreiber den Interpretinnen einen solchen Wechsel der syntaktischen Funktion tatsächlich abfordern. (17) [ … ] it rotat [ … ] endi regintheoƀos farstelad 3SG.N.NOM/ AKK läuft an und Diebe stehlen ‚(…) es rostet (…) und Diebe (es) stehlen.‘ (Altsächsisch; Heliand, V. 1644-1645; 9. Jhdt.; zit. in Behaghel [1928a: 520]) It ‚es‘ muss hier als Subjekt des ersten Teilsatzes und als imaginäres Objekt des zweiten Teilsatzes identifiziert werden. Die Bedingung dafür scheint zu sein, dass die Form it morphologisch mehrdeutig und damit offen für eine Subjekt- und eine Objektauffassung ist. Sollen wir daraus schließen, dass die sprachliche Eigenstruktur in den deutschen und englischen Sprach(stuf)en unter diesen Bedingungen nicht regelt, was als Subjekt oder Objekt zu identifizieren ist, und dass die entsprechenden Äußerungen syntaktisch mehrdeutig sind? Meines Erachtens spricht der verschiedenartige Umgang der Sprach(stuf)en mit imaginären Nullobjekten dagegen, hier alle Sprach(stuf)en gleich zu behandeln. Die Möglichkeit imaginärer Nullobjekte ist aber neben der relativ freien Reihenfolge zwischen Subjekten und Objekten (und Verben) eine Voraussetzung dafür, dass auch Äußerungen wie die in (17) möglich sind. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Interpretinnen in der neuhochdeutschen Standardsprache und den modernen Dialekten die Nullstelle in (16) als imaginäres Subjekt interpretieren müssen, und zwar unabhängig davon, wie sie die syntaktischen Funktionen im ersten Konjunkt identifizieren. Um die Nullstelle als imaginäres Objekt identifizieren zu können, steht der Partnerausdruck een … , der ebenfalls Objekt sein muss, nicht weit genug am linken Satzrand. Hieße es Een … (OBJ) reck de Hand (S) und trock sin Swert (S), wäre es ihnen vielleicht möglich. Anders in den älteren Sprach(stuf)en. Dort könnte eine Nullstelle wie in der Äußerung in (16) wahrscheinlicher als imaginäres Objekt fungieren, wieder unabhängig davon, wie die syntaktischen Funktionen im morphologisch mehrdeutigen ersten Konjunkt identifiziert werden. 88 Nun ist entscheidbar, wie ich im Rahmen der Deutungsarbeit an den neutestamentlichen Texten mit diesen beweglichen Grenzen der Eigenstruktur umgehen werde. Die Vorstellungsinhalte, die für die Interpretation von Pronomen gesucht werden müssen, sind nur bezüglich der textlichen Domäne eigenstrukturell geregelt, in der die Interpretinnen sie suchen können. Innerhalb dieser Domänen ist nicht mehr hinreichend eigenstrukturell geregelt, welchen Vorstellungsinhalt sie heranziehen müssen, um zu der richtigen Interpretation zu gelangen. Wenn die pronomenhaltigen (Teil-)Sätze morphologisch oder syntaktisch eindeutig sind, spielt der 88 Vgl. Wülfing (1894: 342) fürs Altenglische (am Beispiel Alfreds des Großen), Mitchell (1985, I: Kapitel III E, III G und V) ebenfalls fürs Altenglische, Mustanoja (1960: 144-145) fürs Mittelenglische, Paul (2007: 470) zum Mittelhochdeutschen, Ebert et al. (1993: 431-432) zum Frühneuhochdeutschen. 18429_Kasper_SL5.indd 82 18429_Kasper_SL5.indd 82 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 83 konkrete herangeholte Vorstellunginhalt ohnehin keine Rolle für die Identifikation der syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen. Bei den Nullstellen in koordinierten Äußerungen gehe ich davon aus, dass die Interpretation der Nullstelle als imaginäres Subjekt des Teilsatzes in allen Sprach(stuf)en verpflichtend ist, wenn in diesem Teilsatz ein Subjekt nicht bereits ausgedrückt ist, aber vom Verb eines erfordert wird und kein anderes Satzglied als Subjekt in Frage kommt. Diese Bedingungen sind in den Beispielen (10) - im Teilsatz mit gebletsode - und in (11), (12), (14) und (15) erfüllt. Ebenfalls für alle Sprach(stuf)en gilt, dass die Nullstelle als imaginäres Objekt interpretiert werden muss, wenn eines erfordert wird und wenn bereits ein Subjekt vorhanden ist, wie in den Beispielen in (13) und (17), wo ȝe beziehungsweise regintheoƀos schon die Subjekte sein müssen. In den jüngeren Sprach(stuf)en kann eine Nullstelle in einem koordinierten Teilsatz aber nur dann als imaginäres Objekt interpretiert werden, wenn sein ausgedrücktes Pendant im anderen Konjunkt hervorgehoben am linken Satzrand steht oder wenn das Subjekt auch fehlt. Die Konjunkte müssen also hinsichtlich der relativen Positionen der Elemente und hinsichtlich der Kasus und der syntaktischen Funktionen parallel strukturiert sein. Damit können Äußerungen, die wie (16) organisiert sind, nur in älteren Sprach(stuf)en mit einem imaginären Nullobjekt interpretiert werden! 89 Die Bedingungen, unter denen ein Objekt unausgedrückt bleiben kann, können für die älteren Sprach(stuf)en also nicht ausschließlich mittels eigenstruktureller Kategorien formuliert werden. Zudem fehlt ihnen die eigenstrukturelle Regelung, dass die Konjunkte positionell und morphologisch parallel strukturiert sein müssen. Das bedeutet nun aber, dass im Grunde die morphologische und syntaktische Organisation des Partnerteilsatzes gar keine Rolle mehr dafür spielt, mit welchen imaginären eigenstrukturellen Spezifikationen die Nullstelle besetzt wird. Der Partnerteilsatz kann morphologisch oder syntaktisch ausgeprägt sein, wie er will; wenn der Teilsatz mit der Nullstelle morphologisch mehrdeutig ist, genügt das, damit die Objektlesart für die Nullstelle nicht mehr auszuschließen ist. Das folgende Beispiel illustriert dies. (18) tho giengun sine iungiron / / [ … ] / / Inti Da geh.3PL.PRÄT seine Jünger.3PL.M.NOM/ AKK und garauuitun ostrun. / / herricht.3PL.PRÄT Ostern.3SG.F.GEN/ DAT/ AKK/ 3SG.PL.NOM/ AKK ‚Da gingen seine Jünger (…) und (sie) richteten das Ostermahl her.‘ ‚Da gingen seine Jünger (…) und das Ostermahl richtete (sie) her.‘ Lat. & abierunt discipuli eius / / [ … ] / / & parauerunt pascha. (Althochdeutsch; Tatian, 272, 25-27; 9. Jhdt.; Ed. Masser [1994]) 90 89 Zu dem gesamten Problemkomplex vgl. allgemein Huang (1984, 1995), Kehler (1996), Cole (2009, 2010), Sigurđsson (2011), zum Althochdeutschen vgl. Held (1903), Eggenberger (1961), Hinterhölzl, Petrova & Solf (2005), zum Mittelhochdeutschen Paul (2007), zum Frühneuhochdeutschen Ebert et al. (1993: 345-346, 431-432), speziell zu Luther Wunderlich (1887) und Franke (1922), zum Altenglischen Wülfing (1894: 342), Pogatscher (1901) und Mitchell (1985), zum Mittelenglischen Ohlander (1981), zum Englischen sprachstufenübergreifend vgl. Ohlander (1943-1944), Visser (1963), Allen (1995), zum Deutschen allgemein vgl. Behaghel (1928a), Hennig (2011, 2013, darin inbesondere der Artikel von Kindt), Volodina & Weiß (2016), zu experimentellen Erhebungen zum modernen Deutschen vgl. Bonitz (2013), Trutkowksi (2016) und Hartmann, Kornietzko & Salzmann (2016), zum modernen Deutschen vgl. Reich (2009), für Vergleiche der relvanten Faktoren vgl. beispielsweise zum Brasilianischen Portugiesisch Rodrigues (2002) und zum Isländischen Rögnvaldsson (1990). 90 Ed. Sievers: 157, 5. 18429_Kasper_SL5.indd 83 18429_Kasper_SL5.indd 83 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 84 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Das erste Konjunkt ist morphologisch und syntaktisch eindeutig, das zweite ist morphologisch mehrdeutig. Allein der letztere Befund reicht dafür aus, dass eine Interpretin die Nullstelle - inti Ø garauuitun ostrun - als Subjekt oder Objekt interpretieren kann. Das wiederum bedeutet nun aber auch, dass es nicht einmal eine Rolle spielt, ob der (Teil-) Satz mit Nullstelle ein koordinierter ist. Die Konsequenz ist: Immer, wenn eine Äußerung in einer älteren Sprachstufe morphologisch mehrdeutig ist und eine Nullstelle erschlossen werden muss, spricht nichts Eigenstrukturelles gegen eine imaginäre Objektlesart der Nullstelle. Das Subjekt kann insbesondere im Althochdeutschen unausgedrückt bleiben. 91 (19) thanan tho santa Darauf schütt.3SG.PRÄT uuazzar in labal / / [ … ] Wasser.3SG.NOM/ AKK/ 3PL.NOM/ AKK in Becken.3SG.AKK ‚Darauf schüttete (er) Wasser in ein Becken (…)‘ ‚Darauf schüttete (ihn) Wasser in ein Becken (…)‘ Lat. deinde mittit aquam in peluem / / [ … ] (Althochdeutsch; Tatian, 269, 27; 9. Jhdt.; Ed. Masser [1994]) 92 2.3.3 Der Einfluss der Schrift auf die sprachliche Eigenstruktur Ich gehe also von einer beweglichen Grenze der sprachlichen Eigenstruktur aus. Sie ist beweglich im Sinne historischer Umstrukturierungen, wir können auch sagen Durchstrukturierungen, innerhalb einer Sprache. Die Interpretation bestimmter Phänomene ist in den modernen Sprach(stuf)en des Deutschen und Englischen in höherem Maße durch die sprachliche Eigenstruktur geregelt als in den älteren Sprachstufen. Dazu gehört manches im sprachlichen Umgang mit Pronomen und Nullstellen, mit denen, wie wir gesehen haben, Kohärenz hergestellt wird, die aber als Satzglieder auch syntaktische Funktionen einnehmen und semantische Rollen tragen können. Im Rahmen der Durchstrukturierungen wurden diese Phänomene zunehmend von der sprachlichen Eigenstruktur erfasst. Welche Bezüge eine Interpretin zwischen welchen Elementen vornahm, war in der Folge nicht mehr bloß davon abhängig, was für sie jeweils nahelag, am leichtesten erschließbar war oder ihrer pertinenzgesteuerten Interpretation entsprach. Die Phänomene wurden zunehmend syntaktifiziert und integriert. 93 Damit ist Folgendes gemeint: Ich habe oben auf die Überstrukturiertheit sprachlicher Konventionen hingewiesen und argumentiert, dass ein Merkmal der sprachlichen Eigenstruktur kaum unabhängig von anderen Elementen der sprachlichen Eigenstruktur charakterisiert werden kann. Im Zuge der Syntaktifizierung und Integration sprachlicher Phänomene wird das Netz zwischen den Elementen der sprachlichen Eigenstruktur noch engmaschiger. Die 91 Vgl. Held (1903), Behaghel (1928a), Eggenberger (1961), Hinterhölzl, Petrova & Solf (2005), Axel (2009). Ähnliches wird vielfach auch für das Altenglische angenommen. Vgl. Pogatscher (1901), Hulk & van Kemenade (1995), van Gelderen (2000), Walkden (2013). 92 Ed. Sievers: 155, 2. 93 Zu den Parametern der Syntaktifizierung und Integration in Abgrenzung zum Gegenbegriff der Aggregation oder Fragmentierung, vgl. Chafe (1982), Koch & Oesterreicher (1985), Raible (1992), Ágel (2003, 2007, 2015). 18429_Kasper_SL5.indd 84 18429_Kasper_SL5.indd 84 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 85 sprachlichen Einheiten, unter denen eine Interpretin für Pronomen und Nullstellen nach Partnerausdrücken suchen konnte, und die Möglichkeiten, sie in einer bestimmten Funktion, zum Beispiel Subjekt oder Objekt, zu interpretieren, wurden jetzt in die positionalen und kombinatorischen Regelungen eingebunden. Das steckt hinter der Syntaktifizierung. Mit ihr geht die zunehmende Kompaktheit von sprachlichen Konstruktionen einher, also die Vernetztheit zwischen Wortteilen in Wörtern, Wörtern in Wortgruppen, Wortgruppen in Sätzen und zwischen Sätzen in Texten. Einzelne Äußerungen oder Sätze bilden so gleichsam Netze, in die kleinere Netze eingewoben sind und die mit größeren Netzen verwoben sind. Das ist mit Integration gemeint. Das Schema in Abbildung 6 vermittelt einen Eindruck von dieser Vernetztheit. Die Fäden des Netzes bilden gleichsam einen Kokon um die linear gedachte Struktur der Äußerung beziehungsweise des Textes herum. Syntaktifizierung und Integration hängen zumindest in den Sprachen, die uns interessieren, mit der jahrhundertelangen Herausbildung einer Schrift- und Lesekultur zusammen. 94 Die schriftlose, gesprochene Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist eine dialogische, in der die Dinge in Rede und Gegenrede durchgesprochen werden. Die Einigung darüber, was womit in welcher Beziehung steht und welche praktische Relevanz das hat, kann so in Wechselrede ausgehandelt und in ihrem Verlauf konkretisiert werden. Dabei stehen unzählige Hinweisreize bereit, die in der schriftlichen Kommunikation von Angesicht zu Papier und von Papier zu Angesicht fehlen. Dazu zählen Prosodie, Mimik, Blickrichtung, Gestik und Körperausrichtung unter den Beteiligten, aber auch alle Aspekte einer gemeinsamen Situation, die im gemeinsamen Wissensvorrat der Beteiligten verfügbar sind. Was im sprachlichen Ausdruck uneindeutig ist, kann so anhand von Hinweisen aus der Mit- und Umwelt vereindeutigt werden. Und wo dies schiefgeht und wahrnehmbare Konsequenzen zeitigt, erlaubt die Unmittelbarkeit des Kontakts die sofortige Behebung des Problems. Das dialogische face-to-face - Sprechen ist auf das Zurückgreifen auf außersprachliche Hinweise hin, oder besser gesagt, an der Verfügbarkeit dieser Hinweise entlang entwickelt. Die Beteiligten sind für ihren Interpretationserfolg nicht auf einen dicken Kokon vielschichtiger, engmaschiger Vernetzungen angewiesen, die sich um die Anordnung von Zeichen auf Pergament oder Papier herumwickeln. Das Netz, das sie zur Verfügung haben, ist viel weniger zwischen den Elementen der Äußerung oder des Textes geknüpft, wie es bei der geschriebenen Kommunikation zwangsläufig der Fall ist, als zwischen den Äußerungselementen, den Gegenständen der gemeinsamen Situation und den Beteiligten der Kommunikation. Deshalb kann man eine neuhochdeutsche Bibel auch vom Tisch nehmen, wegtragen und woanders ebenfalls verstehen. Nimmt man zwei Vogelsberger Bauern bei der Arbeit auf und hört sich die Aufnahme am eigenen Küchentisch an, wird schwer nachvollziehbar sein, was in den Äußerungen womit in welcher Beziehung stehend vorgestellt werden soll; nicht, weil man die Wörter nicht kennte, sondern weil beim Weggehen die Fäden in die außersprachliche Situation gerissen sind. Wenn wir nun an monologische, geschriebene Texte wie die Bibel denken, ist es klar, dass Interpretinnen keine Verständnishilfen aus der Situation erwarten dürfen. Sie können auch nicht an den Urheber der Äußerungen zurückfragen, wie etwas gemeint ist. (Sie könnten sich an Dritte wenden, die die Auslegung sakraler Texte professionell betreiben.) Bei ihrer Interpretation sind sie allein auf das angewiesen, was das Medium und das darin Symbolisierte 94 Vgl. Erfurt (1996), Ágel (2000: 1854-1855). 18429_Kasper_SL5.indd 85 18429_Kasper_SL5.indd 85 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 86 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur ihnen bereitstellen. Das erzeugt einen bestimmten funktionalen Druck auf monologische, geschriebene Sprache. Das Ausgedrückte muss ohne Fäden in die situative Mit- und Umwelt der Interpretin so deutbar sein, dass die richtigen Vorstellungen konstruiert und Handlungen vorgenommen werden können, und zwar nach Möglichkeit bei jedem erneuten Lesen auch und unabhängig davon, wer das Geschriebene interpretiert. 95 Als geschriebensprachliche, eigenstrukturelle Konventionen entwickeln sich dann solche, die diese funktionalen Erfordernisse erfüllen können und deren Charakteristik ich als Syntaktifizierung und Integration angegeben habe. Am vorläufigen Ende stehen situationsentbundene Sprachgebilde - anstatt situationsgebundener Sprechhandlungen - die ohne die Stütze der Mit- und Umwelt erfolgreich zu Interpretationen instruieren. Das konventionalisierte Know-how , das auf der Seite eines Schreibers dazugehört, wird von Ong so charakterisiert: To make yourself clear without gesture, without facial expression, without intonation, without a real hearer, you have to foresee circumspectly all possible meanings a statement may have for any possible reader in any possible situation, and you have to make your language work so as to come clear all by itself, with no existential context. 96 Auf den ersten Blick klingt das nicht sonderlich herausfordernd. Immer wenn wir etwas für jemand anderes schreiben, glauben wir, und sogar meistens zu Recht, diesem Anspruch zu genügen. Bei dieser Beurteilung vergessen wir aber, dass wir uns dabei wie selbstverständlich und ohne es zu merken des schon konventionalisierten Know-hows bedienen, das unzählige Generationen vor uns erst akkumulieren mussten. Die historische Herausbildung dieses Know-hows innerhalb einer sprachlichen Verkehrsgemeinschaft musste sich genauso langwierig vollziehen wie die Herausbildung gesprochensprachlicher Konventionen, und das heißt durch Generationen übergreifende Zyklen aus Variation - vielfältiges Ausprobieren -, Selektion - Weiterverwendung des Erfolgreichen - und Reproduktion - Weitergabe beziehungsweise Übernahme des Bewährten - zwischen Menschen innerhalb von Gruppen und zwischen Gruppen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir kein explizites, analytisches Wissen darüber besitzen, welchen sprachlichen Regelungen wir nachkommen, während wir sprechen. Wir sprechen einfach. Ebenso wenig können wir explizieren, wie wir unsere Gestik, Mimik und Intonation dabei nutzen sowie Faktoren der Situation in unser Sprechen und Interpretieren einbeziehen. Auch das tun wir einfach. Wir können also nicht davon ausgehen, dass die Sprachproduzenten mit einer historisch neuen Konstellation - Verfügbarkeit des Mediums Schrift und gleichzeitige Unverfügbarkeit der Mit- und Umwelt beim Schreiben und Interpretieren - sich auch schon darüber bewusst waren, dass das Schreiben neue Anforderungen an Schreiber, Geschriebenes und Interpretin stellt. Noch weniger dürfen wir davon ausgehen, dass sie schon über das Know-how verfügten, wie die Leistungen kompensiert werden konnten, die die Mit- und Umwelt beim dialogischen Sprechen bisher übernommen hatten. Die frühen Schreiber und Interpretinnen mussten also wahrscheinlich zunächst einmal oft genug daran scheitern, geschriebene Sprache verständlich zu gestalten beziehungsweise gesprochene Sprache erfolgreich zu interpretieren, weil die Schreiber so schrieben, wie sie 95 Das „muss“ natürlich nur insofern so sein, als der Produzent grundsätzlich kooperativ eingestellt ist und sich an die Konversationsmaximen hält. 96 Ong ([1982] 2002: 101-102). 18429_Kasper_SL5.indd 86 18429_Kasper_SL5.indd 86 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 87 ansonsten sprachen. An diesem Scheitern mussten sie dann lernen, dass für die geschriebene Kommunikation eine andere Konzeption von Sprache erforderlich war. 97 Erst wenn Sprachnutzerinnen schreiben und sich dadurch Sprache vor Augen führen, werden sie darauf aufmerksam, dass ihre Hervorbringungen aus unterscheidbaren, voneinander abgesetzten Einheiten wie Buchstaben, Wörtern und (Teil-)Sätzen bestehen. Das schärft aber ein Differenzbewusstsein: ein Bewusstsein, dass eine Einheit im Geäußerten an dieser Stelle einen Unterschied macht, und dass diese Einheit an dieser Stelle nur eine Möglichkeit unter anderen ist. 98 (Dazu zählt auch die Möglichkeit, nichts zu äußern und damit etwas mitzumeinen.) Das geschriebene Wort verschwindet mit seiner Entäußerung nicht sofort wieder im Nichts. Das führt dazu, dass die erste, automatische oder routinisierte Interpretation einer Äußerung nicht auch schon die endgültige Interpretation sein muss, wie dies beim gesprochenen Wort der Fall ist, das uns unter interpretativen Zeitdruck setzt. Die Möglichkeit, Äußerungen erneut zu inspizieren, macht den Schreiber und die Interpretin auf alternative Deutungen aufmerksam und verweist auf Alternativen der sprachlichen Gestaltung. Daran muss der Schreiber lernen, dass es maßgeblich in seiner Verantwortung liegt, nicht missverstanden zu werden, denn er hat - anders als beim Sprechen von Angesicht zu Angesicht - auf absehbare Zeit nur einen Verbalisierungsversuch. Das Papier wird ihn nicht auf Missverständliches aufmerksam machen, denn es ist bekanntermaßen geduldig. Dennoch objektiviert Schrift durch ihre Sichtbarkeit und Konstanz Sprache und lässt den Schreiber eine reflexive Distanz zu ihr gewinnen, lässt ihn auf Dauer sprachlich umsichtiger werden und ein analytischeres Denken entwickeln. Das hat vermutlich einerseits zu dem Bewusstsein geführt, dass man in der Rolle des Schreibers expliziter sein muss als in der Rolle der Sprecherin. Um den Interpretationserfolg sicherzustellen, hat dies historisch aber noch nicht ausgereicht. Das Explizierte musste nämlich nicht nur explizit sein, sondern auch korrekt auf die anderen Äußerungsbestandteile beziehbar sein oder, umgekehrt ausgedrückt, es mussten naheliegende, aber nicht intendierte Interpretationen bei den Leserinnen ausgeschlossen werden. Beim Übergang vom erfolgreichen dialogischen Sprechen zum erfolgreichen monologischen Schreiben haben wir daher damit zu rechnen, dass die Schriftkundigen umsichtiger wurden und dass die sprachliche Eigenstruktur einen Zuwachs an Regelungen - gleichbedeutend mit einer Einbuße an Gestaltungsfreiheit - erfuhr, um erfolgreich zum Vorstellen und Handeln instruieren zu können. Die Einbindung ehemals freier handhabbarer Phänomene in die geschriebensprachliche Eigenstruktur konnte die Wahrscheinlichkeit der Fehlinterpretation von Geschriebenem verringern. Dafür musste sich aber zuerst ein Zustand entwickeln, in dem eine kritische Masse an Sprachbenutzerinnen diese Eigenstrukturen in Form von wechselseitigen Sprachhandlungserwartungen hervorbringen und verinnerlichen konnte. Ich gehe davon aus, dass ein solcher Zustand für das Standardenglische in England und das Standarddeutsche im deutschsprachigen Raum gegeben ist. In den entsprechenden Sprachgemeinschaften stellen der Schrift- und die Leseunkundige seit spätestens 1900 die Ausnah- 97 Vgl. Erfurt (1996). 98 Zur Umstrukturierung der Kognition durch Literalisierung vgl. Goody (1977), Ong ([1982] 2002), Köller (1988: 154-172), Scheerer (1993). Für eine Stimme, die den Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, den die letztgenannten Autoren aufmachen, für überschätzt hält, vgl. Finnegan (1988). Zu den Kritikern gehört auch der Herausgeber der altenglischen Gospels; vgl. Liuzza (2012). 18429_Kasper_SL5.indd 87 18429_Kasper_SL5.indd 87 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 88 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur men dar. 99 Die weitaus meisten Menschen lernen spätestens in der Schule eine normierte geschriebene Standardsprache und in diesem Zuge auch, sie so zu gebrauchen, dass sie ohne Kontextstützen verstehbar ist. Die kritische Masse für die Verinnerlichung geschriebensprachlicher Eigenstrukturen war ab diesem Zeitpunkt also gegeben. Unabhängig davon, ob diese geschriebene Standardsprache auch immer die Sprech- oder Schreibweise ist, die von ihren Benutzerinnen in allen möglichen Lebensbereichen und -situationen angestrebt wird, ist sie doch diejenige, an der kaum ein biographischer Weg vorbeiführt. Nimmt man dies mit der Tatsache zusammen, dass unsere Kognition durch die Schrift auch umgeprägt wird, kann es kaum verwundern, wenn die spezifischen eigensprachlichen Regelungen der Schriftsprache schließlich selbst auf die genuin gesprochenen dialektalen, regionalen und umgangssprachlichen Weisen des Sprechens zurückwirken - und das heißt, auf das Know-how der Sprechenden. „Once a society has become literate, it can never return to ‚authentic‘ orality. Instead orality will be created artificially with the means of literacy.“ 100 Es lassen sich mehrere Schübe ausmachen, die die Standardisierung des Englischen und Deutschen vorangetrieben haben. Einen Schub an Verbindlichkeit erhielten die Normen der geschriebenen Sprache durch die ersten weiter verbreiteten Grammatiken ab dem 17. Jahrhundert. 101 Im deutschsprachigen Raum avancierte das Deutsch von Luthers Bibelübersetzung von 1545 dabei vielfach zum Vorbild der Grammatiker. 102 Dasselbe lässt sich über die Übersetzung des Teams Wycliffe/ Purvey nicht sagen. Die englische Standardsprache ist zum größten Teil aus einem anderen Dialekt hervorgegangen. 103 Einen zusätzlichen Schub an Reichweite erfuhr die Entwicklung genuin schriftsprachlicher Konventionen insbesondere durch die Einführung der Schulpflicht (und ihre Durchsetzung) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 104 Und die Rückwirkung der schriftsprachlichen Eigenstrukturen auf die genuin mündlichen Sprechweisen - die den Weg zurück in die „authentische“ Mündlichkeit verstellte - sollte wiederum durch die Etablierung der überregionalen Massenmedien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Schub erhalten haben. 105 Unter unseren Bibelübertragungen betreffen diese Entwicklungen trivialerweise die standarddeutsche von 1984, aber potentiell auch die hochalemannische von 1997 und die nordniederdeutsche von 1933, jedoch nicht die historischen Sprachstufen des Deutschen und Englischen. Der Syntax Luthers wird „das Gepräge gesprochener Sprache“ bescheinigt. 106 Einen hohen Grad an Syntaktifizierung mit genuin schriftsprachlichen Eigenstrukturen können wir für einen neuhochdeutschen Text von 1984, wie ihn die Luther-Bibel darstellt, also 99 Zum Deutschen vgl. Knoop (1994), von Polenz (1999: 51-52), Maas (2003). Zum Englischen vgl. Stone (1969), Giere (1994). Zur Schweiz vgl. Messerli (2002). 100 Raible (1994: 14). 101 Vgl. Lowth (1762) fürs Englische und Schottelius (1663) fürs Deutsche, um nur die einflussreichsten zu nennen. 102 Vgl. Sonderegger (1998: 240-241). 103 Vgl. Fisher (1996). 104 Vgl. allgemein Mattheier (2000a) und Mattheier (2000b). Zum Schweizerdeutschen vgl. Lötscher (1983), zum Niederdeutschen Gabrielsson (1983). 105 Vgl. Koch & Oesterreicher (1985: 26). Nicht zufällig wird der rapide Wandel der historischen Ortsdialekte seit dem Aufkommen der Massenmedien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verzeichnet. Dabei werden als Maß aber überwiegend phonologische und morphologische Aspekte der Eigenstruktur herangezogen, weniger kombinatorische oder Reihenfolgeaspekte. Vgl. Lameli (2004), Schmidt & Herrgen (2011). 106 Erben (1954: 165). 18429_Kasper_SL5.indd 88 18429_Kasper_SL5.indd 88 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 89 sicherlich annehmen. Einen ebenso hohen Ausbaugrad an schriftsprachlicher Eigenstruktur dürfen wir für das moderne Hochalemannische und Nordniederdeutsche aber nicht ohne Weiteres annehmen. Dafür müssten wir argumentieren, dass die geschriebensprachlichen Eigenstrukturen des Standards tatsächlich auf die Dialekte zurückgewirkt haben oder dort unabhängig existieren. Der schweizerische hochalemannische Dialekt und der nordniederdeutsche Dialekt weisen jedoch jeweils ganz andere Gebrauchsbedingungen als die deutsche Standardsprache (und verschiedene im Vergleich zueinander) auf. 107 Sie wurden zwischen der Einführung der Schulpflicht und dem Zeitalter der sozialen Medien nämlich nur selten geschrieben. 108 Wenn sie doch einmal geschrieben wurden, wie im Falle unserer Bibelübertragungen, dann musste dies ohne Rückgriff auf eigene, kodifizierte Schreibkonventionen geschehen. Dennoch können wir nicht ausschließen, dass in diesen Bibelübertragungen die oben genannten Grenzphänomene von der geschriebensprachlichen Eigenstruktur des Standards gedeckt sind. Dafür muss eine Bedingung erfüllt sein: Die Kenntnis des geschriebenen Standards hat die Kompetenz der Dialektsprecherinnen für ihren gesprochenen Dialekt in Richtung dieser schriftsprachlichen Eigenstrukturen beeinflusst. Den syntaktifizierten Umgang mit Nullstellen und Pronomen hätten die Dialektnutzerinnen also aus der neuhochdeutschen Standardsprache übernommen. 109 Dies müsste also sowohl für unsere Übersetzer als auch 107 Vgl. Christen (1998), Christen et al. (2010), Werlen (2004), Sonderegger (2003), Haas (2006) zur Schweiz. Hier besteht eine Situation, in der das Schweizerdeutsche und das Standarddeutsche nebeneinander existieren, aber mit jeweils recht streng geschiedenen Gebrauchsdomänen. Vgl. dagegen Stellmacher (2000), Schröder (2004), Elmentaler (2008), Adler et al. (2016) zum Niederdeutschen. Zur Zeit, da Jessen die Bibel ins Niederdeutsche übersetzte, befand sich das Niederdeutsche im Vergleich zum Standarddeutschen bereits im Rückzug aus der zweisprachigen Situation (vgl. auch Gabrielsson 1983, Bellmann 1983, Möhn 1983b). Wo im Schweizerdeutschen die Domänen von Schweizerdeutsch und Standarddeutsch klar geschieden sind, wurde im niederdeutschen Raum insbesondere im 20. Jahrhundert das Standarddeutsche zunehmend in Domänen eingesetzt, in denen zuvor Niederdeutsch gesprochen wurde. Der augen- und ohrenfälligste Unterschied zwischen Schweizer- und Niederdeutsch besteht zwischen der Anzahl derer, die dialektale Kompetenz besitzen. Während in der deutschsprachigen Schweiz praktisch jedes Kind Schweizerdeutsch als erste Sprache erwirbt, ist das für das Niederdeutsche schon lange nicht mehr der Fall. Kinder erwerben hier eine standardnahe Sprechweise. Strukturell sind die niederdeutschen Dialekte durch eine Entwicklung hin zum Standarddeutschen gekennzeichnet, während die schweizerdeutschen Dialekte im Vergleich dazu hochgradig stabil sind. 108 Schweizerdeutsch wurde in der frühen Neuzeit durchaus verbreitet geschrieben (vgl. Lötscher 1983: 47-69) und auch in Norddeutschland hat es zu mittelniederdeutscher Zeit überregionale Schreibkonventionen gegeben (vgl. Foerste 1978: Sp. 1763-1167, Gabrielsson 1983, Sodmann 2000). Insofern kann es kaum überraschen, dass die überregionale, standardisierende Wirkung der Sprache der lutherischen Bibelübersetzung im Alemannischen vielfach nicht positiv beurteilt wurde, drängte sie doch die eigenen Schreibkonventionen ins gesellschaftliche Abseits. Auch die Zürcher Übersetzung der Bibel, sprachlich in vielen Aspekten schweizerdeutsch, wurde mit jeder Überarbeitung stärker durch Luthers Deutsch geprägt (vgl. Sonderegger 1998, passim). In den sozialen Medien wird Schweizerdeutsch heute auch wie selbstverständlich geschrieben. Ähnliches ist für das Niederdeutsche nicht festzustellen (vgl. Michelau 2017 für Schleswig-Holstein). Zum Verhältnis von Schriftsprache und Dialekt vgl. auch Behaghel (1928b: 182-220). 109 Bei Entlehnungen wird oftmals davon ausgegangen, dass gerade syntaktische Regelungen leichter von einer Sprache oder Varietät in eine andere übernommen werden können (vgl. früh Meillet 1921: 84). So konstatieren beispielsweise Elmentaler & Borchert (2012: 127-128) für das Niederdeutsche, dass „einige Merkmale, die in der Literatur als ‚kennzeichnend niederdeutsch‘ beschrieben werden, tatsächlich heute nicht mehr […] oder nur noch in Spuren […] belegt [sind].“ Was man stattdessen findet, ist eine Annäherung oder Angleichung eines ehemals genuin niederdeutschen Satzbaus an die hochsprachliche Regelung (vgl. Schönfeld 1974: 125-126, zit. in Elmentaler & Borchert 2012: 109). Ich möchte aber nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass nicht alle syntaktischen Merkmale gleich sind. Es scheint syntaktische Merk- 18429_Kasper_SL5.indd 89 18429_Kasper_SL5.indd 89 20.08.2020 10: 55: 12 20.08.2020 10: 55: 12 90 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur für ihre jeweiligen hochalemannischen und nordniederdeutschen Leserinnen gelten. Nicht ausreichen würde dagegen der Nachweis, dass zwar die Übersetzer im Zuge ihrer eigenen standardsprachlichen (und altsprachlichen) Bildung gezielt syntaktifizierten Gebrauch von ihren jeweiligen Dialekten gemacht haben, aber dasselbe nicht für ihre Leserinnen behauptet werden kann. Denn eine Konvention, die nur von der Hälfte der beteiligten Parteien befolgt wird, besitzt keine Geltung. Ob diese Bedingung erfüllt ist, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht entschieden werden und würde eine gesonderte Studie erfordern. 110 Ich muss mich daher für einen speziellen methodischen Umgang mit den genannten Grenzphänomenen in den modernen Dialekten entscheiden. Im vorherigen Abschnitt haben wir ihn bereits vorweggenommen: Wir gehen davon aus, dass der Grad an Syntaktifizierung in Bezug auf den Umgang mit Nullstellen derjenige des modernen Standarddeutschen ist! Für die älteren Sprachstufen des Deutschen und Englischen gehe ich davon aus, dass ihre Syntaktifizierung noch nicht so weit fortgeschritten war, weil sich für die geschriebene Sprache noch keine breitenwirksamen, überregionalen und rückwirkenden, dezidiert schriftsprachlichen Konventionen dafür entwickelt hatten, wie mit freier handhabbaren Phänomenen wie Pronomen und Nullstellen umzugehen wäre. Wenn es Regelungen gegeben hat, so waren sie auf den geringsten Teil der Sprachbenutzerinnen begrenzt. Wir haben es in diesen Sprachstufen eher mit Geschriebenem zu tun, das durch die Merkmale gesprochener Sprache gekennzeichnet ist, als mit Schriftlichkeit, die auch eine spezifische (monologische, distanzierte und so weiter) Konzeption von Sprache erfordert, wie es in den modernen geschriebenen Standardsprachen der Fall ist. 111 Das Ganze hat eine intellektuell herausfordernde Konsequenz: Ich werde nachher aus der morphologischen und syntaktischen Klassifikation der deutschen und englischen Bibelübertragungen ableiten, welche Äußerungen in ihnen morphologisch und syntaktisch mehrdeutig sind, um mich schließlich der Frage zuwenden zu können, wie Interpretinnen die mehrdeutigen Äußerungen verstehen können. Bei der Klassifikation von Einbeziehungsweise Mehrmale zu geben, die Teile eines überstrukturierten Ganzen sind und die nicht leicht in die überstrukturierte Eigenstruktur einer anderen Sprache einzufügen sind. Dazu gehören beispielsweise die Regelungen über die Positionierung des finiten Verbs in Sätzen oder die Abfolgeregelungen für Elemente in Satzgliedern. Andere syntaktische Merkmale können dagegen sehr leicht übernommen werden, wenn zwischen den überstrukturierten eigenstrukturellen Regelungen der Geber- und Nehmersprache bereits Ähnlichkeiten bestehen. Dazu gehören beispielsweise die tun -Periphrase, der Ersatz des Präteritums, die Spaltung von Präpositionaladverbien und die doppelte Negation. 110 Ich habe lediglich eine intuitionsbasierte Aussage zu den imaginären syntaktischen Funktionen in koordinierten Sätzen im Hochalemannischen gefunden. Danach verhält es sich dort tatsächlich so wie in der neuhochdeutschen Standardsprache: Der Teilsatz mit der Nullstelle muss streng parallel zum ersten Konjunkt gebaut sein und interpretiert werden. Objekte können nur fehlen, wenn sie im ersten Konjunkt besonders hervorgehoben am linken Satzrand stehen (vgl. Salzmann 2012) oder wenn das Subjekt auch fehlt. Bezüglich der anderen Frage zur beweglichen Grenze der Eigenstruktur - woher der Vorstellungsinhalt zu einer Nullstelle zu holen sei - bin ich lediglich in der berndeutschen Grammatik fündig geworden. Dieser ebenfalls hochalemannische Dialekt verhält sich genauso wie die älteren Sprachstufen des Deutschen, weist also Strukturen wie diejenigen in den Beispielen (11) und (12) auf (vgl. Hodler 1969: 329-334). In Hodlers monumentaler Grammatik fehlen aber jegliche Hinweise auf die Ersparung des Objekts unter den hier betrachteten Bedingungen. Zum Niederdeutschen ist diesbezüglich nichts zu finden. 111 Vgl. Masser (1997a), Ernst & Elspaß (2011), Sonderegger (2000) für das Althochdeutsche, Grosse (2000), Paul (2007, z. B. 363-364, 451) für das Mittelhochdeutsche, Ebert et al. (1993, z. B. 345-346, 431-432), Betten (2000) für das Frühneuhochdeutsche, Diller (1988) für das Altenglische am Beispiel des Beowulf. 18429_Kasper_SL5.indd 90 18429_Kasper_SL5.indd 90 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.3 Die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur: Mehrdeutigkeit 91 deutigkeit ist nach den obigen Ausführungen beispielsweise damit zu rechnen, dass eine neuhochdeutsche Äußerung syntaktisch eindeutig ist, während ihr althochdeutsches Pendant, das morphologisch gleich aussieht, syntaktisch mehrdeutig ist. Wiese die neuhochdeutsche Übertragung also beispielsweise das Pendant zu dem althochdeutschen Satz in (18) auf, also Da gingen seine Jünger und [ Ø ] bereiteten die Ostern (‚das Osterlamm‘), 112 müsste ich sagen, die Interpretation der Nullstelle als imaginäres Subjekt wäre im neuhochdeutschen Standard eigenstrukturell geregelt, während dies im Althochdeutschen nicht der Fall wäre. 2.3.4 Zu den morphologischen Eigenstrukturen in den Sprach(stuf)en Die ausgewählten morphologischen Paradigmen im Anhang dieser Arbeit vermitteln einen Eindruck davon, mit wie viel morphologischer Mehrdeutigkeit wir es in den englischen und deutschen Sprachstufen zu tun haben. Die Paradigmen annähernd aller Wortkategorien oder -klassen darzustellen, überlasse ich den einschlägigen Grammatiken. 113 Die Auswahl ist auf die Paradigmen derjenigen Wortklassen beschränkt, die mir die wichtigsten zu sein scheinen, also die, aus denen Äußerungen am ehesten zusammengesetzt sind. Sie sind auf der Basis der Texte erstellt, die ich untersuchen werde. Formen, die in diesen Texten nicht vorkommen, habe ich anhand der Grammatiken ergänzt beziehungsweise analogisch konstruiert. Gehen wir nun zu Illustrationszwecken davon aus, dass Äußerungen, die mehrdeutig zwischen Subjekt und Objekt sind, dadurch entstehen, dass die beiden fraglichen Satzglieder morphologisch mit dem finiten Verb kongruieren und beide sowohl den Nominativ als auch den erforderlichen Objektkasus repräsentieren können. Ich kann eine solche Äußerung aus dem Paradigmabaukasten konstruieren, zum Beispiel dem altenglischen Baukasten, auch wenn das Resultat etwas seltsam anmuten mag: þa cempan hæfdon dagas ‚Die Soldaten hatten (die) Tage‘. Um diese oder eine beliebige andere Äußerung zu konstruieren, muss ich mich natürlich der Formen in den Zellen bedienen und diese können morphologisch mehrdeutig oder eindeutig sein. Dann kann ich etwas vereinfachend prognostizieren, dass in denjenigen Sprach(stuf)en mehr morphologisch mehrdeutige Äußerungen erwartbar sind, in denen auch mehr morphologisch mehrdeutige Formen vorkommen. (Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die betreffenden Äußerungen auch syntaktisch mehrdeutig wären.) Wenn man die einzelnen Paradigmen in den einzelnen Sprach(stuf)en inspiziert, stellt man fest, dass die älteren Sprachstufen weniger morphologisch mehrdeutige Formen aufweisen als die jüngeren Sprachstufen derselben Sprache. Insgesamt sehen wir ziemlich viele schattierte Formen, selbst wenn wir von den möglichen Mehrdeutigkeiten zwischen Objekten absehen. Aber wir müssen dabei beachten, dass eine morphologisch mehrdeutige Äußerung auch nur dann resultiert, wenn tatsächlich alle Formen, mit denen die relevanten Satzglieder der Äußerung gebildet werden, morphologisch mehrdeutig sind. Wenn wir auch noch einen prognostischen Blick auf die Objektkasus in den einzelnen Sprach(stuf)en werfen, sehen wir, dass insbesondere das Mittelenglische und das Nordniederdeutsche in fast allen beziehungsweise allen Paradigmen ununterscheidbare Formen aufweisen. Wenn in diesen Sprach(stuf)en Äußerungen mit mehr als einem Objekt auftreten, dann 112 Der neuhochdeutsche Satz tritt tatsächlich in dieser Form nirgendwo auf. 113 Siehe dazu die verwendeten grammatischen und syntaktischen Darstellungen in Abschnitt 5.2. des Literaturverzeichnisses. 18429_Kasper_SL5.indd 91 18429_Kasper_SL5.indd 91 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 92 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur können wir also entweder mit Äußerungen rechnen, die hinsichtlich ihrer Objekte grammatisch mehrdeutig sind, oder damit, dass eines der Objekte als Präpositionalobjekt auftritt, oder damit, dass ihrer Reihenfolge instruktiver Wert zukommt. 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 2.4.1 Die Beziehung der eigenstrukturellen Hinweise zueinander Für unsere vorgestellten Interpretinnen sind auf der einen Seite die Kasus- und Kongruenzmorphologie und auf der anderen Seite die Positions- und Reihenfolgeregelungen die eigenstrukturellen Instruktionsmittel und damit die zentralen Mittel, um Subjekt und Objekt, Agens und Patiens identifizieren zu können. Ich möchte nun klären, wie wir das Verhältnis dieser Mittel zueinander präzisieren können. Es besteht nämlich das theoretischen Problem, dass wir die Leistung eines eigenstrukturellen Mittels in manchen Äußerungen einer Sprach(stuf)e finden und in anderen Äußerungen derselben Sprache nicht. Das sehen wir schon daran, dass in den meisten Sprach(stuf)en sowohl morphologisch eindeutige als auch morphologisch mehrdeutige Äußerungen vorkommen. Wenn wir unsere Paradigmabaukästen im Anhang betrachten, dann schwankt die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine morphologisch mehrdeutige Äußerung aus ihnen konstruieren, stark in Abhängigkeit davon, in welchen Paradigmen wir uns zum Zusammensetzen unserer Äußerungen bedienen. Dennoch möchte ich später Sprach(stuf)en in Bezug auf die Verstehbarkeit ihrer Äußerungen hin untersuchen und untereinander vergleichen, und nicht nur einzelne Äußerungen untereinander. Dafür muss ich aber etwas Allgemeines darüber sagen können, wie sich die eigenstrukturellen Mittel in einzelnen Sprach(stuf)en zueinander verhalten. Deshalb möchte ich zunächst einige Beobachtungen zum wechselseitigen Verhältnis der eigenstrukturellen Mittel referieren. Die allgemeine Beobachtung, dass morphologische Markierungen und Reihenfolgeregelungen in Einzeläußerungen und Sprach(stuf)en nicht zufällig ausgeprägt sind, ist schon sehr alt. In welchem konkreten Verhältnis diese Mittel zueinander stehen, wurde auch immer wieder und jeweils unter verschiedenen historischen, theoretischen und methodischen Vorzeichen diskutiert. Im Folgenden habe ich einige prominente Äußerungen und Positionen zusammengetragen. Sie werden mir dazu dienen, einige wichtige Differenzierungen vorzunehmen. 2.4.2 Synchronische und diachronische, globale und lokale, Offline- und Online-Betrachtungsweisen Das Verhältnis der eigenstrukturellen Mittel zueinander kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Die häufigste Perspektive auf die eigenstrukturellen Mittel der Morphologie und der Reihenfolge (Syntax) wird wahrscheinlich durch die folgende Beobachtung Keenans illustriert. Syntactic (and morphological) processes which have the same ‘function’ covary in their distribution across languages. […] By covary we mean that the more a language has one of the processes the less it need have the other. By ‘have the same function’ we mean something like ‘code the same semantic 18429_Kasper_SL5.indd 92 18429_Kasper_SL5.indd 92 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 93 or syntactic information’. […] The principle predicts then that the more we assign a language overt case marking the freer can be its basic word order and conversely. 114 Ich werde versuchen, einen systematischeren Überblick über diese Perspektiven zu schaffen, indem ich sie in drei Spannungsfeldern verorte. Die Aussagen können erstens synchronische oder diachronische sein. Dabei werden jeweils Aussagen über ein oder viele Sprachsysteme getroffen und nicht direkt über einzelne Äußerungen. Sie können sich so auf einen Sprachzustand oder Sprachenvergleich in einem Zeitschnitt oder - historisch - auf verschiedene Zeitschnitte der gleichen Sprache oder Sprachfamilie beziehen. Zweitens können sich die Aussagen auf ganze Sprach(stuf)en oder auf einzelne Äußerungen in ihnen beziehen, dann sind es sprachglobale beziehungsweise -lokale Aussagen. Und die Aussagen können drittens solche zur Offline- oder Online-Interpretation sein. Dann machen sie Aussagen zur Leistung der eigenstrukturellen Mittel aus der Perspektive der nicht prozessualen beziehungsweise aus der Perspektive der inkrementellen Interpretation. Keenan nimmt in diesem Spektrum offensichtlich die synchronische, globale Offline-Perspektive ein. Und er expliziert so etwas wie einen Konsens: Wenn die beiden Mittel Leistungen erbringen, erbringen sie die gleiche Leistung, so dass die (relative) Anwesenheit des einen Mittels in einer Sprache die (relative) Abwesenheit des anderen erlaubt, aber nicht erfordert. Diese synchronische, globale Offline-Perspektive nehmen auch Hawkins, Kiparsky, Siewierska und Dixon ein. It is plausible to argue that the case system of German is responsible for the greater clause-internal word order freedom of that language. Across languages the existence of rich surface case marking typically correlates with word order freedom of the kind we have seen in German. The reason most commonly advanced for this is that ‘fixed’ word order at the sentence level in a language like English encodes grammatical relations such as subject, direct object and indirect object, which are morphologically encoded in a case-marked language. And word order permutations are possible in a casemarked language since grammatical relations are recoverable morphologically. 115 There is an obvious inherent asymmetry between position and morphology in that the property of linearity guarantees the availability of position as a potential licenser (whether recessive or dominant), whereas case and agreement may simply be lacking in the morphology. A language may lose its inflections but it cannot ‘lose its word order’ in the same sense: it must go on putting one word after another, even when it does not grammatically exploit or constrain word order. A corollary is that position is always ready to pick up the licensing function when morphology ceases to be able to handle it. Therefore, since θ-role assignment to arguments must be licensed by case features, loss of inflections automatically brings about a shift to positional licensing, with all the consequences that this entails. 116 [N]either the presence of agreement nor of case marking is a sufficient condition for flexible order, nor does rigid order entail the absence of either form of morphological marking. There is nonetheless a relationship between the two phenomena, namely flexible order tends to be accompanied by the 114 Keenan (1978: 120-121). 115 Hawkins (1986: 40). 116 Kiparsky (1997: 487). 18429_Kasper_SL5.indd 93 18429_Kasper_SL5.indd 93 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 94 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur presence of overt agreement and/ or case marking and lack of agreement and/ or case marking tends to be accompanied by rigid or restricted order. […] [T]he relationship between word order flexibility and overt agreement marking, on the one hand, and lack of agreement marking and rigid and restricted order, on the other, is stronger than that between word order flexibility and case marking. 117 There are three basic ways of marking the function of a core argument. (i) Marking on an NP [b]y choice from a system of case affixes or clitics, or by an adposition […] which may be a separate word or a clitic […]. (ii) Marking by a bound pronominal [ … ]. If both A and O have the same number and belong to the same gender or noun class, then some other mechanism needs to be brought in to distinguish them. This may be achieved by constituent order. Or, in some languages, an ergative or accusative case is optional, being used just to supplement bound pronouns when ambiguity would otherwise result. (iii) Constituent order . 118 Wir können wohl sagen, dass sie Keenan beipflichten würden. Hawkins, Kiparsky und Dixon machen aber dahingehend stärkere Aussagen, dass sie eine Abhängigkeitsrichtung zwischen den eigenstrukturellen Mitteln annehmen. Am prägnantesten drückt dies Kiparsky aus: In einer Sprache können die Kasus- und Kongruenzmorphologie „fehlen“, aber eine relative Reihenfolge zwischen Äußerungselementen kann niemals fehlen. Falls Erstere „fehlen“, können die Reihenfolgeregelungen die Leistung übernehmen anzuzeigen, was Subjekt und Objekt, Agens und Patiens ist („grammatically exploit or constrain word order“). Falls die morphologischen Marker nicht „fehlen“, ist eine Reihenfolge folglich immer noch da, aber sie braucht interpretativ nicht für die Frage nach den syntaktischen Funktionen und den semantischen Rollen genutzt werden. Das ist der Grund, warum die Reihenfolge in Sprachen mit vorhandener Kasus- und Kongruenzmorphologie freier sein kann als in solchen Sprachen, in denen sie „fehlt“, denn in diesen instruieren verschiedene Reihenfolgen zu verschiedenen Identifikationen von syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen. Siewierska schränkt außerdem ein, dass das von Keenan beobachtete Verhältnis von Morphologie und Reihenfolge zumindest in den Sprachen Europas eine starke Tendenz darstellt, dass es aber nicht so ausgeprägt sein muss, wie Keenans Aussage es nahelegt. So gibt es auch die selteneren Fälle, dass die Reihenfolge relativ strikt ist und morphologische Unterscheidungen dennoch stark ausgeprägt sind, sowie Fälle, bei denen relativ schwach ausgeprägte morphologische Unterscheidungen mit einer relativ freien Reihenfolge einhergehen. Der Perspektivwechsel von der globalen synchronischen zur globalen diachronischen Betrachtungsweise liegt nun sehr nahe. Jede Sprach(stuf)e weist mehr oder weniger Kasus- und Kongruenzmorphologie und mehr oder weniger Reihenfolgeregelungen auf. Beide Aspekte der sprachlichen Eigenstruktur sind historisch veränderlich. Wenn sie die gleichen instruktiven Leistungen für die Interpretation erbringen - nämlich anzuzeigen, was womit in welcher Beziehung steht -, sind beim Wandel des einen Mittels in einer Sprache Auswirkungen auf den instruktiven Wert des anderen zu erwarten, insbesondere dann, wenn sich eine Situation einzustellen droht, in der weder das eine noch das andere Mittel anzeigt, was womit in welcher Beziehung steht. Bei dem Vergleich verschiedener Sprachstufen einer Sprache hat man 117 Siewierska (1998: 525-526). 118 Dixon (2010-2012, I: 125-126; Kursivierung im Original). 18429_Kasper_SL5.indd 94 18429_Kasper_SL5.indd 94 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 95 des Öfteren beobachtet, dass die Veränderungen der morphologischen Ausprägungen und der Reihenfolgeregelungen etwa zur gleichen Zeit stattfanden. Das deutete man so, dass die Veränderung des einen Mittels eine Veränderung des anderen Mittels nach sich ziehen musste, damit die Verstehbarkeit der Äußerungen gewährleistet blieb. It has long been observed that the shift from an inflectional to a mainly isolating morphological type which affected several Indo-European languages took place at the same time as extensive syntactic restructuring, reflected in restrictions on constituent order […] and in the widespread use of analytic constructions. The apparent simultaneity of these two phenomena accounts for the general agreement found in traditional literature on the existence of a functionalist relation between case morphology and syntactic structures […]. 119 Wenn dem so ist, stellt sich natürlich die Frage nach Ursache und Wirkung: Der Wandel welchen Mittels hat dazu geführt, dass der instruktive Wert des anderen sich ebenfalls gewandelt hat? Erfordert der Verlust morphologischer Unterscheidbarkeit die interpretative Nutzung der Reihenfolge der Äußerungselemente? Oder macht die vorgängige Nutzung der Reihenfolge für die Interpretation die morphologischen Unterscheidungen entbehrlich? Oder ist der Zusammenhang gar nicht so direkt, wie er scheint? Die Gelehrten mit der diachronen, globalen Offline-Brille sind sich bezüglich dieser Frage bis heute nicht einig geworden. Dies illustrieren die folgenden Positionen, die ich chronologisch wiedergebe. […] Ibn Khaldûn (1332-1406) observed that Arabic word order was substituted for lost case endings in order to distinguish ‘agent’ from ‘object’ (Owens 1988: 270). […] J. C. Scaliger (1540) […] believed that cases emerge because of ambiguity, to make clear the role of nouns in a sentence, since, he believed, nouns originally lacked inflection (Breva-Claramonte 1983: 62). Lamy (1675) observed that French fixed word order has the function of replacing lost inflectional endings (Scaglione 1981: 41). Herder (1772) also held the view that the adoption of fixed word order avoids structural ambiguity, ambiguity being related to the limitations of inflection. 120 This brings us to the second of the major drifts, the tendency to fixed position in the sentence, determined by the syntactic relation of the word. We need not got into the history of this all-important drift. It is enough to know that as the inflected forms of English became scantier, as the syntactic relations were more and more inadequately expressed by the forms of the words themselves, position in the sentence gradually took over functions originally foreign to it. 121 This, then, is the conclusion I arrive at, that as simplification of grammatical structure, abolition of case distinctions, and so forth, always go hand in hand with the development of a fixed word order, this cannot be accidental, but there must exist a relation of cause and effect between the two phenomena. Which, then, is the prius or cause? To my mind undoubtedly the fixed word order, so that the grammatical simplification is the posterius or effect. It is, however, by no means uncommon to find a half-latent conception in people’s minds that the flexional endings were first lost ‘by phonetic decay,’ or ‘through the blind operation of sound laws,’ and that then a fixed word order had to step in to make up for the loss of the previous forms of expression. But if this were true we should have to 119 Polo (2002: 124). 120 Harris & Campbell (1995: 24-25). 121 Sapir (1921: 177-178). 18429_Kasper_SL5.indd 95 18429_Kasper_SL5.indd 95 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 96 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur imagine an intervening period in which the mutual relations of words were indicated in neither way; a period, in fact, in which speech was unintelligible and consequently practically useless. The theory is therefore untenable. It follows that a fixed word order must have come in first. 122 La réduction progressive de la flexion a eu en germanique les mêmes effets que partout ailleurs. Elle a conduit à employer l’ordre des mots comme un mode d’expression grammaticale et à développer l’usage des mots accessoires. En germanique commun, où la flexion était encore riche et variée, l’ordre des mots était souple et n’avait pas de valeur grammaticale. Aucune fonction grammaticale n’était marquée par la place du mot. [Die fortschreitende Reduktion der Flexion hat im Germanischen dieselben Effekte gezeitigt wie auch überall sonst. Sie hat zur Verwendung der Wortreihenfolge als grammatisches Ausdrucksmittel und zur Entwicklung von Hilfswörtern geführt. Im Gemeingermanischen, in dem die Flexion noch reicher und vielseitiger war, war die Wortreihenfolge frei und hatte keinen grammatischen Wert.] 123 There is a long tradition of attributing the fixing of word order (and the increase in the use of prepositions) in English to loss of case-marking distinctions or syncretism which led to a (nearly) complete absence of case morphology […]. However, these traditional treatments do not offer explanations of the specific mechanisms involved. 124 The point that is important for our purpose is the question what consequences this morphological collapse [from the Old to the Middle English period - SK] had. After the collapse, it was no longer possible to identify the grammatical function of a noun by its case morphology. Therefore other ways had to be found to unambiguously express grammatical functions of nouns. In English two strategies came to be used, the replacement of case forms with prepositional phrases and the rigidification of word order. […] Whereas in earlier stages of English it was possible to perform operations that moved e.g. one of the objects or both over the subject [= scrambling - SK], this option ceased to be possible in Middle English. This is because in Old English movement chains could be reconstructed due to the presence of case marking at the noun phrases. After the loss of case endings, however, the only way to identify e.g. a noun phrase as direct object was by its position after the subject […]. [T]here are some problems with this scenario. The rigidification process seems to have set in already in the middle of the Old English period, when case morphology was still available. […] Also, the fact that it appeared with pronouns too, although they kept their case marking, suggests that the connection between rigidification and the loss of case marking is not as immediate as one might want to believe. […] [Can] the decline in topicalization […] be explained by the general tendency toward rigid word order[? ] […] [I]t is conceivable that the same argument that goes against scrambling could also apply to topicalization. […] An immediate objection to this explanation is the fact that topicalization is still grammatical today, whereas scrambling is not. […] We see that the explanation that topicalization went out of use because it interfered with the configurational marking of grammatical functions cannot be correct. 125 122 Jespersen (1922: 361). Auf dieser Linie lässt sich auch das konstruktionsgrammatische Szenario von Barđđal (2009) verorten. 123 Meillet (1922: 187; Deutsch von mir). 124 Allen (2006: 201). 125 Speyer (2010: 44-49). 18429_Kasper_SL5.indd 96 18429_Kasper_SL5.indd 96 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 97 Das Zitat Kiparskys weiter oben lässt sich ebenfalls als historische Stellungnahme interpretieren. Wir können hier zunächst diejenigen ausmachen, die annehmen (beziehungsweise referieren), die morphologischen Unterscheidungen gingen zuerst verloren, woraufhin die Reihenfolge interpretativ genutzt würde (Ibn Khaldûn, Lamy, Herder, Sapir, Meillet, Allen). Das entspricht wohl auch am ehesten der Common Sense -Annahme, wie auch Jespersen nicht ganz ohne Nebentöne feststellte. Daneben erkennen wir diejenigen, die den umgekehrten Weg annehmen (Scaliger, Jespersen) 126 und diejenigen, die skeptisch gegenüber einem direkten kausalen Zusammenhang zwischen beiden Mitteln sind (Allen, Speyer). Interessant in diesem Zusammenhang ist die Argumentation Jespersens, auf die ich noch mehrfach zurückkommen werde, wenn ich die Teilresultate der Studie diskutiere. Anders als die Meillet-Fraktion, die ihre Common Sense -Annahme anscheinend für evident oder nicht begründungsbedürftig hält, verteidigt Jespersen nämlich seine eigene Annahme gegen den Common Sense : Wenn dieser Recht hätte und die morphologischen Unterscheidungen zuerst reduziert würden und erst dann die Reihenfolge interpretativ genutzt würde, müsste man einen Sprachzustand als Zwischenstufe annehmen, in dem morphologische Unterscheidungen nicht mehr und die Reihenfolge noch nicht anzeigten, was womit in welcher Beziehung steht. Die Äußerungen einer solchen Sprach(stuf)e wären unverständlich und nutzlos. Während die bisher genannten Gelehrten eine globale Offline-Perspektive eingenommen haben und demnach die Leistung eines syntaktischen Mittels einer ganzen Sprach(stuf)e zugeschrieben haben, repräsentiert die folgende Aussage Martinets einen wichtigen Vorbehalt gegenüber dieser Perspektive. Ein Monem [= Lexem oder Morphem - SK], das seine Beziehungen zum Kontext nicht impliziert und sich nicht mit Monemen verbindet, durch die sie gekennzeichnet werden, muß durch seine Stellung angeben, in welchem Verhältnis es zu dem Rest der Äußerung steht: Paul wird in Peter schlägt Paul durch seine Stellung nach schlägt als Gegenstand der Mißhandlungen gekennzeichnet, in Paul schlägt Peter als ihr Urheber. 127 Hier wird eine synchronische, lokale Offline-Perspektive eingenommen. Was nämlich behauptet wird, ist, dass im Deutschen die Reihenfolge nur in denjenigen Äußerungen interpretativ genutzt wird, in denen die Kongruenz- und Kasusmorphologie nicht aussagekräftig ist. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Reihenfolge nur dann frei(er) ist, wenn die Morphologie aussagekräftig ist. Dieses Beziehungsgeflecht wäre auch eine potentielle Lösung für das Problem, das Jespersen aufwirft. Allerdings handelt es sich bei dem Martinet-Zitat höchstwahrscheinlich um einen Übersetzungsfehler aus dem französischen Original. Eigenstrukturelle Regularitäten, die sich am Französischen zeigen, sind im Zuge der Übersetzung zu eigenstrukturellen Regularitäten des Deutschen geworden. 128 Aber dieser Fehler illustriert 126 Eine moderne Exponentin dieser Position ist S. Fischer (2010), obwohl sie sich auf Meillet ([1912] 1921) als Vorläufer beruft. Meillet hat aber die Position, die Fischer (2010: 171) ihm zuschreibt, gar nicht explizit vertreten. 127 Martinet (1963: 99). 128 Im französischen (wenn auch umgearbeiteten) Original verwendet Martinet ([1960] 1980: 110-111) französischsprachige Beispiele: « Un monème qui n’implique pas ses rapports avec le contexte et qui ne s’adjoint pas de monèmes de rapport devra indiquer ses relations avec le reste de l’énoncé par la place qu’il y occupe; Paul sera marqué 18429_Kasper_SL5.indd 97 18429_Kasper_SL5.indd 97 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 98 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur eine echte theoretische Möglichkeit, die mindestens bedenkenswert ist. Anstatt sie für eine ganze Sprach(stuf)e zu beanspruchen, liefe die instruktive Leistung der Reihenfolge dann quer durch die Sprach(stuf)e, mit den morphologisch eindeutigen Äußerungen außerhalb und den morphologisch mehrdeutigen Äußerungen innerhalb ihres Leistungsbereichs. Das wäre gleichbedeutend mit einer Übertragung der synchronischen, globalen Perspektive von Keenan und Co. auf die lokale Ebene der Äußerungen innerhalb einer einzigen Sprach(stuf)e. Wenn wir diese Möglichkeit der Beziehung zwischen den beiden Mitteln in Betracht ziehen, wird aber die Redeweise davon, dass in einer „Sprach(stuf)e“ die Reihenfolge oder die Morphologie regelt, was womit in welcher Beziehung steht, unangemessen. Wir müssten ja für jede einzelne Äußerung in Rechnung stellen, ob sie morphologisch hinreichend aussagekräftig ist, um die Leistung der Reihenfolge bewerten zu können. Auf authentischeren Füßen steht die synchronische lokale Offline-Perspektive bei Mac- Whinney, Bates und Kliegl. In ihrem psycholinguistischen Sprachverstehensmodell „Competition Model“ führen sie wichtige psychologische Unterscheidungen ein, die für uns von Interesse sein müssen. Was ich als eigenstrukturelle Mittel oder Hinweise mit instruktivem Wert bezeichnet habe, sind bei ihnen zunächst einmal nur Hinweisreize ( cues ). Ob und inwiefern sie instruktiven Wert besitzen, hängt davon ab, ob diese Hinweisreize verfügbar ( applicable ) sind und ob sie zuverlässig ( reliable ) zu der richtigen Interpretation instruieren. Die beiden Faktoren sind prinzipiell unabhängig voneinander. So sind die Reihenfolgehinweise immer verfügbar - darauf hatte uns schon Kiparsky hingewiesen -, aber im Englischen sind sie nach MacWhinney und seinen Kollegen gleichzeitig auch hoch zuverlässig in Bezug auf die Frage, was womit in welcher Beziehung steht, während sie im Deutschen nach allem Anschein höchst unzuverlässig sind. Aus der Verfügbarkeit und der Zuverlässigkeit von Hinweisreizen ergibt sich deren allgemeine Leistungsfähigkeit ( cue validity ). Die Reihenfolgeregelungen im Englischen haben daher eine extrem hohe allgemeine Leistungsfähigkeit. Lediglich im Paradigma des Personalpronomens weist das Englische noch einige unterscheidbare Kasusformen auf. Die Verfügbarkeit von Kasus- und Kongruenzreizen ist daher eher gering, weil über die nominalen Paradigmen hinweg nur noch wenige Formen für viele funktionale Unterscheidungen bereitstehen. Sie sind aber sehr zuverlässig, wenn sie einmal verfügbar sind. Zusammengenommen führt das dazu, dass die allgemeine Leistungsfähigkeit von Kasus- und Kongruenzreizen im Englischen geringer als diejenige der Reihenfolge ist. Because of the consistency with which English maintains SVO ordering, English speakers have been able to tolerate a relatively degraded system of bound morphology. 129 Im Deutschen soll dies eher umgekehrt sein, mit extrem hoher cue validity bei der Morphologie und allem Anschein nach sehr niedriger bei der Reihenfolge. Nach ihrer allgemeinen Leistungsfähigkeit lassen sich dann alle Hinweisreize in einer Sprache relativ zueinander comme l’objet des sévices par sa position après bat dans Pierre bat Paul , comme l’auteur des sévices par sa position avant bat dans Paul bat Pierre . » Die Übersetzer haben das französische Sprachbeispiel einfach durch ein deutsches ersetzt. Im Französischen gilt aber der Umkehrschluss nicht, der fürs Deutsche gilt, weil die Reihenfolgebeschränkung unabhängig von den morphologischen Ausprägungen in einzelnen Äußerungen gilt. Im Deutschen gilt sie gerade nicht unabhängig von den morphologischen Ausprägungen. Gemäß dem Originaltext kann Martinet einfach als ein weiterer Exponent der globalen Perspektive Keenans und Co. angesehen werden. 129 MacWhinney, Bates & Kliegl (1984: 134). 18429_Kasper_SL5.indd 98 18429_Kasper_SL5.indd 98 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 99 gewichten ( cue strength ). Und erst hinsichtlich der Gewichtung der Hinweisreize in einer Sprache lassen sich dann die Sprach(stuf)en auch in aussagekräftiger Weise miteinander vergleichen. Dabei muss man aber auch immer im Hinterkopf haben, dass beim Vergleich zweier Sprache(stufe)n möglicherweise hinter gleichen relativen Gewichtungen von Hinweisreiztypen verschiedene absolute cue validities für diese Typen stehen. In den Worten der Autoren klingt das folgendermaßen: [C]ue strength […] holds that, in the set of many-to-many mappings, each link between a form and a function is given a weight or strength. No sharp line is drawn between probabilistic tendencies and determinate rules. Rules and mappings that have become fully determinate are simply understood as patterns whose strength begins to approach unity. As the strength of rules approaches unity, the likelihood that they will apply when their conditions are matched […] also approaches unity. 130 We argue that the weights of cues in a particular language are reflections of their relative ‘cue validity’ in that language. […] [W]e [characterize cue validity - SK] by distinguishing ‘cue applicability’ and ‘cue reliability.’ In comprehension, cues are high in applicability if they are ‘available’ when you need them and cues are high in reliability if they are never misleading or ambiguous. Cues that are high in both applicability and reliability are the most valid cues. Cues that are low in applicability and high in reliability are still fairly high in validity, although one cannot rely on them as much as on cues that are always there when you need them. Cues that are unreliable are the lowest in validity. However, in the absence of more valid cues, even unreliable cues will be attended to. […] [C]ue validity is the primary determinant of cue strength and, hence, certainty of choice in sentence interpretation. 131 Aus der Kombination von Hinweisverfügbarkeit und -zuverlässigkeit ergibt sich, dass die Leistungsfähigkeit eines Hinweisreizes im Competition Model eine Frage des Grades ist. Ein Reiz, der immer anwendbar und immer zuverlässig ist, gleicht einer eigenstrukturellen Konvention, die von einer Interpretin immer eingehalten werden muss und dann zu Gewissheit in der Interpretation führt. Die Wahrscheinlichkeit der korrekten Interpretation liegt dann bei 100 Prozent. Jede Abweichung nach unten in einer der Hinweiseigenschaften führt dazu, dass der Hinweisreiz insgesamt weniger leistungsfähig ( valid ) ist. Dann instruiert er aber nicht mehr zu einer Interpretation, deren sich die Interpretin gewiss sein kann, sondern nur noch zu einer solchen, die mehr oder weniger wahrscheinlich die richtige ist. Darin unterscheidet sich das Competition Model von den anderen Betrachtungsweisen, die hier von binären Oppositionen, also einer alles-oder-nichts-Leistung auszugehen scheinen. Was ich oben als Grenzphänomene diskutiert habe, die von Sprach(stuf)e zu Sprach(stuf)e mehr oder weniger in der Eigenstruktur enthalten sein können, ließe sich gut mit dem theoretischen Rüstwerkzeug des Competition Model erfassen. Die psychologische Betrachtungsweise erlaubt es darüber hinaus aber auch, Eigenschaften in das Set der Hinweisreize aufzunehmen, die gar nicht der sprachlichen Eigenstruktur zurechenbar sind. Theoretisch könnte man über die Anwendbarkeit und Zuverlässigkeit der Hinweisreize ‚staubige Sandalen tragend‘ oder ‚im Wendekreis der Schildkröte befindlich‘ deren Leistungsfähigkeit für die Interpretation errechnen. Für jedes Satzglied, das einen Gegenstand bezeichnet, der staubige Sandalen trägt oder sich im Wendekreis der Schildkröte befindet, könnte dann die Wahrscheinlichkeit errechnet werden, dass es als Subjekt oder Agens 130 MacWhinney, Bates & Kliegl (1984: 129). 131 MacWhinney, Bates & Kliegl (1984: 130). 18429_Kasper_SL5.indd 99 18429_Kasper_SL5.indd 99 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 100 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur interpretiert wird. Als eigenstrukturelle Hinweisreize haben MacWhinney, Bates und Kliegl zunächst die üblichen Verdächtigen der historisch-linguistischen Tradition auf ihre Leistungsfähigkeit geprüft. Die cue validity von Kasusmorphologie wurde vorausgesetzt. The present study places four major cue types into competition. These cues are (1) word order, (2) agreement marking, (3) stress, and (4) animacy. […] [G]erman marks the case of the noun on the preceding article. However, in pilot work we found that, in simple clauses, when Germans were provided with unambiguous case-marking cues, their responses were entirely determinate. 132 Ihre Hinweisliste enthält daneben aber noch einen Hinweisreiz, der dem der staubigen Sandalen nicht ganz unähnlich ist: Belebtheit ( animacy ). Ich werde darauf zurückkommen. Die letzte Betrachtungsweise ist die synchronische, lokale Online-Betrachtungsweise und sie bringt noch weitere Unterscheidungen mit. Sie stellt ein neurolinguistisches Sprachverstehensmodell dar. In der Behandlung sprachlicher Wahrnehmungsphänomene als Hinweisreize teilt diese Betrachtungsweise viele Annahmen mit dem Competition Model. Aber anders als das Competition Model dient das Modell nicht nur dazu festzustellen, aufgrund welcher Hinweisreize ein ganzer Satz dahingehend interpretiert wird, was womit in welcher Beziehung steht, sondern auch, aufgrund welcher Hinweisreize eine Interpretin schon während der Äußerung im automatischen oder Routinemodus vorhersagt, was womit in welcher Beziehung steht. Eine wichtige Frage ist dabei, in welcher Funktion oder Rolle die Elemente der Äußerung interpretiert werden, bevor das Verb - das ja viele Informationen über die ganze Eventualität enthält, wie wir gesehen haben - interpretiert wird. Die Hinweisreiztypen, die diesbezüglich aussagekräftig sein sollen, sind neben denen, die ich bereits erwähnt habe, noch weitere. Dasjenige, das hier die Interpretation vornimmt, wird metaphorisch als „syntax-semantics interface“ bezeichnet. Incremental argument interpretation (i.e. role identification and assessment of role prototypicality) is accomplished by the syntax-semantics interface, that is, with reference to a cross-linguistically defined set of prominence scales and their language-specific weighting. The relevant prominence scales are: a. morphological case marking (nominative > accusative / ergative > nominative) b. argument order (argument 1 > argument 2) c. animacy (+animate > −animate) d. definiteness/ specificity (+definite/ specific > −definite/ specific) e. person (1st/ 2nd person > 3rd person) 133 Die einzelnen Faktoren der Hinweisreiztypen sind dabei skalar angeordnet, zum Beispiel 1/ 2>3 beim Typ Person. In dem Modell wird (erneut metaphorisch) davon ausgegangen, dass sich die Hinweisreize bei der inkrementellen Interpretation eines Satzes in einem „Wettbewerb“ befinden. Der Hinweisreiztyp, der einer Interpretin am ehesten erlaubt, einem Satzglied die Agens-Rolle zuzuschreiben, gewinnt die Competition. Ohne Skala keine Competition. Die Qualität der neurophysischen Effekte bei Konfrontation mit einem dieser Reize soll dabei 132 MacWhinney, Bates & Kliegl (1984: 131). 133 Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009c: 28). Vgl. dazu auch die Eigenschaften transitiver Sätze in Hopper & Thompson (1980). 18429_Kasper_SL5.indd 100 18429_Kasper_SL5.indd 100 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 101 unabhängig davon sein, ob er der sprachlichen Formseite angehört, also der sprachlichen Eigenstruktur, oder der Inhaltsseite, also der Vorstellungswelt, die durch Formen vermittelt ist. Wie schon im Competition Model verschwimmt auch hier die Grenze zwischen Hinweisen der sprachlichen Eigenstruktur und solchen, die sich bereits aus unserer Vorstellungswelt ergeben. Die neurophysischen Effekte der Interpretinnen, die hier gemessen und von Neurolinguisten wiederum interpretiert werden, treten dabei in einem Zeitfenster von etwa 150 bis 1000 Millisekunden nach Konfrontation mit dem sprachlichen Reiz auf. Es handelt sich dabei also um interpretative Aktivitäten im automatischen und Routinemodus. Die neurolinguistische Interpretation dagegen ist Deutungsarbeit. 2.4.3 Zurückhaltung bezüglich der instruktiven Mittel Die Meinungen über das Verhältnis der eigenstrukturellen Mittel zueinander gehen relativ weit auseinander. Was sich herauszukristallisieren scheint, ist die Verbindlichkeit von Kasus- und Kongruenzformen, wenn sie denn anwendbar, das heißt unterscheidbar sind. Ebenfalls außer Frage stehen sollte, zumindest für die hier betrachteten Sprach(stuf)en, dass die Kasus- und Kongruenzmorphologie sowie die Reihenfolgeregelungen angesichts ihrer Pertinenz für die Interpretation nicht unabhängig voneinander in einer Sprach(stuf)e ausgeprägt sind. Doch schon bei dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden instruktiven Mitteln stehen wir vor Meinungsverschiedenheiten oder Unklarheiten. Verschiedener Meinung ist man auch über das historische Ursache-Wirkungsverhältnis zwischen Morphologie und Reihenfolge, selbst dann, wenn man über dieselben Sprachen spricht. Unklar sollten wir uns darüber sein, ob die Kompensationsleistung, die die Reihenfolge im Mittelenglischen angesichts der schwach ausgeprägten morphologischen Unterscheidungen übernehmen kann, automatisch auch für andere Sprach(stuf)en mit ähnlich aussageunkräftigen morphologischen Unterscheidungen erwartbar ist. Das Competition Model lässt uns im Dunkeln darüber, was passiert, wenn zwei leistungsstarke Hinweisreize - sagen wir, die Reihenfolge und der Kasus im Mittelenglischen - widersprüchliche Hinweise liefern. Oder ist das nicht zu erwarten? Wenn es nicht zu erwarten ist, warum nicht? Die lokale Betrachtungsweise lehrt uns aber, dass wir es uns aus der globalen Perspektive möglicherweise zu leicht machen, wenn wir die Leistungsfähigkeit oder cue validity oder den instruktiven Wert eines Hinweisreizes, zum Beispiel der Elementreihenfolge, einer Sprach(stuf)e zuschreiben - wie immer man sich das vorstellen soll - und ihr die Leistungsfähigkeit eines anderen Hinweisreizes rundweg absprechen. Was nämlich gegen Aussagen spricht wie „Im Deutschen regeln bei der Interpretation Kasus und Kongruenz, was womit in welcher Beziehung steht“, ist, dass man nicht lange nach Äußerungen im Deutschen suchen muss, für die dies nicht zutrifft, weil die entsprechenden Hinweisreize nicht aussagekräftig sind. Und umgekehrt ist man möglicherweise mit einer Aussage wie „Im Deutschen regelt die Reihenfolge nicht, was womit in welcher Beziehung steht“ dann genau für solche Äußerungen auf dem Holzweg, wo das eben doch der Fall ist. Hier besteht die reelle Möglichkeit, dass der instruktive Wert der Reihenfolge davon abhängig ist, ob eine Äußerung morphologisch mehrdeutig ist oder nicht. Dies zeigen uns die nicht unkluge, falsche Übersetzung von Martinet und die Idee der gewichteten cue validities im Competition Model. Wir sollten daher 18429_Kasper_SL5.indd 101 18429_Kasper_SL5.indd 101 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 102 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur vorsichtig gegenüber zu starken Verallgemeinerungen über die instruktiven Mittel sein und stattdessen genau diese Fragen an unseren Bibelübertragungen untersuchen. Die lokale Online-Perspektive führt uns vor Augen, dass Interpretinnen nicht mit abstrakten beziehungsweise idealen Gebilden wie Sprach(stuf)en konfrontiert sind, mit denen wir es bei globalen Betrachtungsweisen zu tun haben, sondern mit konkreten Äußerungen. Meine Maxime wird also sein, über die Einzeläußerungen zu gehen, wenn ich überhaupt etwas Globales über die Nutzung instruktiver Mittel sagen möchte. Welchen instruktiven Wert sie unter welchen Umständen in welcher Sprach(stuf)e haben, wird sich dann aus der Studie ergeben. Bis hierhin habe ich zu zeigen versucht, was sprachliche Eigenstrukturen nötig macht und aufgrund welcher eigenstrukturellen Aspekte Interpretinnen unseren exemplarischen Vers Johannes 19, 27 im Neuhochdeutschen, Mittelhochdeutschen und Mittelenglischen verstehen, aber im Hochalemannischen missverstehen konnten. In unseren neutestamentlichen Texten haben wir die Äußerungen, die Hinweisreize und wir kennen die richtige Interpretation. 134 Wir können also immer nachvollziehen, ob und wie eine Interpretin aufgrund der vorhandenen oder nicht vorhandenen Hinweisreize zur richtigen Interpretation gelangen kann . Von welchem konkreten Hinweisreiz sie allerdings tatsächlich Gebrauch macht, wenn mehrere oder keine in einem Teilsatz vorhanden sind, können wir allerdings nicht feststellen, weil wir keine zeitlich an Hinweisreize gekoppelten Daten über die Online-Interpretation unserer Bibeltexte haben. Wie anwendbar, das heißt verfügbar, und zuverlässig ein Hinweisreiz ist, lässt sich aber ermitteln. Nach Überprüfung aller Äußerungen werde ich mich daran versuchen, Gewichtungen zwischen den Hinweisreizen vorzunehmen und allgemeinere Aussagen über sie zu treffen bis hin zu einem Erklärungsversuch in Kapitel 4. Die psychobeziehungsweise neurolinguistischen Modelle geben uns auch dahingehend einen Wink, mit welchen Interpretationsautomatismen oder -routinen wir jenseits eigenstruktureller Hinweisreize rechnen können, wenn es um die Interpretierbarkeit von morphologisch und syntaktisch mehrdeutigen Äußerungen geht: Belebtheit, Definitheit, Person. Diese spielen offensichtlich in den globalen Betrachtungsweisen gar keine Rolle. Die Online-Betrachtung interpretativer Aktivität erlaubt darüber hinaus auch Aufschlüsse darüber, wann in einer Äußerung und bei Konfrontation mit welchen Äußerungsbestandteilen sich bei der Interpretation etwas tut und wann nicht. 2.4.4 Die zu untersuchenden Sprach(stuf)en Ich gehe nun von der übereinzelsprachlichen Betrachtung zur Betrachtung der Sprach(stuf)en über, die ich analysieren werde. Die entsprechenden Grammatikbeschreibungen gehen - meistens implizit - davon aus, dass unterscheidbare Kasus- und Kongruenzformen zuverlässige und verbindliche Hinweise darauf geben, was in einer Äußerung womit in welcher Beziehung steht. Expliziter sind sie in Bezug auf die kombinatorischen, positionalen beziehungsweise Reihenfolgeregelungen, weil deren Nutzung als instruktives Mittel weniger selbstverständlich und weniger vorhersagbar ist. Das gilt sowohl für die Reihenfolgen zwischen Subjekten und Objekten als auch für die zwischen mehreren Objekten. 134 Für weitere Vorteile von Paralleltextanalysen vgl. Wälchli (2007). 18429_Kasper_SL5.indd 102 18429_Kasper_SL5.indd 102 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 103 Für das Altenglische wird noch keine Nutzung der Reihenfolge als instruktives Mittel angenommen. In the actor-action-goal construction […], Old English used taxemes of selection (inflected forms) to distinguish between actor (subject) and goal (object) […]. The development of English has been away from the use of taxemes of selection with non-distinctive and connotative word-order, toward the use of taxemes of order operating practically without the aid of other devices. The patterns the Modern English use seem to have been established by the middle of the 15th century. 135 In Old English […] the order of the words in such sentences [i.e., actor - action - goal constructions - SK] has no bearing whatever upon the grammatical relationships involved. Taxemes of selection [i.e., inflected forms - SK] do the work, and word-order is non-distinctive and connotative. […] [T] axemes of selection - the nominative case form […], the accusative case form […] - signal the ‘subject’ and ‘object’ relationships. 136 Obwohl sich das Altenglische aufgrund seiner unterscheidbaren Kasusformen eine beliebige Reihenfolge zwischen den Objekten leisten könnte, weist es eine Tendenz auf. Even in Old English the dative-object usually appears before the accusative-object. This is especially true of the pronouns, with the dative-object coming first in 82.8 % of the instances. 137 Zu anderen Verhältnissen und keiner erkennbaren Tendenz kommt Koopman, der sich solche Objekte angeschaut hat, die als Substantivgruppen („full NP“) auftreten. In fact, Koopman (1990) finds that 46 % of O[ld] E[nglish] double-object constructions with two full NP objects are D[irect] O[bject] - I[ndirect] O[bject]. 138 Noch in altenglischer Zeit befanden zuerst dänische, später französische Nordmänner England für geeignetes Siedlungsgebiet. Sie brachten den Einheimischen ihre eigenen Sprachen, das Altnordische beziehungsweise normannische Französisch, mit und besetzten die entscheidenden Stellen in der Regierung, der Rechtsprechung und in der Kirche. Einheimische, die in der Folge etwas mit zivilisiertem Leben zu tun haben und an prosperierendem Handel teilhaben wollten, mussten mit den Normannen verkehren. Dabei bildete sich ein stark gewandeltes Mittelenglisch heraus. 139 This [Old English - SK] system did not survive intact into M[iddle] E[nglish]. It appears that interaction with Norse encouraged inflexional loss, and the O[ld] E[nglish] conventions of word-order, whereby predicator/ object and subject/ predicator positioning had become stylistically formalised in particular clause-types, became more fixed to take over the task originally performed by inflexions. The P[resent] D[ay] E[nglish] pattern was largely established by the end of the M[iddle] E[nglish] period. 140 135 Fries (1940: 199). Vgl. beispielsweise auch Smith (1893), Mitchell (1985, I: 4-6) & Traugott (1992). 136 Fries (1940: 199-200). 137 Fries (1940: 202). 138 McFadden (2002: 108). 139 Emonds & Faarlund (2014) gehen so weit zu argumentieren, das Englische sei dabei von einer westgermanischen zu einer nordgermanischen Sprache geworden. 140 Horobin & Smith (2002: 91). 18429_Kasper_SL5.indd 103 18429_Kasper_SL5.indd 103 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 104 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Es ist allerdings auch möglich, dass diese Kontaktsprachen Entwicklungen, die im Altenglischen bereits begonnen hatten, bloß stark beschleunigten. 141 Was die Freiheit bei der Reihenfolge der Objekte betrifft, so war sie um den Zeitpunkt herum, als das Team Wycliffe das Neue Testament übersetzte, zugunsten der Reihenfolge indirektes Objekt - direktes Objekt restlos aufgelöst. Die Reihenfolge DO - IO war ab dieser Zeit ausgeschlossen. 142 Damit war die Möglichkeit verloren, die Rezipientenrolle, die normalerweise durch ein indirektes Objekt ausgedrückt wird, nach der Patiensrolle, das heißt dem direkten Objekt, zu realisieren. Gleichzeitig entwickelte sich aber eine weitere Ausdrucksvariante, die im Altenglischen - wenn überhaupt - nur marginal verwendet wurde: die eines direkten Objekts zusammen mit einem Präpositionalobjekt. Die Rolle des Rezipienten konnte nun prototypisch mit der Präposition to als Präpositionalobjekt ausgedrückt werden. Dadurch ergab sich eine neue Möglichkeit, die Patiensrolle mit dem direkten Objekt vor der Rezipientenrolle mit dem Präpositionalobjekt auszudrücken, also DO - PO, was auch in vier Fünfteln der Fälle getan wurde. 143 Die deutsche Sprache erfuhr keinen solchen Einschnitt durch Sprachkontakt, wie ihn das Englische erfuhr. Die folgenden beiden Aussagen können daher für alle Sprachstufen vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen gelten. All modern Germanic languages - with the exception of English - are subject to the so-called ‘verb-second constraint’. In purely descriptive terms this means that the finite verb is always exactly the second constituent in (minimal) declarative root clauses. […] [T]he verb-second constraint seems to have also been operative in O[ld] H[igh] G[erman] already. […] [T]he clause-initial position in front of the finite verb is not always occupied by the subject […], but also by non-subject XPs of any syntactic category or with any syntactic function. 144 Hier [das heißt im Deutschen - SK] gilt heute die Regel, daß im Hauptsatz das Zeitwort als zweites Glied des Satzes erscheint; das erste Glied kann gebildet werden ebensowohl durch das Subjekt des Zeitworts, wie durch irgendeine Bestimmung des Zeitworts […]. 145 Mit der Abfolge der Objekte verhält es sich dagegen weniger einfach. Hier könnte die Herausbildung der standarddeutschen Schriftsprache eine Rolle gespielt haben, aber eine solche, die der Erwartung zuwiderläuft. […] German underwent a period in which the relative order was relatively rigid - this period includes Old and Middle High German (OHG; MHG) and the earlier parts of Early New High German (ENHG), while only from the 16 th century onward we notice a considerable variability. […] [T]he new ‘freedom’ in positioning is mostly a phenomenon of written German, whereas in spoken German (and in written texts that are highly influenced by the spoken register, voluntarily or not) even today the order ‘dative object before accusative object’ (Dat > Acc) is almost the norm, far outnumbering the order ‘accusative object before dative object’ (Acc > Dat). 146 141 Vgl. Allen (1997). 142 Vgl. MacFadden (2002: 113). Der relevante Zeitraum ist M3 (1350-1420). 143 Vgl. McFadden (2002: 113). 144 Axel (2007: 4). 145 Behaghel (1911: 324). 146 Speyer (2015: 101). Vgl. auch Speyer (2011, 2013, 2016). 18429_Kasper_SL5.indd 104 18429_Kasper_SL5.indd 104 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 105 Da es nicht selbstverständlich ist, dass die Dialekte mitgemeint sind, wenn vom Deutschen gesprochen wird, seien hier einige Aussagen zum modernen Hochalemannischen und Nordniederdeutschen gesondert aufgeführt. Die Reihenfolgeregelungen des Hochalemannischen lehnt A. Weber explizit an das Standarddeutsche an: Der einfache Satz zeigt in der Folge der Satzglieder, insbesondere in der Stellung des Verbs, sowie in der Fügung der Wörter, die zusammen ein Satzglied bilden, im grossen und ganzen den gleichen Bau wie in der Schriftsprache. 147 Und die Charakterisierung der Satzgliedreihenfolge im Nordniederdeutschen lautet ganz ähnlich wie die von Behaghel zum Neuhochdeutschen: Das finite Verb des Prädikats steht hier stets an zweiter Stelle […]. Alle anderen, teilweise aus mehreren Wörtern bestehenden Satzglieder […] können um diese feste Position herum mehr oder weniger frei verschoben werden. 148 Dank einer jüngeren Erhebung an drei niederdeutschen Orten kann „mehr oder weniger“ noch präzisiert werden: Für die relative Abfolge von Subjekt und Objekt gilt: In allen drei untersuchten Regionen ist es prinzipiell möglich, von der durch die Hierarchie der grammatischen Funktionen geforderten Grundabfolge S[ubjekt] > O[bjekt] abzuweichen. Diese Grundabfolge wird aber in allen drei untersuchten Ortsdialekten in stärkerem Maße als beste Abfolge angegeben als in den standarddeutschen Ortspunkten. Damit ist die niederdeutsche Wortstellung in Emstek, Bad Laer und Lindhorst etwas strikter als im Standard. 149 Und in Bezug auf die Abfolge zwischen mehreren Objekten heißt es folgendermaßen: Ähnliches gilt auch für die relative Abfolge von N[ominal]Gr[uppen] in der Funktion von direktem und indirektem Objekt […]. Ein Abweichen von der Grundabfolge I[indirektes] O[bjekt] > D[irektes] O[bjekt] ist in den untersuchten niederdeutschen Dialekten möglich, die Grundabfolge selbst wird aber häufiger als beste Variante ausgezeichnet als im Standard. Hier kommt hinzu: Bei einigen Verben ist die Abfolge mit Pr[äpositional]Gr[uppe] (DO > PO) eindeutig gegenüber den beiden Alternativen mit NGr (IO > DO, DO > IO) bevorzugt. 150 Für alle drei niederdeutschen Dialekte wird dabei im Vergleich zum Standarddeutschen eine „etwas festere Wortstellung“ festgestellt. 151 Für die relative Abfolge der Objekte spielt es in der Regel eine Rolle, ob sie als Substantivgruppen oder als Pronomen auftreten. Auch wenn ich bei den obigen Aussagen diese Differen- 147 Weber (1948: 279). 148 Lindow et al. (1998: 254). 149 Berg (2013: 273). 150 Berg (2013: 273). 151 Berg (2013: 275). Appel (2007: 292, 297) scheint in Bezug auf das Niederdeutsche noch weiter zu gehen und anzunehmen, dass die lokale Kompensation, die im (deutschen) Martinet (1963) vertreten wurde, das Niederdeutsche kennzeichnet: Wenn er nur eine realisierte Satzgliedreihenfolge findet, interpretiert er das als Vermeidung einer syntaktischen Mehrdeutigkeit, wo bereits eine morphologische Mehrdeutigkeit besteht. Das gilt sowohl für Satzgliedbeziehungen zwischen Subjekten und Objekten als auch zwischen Objekten. 18429_Kasper_SL5.indd 105 18429_Kasper_SL5.indd 105 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 106 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur zierung nicht überall berücksichtigt habe, mahnen die Aussagen doch auch hier, in Bezug auf die Reihenfolge der Objekte, zur Zurückhaltung, wenn es darum geht, das Verhältnis zwischen den instruktiven Mitteln allgemein zu charakterisieren. Denn das Bild, das sich oben aus den Aussagen von Keenan, Dryer und Co. ergeben hatte, war doch relativ klar: Wenn es einen kausalen Zusammenhang zwischen den syntaktischen Mitteln gibt, dann lautet er: reichere Morphologie - freiere Reihenfolge; ärmere Morphologie - striktere Reihenfolge. Wenn wir uns in den Paradigmen der englischen und deutschen Sprach(stuf)en noch einmal die Formen der Objekte anschauen, sehen wir, dass vom Altenglischen zum Mittelenglischen die Objektformen ununterscheidbar wurden und vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen einige wenige Unterscheidungen verloren gegangen sind. Wir sollten also im Altenglischen eine freiere Objektreihenfolge erwarten als im Mittelenglischen und kaum Unterschiede zwischen dem Althochdeutschen und dem Neuhochdeutschen. Die Befunde zum Englischen stimmen damit überein; die zum Deutschen nicht. Eine freiere Reihenfolge zwischen Dativ- und Akkusativobjekt scheint sich erst zum Neuhochdeutschen hin entwickelt zu haben, obwohl morphologische Unterscheidungen - wenn auch in geringem Maß - auf der Strecke geblieben sind. Besonders interessant ist der Vergleich des Mittelenglischen und Nordniederdeutschen. In beiden ist die IO-DO-Reihenfolge die dominante Variante. Im Mittelenglischen kam die Reihenfolge DO - IO ganz außer Gebrauch und die Reihenfolge DO - PO wurde immer häufiger. Dies spiegelt auch den Zustand des modernen Englischen wider. Im Nordniederdeutschen sind wie im Mittelenglischen die IO-DO- und DO-PO-Reihenfolgen gebräuchlich, aber anders als dort wird auch die DO-IO-Reihenfolge verwendet. Das ist nun insofern überraschend, als ein Blick auf die Bezugskasus Dativ und Akkusativ in beiden Sprach(stuf)en fast dasselbe Bild zeigt: Ununterscheidbarkeit in allen Paradigmen außer beim nordniederdeutschen definiten maskulinen Artikel. Das Nordniederdeutsche hat lediglich Genus- und Numerusunterscheidungen bewahrt. Diese liefern aber keine eigenstrukturellen Hinweise darauf, welches Objekt in einer Äußerung der Rezipient und welches das Patiens ist. 152 152 Insofern wäre auch zu hinterfragen, ob Polos (2002) Position zur Doppelobjektkonstruktion haltbar ist. Sie geht davon aus, dass die Abfolge DO > IO im Englischen noch möglich war, als die Dativ-Akkusativ-Unterscheidung in der Substantivgruppe schon verschwunden war. Für diese Möglichkeit macht sie die entsprechende Unterscheidung am Pronomen der 3. Person verantwortlich, die noch länger aufrechterhalten wurde. “On this view, pronominal morphology is regarded as the trigger for an abstract inherent dative Case which, in turn, allowed for the syntactic phenomena recorded outside the strict boundaries of pronominal syntax (outlasting DO - IO surface orders involving nominal objects). Furthermore […], the additional expectation borne out under the present line of reasoning is that, when the dative-accusative distinction disappeared from the pronoun paradigm, language learners were led to build up a new grammar with no abstract inherent Case; at this point children resorted to new syntactic constructions (fixed IO - DO order or obligatory use of the to -marker where the object order is reversed) in place of the older ones which gradually went out of use.” (Polo 2002: 125) Erst wenn die Kasusdistinktion dann auch am Pronomen der 3. Person im Singular und im Plural verloren ginge, führte das, so die Vorhersage, zum Ansteigen der DO-PO-Abfolgen und zum Verschwinden der DO-IO-Abfolgen, und zwar, weil kein abstrakter Kasus mehr aus dem Pronomenparadigma erschlossen werden konnte. Wenn das stimmte, und Polos Zahlen sind mit dieser Annahme vereinbar, sollten wir dann nicht auch für das Nordniederdeutsche erwarten, dass die DO-IO-Reihenfolge längst verschwunden sein sollte? 18429_Kasper_SL5.indd 106 18429_Kasper_SL5.indd 106 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 2.4 Dynamische Aspekte eigenstruktureller Hinweise 107 2.4.5 Wo morphologische Differenzen bleiben: morphologisches Minimum Es besteht die starke Tendenz, dass in einer Sprache, die wenig morphologische Unterscheidungen aufweist, der Elementreihenfolge instruktiver Wert hinsichtlich der Frage zukommt, was womit in welcher Relation vorgestellt werden soll. Eine Sprache mit vielen morphologischen Unterscheidungen kann sich eine freiere Elementreihenfolge leisten. Das schließt nun keineswegs aus, dass es Sprachen gibt, die viele morphologische Unterscheidungen aufweisen und in denen gleichzeitig der Elementreihenfolge instruktiver Wert zukommt. Viel weniger wahrscheinlich, so wäre der naheliegende Umkehrschluss, sind Sprachen, in denen beides nicht der Fall ist. Ich möchte hier kurz auf eine Studie zum hochdeutschen Dialektraum eingehen, die von der Prämisse ausgeht, dass hier die Satzgliedreihenfolge relativ frei ist und keinen instruktiven Wert für die Unterscheidung von Subjekt und Objekt beziehungsweise Agens und Patiens hat. Damit, so die weitere Annahme, „kommt den morphologischen Markierungen bei der Identifizierung der syntaktischen Struktur [das heißt der syntaktischen Funktionen - SK] entscheidende Bedeutung zu.“ 153 Unter Nutzung aller verfügbarer Quellen und mit eigenen Erhebungen wurden nun über 2400 hochdeutsche Ortsdialekte um 1880 und 1980 daraufhin untersucht, ob in einem sogenannten „Minimalsatz“ über die Kasusund/ oder Kongruenzmorphologie unterscheidbar ist, was womit in welcher Beziehung steht. Der Minimalsatz besteht dabei aus einem finiten Verb, einem Personalpronomen als Subjekt und einem Personalpronomen als Objekt, zum Beispiel Wir sehen sie und Ihr seht uns . Die morphologischen Unterscheidungen betreffen sowohl die P.N.G.K.-Spezifikationen der Pronomen als auch die P.N.-Spezifikationen des Verbs. Die Gefahr bei der Minimalsatzkonstellation besteht natürlich darin, dass Subjekt- und Objektpronomen die gleiche Kasusform aufweisen und mit ihren P.N.-Spezifikationen beide potentielle Kongruenzpartner des Verbs sind. Dann kann eine Interpretin aufgrund der instruktiven Mittel Kasus und Kongruenz nicht mehr erkennen, was womit in der vom Verb angegebenen Beziehung steht. Ein „morphologisches Minimum“ ist dann unterschritten. Das Minimum ist gegeben, wenn wenigstens an einer Form erkennbar ist, was womit in welcher Beziehung steht. Das ist beispielsweise im obigen Wir sehen sie der Fall. Sie kann unter anderem ein Pronomen der 3. Person Plural mit dem Kasus Nominativ repräsentieren. Als solches kann es mit dem pluralmarkierten Verb sehen kongruieren und somit als Subjekt fungieren. Nur die eindeutige Nominativmarkierung von Wir zeigt einer Interpretin an, dass es sich dabei um das Subjekt handeln muss, das mit dem Verb kongruiert, und dass sie ein Objektpronomen sein muss. In vielen Fällen wird das morphologische Minimum auch überschritten. Dann ist an mehreren Formen redundant angezeigt, was womit in welcher Beziehung steht. So etwa in Ihr seht uns . Hier haben wir es mit „Doppelmarkierungen“ zu tun. Die Studie ist insofern interessant für unsere Frage nach dem Verhältnis der instruktiven Mittel, als sie für eine streng definierte Bedingung, den Minimalsatz, überprüft, ob in hochdeutschen Dialekten die Situation eingetreten ist, dass weder die Reihenfolge noch morphologische Unterscheidungen anzeigen, was womit in welcher Beziehung steht. Die Ergebnisse der Studie sind durchaus erstaunlich. Der beobachtbare Sprachwandel zeigt zunächst einmal, dass bisweilen morphologische Unterscheidungen im Pronominal- oder Verbalparadigma, die um 1880 existierten, um 1980 verschwunden waren. Umgekehrt waren man- 153 Rabanus (2007: 256). 18429_Kasper_SL5.indd 107 18429_Kasper_SL5.indd 107 20.08.2020 10: 55: 13 20.08.2020 10: 55: 13 108 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur che Unterscheidungen in diesen Paradigmen, die zum früheren Zeitpunkt abwesend waren, zum späteren Zeitpunkt entwickelt. Dabei hat sich für die Dialekte zum einen gezeigt, „dass es im Sprachwandel eine Tendenz zur Reduzierung der Redundanz solcher Doppelmarkierungen gibt, Doppelmarkierungen aber keineswegs ausgeschlossen sind.“ 154 Redundanz wird also tendenziell abgebaut, so dass sich der Minimalsatz dem morphologischen Minimum annähert. So weit, so ungefährlich für die Interpretation. Weiter: Das Bedürfnis der Sprecher nach morphologischer Symbolisierung kategorialer grammatischer Merkmale ist ein relevanter Faktor bei der Ausbildung paradigmatischer Distinktion. Die Wirkung des Faktors ist auch in den Dialekten nachweisbar, in denen einzelne Distinktionen abgebaut werden. Die Entwicklung in den Räumen XXXIII [Oberpfalz - SK] und XXXV [Mittelfranken - SK] zeigt, wie eine pronominale Distinktion (zum Beispiel ihr vs. enks ) unter der Bedingung abgebaut wird, dass eine verbale (ts vs. -t ) stabil bleibt. Der Wandel im Raum XVIII [Bayerisch-Schwaben - SK] zeigt umgekehrt die Einführung einer verbalen Distinktion (mr vs. et ) in einem Gebiet, in dem eine pronominale Distinktion ( mir vs. uns ) wegfällt. Die Verhältnisse im Raum XIII [Kreis Lörrach - SK] exemplifizieren, wie eine pronominale Distinktion ( dir vs. ihr ) abgebaut wird, sofern eine verbale Distinktion (et vs. e ) neu aufgebaut wird. Diese Entwicklungen sind keine Folge eines universalen Automatismus. Die hier behandelten syntaktischen Ambiguitäten, die durch die Kompensation des Wegfalls einer Distinktion mit der Einführung einer anderen Distinktion vermieden werden, würden in der Kommunikationspraxis in den meisten Fällen nicht zu Missverständnissen führen. 155 Mit anderen Worten: Die Redundanz wird in solchen Ortsdialekten nicht weiter reduziert, in denen das morphologische Minimum unterschritten zu werden droht, und in den seltenen Fällen, in denen es unterschritten wird, werden neue morphologische Unterscheidungen geschaffen, die es wieder herstellen. Zumindest für den Minimalsatz in den oberdeutschen Dialekten scheint also zu gelten, dass bei Abwesenheit von interpretativ relevanten Reihenfolgeregelungen die morphologischen Unterscheidungen interpretativ leistungsfähig genug gehalten werden, damit sie anzeigen, was womit in welcher Beziehung steht. Das schiebt der morphologischen Mehrdeutigkeit von Äußerungen zumindest so lange einen Riegel vor, wie sich die Kommunikation auf Minimalsätze beschränkt. Ob sich diese Beobachtung auch auf andere Äußerungen ausweiten lässt, werden wir noch sehen. 2.5 Eigenstrukturen und Übersetzungstechniken Nach christlicher Überzeugung enthält die Bibel das geoffenbarte Wort Gottes. Die Offenbarung erfolgte in den heiligen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein, nicht aber in ostfränkischem Althochdeutsch oder westsächsischem Altenglisch. Nach katholischer Überzeugung obliegt der Kirche die Auslegung der geoffenbarten Schrift, denn da diese göttlich inspiriert ist, ist sie selbst ein Mysterium. Nicht nur übersteigt jedes einzelne Wort die Verstehensfähig- 154 Rabanus (2007: 258). 155 Rabanus (2007: 265). 18429_Kasper_SL5.indd 108 18429_Kasper_SL5.indd 108 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 2.5 Eigenstrukturen und Übersetzungstechniken 109 keiten des Menschen, dasselbe gilt sogar für die Wortreihenfolge. 156 Biblischer Text muss daher auch verschiedenen Sinnebenen entsprechend interpretiert werden. Die wörtliche Bedeutung unterrichtet darüber, was womit in welcher Beziehung steht. Sie ist uns allen zugänglich. Daneben enthält derselbe Text aber noch drei weitere Sinnebenen, die die Fragen betreffen, was wir glauben sollen, was wir tun sollen und worauf wir hoffen können. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, was eine mittelalterliche Übersetzung leisten konnte und sollte, und was nicht. Sie konnte nicht und sollte nicht das Original mit seinem vierfachen Schriftsinn wiedergeben, sondern nur einen „ersten grundlegenden sprachlichen Zugang“ zu ihm gewähren, ohne aber Autonomie beanspruchen zu können beziehungsweise zu dürfen. 157 Die Zielsprache der Übersetzung konnte nur etwas zum Sinnverständnis des Bibeltextes beitragen, wie er sich in den heiligen Sprachen darbot, aber auch nur dann, wenn der heilige Charakter jedes einzelnen Ausdrucks und sogar der Reihenfolge der Ausdrücke berücksichtigt wurde. Die Idee eines autonomen volkssprachlichen Bibeltextes musste die Verleugnung der Heiligkeit des Originaltextes bedeuten und in den Augen des Sinnverwalters Kirche zu gefährlichem Wildwuchs an Laieninterpretationen führen, die ihr spirituelles, moralisches und eschatologisches Heil nach eigenem Gutdünken und außerhalb der vorgedachten Wege suchten. 158 Man erinnere sich des Schicksals Tyndales und der Bewertung des Luther’schen Wirkens durch die Katholische Kirche. Reformation und Humanismus waren es dann, die gegen das lateinische Mittelalter das Hebräische und Griechische, die biblischen Ursprachen, wiederentdeckten. Dadurch stellten diese kulturgeschichtlichen Bewegungen die Autorität der Vulgata in Frage und mit ihr auch gleich den vierfachen Schriftsinn samt Deutungsmonopol durch die Katholische Kirche. Die Schrift selbst enthalte alles, was zu ihrer Deutung nötig sei. Um sie den Menschen zugänglich zu machen, müsse sie „nur“ richtig übersetzt werden, aber nun mit zielsprachlicher Ausrichtung, während die mittelalterlichen Übersetzungen eine quellsprachliche Ausrichtung hatten. Weil er sich vom Wort-für-Wort-Übersetzen lösen wollte, waren daher „für Luther Wortstellungsänderungen gegenüber dem Grundtext überhaupt kein Hindernis mehr, deshalb ist er in der Wortwahl viel freier auf einen neuen dt. Gesamtsinn aus […].“ 159 Dadurch wurde die Bibelübersetzung Luthers viel weniger abhängig von den Vorlagen und „kommunikativ autark“. 160 Angesichts der Bedeutung, die nach mittelalterlicher Auffassung dem einzelnen Wort und sogar der Reihenfolge der Wörter im Urtext zukam, kann es nicht erstaunen, dass jede seriöse Grammatiktheoretikerin uns davor warnen muss, Erkenntnisse über Eigenstrukturen deutscher oder englischer Sprach(stuf)en aus mittelalterlichen Übersetzungstexten gewinnen zu wollen. Viel zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, eigenstrukturelle Aspekte der Quellsprache, also der Sprache, aus der übersetzt wurde, im lexikalischen Gewand der Zielsprache zu analysieren, anstatt Aspekte der Zielsprache, in die übersetzt wurde und die ja eigentlich untersucht werden soll. Dies gilt ausschließlich für die kommunikativ quelltextlich bestimmten Übersetzungen des Mittelalters. 161 Speziell dem althochdeutschen „Tatian“ ist vorgeworfen 156 So heißt es zumindest im wichtigsten Text der mittelalterlichen Übersetzungstheorie, vgl. Saint Jérôme (1953), Brief LVII. 157 Kirchert (1984). 158 Vgl. neben Kirchert (1984) auch Maurer (1929). 159 Sonderegger (1998: 264). 160 Vgl. Gardt (1992), zit. in Sonderegger (1998: 260). 161 Vgl. Kirchert (1984: 62). 18429_Kasper_SL5.indd 109 18429_Kasper_SL5.indd 109 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 110 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur worden, er folge dem lateinischen Text „in sklavisch undeutscher Weise“ 162 -, womit er sehr genau den oben genannten theologischen Prinzipien entspricht - und er sei nur an wenigen Stellen freier übersetzt, nämlich dort, wo ein geschickterer Übersetzer am Werk gewesen sei. 163 Genuin althochdeutsche positionale und Reihenfolgeregelungen seien nur dort sicher anzunehmen, wo von der lateinischen Vorlage abgewichen wurde. Solche Abweichungen verliefen dann aber nie in „nichtdeutscher Richtung“ und daher könne man sich bei ihnen sicher sein, es mit der Eigenstruktur des Althochdeutschen zu tun zu haben. 164 In diversen Studien zur althochdeutschen („Tatian“-)Syntax wurde die Beschränkung auf solche Differenzbelege zur methodischen Maxime erhoben. 165 Ähnlich wird der altenglischen Übersetzung bescheinigt, wörtlich, aber relativ idiomatisch ( idiomatic ) zu sein, sowohl Sinn für Sinn als auch Wort für Wort zu übertragen, mit einigen Auslassungsfehlern, grammatischen Missverständnissen und ungeschickten ( awkward ) Übersetzungsentscheidungen. Auch hier legten die Übersetzer begrenzte Fähigkeiten und keinen übermäßigen Willen zu Akkuratheit und Raffinesse an den Tag. 166 Das Verdikt des „sklavischen“ Festhaltens an der lateinischen Vorlage hinsichtlich der Elementreihenfolge traf zumindest in Teilen auch das mittelhochdeutsche „Evangelienbuch“, und über die früheren Bibelübersetzung des Teams Wycliffe wird berichtet, schon für ihre Schöpfer nicht ganz zufriedenstellend gewesen zu sein: „extrem wörtlich, bisweilen obskur und manchmal falsch.“ 167 Wenn wir also etwas darüber ermitteln möchten, wie von uns vorgestellte Leserinnen an den eigenstrukturellen Merkmalen der Zielsprachen und unabhängig vom Vorlagentext erkennen können, was in den einzelnen Äußerungen womit in welcher Beziehung steht, müssen wir dann nicht sicherstellen, dass die Merkmale, die wir identifizieren, tatsächlich solche des Deutschen und Englischen sind, und nicht etwa solche des Lateinischen? 168 Ist das für den „Tatian“ nicht schon von vornherein ausgeschlossen dadurch, dass das lateinisch-althochdeutsche 162 Sievers (1892: XVIII). 163 Sievers (1892: LXX). 164 Dittmer & Dittmer (1998: 18). Vgl. auch den Überblick über Forschungsmeinungen zum „Tatian“ in Lippert (1974), Dittmer & Dittmer (1998: 16-20, 260-262) sowie Masser (1997), Fleischer (2006), Petrova & Solf (2009). 165 Vgl. beispielsweise Ruhfus (1897), Dittmer & Dittmer (1998), Hinterhölzl, Petrova & Solf (2005), Solf (2008), Petrova & Solf (2009). Zu Nachteilen dieses Verfahrens vgl. Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016: 19-22). 166 Vgl. Liuzza (2000: 50, 99). 167 Bechstein (1867: xxx) in Bezug auf das „Evangelienbuch“, Forshall & Madden (1850: xx) in Bezug auf die frühere Wycliffe-Bibel. 168 Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016) haben sehr ausführlich die Abhängigkeit der Elementreihenfolge unter anderem in den „Wessex Gospels“ und dem althochdeutschen „Tatian“ von der „Biblia Sacra Vulgata“ (2007) untersucht. Textgrundlage waren 10 Kapitel aus dem altenglischen Lukasevangelium und die ersten 74 Kapitel des althochdeutschen „Tatian“ (nach Sievers’ Edition). Dabei ging es primär um die absolute (Erst-, Zweit-, präfinaler und finaler Stellung) und relative (S-V, V-S, V-O, O-V) Position des Verbs in Haupt- und Nebensätzen. Grammatische Mehrdeutigkeiten und (Miss-)Verständlichkeit wurden nicht untersucht. Die einzelnen Ergebnisse können hier nicht referiert werden. Folgendes kann aber zusammenfassend konstatiert werden (Cichosz, Gaszewski & Pęzik 2016: 390-392, 395-398): In deklarativen Hauptsätzen, die keine Konjunktsätze sind, weisen beide 72 % Prozent Verbzweitsätze auf. In konjunkten deklarativen Hauptsätzen betragen diese Anteile noch 53 % („Wessex Gospels“) beziehungsweise 57 % („Tatian“). In untergeordneten Nebensätzen steht das Verb in 92 % („Wessex Gospels“) beziehungsweise 88 % („Tatian“) in präfinaler oder finaler Stellung. Im „Tatian“ erscheint die Abfolge V-O in über 90 % beziehungsweise 92 % der nicht konjunkten deklarativen Hauptsätze mit pronominalem beziehungsweise nominalem Objekt. In untergeordneten Nebensätzen betragen die Anteile der Abfolge O-V 84 % bei pro- 18429_Kasper_SL5.indd 110 18429_Kasper_SL5.indd 110 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 2.5 Eigenstrukturen und Übersetzungstechniken 111 Zeilenumbruchprinzip eine Übersetzungstechnik erzwingt, die dem Althochdeutschen nicht gerecht werden kann ? Und auf die Analysen der „Wessex Gospels“, der späteren Wycliffe-Bibel und des „Evangelienbuchs“ müssten wir schon allein deshalb ganz verzichten, weil wir die exakten lateinischen Vorlagen nicht kennen und demnach die Differenzbelege erst gar nicht identifizieren können. 169 Ich möchte dafür argumentieren, dass die Analyse der mittelalterlichen Texte, die ich anstellen möchte, dennoch sinnvoll ist. Zunächst einmal sind die bisherigen Urteile über die mittelalterlichen Übersetzungen unterschiedlich ausgefallen, je nachdem, welche sprachlichen Phänomene in den Blick genommen wurden. 170 Die negativen Urteile betreffen im Wesentlichen syntaktische, also positionale und Reihenfolgephänomene. Was Phonologie, Morphologie und Wortkategorien betrifft, ist der althochdeutsche „Tatian“ konstitutiv für das, was als Normalalthochdeutsch bezeichnet wird. Auf ihm basieren sogar althochdeutsche Grammatiken. 171 Da Morphologie und Wortkategorien zwei Drittel der eigenstrukturellen Hinweistypen ausmachen, auf die ich mich konzentrieren werde, ist der „Tatian“ diesbezüglich methodisch unbedenklich. In gleicher Weise unbedenklich in Bezug auf diese linguistischen Ebenen sind auch die „Wessex Gospels“, die „ein sehr reines, mustergültiges Spätwestsächsisch“ 172 repräsentieren, die spätere Wycliffe-Bibel, die den typischen (Central) Midland-Dialekt aufweist, der auch für autochthone Texte aus dem Wycliffe-Umkreis bekannt ist, sowie das gewöhnlich mitteldeutsche „Evangelienbuch“. Diese Werke waren in ihrem jeweiligen historisch-geographischen Kontext lediglich nicht in dem gleichen Maße konstitutiv für ihre entsprechenden Varietäten wie der „Tatian“ für die seine. Sodann treffen die negativen Urteile auch nicht alle syntaktischen Phänomene im gleichen Maß. Mehr oder weniger strenge Wort-für-Wort-Übersetzungen eignen sich natürlich nicht dafür, aus ihnen die positionalen Regelungen der Zielsprache zu isolieren, also die relativen Positionen zwischen allen möglichen syntaktischen Elementen, die in Sätzen auftreten, wie zum Beispiel die Stellung von finiten Verben in Haupt- und Nebensätzen. Dies gilt umso mehr, wenn die Übersetzung dem Zeilenumbruchprinzip unterworfen ist wie im „Tatian“. Ebenso wenig lässt sich etwas über den genuin deutschen oder englischen Partizipiengebrauch herausfinden, wenn lateinische Konstruktionen wie das Participium coniunctum oder der Ablativus absolutus so wörtlich wie möglich übersetzt wurden, etwa als absoluter Dativ im Falle des Letzteren. Die Abschnitte zu den instruktiven Mitteln sollten aber deutlich gemacht haben, dass es mir um einen eng begrenzten Bereich der Syntax geht, nämlich um das dritte mögliche instruktive Mittel: die relativen Positionen zwischen Satzgliedern, die als Subjekte nominalen und 27 % bei nominalen Objekten. Die entsprechenden vier Zahlen in den „Wessex Gospels“ sind 60 %, 67 %, 86 % und 66 %. Hier zeigt sich, dass außer bei untergeordneten Nebensätzen mit pronominalem Objekt die absoluten und relativen Positionen der Elemente in zum Teil weit über der Hälfte der Belege diejenigen der Zielsprachen sind und dass sich Althochdeutsch und Altenglisch diesbezüglich recht ähnlich sind. Die meisten der dennoch zahlreichen Abweichungen sind auf lateinischen Einfluss zurückzuführen. 169 Der Studie von Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016) kann man diesbezüglich den Vorwurf machen, dass für alle untersuchten Texte dieselbe lateinische Vorlage angenommen wurde, nämlich eine frei im World Wide Web verfügbare und dadurch komputationell verarbeitbare Version der Vulgata. Da diese faktisch nicht die Vorlage der Texte war, bildet dies einen gewichtigen methodologischen Nachteil der Studie. 170 Vgl. Fleischer, Hinterhölzl & Solf (2008: 213). 171 Vgl. Braune & Reiffenstein (2004: 6). 172 Trilsbach (1905: 173). 18429_Kasper_SL5.indd 111 18429_Kasper_SL5.indd 111 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 112 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur und Objekte fungieren können. 173 Das finite Verb spielt zunächst insofern eine Rolle, als es morphologische Übereinstimmungsbeziehungen mit einem (oder mehreren) der Satzgliedern unterhält. Das finite Verb kann überdies syntaktisch relevant sein, wenn seine relative Stellung zu den fraglichen nominalen Satzgliedern instruktiv dafür genutzt wird, diese in Subjekt und Objekt(e) zu unterscheiden. Dies wird für die Analyse des Mittelenglischen wichtig werden. 174 Da ich solche (Teil-)Sätze untersuchen möchte, die für grammatische Mehrdeutigkeiten zwischen Subjekt und Objekt(en) anfällig sind, wird sich die Analyse also auf finite (Teil-)Sätze mit mindestens zwei direkt von einem Verb abhängigen, nominalen Satzgliedern beschränken . Damit ist es dann aber gar nicht nötig, dass unsere Bibelübersetzungen in allen Aspekten die originäre Eigenstruktur der jeweiligen Zielsprache enthalten, sondern es genügt, wenn sie es nur in den Aspekten und in den Äußerungstypen tun, die für unsere Fragestellung relevant sind. Falls die relative Position des Verbs relevant für die Identifikation der syntaktischen Funktionen ist, dann würden wir erwarten, dass die relativen Positionen zwischen finitem Verb und Satzgliedern in der Übersetzung auch so gewählt sind, dass sie gemäß der zielsprachlichen Eigenstruktur zur richtigen Lesart instruieren. Um dies umzusetzen, sollten die Übersetzer theoretisch - wir haben ja nur beim „Tatian“ Einsicht in die genaue Vorlage - dabei besonders oft gegen die Vorlage abweichen. Latein weist solche Positionsregelungen nicht auf und Lateinschreiber brauchten sie daher nicht zu berücksichtigen. Wenn wir kurz die Phantasie spielen lassen und der Illustration halber davon ausgehen, die lateinische Vorlage unseres Musterverses Johannes 19, 27 im althochdeutschen „Tatian“ habe auch die Vorlage für den entsprechenden Vers in der mittelenglischen Übersetzung abgegeben, wird dies deutlicher. Dazu wiederhole ich Beispiel (6) und gebe die lateinische Entsprechung des Verses aus dem „Tatian“. 175 (6) And fro that our the KONJ von DET Stunde.3SG.NOM/ DAT/ AKK DET disciple took hir Jünger.3SG.NOM/ DAT/ AKK nehm.3SG.PRÄT 3SG.F.DAT/ AKK in to his modir. an als seine Mutter.3SG.NOM/ DAT/ AKK ‚Und von dieser Stunde nahm der Jünger sie als seine Mutter auf.‘ (Mittelenglisch, Wycliffe-Bibel, ~1400, Ed. Forshall & Madden [1850]) (20) & ex illa hora / / accepit eam / / discipulus In sua. und von dieser Stunde annahm sie Jünger in seine (Lateinisch; Tatian, 316, 27-29; 9. Jhdt.; Ed. Masser [1994]) 176 173 Siehe Abschnitt 2.2 und speziell Unterabschnitt 2.2.5. 174 Vgl. das in Abschnitt 2.2.4 zum Mittelenglischen Gesagte. 175 Unwahrscheinlich ist es übrigens nicht, dass dieser Wortlaut den Übersetzern der Wycliffe-Bibel bekannt war. Der Wortlaut des lateinischen Verses im althochdeutschen „Tatian“ entspricht dem der Vulgata (Biblia Sacra Vulgata 2007). Die Wortreihenfolge entspricht darüber hinaus auch der des Novum Testamentum Graece (2012) und anderen altgriechischen Editionen. Der Vers konnte nur über das Johannesevangelium in die mittelenglische Bibel gelangen und obwohl der späteren Wycliffe-Bibel wahrscheinlich mehrere Vorlagen zugrundegelegt wurden, ist es eher wahrscheinlich, dass die vorgenannten dabei waren. 176 Ed. Sievers: 206, 3. 18429_Kasper_SL5.indd 112 18429_Kasper_SL5.indd 112 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 2.5 Eigenstrukturen und Übersetzungstechniken 113 Offenbar steht in der mittelenglischen Übersetzung gemäß der mittelenglischen Eigenstruktur das finite Verb an der dritten Stelle - die Konjunktion nicht mitgezählt -, direkt neben dem Subjekt und dann gefolgt von dem Objekt, also X S V O … Hätte die lateinische Version tatsächlich die Vorlage abgegeben, hätten wir es mit einem Differenzbeleg zu tun. Im Lateinischen ist die Reihenfolge X V O S … Würde im Mittelenglischen nicht davon abgewichen, würden wir zahlreiche missverständliche Äußerungen erwarten: Fro that our took hir the disciple … (X V O S …) könnte zwar aufgrund der morphologischen Form des Objekts hir trotz quellsprachlicher Syntax noch richtig verstanden werden, aber wenn wir ein Objekt mit einem synkretischen Kasus hätten, wäre dies eine Einladung zum Falschverstehen: Fro that our took the mother/ it the disciple … Hier garantiert erst die Abweichung von der lateinischen Vorlage in den relativen Positionen der drei Elemente die richtige Interpretation. Wenn der mittelenglische Text richtig verstehbar sein soll - wovon ich in meiner Hypothese ja ausgehe -, dann können wir hier systematische Abweichungen zugunsten der mittelenglischen syntaktischen Eigenstruktur erwarten. Wenn die relativen Abfolgen, die in unseren Übersetzungen auftreten, also solche sind, die in den untersuchungsrelevanten eigenstrukturellen Aspekten einen Differenzbeleg darstellen oder in der jeweiligen Sprach(stuf)e als nativ gelten, etwa weil sie in autochthonen Texten auftauchen, dann werde ich sie so behandeln, dass sie mit der Eigenstruktur der Zielsprache vereinbar sind. Ein Beispiel für einen Satz mit originär althochdeutscher syntaktischer Eigenstruktur, der aber keinen Differenzbeleg darstellt, ist unser Mustervers Joh. 19, 27. Die relative Stellung des Verbs zu den Satzgliedern ist dennoch der Entlehnung aus dem Lateinischen unverdächtig, denn sie stellt eine häufige Reihenfolge im althochdeutschen Hauptsatz dar. Irrelevant ist dagegen, dass die Präpositionalphrase in sina in einem vorlagenunabhängigen Text möglicherweise anders ausgedrückt worden wäre. (21) Inti fon theru ziti / / Intfieng sia / / ther iungiro in sina. Lat. & ex illa hora / / accepit eam / / discipulus In sua. ‚Und von dieser Stunde an nahm sie der Jünger in (die) seine auf.‘ (Althochdeutsch; Tatian, 316, 27-29; 9. Jhdt.; Ed. Masser [1994]) 177 In anderen als den untersuchungsrelevanten Aspekten der Eigenstruktur - allen voran lateinischen Partizipialkonstruktionen und Akkusativen mit Infinitiven - darf die Zielsprache durchaus Eigenstrukturen der Quellsprache aufweisen, wie etwa ungelenke Konstruktionen mit nicht finiten Verben. Das kann, möglicherweise mit Ausnahme des Mittelenglischen, sogar für die Position von finiten Verben gelten. Wenn wir davon ausgehen dürfen, dass die relative Position des finiten Verbs keinen instruktiven Wert für die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt(en) oder zwischen verschiedenen Objekten hat, dann können wir sogar zulassen, dass die Übersetzungen auch hier Eigenstrukturen der Quellsprache aufweisen. 178 Sollten sich diese Überlegungen bestätigen, - sollten also die eigenstrukturellen Mittel der mittelalterlichen Zielsprachen hinreichen für die richtige Interpretation ihrer grammatisch eindeutigen Äußerungen -, dann müssten wir davon ausgehen, dass sich die Übersetzer bei aller Hörigkeit gegenüber den Eigenstrukturen der Vorlagen gerade bei den grammatischen 177 Ed. Sievers: 206, 3. 178 Wie die Daten in Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016) illustrieren, weisen sie diese Strukturen auch auf. 18429_Kasper_SL5.indd 113 18429_Kasper_SL5.indd 113 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 114 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Mitteln, die instruieren, was womit in welcher Beziehung stehend vorgestellt werden soll, sehr klar an die Eigenstrukturen der Zielsprache gehalten haben. Dies wiederum würde uns berechtigen, diesen Übersetzungen eine größere interpretative Unabhängigkeit von der Quellsprache zu bescheinigen, als dies gemeinhin unter dem Stichwort „bloße Verständnishilfe für den heiligen Vorlagentext“ getan wird. 2.6 Die vorgestellten generalisierten Leserinnen Am Ende des ersten Kapitels hatte ich gesagt, dass ich von den vielfältigen variablen Umständen absehen muss, unter denen die Bibelübersetzungen entstanden sind, wenn ich sie im Hinblick auf unsere Fragestellung vergleichen möchte. Neben die kulturhistorischen, theologie- und kirchengeschichtlichen, sprachhistorischen und editionstheoretischen Umstände sind nun auch, wie angekündigt, die übersetzungstechnischen getreten. Ich werde diese aber nicht ausklammern wie die anderen Unterschiede, sondern ich habe im letzten Abschnitt versucht, so etwas wie einen untersuchungsrelevanten kleinsten gemeinsamen Nenner zu kondensieren, der die Übersetzungen für uns vergleichbar macht. Dieser kleinste gemeinsame Nenner besteht letztlich in den vorgestellten generalisierten Leserinnen, die ich nun schon so oft beschworen habe. Sie verfügen über ihr je einzelsprachliches eigenstrukturelles Know-how , genauer gesagt, über die Teilaspekte dieses Know-hows , die es ihnen erlauben, beim Lesen der Bibelübersetzung in ihrer jeweiligen Sprache zu verstehen, was in den Äußerungen womit in welcher Beziehung steht. Sie lesen in der natürlichen Einstellung des (heutigen) Alltagslebens, ohne philologische, theologische, spirituelle oder anderweitige professionelle Ambitionen; sie lesen den Übersetzungstext als (in den untersuchungsrelevanten Aspekten) kommunikativ autarken Text; sie lesen nach dem wörtlichen Schriftsinn; sie lesen für sich; sie lesen problemlos und flüssig im automatischen und Routinemodus wie wir; sie lesen laut oder lautlos. Je älter die jeweilige Übersetzung ist, desto historisch inakkurater wird die Rolle einer solchen vorgestellten generalisierten Leserin. In der Tat mag oder kann der Zweck der jeweiligen Schrift nicht die Lektüre unter diesen Vorzeichen gewesen sein, aber das schließt ja eine Umfunktionierung der Texte nicht aus, sofern ich ihnen keine Eigenschaften zuschreibe, die ihnen nachweislich nicht zukommen. Wenn die Übersetzungen in den relevanten Punkten akkurat sind, dann spricht auch nichts dagegen, sich diese Akkuratheit für eine Analyse unter veränderten Vorzeichen nutzbar zu machen. 2.7 Der instruktive Wert der Prosodie beim Lesen-für-sich In früheren Abschnitten dieses Kapitels hatte ich die Prosodie als eigenstrukturelles Mittel mit instruktivem Wert genannt. Dort instruierte sie eine Leserin dazu, wie sie eine Äußerung praktisch verwerten kann. 179 Unter dem Vorzeichen, dass ich es in der Untersuchung mit geschriebenen Bibelübersetzungen zu tun haben würde, hatte ich die Prosodie in der Folge aus der Diskussion der instruktiven Mittel ausgeklammert, und zwar zugunsten derer, die eine 179 Siehe Abschnitte 2.2.1, 2.2.2 und 2.3.3. 18429_Kasper_SL5.indd 114 18429_Kasper_SL5.indd 114 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 2.7 Der instruktive Wert der Prosodie beim Lesen-für-sich 115 Leserin in der Schrift erkennt: Wortkategorien, Kasus- und Kongruenzmorphologie sowie positionale und Reihenfolgeregelungen. Diese Ausklammerung möchte ich hier sachlich begründen, zumal der Prosodie neben der Leistung „Verwerten“ noch etliche andere zukommen. 180 Ich klammere die Prosodie nicht aus dem Grund aus, dass (lautloses) Lesen keine messbaren (neuro-)phonetischen Merkmale aufwiese. Dies ist nämlich sehr wahrscheinlich falsch. Selbst beim geräuschlosen Lesen begleiten wir das Gelesene mit einer Art simulierter, stiller Prosodie. 181 Ohnehin hatte ich den vorgestellten generalisierten Leserinnen ja zugestanden, laut oder lautlos zu lesen. Überdies war es lesehistorisch so, dass es bis ins späte Mittelalter die Regel und bis ins 19. Jahrhundert immerhin nicht unüblich war, dass auch das Lesen-für-sich nicht lautlos, sondern laut vor sich ging. 182 Gerade in der Frühzeit darf man sich dieses laute Lesen aber nicht so vorstellen, wie wir heute vorlesen, sondern eher als Gemurmel, bei dem man sich - buchstaben-, silben- oder wortweise artikulierend, oft neu ansetzend und immer weitere Segmente hinzunehmend - an das bedeutungstragende Ganze heranstammelte, in 180 Vgl. Peters (2014: 53-74) für einen kurzen Überblick. 181 Von Fodor (2002: o. S.) stammt die „Implicit Prosody Hypothesis“, die ich unten aufführe. Noch früher finden sich ganz ähnliche Überlegungen in Rayner & Pollatsek (1989: 214) und Bader (1996, Kap. 7). “Implicit Prosody Hypothesis (IPH): In silent reading, a default prosodic contour is projected onto the stimulus, and it may influence syntactic ambiguity resolution. Other things being equal, the parser favors the syntactic analysis associated with the most natural (default) prosodic contour for the construction.” Die Hypothese hat seitdem Anlass zu zahlreichen empirischen Studien gegeben, die zumindest eine - eine prosodische Kontur wird auf den Stimulus „projiziert“ - dieser eigentlich mehreren Hypothesen erhärten. Neurophysiologisch messbare Entsprechungen stiller Prosodie konnten Stolterfoht et al. (2007) nachweisen. Ich möchte hier noch betonen, dass die Auflösung ( resolution ) einer syntaktischen Mehrdeutigkeit etwas völlig anderes ist, als die richtige beziehungsweise vom Schreiber intendierte Lesart zu identifizieren. Eine Mehrdeutigkeit aufzulösen heißt, eine Äußerung auf (irgend)eine Weise interpretiert zu haben, wenn irgendjemand zeigen kann - und dies muss nicht die Interpretin selbst sein - dass die Äußerung syntaktisch mehrdeutig (gewesen) ist. Ein Nebenaspekt ist, dass es meines Wissens noch weitgehend unbeantwortet ist, was die Annahme einer stillen Prosodie für die Definition von Prosodie bedeutet. Für den systemischen, funktionalen Aspekt von Prosodie ist stille Prosodie unproblematisch, aber wie ist sie auf der stofflichen, substanziellen, materiellen Seite abgrenzbar, wenn es keine akustischen, auditiven und ohne Weiteres als artikulatorisch zu bezeichnenden Korrelate gibt? 182 Vgl. Balogh (1927), Hendrickson (1929), Crosby (1936), Nelson (1976-1977) und vor allem Saenger (1982). Augustinus’ Bekenntnisse enthalten die klassische Stelle, die illustriert, wie unüblich und befremdlich stilles Lesen im (hier: frühen) Mittelalter gewesen sein muss. Hatte Ambrosius, von dem hier die Rede ist, etwas zu verheimlichen? „Die Augenblicke, in denen er allein war, nahm er entweder die notwendige Nahrung zu sich oder erholte sich durch Lesung. Wenn er aber las, dann glitten seine Augen über die Seiten, sein Herz suchte nach dem Verständnis, Stimme und Zunge aber ruhten. Oft wenn wir zugegen waren - jeder durfte bei ihm eintreten, keiner wurde angemeldet -, sahen wir ihn schweigend lesen und nie anders. Wenn wir nun längere Zeit so schweigend dagesessen - denn wer hätte es gewagt, ihm in solcher Stunde der Sammlung lästig zu fallen? -, gingen wir wieder weg; vielleicht wollte er für die kurze Zeitspanne, welche er sich für seine geistige Erholung abgewinnen konnte, müde von der Unruhe fremder Angelegenheiten, sich nicht zu anderem abrufen lassen, vielleicht verhüten, daß er einem eifrigen und genauen Zuhörer weniger klare Stellen dieser Schrift gar erklären oder über schwierigere Fragen entscheiden mußte; hätte er nämlich auch noch seine Ruhepausen dafür opfern wollen, dann wäre er überhaupt nicht zum Lesen gekommen. Aber auch die Rücksicht auf Erhaltung seiner Stimme, die ihm gar leicht heiser wurde, konnte für ihn ein mehr als gerechter Grund sein, stille zu lesen. Jedoch, in welcher Absicht er immer dies tun mochte, sicher war seine Absicht gut.“ (Augustinus, Bekenntnisse, 108-109) 18429_Kasper_SL5.indd 115 18429_Kasper_SL5.indd 115 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 116 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur etwa so, wie heute Erstklässlerinnen lesen lernen. 183 Ich hatte den vorgestellten Leserinnen aber auch zugestanden, nicht nur laut, sondern auch flüssig, automatisch und routiniert zu lesen. Der tatsächliche Grund, die Prosodie auszuklammern, muss daher ein anderer sein. Der spezielle Grund ist dieser: Ich gehe davon aus, dass unsere Leserinnen nicht von vornherein wissen, was in den neutestamentlichen Äußerungen womit in welcher Beziehung steht, dass diese Beziehungen für sie zumindest weitgehend neu sind. Nun ist es vorstellbar, dass auch die Übersetzer diese originalsprachlichen Äußerungen so übersetzten, dass sie dabei mindestens eine simulierte, stille, wenn nicht sogar wirkliche, hörbare Prosodie über ihre übersetzen Äußerungen legten. Für den einen oder anderen - vor allem die historisch jüngeren Übersetzer - mag die Aussicht, dass ihre Übersetzungen laut vorgelesen werden würden, durchaus eine Rolle dabei gespielt haben, wie sie übersetzten. Nun ist es wenigstens theoretisch denkbar, dass die Prosodie, die die Übersetzer sich dabei dachten, einen instruktiven Wert für die Frage hatte, was in der Äußerung womit in welcher Beziehung steht. Prosodische Merkmale hätten dann einen Einfluss darauf, welche Äußerungseinheiten als Subjekt und Objekt(e) und, über die syntaktischen Funktionen vermittelt, als Agens, Patiens etc. zu behandeln wären. Der entscheidende Punkt ist aber, dass diese prosodischen Merkmale, falls es sie gibt (beziehungsweise gab), im graphischen Medium der Schrift verloren gehen und von einer räumlich, zeitlich und bezüglich ihres Wissenstands entfernten Leserin aus den graphischen Hinweisen auch nicht rekonstruiert werden können. Die (wirkliche oder simulierte) Prosodie des Übersetzers braucht keineswegs mit der (wirklichen oder simulierten) Prosodie der Leserin übereinstimmen. Dafür sind die prosodischen Optionen für eine einzige geschriebene Äußerung schon zu zahlreich. 184 183 Wenn Mönche im mittelalterlichen Skriptorium also lasen, war es trotz des benediktinischen Stillegebots gar nicht still. Wie selbstverständlich das laute Lesen dabei war, kann man daran ermessen, dass Lesegeräusche nicht gegen dieses Stillegebot verstießen (vgl. Saenger 1982: 383). 184 Bei einer Durchsicht der Forschungsmeinungen, die ich in Abschnitt 2.4.2 zusammengetragen habe, fällt auf, dass sie fast alle skriptizistisch (vgl. Ágel 2003) ausgerichtet sind, denn außer im Competition Model - dort als „stress“ - wird die Prosodie kein einziges Mal genannt. Zumindest MacWhinney, Bates & Kliegl (1984) scheinen also gesicherte Erkenntnisse dazu zu haben, dass prosodische Merkmale instruktiven Wert für die Identifikation von syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen haben können. Wie zuverlässig die prosodischen Hinweise dabei sind, ist allerdings umstritten. Was man sagen kann, ist, dass prosodische Hinweise in Bezug auf die Subjekt-Objekt-Mehrdeutigkeiten, die uns interessieren, weit davon entfernt sind, die gleiche Zuverlässigkeit zu erreichen, wie es etwa Kasusmorphologie im Deutschen und Positions- und Reihenfolgeregelungen im Englischen tun. Wir hatten weiter oben gesehen, dass diese letzteren instruktiven Mittel einer Leserin oder Hörerin anzeigen, wie sie sich die betreffende Eventualität vorstellen soll, während das, was sie sich vorstellen sollen, gleichbleibt (siehe Abschnitt 2.2.2). Studien, die der Prosodie hierbei größere Zuverlässigkeit zuschreiben, sprechen nun bisweilen von so etwas wie einer prosodischen Kontur, die „typischerweise nicht-kanonische Patiens-Erst-Sätze“ anzeigt (vgl. Grünloh, Lieven & Tomasello 2011: 396). Dabei weist die erste Substantivgruppe den Hauptakzent im Satz auf, während er in „kanonischen“ Sätzen weiter hinten im Satz liegt, wie etwa in (a) Die KATZE jagt die Ziege gegenüber (b) Die Katze jagt die Ziege . Das würde bedeuten, dass auch die Prosodie hier als ein instruktives Mittel fungiert, das Interpretinnen anzeigt, wie sie die gleichen Vorstellungsinhalte vorstellen soll. In (a) würde die Katze gejagt werden, in (b) würde die Katze jagen. Allerdings ist eine solche Zuordnung von prosodischen Merkmalen und instruktivem Wert nicht so einfach, wie hier suggeriert wird. Weder sind alle nicht kanonischen Patiens-Erst-Sätze mit der Kontur in (a) assoziiert, noch ist diese Kontur auf diese Sätze beschränkt (vgl. Weber, Grice & Crocker 2006: B71). Vielmehr scheint die betreffende Kontur einen anderen, generelleren instruktiven Wert zu haben. Sie zeigt nämlich an, dass das akzentuierte Element in einem unerwarteten Zusammenhang mit dem steht, was im Kotext vorangegangen ist oder folgen wird oder was aus der außersprachlichen Situation bekannt ist. So kann Die KATZE mit der Kontur 18429_Kasper_SL5.indd 116 18429_Kasper_SL5.indd 116 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 117 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise In diesem Abschnitt werde ich nun (endlich) untersuchen, wie viele Äußerungen in unseren einzelnen Bibelübersetzungen tatsächlich morphologisch und syntaktisch eindeutig oder mehrdeutig in Bezug auf die Frage sind, was in diesen Äußerungen womit in welcher Beziehung steht. Wie ich oben ausgeführt habe, ist diese Frage hier als gleichbedeutend mit der Frage zu verstehen, wie viele Äußerungen durch die eigenstrukturellen Hinweise, die eine Sprach(stuf)e aufweist, von einer Leserin richtig interpretiert werden können. Bevor ich Zahlen zeige, möchte ich kurz die Instrumente präsentieren. 2.8.1 Vorgehen, Klassifikationskategorien, kontrollierte Bedingungen Um die Frage zu beantworten, was die jeweiligen eigenstrukturellen Hinweise in unseren Sprach(stuf)en dazu beisteuern, dass deren Äußerungen richtig interpretiert werden können, mussten die jeweiligen Texte segmentiert und die Segmente hinsichtlich eigenstruktureller Kategorien klassifiziert werden. Die Eingabe, die Segmentierung auf (Teil-)Satz- und Satzgliedebene sowie die anschließende Klassifikation der Segmente erfolgte manuell mithilfe einer webbasierten Datenbank namens „ReffMech“ (= Beziehung formaler und funktionaler Mechanismen in der Form/ Inhalts-Zuordnung). 185 in (a) auch sehr gut mit einem anderen, eher erwarteten Gegenstand kontrastiert werden, der ebenfalls als Subjekt beziehungsweise Agens hätte fungieren können, wie etwa in (c) Die KATZE [ und NICHT der Hund ] jagt die Ziege . Diese instruktive Funktion ist allerdings nicht eine solche, die dazu instruiert, wie etwas vorgestellt werden soll , sondern eine solche, die Kohärenz stiftet , indem sie der Interpretin anzeigt, dass das akzentuierte Element einer Erwartung widerspricht, die die Interpretin aufgebaut hat (wie etwa, dass der Hund die Ziege jagt). Wäre das Element nicht akzentuiert, hätte dies die Interpretin im Glauben gelassen, dass ihre aufgebauten Erwartungen adäquat sind. Vielversprechender sind die Leistungen der Prosodie bezüglich anderer Typen von Mehrdeutigkeiten. Bei Mehrdeutigkeiten, in denen es darum geht zu entscheiden, ob ein Element etwa ein Satzglied ist, noch zu einem Satzglied gehört oder bloß ein Satzgliedteil ist, etwa ein Attribut, weisen experimentelle Ergebnisse darauf hin, dass hier die Prosodie auch instruktive Hinweise darauf liefert, wie dieselben Vorstellungsinhalte vorgestellt werden sollen (vgl. etwa Price et al. 1991). Zusammengenommen dürfen wir also nicht davon ausgehen, dass es zuverlässige direkte Zuordnungen von prosodischen Merkmalen und den syntaktischen Funktionen Subjekt und Objekt gibt. 185 Die Anlage der Datenbank erlaubt vergleichende Analysen über Lekte und historische Sprachstufen einer Sprache und über typologisch weiter voneinander entfernte Sprachen. Sie umfasst neben den Daten zu den englischen und deutschen Diasystemen auch solche zum Neuirischen, Hethitischen, Aramäischen und Kymrischen und ist leicht für weitere Sprachen anpassbar. Die Dateneingabe erfolgt über ein Web-Interface über <https: / / www.regionalsprache.de>. Die Datenbank ist für alle Interessenten nach Registrierung frei zugänglich beziehungsweise benutzbar. Die Datenbankstruktur ist darüber hinaus leicht exportierbar und kann daher auch zur eigenen Implementierung weitergegeben werden. 18429_Kasper_SL5.indd 117 18429_Kasper_SL5.indd 117 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 118 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Beschreibungsebene eigenstrukturelle Kategorien Text Quellentyp, Entstehungsjahr, -ort, Sprachstufe, Dialekt, Informantenprofil etc. (Teil-)Satz Satzart Polarität Modus Diathese Satzglied/ Phrase/ Konstituente syntaktische Funktion morphologischer Kasus morphologische Kongruenz des Finitums Kategorie (Wortart, -klasse) Reihenfolge topologische Felder Tab. 2: Segmentierungsebenen und Klassifikationskategorien in der ReffMech-Datenbank Die Anwendbarkeit der verwendeten Kategorien auf alle analysierten Sprach(stuf)en und ihre einheitliche Anwendung sind durch einen theoretischen und Anwendungsleitfaden aus meiner Feder gewährleistet. 186 Für die Klassifikation der segmentierten Einheiten hinsichtlich der eigenstrukturellen instruktiven Mittel wurden auf drei Beschreibungsebenen die Klassifikationskategorien in Tabelle 2 genutzt. Eine SQL-basierte Anfragefunktion erlaubt Datenbankanfragen jeglicher Komplexität über alle genannten Kategorien und deren Ausprägungen sowie in allen denkbaren Kombinationen. Bis hierhin ist die Analyseeinheit, die uns vor allem interessiert hat, die Äußerung beziehungsweise der (Teil-)Satz gewesen. Von ihnen habe ich gesagt, für sie stelle sich die Frage, was womit in welcher Beziehung stehe und sie seien morphologisch oder syntaktisch ein- oder mehrdeutig. Diese Redeweise ist zwar nicht falsch, aber auch nicht präzise genug, und deshalb werde ich bei der folgenden Auswertung davon abweichen: Da es speziell um Mehrdeutigkeiten zwischen einem Subjekt und einem Objekt sowie um solche zwischen verschiedenen Objekten geht, ist die (Teil-)Äußerung beziehungsweise der (Teil-)Satz nicht die ideale Einheit für die Analyse. Das ist auch leicht einsehbar: Falls (Teil-)Sätze oder -Äußerungen mehrdeutig sind, können sie einfach oder mehrfach mehrdeutig sein. Hat nämlich ein (Teil-) Satz ein Subjekt und zwei Objekte, gibt es in diesem (Teil-)Satz die Beziehungen zwischen dem Subjekt und jedem der beiden Objekte und die Beziehung zwischen den beiden Objekten. Jede dieser drei Beziehungen kann morphologisch ein- oder mehrdeutig sein. Sind sie nicht alle gleichzeitig ein- oder mehrdeutig, ist die Aussage, der (Teil-)Satz sei einbeziehungsweise mehrdeutig, für die Untersuchung von sehr begrenztem Aussagewert. Sinnvoller ist es also, von vornherein nicht (Teil-)Sätze in den Korpora zu beachten, sondern stets die Beziehungen zwischen genau zwei Satzgliedern (und dem finiten Verb). Von solchen Beziehungen gibt es folglich mehr, als es (Teil-)Sätze gibt, aber jede Beziehung zwischen zwei Satzgliedern, die 186 Vgl. Kasper (2012-2015), verfügbar über <https: / / www.uni-marburg.de/ de/ fb09/ dsa/ einrichtung/ personen/ wissenschaftler/ kasper/ materialien/ reffmechleitfaden.pdf> [05.06.2019]. Der Leitfaden enthält auch weitere Klassifikationskategorien sowie mit der Wort- und Morphemebene eine weitere Beschreibungsebene. 18429_Kasper_SL5.indd 118 18429_Kasper_SL5.indd 118 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 119 ich untersuche, befindet sich innerhalb der Grenzen eines (Teil-)Satzes. Der (Teil-)Satz ist deshalb immer noch bedeutungsvoll, aber eher in forschungspraktischer als in theoretischer Hinsicht. Entsprechend dem Untersuchungsgegenstand wurden auch nicht alle (Teil-)Sätze unserer vier neutestamentlichen Kapitel analysiert, sondern nur diejenigen, die finit sind und die mehrdeutig zwischen einem Subjekt und einem Objekt oder zwischen zwei Objekten sein können. 187 Für die Beziehung zwischen Subjekten und Objekten muss darüber hinaus noch das finite Verb beachtet werden, da es bei zwei kasusmorphologisch möglichen Kandidaten für die Subjektfunktion das Subjekt potentiell immer noch über Person- und Numerusinformationen identifizierbar macht. Wir sind also interessiert an der Wirksamkeit der einzelnen eigenstrukturellen Hinweise in der Interpretation, an ihrer Wirksamkeit für jede einzelne unserer Sprach(stuf)en, im Sprach- und im historischen Vergleich, zwischen verschiedenen Satzgliedbeziehungen - zum Beispiel Subjekt und direktes Objekt, Subjekt und indirektes Objekt, direktes und indirektes Objekt -, mit wirklichen und imaginären Satzgliedern und so weiter. All diese Interessen bringen es mit sich, dass ich mehr analysieren muss, als mich eigentlich interessiert: Beispielsweise können Subjekte, die durch ein finites Verb vom Rest des Satzes getrennt sind, in Bezug auf ihre Interpretation als Subjekte einen anderen Status haben als Subjekte, für die dies nicht gilt, wie etwa in Verbletztsätzen - daher muss ich die Satzart beziehungsweise die Stellung des Verbs in den Untersuchungsbedingungen berücksichtigen; in den Reihenfolgen zwischen Subjekten und Objekten kann es für die Interpretation eine Rolle spielen, ob man es mit einem direkten oder indirekten Objekt zu tun hat - deshalb muss ich Objekttypen unterscheiden; ob eine beobachtete Reihenfolge von zwei Satzgliedern tatsächlich mehrdeutig ist, kann auch davon abhängen, welcher Wortart und -klasse sie angehören - daher müssen auch diese erfasst werden; weiter oben sahen wir, wie unterschiedlich es sich auf die Interpretation auswirken kann, ob man es mit einem wirklichen oder einem imaginären Satzglied zu tun hat; und dergleichen mehr. Daraus resultiert eine recht große Anzahl an Faktoren, die zu berücksichtigen sind und die über die drei, die wir in früheren Abschnitten isoliert haben - Wortkategorien, Kasus- und Kongruenzmorphologie sowie Reihenfolge (Kombinierbarkeit und relative Positionen) - deutlich hinausgehen. Um in der Darstellung die Übersicht über sie zu behalten, bezeichne ich verschiedene Faktoren mit Symbolen, um sie abzukürzen. Dies ist in Tabelle 3 illustriert. Römische Ziffern unterscheiden die Satzgliedbeziehungstypen, die wir uns anschauen werden. Arabische Ziffern geben die konkrete Reihenfolge beziehungsweise Konfiguration zwischen diesen Satzgliedern an sowie die Frage, ob die Satzglieder realisiert oder imaginär sind. Bei Letzteren wird eine Analyse der Reihenfolge nicht vorgenommen. Großbuchstaben kombinieren Satzartmit Mehrdeutigkeitsinformationen morphologischer Art, Kleinbuchstaben mit solchen syntaktischer Art. Nullstellen sind durch Ø symbolisiert, bei > geht das linksstehende Element dem rechtsstehenden Element in einer (linear gedachten geschriebenen) Äußerung voran. 187 Aussagen wie „In den und den Kapiteln im Matthäusevangelium sind im Mittelhochdeutschen acht Prozent der Sätze mehrdeutig“ verbieten sich daher. 18429_Kasper_SL5.indd 119 18429_Kasper_SL5.indd 119 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 120 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Satzgliedbeziehung Reihenfolge/ Konfiguration Satztyp u. morphol. Eindeutigkeit Satztyp u. syntakt. Eindeutigkeit Ausprägung I 1-10 A-F a-f S und DO (inkl. S_Ø und DO_Ø) II 1-10 A-F a-f S und IO (inkl. S_Ø und DO_Ø) III 1-10 A-F a-f S und O (inkl. S_Ø und DO_Ø) I/ II/ III 1 A-F a-f S > DO/ IO/ O (V) I/ II/ III 2 A-F a-f S > DO/ IO/ O (V_ Ø) I/ II/ III 3 A-F a-f DO/ IO/ O > S (V) I/ II/ III 4 A-F a-f DO/ IO/ O > S (V_Ø) I/ II/ III 5 A-F a-f S_Ø-- DO/ IO/ O (V) I/ II/ III 6 A-F a-f S-- DO/ IO/ O_Ø (V) I/ II/ III 7 A-F a-f S_Ø-- DO/ IO/ O (V_Ø) I/ II/ III 8 A-F a-f S_Ø-- DO/ IO/ O_Ø (V) I/ II/ III 9 A-F a-f S-- DO/ IO/ O_Ø (V_Ø) I/ II/ III 10 A-F a-f S_Ø-- DO/ IO/ O_Ø (V_Ø) IV 1-5 A-F a-f IO und DO (inkl. IO_Ø und DO_Ø) V 1-5 A-F a-f IO und O (inkl. IO_Ø und O_Ø) VI 1-5 A-F a-f DO und O (inkl. DO_Ø und O_Ø) IV/ V/ VI 1 A-F a-f IO > DO/ IO > O/ DO > O IV/ V/ VI 2 A-F a-f DO > IO/ O > IO/ O > DO IV/ V/ VI 3 A-F a-f IO_Ø-- DO/ IO_Ø-- O/ DO_Ø-- O IV/ V/ VI 4 A-F a-f IO-- DO_Ø/ IO-- O_Ø/ DO-- O_Ø IV/ V/ VI 5 A-F a-f IO_Ø-- DO_Ø/ IO_Ø-- O_Ø / DO_Ø-- O_Ø I-VI 1-10/ 1-5 A a-f Hauptsatz morphol. eindeutig I-VI 1-10/ 1-5 B a-f Nebensatz morphol. eindeutig I-VI 1-10/ 1-5 C a-f Relativsatz morphol. eindeutig I-VI 1-10/ 1-5 D a-f Hauptsatz morphol. mehrdeutig I-VI 1-10/ 1-5 E a-f Nebensatz morphol. mehrdeutig I-VI 1-10/ 1-5 F a-f Relativsatz morph. mehrdeutig I-VI 1-10/ 1-5 A-F a Hauptsatz syntakt. eindeutig I-VI 1-10/ 1-5 A-F b Nebensatz syntakt. eindeutig I-VI 1-10/ 1-5 A-F c Relativsatz syntakt. eindeutig I-VI 1-10/ 1-5 A-F d Hauptsatz syntakt. mehrdeutig I-VI 1-10/ 1-5 A-F e Nebensatz syntakt. mehrdeutig I-VI 1-10/ 1-5 A-F f Relativsatz syntakt. mehrdeutig Tab. 3: Kontrollierte Bedingungen 18429_Kasper_SL5.indd 120 18429_Kasper_SL5.indd 120 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 121 Eine Untersuchungsbedingung kann so durch eine Formel bezeichnet werden, die gegenüber dem, was sie symbolisiert, erheblich handlicher ist. Diese Formeln werden in den Legenden der Datenvisualisierungen zum Einsatz kommen. Die Abbildungsunterschriften werden die abgebildeten Daten aber ausführlich beschreiben. Beispielbedingung Erklärung II 1,2D-F,a-c ‚Subjekt vor indirektem Objekt mit wirklichem oder imaginärem Finitum in morphologisch mehrdeutigem und syntaktisch eindeutigem Haupt-, Neben- oder Relativsatz‘ Tab. 4: Beispielbedingung mit Erklärung S, DO, IO und O stehen für das Subjekt, das direkte Objekt, das indirekte Objekt und das „bloße“ Objekt. Instanzen von O sind solche Objekte, die infinitivgruppen- oder satzwertig sind. Ein Beispiel ist: Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, daß er mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schickte? 188 Der Teil von ich bis zum Ende des ganzen Satzes ist zugleich Objekt zu Oder meinst du und Teilsatz, der wiederum Satzglieder hat. Als Teilsatz hat er wiederum als Objekt den Äußerungsteil von daß bis zum Ende, der selbst wiederum ein Teilsatz ist und eine Binnenstruktur mit Satzgliedern hat. Solche Objekte wie der uneingeleitete ich -Nebensatz und der daß -Nebensatz sind natürlich streng genommen ebenfalls direkte oder indirekte Objekte, unterscheiden sich aber von normalen DOs und IOs dadurch, dass sie keine morphologischen Markierungen tragen und dass sie eine Binnenstruktur haben, für die sich wieder die Frage stellt, was darin womit in welcher Beziehung steht. Als solche Instanzen von O sind auch direkte Reden klassifiziert wie das Segment nach dem Doppelpunkt in Es söll d Schrift in Erfülig gaa, wo säit: si händ müni Chläider under siich vertäilt … 189 O von IO und DO zu trennen, ist daher zwar redundant, da diese Trennung bereits durch die Kategorie „Kategorie“ geschieht, sie hat aber praktische Vorteile bei der Präsentation der Ergebnisse. Ich gehe die Untersuchung gestaffelt an. In diesem Abschnitt behandle ich die eigenstrukturellen Hinweise. Die außergrammatischen Hinweise folgen später. Bei den eigenstrukturellen Hinweisen betrachte ich nun zuerst die Morphologie, von deren instruktivem Wert ich ausgehe, und danach die Reihenfolge, auch unter Berücksichtigung syntaktischer Kategorien. Den instruktiven Wert der Reihenfolge werde ich erst ermitteln. Die Ergebnisse der Klassifikation können hier in ihrer Gesamtheit nicht übersichtlich dargestellt werden. Ich werde also eine aussagekräftige Teilmenge der Daten visualisieren und diskutieren. Bei der Präsentation der Ergebnisse bewegen wir uns bei jeder Ergebnisstaffel vom Ganzen zu seinen Teilen, das heißt von Zahlen, die viele der Untersuchungsbedingungen umfassen, hin zu Zahlen, die nur für eine spezielle Bedingung gelten. 188 Neuhochdeutsch; Bibel; Matthäus 26, 53; Luther/ EKD (1984). 189 Hochalemannisch; S Nöi Teschtamänt; Johannes 19, 24; Weber (1997). ‚Es soll die Schrift in Erfüllung gehen, die (be)sagt: Sie haben meine Kleider unter sich aufgeteilt.‘ 18429_Kasper_SL5.indd 121 18429_Kasper_SL5.indd 121 20.08.2020 10: 55: 14 20.08.2020 10: 55: 14 122 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur 2.8.2 Morphologische Mehrdeutigkeit Zentral für das Untersuchungsziel ist unter anderem, morphologische Formen zu erfassen, die potentiell zur morphologischen Mehrdeutigkeit von (Teil-)Sätzen führen. Dafür wurde für jedes Subjekt und Objekt angegeben, welche Kasuskategorie die gegebene morphologische Form des Satzglieds im Flexionsparadigma der jeweiligen Sprach(stuf)e repräsentieren kann und nicht, welche sie im konkreten syntaktischen Kontext tatsächlich repräsentiert beziehungsweise welche intendiert ist. Genauso wurde mit Verben bei der Frage verfahren, mit welchen nominalen Satzgliedern sie kongruieren. 2.8.2.1 Übersicht Ich beginne mit einer Übersicht über die Anteile morphologisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen über die Untersuchungsbedingungen hinweg. Abb. 9: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen, über alle Satzgliedbeziehungen, Konfi gurationen und Satztypen hinweg Abbildung 9 zeigt, dass die Anteile morphologisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen zwischen den Sprach(stuf)en relativ stark variieren, zwischen etwa 13,5 % im Althochdeutschen und 26,2 % im Nordniederdeutschen. Für eine nordniederdeutsche Leserin wäre also etwa jeder vierte Satz mehrdeutig, wenn sie sich nur auf die morphologischen Markierungen verließe. 190 Bei einem erneuten Blick auf die morphologischen Paradigmen des Altenglischen, Althochdeutschen und der anderen älteren Sprachstufen des Deutschen ist dennoch zu fragen, wie so viele morphologisch mehrdeutige Sätze in ihnen zustande kommen. Die Antworten bekommen wir, wenn wir, wie im Folgenden in Abbildung 10 und Abbildung 11, die Konfi gurationen 190 Ae. und Me.: χ 2 = 19,6; p < ,001; Ahd. und Halem.: χ 2 = 15,4; p < ,001; Mhd. und Nhd.: χ 2 = 17,1; p < ,001. Hier wie in allen folgenden χ 2 -Tests betragen die Freiheitsgrade 1, N ergibt sich jeweils aus den Werten für die verglichenen Sprachstufen (hier: in Abbildung 9). Signifi kanz besteht bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,1 % ab einem Residuum von +/ -3,29, von 1 % ab einem Residuum von +/ -2,58 und von 5 % ab einem Residuum von +/ -1,96. Bei folgenden Signifi kanztests orientiere ich mich am restriktiven Signifi kanzniveau p < ,001. 18429_Kasper_SL5.indd 122 18429_Kasper_SL5.indd 122 20.08.2020 10: 55: 15 20.08.2020 10: 55: 15 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 123 der Satzgliedbeziehungen danach trennen, ob Subjekte und Objekte realisiert sind oder ob mindestens eines der beiden Satzglieder ein imaginäres ist. Die morphologisch mehrdeutigen Beziehungen in den älteren Sprachstufen entfallen in hohem Maße auf die Satzgliedbeziehungen mit imaginären Satzgliedern und in weitaus geringerem Maße auf die Beziehungen mit realisierten Satzgliedern (Ausnahme: Mittelenglisch). In den drei jüngeren Sprach(stuf)en klaff en die beiden Bedingungen weit weniger stark auseinander. 191 Abb. 10: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen, für alle Satzgliedbeziehungen mit wirklichen Satzgliedern Abb. 11: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen, für alle Satzgliedbeziehungen mit mind. einem imaginären Satzglied 191 Verglichen werden jeweils die Verteilungen für eine Sprachstufe in Abbildung 10 und Abbildung 11: Ae.: χ 2 = 63,7; p < ,001; Me.: χ 2 = 70; p < ,001; Ahd.: χ 2 = 85,9; p < ,001; Mhd.: χ 2 = 76,7; p < ,001; Fnhd.: χ 2 = 66; p < ,001; Nhd.: χ 2 = 8,6; p = ,003; Halem.: χ 2 = 0,4; p = ,523; Nnd.: χ 2 = 5,8; p = ,016. 18429_Kasper_SL5.indd 123 18429_Kasper_SL5.indd 123 20.08.2020 10: 55: 17 20.08.2020 10: 55: 17 124 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Unter Berücksichtigung der historisch beweglichen Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur und der Flexionsparadigmen der älteren und jüngeren Sprach(stuf)en war dies erwartbar: Weiter oben haben wir gesehen, dass die Leistungsgrenzen der sprachlichen Eigenstruktur sich vor allem in Äußerungen mit Nullstellen zeigen, also in solchen, in denen wir imaginäre Satzglieder annehmen müssen. 192 Die imaginären Satzglieder treten vor allem in Konjunktsätzen auf und anders als in den jüngeren Sprachstufen ist die Lesart dieser Konjunktsätze in den älteren Sprachstufen nicht in gleichem Maße durch die morphologische (und syntaktische) Struktur ihrer Partnersätze mit realisierten Satzgliedern festgelegt. 193 In den drei jüngeren Sprach(stuf)en können Leserinnen die morphologischen Formen der Subjekte, Objekte und Verben aus den vollständigen Partnersätzen im Geiste in den unvollständigen hinüberkopieren, die älteren Sprachstufen muten den Leserinnen hier theoretisch bei den Subjekten und Objekten morphologische (und syntaktische) Ungleichheiten zu. 194 Aus diesem Grund war es erwartbar, dass der Anteil morphologisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen historisch abnimmt, wenn wir die Beziehungen mit mindestens einem imaginären Satzglied betrachten. 195 Ebenso erwartbar war die Zunahme an morphologischer Mehrdeutigkeit bei vollständigen Satzgliedbeziehungen, und zwar auf Basis der unterscheidbaren Formen in den Flexionsparadigmen der einzelnen Sprach(stuf)en. Die unterscheidbaren Formen nehmen vom Altzum Mittelenglischen und vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen ab. 196 Im Vergleich zu Letzterem weisen das Hochalemannische und Nordniederdeutsche noch einmal weniger unterscheidbare Formen auf. Damit steigt mit dem historischen Fortgang auch die Wahrscheinlichkeit, dass aus morphologisch mehrdeutigen Formen morphologisch mehrdeutige Sätze zusammengesetzt werden. 2.8.2.2 Differenzierung nach Satzgliedbeziehungen (I-VI) Überprüfen wir nun, wie sich die Verhältnisse darstellen, wenn wir nach Satzgliedbeziehungen differenzieren. Ignorieren wir zunächst die Objekt-Objekt-Beziehungen und schauen uns die Beziehungen zwischen Subjekten und den drei Objekttypen (DO, IO, O) an. Bei diesen Beziehungen ist die Form des Finitums immer mitberücksichtigt. Im Vergleich zur Verteilung über alle Satzgliedbeziehungen hinweg (Abbildung 9) zeigt sich nun in Abbildung 12 eine Veränderung beim Nordniederdeutschen, nämlich ein Rückgang der morphologisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen. 197 Wir können daraus schließen, dass die hier fehlenden mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen solche zwischen zwei Objekten sind. Das ist nicht überraschend, wenn wir bedenken, dass sich in den betroffenen Flexionsparadigmen die Objektskasus immer eine Form teilen. 198 192 Siehe Abschnitt 2.3.2 zur beweglichen Grenze der Eigenstruktur. 193 Im althochdeutschen „Tatian“ wurden, wie bereits ausgeführt, Subjekte verstärkt auch abseits von Koordinationen weggelassen. 194 Für unsere Phase des Mittelenglischen und unsere Textsorte betreffen die Ungleichheiten möglicherweise den Numerus, aber kaum den hier relevanten Kasus (vgl. Roberts 1937). 195 Eine Zusatzannahme ist dafür nötig, nämlich dass Nullstellen zwischen den Übersetzungen weitgehend erhalten bleiben. 196 Siehe Abschnitt 2.3.4 und Anhang. 197 Nnd.: χ 2 = 15,7; p < ,001. 198 Siehe Anhang zum Nordniederdeutschen. Obwohl die morphologische Verallgemeinerung auch für das Mittelenglische gilt, resultieren dennoch nicht viele morphologisch mehrdeutige Objekt-Objekt-Beziehungen. Mehr dazu weiter unten in diesem Abschnitt. 18429_Kasper_SL5.indd 124 18429_Kasper_SL5.indd 124 20.08.2020 10: 55: 17 20.08.2020 10: 55: 17 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 125 Abb. 12: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und allen Objekttypen Unter den Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten machen die S-DO-Beziehungen den Großteil aus, deshalb weichen die relativen Anteile morphologisch eindeutiger und mehrdeutiger S-DO-Beziehungen nicht nennenswert von denen für alle Subjekt-Objekt-Beziehungen zusammen ab (nicht abgebildet). Gravierend weichen von diesen aber die S-IO-Beziehungen in Abbildung 13 ab. Da sie quantitativ weit hinter den S-DO-Beziehungen und teilweise unter 100 Belegen bleiben, sind hier absolute Verhältnisse abgebildet. Wir sehen, dass es in den Teilkorpora so gut wie gar keine morphologisch mehrdeutigen S-IO-Beziehungen gibt. Das hängt daran, dass indirekte Objekte durch den Dativ und selten auch durch den Genitiv repräsentiert werden und diese in den Flexionsparadigmen fast nie mit der Nominativform des Subjekts zusammenfallen. Tun sie es doch, wie im Mittelenglischen und Nordniederdeutschen, in denen der Dativ und der Akkusativ sowie der resultierende Dativ-Akkusativ und der Nominativ sich in einigen Wortklassen eine Form teilen, dann passiert Folgendes: Im Mittelenglischen wird die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Objekten nahezu hinfällig, weil die beiden Objekttypen nicht zusammen auftreten und sich im Einzelauftreten syntaktisch nicht voneinander unterscheiden. Die beiden Objekttypen gehen dann in der Klassifi kationskategorie „direktes Objekt“ auf. 199 Im Nordniederdeutschen gibt es Anlass, die beiden Objekttypen zu unterscheiden und S-IO-Mehrdeutigkeiten sind auf Basis der Flexionsparadigmen theoretisch auch erwartbar, aber sie treten kaum auf. Das liegt eher nicht an der Umsicht Jessens als Übersetzer, weil er andernorts Mehrdeutigkeiten produziert, sondern eher daran, dass die einzelnen Formen aus den Flexionsparadigmen nicht gleich wahrscheinlich in einer Äußerung kombiniert werden. Der Fall, dass eins der beiden Satzglieder als Pronomen und ein anderes als Substantiv auftritt, ist viel wahrscheinlicher als der, dass beide Satzglieder als volle Substantiv(grupp)e(n) auftreten; und niederdeutsche Pronomen weisen im Unterschied zu den Artikel- und Substantivparadigmen viele unterscheidbare Nominative auf. (In den restlichen Sprach(stuf)en weisen mindestens die Artikelparadigmen mehr unterscheidbare 199 Der einzige Beleg im Mittelenglischen fi ndet sich in Matthäus 27, 34 mit And thei ʒauen hym to drynke wyne meynd with galle ; wörtl. ‚Und sie gaben ihm zu trinken Essig vermischt mit Galle‘. 18429_Kasper_SL5.indd 125 18429_Kasper_SL5.indd 125 20.08.2020 10: 55: 17 20.08.2020 10: 55: 17 126 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Formen auf.) Dies ist in den folgenden drei Übersetzungen aus Matthäus 26, 21 illustriert. Mit vollen Substantivgruppen würden im Nordniederdeutschen und Mittelenglischen fast sicher morphologisch mehrdeutige Subjekt-Objektbeziehungen resultieren, im Frühneuhochdeutschen aber viel weniger wahrscheinlich. (22) Warlich / Jch sage euch / [ … ] 1SG.NOM 2PL.DAT/ AKK (Frühneuhochdeutsch, Biblia, Luther [1545]) (23) Ick will ju wat seggen, [ … ]: 1SG.NOM 2PL.DAT/ AKK (Nordniederdeutsch, Dat nie Testament, Jessen [[1933] 2006]) (24) Treuli Y seie to ʒou, [ … ] 1SG.NOM zu 2PL.DAT/ AKK (Mittelenglisch, Wycliff e-Bibel, ~1400, Ed. Forshall & Madden [1850]) Abb. 13: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten Was die Beziehungen zwischen Subjekten und bloßen Objekten (O) in Abbildung 14 angeht, so bringen O-Instanzen anders als indirekte und direkte Objekte nie eine unterscheidbare Objektform mit. Sie sind gar nicht kasusmarkiert und sind so ihrer Form nach immer gleich wahrscheinlich Subjekte oder Objekte. Wodurch S-O-Beziehungen morphologisch eindeutig werden können, sind unterscheidbare Nominativformen, eine Pluralmarkierung oder eine solche der 1. oder 2. Person am Verb, denn damit kann ein O nicht kongruieren, weil es immer 3. Person Singular ist. Unterscheidbare Nominativformen treten aber nur dort auf, wo ein 18429_Kasper_SL5.indd 126 18429_Kasper_SL5.indd 126 20.08.2020 10: 55: 18 20.08.2020 10: 55: 18 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 127 Subjekt tatsächlich realisiert und nicht nur ein imaginäres ist, oder dort, wo die Form eines imaginären Subjekts aus einem vollständigen Partner(teil-)satz kopiert werden kann. Letzteres ist nur in den jüngeren Sprach(stuf)en der Fall. Morphologisch eindeutige S-O-Beziehungen sind also bei realisierten Satzgliedern dort zu erwarten, wo Subjekte mit einer 3. Person Singular eine von O unterscheidbare Form aufweisen. Das ist, wie die Grafi k zeigt, im Altenglischen und in den historischen Sprachstufen des Deutschen der Fall. Abb. 14: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen realisierten Subjekten und realisierten O-Instanzen Was ist im Mittelenglischen und in den jüngeren Sprachstufen anders? Zunächst ist zu bemerken, dass ein Großteil der O-Instanzen auf eine direkte Rede infolge eines Verbs des Sagens entfällt. Wenn das Subjekt eines Verbs des Sagens ausgedrückt und nicht nur imaginär ist - Letzteres im bibeltypischen … und Ø sagte: „…“ -, dann ist es oftmals mit einem Eigennamen besetzt: J(h)esus/ Judas/ Pilatus antwortete: „…“ Eigennamen sind nun in den Sprach(stuf)en, die in der obigen Grafi k nur wenige morphologisch mehrdeutige S-O-Beziehungen aufweisen, noch fl ektiert und haben unterscheidbare Nominativformen. Dies änderte sich beim Übergang vom Altenglischen zum Mittelenglischen und vom Frühneuhochdeutschen zum Neuhochdeutschen. 200 Das Bild verschiebt sich, wenn wir in Abbildung 15 die S-O-Beziehungen mit mindestens einem imaginären Satzglied betrachten. In dieser Bedingung ist in den Daten immer S das 200 Eine Namenfl exion, die den Subjekt- und die Objektkasus unterscheidet, ist in der Biblia von 1545 und in der Wycliff e-Bibel nicht (mehr) konsequent durchgeführt. In der Biblia lautet es Jhesus und Pilatus (Nom.) versus Jhesum und Pilatum (Akk.) (siehe neben den untersuchten Kapiteln Lk. 23, 1), aber mitunter Judas und Joseph (Nom./ Akk.) (s. Lk. 6, 16; Lk. 22, 3; Mk. 3, 16 ff . beziehungsweise Mt. 1, 16; Mt. 2, 13). So ist es auch in die Klassifi kation eingegangen. In der Wycliff e-Bibel unterscheidet sich die Flexion von Jhesus evangelienweise, was auf verschiedene Übersetzer hinweisen könnte. Im Johannesevangelium ist Jhesus bei 195 Fällen nur einmal Objekt ( Joh. 6, 19) und wurde im entsprechenden Teilkorpus als Nominativ klassifi ziert. Jhesu ist in einem Viertel der Fälle Subjekt und zu drei Vierteln Objekt, wurde hier also als Nom./ Gen./ Dat./ Akk. klassifi ziert. Im Matthäusevangelium ist Jhesus immer Subjekt und Jhesu ist in einem von 37 Fällen Subjekt (Mt. 27, 37), ansonsten Objekt. Ich habe hier entschieden, Jhesus als Nom. und Jhesu als Gen./ Dat./ Akk. zu klassifi zieren. 18429_Kasper_SL5.indd 127 18429_Kasper_SL5.indd 127 20.08.2020 10: 55: 19 20.08.2020 10: 55: 19 128 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur imaginäre Satzglied, nie O, und die Bedingung enthält prominent die genannten Fälle von … und Ø sagte: „…“ Hier gilt folglich, was bereits weiter oben zur Leistungsgrenze der sprachlichen Eigenstruktur gesagt wurde. Diese Konstruktionen sind in den historischen Sprachstufen morphologisch mehrdeutig, wenn das fi nite Verb eine Form der 3. Person Singular aufweist, weil dann das intendierte O auch als Subjekt in Frage käme. In den drei jüngeren, nicht aber in den älteren Sprach(stuf)en kann sich die Leserin die Form der betreff enden Gegenstandsvorstellung aus dem vollständigen Partnerteilsatz holen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass nun die älteren Sprach(stuf)en des Deutschen wieder mehr Mehrdeutigkeiten aufweisen als die modernen. Abb. 15: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen, mit mindestens einem imaginären Satzglied Wenden wir uns nun von den Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten ab und den Beziehungen zwischen verschiedenen Objekten zu. Hier ist es inhaltlich nicht sinnvoll, die drei verschiedenen Beziehungstypen (IO - DO, IO - O, DO - O) zusammenzufassen und der Blick auf die Konfi gurationen mit mindestens einem imaginären Satzglied lohnt sich nicht, weil diese kaum auftreten. Bei der Beziehung zwischen indirekten und direkten Objekten in Abbildung 16 begegnet uns der Ausnahmestatus des Mittelenglischen und des Nordniederdeutschen in Bezug auf die Objekte wieder: Mittelenglisch weist keine Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten auf. Wo wir in anderen Sprach(stuf)en indirekte Objekte fi nden, die einen Genitiv oder Dativ tragen und direkt vom Verb abhängen, fi nden wir im Mittelenglischen präpositional markierte Objekte, die aufgrund der Präposition von vornherein nicht mit einem direkten Objekt verwechselt werden können und deshalb auch nicht in die Auszählung mit eingegangen sind. Im Nordniederdeutschen teilen sich Dativ und Akkusativ in allen Wortarten und -klassen die gleiche Form; in keinem der 62 Fälle sind die indirekten und direkten Objekte anhand ihrer morphologischen Form unterscheidbar. 18429_Kasper_SL5.indd 128 18429_Kasper_SL5.indd 128 20.08.2020 10: 55: 20 20.08.2020 10: 55: 20 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 129 Abb. 16: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten In Bezug auf die Beziehung zwischen IO- und O-Instanzen in der folgenden Abbildung 17 gilt für das Mittelenglische und Nordniederdeutsche das schon eben Gesagte. Ansonsten gibt es auch in den anderen Sprachstufen etliche morphologisch mehrdeutige Belege, da die O-Instanzen anders als direkte Objekte keine unterscheidbare Akkusativform zum (Teil-)Satz beisteuern können. Zudem fällt das Althochdeutsche mit seiner schieren Anzahl an Belegen auf, die nicht bloß darauf zurückzuführen ist, dass der „Tatian“ aufgrund seines Harmoniencharakters Satzgliedbeziehungen enthält, die in den analysierten Kapiteln der anderen Übersetzungen fehlen. Vielmehr weist das Althochdeutsche bei den IO-O-Beziehungen jede Menge freie Dative als indirekte Objekte auf, wo seine lateinische Vorlage und die anderen Übersetzungen gar kein ausgedrücktes Satzglied aufweisen. Abb. 17: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen realisierten indirekten Objekten und realisierten O-Instanzen 18429_Kasper_SL5.indd 129 18429_Kasper_SL5.indd 129 20.08.2020 10: 55: 21 20.08.2020 10: 55: 21 130 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Von den DO-O-Beziehungen (nicht abgebildet) ist in den Teilkorpora keine morphologisch eindeutig. Das hängt daran, dass alle O-Instanzen syntaktisch eigentlich direkte Objekte sind und sich deswegen wenig überraschend ihrer Kasusspezifi kation nach nicht von anderen direkten Objekten unterscheiden. 2.8.2.3 Diff erenzierung nach Satztypen (AD, BE, CF) Wir berücksichtigen nun auch den Satztyp bei den Anteilen morphologisch ein- und mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen. Hier ist zu beachten, dass die Nebensatzkategorien (B und E) nicht die Relativsätze enthalten, da diese eigens analysiert werden (C und F). Der Grund für die Trennung ist, dass Relativpronomen meistens auch eins der untersuchten Satzglieder repräsentieren, während das für sonstige Nebensatzeinleiter nicht der Fall ist. Bei den Satzgliedbeziehungen zwischen Subjekten und den drei Objekttypen sehen wir weder bei den Hauptsätzen in Abbildung 18 noch bei den Nebensätzen (nicht abgebildet) etwas, das auff ällig von dem abweichen würde, was wir bereits in Abbildung 12 gesehen haben, in der wir nicht zwischen den Satztypen diff erenzierten. Abb. 18: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und allen Objekttypen in Hauptsätzen Da die Verteilung in Abbildung 18 durch deren Frequenz bereits stark von der Beziehung zwischen Subjekten und direkten Objekten geprägt ist, zeigt sich bei diesen (nicht abgebildet) auch kein großer Einfl uss des Satztyps auf die Verteilung morphologisch eindeutiger und mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen - mit Ausnahme des Hochalemannischen; dazu unten mehr. Was sich ebenfalls aus den vorherigen Beobachtungen fortsetzt, ist, dass Mehrdeutigkeiten vor allem in den Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten sowie den Subjekten und O-Instanzen auftreten. Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten sind dagegen in allen Satztypen wieder hochgradig eindeutig (alle drei nicht abgebildet). Bei den Relativsätzen sind die Anteile ein- und mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen bei allen Sprach(stuf)en mit Ausnahme des Hochalemannischen unauff ällig. Im Hochaleman- 18429_Kasper_SL5.indd 130 18429_Kasper_SL5.indd 130 20.08.2020 10: 55: 21 20.08.2020 10: 55: 21 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 131 nischen sind Relativsätze im Vergleich mit den anderen beiden Satztypen besonders häufi g morphologisch mehrdeutig, wie Abbildung 19 zeigt. Abb. 19: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und allen Objekttypen in Relativsätzen Die Ursache liegt zum einen im zürichdeutschen Relativierer wo . Als Partikel fl ektiert wo nicht nach den entscheidenden Kategorien Kasus und Numerus und tritt für relativierte Subjekte, direkte Objekte und (nur theoretisch) O-Instanzen auf. Bei indirekten Objekten wird wo mit Personalpronomen kombiniert, wodurch die Kombination gegen Subjekte und direkte Objekte und O-Instanzen unterscheidbar wird, wie beispielsweise in won em ‚dem‘ oder won ene ‚denen‘. Im Löwenanteil der Relativsätze fungiert wo aber als Subjekt oder direktes Objekt; folglich sind diese Sätze im Hochalemannischen besonders häufi g morphologisch mehrdeutig, sogar häufi ger als im Mittelenglischen, das neben who zumindest noch whom besitzt, und im Nordniederdeutschen, das im häufi g verwendeten maskulinen Singular der 3. Person de und den unterscheidet. Zum anderen weisen die Relativsätze als zweites fragliches Satzglied neben dem Relativpronomen oder der Relativpartikel besonders häufi g ein ebenfalls pronominal ausgedrücktes auf. Hier bleibt die Zahl unterscheidbarer Formen im Hochalemannischen ebenfalls deutlich hinter denen des Mittelenglischen und Nordniederdeutschen zurück. Dass diese Verschiebung bei den hochalemannischen Relativsätzen nur auf die Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten zurückzuführen sind, bestätigt sich, wenn wir die Relativsätze in Abbildung 20 und Abbildung 21 noch nach Objekttypen unterscheiden, nachfolgend zunächst mit Subjekt und direktem Objekt. 18429_Kasper_SL5.indd 131 18429_Kasper_SL5.indd 131 20.08.2020 10: 55: 22 20.08.2020 10: 55: 22 132 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 20: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten in Relativsätzen Bei der Beziehung zwischen Subjekten und indirekten Objekten in Relativsätzen sehen wir das, was wir bereits bei der Übersicht über alle Satztypen in Abbildung 13 gesehen haben: weitgehende morphologische Eindeutigkeit. Abb. 21: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten in Relativsätzen Die Bedingung mit Subjekt und bloßem O, die theoretisch häufi g mehrdeutig sein sollte, tritt im Relativsatz kaum auf (nicht abgebildet). Die Diff erenzierung nach Satztypen ist bis hierhin lediglich für das Hochalemannische ergiebig gewesen. Sie ist aber ebenfalls von Bedeutung für die Verteilung von Satzgliedbeziehungen mit imaginären Satzgliedern. Diese kommen fast ausschließlich in Hauptsätzen vor 18429_Kasper_SL5.indd 132 18429_Kasper_SL5.indd 132 20.08.2020 10: 55: 23 20.08.2020 10: 55: 23 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 133 und kaum in Nebensowie Relativsätzen, wie Abbildung 22 exemplarisch am Frühneuhochdeutschen illustriert. Abb. 22: Absolute Verteilung der Beziehungen zwischen einem Subjekt und einem Objekt (DO/ IO/ O) auf Hauptsätze (links), Nebensätze (Mitte) und Relativsätze (rechts) im Frühneuhochdeutschen, mit mindestens einem imaginären Satzglied Die relativen Anteile morphologisch ein- und mehrdeutiger Beziehungen zwischen imaginären Subjekten und O-Instanzen entsprechen daher weitgehend dem Bild in Abbildung 15, bei dem nicht nach Satztypen diff erenziert ist. Für die Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten liefert die Diff erenzierung nach Satztypen abseits der genannten Ergebnisse nichts, was nennenswert von den Ergebnissen abweichen würde, bei denen wir nicht diff erenziert haben. Schauen wir daher in Abbildung 23 auf die nach Satztypen diff erenzierten Beziehungen zwischen Objekten und dabei auf diejenigen zwischen indirekten und direkten Objekten. Nur ein Befund weicht von den Ergebnissen ab, die sich bereits beim Zusammenfassen der Satztypen ergaben. (Dort zeigte sich vor allem, dass diese Beziehungen im Mittelenglischen ganz fehlen und im Nordniederdeutschen immer mehrdeutig sind.) Anders als in Haupt- und Nebensätzen überwiegen in altenglischen Relativsätzen die morphologisch mehrdeutigen die morphologisch eindeutigen Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten. Dies kommt, ähnlich wie bei hochalemannischen Relativsätzen mit S und DO, dadurch zustande, dass zu den Formzusammenfällen zwischen Dativen und Akkusativen, die es im Altenglischen in den Paradigmen der Personalpronomen der 1. und 2. Person ohnehin gibt, im Relativsatz noch eine Relativpartikel hinzukommt, die in der 3. Person alle Kasus und Numeri repräsentiert: þe/ đe . 18429_Kasper_SL5.indd 133 18429_Kasper_SL5.indd 133 20.08.2020 10: 55: 24 20.08.2020 10: 55: 24 134 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur (25) [ … ] þe đu me REL.3SG/ PL.NOM/ GEN/ DAT/ AKK 2SG.NOM 1SG.DAT/ AKK sealdest geb.2SG.PRÄT ‚(von denen,) die du mir gabst‘ ‚(von denen,) denen du mich gabst‘ (Altenglisch; Wessex Gospels; Johannes 18, 9; ~ 1000; Ed. Liuzza [1994]) Abb. 23: Absolute Verteilung von morphologisch eindeutigen (dunkel) und mehrdeutigen (hell) Beziehungen zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten im Altenglischen, verteilt auf Satztypen Für die IO-O- und DO-O-Beziehungen (nicht abgebildet) gilt das, was bereits zu Abbildung 17 gesagt wurde, wo die Satztypen in der Analyse zusammengefasst sind: Sie sind erwartbar selten eindeutig. Ohnehin treten diese Beziehungen fast ausschließlich in Hauptsätzen auf. 2.8.2.3 Zusammenfassung zur Kasus - und Kongruenzmorphologie Morphologisch mehrdeutige Satzgliedbeziehungen treten in allen untersuchten Sprach(stuf)en auf, aber in verschiedenem Ausmaß und nicht gleichermaßen in allen Untersuchungsbedingungen. Bei realisierten Satzgliedern steigt ihr Anteil von den älteren zu den jüngeren Sprach(stuf)en und zwischen der neuhochdeutschen Standardsprache und den beiden jungen Dialekten tendenziell an. Einen Schub an morphologischer Mehrdeutigkeit hat der Wegfall der Namenfl exion sowohl im Englischen als auch im Deutschen bewirkt, auch Relativsatzeinleiter ohne Kasusspezifi kationen machen sich in den Daten bemerkbar. In Satzgliedbeziehungen mit mindestens einem imaginären Satzglied weisen dagegen die älteren Sprach(stuf)en die höheren Anteile an morphologisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen auf, da die Interpretation dieser meist koordinativen Beziehungen in höherem Grade unabhängig von der Struktur der Partnerteilsätze ist, als dies in den jüngeren Sprach(stuf)en der Fall ist. Der Formzusammenfall bei den Objektkasus führt im Mittelenglischen dazu, dass Konstruktionen mit indirekten 18429_Kasper_SL5.indd 134 18429_Kasper_SL5.indd 134 20.08.2020 10: 55: 25 20.08.2020 10: 55: 25 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 135 und direkten Objekten nicht auftreten, und im Nordniederdeutschen dazu, dass alle diese Konstruktionen morphologisch mehrdeutig sind. Damit, die Morphologie einer Sprach(stuf)e globalistisch als „kollabiert“, „verloren“, „vorhanden“ oder „intakt“ zu bezeichnen, hat man also im gleichen Maß recht wie unrecht, also im Ganzen unrecht. Mit anderen Worten, die synchrone globale Perspektive liefert für unsere Fragestellung keine sinnvollen Begriffe. Morphologisch eindeutige Formen auf der einen und morphologisch mehrdeutige Formen auf der anderen Seite trennen nicht grammatische Systeme voneinander, sondern sie verlaufen quer durch die Äußerungen einer Sprach(stuf)e, weil sie quer durch die Flexionsparadigmen und meistens sogar quer durch jedes einzelne Paradigma laufen. Der erste Teil der Teilhypothese, derzufolge in den Bibelübersetzungen Äußerungen auftreten, die morphologisch und syntaktisch mehrdeutig sind, kann nun als bestätigt gelten: Morphologische Informationen stehen unseren Leserinnen in diesen Äußerungen für die richtige Interpretation nicht zur Verfügung. 2.8.3 Syntaktische Mehrdeutigkeit (Reihenfolge) Kommen wir zum zweiten Teil der These, der syntaktischen Mehrdeutigkeit. In einem früheren Abschnitt hatte ich gelobt, hinsichtlich des instruktiven Werts der Reihenfolge in unseren Sprach(stuf)en keine Vorentscheidungen zu treffen. 201 Dies war das Ergebnis meines Überblicks über die gängigen Ansichten zur Dynamik der eigenstrukturellen Hinweise gewesen. Dabei hatte sich gezeigt, dass die Zuschreibungen eines instruktiven Werts an die grammatische Morphologie und die Satzgliedreihenfolge in der Literatur meistens entweder global an die gesamte Sprach(stuf)e erfolgt oder lokal an Teilmengen von Äußerungen in einer Sprach(stuf)e. Wieder andere Stimmen sprechen der Reihenfolge, aber nie der grammatischen Morphologie den instruktiven Wert global in Abhängigkeit davon ab, wie ausgeprägt die grammatische Morphologie einer Sprach(stuf)e ist, wobei dann offen geblieben ist, wie dies zu quantifizieren ist. Offen war auch geblieben, ob es in historischer Perspektive ein kausales Verhältnis zwischen den beiden eigenstrukturellen Hinweistypen gibt, und wenn ja, wessen Wandel den Wandel des anderen verursacht. Die Alternative dazu, der Reihenfolge von vornherein (k)einen instruktiven Wert für ein ganzes grammatisches System zuzuschreiben, sollte sein, über die Einzeläußerungen zu gehen. In Bezug auf die Morphologie habe ich das bereits getan und ich habe wenig überraschend gezeigt, dass es unmöglich ist, unsere Sprach(stuf)en in globalistischer Sprechweise dahingehend zu klassifizieren, dass „ihre Morphologie“ „kollabiert“ oder „verloren“ wäre oder eben nicht. Vielmehr hat sich gezeigt, dass ein Riss zwischen unterscheidbaren morphologischen Formen und ununterscheidbaren Formen in allen Sprach(stuf)en durch so gut wie alle morphologischen Paradigmen verläuft. Da diese Formen innerhalb von Äußerungen mit syntaktischen Funktionen besetzt sind, verläuft ein Riss folglich auch zwischen morphologisch eindeutigen und mehrdeutigen Äußerungen beziehungsweise Satzgliedbeziehungen, die in den jeweiligen Sprach(stuf)en untersucht werden. Was nun bei der Satzgliedreihenfolge das Gehen über die Einzeläußerungen in unseren Teilkorpora betrifft, so folgt zunächst eine Bestandsaufnahme der vorfindbaren Reihenfolgen zwischen den untersuchten Satzgliedbeziehungen. Auch hier gehe ich vom Allgemeinen zum 201 Siehe Abschnitt 2.4.3. 18429_Kasper_SL5.indd 135 18429_Kasper_SL5.indd 135 20.08.2020 10: 55: 25 20.08.2020 10: 55: 25 136 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Speziellen. Zunächst unterscheide ich noch nicht nach der syntaktischen Kategorie der Satzglieder und nach der relativen Position des Verbs, sondern berücksichtige sie erst im zweiten Schritt. Wie bereits erwähnt, erfasse ich relative Satzgliedreihenfolgen nur bei solchen Satzgliedpaaren, bei denen beide Satzglieder realisiert sind. Das sind bei Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten die Konfi gurationen 1-4 und bei Beziehungen zwischen Objekten die Beziehungen 1 und 2. Bei der Diskussion der Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur haben wir aber gesehen, dass die syntaktische Strukturierung auch bei Satzgliedbeziehungen mit imaginären Satzgliedern relevant sein kann, den Konfi gurationen 5-10 beziehungsweise 3-5. Ihnen widme ich mich im Anschluss an die vollständig realisierten Satzgliedbeziehungen. 2.8.3.1 Übersicht Ein Blick auf die Satzgliedbeziehungen zwischen Subjekten und allen drei Objekttypen zeigt in Abbildung 24 über alle Satztypen hinweg, dass es in jeder Sprach(stuf)e beide Satzgliedreihenfolgen gibt, dass die Reihenfolge mit dem Subjekt vor dem jeweiligen Objekttyp aber stark überwiegt. Dennoch gibt es in jeder Sprach(stuf)e gewisse Anteile der umgekehrten Reihenfolge. Abb. 24: Absolute und relative Anteile von S > IO/ DO/ O- (dunkel) und IO/ DO/ O > S-Beziehungen (hell) Die verschiedenen Beziehungen zwischen Objekten sind eigentlich zu heterogen, um sie sinnvoll zusammenzufassen, aber für die Illustration der Reihenfolgevariation mag es legitim sein. Die Zusammenfassung in Abbildung 25 zeigt, dass mit Ausnahme des Mittelenglischen auch die Objekt-Objekt-Beziehungen in beiden möglichen Reihenfolgen auftreten. 18429_Kasper_SL5.indd 136 18429_Kasper_SL5.indd 136 20.08.2020 10: 55: 25 20.08.2020 10: 55: 25 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 137 Abb. 25: Absolute Anteile von IO > DO-/ IO > O-/ DO > O-Beziehungen (dunkel) und den umgekehrten DO > IO-/ O > IO-/ O > DO-Beziehungen (hell) 2.8.3.2 Diff erenzierung nach Satzgliedbeziehungen (I-VI) Die Diff erenzierung nach Satzgliedbeziehungen in Abbildung 26 zeigt zunächst im Falle von solchen zwischen Subjekten und direkten Objekten, dass die Übersichtsgrafi k in Abbildung 24 stark von dieser Konfi guration geprägt ist, aber auch, dass bei direkten Objekten allein aber ein höherer Anteil von O > S-Reihenfolgen besteht als bei allen drei Objekttypen zusammengenommen. Abb. 26: Absolute und relative Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) 18429_Kasper_SL5.indd 137 18429_Kasper_SL5.indd 137 20.08.2020 10: 55: 27 20.08.2020 10: 55: 27 138 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Zwischen Subjekten und indirekten Objekten zeigt sich in Abbildung 27 außer im Mittelenglischen, in dem ich nur einen einzigen Beleg für diese Konfi guration fi nde, ein ähnliches Bild. Abb. 27: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) Wenig überraschend sind die Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen in Abbildung 28 bezüglich ihrer Reihenfolge homogener. Tatsächlich gibt es nur eine einzige Stelle - im althochdeutschen „Tatian“ -, die als O > S-Konfi guration interpretiert werden kann, aber nicht muss, weil die syntaktische Gliederung mehrdeutig ist. 202 202 Diese Stelle stammt aus Johannes 13, 7 und fi ndet sich nur in der Evangelienharmonie „Tatian“ (Ed. Masser: 270, 5-6, Ed. Sievers: 155, 3). (Die Kapitel des „Tatian“ enthalten neben den Stoff en, die denen von Johannes 18 und 19 sowie Matthäus 26 und 27 in den anderen Übersetzungen entsprechen, noch weitere Verse aus den anderen Evangelien.) Sie lautet folgendermaßen: (1) Intiquad imo thaz ih tuon / / [ thaz ] niuueistu nu . und-sagte ihm dass/ was ich tue das nicht-verstehst-du jetzt & dicit ei. quod ego facio / / [ Ø ] tu nescis modo. a. ‚Und (er) sagte ihm: „[Dass ich das tue,] O verstehst du jetzt (noch) nicht.“‘ b. ‚Und (er) sagte ihm: „[[Was ich tue,] das] DO verstehst du jetzt (noch) nicht.“‘ Ich habe den Satz mit der Struktur aus Interpretation a. analysiert, auch wenn die Lesart b. auf Grundlage des Zeilenumbruchs plausibler sein mag. Die anderen Übersetzungen strukturieren hier ihre Teilsätze untereinander nicht auf die gleiche Weise (meine Klammerungen entsprechen a. und b. oben): (2) [ … ] and cwaedh to him. thu nast nu [ thaet ic do ] [ … ] (Altenglisch) (3) [ … ] and seide to hym, [ What Y do ] , thou wost not now ; (Mittelenglisch) (4) [ … ] und sprach zů ime: [[ „Waz ich tů, ] des ] inweistû nů niht: [ … ] (Mittelhochdeutsch) (5) [ … ] vnd sprach zu jm / [[ Was ich thu / ] das ] weissestu jtzt nicht / (Frühneuhochdeutsch) (6) [ … ] und sprach zu ihm: [[ Was ich tue, ] das ] verstehst du jetzt nicht; (Neuhochdeutsch) (7) [ … ] Du begriiff sch iez nööd, [ was ich mache, ] [ … ] (Hochalemannisch) (8) [ … ] un sä: „ [[ Wat ick do, ] dat ] versteist du nich, [ … ] (Nordniederdeutsch) 18429_Kasper_SL5.indd 138 18429_Kasper_SL5.indd 138 20.08.2020 10: 55: 27 20.08.2020 10: 55: 27 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 139 Abb. 28: Absolute Anteile von S > O- (dunkel) und O > S-Beziehungen (hell Das Verhältnis der Reihenfolgen zwischen indirekten und direkten Objekten in Abbildung 29 ist im Vergleich zu denjenigen zwischen Subjekten und Objekten ausgeglichener. Abb. 29: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) Sobald aber eine O-Instanz involviert ist, ist diese sowohl in Beziehungen mit indirekten als auch mit direkten Objekten (wieder) stets das spätere Satzglied (nicht abgebildet). 2.8.3.3 Diff erenzierung nach morphologischer Mehrdeutigkeit Ich nehme die Diff erenzierung nach morphologischer Mehrdeutigkeit wieder mit in die Analyse hinein. Die Ergebnisse sind von höchster theoretischer Relevanz, denn sie entscheiden über die Hypothese der lokalen Betrachtungsweise, derzufolge die Reihenfolge bei morphologisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen einspringt, um die Identifi kation der Subjektfunktion beziehungsweise der agentivischeren Rolle zu gewährleisten. Früher hatten wir bereits 18429_Kasper_SL5.indd 139 18429_Kasper_SL5.indd 139 20.08.2020 10: 55: 29 20.08.2020 10: 55: 29 140 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur gesehen, dass diese Kompensationsfunktion bei globaler Betrachtungsweise eines ganzen grammatischen Systems nicht beobachtet werden kann, sondern dass morphologische Mehrdeutigkeit quer durch die Paradigmen und folglich die Äußerungen einer Sprach(stuf)e verläuft. Wir schauen auch gleich auf die spezifi schen Satzgliedbeziehungen und beginnen von vorn mit denjenigen zwischen Subjekten und direkten Objekten in Abbildung 30. Abb. 30: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch eindeutigen S > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch eindeutigen DO > S-Beziehungen (hell) Durchaus erwartbar ist der Befund nach der lokalen Offl ine-Betrachtungsweise, dass beide Satzgliedreihenfolgen auftreten, wenn die Satzgliedbeziehung morphologisch eindeutig ist. Abb. 31: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch mehrdeutigen S > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch mehrdeutigen DO > S-Beziehungen (hell) 18429_Kasper_SL5.indd 140 18429_Kasper_SL5.indd 140 20.08.2020 10: 55: 31 20.08.2020 10: 55: 31 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 141 Die Höhe der Balken in Abbildung 31 zeigt, dass sich die Anzahl der morphologisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen zwischen den Sprach(stuf)en unterscheidet, aber egal, wie viele es davon gibt, immer weisen sie beide Satzgliedreihenfolgen auf, wenn auch in variablen Anteilen. 203 Das Bild bei den Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten unterscheidet sich stark davon. Das gilt noch nicht für die Reihenfolgen bei morphologisch eindeutigen Satzgliedbeziehungen in Abbildung 32. Aber die absolute Anzahl morphologisch mehrdeutiger Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten beträgt über die Teilkorpora hinweg lediglich drei (nicht abgebildet; in ihnen geht das Subjekt jeweils voran). Abb. 32: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch eindeutigen S > IO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch eindeutigen IO > S-Beziehungen (hell) Die Betrachtung der Reihenfolgen zwischen einbeziehungsweise mehrdeutigen Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen lohnt nicht, da die Objekt-erst-Reihenfolge bis auf die eine mögliche Ausnahme im Althochdeutschen im Korpus nicht auftritt. Bereits früher hatten wir gesehen, dass Satzgliedbeziehungen fast immer morphologisch eindeutig sind, wenn ein indirektes Objekt beteiligt ist. Eine systematische Ausnahme bildete das Nordniederdeutsche. Insofern könnte man erwarten, dass sich die anderen Sprach(stuf)en nach der lokalen Offl ine-Sichtweise auch beide Reihenfolgen zwischen indirekten und direkten Objekten leisten können. Sie treten tatsächlich beide auf, wie Abbildung 33 zeigt, und zwar in relativ ähnlichen Anteilen im Vergleich zu Subjekt-Objekt-Beziehungen. Im mittelenglischen Teilkorpus tritt diese Satzgliedbeziehung gar nicht auf, wie wir bereits gesehen haben. 203 Für keine der Sprachstufen ist der Unterschied zwischen den beiden Bedingungen signifi kant bei p < ,01. 18429_Kasper_SL5.indd 141 18429_Kasper_SL5.indd 141 20.08.2020 10: 55: 31 20.08.2020 10: 55: 31 142 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 33: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch eindeutigen IO > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch eindeutigen DO > IO-Beziehungen (hell) Im Nordniederdeutschen, in dem wir nur morphologisch mehrdeutige Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten fi nden, würde die lokale Offl ine-Betrachtungsweise vorhersagen, dass die Reihenfolge als instruktiver Hinweis fungiert, damit eine Leserin die beiden Objekttypen unterscheiden und zuverlässig identifi zieren kann. Wir sehen aber in Abbildung 34 beide Reihenfolgen. Abb. 34: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch mehrdeutigen IO > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch mehrdeutigen DO > IO-Beziehungen (hell) In der bis hierhin angewendeten Aufl ösungsstufe fi nden wir also nicht nur keine Kompensationsleistung der Satzgliedreihenfolge bei morphologischer Mehrdeutigkeit, sondern gar keinen instruktiven Charakter dieses Aspekts der sprachlichen Eigenstruktur. 18429_Kasper_SL5.indd 142 18429_Kasper_SL5.indd 142 20.08.2020 10: 55: 32 20.08.2020 10: 55: 32 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 143 2.8.3.4 Diff erenzierung nach Satztypen (AD, BE, CF) Ich werde den Grad der Diff erenzierung erhöhen und zusätzlich nach Satztypen unterscheiden. Im Vergleich zum vorherigen Abschnitt zeigt sich dabei aber nicht viel Relevantes. Es ist aber zu beobachten, dass Relativsätze häufi ger die Objekt-erst-Reihenfolge aufweisen als die anderen beiden Satztypen. Dies illustrieren die folgenden drei Grafi ken am Beispiel des direkten Objekts in seiner Beziehung zum Subjekt. Da, wie sich im vorherigen Abschnitt gezeigt hat, morphologisch mehrdeutige Satzgliedbeziehungen auch dann auftreten, wenn die Reihenfolge variabel ist, fällt nicht nur ein großer Teil von Objekt-vor-Subjekt-Beziehungen, sondern auch ein großer Teil von morphologisch mehrdeutigen Objekt-vor-Subjekt-Beziehungen auf Relativsätze. In Abbildung 35, Abbildung 36 und Abbildung 37 entspricht oben in der Legende vorne im Diagramm und unten in der Legende entspricht hinten im Diagramm. Abb. 35: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) S > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > S-Beziehungen in Hauptsätzen 18429_Kasper_SL5.indd 143 18429_Kasper_SL5.indd 143 20.08.2020 10: 55: 33 20.08.2020 10: 55: 33 144 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 36: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) S > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > S-Beziehungen in Nebensätzen Abb. 37: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) S > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > S-Beziehungen in Relativsätzen Bei den Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten ist der Unterschied zwischen Haupt-, Neben- und Relativsätzen nicht sehr informativ. Am ehesten fällt auf, dass der Anteil von DO-vor-IO-Reihenfolgen in Relativsätzen - bei geringer Belegzahl - relativ gesehen höher ist als in den anderen beiden Satztypen, wie Abbildung 38 und Abbildung 39 zeigen. Bei den Relativsätzen hängt dies daran, dass der Relativierer eher in der Funktion des direkten als in der des indirekten Objekts auftritt. 18429_Kasper_SL5.indd 144 18429_Kasper_SL5.indd 144 20.08.2020 10: 55: 34 20.08.2020 10: 55: 34 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 145 Abb. 38: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) IO > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > IO-Beziehungen in Haupt- und Nebensätzen zusammengenommen Abb. 39: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) IO > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > IO-Beziehungen in Relativsätzen 2.8.3.5 Diff erenzierung nach syntaktischen Kategorien und Verbposition Wie gestalten sich die Satzgliedreihenfolgen, wenn wir dabei die Wortarten der Satzglieder sowie ihre relative Position zum fi niten Verb berücksichtigen? Wir haben gesehen, dass morphologisch mehrdeutige Satzgliedbeziehungen nicht nur in einer, sondern in beiden von zwei möglichen Reihenfolgen auftreten und dass die Reihenfolge danach kein instruktives Mittel für die Interpretation sein kann. Es könnte allerdings sein, dass die Position des Verbs relativ zu den beiden Satzgliedern oder deren Wortart eine Rolle spielen. Prinzipiell ist es möglich, dass Satzgliedbeziehungen, die mit bestimmten Wortarten und mit einer bestimmten Position 18429_Kasper_SL5.indd 145 18429_Kasper_SL5.indd 145 20.08.2020 10: 55: 36 20.08.2020 10: 55: 36 146 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur des finiten Verbs auftreten, nur in einer der beiden Reihenfolgen vorkommen und andere Kombinationen aus Satzgliedwortarten und Verbposition auf die andere Reihenfolge beschränkt sind. Um dies einigermaßen übersichtlich darstellen zu können, habe ich Unterklassen der Wortarten zu größeren Klassen zusammengefügt, so dass nur N(omen) und PRO(nomen) unterschieden werden. In die beiden Oberklassen fallen die folgenden Unterklassen: Oberklasse Unterklasse N Appellativum, Proprium PRO Personalpronomen, Klitikum, Demonstrativpronomen, Indefinitpronomen, Interrogativpronomen, Relativpronomen Tab. 5: Zusammenfassung von Wortklassen zu größeren Einheiten Ebenso werden drei verschiedene Positionen des finiten Verbs relativ zu den Satzgliedern unterschieden, wobei die Satzglieder die genannten Werte N und PRO annehmen können. (X) steht für ein beliebiges Satzglied jenseits des finiten Verbs und den analysierten Subjekten und Objekten der Bedingungen I bis VI, also beispielsweise adverbiale Bestimmungen. 1. (X) V … Satzglied … Satzglied 2. (X) Satzglied … Satzglied … V 3. (X) Satzglied V … Satzglied Nach dieser Einteilung gibt es bei der Beziehung zwischen zwei Satzgliedern vier mögliche Kombinationen von N und PRO: beide N; beide PRO; eins N, eins PRO und umgekehrt. Wenn man diese Möglichkeiten auf die drei möglichen Verbpositionen verteilt, ergeben sich zwölf mögliche Konfigurationen für eine Satzgliedreihenfolge in einer Sprach(stuf)e. Daher erscheint es angezeigt, jede Sprach(stuf)e gesondert zu betrachten. Bei den Beziehungen zwischen Objekten werde ich die Verbposition nicht berücksichtigen, deshalb bleibt es hier bei den vier Kombinationsmöglichkeiten für die Wortartenoberklassen. Für jede Sprachstufe werden zunächst die zwölf Bedingungen für die Beziehungen zwischen Subjekten und direkten und Subjekten und indirekten Objekten dargestellt. In jedem dazugehörigen Diagramm gibt es von links nach rechts drei Viererblöcke. Jeder Viererblock stellt eine der drei Bedingungen 1) bis 3) oben dar. Jeder Block besteht wiederum aus den vier Kombinationen der Wortartenoberklassen. Nach den Zwölferdiagrammen mit Subjekt- und Objektbeteiligung folgt in jeder Sprach(stuf)e mit Ausnahme des Mittelenglischen ein Diagramm mit den vier Bedingungen für die Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten. Für das Mittelenglische gibt es nur ein Zwölferdiagramm für die S-DO-Beziehungen, da indirekte Objekte in dieser Sprachstufe keine Rolle spielen. Ich werde dabei auf Auffälligkeiten eingehen und die instruktive Rolle der Reihenfolge unter Berücksichtigung der Wortart und Verbposition erörtern. Je spezifischer die Bedingungen sind, die wir betrachten, desto weniger Belege werden wir für sie finden. Deshalb sollten wir aus der Abwesenheit einer Konfiguration aus Satzgliedreihenfolge, Verbposition und Wortarten noch nicht schließen, dass es diese Konfiguration nicht gibt. Aus diesem Grund werde ich bei den folgenden Analysen hin und wieder einen Seitenblick in andere Studien werfen, die ähnliche Konstruktionen, wenn auch mit anderen Untersuchungszielen, analysiert haben, und zwar immer dann, wenn eine Kombination aus Wortarten 18429_Kasper_SL5.indd 146 18429_Kasper_SL5.indd 146 20.08.2020 10: 55: 36 20.08.2020 10: 55: 36 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 147 und Verbposition häufig, das heißt, in etwa zehn Mal in einer Reihenfolge, aber gar nicht in der umgekehrten Reihenfolge auftritt. 204 Bei der Interpretation der folgenden Diagramme sind die Skalierung und die Maximalwerte auf der y -Achse zu berücksichtigen. Gleiche Balkenhöhen in zwei Diagrammen bedeuten nicht unbedingt gleiche Auftretenshäufigkeiten. 2.8.3.5.1 Altenglisch Für das Altenglische hat sich bereits gezeigt, dass direkte und indirekte Objekte Subjekten vorangehen können. In Abbildung 40 und Abbildung 41 sehen wir, dass sich dies auch bei allen Verbpositionen im altenglischen Teilkorpus zeigt, aber nicht mit allen Wortartenkombinationen. Für den linken Viererblock mit Verberst- oder -zweitstrukturen zeigt sich bei den Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten und zwischen Subjekten und indirekten Objekten, dass Strukturen mit vorangehendem Objekt lediglich mit pronominalen Objekten (und nominalen Subjekten) auftreten. Wir finden hier insgesamt wenige Belege, aber ich sehe auch nichts, weswegen man sie im Altenglischen für unmöglich halten sollte. 205 Eine vergleichbare Studie wie meine hier hat bei dieser relativen Verbposition beim ersten Satzglied anscheinend ebenfalls nur pronominale Objekte gefunden, aber auch bei mutmaßlich geringer Belegzahl. 206 204 In Bezug auf Reihenfolgen zwischen Satzgliedern sind viele andere Studien aber leider oft von begrenztem Wert. Ihr Erkenntnisinteresse gilt theoriebedingt selten der Deutung und Deutbarkeit von Strukturen, sondern nur den Strukturen selbst. Wenn Reihenfolgen zu diesen Strukturen gehören, stehen solche zwischen Subjekten und finiten Verben oder zwischen finiten Verben und Objekten im Mittelpunkt. Sie bieten dann zwar Zahlen zu diesen Reihenfolgen, möglicherweise auch zu (X) S V (X)beziehungsweise (X) V S (X)-Strukturen, aber dabei bleibt offen, ob es sich bei einem X um ein Objekt handelt, und wenn ja, um was für eines. 205 Der Beleg mit vorangehendem direktem Objekt lautet đa geseah hyne oþer wyln ; ‚da sah ihn (eine) andere Frau‘, Mt. 26, 71. Die Vulgata und der lateinische Text des „Tatian“ führen hier vidit eum alia ancilla auf, wörtl. ‚sah ihn andere Magd‘. Es gibt allerdings auch Belege für diese Konstruktion mit pronominalem Objekt, die des Einflusses der lateinischen Syntax unverdächtig sind, so etwa Ondswarede him mon , ‚Antwortete ihm einer‘, Bede, Ecclesiastical History of the English People (spätes 9. Jhdt.), Satz 1787, zit. in Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016: 311-312). Der Beleg mit indirektem Objekt beginnt mit einer Negation und lautet ne beo þe nan þing gemæne ongen þisne rihtwisan ; wörtl. ‚Nicht sei dir ein Ding gemeinsam wider diesen Gerechten.‘, Mt. 27, 19. Die Vulgata und Tatian lauten hier nihil tibi / / & justo illi ‚Nichts (sei) dir und/ mit diesem Gerechten (gemeinsam)‘, Ed. Masser: 311, 5-6, Ed. Sievers: 199, 5. 206 Vgl. Bech (2001/ 2002: 137). 18429_Kasper_SL5.indd 147 18429_Kasper_SL5.indd 147 20.08.2020 10: 55: 36 20.08.2020 10: 55: 36 148 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 40: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Altenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Im mittleren Viererblock mit Verbletztstrukturen fi nden wir in den Satzgliedbeziehungen zwischen Subjekten und direkten beziehungsweise indirekten Objekten ebenfalls jeweils beide möglichen Reihenfolgen. Dabei sind aber alle vorfi ndlichen (X) DO/ IO S V-Strukturen solche, bei denen das Objekt als ( H ) w -Satzglied oder als Relativpronomen oder -partikel ausgedrückt ist. 207 Ein Seitenblick in vergleichbare Studien erweist aber, dass diese Beschränkung kein Strukturmerkmal der altenglischen altwestsächsischen Grammatik ist und dass eine Leserin folglich nicht ausschließen darf, dass es sich um eine Subjekt-erst-Struktur handelt, wenn das erste Satzglied einer anderen Wortartenober- oder -unterklasse angehört. 208 Konfi gurationen mit zwei nominalen Satzgliedern sind insgesamt selten, aber Verbletztstrukturen außerhalb unseres Auswahltextes, aber noch innerhalb des Neuen Testaments zeigen, dass sie auch mit vorangehendem direktem Objekt möglich sind. 209 207 Ein Beispiel mit direktem Objekt ist ( ne-gehyrst-þu ) -hu-fela-sagena-hig-ongen-þe-secgeađ . ‚Hörst du nicht, wie viele Anschuldigungen sie gegen dich vorbringen? ‘, Mt. 27, 13. Ein Beispiel mit indirektem Objekt ist ( an … ) þæs-eare-sloh-petrus-of; ‚(einer …,) dessen Ohr Petrus abgeschlagen hatte‘, Joh. 18, 26. 208 Vgl. Bech (2001/ 2002: 123-124), Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016: 77-80). Schon Lukas 9, 26 der „Wessex Gospels“ enthält hier ein Demonstrativpronomen als direktes Objekt: ( Se đe me and mine spæca forsyhđ, ) đone mannes sunu forsyhþ, ‚(Derjenige, der mich und meine Worte verschmäht,) den verschmäht der Menschensohn.‘ 209 Ein Beispiel ist Matthäus 10, 5, wo es lautet Ðas twelf se hælend sende him bebeodend[e] [ … ], wörtl. ‚Diese Zwölf Jesus sandte, ihnen befehlend (…)‘. In der Vulgata heißt es hier hos duodecim misit Iesus praecipiens eis [ … ], wörtl. ‚Diese Zwölf sandte Jesus, befehlend ihnen (…)‘. Falls die Vulgata hier die Vorlage abgegeben hätte, was wir nicht wissen, so sähen wir hier zwei Abweichungen in der Reihenfolge, nämlich in der Verbstellung und in der Partizipialkonstruktion. Wenn solche Abweichungen hier möglich gewesen wären, dann könnten wir mutmaßen, dass auch ein Tausch der Positionen von Subjekt und direktem Objekt möglich gewesen sein sollte, falls die lateinische Abfolge der genuin Altenglischen widersprochen hat. Andernorts sehen wir solche - hypothetischen - Modifi kationen (z. B. Johannes 19, 20: hunc ergo tiulum [DO] multi [S] legerunt Iudaeorum [ … ] gegenüber Manega đæra iudea [S] ræddon þiss gewrit [DO] [ … ], ‚Diesen Titel lasen daraufhin viele Juden‘). 18429_Kasper_SL5.indd 148 18429_Kasper_SL5.indd 148 20.08.2020 10: 55: 36 20.08.2020 10: 55: 36 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 149 Abb. 41: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Altenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Auch bei den Verbzweit- und -drittstrukturen im rechten Viererblock sind die Objekte, wenn Sie den Subjekten vorangehen, überwiegend, aber nicht ausschließlich ( H ) w -Satzglieder und die entsprechenden Äußerungen Fragen. 210 Es scheint also, dass die Leserin auf Basis der Wortarten und der Verbposition nicht zuverlässig darauf schließen kann, welches Satzglied Subjekt oder Objekt ist. Ein noch genauerer Blick in die Daten off enbart allerdings, dass die häufi gen PRO PRO-Strukturen nur unter bestimmten Bedingungen mit vorangehendem Objekt auftreten. Ich werde auf diese Bedingungen bei der Diskussion der mittelhochdeutschen Daten eingehen, da diese in Reihenfolgeaspekten nicht mehr so eng an der mutmaßlichen lateinischen Vorlage orientiert sind und eine zuverlässigere Charakterisierung dieser Bedingungen erlauben. Die im altenglischen Teilkorpus enthaltenen Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten lassen sich so charakterisieren, dass das Objekt, das pronominal auftritt, in der Regel vorangeht. Das indirekte Objekt tritt dabei fast immer als Pronomen auf, das direkte häufi ger auch als Gattungs- oder Eigenname. Wenn beide Objekte Pronomen sind, geht tendenziell das direkte Objekt voran. Die Belegzahl ist allerdings nicht sehr hoch, wie aus Abbildung 42 ersichtlich ist. Befunde von anderen Studien gehen kaum explizit auf die Wortarten der Objekte ein, stimmen aber damit überein, dass eine Leserin keine der beiden Reihenfolgen zwischen indirekten und direkten Objekten ausschließen kann, womit der Reihenfolge wahrscheinlich kein instruktiver Wert zukommt. 211 210 Eine Ausnahme ist Matthäus 27, 12: And-mid-þy-đe-hyne wregdon þæra sacerda ealdras and þa hlafordas. ( nan þing he ne andswarode ); wörtl. ‚Und mit dem [Instrumental] das(s) ihn verklagten die Hohepriester und die Ältesten, (keine Sache er nicht antwortete)‘, ‚Und als ihn die Hohepriester und Ältesten anklagten, (antwortete er nichts (darauf))‘. Falls hier der lateinische Wortlaut der Vulgata zugrundeliegt - ein Passivsatz -, handelt es sich um einen Diff erenzbeleg und damit nicht unwahrscheinlich um eine originär altenglische Struktur ( et cum accusaretur a principibus sacerdotum et senioribus nihil respondit ). 211 Vgl. Fries (1940), Koopman (1993), Allen (1995, 2006). Hier ist jeweils ein Beleg für jede Satzgliedreihenfolge. Die entsprechenden Verse der Vulgata sind mitaufgeführt, obwohl, wie bereits gesagt, nicht klar ist, ob die Vulgata als Vorlage gedient hat. Andere altenglische Textstellen entsprechen dem Vulgata-Text. Daher illustrieren die folgenden, dass es sich bei ihnen nicht notwendigerweise, vielleicht sogar nicht 18429_Kasper_SL5.indd 149 18429_Kasper_SL5.indd 149 20.08.2020 10: 55: 37 20.08.2020 10: 55: 37 150 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 42: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Altenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder 2.8.3.5.2 Mittelenglisch Wie bereits gezeigt, fi nden wir auch im Mittelenglischen Strukturen, in denen das direkte Objekt dem Subjekt vorangeht, und zwar in allen Satztypen. Unter Nichtberücksichtigung der Wortarten und der Verbposition könnten wir daraus schließen, dass eine Leserin des Mittelenglischen die Reihenfolge daher nicht als instruktiven eigenstrukturellen Hinweis behandeln kann. Die folgenden Ergebnisse in Abbildung 43 unter Einbezug der Wortarten und der Verbposition werden aber gegen diese Schlussfolgerung sprechen. Abb. 43: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Mittelenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs einmal wahrscheinlich, um Wort-für-Wort-Übersetzungen handelt. DO > IO: đa sealde he hyne hym to ahonne , wörtl. ‚Da übergab er ihn ihnen zu kreuzigen‘, lat. tunc ergo tradidit eis illum ut crucifi geretur , wörtl. ‚Darauf übergab er ihnen jenen, damit er gekreuzigt werde.‘, Joh. 19, 16. IO > DO: hi todældon. him mine reaf , wörtl. ‚Sie zuteilten ihnen meine Kleider‘, lat. partiti sunt vestimenta mea sibi , wörtl. ‚Geteilt(e) (ge)worden sind Kleider meine sich‘, ‚Sie teilten meine Kleider unter sich auf ‘, Joh. 19, 24. 18429_Kasper_SL5.indd 150 18429_Kasper_SL5.indd 150 20.08.2020 10: 55: 39 20.08.2020 10: 55: 39 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 151 Was zuerst auffällt, ist, dass der linke Viererblock keine (X) V DO S-Reihenfolgen aufweist. Die vorfindlichen (X) V S DO-Äußerungen sind Entscheidungsfragen, adhortative Aufforderungen, Wh -Fragen, in denen keins der fraglichen Satzglieder erfragt wird, und Imperative - also alle keine durchschnittlichen deklarativen Hauptsätze. 212 Ist das ausschließliche Vorhandensein dieser Konfiguration deshalb ein zuverlässiger Hinweis darauf, dass die korrekte Interpretation eine (X) V S DO-Interpretation sein muss? Die Belege in unserem Teilkorpus sind erneut nicht sehr zahlreich. Unter Heranziehung der Bechstudie können wir aber wieder sagen, dass zumindest manche dieser Äußerungstypen in der gleichen Phase des Mittelenglischen auch mit der Reihenfolge (X) V DO S auftreten konnten. 213 Sodann weist der mittlere Viererblock mit Verbletztstrukturen genau umgekehrt keine (X) S DO V-Reihenfolgen aus, aber ebenfalls mit sehr wenigen Belegen für die Struktur mit vorangehendem Objekt. Auch hier können uns Erkenntnisse der anderen Korpusstudie weiterhelfen. Danach ist es hier kein Zufall, der durch die Korpusgröße bedingt wäre, dass die (X) S DO V-Strukturen nicht auftreten, sondern ein eigenstrukturelles Merkmal des Mittelenglischen der Wycliffe-Zeit. 214 Die Belege in unserem Korpus sind ausnahmslos Neben- und Relativsätze und als solche ausnahmslos Interrogativsätze beziehungsweise solche, in denen das Relativpronomen als direktes Objekt fungiert. 215 Die Konfiguration (X) Satzglied Satzglied V ist damit für eine Leserin ein zuverlässiger eigenstruktureller Reihenfolgehinweis darauf, dass sie es mit einer DO-vor-S-Struktur zu tun hat. Damit können wir zum Mittelenglischen bereits hier, nach der Analyse von zwei Viererblöcken, sagen, dass die Frage, ob die Reihenfolge ein eigenstruktureller Hinweis für die Interpretation sei, für „das“ Mittelenglische aus globaler Offlineperspektive gar nicht sinnvoll beantwortet werden kann. Vielmehr verläuft die Grenze der Wirksamkeit der Reihenfolge quer durch die Strukturtypen und damit durch die Einzeläußerungen der Sprache, genau wie schon die Grenze der Wirksamkeit der Morphologie quer durch die Paradigmen und damit durch die Einzeläußerungen der Sprache verlaufen ist. Was den rechten Viererblock mit den Verbzweit- oder -drittstrukturen anbetrifft, so weisen bereits die Belege unseres eigenen mittelenglischen Teilkorpus’ darauf hin, dass beide Satzgliedreihenfolgen auftreten und dass diese Konfiguration kein zuverlässiger Interpretationshinweis sein kann. Wenn wir allerdings nach den Wortarten feinunterscheiden, zeigt sich, dass unsere Belege für die (X) DO V S-Struktur ausschließlich interrogative Hauptsätze sind, die mit einem Wh -Wort beginnen. 216 Falls das erste Satzglied also kein Wh -Wort ist, ist es in unserem Korpus eine (X) S V DO-Struktur. Ein weiterer Suchkreis und vergleichbare Studien 212 Für jeden diesen Typen folgt ein Beispiel: Answerist thou no thing to tho thingis [ … ]; wörtl. ‚Erwiderst du kein Ding zu diesen Sachen (…)? ‘, Mt. 26, 62; but caste we lot ; ‚sondern werfen wir das Los! ‘; Joh. 19, 24; what ʒit han we nede to witnessis? ; wörtl. ‚Was noch haben wir Bedarf an Zeugen‘, ‚Wozu brauchen wir noch mehr Zeugen? ‘, Mt. 26, 65; bere thou witnessyng of yuel; wörtl. ‚Lege du Zeugnis von Bösem ab! ‘, Joh. 18, 23. 213 Vgl. Bech (2001/ 2002: 139). Bei Bech heißt diese Phase „Late Middle English“ und zu den untersuchten Texten gehören auch Texte von John Wycliffe. 214 Vgl. Bech (2001/ 2002: 81). 215 Vgl. ( Herist thou not, ) hou many witnessyngis thei seien aʒens thee? ; wörtl. ‚Hörst du nicht, wie viele Zeugnisse sie sagen gegen dich? ‘, ‚Hörst du nicht, wie viele Anschuldigungen sie gegen dich vorbringen? ‘, Mt. 27, 13; ( That the word ) which he seide ( schulde be fulfillid [ … ]) . ‚(Auf dass das Wort), welches er sprach, (in Erfüllung gehe (…))‘, Joh. 18, 9. 216 Vgl. Whom seken ʒe? ; ‚Wen sucht ihr? ‘, Joh. 18, 4; What accusing brynge ʒe aʒens this man? ; ‚Welche Anschuldigungen bringt ihr gegen diesen Mann vor? ‘, Joh. 18, 29. 18429_Kasper_SL5.indd 151 18429_Kasper_SL5.indd 151 20.08.2020 10: 55: 39 20.08.2020 10: 55: 39 152 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur zum Mittelenglischen zeigen aber, dass Objekte anderer Wortarten in der Objekt-erst-Konfiguration sehr selten sind, eine Leserin sie aber letztlich nicht ganz ausschließen kann. 217 Die Syntax der späteren Wycliffe-Bibel markiert diesbezüglich einen Wendepunkt. 218 2.8.3.5.3 Althochdeutsch In Abbildung 44 und Abbildung 45 sind alle Reihenfolgen im linken Viererblock mit Vorsicht zu genießen, weil sie bei vorangehendem Objekt sehr genau der lateinischen Vorlage folgen und ihr bei vorangehendem Subjekt ebenso folgen, wobei aber ein Subjektpronomen direkt nach dem Verb ergänzt wurde, wo im Latinischen kein Subjekt realisiert ist. Wenn im „Tatian“ Änderungen zur Vorlage vorgenommen wurden, betrafen sie nicht die Abfolge unserer infragestehenden Satzglieder, sondern primär die Ergänzung dieses Subjektpronomens oder - beziehungsweise oft im Zuge dieser Ergänzung - die Änderung der relativen Reihenfolge zwischen dem Subjekt und dem finiten Verb. 219 Wo dieses Subjekt ergänzt wurde, hing davon ab, ob eingangs des lateinischen Teilsatzes ein X, zum Beispiel ein Tho ‚Da‘ vorhanden war oder nicht. War es vorhanden, wurde das Subjektpronomen nach dem finiten Verb eingefügt, stand nichts vor dem finiten Verb, wurde das Subjektpronomen davor gesetzt. 220 In beiden Fällen resultierte eine Verbzweitstruktur, wobei wir sie im ersten Falle im linken Viererblock und im zweiten Falle im rechten Viererblock wiederfinden, jeweils dort, wo das erste für uns relevante Satzglied ein Pronomen ist. Diese Sätze stellen einen Großteil der Belege mit vorangehendem Subjekt dar. Es ist daher schwierig, Rückschlüsse auf genuin althochdeutsche Reihenfolgeregelungen zwischen Subjekten und Objekten zu ziehen. 217 Vgl. Bech (2001/ 2002: 125). Da Bech nur Deklarativsätze untersucht hat, lässt sich aus den knappen Ausführungen schließen, dass solche Belege dabei waren, die bei uns fehlen. 218 Vgl. Haeberli (2002b). Im Prolog (Forshall & Madden 1850, I: 59) heißt es This seith Austyn there . ‚Dies sagte Austyn dort.‘ 219 Vgl. Dittmer & Dittmer (1998, Kap. II); Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016, Kapitel 3 und 7). 220 Ein Beispiel, das sich im linken Viererblock findet: lat. Tunc exspuerunt ( Ø ) In faciem eius , ahd. Tho spuuun sie sin annuzi , ‚Da spuckten sie in sein Gesicht/ bespuckten sie sein Gesicht‘, Tatian, Ed. Masser: 303, 27, Ed. Sievers: 192, 1 (entspricht Mt. 26, 67). Ein Beispiel, das Eingang in den rechten Viererblock gefunden hat: lat. ( Ø ) percutiam pastorem , ahd. ih slahu then hirti , ‚Ich werde den Hirten schlagen‘, Tatian, Ed. Masser: 277, 2, Ed. Sievers: 161, 2 (entspricht Mt. 26, 31). 18429_Kasper_SL5.indd 152 18429_Kasper_SL5.indd 152 20.08.2020 10: 55: 39 20.08.2020 10: 55: 39 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 153 Abb. 44: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Althochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Allerdings muten die genannten Änderungen gegenüber der Vorlage so an, als ob man versucht hätte, eine genuin althochdeutsche Reihenfolgebeziehung zwischen Subjekten und Verben (sowie Objekten und Verben) 221 zu erreichen, wo das Lateinische dagegen verstieß. Man könnte überlegen, ob man daraus indirekt schlussfolgern kann, dass die Beibehaltung der Konfi guration zwischen Subjekten und Objekten gegenüber dem Lateinischen darauf zurückzuführen ist, dass sie nicht gegen das genuin Althochdeutsche verstieß. Man muss diesen Gedanken aber verwerfen. Der Spielraum, den ein Übersetzer darin hatte, von der Reihenfolge zwischen Subjekt und Objekt in der Vorlage abzuweichen, war bedeutend geringer als der, der beim Einfügen von Subjektpronomen direkt vor oder nach dem fi niten Verb oder beim Umstellen von benachbarten Verben und Subjekten benötigt wird, und zwar durch die Anlage des Übersetzungsprozesses. Wir wissen zwar nichts Genaues über diesen Prozess, wir kennen aber das Prinzip der Handschrift, wonach der Inhalt der deutschen Spaltenzeile haargenau dem Inhalt der lateinischen Spaltenzeile entspricht. Warum hätte man sich die Mühe einer freien Übersetzung machen sollen, wenn in der fi nalen Handschrift dieses Spaltenzeilenentsprechungsprinzip walten sollte? Man brauchte nicht sonderlich vorausschauend übersetzen, um Subjektpronomen vor oder nach dem fi niten Verb einzusetzen oder ihrer beider Positionen zu tauschen, sondern nur die jeweilige lateinische Spaltenzeile beachten, in der das fi nite Verb stand, und gegenüber das Pronomen vor oder hinter das entsprechende althochdeutsche Verb eintragen. 222 Um dagegen modifi zierend in die Reihenfolge zwischen Subjekten und Objekten - und eventuell ihre relative Position zum fi niten Verb - einzugreifen, hätte man oft mehrere lateinische Zeilen überblicken müssen, um die althochdeutsche Übersetzung davon anzufertigen. Davon kann aber im „Tatian“ keine Rede sein. 221 Vgl. Dittmer & Dittmer (1998, Kap. II). 222 Vgl. Fleischer (2006: 40). 18429_Kasper_SL5.indd 153 18429_Kasper_SL5.indd 153 20.08.2020 10: 55: 40 20.08.2020 10: 55: 40 154 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 45: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Althochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Externe Hinweise auf Reihenfolgemöglichkeiten und Beschränkungen bei den beiden Bedingungen mit früher Verbstellung fi nde ich nur im althochdeutschen Isidor, einem freieren Übersetzungstext, aber in einem ganz anderen althochdeutschen Dialekt. Dort gibt es althochdeutsche Belege für die Verbzweitstruktur mit vorangehendem Objekt, die von ihrer lateinischen Vorlage abweichen. 223 Eine Beurteilung des instruktiven Status der Reihenfolge können wir uns hier insgesamt nicht erlauben. Die vielen Belege der (X) V PRO N-Konfi guration mit vorangehendem indirekten Objekt sind übrigens auf die vielen Fälle eines freien Dativs zurückzuführen, die gegen die Vorlage eingesetzt wurden, prototypisch in Konstruktionen wie Th o quad [IO] [S], ‚Da sagte jemandem jemand‘ mit nachfolgendem Sprechakt. Bei den Verbletztstrukturen im mittleren Viererblock sind die Verhältnisse nur unerheblich klarer. Die Konfi gurationen mit vorangehendem Objekt sind Objektrelativsätze und Interrogativsätze, die mit einem Uu -Satzglied (zum Beispiel uuaz ) beginnen. Das kann, muss aber nicht dafür sprechen, dass die (X) Satzglied Satzglied V-Konfi guration stets eine S-vor-O-Konfi guration ist, wenn es sich nicht um einen Relativ- oder Interrogativsatz handelt. 224 (Die Relativ- und Interrogativsätze wiederum können durchaus als S-vor-O-Strukturen auftreten.) 223 Vgl. Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016: 73-74, 106). Ein Beispiel ist Dhinera uuomba uuaxsmin setzu ih ubar miin hohsetli , lat. De fruc-|tu uentris tui ponam super | sedem meam , ‚Deines Leibes Frucht werde ich über meinen Thron setzen‘, Isidor, 611. 224 Die einzige O > S-Struktur, die ich kenne und die davon abweicht, wird bei Cichosz, Gaszewski & Pęzik (2016: 82) aus dem Isidor aufgeführt, folgt in der Satzgliedreihenfolge aber der lateinischen Vorlage: Dhes | martyrunga endi dodh uuir fi ndemes mit urchundin dhes helegin chiscri-|bes , lat. Cuius passionem | et mortem in suo loco scrip-|turarum testimoniis | adprobabimus , ‚Sein Martyrium und seinen Tod werden wir mit den Zeugnissen der Heiligen Schrift nachweisen‘; Isidor, 516. 18429_Kasper_SL5.indd 154 18429_Kasper_SL5.indd 154 20.08.2020 10: 55: 40 20.08.2020 10: 55: 40 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 155 Abb. 46: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Althochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder In Bezug auf die Reihenfolgen zwischen indirekten und direkten Objekten ähnelt der Befund auf Basis von Abbildung 46 demjenigen zum Altenglischen aus Abbildung 42. Tendenziell geht das pronominale Objekt voran und das indirekte Objekt ist häufi ger pronominal. Wenn beide Objekte Pronomen sind, geht das direkte Objekt häufi ger voran. Hier könnte eine Leserin aber keine der beiden Reihenfolgen ausschließen, wenn die Satzglieder morphologisch mehrdeutig wären. Der Reihenfolge kommt damit auch kein instruktiver Wert zu. 225 225 Es folgen zwei Belege für jede Reihenfolge, die von der lateinischen Vorlage abweichen. IO > DO: ih gáb íu bilidi , wörtl. ‚Ich gab euch (ein) Beispiel‘, lat. exemplum enim dedi uobis , wörtl. ‚(Ein) Beispiel nämlich gab (ich) euch‘, Tatian, Ed. Masser: 271, 9, Ed. Sievers: 156, 3. DO > IO: ob ih iz íu quidu [ … ], wörtl. ‚Wenn ich es euch sage, (…)‘, lat. si uobis dixero , wörtl. ‚Sofern (ich) (es) euch gesagt haben werde‘, Tatian, Ed. Masser: 303, 9, Ed. Sievers: 190, 2. 18429_Kasper_SL5.indd 155 18429_Kasper_SL5.indd 155 20.08.2020 10: 55: 41 20.08.2020 10: 55: 41 156 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur 2.8.3.5.4 Mittelhochdeutsch Im Mittelhochdeutschen ist die Beleglage etwas klarer als in unseren beiden ältesten Sprachstufen. Abb. 47: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Mittelhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Hinsichtlich der Reihenfolge zwischen Subjekten und direkten Objekten fi nden wir in allen drei Viererblöcken in Abbildung 47 beide Satzgliedreihenfolgen. Wir kennen die Vorlage des „Evangelienbuchs“ nicht, wenn wir aber trotzdem die entsprechenden lateinischen Verse der Vulgata zum Vergleich heranziehen, dann weichen die mittel(hoch)deutschen Reihenfolgen davon ab. 226 Damit können wir uns zwar nicht sicher sein, dass es sich um Diff erenzbelege handelt, aber die Wahrscheinlichkeit dafür wird durch diesen Vergleich eher höher als niedriger. Entsprechendes gilt für die Reihenfolgen zwischen Subjekten und indirekten Objekten aus Abbildung 48. 227 226 Ich setze voraus, dass Strukturen mit vorangehendem Subjekt selbstverständlich sind, und führe daher nur Konfi gurationen mit vorangehendem Objekt für alle Verbpositionen an. (X) V DO S: Und ûz der stunde sûchte en Pilâtus zů lâzine , wörtl. ‚Und von der Stunde (an) sann-auf ihn Pilatus zu freilassen‘, ‚Und von da an sann Pilatus darauf, ihn freizulassen‘, lat. exinde quaerebat Pilatus dimitt ere eum , wörtl. ‚Von da an sann-auf Pilatus freizulassen ihn‘, Joh. 19, 12. (X) DO S V: Abir dô diz sâhin di jungern, si sint unwirdesch worden ‚ wörtl. ‚Aber als dies sahen die Jünger, sie sind zornig geworden’, lat. videntes autem discipuli indignati sunt , wörtl. ‚sehend(e) jedoch Jünger sind empört(e) geworden‘, Mt. 26, 8. (X) DO V S: Und dô en di ritt ere crûcigeten , wörtl. ‚Und als ihn die Soldaten kreuzigten‘, lat. milites ergo cum crucifi xissent eum , wörtl. ‚(Die) Soldaten als gekreuzigt haben ihn‘, Joh. 19, 23. 227 (X) V IO S: „ ( Spriches du diz von dir selbir, ) odir habin iz dir andere geseit von mir? “ , wörtl. ‚(Sagst du dies von dir selbst) oder haben es dir andere gesagt von mir? ‘, lat. a temet ipso hoc dicis an alii tibi dixerunt de me , wörtl. ‚(Von selbst dies (du) sagst) oder andere (es) dir gesagt haben von mir‘, ‚(Ist das deine eigene Meinung über mich) oder haben es dir andere über mich gesagt? ‘, Joh. 18, 34. (X) IO S V: ( di rede [ … ] bezeichnende ) waz tôdes her sterbin solde , wörtl. ‚(die Rede (…) angebend) welchen Todes er sterben sollte‘, lat. ( sermo [ … ] signifi cans ) qua esset morte moriturus , wörtl. ‚(die Rede (…) bezeichnend) mit welchem Tod er sterben werde‘, ‚(die Rede (…), die andeutete,) auf welche Weise er sterben werde‘, Joh. 18, 32. (X) IO V S: ( Waz gehôret uns daz zů? ) des sich dû! , ‚wörtl. ‚(Was gehört uns das zu? ) Dessen sieh-zu du! , lat. quid 18429_Kasper_SL5.indd 156 18429_Kasper_SL5.indd 156 20.08.2020 10: 55: 42 20.08.2020 10: 55: 42 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 157 Auffällig sind die Eigenschaften von PRO PRO-Reihenfolgen mit vorangehendem direktem oder indirektem Objekt. Diese Reihenfolgen treten tendenziell in ganz bestimmten Konfigurationen auf: 1. Das Objekt ist durch ein initiales W- Satzglied erfragt; 2. das Objekt ist ein Relativpronomen; 3. das Subjekt oder Objekt ist ein Indefinitpronomen; 4. das Objekt ist ein Pronomen der 1. oder 2. Person. Auf dieses folgt dann • ein klitisches Subjektpronomen oder • ein neutrales Subjektpronomen. 228 Zwei Einschränkungen möchte ich formulieren: Diese Bedingungen gelten, wie gesagt, für direkte und indirekte Objekte und deren jeweilige Beziehungen zu Subjekten. In unserem Teilkorpus treten die fraglichen Konfigurationen aber häufiger mit direkten als mit indirekten Objekten auf. Außerdem gibt es von ihnen in unserem Teilkorpus dann häufiger Ausnahmen, wenn das finite Verb die beiden Satzglieder trennt, und es gibt seltener Ausnahmen, wenn die beiden Satzglieder direkt nebeneinanderstehen. Was bedeutet das nun für eine Leserin? Sie steht ja vor der Hauptaufgabe, Subjekte und Objekte überhaupt zu unterscheiden. Wenn sie also einer PRO PRO-Reihenfolge begegnet und das erste Satzglied ist a) kein W -Satzglied, b) kein Relativpronomen, d) kein Pronomen der 1. oder 2. Person mit nachfolgendem klitischem oder neutralem Satzglied und keins der beiden Satzglieder ist c) ein Indefinitpronomen, dann kann sie mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sich um eine Struktur mit vorangehendem Subjekt und nachfolgendem Objekt handelt. Dabei muss sie aber zusätzlich die genannten Einschränkungen berücksichtigen. Was sie nicht tun sollte, wenn sie den Text richtig interpretieren möchte, ist Folgendes: Daraus, dass das erste Satzglied tatsächlich a) ein W -Satzglied oder b) ein Relativpronomen oder d) ein Pronomen der 1. oder 2. Person mit nachfolgendem klitischem oder neutralem Satzglied oder wenn eins der beiden Satzglieder c) ein Indefinitpronomen ist, sollte sie nicht folgern, dass es sich um eine Struktur mit vorangehendem Objekt und nachfolgendem Subjekt handelt. Die genannten Bedingungen treten nämlich natürlich nicht nur in DO/ IO-vor-S-, sondern ebenso in S-vor-DO/ IO-Reihenfolgen auf. Darum ist für die Interpretin der Fall, dass die Bedingungen a) bis d) nicht erfüllt sind, pertinenter für das Verstehen der fraglichen Äußerungen als der Fall, dass sie erfüllt sind. Ich gehe aus dem Grund so ausführlich auf diese komplexe Konfiguration ein, weil sie ausnahmslos für alle untersuchten Sprach(stuf)en die genannten Verallgemeinerungen aufweist, aber gleichzeitig die Reihenfolge-Positions-Wortart-Kombinatorik im Mittelhochdeutschen erstmals einen Grad an Eigenständigkeit zu erreichen scheint, der es erlaubt, diese Bedingungen zu formulieren. ad nos tu videris , wörtl. ‚Was zu uns du wirst zuzusehen gehabt haben‘, ‚(Warum geht uns das etwas an? ) Sieh du zu, dass/ wie du dich darum kümmerst‘, Mt. 27, 4. 228 Ein Beispiel für 1.: [ … ] nîmant, nůr der sun und weme iz der sun will offenbâren, ‚(…) niemand außer der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will‘, Mt. 11, 27; für 2.: [ … ] di rede [ … ] , di her sprach , ‚(…) die Rede (…), die er geäußert hatte‘, Joh. 18, 9; für 3.: [ … ] habin iz dir andere geseit von mir? , ‚(…) haben es dir andere über mich gesagt? ‘, Joh. 18, 34; für 4.: Si begrîfen alle diz wort nicht, sunder den iz gigebin ist. , ‚Nicht alle begreifen diese Rede, sondern nur die, denen es gegeben ist.‘, Mt. 19, 11. Klare Belege für Klitika sind mir in diesem Teilkorpus nicht bekannt, aber siehe die Ausführungen zum Frühneuhochdeutschen. 18429_Kasper_SL5.indd 157 18429_Kasper_SL5.indd 157 20.08.2020 10: 55: 42 20.08.2020 10: 55: 42 158 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 48: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Mittelhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Auch in der mittel(hoch)deutschen Bibelübersetzung sehen die Verteilungen bei indirekten und direkten Objekten in Abbildung 49 den entsprechenden altenglischen und althochdeutschen zum Verwechseln ähnlich. Und auch hier fi nden wir beide Reihenfolgen, so dass wir die Reihenfolge hier nicht als instruktives Mittel annehmen können. 229 Abb. 49: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Mittelhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder 229 Ich ziehe auch hier die lateinischen Belege der Vulgata zum Vergleich heran, mit den bereits genannten Vorbehalten. IO > DO: Abir-di-anderen-gâbin-ime-hantslege-in-daz-antlitze , wörtl. ‚Aber die anderen gaben ihm Handschläge in das Gesicht‘, lat. alii autem palmas in faciem ei dederunt , wörtl. ‚Andere jedoch fl ache Hände ins Gesicht ihm gaben‘, ‚Andere aber ohrfeigten ihn‘, Mt. 26, 67. DO > IO: Ich habe iz ûch geseit, ( wan ich iz bin ), wörtl. ‚Ich habe es euch gesagt, (weil (? ) ich es bin)‘ ( wan scheint hier abgekürztes wande zu sein. Möglicherweise unglückliche Übersetzung des lat. quia , das bei Hieronymus schon faktiv (‚dass‘) gebraucht wurde.), lat. dixi vobis quia ego sum , wörtl. ‚(Ich) habe gesagt euch, dass ich (es) bin‘, ‚Ich habe euch gesagt, dass ich es bin‘, Joh. 18, 8. 18429_Kasper_SL5.indd 158 18429_Kasper_SL5.indd 158 20.08.2020 10: 55: 43 20.08.2020 10: 55: 43 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 159 2.8.3.5.5 Frühneuhochdeutsch Luthers Übersetzung ins Frühneuhochdeutsche ist frei und eigenständig genug, so dass ich hier keine Diff erenzbelege mehr heranziehen werde. 230 Bei den Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten in Abbildung 50 fi nden wir für jede relative Verbposition beide Satzgliedreihenfolgen und die häufi geren Kombinationen von Wortarten, die in der einen Reihenfolge auftreten, treten auch in der anderen auf. Bei den Verbletztstrukturen sind viele vorangehende Objekte W -Satzglieder und Relativpronomen, aber eben nicht alle. 231 Abb. 50: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Frühneuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Auch bei Subjekten und indirekten Objekten in Abbildung 51 treten beide Satzgliedreihenfolgen auf. Innerhalb der Viererblöcke sind die Wortartkombinationen aber ungleicher verteilt als bei der Beziehung zwischen Subjekten und direkten Objekten. 230 Es gibt einen Beleg, der nicht ganz natürlich erscheint und bei dem die Reihenfolge zwischen dem Subjekt und dem direkten Objekt dem Novum Testamentum Graece folgt. Das ist Johannes 19, 38: Darnach bat pilatum [DO] joseph von arimathia [S] / der ein Jünger Jhesu war / doch heimlich / aus furcht fur den Jüden / das er möchte abnemen den leichnam Jhesu , altgriech. Μετὰ δὲ ταῦτα ἠρώτησεν τὸν Πειλᾶτον [ Peilaton ] Ἰωσὴφ [ Iōsēph ] ἀπὸ Ἁριμαθαίας, ὢν μαθητὴς τοῦ Ἰησοῦ κεκρυμμένος δὲ διὰ τὸν φόβον τῶν Ἰουδαίων, ἵνα ἄρῃ τὸ σῶμα τοῦ Ἰησοῦ· , wörtl. ‚Nach diesen ganzen Dingen fragte Pilatus (DO) Joseph von Arimathäa, seiend ein Jünger Jesu versteckt aus Furcht vor den Juden, dass er ( Joseph) den Leib Jesu (weg)trüge‘. Der Vers ist nicht leicht zu übersetzen, wenn man eng am griechischen Text bleiben und dennoch frei und eigenständig übersetzen möchte. Die Umstellung zu S > DO ist ebenfalls kaum makellos umsetzbar und die vorfi ndbare Nachstellung des Subjekts kann auch durch die Schwere des gesamten Subjektsatzglieds motiviert sein, denn schwere Satzglieder werden im Satz bevorzugt nach hinten gestellt (vgl. Behaghel 1909). Dennoch: Im Neuhochdeutschen, ohne Namenfl exion, würde die Struktur zweifellos zu Missverständnissen führen. 231 So beispielsweise Mt. 26, 10: Da das Jhesus merckte [ … ]. 18429_Kasper_SL5.indd 159 18429_Kasper_SL5.indd 159 20.08.2020 10: 55: 44 20.08.2020 10: 55: 44 160 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 51: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Frühneuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Während die (X) N V PRO- und (X) PRO V N-Konfi gurationen, die hier mit vorangehendem Objekt abwesend, aber mit vorangehendem Subjekt häufi g sind, außerhalb unseres Teilkorpus’ noch problemlos gefunden werden können, sieht das für die (X) PRO PRO V-Konfi guration anders aus. 232 In dieser tritt ein vorangehendes indirektes Objekt sehr viel seltener auf und scheint an dieselben speziellen Bedingungen geknüpft, die ich am Mittelhochdeutschen gezeigt habe. 233 Abb. 52: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Frühneuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder 232 In Lukas 5, 38 heißt es Sondern den Most [IO, N] sol [V] man [S, PRO] in newe schleuche fassen und in der Off enbarung 2, 11 ( Wer vberwindet / ) dem [IO, PRO] sol [V] kein leid [S, N] geschehen von dem andern Tode . 233 Der einzige Beleg in unserem Teilkorpus ist Joh. 18, 34 : Redestu das von dir selbs / Oder habens dir [IO, PRO] andere [S, PRO] von mir gesagt? . 18429_Kasper_SL5.indd 160 18429_Kasper_SL5.indd 160 20.08.2020 10: 55: 45 20.08.2020 10: 55: 45 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 161 Hinsichtlich der Abfolge von direkten und indirekten Objekten ist dasselbe zu konstatieren wie schon in den vorangegangenen Sprachstufen, wie Abbildung 52 verdeutlicht. 2.8.3.5.6 Neuhochdeutsch Für das Neuhochdeutsche in Abbildung 53 und Abbildung 54 gilt im Wesentlichen das, was schon für das Frühneuhochdeutsche gesagt worden ist, speziell auch in Bezug auf PRO PRO-Konfi gurationen. Abb. 53: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Neuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Abb. 54: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Neuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs 18429_Kasper_SL5.indd 161 18429_Kasper_SL5.indd 161 20.08.2020 10: 55: 47 20.08.2020 10: 55: 47 162 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Auch bei den Reihenfolgen zwischen den Objekten unterscheidet es sich nur unwesentlich von den anderen Sprach(stuf)en, wie aus Abbildung 55 ersichtlich wird. Abb. 55: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Neuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder 2.8.3.5.7 Hochalemannisch In hochalemannischen Satzgliedbeziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten ist fast jede Wortartenkombination, bei der das Subjekt vorangeht, in unserem Teilkorpus auch mit vorangehendem Objekt belegt. Das zeigt Abbildung 56. Abb. 56: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Hochalemannischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs 18429_Kasper_SL5.indd 162 18429_Kasper_SL5.indd 162 20.08.2020 10: 55: 49 20.08.2020 10: 55: 49 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 163 Nicht belegt sind zwei Konfi gurationen mit zwei nominalen Satzgliedern, nämlich die (X) V N N- und (X) N V N-Konfi gurationen mit vorangehendem direktem Objekt. Nur die N V N-Konfi guration ist einmalig belegt, aber für zürichdeutsche Muttersprachlerinnen sind die anderen beiden Konfi gurationen ebenfalls problemlos möglich. 234 Abb. 57: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Hochalemannischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Bei den Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten in Abbildung 57 fällt dagegen auf, dass im rechten Viererblock solche Konfi gurationen mit vorangehendem Objekt nicht auftreten, die mit vorangehendem Subjekt über zehn Mal auftreten. Die abwesenden Strukturen fi ndet man aber leicht an anderen Orten im hochalemannischen Neuen Testament; ihr Fehlen in unserem Teilkorpus ist daher nicht auf die sprachliche Eigenstruktur zurückzuführen. 235 Das Verhalten der direkten und indirekten Objekte wiederum unterscheidet sich kaum von dem der anderen Sprach(stuf)en, wie Abbildung 58 beweist. 234 Der Beleg ist Johannes 19, 20: Die Tafl e [DO, N] händ [V] iez vili Jude gläse , ‚Diese Tafel lasen nun viele Juden‘. Nach dem zürichdeutschen Muttersprachler Jürg Fleischer (persönliche Kommunikation) ist dieser Teilsatz ebenso tadellos mit dem fi niten Verb vor und nach den beiden fraglichen Satzgliedern. 235 Johannes 20, 23 bedient unser Interesse gleich mehrfach: Wem au immer iir d Schuld vergänd, dene [IO, PRO] isch [V] si [S, PRO] vergèè. Wem au immer iir si belönd, dene [IO, PRO] bliibt [V] si [S, PRO] . ‚Wem auch immer ihr die Schuld vergebt, denen ist sie vergeben. Wem auch immer ihr sie lasst, dem bleibt sie.‘ Und in der Apostelgeschichte 25, 10 fi ndet man De Jude [IO, N] han [V] ich [S, PRO] nüüt Urächts ataa , ‚Den Juden habe ich nichts Unrechtes getan‘. 18429_Kasper_SL5.indd 163 18429_Kasper_SL5.indd 163 20.08.2020 10: 55: 50 20.08.2020 10: 55: 50 164 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Abb. 58: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Hochalemannischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder 2.8.3.5.8 Nordniederdeutsch Bei Satzgliedbeziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten kommen im nordniederdeutschen Teilkorpus einige Wortarten- und Verbpositionskombinationen nur vor, wenn das Subjekt vorangeht. Zwei davon treten relativ häufi g auf, nämlich die V PRO PRO- und die N V N-Konfi guration. Beides ist in Abbildung 59 illustriert. Abb. 59: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Nordniederdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs 18429_Kasper_SL5.indd 164 18429_Kasper_SL5.indd 164 20.08.2020 10: 55: 51 20.08.2020 10: 55: 51 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 165 Die entsprechenden Konfi gurationen mit vorangehendem Objekt sind im Nordniederdeutschen aber grammatisch nicht ausgeschlossen, sie scheinen nur sehr selten verwendet zu werden. 236 Auch Strukturen wie (X) PRO V N mit vorangehendem Objekt scheinen alles andere als grammatisch ausgeschlossen zu sein; die Bedingungen, unter denen sie auftreten, sind aber ebenfalls selten. 237 Abb. 60: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Nordniederdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des fi niten Verbs Die Reihenfolgen zwischen Subjekten und indirekten Objekten, die in Abbildung 60 zusammengefasst sind, sind unauff älliger. Die Konfi gurationen, die häufi g mit vorangehendem Subjekt auftreten, lassen sich auch mit vorangehendem Objekt fi nden. Beim Vergleich der (V) PRO PRO-Konfi gurationen mit direkten gegenüber indirekten Objekten ist aber bemerkbar, dass diese - auch in anderen Kapiteln von Jessens Bibelübersetzung - viel leichter mit vorangehendem indirektem als mit vorangehendem direktem Objekt zu fi nden sind. Obwohl ich nicht ausschließen kann, dass dies durch das Korpus bedingt ist, weist es darauf hin, dass im Nordniederdeutschen nicht alle Objekttypen gleich sind, obwohl es kein morphologisches Unterscheidungskriterium für indirekte und direkte Objekte mehr gibt. Die gesuchten Strukturen tauchen ja im „Evangelienbuch“, in der frühneuhochdeutschen und neuhochdeutschen Lutherübersetzung sowie bei Weber durchaus mit beiden Objekttypen auf. 236 In Matthäus 5, 39 heißt es prominent: Sleit [V] di [DO, PRO] een [S, PRO] up de rechde Back, ( denn hol em ock de annere noch hen! ), ‚Schlägt dich einer auf die rechte Wange, (dann halte ihm auch die andere noch hin! )‘. In Matthäus 10, 5 lesen wir: Düsse Twölf [N, DO] schick [V] Jesus [N, S] nu ut [ … ], ‚Diese zwölf schickte Jesus nun aus (…)‘. 237 So in Matthäus 26, 47: De- [DO, PRO] harrn- [V] de Hochepreesters-un-Öllerlüd-ut-dat-Volk- [S, N] em-mitgewen , ‚Diese [Waff en - SK] hatten die Hohepriester und Ältesten aus dem Volk ihnen mitgegeben‘. 18429_Kasper_SL5.indd 165 18429_Kasper_SL5.indd 165 20.08.2020 10: 55: 52 20.08.2020 10: 55: 52 166 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Insgesamt geben die Konfi gurationen aus relativen Positionen und Wortarten einer Leserin also keine zuverlässigen Hinweise darauf, welches Satzglied Subjekt und welches direktes beziehungsweise indirektes Objekt ist. Abb. 61: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Nordniederdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder Bei den Beziehungen zwischen direkten und indirekten Objekten sieht das Gesamtbild in Abbildung 61 weitgehend so aus wie in den meisten anderen Sprach(stuf)en. Eine zuverlässige Interpretationsregel kann eine Leserin hier wie dort nicht ableiten. 238 2.8.3.5.9 Syntaktische Mehrdeutigkeit bei imaginären Satzgliedern In unseren Bibelübersetzungen sind Satzglieder hauptsächlich in koordinierten Hauptsätzen imaginäre, daneben aber auch in Befehlssätzen, die an die 2. Person gerichtet sind. Darüber hinaus enthalten im althochdeutschen „Tatian“ auch viele Hauptsätze, die nicht koordiniert sind, kein Subjektpronomen, während die anderen Übersetzungen an den entsprechenden Stellen eines aufweisen. Alle diese Belege stellen eine große theoretische Herausforderung dar, weil bei der Frage nach Interpretationsmöglichkeiten Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, zwischen Mittelalter und Neuzeit, zwischen syntaktischer Integration und Aggregation und Fragen der Textsorte berücksichtigt werden müssen. Ich hatte für eine Klassifi kation argumentiert, bei der die historischen Sprach(stuf)en bis zum Frühneuhochdeutschen anders als die drei jungen Sprach(stufen) behandelt werden. Grob gesprochen, bestand in Ersteren noch eine größere eigenstrukturelle Gestaltungsfreiheit derart, dass die koordinierten Teilsätze weder morphologisch noch syntaktisch parallel strukturiert sein mussten und daher auch anders als parallel interpretiert werden können. In unseren jüngeren Sprach(stuf)en muss die Strukturierung parallel sein und eine Leserin, die das bei der Interpretation eines Teilsatzes mit einem imaginären Satzglied nicht berücksichtigt, wird ihn falsch interpretieren. 238 Vgl. auch die Resultate in Berg (2013: 253-259, 273-275). 18429_Kasper_SL5.indd 166 18429_Kasper_SL5.indd 166 20.08.2020 10: 55: 53 20.08.2020 10: 55: 53 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 167 Wir haben die Anteile morphologisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen bei mindestens einem imaginären Satzglied bereits gesehen. Wie viele dieser morphologisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen werden nun aufgrund von syntaktischen Kriterien eindeutig? 239 Betrachten wir die Satzgliedbedingungen nacheinander, angefangen bei solchen mit Subjekten und direkten Objekten in Abbildung 62. Abb. 62: Absolute Anteile morphologisch mehrdeutiger, aber syntaktisch eindeutiger (dunkel) und morphologisch und syntaktisch mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten, mit mindestens einem imaginären Satzglied Der Einfl uss der syntaktischen Integration ist in den modernen Sprach(stuf)en leicht erkennbar. Der Großteil der Belege geht auf koordinierte Teilsätze zurück. In diesen ist keine Satzgliedbeziehung mit mindestens einem imaginären Satzglied, die morphologisch mehrdeutig ist, auch syntaktisch mehrdeutig. Ihre Interpretation steht durch syntaktische Aspekte der sprachlichen Eigenstrukturen - hier die parallele Strukturierung - fest. In den älteren Sprachstufen sind solche Teilsätze syntaktisch mehrdeutig. Obwohl Leserinnen mit den allermeisten dieser Belege keine Verstehensschwierigkeiten hätten, ist diese Problemlosigkeit nicht auf die sprachlichen Eigenstrukturen der jeweiligen Sprachstufen zurückzuführen. Die wenigen eindeutigen Satzgliedbeziehungen in den älteren Sprachstufen kommen primär durch zwei Faktoren zustande: erstens durch die Übereinstimmung im Numerus zwischen (imaginärem) Subjekt und (imaginärem) Verb bei gleichzeitiger Nichtübereinstimmung zwischen (imaginärem) Objekt und (imaginärem) Verb, und zweitens durch die Kasusbestimmungseigenschaften von Verben. 240 239 Siehe Abschnitt 2.3.2 dazu, wie das möglich ist. 240 Ein Beispiel für besagte Numeruskongruenz ist das nachfolgende. Der kritische Teilsatz ist der letzte: DA namen die Kriegsknecht des Landpfl egers Jhesum zu sich in das Richthaus [ … ] / vnd ( Ø ) satzten sie [die Dornenkrone - SK] auff sein Heubt / vnd ( Ø ) [3PL.NOM] ( Ø ) [ satzten .3PL] ein Rhor in seine rechte hand [ … ], Frühneuhochdeutsch, Mt. 27, 27. Ich nehme an, dass das Verb satzten vom zweiten unverändert in den dritten Partnerteilsatz mit imaginärem Subjekt und imaginärem Verb kopiert werden kann. Da das Verb pluralisch ist, kongruiert es im dritten Teilsatz morphologisch nicht mit ein Rhor , so dass dieses Satzglied als Subjekt nicht in Frage kommt. 18429_Kasper_SL5.indd 167 18429_Kasper_SL5.indd 167 20.08.2020 10: 55: 53 20.08.2020 10: 55: 53 168 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Was die Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten angeht, hat sich bereits bei den realisierten Satzgliedern gezeigt, dass diese in den seltensten Fällen morphologisch mehrdeutig sind, weil vorfi ndliche Dative sich außer im Nordniederdeutschen kaum jemals eine Form mit Nominativen und Akkusativen teilen. Da die imaginären Satzglieder außerdem zum Großteil Subjekte sind, bleiben fast nur Satzgliedbeziehungen mit morphologisch eindeutigen indirekten Objekten übrig. Dass diese einmal den Nominativ repräsentieren können und koordiniert mit imaginärem Subjekt auftreten, kommt deshalb lediglich im Nordniederdeutschen vor - aber auch nur ein Mal (nicht abgebildet). Aufgrund der parallelen Strukturierung der Partnerteilsätze kommt hier kein Zweifel über die Lesart auf. 241 Abb. 63: Absolute Anteile morphologisch mehrdeutiger, aber syntaktisch eindeutiger (dunkel) und morphologisch und syntaktisch mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen, mit mindestens einem imaginären Satzglied Das Bild bei Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen in Abbildung 63 ist im Wesentlichen demjenigen zwischen Subjekten und direkten Objekten ähnlich, mit einem deutlichen Kontrast zwischen älteren und jüngeren Sprach(stuf)en bei den Anteilen an syntaktisch mehrdeutigen Beziehungen. Syntaktisch eindeutige Satzgliedbeziehungen kommen im Mittel- und Frühneuhochdeutschen erneut durch die Kasusbestimmungseigenschaften des Verbs zustande. 242 Ein Beispiel für den Einfl uss der Kasusbestimmungseigenschaften des Verbs ist folgendes: Und siehe, einer [ … ] [3SG.M/ F.NOM/ F.GEN/ DAT] streckte die Hand aus und ( Ø ) [3SG.NOM] zog sein Schwert [3SG.N.NOM/ AKK] [ … ], Neuhochdeutsch, Mt. 26, 51. Im ersten koordinierten Teilsatz repräsentiert einer über die Genera hinweg mit dem Genitiv und dem Dativ auch zwei Objektskasus. Im zweiten koordinierten Teilsatz könnte auch sein Schwert das Subjekt sein. Kopierte die Leserin im Geiste einer in den zweiten Teilsatz, würde ein imaginärer Teilsatz resultieren, der nicht der Eigenstruktur des Frühneuhochdeutschen entspricht, weil zog für das Objekt, wenn es realisiert wäre, den Akkusativ bestimmen würde: * [ … ] und einer [GEN/ DAT] zog sein Schwert [NOM] [ … ]. 241 Der Beleg lautet [ … ] sünst kunn’n de Jüngers bikamen [ … ] un ( Ø ) [ kunn’n .3PL] ( Ø ) [3PL.NOM/ DAT/ AKK] nahsten de Lüd [3PL.NOM/ DAT/ AKK] vertelln: „ [ … ] “ , ‚(…) sonst können die Jünger kommen (…) und demnächst den Leuten erzählen: „( … )“‘, Mt. 27, 64. 242 Der häufi gste Typ ist dabei der, dass im ersten Konjunkt ein Subjekt einer/ der… [3SG.M/ F.NOM/ F.GEN/ DAT] auftritt und das zweite Konjunkt lautet [ … ] und Ø sagte: „ [ … ] “ . In der Interpretation als Genitiv 18429_Kasper_SL5.indd 168 18429_Kasper_SL5.indd 168 20.08.2020 10: 55: 54 20.08.2020 10: 55: 54 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 169 In den Beziehungen zwischen Objekten gibt es kaum imaginäre Satzglieder und keine neuen Erkenntnisse (nicht abgebildet). 2.8.3.6 Zusammenfassung zur syntaktischen Eigenstruktur In diesem Abschnitt habe ich zunächst überprüft, welche Satzgliedbeziehungen in bestimmten Bedingungen, zu denen wir später auch die Wortarten und die relative Verbposition hinzugezogen haben, in beiden möglichen Reihenfolgen vorkommen und welche nicht. Das Vorkommen beider Reihenfolgen in denselben respektiven Bedingungen habe ich als Indiz gegen den instruktiven Wert der Reihenfolge als eigenstrukturelles Mittel verwendet. Kam im Teilkorpus zu einer Sprach(stuf)e nur eine Reihenfolge vor, habe ich mich in anderen Textbeständen für diese Sprach(stuf)e nach der umgekehrten Reihenfolge bei identischer Erscheinungsform umgeschaut. Dabei habe ich zunächst das restliche Neue Testament, die restlichen Bibeltexte und dann andere Textsorten herangezogen, wenn sie verfügbar waren. Wurde ich dabei nicht fündig, bin ich davon ausgegangen, dass in der betreffenden Konfiguration von eigenstrukturellen Merkmalen nur eine Reihenfolge vorfindbar ist und diese daher eine Leserin zuverlässig zu der entsprechenden Lesart instruiert. Dabei trat das prinzipielle Problem auf, wie die Abwesenheit einer Reihenfolge für eine bestimmte Konfiguration von Formmerkmalen zu interpretieren sei. Das Problem ist nicht, oder zumindest nicht nur, in der Größe der Teilkorpora begründet. In der Regel kann man davon ausgehen, dass man mehr unterschiedliche sprachliche Konfigurationen findet, wenn man größere Korpora untersucht. Bekanntlich ist eine Sprache aber dadurch charakterisiert, dass in ihr aus begrenzten sprachlichen Mitteln unbegrenzt Gebrauch gemacht werden kann. Weil ein Korpus schon praktisch begrenzt ist, kann aus der Abwesenheit von bestimmten Konfigurationstypen eigentlich nicht zuverlässig deren Nichtexistenz oder Unmöglichkeit gefolgert werden. Das führt dazu, dass man ohne weitreichende Homogenisierungen und Idealisierungen keine zuverlässigen Aussagen über Eigenstrukturen mehr machen kann. Ich hatte mehrere Möglichkeiten, mit dem Problem praktisch zu verfahren, wann eine Satzgliedbeziehung mit einer bestimmten syntaktischen Struktur zuverlässig zu einer Interpretation instruiert. Unter Ausnutzung meiner Klassifikationskriterien hätte ich nach den folgenden Kriterien die Reihenfolge als instruktives Mittel erweisen können: 1. Eine konkrete Satzgliedbeziehung tritt nur in einer Reihenfolge auf, Wortarten und relative Verbpositionen sind dabei unbestimmt beziehungsweise irrelevant. 2. Eine konkrete Satzgliedbeziehung tritt mit einer bestimmten relativen Verbposition nur in einer Reihenfolge auf, die Wortarten sind irrelevant. 3. Eine konkrete Satzgliedbeziehung tritt mit bestimmten Wortartoberklassen und einer bestimmten relativen Verbposition nur in einer Reihenfolge auf. 4. Eine konkrete Satzgliedbeziehung tritt mit bestimmten Wortartunterklassen und einer bestimmten relativen Verbposition nur in einer Reihenfolge auf. Ich bin hauptsächlich nach Möglichkeit 3 verfahren und habe zusätzlich die Wortartunterklassen dort berücksichtigt, wo es aus den Daten heraus angezeigt erschien. oder Dativ bildet einer/ der … zwar prinzipiell ein mögliches indirektes Objekt, aber nicht das erforderliche direkte Objekt von sagte , um der sprachlichen Eigenstruktur der Sprachstufe zu entsprechen. 18429_Kasper_SL5.indd 169 18429_Kasper_SL5.indd 169 20.08.2020 10: 55: 54 20.08.2020 10: 55: 54 170 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Aus diesem Vorgehen hat sich ergeben, dass es mitunter starke Unterschiede in der jeweiligen Häufigkeit der zwei möglichen Satzgliedreihenfolgen bei einer bestimmten Konfiguration der restlichen Faktoren gibt. Aber nur einmal hat sich gezeigt, dass eine Konfiguration, die häufig in einer Lesart vorkommt, gar nicht mit der anderen Lesart auftritt. Das waren die mittelenglischen Verbletztstrukturen, die sich einer Leserin durchgängig als solche mit vorangehendem Objekt präsentieren. Gleichzeitig weist das Mittelenglische nur noch letzte Reste von O V S-Strukturen auf, denen zu begegnen und die als S V O zu missdeuten einer Leserin zwar selten, aber dennoch passieren konnte. Zum Neuenglischen hin schließt sich dieses letzte Einfallstor für solche Mehrdeutigkeiten, die wir hier als Thema haben. Ansonsten hat sich der instruktive Wert, den die syntaktischen Eigenstrukturen unserer Sprach(stuf)en für die Interpretation von Satzgliedbeziehungen haben, als eher gering erwiesen, wenn wir uns auf die graphisch realisierten Satzgliedbeziehungen beschränken. Das gilt gleichermaßen für die Beziehungen zwischen Subjekten und verschiedenen Objekttypen wie für Beziehungen zwischen Objekten. Aber bei den Letzteren ist zu beachten, dass im Mittelenglischen erneut etwas zu beobachten ist, was von den anderen Sprach(stuf)en abweicht: Die Verwendung von indirekten Objekten hat einen marginalen Status und ist gegenüber einer alternativen Konstruktion mit einem direkten Objekt und einer Präpositionalgruppe nahezu vollständig verschwunden. Auffällig war, dass Konfigurationen aus einem indirekten und einem direkten Objekt im Nordniederdeutschen sehr häufig sind, obwohl sie hochgradig empfänglich für grammatische Mehrdeutigkeiten sind und sich hinsichtlich ihrer morphologischen Situation kaum vom Mittelenglischen unterscheiden. Wenn wir solche Beziehungen mit imaginären Satzgliedern berücksichtigen, entdecken wir einen Unterschied zwischen älteren und jüngeren Sprach(stuf)en. In Ersteren ist die Interpretation dieser Satzgliedbeziehungen weitaus seltener syntaktisch geregelt als in Letzteren. Das hat natürlich auch mit meiner Vorentscheidung zu tun, die Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur in den beiden Gruppen verschieden verlaufen zu lassen; für diese Vorentscheidung hatte ich aber gewichtige Gründe angeführt. 2.8.4 Zusammenfassung zu den eigenstrukturellen Hinweisen insgesamt Mir bleibt jetzt, die instruktiven Leistungen der morphologischen und syntaktischen Aspekte der sprachlichen Eigenstrukturen zusammenzuführen, um zu ermitteln, wie groß die Anteile von grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen in unseren Sprach(stuf)en sind, also wie viele Satzgliedbeziehungen sowohl morphologisch als auch syntaktisch mehrdeutig sind. Dafür müssen wir nun die Gesamtheit der eigenstrukturell eindeutigen und die Gesamtheit der eigenstrukturell mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen unterscheiden. Als eigenstrukturell, das heißt grammatisch eindeutige Satzgliedbeziehungen haben sich solche erwiesen, die schon morphologisch eindeutig sind, und solche, die zwar morphologisch mehrdeutig, aber syntaktisch eindeutig sind. Natürlich gehören hier auch die Satzgliedbeziehungen dazu, die sowohl morphologisch als auch syntaktisch eindeutig sind und eine Leserin so in mehrfacher (redundanter) Weise zur richtigen Lesart instruieren. Grammatisch mehrdeutig sind nur solche Satzgliedbeziehungen, die sich sowohl morphologisch als auch syntaktisch als mehrdeutig erwiesen haben. Über alle Satzgliedbeziehungen und Kombinationen der beteiligten Faktoren hinweg ergibt sich dann das folgende Bild in Abbildung 64. Es ist dasjenige, das in Bezug auf die Ausgangs- 18429_Kasper_SL5.indd 170 18429_Kasper_SL5.indd 170 20.08.2020 10: 55: 54 20.08.2020 10: 55: 54 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 171 hypothese am relevantesten ist: Die Anteile der grammatisch mehrdeutigen Beziehungen sind mitunter beträchtlich, insbesondere im Mittelenglischen und den modernen Dialekten. Abb. 64: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen über alle Untersuchungsbedingungen hinweg Wenn wir die Auswahl in Abbildung 65 auf die Beziehungen zwischen Subjekten und den verschiedenen Objekttypen eingrenzen, verändert sich außer im Nordniederdeutschen wenig. 243 Das hängt daran, dass, wie wir gesehen haben, nur in dieser Sprache ein großer Teil der grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen auf diejenigen zwischen Objekten entfällt. Abb. 65: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und verschiedenen Objekttypen über alle Untersuchungsbedingungen hinweg 243 Nnd.: χ 2 = 20,4; p < ,001. 18429_Kasper_SL5.indd 171 18429_Kasper_SL5.indd 171 20.08.2020 10: 55: 56 20.08.2020 10: 55: 56 172 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Grenzen wir weiter ein auf die Beziehungen mit realisierten Subjekten und Objekttypen, zeigt sich in Abbildung 66, wie die formendiff erenzierten morphologischen Paradigmen der älteren Sprach(stuf)en - mit Ausnahme des Mittelenglischen - zu mehrheitlich grammatisch eindeutigen Satzgliedbeziehungen führen. Höhere Anteile grammatisch mehrdeutiger Beziehungen sind entsprechend auf die Paradigmen der mittelenglischen und modernen Sprach(stuf)en zurückzuführen, in denen sich Funktionen verstärkt Formen teilen. 244 Abb. 66: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und verschiedenen Objekttypen ohne imaginäre Satzglieder, über alle Untersuchungsbedingungen hinweg Wenn wir, wie in Abbildung 67, ausschließlich die Subjekt-Objekt-Beziehungen mit mindestens einem imaginären Satzglied betrachten, zeigen sie sich nur in den modernen Sprachstufen als syntaktisch geregelt. 245 Wir haben es also insgesamt mit einer Überkreuzbeziehung zwischen älteren und jüngeren Sprach(stuf)en zu tun: Falls die Satzgliedbeziehungen grammatisch eindeutig sind, instruiert in den älteren Sprach(stuf)en primär die Kasus- und Kongruenzmorphologie zur korrekten Lesart, bei relativ zwanglosen, oder aggregativen, syntaktischen Strukturen, während in den jüngeren Sprach(stuf)en die Morphologie häufi g nicht zuverlässig zur korrekten Lesart instruiert, dafür aber die integrierte syntaktische Struktur die Interpretation steuert. Im Mittelenglischen funktioniert beides häufi g nicht, im Falle der Morphologie nicht mehr und im Falle der Syntax noch nicht. Es befi ndet sich historisch an einem Wendepunkt, der, sobald er überwunden ist, dazu führt, dass praktisch keine syntaktische Lücke mehr übrigbleibt, die solche grammatischen Mehrdeutigkeiten zulassen, wie ich sie hier untersucht habe. 244 Ae. und Me.: χ 2 = 13,5; p < ,001; Fnhd. und Nhd.: χ 2 = 27,2; p < ,001. 245 Fnhd. und Nhd.: χ 2 = 57,6; p < ,001. 18429_Kasper_SL5.indd 172 18429_Kasper_SL5.indd 172 20.08.2020 10: 55: 57 20.08.2020 10: 55: 57 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 173 Abb. 67: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und verschiedenen Objekttypen, mit mindestens einem imaginären Satzglied, über alle Untersuchungsbedingungen hinweg Fassen wir zuletzt noch alle Beziehungen zwischen Objekten zusammen. In Abbildung 68 zeigt sich relative Homogenität, wenn wir von den unterschiedlichen Sonderrollen des Mittelenglischen und Nordniederdeutschen absehen. Relative Homogenität heißt dabei: beträchtliche Anteile grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen. Die nordniederdeutschen Belege, die ausschließlich grammatisch mehrdeutig sind, vermitteln bei dieser Satzgliedbeziehung den Eindruck, als hätte diese Sprache den historischen Wendepunkt, an dem das Englische sich zu einer syntaktisch integrierten Sprache gewandelt hat, einfach übergangen. Abb. 68: Relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen den verschiedenen Objekttypen über alle Untersuchungsbedingungen hinweg 18429_Kasper_SL5.indd 173 18429_Kasper_SL5.indd 173 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 174 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur Der Rest dieses Abschnitts und der nächste sollen nun dazu dienen, den Blick von diesen detaillierten und kleinteiligen Korpusanalysen Schritt für Schritt wieder zu lösen und ihn auf ihre Rolle im größeren Zusammenhang der Untersuchung zurückzulenken. Die obigen zweifarbigen Einteilungen in grammatisch eindeutige und mehrdeutige Satzgliedbeziehungen enthalten offensichtlich keine Abstufungen in mehr oder weniger ein- oder mehrdeutige Beziehungen. Indem ich solchermaßen binär differenziert habe, habe ich von solchen Häufigkeitsunterschieden zwischen zwei möglichen Satzgliedreihenfolgen abgesehen, wie wir sie oft beobachten konnten. Dadurch gehen in den Grafiken natürlich bestimmte Unterschiede verloren. Es soll aber keineswegs geleugnet werden, dass unsere Leserinnen mit bestimmten Eigenstrukturerwartungen an die Interpretation von Äußerungen herangehen und diese Erwartungen auch dadurch bestimmt sind, wie häufig oder selten die Leserinnen in der Vergangenheit mit bestimmten Eigenstrukturen, darunter Reihenfolgen, konfrontiert gewesen sind. Damit sind Erwartungen im automatischen oder Routinemodus gemeint, nicht solche, über die Leserinnen Rechenschaft ablegen könnten. 246 Dass es solche Erwartungen gibt, darauf wird im Rahmen von neuro- oder psycholinguistischen Experimenten zurückgeschlossen, weil Effekte sprachlicher Reize auf Versuchspersonen gemessen wurden, die man als Überraschungseffekte interpretiert hat. Und ohne Erwartung gibt es keine Überraschung. 247 Es ist bekannt, dass solche Überraschungen, oder Erwartungsverletzungen, oft, aber keineswegs immer mit der Seltenheit von grammatischen Strukturen zusammenhängen und dass es größere oder kleinere Erwartungsverletzungen gibt. Wir müssen solche Häufigkeitseffekte, die offensichtlich existieren, aber unterscheiden von der Frage, der wir nachgehen, nämlich der Frage danach, ob es für unsere Leserinnen eigenstrukturelle Merkmale gibt, die sie zuverlässig dahingehend instruieren, was in den Äußerungen, die sie lesen, womit in welcher Beziehung steht, und wenn ja, welche es sind. Um zu illustrieren, was mit diesem Unterschied gemeint ist, kann uns das Nordniederdeutsche dienen. Wie in allen anderen Sprachstufen haben wir in diesem gefunden, dass die Reihenfolge Subjekt-vor-Objekt fast immer die weitaus häufigere ist, und wir dürfen mutmaßen, dass Leserinnen des Nordniederdeutschen auch eher die Subjekt-vor-Objekt-Reihenfolge erwarten als die umgekehrte. Aus solchen Häufigkeitsbeobachtungen werden nun mitunter Eigenschaften der jeweiligen grammatischen Eigenstruktur abgeleitet, wie im folgenden Zitat: Für die relative Abfolge von Subjekt und Objekt gilt: In allen drei untersuchten Regionen ist es prinzipiell möglich, von der durch die Hierarchie der grammatischen Funktionen geforderten Grundabfolge S > O abzuweichen. Diese Grundabfolge wird aber in allen drei untersuchten Ortsdialekten in stärkerem Maße als beste Abfolge angegeben als in den standarddeutschen Ortspunkten. Damit ist die niederdeutsche Wortstellung in Emstek, Bad Laer und Lindhorst etwas strikter als im Standard. 248 Vor dem Hintergrund unserer Frage nach zuverlässigen eigenstrukturellen Merkmalen, die zu Gewissheit in der Interpretation führen, halte ich es für problematisch, eine „striktere“ Reihenfolge zu schlussfolgern, und meine binäre Unterscheidung für legitim: Falls beispielsweise eine bestimmte Objekt-vor-Subjekt-Konfiguration überhaupt erfolgreich genutzt werden kann - sei sie auch noch so selten - dann kann von größerer oder kleinerer Striktheit und von 246 Siehe Abschnitt 1.5 zu dieser Unterscheidung. 247 Siehe Abschnitt 2.2.6. 248 Berg (2013: 273). 18429_Kasper_SL5.indd 174 18429_Kasper_SL5.indd 174 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 2.8 Der Analyse erster Teil: eigenstrukturelle Hinweise 175 einem instruktiven Wert der Reihenfolge nicht die Rede sein; eine Leserin kann sich bei einer morphologisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehung dann schlicht nicht gewiss sein, dass es sich um die häufigere Reihenfolge handelt, weil sie nicht strikt ist. Sie kann aber mit mehr oder weniger Erfolgsaussichten diejenige Lesart genau so automatisch oder routinemäßig wählen, wie sie diese ihrer Erfahrungshäufigkeit nach auch erwartet. Angesichts der Resultate sind auch die referierten Meinungen zur Dynamik der eigenstrukturellen Hinweise größtenteils ablehnend zu betrachten. 249 Dass globalistische Sprechweisen insgesamt zu undifferenziert sind, wurde bereits erwähnt. Weder aus globaler synchronischer noch aus globaler diachronischer Perspektive kompensieren sich Morphologie und Reihenfolgeregelungen in einer Weise, die auf andere Sprach(stuf)en verallgemeinerbar wäre. 250 Dass syntaktische Regelungen im Mittelenglischen bereits stellenweise instruktiven Wert besitzen, lässt sich beispielsweise im Hochalemannischen und Nordniederdeutschen nicht beobachten, obwohl wir viele Bedingungen finden, in denen diese mehr morphologische Mehrdeutigkeiten aufweisen als jenes. Die Daten sprechen auch gegen die angenommenen sprachgeschichtlichen Verursachungsbeziehungen und für indirektere Zusammenhänge zwischen dem Verschwinden morphologischer Unterscheidungen und dem Aufkommen syntaktischer Regelungen. 251 Dass der Schwund morphologischer Unterscheidungen die Funktionalisierung der Reihenfolge verursachen würde, wäre angesichts der Daten nur im Englischen plausibel, wobei es dort ebenso gut die umgekehrte Verursachungsbeziehung sein könnte. Sollte es aber Erstere sein, könnte man erneut fragen, warum dasselbe im Hochalemannischen oder Nordniederdeutschen nicht eingetreten ist. Das umgekehrte Argument, die Reihenfolge werde zuerst instruktiv und bewirke dann, dass morphologische Unterscheidungen verschwänden, weil andernfalls eine Phase unverständlicher Äußerungen angenommen werden müsse, ist aus dem gleichen Grund zweifelhaft. Müssten nicht in vielen Bedingungen die Satzgliedreihenfolgen im Hochalemannischen und Nordniederdeutschen schon längst instruktiven Wert besitzen? Außerdem könnte man argumentieren, dass die unverständliche Phase, von der Jespersen sprach, bereits gegeben ist, weil im Mittelenglischen und Hochalemannischen jede vierte beziehungsweise fünfte Satzgliedbeziehung grammatisch mehrdeutig ist (s. Abbildung 64). Lokale Kompensationen haben wir ebenfalls nicht gefunden. Die lokalen Betrachtungsweisen erscheinen aber schon deswegen vernünftiger, weil sie nicht über ganze Sprach(stuf)en verallgemeinern, sondern über Einzeläußerungen gehen und sich darin die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Hinweisreizen anschauen. Sie machen allerdings keine präzisen Aussagen darüber, unter welchen Umständen eine Sprachbenutzerin ihre Hinweisreize wie gewichtet, unterscheiden nicht eine instruktive von einer nicht instruktiven Reihenfolge und sprachstrukturelle nicht von anders gearteten Hinweisreizen. Diese werden uns denn auch in Kapitel 3 beschäftigen. 249 Sie wurden in Abschnitt 2.4 referiert. 250 Siewierska ist von dieser Kritik auszunehmen. 251 Indirektere Zusammenhänge nahmen Speyer und Allen an. 18429_Kasper_SL5.indd 175 18429_Kasper_SL5.indd 175 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 176 2 Leistungen und Grenzen der sprachlichen Eigenstruktur 2.9 Bedeutung für die Ausgangshypothese Die Ausgangshypothese lautete sinngemäß folgendermaßen: Für das Verstehen von Äußerungen, die hinsichtlich der Frage mehrdeutig sind, was in ihnen womit in welcher Beziehung steht, sind auf der Seite einer muttersprachlich kompetenten Rezipientin mit normalen kognitiven Fähigkeiten so gut wie keine kotextuellen, Situations- und enzyklopädischen Informationen erforderlich. Ist sie mit einer grammatisch mehrdeutigen Äußerung konfrontiert, so wird sie fast vollständig ohne Informationen auskommen, die über die infragestehende Äußerung hinausgehen. Äußerungen, die mehrdeutig hinsichtlich der Frage sind, was in ihnen womit in welcher Beziehung steht, finden sich überall dort, wo die konventionellen grammatischen Mittel für den Ausdruck solcher Beziehungen in einer Sprache nicht verfügbar oder trotz prinzipieller Verfügbarkeit unzuverlässig sind . 252 Wir haben zuletzt gesehen, in welchem Ausmaß es solche Äußerungen gibt, in denen die konventionellen grammatischen Mittel für eine Sprachbenutzerin nicht verfügbar oder unzuverlässig dabei sind, zu ermitteln, was womit in welcher Beziehung steht. 253 Im langen Vorlauf dazu hatte ich ausgeführt, dass diese grammatischen Mittel zu dem gehören, was ich sprachliche Eigenstruktur genannt habe: das überstrukturierte Konglomerat an Gebrauchskonventionen, das sich aus dem Kompromiss aus Treue und Sparsamkeit ergibt, der mit der Veröffentlichung von privaten Vorstellungen einhergehen muss, damit sie verstehbar werden. Der Aspekt der Treue bedient dabei das ererbte und erworbene vorsprachliche Know-how über Gegenstände und Eventualitäten, das jeder physisch und kognitiv unauffällig entwickelte Mensch zum Spracherwerb mitbringt. Der Treue wird Genüge getan, wenn sich die ererbte und erworbene Vorstellungsstruktur der Sprachbenutzerin möglichst originalgetreu in ihre öffentliche Entäußerung fortsetzt. Der Aspekt der Sparsamkeit dient der kommunikativen Primärfunktion der Sprache sowie der kognitiven Beherrschbarkeit ihrer grammatischen Eigenstruktur. Der Sparsamkeit ist Genüge getan, wenn die Sprachbenutzerin mit dem geringsten nötigen Aufwand die grammatische Eigenstruktur einer Sprach(stuf)e erwirbt, und wenn diese Eigenstruktur es denjenigen, die sie erworben haben, erlaubt, mit möglichst wenigen Regelungen individuelle Vorstellungen erfolgreich zu gemeinsamen zu machen. 254 Das Erfordernis der Sparsamkeit bringt es mit sich, dass vieles, was in der Vorstellung verschieden ist, sprachstrukturell gleich gemacht wird. So werden Vorstellungen von grammatischen Eigenstrukturen überlagert. Die Auswirkungen der Sparsamkeit bringen dadurch die erste Ursache grammatischer Mehrdeutigkeit hervor, nämlich symbolische Auslagerungen. Sie machen Gegenstände und Eventualitäten in ihrer Materialität - als wahrnehmbare Gegenstands- und Eventualitätsausdrücke - gleichrangig, obwohl Eventualitäten vorstellungsmäßig von Gegenständen abhängen. Erst angesichts symbolischer Auslagerungen kann sich die Frage stellen, welcher Ausdruck oder Ausdrucksteil die Auslagerung welches anderen ist. Hier habe ich auch den Instruktionsgedanken eingeführt. Danach können Äußerungen als Anleitungen zum Vorstellen und Handeln charakterisiert werden, wobei verschiedene Aspekte der sprachlichen Eigenstruktur verschiedene instruktive Funktionen einnehmen und unterschiedlichen instruktiven Wert haben. Als die wichtigsten Typen von instruktiven Hinweisen, die dazu 252 Siehe Abschnitt 1.6. 253 Siehe Abschnitt 2.8. 254 Siehe Abschnitte 2.1 und 2.2. 18429_Kasper_SL5.indd 176 18429_Kasper_SL5.indd 176 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 2.9 Bedeutung für die Ausgangshypothese 177 anleiten, auf welche Weise etwas vorgestellt werden soll, haben wir die grammatische Morphologie und die syntaktische Strukturierung ausgewiesen. 255 Ich habe dann illustriert, wie es allgemein im Gefolge symbolischer Auslagerungen und speziell infolge der Ausprägung der instruktiven Hinweise in den untersuchten Sprach(stuf)en zu den mehrdeutigen Äußerungen kommt, die Rezipientinnen uneindeutig instruieren, was sie sich auf welche Weise vorstellen sollen, und damit auch im Ungewissen darüber lassen, was sie mit ihrer Vorstellung nun tun können, sollen oder müssen. 256 Die Ausgangshypothese besagt nun im Kern, dass unsere Leserinnen die grammatisch mehrdeutigen Äußerungen dennoch richtig verstehen können, auch wenn sie dabei auf so gut wie keine Informationen von außerhalb des relevanten (Teil-)Satzes zurückgreifen. Mit anderen Worten, die Leserinnen sind nun auf die fraglichen Äußerungen selbst zurückgeworfen. Ihnen sollen aber weder Informationen über die Einbettung dieser Äußerungen in Welt-, situations- und kotextuelle Zusammenhänge zur Verfügung stehen, noch nützt ihnen, wie wir sahen, ihr eigenstrukturelles Know-how . Was bleibt ihnen in dieser Situation? Es ist das ererbte und erworbene, vorsprachliche Know-how über Gegenstände und Eventualitäten, also ihre vorsprachlichen interpretativen Fähigkeiten, ihre Einsicht in die Notwendigkeit der symbolischen Auslagerung und die Evozierbarkeit von Vorstellungen durch sprachliche Ausdrücke. Uns sind bereits beim Referat über die Meinungen zu den eigenstrukturellen Hinweisen ein bis zwei Hinweisreize begegnet, die unabhängig von der sprachlichen Eigenstruktur und vom Kontext der Äußerung sind. Dies sind Belebtheit ( animacy ), Spezifizität ( definiteness/ specificity ) und Person. 257 255 Siehe Abschnitt 2.2. 256 Siehe Abschnitt 2.3. 257 Siehe die Ausführungen zu MacWhinney, Bates & Kliegl (1984) und Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009c) in Abschnitt 2.4.2. Person ist sicherlich insofern nicht unabhängig vom Kontext, als in der Kommunikationssituation der Produzent die 1. Person und der Adressat die 2. Person darstellt. Allerdings ist dies keine Sachinformation, die der Interpretin Hinweise darauf geben würde, was in einer grammatisch mehrdeutigen Äußerung womit in welcher Relation steht. Insofern bildet die Personinformation keinen kontextuellen Hinweis für die Interpretin. 18429_Kasper_SL5.indd 177 18429_Kasper_SL5.indd 177 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 18429_Kasper_SL5.indd 178 18429_Kasper_SL5.indd 178 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 2.9 Bedeutung für die Ausgangshypothese 179 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Wenn wir nämlich feststellen, ob ein Ding lebt, so beachten wir, besonders bei Tieren, die Bewegung; aber die Sprache mit ihrer einfachen und dichten Prägung wählt dabei den Ausdruck: es bewegt sich, also lebt es. Es ist die Spontaneität, die Selbstbewegung, die wir damit feststellen. […] Denn die Bewegung eines Wurfgeschosses wird nicht mit dem gleichen Sinne erfahren, wie das plötzliche Fortfliegen eines Vogels. Ich behaupte, daß sogar der Widerspruch gegen die mechanische Erwartung einer Bewegungsursache, also gerade das Fehlen einer äußeren Ursache, kennzeichnend für das Erlebnis ist. (Weizsäcker, Der Gestaltkreis, S. 23) Kapitel 2 hat gezeigt, dass die Hauptvoraussetzung der Hypothese erfüllt ist: Unsere Bibelübersetzungen enthalten Satzgliedbeziehungen, die anhand der verfügbaren grammatischen Mittel allein leicht anders interpretiert werden könnten, als die Schreiber und Übersetzer sie gemeint haben. Damit ist die Identifikation syntaktischer Funktionen beziehungsweise semantischer Rollen gemeint. Der Kern der Hypothese besagt, dass die Leserinnen unserer Bibelübersetzungen solche Satzgliedbeziehungen nun anhand außergrammatischer Hinweise richtig interpretieren können. Von diesen Hinweisen sind Informationen von außerhalb der Äußerung selbst, in der die Satzgliedbeziehungen enthalten sind, ausgeschlossen: Kotextinformationen, Informationen über die Äußerungssituation, wozu auch Produzenten und Adressaten gehören, sowie Informationen, die unabhängig von der Lektüre zum Wissensvorrat einer durchschnittlichen erwachsenen Bibelleserin gehören könnte - etwa, ob der Jünger die Mutter zu sich nimmt oder umgekehrt, wenn die Person, an der beide ihr Leben orientiert hatten, gerade gekreuzigt wurde. Was ich unseren Leserinnen an Know-how mitgebe, ist, auf welchen Vorstellungsgegenstand ein Pronomen sich bezieht. Die Mehrdeutigkeiten, die bei Unkenntnis dieser Beziehungen entstehen können, haben wir bisher außer Betracht gelassen und werden sie auch im Folgenden nicht diskutieren. 258 Dadurch, dass eine Leserin weiß, auf welchen Gegenstand sich ein Pronomen bezieht, weiß sie noch längst nicht, welche syntaktische Funktion und semantische Rolle es trägt. Als im letzten Kapitel Ansichten zu den Beziehungen der grammatischen Mittel zueinander referiert wurden, wurde es als Eigenart der psychologischen und neurowissenschaftlichen Sprachverstehensmodelle vorgestellt, dass sie - im Unterschied zu rein grammatisch orientierten Theorien - praktisch jeden denkbaren Typ von Hinweisen postulieren können, der beim Verstehen behilflich sein könnte, wie etwa ‚staubige Sandalen tragend‘ oder ‚im Wendekreis der Schildkröte‘ befindlich. Warum sollen nun die tatsächlich postulierten Hinweise wie Belebtheit, Definitheit/ Spezifizität und Person plausibler als jene sein? Diese wie jene sind in den Äußerungen, die uns interessieren, prinzipiell gleichermaßen verfügbar und anwendbar. Für das Bezugsobjekt jedes Satzglieds lässt sich ebenso gut entscheiden, ob es Sandalen trägt oder belebt ist. An Verfügbarkeit und Anwendbarkeit kann es also nicht liegen. Allerdings 258 Die entsprechenden Bezugsmehrdeutigkeiten wurden in Abschnitt 2.3.1 besprochen und als Untersuchungsgegenstand ausgeschlossen. Im Zusammenhang von Nullstellen (Abschnitt 2.3.2) wurden sie noch einmal relevant. 18429_Kasper_SL5.indd 179 18429_Kasper_SL5.indd 179 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 180 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise unterscheiden sich die Belebtheit und ihresgleichen zwar nicht prinzipiell, aber faktisch darin von ‚staubige Sandalen tragend‘ und seinesgleichen, dass für jene, nicht aber für diese im Umkreis der Sprache bereits Effekte dokumentiert sind. Sie reichen in die eigenstrukturelle Organisation, in Wandelprozesse und in den Gebrauch des Formeninventars von Sprachen hinein. Sie sind dabei aber selbst nicht auf die grammatische Form von Ausdrücken, sondern auf den mit ihnen verknüpften Vorstellungsinhalt zurückzuführen. Der Vorstellungsinhalt ‚Jünger‘ hat dabei weder eine grammatische Form, noch eine syntaktische Funktion, noch eine feste semantische Rolle. Dagegen hat er sehr wohl einen Belebtheitswert und noch einige Eigenschaften mehr. Die Frage, warum es Effekte von Belebtheit und mit ihr verwandten Faktoren, aber nicht von anderen Faktoren gibt - mit anderen Worten, was Belebtheit besonders macht -, wird kaum je diskutiert, vielleicht weil sie Sprachwissenschaftlerinnen zu unsprachwissenschaftlich anmutet. 259 Was ich hier lediglich erwähnen, aber erst im letzten Großkapitel ausführlich zu zeigen versuchen werde, ist, dass speziell der Faktor Belebtheit, aber nicht der Sandalen- und Schildkrötenfaktor, deswegen sprachwissenschaftlich pertinent ist, weil er für unsere Leserinnen und uns schon nichtsprachlich einen wichtigen und immer aktuellen Status hinsichtlich der Fragen hat, was womit in welcher Beziehung steht und was wir angesichts dessen tun können. Das setzt sich in den sprachlichen Ausdruck von Ereignissen fort. Belebtheit dient uns, anders als Sandalen oder relative Lagen zu Schildkrötenwendekreisen, als ziemlich zuverlässiger Index für , als Verweis auf etwas anderes. In diesem Kapitel werde ich mich darauf beschränken, den Kern der Hypothese zu validieren. Dazu werde ich in den Abschnitten 3.1 bis 3.3 die Effekte von zwei außergrammatischen Faktoren referieren und in den folgenden Abschnitten 3.4 bis 3.7 schrittweise überprüfen, ob sie beim Verstehen grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen helfen können. Ich nenne diese Faktoren nach der Forschungsliteratur Belebtheit und Akzessibilität. 260 Dabei werden sich theoretische Reflexionen, Hypothesenüberprüfung und Hypothesenanpassung abwechseln. In Abschnitt 3.8 erörtere ich die Ergebnisse in Bezug auf die letzte Fassung der Hypothese. Auf den Verweischarakter von Belebtheit werde ich dann im letzten, dem vierten Kapitel zurückkommen. 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff Belebtheit begegnet unseren Bibelleserinnen - und uns - auf mindestens zwei verschiedenen Ebenen. Da ist zum einen unser mehr oder weniger explizites Wissen über Lebendigsein und Totsein, das weitgehend von biologischen Schulmeinungen geprägt ist, die jeweils in etwa 15 Jahre älter sind als wir selbst. Danach ist etwas entweder lebendig oder tot und innerhalb des Lebendigen und innerhalb des Toten gibt es nichts, das mehr oder weniger lebendig beziehungsweise tot wäre als anderes. Wir können alle konkreten Gegenstände, die uns einfallen, den zwei großen Gruppen des Lebendigen und des Toten zuordnen und tun dies nach 259 Eine Ausnahme ist Dahl (2008). 260 Akzessibilität ist ein Aspekt der Spezifizität im neurolinguistischen Modell, die ich ganz am Ende des zweiten Kapitels genannt hatte. Die nähere Abgrenzung erfolgt im vorliegenden Kapitel. 18429_Kasper_SL5.indd 180 18429_Kasper_SL5.indd 180 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff 181 bestimmten notwendigen Kriterien. 261 Eine dritte Gruppe jenseits des Lebendigen, oder Belebten, und des Toten, oder Unbelebten, gibt es nicht. (Wer Sandalen nicht als tot bezeichnen möchte, möge sie als unbelebt bezeichnen.) Das Wissen über das Lebendigsein von Bakterien gehört bei den meisten Menschen aber schon zu einer Art von bloß theoretischem explizitem Faktenwissen, das kaum oder gar nicht von ihrer Alltagserfahrung gedeckt ist, weil sie weder physische Erfahrungen mit isolierten Bakterien machen, noch als Experten mit den wissenschaftlichen Kriterien des Lebendigseins vertraut sind. Die alltägliche Beobachtungs- und Umgangserfahrung, in die hinein ich auch virtuelle Erfahrungen ziehen möchte, ist es aber, die unseren zweiten und grundsätzlich anderen Zugang zu Belebtheit enthält. Hier verorten wir, was verletzt oder krank, halbtot oder untot ist, selbstverständlich und vorbewusst auf einer vorgestellten Skala zwischen Lebendigkeit und Tod, bald näher am einen, bald näher am anderen Pol. Wesen, auf die die genannten Eigenschaften zutreffen, sind dem gesunden, ganzen Menschen - ganz - whole - heil - in Gestalt und Fähigkeiten schon intuitiv in gewissem Maße unähnlich. Sie besetzen auf dieser Skala nicht mehr den Pol des maximal Lebendigen und erfahren von ihm auch eine andere Behandlung. Aber ebenso sind sie nicht maximal tot oder unbelebt und werden auch nicht als solches behandelt. In diesem naiven Alltagsumgang, der alles andere als bloß sprachlicher Art ist und nicht auf explizitem Wissen, sondern auf teils ererbtem, teils erworbenem Know-how beruht, können Mütter, Jünger, Leichen, Esel, unlängst getötete Schweine, Rinderbraten, Myrrhe, Sandalen, Richtplätze, Wein und falsche Zeugnisse auch in unterschiedlichem Grade belebt sein. Dass wir diese Gegenstände im weitesten Sinne nicht tatsächlich auf einer Skala anordnen, versteht sich von selbst. Doch die Rangfolge lässt sich aus unserer unterschiedlichen Behandlung dieser Gegenstände konstruieren, wie ich gleich zeigen werde. Was Sprachwissenschaftlerinnen unter Belebtheit verstehen, umfasst entweder genau den Kern dieser alltäglichen Beobachtungs- und Umgangserfahrung oder kommt ihm jedenfalls sehr nahe. 262 Wie man sich Belebtheit als Skala vorstellen soll, lässt sich vielleicht am einfachsten folgendermaßen erklären: Wir stellen uns zunächst einmal nur vor, wir verhielten uns, von uns selbst unbemerkt, gegenüber einer bestimmten Art von Eventualität, also einer Situation oder einem Ereignis, auf eine von zwei Weisen. Welche Verhaltensweise es ist, möge davon abhängen, welche Art von Gegenstand in der Eventualität vorkommt. Wir könnten Verhalten A an den Tag legen, wenn ein Mensch darin vorkommt, aber Verhalten B, wenn unter ansonsten gleichen Umständen ein Tier vorkommt. Wir könnten weiterhin beobachten, dass wir Verhalten B in der gleichen Art von Eventualität auch dann an den Tag legen, wenn weder ein Mensch noch ein Tier in ihr auftritt, sondern ein dritter Gegenstandstyp. Sodann könnte es in einer anderen Art von Eventualität ein Verhalten A geben, das wir gegenüber Menschen und Tieren an den Tag legen, während wir gegenüber den dritten Gegenständen zu Verhalten B greifen würden. Was wir dagegen nicht beobachten würden, ist, dass wir Verhalten A gegenüber Menschen und den dritten Gegenständen an den Tag legen, aber Verhalten B gegenüber Tieren. Das Ganze ist in Tabelle 6 illustriert. Die Raute zeigt die Konfiguration an, die wir dabei nicht beobachtet hätten. 261 Vgl. etwa Mayr (2000: 44-47). 262 Zur Belebtheitshierarchie vgl. einführend Comrie (1989, Kap. 9), Yamamoto (1999), Primus (2012). 18429_Kasper_SL5.indd 181 18429_Kasper_SL5.indd 181 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 182 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Mensch Tier Drittes Eventualitätstyp 1 A B B Eventualitätstyp 2 A A B #Eventualitätstyp 3 A B A Tab. 6: Zur Rechtfertigung einer Belebtheitshierarchie Wir können an dieser Tabelle zeigen, dass unser derartiges Verhalten nicht zufällig wäre. Wenn wir die beobachteten Eventualitätstypen, die in der Wirklichkeit natürlich viel zahlreicher wären, zusammennehmen, können wir die lineare Reihe in (26) aus der Tabelle ableiten. (26) Mensch > Tier > dritter Gegenstand Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen und das Verhalten als noch weniger zufällig erweisen wollten, könnten wir versuchsweise die Gegenstandstypen in der Reihe (26) auf Ausprägungen eines Merkmals herunterbrechen: Belebtheit. Dabei böte sich die Reihe in (27) an. (27) human > (nicht human,) belebt > unbelebt (Tatsächlich ist auch die Anzahl der Einheiten, die gemeinhin auf der Belebtheitshierarchie verortet werden, noch zahlreicher. Dazu unten mehr.) Wir könnten jede Einheit in dieser Reihe berechtigt annehmen, denn für jede Einheit gäbe es irgendeinen Eventualitätstyp, in dem sie eine unserer Verhaltensweisen von einer anderen unterschiede. Die Reihe als eine echte Skala oder Hierarchie anzunehmen, in der jede Einheit einen festen Platz hat, wären wir dadurch berechtigt, dass bestimmte Anordnungen es uns erlaubten, Implikationen zu formulieren. Bei Eventualität 1 verläuft der Spalt zwischen den zwei Verhaltensweisen zwischen ‚human‘ und ‚belebt‘. Wenn wir die Skala in (27) annähmen, dann könnten wir für jede Einheit, die rechts des Spalts rangiert, vorhersagen, dass sie mit einer Handlungs- oder Verhaltensweise einherginge, und die Einheiten links des Spalts mit einer anderen. Allgemeiner könnten wir dann vorhersagen, dass für jede Einheit zur einen Skalenrichtung hin die gleiche Verhaltensweise wie für fragliche Einheit auftreten wird und zur anderen Skalenrichtung hin die andere. In der Sprache finden wir alles, was ich eben nur in der Möglichkeitsform referiert habe, idealtypisch verwirklicht. Belebtheit ist dabei allerdings weiterhin nur eine Chiffre für etwas, was sich bisher der begrifflichen Fixierung entzogen hat. Welcher Faktor es genau ist oder welche Faktoren es genau sind, der in uns gegenüber ansonsten gleichen Eventualitäten sprachliche Handlungs- oder Verhaltensunterschiede bewirkt, wissen wir nicht. Nicht alle Theoretikerinnen würden deshalb zustimmen, dass das, was wir auf dem Weg von (26) zu (27) destillieren, tatsächlich Lebendigkeit ist; 263 nicht alle besetzen ihre jeweiligen Skalen mit denselben Einheiten; 264 viele Skalenversionen enthalten neben dem Faktor Belebtheit ganz offensichtlich noch 263 Vgl. Comries (1989, Kap. 9) Belebtheit gegenüber Kunos & Kaburakis (1977) und Langackers (2002: 248) Empathie, Bickels (2008) Referentialität, Aissens (1999) Prominenz. Daneben wird sie auch als Skala der Agentivität, Individuiertheit, Topikeignung bezeichnet. 264 Vgl. Silverstein (1976) gegenüber Kasper (2017a). 18429_Kasper_SL5.indd 182 18429_Kasper_SL5.indd 182 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff 183 andere, beispielsweise Wortartinformationen; 265 viele angebotene Skalen sind nur Teilskalen, orientiert am jeweils untersuchten Einzelphänomen. Diese Uneinheitlichkeit ist dem Umstand geschuldet, dass die jeweiligen Skalen fast immer vom sprachlichen Phänomen her gedacht werden und nicht als das gelten, was erklärt werden soll, sondern als das, was nach Prüfung der Faktoren einen Unterschied im grammatischen Formeninventar, die Stufenfolge einer bestimmten Wandelerscheinung oder eine bestimmte Alternation im Sprachgebrauch erklärt. Woher es kommt und warum es funktioniert, ist dann die Sache von Anthropologinnen, Biologen, Theologen oder Philosophinnen, je nach façon . Wenn man aber von den Einzelstudien und Einzelinteressen absieht und aus der Distanz auf sie schaut, offenbart sich die Skala oder Hierarchie in (27) als Kern, der in umfangreicheren Versionen mindestens implizit enthalten ist. 266 Ich systematisiere zunächst einmal die mutmaßlichen linguistischen Belebtheiteffekte, aus denen sich so etwas wie eine Skala oder Hierarchie ableiten lässt. Ich greife dabei die unterschiedlichen Betrachtungsweisen von sprachlichen Strukturen teilweise wieder auf, die ich bereits früher benutzt habe. 267 3.1.1 Belebtheit aus der synchronischen Offline-Perspektive Aus der synchronischen Offline-Perspektive lässt sich das grammatische System einer Sprache für sich oder im Vergleich zu anderen beschreiben. Dabei können wir erst einmal danach fragen, nach welchen Kriterien bestimmte grammatische Kategorien in einer Sprach(stuf)e formiert sind. Dass Belebtheit das entscheidende Kriterium dabei sein kann, das etwa bestimmte grammatische Klassen in Sprachen voneinander unterscheidet, ist schon lange bekannt, vermutlich so lange, wie Europäer versucht haben, neu entdeckte Länder zu kolonisieren und die indigene Bevölkerung zu missionieren. Den Handelsleuten und Missionaren, die die Sprachen der Indigenen verstehen wollten, die nicht Englisch, nicht Spanisch, nicht Portugiesisch, nicht Deutsch sprachen, konnte nicht entgehen, dass bestimmte Unterscheidungen im eigenstrukturellen Formeninventar dieser Sprachen - beispielsweise zwischen verschiedenen Klassen von Nomen - an der Unterscheidung von belebten und unbelebten Gegenständen entlang verliefen. 268 Auf gesammelte Erkenntnisse dieser Art konnten dann später Ethnologen, Anthropologinnen, Sprachtypologen und -philosophinnen zurückgreifen, die sich anscheinend oder scheinbar aus weniger instrumentellem Interesse für die sogenannten exotischen und primitiven Sprachen interessierten. 269 Wenn wir die Eventualitätstypen in Tabelle 6 einfach durch grammatische Klassen ersetzen, können wir uns also des Konjunktivs entledigen. Sodann lässt sich aus der synchronischen Offline-Perspektive nachweisen, dass Belebtheitsunterschiede Einfluss auf den sprachlichen Ausdruck von ansonsten gleichen Vorstellungen nehmen können. Diese Erkenntnisse sind jünger. Wenn ein Gegenstand in einer bestimmten Art von semantischer Beziehung zu einem bestimmten Grad belebt ist, dann wird die Beziehung anders ausgedrückt, als wenn der Gegenstand einen anderen Belebtheitsgrad aufwiese. Solche Phäno- 265 Vgl. Silverstein (1976) gegenüber Croft (2002). 266 Vgl. prominent etwa Comrie (1989, Kap. 9), daneben de Swart & de Hoop (2018: 4). 267 Siehe Abschnitt 2.4.2. 268 Vgl. Martin (1818: 359-362) am Beispiel des Tongaischen, nach den Berichten von William Mariner. Die Geschichte von William Mariner und Tonga ist so grausam wie faszinierend. 269 Vgl. exemplarisch Müller (1887: 102), Boas (1911: 939-940), Wundt (1912: passim), Cassirer ([1923] 2010, I: passim, besonders aber Kapitel III, Abschnitt IV). 18429_Kasper_SL5.indd 183 18429_Kasper_SL5.indd 183 20.08.2020 10: 55: 59 20.08.2020 10: 55: 59 184 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise mene gibt es wahrscheinlich in allen Sprachen. Die Belege sind Legion und werden wöchentlich mehr. 270 Beispielsweise werden in vielen Sprachen die grammatischen Objekte einiger Verben entweder als direkte oder als Präpositionalobjekte ausgedrückt, was mindestens teilweise davon abhängt, ob das Bezugsobjekt in der Vorstellung ober- oder unterhalb eines bestimmten Spalts auf der Belebtheitshierarchie rangiert. Etwas Ähnliches gibt es auch für grammatische Subjekte. 271 Zwischen welchen Einheiten ein solcher Spalt verläuft, der den Gebrauch verschiedener Formen bedingt, unterscheidet sich dabei oft zwischen Sprach(stuf)en. Bei diesen sprachlichen Phänomenen könnten wir die Eventualitätstypen in Tabelle 6 also einfach durch grammatische Alternationstypen ersetzen und die Großbuchstaben durch die alternierenden Varianten. Die Unterschiede in der Wahl der grammatischen Formen brauchen aber nicht nur die Form des Subjekts oder Objekts betreffen, sie können auch die Form des ganzen (Teil-)Satzes bedingen. Als Subjekte werden bevorzugt hoch oder in Relation höher belebte Vorstellungsgegenstände gewählt. 272 In unseren Sprach(stuf)en ist der häufigste Fall der, dass der höher belebte Vorstellungsgegenstand auch der agentivere ist, wie in Da Jesus [S] das sah … Wenn der belebtere Vorstellungsgegenstand der weniger agentive ist, sind beide Gegenstände akzeptable Subjekte. Dann bestehen oft alternative Ausdrucksmöglichkeiten, mit denen man den belebteren oder den agentiveren Gegenstand zum Subjekt machen kann, wie zum Beispiel passivische gegenüber aktivischen - damit erfüllet würden die Schriften der Propheten [S], in dem das vage Agens ganz fehlt - oder Verbpaare, bei denen die Zuordnung von semantischen Rollen und syntaktischen Funktionen umgedreht ist, wie in Da das [S] Jesus [IO] auffiel gegenüber Da Jesus [S] das [DO] bemerkte . Für solche Drehungen stehen auch viele Verbpaare zur Verfügung wie geben - nehmen , kaufen - verkaufen , jagen - fliehen, fürchten - ängstigen und reuen - bereuen . Ein Beispiel, das sowohl die Aktiv-Passiv-Alternation als auch eine solche Drehung illustriert, ist Matthäus 27, 3 in der neuhochdeutschen und hochalemannischen Übersetzung. Hier geht es um Jesu Todesurteil infolge Judas’ Verrat. (28) Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, daß er [S] zum Tode verurteilt war, reute es [S] ihn [DO] [ … ] (Neuhochdeutsch, Bibel, Luther/ EKD [1984]) (29) Wo dänn de Judas, wo en uusgeliferet hät, gsee hät, das mer [S] en [DO] dass man ihn veruurtäilt hät, da hät er [S] s [DO] beroue [ … ] verurteilt hat da hat er es bereut ‚(…), dass man ihn verurteilt hatte, da hat er es bereut (…)‘ (Hochalemannisch, S Nöi Teschtamänt, Weber [1997]) 270 Eine kleine Auswahl, alphabetisch geordnet: Aissen (1999) zur Wahl des Subjekts, Aissen (2003) zu differentieller Objektmarkierung, Boneh & Sichel (2010) zur Possession, DeLancey (1981) zu geteilter Ergativität, Hale (1973) zu einem Lexikalisierungsphänomen, Harris (1978) zur Passivierung, Kasper (2015a, 2015c, 2017a, i. Ersch.) zu Possession, Kuno & Kaburaki (1977) zu diversen Perspektivitätsphänomenen. 271 Für diese differentielle Objekt- und Subjektmarkierung vgl. Malchukov (2008). 272 Vgl. früh Clark (1965). 18429_Kasper_SL5.indd 184 18429_Kasper_SL5.indd 184 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff 185 Hier gibt es gleich zwei Teilsätze, in denen die beiden Übersetzer verschiedene Zuordnungen von semantischen Rollen und syntaktischen Funktionen vorgenommen haben: den Verurteilungsteilsatz und den Reueteilsatz. Ein Grund, warum man im Verurteilungsteilsatz Jesus gut als Subjekt ausdrücken kann, ist, dass Jesus im Vergleich zu denen, die ihn verurteilten, mindestens gleich belebt ist; (außerdem ist er individuierter und spezifischer; ) so im neuhochdeutschen Beispiel. Ein Grund, ihn zum Objekt zu machen, ist, dass seine Richter das Agens darstellen; so im Hochalemannischen. Und ein Grund, im Reueteilsatz Judas als Subjekt auszudrücken, kann sein, dass Judas höher belebt (und konkreter) ist als der Verrat, den er bereut. Umgekehrt könnte man deutlicher machen, dass die Reue weder kalkuliert noch kontrolliert ist, sondern Judas übermannt, indem man diesen als Objekt ausdrückt, wie im Neuhochdeutschen. Im Altgriechischen ist der Verurteilungsteilsatz ein Passivsatz ( hoti katekrithē ), der Reueteilsatz eine passivische Partizipialkonstruktion ( metameletheis ). 273 Mit anderen Worten, die Vorstellung des höher belebten Gegenstands und der in der Vorstellung agentivere Gegenstand konkurrieren um die Subjektfunktion, wenn sie nicht im selben Vorstellungsgegenstand zusammenfallen. Ein dritter Typ von Belebtheitseffekt betrifft weder Unterschiede im Formeninventar noch in der Wahl des Ausdrucksmusters, sondern Unterschiede in der Interpretation desselben Ausdrucksmusters . Danach wird die gleiche grammatische Konstruktion ohne widerstreitende Information unterschiedlich interpretiert, je nachdem, wie belebt ein bestimmter Vorstellungsgegenstand in ihr ist. Subjekte und Dativobjekte von Verben, die agentivische Lesarten grundsätzlich zulassen, aber nicht erzwingen, werden immer dann als echt verantwortliche Agenten beziehungsweise teilverantwortliche Gegenstände interpretiert, wenn sie mindestens belebt oder human sind. 274 Das Verb schütten oder gießen lässt in diesem Sinne zu, dass sein Subjekt als ideales Agens, also als verantwortlich handelnder Gegenstand interpretiert wird, wie in Beispiel (30), in dem wir ein humanes Subjekt vorfinden und es wie selbstverständlich als verantwortliche Ursache für das Ereignis des Gießens interpretieren. (30) 6 Als nun Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen, 7 trat zu ihm eine Frau, die hatte ein Glas mit kostbarem Salböl und goß es auf sein Haupt, als er zu Tisch saß. (Neuhochdeutsch, Bibel, Matthäus 26, Luther/ EKD [1984]) Die agentivischste Interpretation mit einer verantwortlichen Verursacherin ist aber für unsere Leserin und für uns kein Muss, denn weder das Verb noch die Konstruktion zwingen uns, das Subjekt als ein solches vollgültiges Agens zu interpretieren. Dass die Frau Jesus das Öl absichtlich übergeschüttet hat und verantwortlich dafür gemacht werden muss, lässt sich leicht mittels einer zusätzlichen Information in der ansonsten gleichen Konstruktion als falsch erweisen, etwa durch Hinzufügung von aus Versehen , unabsichtlich oder im Tran . Dann interpretieren wir die Frau natürlich nicht mehr als vollgültiges Agens, sondern als fahrlässige Verursacherin. 275 Sobald wir das anerkannt haben, können wir aber auch erkennen, dass uns diese letztere Lesart bereits für das Beispiel in (30) ohne die genannten Hinzufügungen zur Verfügung gestanden hätte. Und dennoch interpretieren wir die Ölgießerin automatisch 273 Vgl. Novum Testamentum Graece. 274 Vgl. Holisky (1987: 119) für die Grundidee, vgl. Kasper (2015b) ausführlich. 275 Vgl. auch Gruber (1965, Kap. 8 und 9) zu frühen Binnendifferenzierungen von Agentivität. 18429_Kasper_SL5.indd 185 18429_Kasper_SL5.indd 185 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 186 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise oder im Routinemodus als voll agentivisch, sobald das Subjekt ein mindestens humaner Vorstellungsgegenstand ist. Wenn eine solche Interpretation nicht intendiert ist, muss sie durch entsprechende Informationen aktiv verhindert werden. Dafür muss der Produzent beispielsweise die genannten adverbialen Angaben hinzufügen. In diesem Befund deutet sich bereits an, dass Belebtheit ein Hinweis auf etwas anderes ist, auf den wir bereitwillig anspringen: Was die genannten adverbialen Angaben bewirken, ist, dass sie die Schlussfolgerung von einem humanen auf ein echt agentivisches Subjekt, die Leserinnen automatisch oder routinemäßig vollziehen, unterbinden, indem sie die klassischen Merkmale von Agentivität wie ‚(Selbst- und Fremd-)Kontrolle‘, ‚Willentlichkeit‘, ‚Zweckgerichtetheit‘, ‚Wachheit/ Bewusstheit‘ verneinen. 276 In Bezug auf die Belebtheitshierarchie könnten wir die Eventualitätstypen in Tabelle 6 durch Äußerungen ersetzen, die mehrere Lesarten in Abhängigkeit von der Belebtheit des Subjekts zulassen, und die Großbuchstaben durch die jeweilige Lesart. In ganz ähnlicher Weise würde die Belebtheit auch in Bezug auf das Verstehensproblem bei unseren Bibelübersetzungen wirksam werden. Anstelle des Beispiels (30) in Tabelle 7 würden wir die Satzgliedbeziehungen aus den Teilkorpora einsetzen, die wir als grammatisch mehrdeutig ausgewiesen haben. Für die Verhaltensweisen A und B würden wir zwei unterschiedliche Lesarten für diese Satzgliedbeziehungen einsetzen: diejenige, wonach das eine Satzglied die eine syntaktische Funktion/ semantische Rolle und das andere Satzglied die andere syntaktische Funktion/ semantische Rolle trägt, sowie die Lesart mit der umgekehrten Zuordnung. … Mensch Tier Unbelebtes … (30) verantwortlich verantwortlich bloß phys. Ursache bloß phys. Ursache bloß phys. Ursache Tab. 7: Unterschied in der Interpretation in Abhängigkeit von Belebtheit (Beispiel) Als Beispiel kann (31) dienen. Im Hauptsatz sind zwei Zuordnungen der syntaktischen Funktionen Subjekt und direktes Objekt zu den beiden Satzgliedern s und siini Chläider möglich. Beide können entweder als Subjekt oder als direktes Objekt fungieren. (31) Wo- iez- d- Soldaate de- Jesus gchrüüziget- ghaa händ, Als jetzt die Soldaten den Jesus gekreuzigt gehabt haben händ- s siini-Chläider- gnaa … hab.3PL 3SG/ PL.NOM/ AKK 3PL.NOM/ AKK nehm.PTZII ‚Als die Soldaten nun Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider.‘ (Hochalemannisch; S Nöi Teschtamänt; Johannes 19, 23; Weber [1997]) Als entscheidender Faktor, der über die richtige Lesart entscheidet, kommen nun laut Hypothese die relativen Belebtheitswerte der beiden Vorstellungsgegenstände - hier die Soldaten gegenüber Jesu Kleidern - auf der Belebtheitshierarchie in Frage, so dass der höher belebte als Subjekt beziehungsweise Agens interpretiert würde. Die Zuordnung des Subjekts zum niedriger belebten Gegenstand würde nach der Hypothese in die Irre führen. Diese Vorhersage trifft hier zu. 276 Vgl. zu diesen Merkmalen Dowty (1991), Van Valin & Wilkins (1996), Primus (1999), Grimm (2005), Kasper (2015b). 18429_Kasper_SL5.indd 186 18429_Kasper_SL5.indd 186 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff 187 höhere Belebtheit = Subjekt/ Agens höhere Belebtheit ≠ Subjekt/ Agens … händ s siini Chläider gnaa … Subjekt/ Agens = s #Subjekt/ Agens = siini Chläider Tab. 8: Unterschiede in der Interpretation in Abhängigkeit von der relativen Belebtheit (Beispiel) Hätte die Leserin es mit der Beziehung zwischen zwei grammatisch mehrdeutigen Objekten zu tun, wie im Nebensatz in Beispiel (32), wäre höhere Belebtheit für sie der Hinweis auf das indirekte Objekt beziehungsweise einen Rezipienten gegenüber einem Patiens, und im Falle zweier direkter Objekte (beziehungsweise einer Instanz von DO und einer von O) 277 nur für die Rolle eines Rezipienten gegenüber der eines Patiens. (32) „Wat wüllt ji mi gewen, Was wollt ihr mir geben wenn ick em ju in de Hann’n lewer? “ wenn 1SG 3SG.M.DAT/ AKK 2PL.DAT/ AKK in die Hände liefere ‚Was wollt ihr mir geben, wenn ich ihn euch in die Hände liefere? ‘ ‚Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch ihm in die Hände liefere? ‘ (Nordniederdeutsch; Dat Nie Testament; Matthäus 26, 15; Jessen [[1933] 2006]) Auch hier trifft die Vorhersage zu. Em ist das direkte Objekt und das Bezugsobjekt Jesus das Patiens. 278 3.1.2 Belebtheit aus der diachronischen Offline-Perspektive Der Schritt von der synchronischen zur diachronischen Offline-Perspektive ist, wie schon bei den Beziehungen der eigenstrukturellen Hinweise zueinander, nur ein kleiner. Bei Ersterer bewirken Belebtheitsunterschiede, dass grammatische Klassen, der Gebrauch von Ausdrucksmustern oder Lesarten für Ausdrucksmuster sich in Abhängigkeit von absoluten oder relativen Belebtheitswerten der beteiligten Vorstellungsgegenstände unterscheiden. Sofern absolute Belebtheitswerte über die Konstitution einer grammatischen Klasse, die Wahl eines Ausdrucksmusters oder einer Lesart entscheiden, so verläuft in einer Sprach(stuf)e stets ein Spalt zwischen zwei Einheiten auf der Belebtheitshierarchie - wie in Tabelle 7. Dann ist eine grammatische Klasse betroffen, ein Ausdrucksmuster oder eine Lesart wird gewählt, wenn ein Gegenstand mit den Belebtheitswerten links des Spalts beteiligt ist, und andere Klassen sind betroffen oder Varianten werden gewählt, wenn Gegenstände mit den Werten rechts vom Belebtheitsspalt beteiligt sind. Sehr viele Belebtheitseffekte in diachronischer Blickrichtung können nun einfach dadurch charakterisiert werden, dass sich bei der Konstitution grammatischer Klassen oder der Wahl von Ausdruckmustern oder Lesarten der jeweilige Spalt zwischen den Sprach(stuf)en einer Sprache auf der Belebtheitshierarchie verschiebt. Noch mehr als das; es scheint sogar so zu sein, dass dieser Spalt bei vielen Wandelprozessen nicht 277 Siehe dazu Kapitel 2.8, speziell 2.8.1. 278 Zur Rechtfertigung dieses Belebtheitsunterschieds siehe den folgenden Unterabschnitt. 18429_Kasper_SL5.indd 187 18429_Kasper_SL5.indd 187 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 188 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise auf der Belebtheitshierarchie hin- und herspringt, sondern ordentlich auf ihr von unten nach oben (also von rechts nach links) oder oben nach unten (von links nach rechts) wandert. Die Belebtheitshierarchie ist also eine solche, an der entlang Sprachwandelprozesse verlaufen können. Belebtheitseffekte - und das ist wichtig! - sind nur während dieser Wanderung beobachtbar, aber nicht davor und nicht danach. So verlief die Herausbildung des Definitartikels im Deutschen an der Belebtheitshierarchie entlang von oben nach unten. 279 Eine andere Entwicklung inklusive Wanderung betrifft die Entwicklung bestimmter Pronomen- und Nomenklassen in germanischen Sprachen. 280 An ihr lässt sich auch gut die Binnendifferenzierbarkeit von Einheiten auf der Belebtheitshierarchie nachweisen: Pronomen werden bekanntlich nach Person, Numerus, Genus und Kasus unterschieden. In den germanischen Sprachen zeigt sich, dass eine pronominale Form wahrscheinlicher eine mehrdeutige morphologische Form hat, wenn sie Funktionen am unteren Ende der folgenden drei Teilskalen vertritt und wahrscheinlicher eine eindeutige, wenn sie Funktionen an ihrem oberen Ende vertritt. (33) 1. Person (= ich) > 2. Person (= du) > 3. Person (= er, sie, es) (34) Singular > Plural (35) Maskulinum (≈ „Männer“) > Femininum (≈ „Frauen“) > Neutrum (≈ anderes) In und zwischen den Paradigmen zeigt sich, dass es bei den Formen der dritten Person mehr ununterscheidbare Formen gibt als in der ersten und zweiten, dass es im Plural mehr ununterscheidbare Formen gibt als im Singular und mehr ununterscheidbare Formen im Neutrum als im Femininum, und mehr im Femininum als im Maskulinum. Dabei wurde argumentiert, dass sich die drei beteiligten Unterhierarchien in (33) bis (35) auf die Belebtheitshierarchie abbilden lassen. Man könnte die Kernhierarchie in (27) folgendermaßen erweitern: human > (nicht human,) belebt > unbelebt 1. Sg. m. 3. Sg. (m. 3. Sg. n. > > > > > > 2. Pl. f. Pl. f.) Pl. > > > 3. n. n. Tab. 9: Erweiterte Belebtheitshierarchie Die Hierarchie wäre dann so zu lesen, dass innerhalb der humanen Vorstellungsgegenstände das Ich belebter ist als das Du, das Du belebter ist als das Ihr (2. Ps.), er belebter ist als sie, sie als es und so weiter. Man benötigt nicht viel Weitsicht, um zu sehen, dass man in große Not geriete, wollte man in dem Merkmal, das diese Hierarchie hier zusammenhält, noch Belebtheit im alltäglichen Sinne oder im Sinne des Schulwissens sehen. Obwohl der Ausdruck uns schon nur als Chiffre dient, droht er uns hier vollends ins Esoterische zu entgleiten. Das gilt gar nicht einmal 279 Vgl. Oubuzar (1992, 1997a, 1997b), Szczepaniak (2011, Kap. 5.2). 280 Für das Folgende vgl. Alber & Rabanus (2011). 18429_Kasper_SL5.indd 188 18429_Kasper_SL5.indd 188 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff 189 für den Schluss vom grammatischen zum kulturellen oder biologischen Geschlecht, der in Tabelle 9 implizit enthalten ist. Dieser Schluss hat mit den nötigen Einschränkungen viele Indizien auf seiner Seite. Heikler sind sicherlich die Hierarchisierung der Geschlechter und die Frage, ob das Know-how , das durch diese Hierarchie repräsentiert wird, ererbtes oder erworbenes ist. 281 Bei unseren grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen haben wir es durchgängig mit relativen Belebtheitswerten zu tun, also mit der Frage, welches Satzglied höher, welches niedriger belebt ist. Hier kann die Wanderung von Spalten auf der Belebtheitshierarchie keine Rolle spielen. Sollte sich die Hypothese bestätigen, wäre die diachronische Dimension unseres Phänomens eine andere, nämlich historisch unterschiedliche Grade, in denen die Belebtheitshierarchie der Hypothese zufolge in der Interpretation belastet wird. Am Ende des letzten Kapitels haben wir gesehen, dass unsere Sprach(stuf)en verschiedene Mengen an grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen aufweisen. Laut Hypothese sind es außergrammatische Hinweise wie Belebtheit, anhand deren diese Satzgliedbeziehungen dennoch richtig interpretiert werden können. Daher müsste mit der Häufigkeit grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen auch der Grad ansteigen, in dem Belebtheitsinformation für die Interpretation herangezogen wird: In der englischen Sprachgeschichte sollte Belebtheit also im Mittelenglischen nur in dem Grad eine Rolle spielen, in dem die Reihenfolge keinen instruktiven Wert hat. In der deutschen Sprachgeschichte sollte, grob gesprochen, die interpretative Belastung der Belebtheitshierarchie zunehmen, sofern Satzgliedbeziehungen mit realisierten Satzgliedern betroffen sind, und abnehmen, sofern Satzgliedbeziehungen mit mindestens einem imaginären Satzglied betroffen sind, da diese in den jüngeren Sprachstufen zum größten Teil durch die jeweiligen grammatischen Eigenstrukturen geregelt sind. 3.1.3 Belebtheit aus der synchronischen Online-Perspektive Die Satzgliedpaare, die uns interessieren, hängen jeweils prototypisch mit bestimmten semantischen Rollen zusammen und die Satzglieder können die semantischen Rollen mehr oder minder prototypisch ausfüllen. Typischerweise treten Beziehungen zwischen Agens- und Patiensgegenständen in Äußerungen mit Subjekten und direkten Objekten (beziehungsweise bloßen O-Instanzen) auf. Beziehungen zwischen Agens- und Rezipientengegenständen treten in Äußerungen mit Subjekten und indirekten Objekten auf und Beziehungen zwischen Rezipienten- und Patiensgegenständen in Äußerungen mit indirekten und direkten Objekten sowie direkten Objekten und O-Instanzen. Die Elemente, die als Satzgliedpaare analysiert werden, treffen dabei zwangsläufig nacheinander auf die Sinnesorgane der Leserinnen und diese nehmen sie nacheinander wahr. Darin muss die Wahrnehmung die Satzglieder schon zwangsläufig ungleich behandeln und die Ungleichbehandlung ist systematisch: Wir alle erwarten bestimmte Reihenfolgen eher als andere. Das bedeutet nicht, dass die Reihenfolge dabei ein zuverlässiger eigenstruktureller Hinweis auf die richtige Interpretation wäre oder zu einer anderen Vorstellungsweise instruieren würde. Kiparsky hatte uns in diesem Zusammenhang schon früher daran erinnert, dass es eine Reihenfolge immer gibt. 282 Sie ist der Sprache als essentielles Merkmal eingeschrie- 281 Vgl. dazu, auch im Zusammenhang mit der Belebtheitshierarchie (Vorsicht: Chiffre) und mit kulturkritischer Pointe, Nübling (2017). 282 Vgl. Kiparsky (1997: 487). 18429_Kasper_SL5.indd 189 18429_Kasper_SL5.indd 189 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 190 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise ben. Dass sie als instruktives Mittel genutzt wird, ist möglich, aber nicht notwendig. In der linguistischen Forschung haben sich noch weitere solcher Ungleichbehandlungen herausgestellt, die die Art und Weise, wie ein Vorstellungsinhalt vorgestellt wird, ändern können, aber nicht müssen. Ähnlich wie die zwangsläufig vorhandene Reihenfolge treten sie in der Online-Sprachwahrnehmung in der Form von eher Erwartetem gegenüber eher Unerwartetem beziehungsweise eher unaufwendiger gegenüber eher aufwendiger Verstehbarem auf. Offline entspricht dem eher freierer gegenüber eher beschränkterem Gebrauch von Formen und Ausdrucksmustern. Das dergestalt ungleich Behandelte betrifft eigenstrukturelle Formmerkmale - und eben außergrammatische Merkmale wie Belebtheit. Ausdrücke mit verschiedenen Ausprägungen dieser Merkmale werden ungleich behandelt und können, müssen aber nicht einen Einfluss darauf haben, wie unsere Leserinnen syntaktische Funktionen und semantische Rollen identifizieren. Die idealtypischen Zuordnungen von Ausprägungen von eigenstrukturellen und außergrammatischen Merkmalen zu syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen gehen aus Tabelle 10 hervor, soweit sie in der Forschungsliteratur bekannt sind und für belastbar gehalten werden. 283 synt. Funktion S > IO/ DO IO/ DO > DO/ O sem. Rolle Agens > Rezipient Rezipient > Patiens eigenstrukturelle Formmerkmale 1. Pos. > 2. Pos. 1. Pos. ? 2./ 3. Pos. Nom. > Dat. Dat. > Akk. definit > indefinit definit ? indefinit 1./ 2. Pers. > 3. Pers. 1./ 2. Pers. ? 3. Pers. außergram. Merkmale höher belebt ≥ niedriger belebt höher belebt > niedriger belebt (30) Ø es (31) s siini Chläider (32) ick ju ju em Tab. 10: Routinemäßig oder automatisch erwartete beziehungsweise bevorzugte relative Prominenzen von paarigen Satzgliedern nach syntaktischen Funktionen, semantischen Rollen, eigenstrukturellen und außergrammatischen Formmerkmalen Belebtheit als außergrammatischer Merkmaltyp ist nun das vermutlich wichtigste rein vorstellungsbasierte Merkmal, das entsprechende neurophysische Effekte hervorruft. Rein vorstellungsbasiert ist es, weil es auf das öffentliche Sprachzeichen prinzipiell nicht angewiesen ist. Abweichungen von der Reihenfolge des höher belebten vor dem niedriger belebten Gegenstand führen neurophysisch in bestimmten Hirnarealen zu Effekten, die als Erwartungsver- 283 Diese Hierarchien werden zum Teil schon seit Jahrzehnten postuliert, insbesondere in der Funktionalen Grammatik, vgl. Dik (1997: 30-41 und passim). Vgl. daneben auch die Bände von Richards & Malchukov (2008) sowie Lamers & de Swart (2012). Für frühe Formulierungen bezüglich syntaktischer Funktionen vgl. Hawkinson & Hyman (1974) und bezüglich semantischer Rollen etwa Fillmore (1968), Jackendoff (1972), Givón (1979). 18429_Kasper_SL5.indd 190 18429_Kasper_SL5.indd 190 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 3.1 „Belebtheit“ als Chiffre für einen schwer fasslichen Begriff 191 letzungen und letztlich Verstehensmehraufwand interpretiert werden. 284 Die Erwartungsverletzung und der Mehraufwand kommen zustande, wenn sich Teilhierarchien in Tabelle 10 in der Online-Interpretation widersprechen. Wir könnten einer Äußerung begegnen, in der uns ein - absolut - belebter Vorstellungsgegenstand eines Akkusativsatzglieds begegnet und anschließend ein - relativ - niedriger belebter Referent eines Nominativsatzglieds. Das Vollverb würde erst noch folgen. Dann könnte man in dem kurzen Zeitfenster, in dem wir das zweite Satzglied wahrnähmen, automatische oder routinemäßige Reaktionen in uns feststellen, die auf eine verletzte Erwartung schließen lassen. Wenn wir die entsprechenden Verbindungslinien zwischen den Merkmalen der jeweiligen Satzglieder in Tabelle 10 ziehen wollten, würden sie sich überkreuzen: 2. Position - Akkusativ - höher belebt gegenüber 1. Position - Nominativ - niedriger belebt. Das bedeutet, die Merkmale jedes der beiden Satzglieder weisen nicht einstimmig in die Richtung einer Subjekt-Agens- und direktes Objekt-Patiens-Paarung. In den automatischen und routinemäßigen Abläufen der Online-Interpretation würde dies Überraschung ob der verletzten Ausgangserwartung bewirken. Wohlgemerkt würde die eindeutige Kasusmarkierung aber zuverlässig zur richtigen Interpretation anleiten. Der Fall, der die Hypothese direkt beträfe, wäre der analoge Fall, in dem Kasus- (und Kongruenz-)Informationen aufgrund von morphologischer Mehrdeutigkeit nicht zuverlässig und der Reihenfolge kein instruktiver Wert zukäme. (In der Tat haben wir ja gesehen, dass außer im Mittelenglischen trotz verbreiteter morphologischer Mehrdeutigkeiten die Reihenfolge nirgendwo als eigenstruktureller Hinweis ausgewiesen werden konnte.) In diesem Falle würden die relativen Belebtheitswerte (oder die Person oder die Definitheit) als mögliche Hinweise auf die richtige Interpretation übrigbleiben. Damit wäre in dem betreffenden Zeitfenster zwar eine automatische oder routinemäßige Entscheidung für eine bestimmte Interpretation treffbar, aber eine zuverlässige Bestätigung könnte es für sie wahrscheinlich nicht geben. 3.1.4 Update der Hypothese Satzgliedbeziehungen, die eigenstrukturell, das heißt morphologisch und syntaktisch mehrdeutig sind, können von unseren Leserinnen richtig interpretiert werden, wenn diese automatisch oder routinemäßig davon ausgehen, dass höhere Belebtheit • in Beziehungen zwischen Subjekten und allen Arten von Objekten auf das Subjekt beziehungsweise Agens, • in Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten auf das indirekte Objekt beziehungsweise den Rezipienten und • in Beziehungen zwischen indirekten/ direkten Objekten und O-Instanzen auf das indirekte/ direkte Objekt beziehungsweise den Rezipienten hinweist. Unter den genannten Bedingungen würde Belebtheit einen instruktiven Wert bekommen, indem sie - nach meiner Einteilung der instruktiven Funktionen 285 - Einfluss auf die Art und Weise nimmt, wie Vorstellungsinhalte zu einer komplexen Vorstellung zusammengefügt werden. 284 Vgl. Weckerly & Kutas (1999), Grewe et al. (2006). 285 Siehe Abschnitt 2.2.2 und Abbildung 2. 18429_Kasper_SL5.indd 191 18429_Kasper_SL5.indd 191 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 192 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise In dieser Hypothese ist implizit die folgende wichtige Annahme enthalten: Unsere Leserinnen brauchen nur auf außergrammatische Hinweise zurückzugreifen, falls die eigenstrukturellen Hinweise entweder nicht verfügbar oder trotz Verfügbarkeit nicht zuverlässig sind. Mit anderen Worten, eigenstrukturelle Hinweise sind immer zuverlässiger, solange sie gleich verwendet werden. 286 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Hypothese und Tabelle 10 über eine systematische Ausnahme hinweggehen, nämlich die aktivische Subjekt-Objekt-Beziehung, in der das Subjekt die niedrigere semantische Rolle als das Objekt einnimmt. Ein Beispiel dafür war der letzte Teilsatz in (29), … reute es [S] ihn [DO]. Sogenannte psychische Verben wie jmd. reuen , freuen , interessieren und gefallen sowie einige andere wie jmd. etwas kosten haben ein meist weniger belebtes (Proto-)Patiens als Subjekt und einen meist hoch belebten (Proto-)Rezipienten als Objekt. In dem Fall, dass entsprechende Äußerungen grammatisch mehrdeutig sind, würde die Hypothese, zumindest was die syntaktischen Funktionen betrifft, in die interpretative Irre führen. Wir können damit umgehen, indem wir sagen, dass diese Verben die einzigen sind, bei denen unsere Leserinnen, um zur richtigen Lesart zu gelangen, die semantische Beziehung des Verbs zu den Gegenständen, aus denen es symbolisch ausgelagert wurde, berücksichtigen müssten. Diese Beziehung hatten wir bisher ganz aus der Hypothese ausgeschlossen (was die Hypothese insgesamt erheblich stärker macht). 287 Danach gehören diese Verben zu den sehr wenigen, deren Vorstellungsinstruktion nur befolgt werden kann, indem das Objekt als belebter, wenn nicht sogar humaner Gegenstand vorgestellt wird. Gleichzeitig ist das Subjekt sehr oft ein, vom oberen Ende der Belebtheit her gesehen, höchstens unbelebter Gegenstand. Die Hypothese bleibt stärker, wenn wir auf die Hereinnahme der syntaktischen Funktionen verzichten und sagen, dass höhere Belebtheit auf die höhere semantische Rolle hinweist. 3.2 Akzessibilität: Gegenstände im Gedächtnis und die Wahl ihrer Ausdrucksform Die frohe Botschaft des Evangeliums ist für unsere Leserinnen eine kohärente, aber keine kurze. Zahlreiche Personen, Dinge, Orte, Äußerungen und Sachverhalte spielen darin eine Rolle, viele davon mehrmals, allen voran Jesus. Die Schreiber und Übersetzter nahmen auf diese Gegenstände - im weitesten Sinne - dabei natürlich nicht immer mit den gleichen Ausdrücken Bezug. Wir können annehmen, dass ein Schreiber oder Übersetzer Gegenstände, die für die Leserin neu sind, mit informationsreicheren und längeren Ausdrücken in seinen Text einbringen würde, und Gegenstände, die ihr bereits bekannt sind, mit Ausdrücken, die ihn für die Leserin identifizierbar machen, aber das Wissen über ihn nicht erweitern. Solche Ausdrücke sind gemeinhin kürzer. 288 In Matthäus 26 heißt es beispielsweise bezüglich einer Frau folgendermaßen: 286 Darauf werde ich in den Abschnitten 4.5.2 und 4.6.1 zurückkommen. 287 Diese Beziehungen sind als solche der semantischen Valenz und in anderer Tradition als Selektionseigenschaften von Verben bekannt geworden, vgl. Fodor & Katz (1964). 288 Bezüglich der nun folgenden Ausführungen zur Akzessibilität vgl. Ariel (1988, 1990, 1991). Ariel berücksichtigt keine indefiniten Beschreibungen. Diese sind meine Zutat. Vgl. dazu auch Givón (1983b: 17), Gundel, Hedberg & Zacharski (1993). 18429_Kasper_SL5.indd 192 18429_Kasper_SL5.indd 192 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 3.2 Akzessibilität: Gegenstände im Gedächtnis und die Wahl ihrer Ausdrucksform 193 (36) 6 And whanne Jhesus was in Betanye, in the hous of Symount leprous, 7 a womman that hadde a box of alabastre of precious oynement, cam to hym, and [Ø] schedde out [ Ø ] on the heed of hym restynge. [ … ] 10 But Jhesus knewe, and seide to hem, What ben ʒe heuy' to this womman? for sche hath wrouʒt in me a good werk. ‚Und als Jesus in Betanien war, im Hause Simons (des) Aussätzigen, kam zu ihm eine Frau, die eine Alabasterschachtel mit teurem Salböl hatte, und (sie) schüttete (es) auf seinem Kopf aus, während er ruhte. (…) Aber Jesus verstand (es) und sagte zu ihnen: „Warum kränkt ihr die Frau? Denn sie hat etwas Gutes für mich getan.“‘ (Mittelenglisch, Wycliffe-Bibel, Ed. Forshall & Madden [1850]) Beim ersten Auftritt der Frau in Vers 7 wählte Team Wycliffe/ Purvey die indefinite Substantivgruppe a womman that hadde a box of alabastre of precious oynement . 289 Diese indefinite Beschreibung ist eine kohärenzstiftende Instruktion für die Leserin. Sie signalisiert ihr, dass sie in ihrem Gedächtnis nicht nach einer bestimmten, ihr bekannten Frau suchen muss, sondern dass es eine Frau ist, über die sie jetzt mittels jeder Menge Inhaltswörtern erstmals etwas erfährt. Sie muss dann auch im gleichen Vers im darauffolgenden, koordinierten Hauptsatz die Vorstellung genau dieser Frau erneut hervorrufen. Diese Vorstellung ist der Leserin aber so leicht zugänglich, dass es im Mittelenglischen dafür gar keines wahrnehmbaren Ausdrucks ( Ø ) bedarf. Dafür enthält der Nichtausdruck trivialerweise auch unendlich viel weniger Information als die lange indefinite Substantivgruppe, mit der zuvor auf die Frau Bezug genommen worden ist. Drei Verse später, in Vers 10, ist es nötig, dass die Leserin wieder auf die Vorstellung der Frau zugreift. Dabei muss sie sich vergegenwärtigen können, was sie bisher über die Frau erfahren hat. Mit dem erneuten Ausdruck durch eine indefinite Substantivgruppe würde die Leserin aber dazu instruiert, sich nicht unbedingt diese Frau vorzustellen. Und da zwischen Vers 7 und 10 die Erzählung auch von anderen Gegenständen gehandelt hat, würde der Nichtausdruck der Frau mittels Nullstelle möglicherweise die Gefahr bergen, dass die Leserin einen falschen Vorstellungsgegenstand aus ihrem Gedächtnis des vorangegangenen Textes hervorholt. Außerdem könnte ein solcher Nichtausdruck gegen die Eigenstruktur des Mittelenglischen verstoßen. Daher wählte das Team Wycliffe/ Purvey mit der Kombination aus Demonstrativartikel und Appellativum ( this womman ) einen Ausdruck, der der Leserin signalisiert, dass die erforderliche Vorstellung ihr zu einem mittleren Grad in ihrem Gedächtnis zugänglich sein sollte und eine mittlere Menge an Vorstellungsinhalt transportiert. Im Vergleich dazu waren die beiden Pole der fehlenden und der höchsten Zugänglichkeit für einen Vorstellungsgegenstand im Gedächtnis eine indefinite Beschreibung mit viel Vorstellungsinhalt beziehungsweise der Nichtausdruck ohne Vorstellungsinhalt. Zwischen der Erwähnung der Frau durch this womman und der nächsten wird sodann kein anderer Gegenstand erwähnt. Das heißt, die Frau sollte im Gedächtnis der Leserin maximal zugänglich sein, so dass die Übersetzer mit wenig Ausdrucksmasse und damit auch wenig Vorstellungsinhalt auf sie Bezug nehmen können sollten. Und so reicht es für sie auch, zum Hervorrufen der 289 Die Analyse mit Relativsatz ist wahrscheinlich nicht zwingend. Maßgeblicher ist hier ohnehin der indefinite Artikel. 18429_Kasper_SL5.indd 193 18429_Kasper_SL5.indd 193 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 194 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Vorstellung der Frau mit dem Personalpronomen sche zu instruieren, das nur die Information 3SG.F anzeigt. 290 Wir haben früher Kontextwissen im weiteren Sinne heruntergebrochen auf enzyklopädisches oder Weltwissen, Wissen über die konkrete Kommunikationssituation und Wissen aus dem Kotext. 291 Dies sind denn auch die drei Gedächtnisschubladen, aus denen unsere Leserinnen und wir Gegenstandsvorstellungen hervorholen können, wenn man uns mit Dingausdrücken konfrontiert. Die Zugänglichkeit oder Abrufbarkeit von Gegenstandsvorstellungen aus dem Gedächtnis vermittels Typen von Dingausdrücken wird in der Regel „Akzessibilität“ genannt. Die Typen von Dingausdrücken, die uns Gegenstandsvorstellungen hervorrufen lassen, lassen sich tendenziell zu unseren Wissensschubladen in Beziehung setzen. Eigennamen wie Jesus lassen uns oft in unserem enzyklopädischen Wissen suchen, Demonstrativpronomen in der Situation und Personalpronomen im Text. Nur weil ich glaube, dass Sie unabhängig von diesem Buch etwas über Jesus wissen, konnte ich Kapitel 1 ohne Kotext und gemeinsame Situation mit dem nackten Namen Jesus beginnen. Ausdruckstypen sind also nur äußere, öffentliche Indizien für den Grad, zu dem eine Vorstellung akzessibel ist. Morphologische Markierungen oder syntaktische Funktionen treten nur in sprachlichen Zeichensystemen auf. Dagegen kann alles, was irgendwie als Zeichen für etwas anderes verwendet werden kann, ein äußeres Indiz für die Akzessibilität von dem angesehen werden, für das es steht. Deswegen ist Akzessibilität keine sprachstrukturelle, sondern eine außergrammatische Kategorie. 3.2.1 Akzessibilität aus der synchronischen Offline-Perspektive Die Ausführungen zu dem mittelenglischen Beispiel zeigen, dass Vorstellungsgegenstände in Abhängigkeit von ihrer Akzessibilität unterschiedlich ausgedrückt werden, und dass diese Ausdrücke in Bezug auf Akzessibilität Unterschiede in der Interpretation, nämlich im Zugriff auf Erinnerbares und in der Herstellung von Kohärenz bewirken. Außerdem können wir die Ausdruckstypen mit ihren jeweiligen Akzessibilitätsgraden so in einer Reihe anordnen, dass sich Implikationen bilden lassen: Je mehr Vorstellungsinhalt ein Dingausdruck transportiert, je eindeutiger er durch die Kategorien seiner Teilausdrücke die Wahl des Bezugsgegenstandes macht und je auffälliger er in der Sprachwahrnehmung ist, desto weniger akzessibel ist der Vorstellungsgegenstand. 292 So ist a womman that … reich an Vorstellungsinhalt, die Nullstelle besonders arm; das Demonstrativum zeigt auf eine kleinere Menge an Gegenstandskandidaten als das Personalpronomen; und durch ihre schiere Länge lassen sich die vier Ausdrucksarten für die Frau ebenfalls leicht in eine Rangfolge bringen. Damit sind in Bezug auf Akzessibilität die gleichen Bedingungen erfüllt, die uns im Falle der Belebtheit legitimiert haben, eine Hierarchie zu bilden. Wir können fürs Erste die Akzessibilitätshierarchie in Tabelle 11 ableiten. Welche Relevanz hat eine so geartete Hierarchie nun in Bezug auf die Hypothese über die 290 Dass das Team Wycliffe/ Purvey trotz hoher Zugänglichkeit der Vorstellung auf den Nichtausdruck zugunsten des pronominalen Ausdrucks verzichtete, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass this womman und sche verschiedene Kasus tragen und verschiedene syntaktische Funktionen in nicht koordinierten Teilsätzen einnehmen. Im for -Teilsatz muss deshalb ein Subjekt ausgedrückt werden - ein eigenstruktureller Grund (vgl. Givón 1976). 291 Siehe Abschnitte 1.6 und 2.9. 292 Vgl. Ariels (1988, 1990, 1991) Faktoren der Informativität, Rigidität und Abschwächung. 18429_Kasper_SL5.indd 194 18429_Kasper_SL5.indd 194 20.08.2020 10: 56: 00 20.08.2020 10: 56: 00 3.2 Akzessibilität: Gegenstände im Gedächtnis und die Wahl ihrer Ausdrucksform 195 Verstehbarkeit grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen? Die Antwort ist, dass Akzessibilität eine ähnliche Rolle spielen könnte, wie ich sie bereits für die Belebtheit in Betracht gezogen habe. Zugriffsinstruktion nicht akzessibel < wenig akzessibel < hoch akzessibel < höchst akzessibel Ausdruckswahl indefinite Beschreibung definite Beschreibung unbetontes Pers. pron. Nullstelle (36) a womman that … this womman sche Ø Tab. 11: Zur Rechtfertigung einer Akzessibilitätshierarchie Betrachten wir dazu Beispiel (37) aus Matthäus 27, 27-31 und daraufhin in Tabelle 12, wie die relative Akzessibilität der einzelnen Gegenstandsvorstellungen mit der syntaktischen Funktion ihres Ausdrucks zusammenhängt. Wir ignorieren dabei der Einfachheit halber, ob die Äußerungen grammatisch ein- oder mehrdeutig sind. (37) [1] Da händ d Soldaate vom Landvogt de Jesus mitgnaa is Prätoorium [2] und [ Ø ] e ganzi Kompanii für en zämezoge. [3] Und si händ em s Gwand abzoge [4] und [ Ø ] em en scharlachroote Mantel aagläit. [5] Und si händ e Chroone us Toorne gflochte, [6] [ Ø ] händ si em uf de Chopf taa [7] und [ Ø ] em en Roorstäcke i die rächt Hand ggèè. Und si sind vor em uf d Chnüü, händ sich über en luschtig gmacht und [8] [ Ø ] gsäit: Grüeziwool, du König vo de Jude. [9] „Und si händ en aagspöizt, [10] [ Ø ] händ de Roorstäcke gnaa [11] und [ Ø ] em demit uf de Chopf ghaue. [12] Und wo s en verspottet ghaa händ, [13] händ s em de scharlachroot Mantel ab zooge [14] und [ Ø ] em siis Gwand aagläit [15] und [ Ø ] en abgfüert, zum en go chrüüzige. ‚Da nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit sich in das Prätorium und (Ø) sammelten eine ganze Abteilung für ihn. Und zogen ihm die Kleider aus und (Ø) legten ihm einen Purpurmantel an. Und sie flochten eine Dornenkrone und (Ø) setzen sie ihm aufs Haupt und (Ø) gaben ihm ein Rohr in die rechte Hand. Und sie vielen vor ihm auf die Knie und spotteten über ihn und (Ø) sprachen: Gegrüßet seist du, der Juden König! Und sie spien ihn an, (Ø) nahmen die Rohre und (Ø) schlugen damit auf sein Haupt. Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und (Ø) zogen ihm seine Kleider an und (Ø) führten ihn ab, um ihn zu kreuzigen.‘ (Hochalemannisch; S Nöi Teschtamänt; Matthäus 27, 27-31; Weber [1997]) Wir sehen eine starke Tendenz, nach der die Hierarchie der Akzessibilität mit der der syntaktischen Funktionen und der der semantischen Rollen korrespondiert. Im vorliegenden Beispiel ist in Subjekt-Objekt-Beziehungen das Objekt nie akzessibler als das Subjekt und in Objekt-Objekt-Beziehungen ist das direkte Objekt nie akzessibler als das indirekte Objekt. Analoges gilt für die semantischen Rollen. 18429_Kasper_SL5.indd 195 18429_Kasper_SL5.indd 195 20.08.2020 10: 56: 01 20.08.2020 10: 56: 01 196 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise S > IO/ DO IO/ DO > DO/ O Agens > Rezipient Rezipient > Patiens 1. Topik Kommentar 2. Topik Kommentar 1 d Soldaate … > de Jesus 2 [ Ø ] > e … Kompanii 3 si = em em > s Gwand 4 [ Ø ] > em em > en … Mantel 5 si > e Chroone … 6 [ Ø ] > em em = si 7 [ Ø ] > em em > en Roorstäcke 8 [ Ø ] > Grüeziwool … 9 si = en 10 [ Ø ] > de Roorstäcke 11 [ Ø ] > em 12 s = en 13 s = em em > de Mantel 14 [ Ø ] > em em > siis Gwand 15 [ Ø ] > en Tab. 12: Relative Akzessibilität und syntaktische Funktion 3.2.2 Akzessibilität aus der diachronischen Offline-Perspektive Die Wahl eines Ausdruckstyps beziehungsweise die Suchroutinen in der Interpretation, die mit ihm verbunden sind, hängen, wie unser mittelenglisches Beispiel (37) zeigt, auch eng mit der Entfernung eines irgendwie akzessiblen Ausdrucks zu seiner letzten Nennung im Text zusammen: Je größer der Abstand zur Letztnennung, desto weniger akzessibel ist ein Vorstellungsgegenstand. Auf die indefinite Erstnennung der Frau in Vers 7 kann unmittelbar die Auslassung ( Ø ) folgen. In den Versen 8 und 9 wird die Frau nicht explizit erwähnt und ist auch nicht durch eine Nullstelle erschließbar. Diese Entfernung zur Letztnennung führt dazu, dass ihre erneute Nennung mittels der definiten Beschreibung erfolgt. Auf diese kann wiederum in unmittelbarer Nachbarschaft der pronominale Ausdruck folgen. Mit der Entfernung hängt auch die sogenannte Topikalität eines Vorstellungsgegenstandes in einem Satz zusammen, also die Frage, um welchen Vorstellungsgegenstand es in einem Satz am ehesten geht. Das Topik ist derjenige realisierte oder imaginäre Vorstellungsgegenstand, über den wir unser Wissen am ehesten erweitern. Das, was in einer Äußerung über diesen Gegenstand gesagt wird, ist der Kommentar. 293 Wir können uns die Begegnung zwischen der 293 Vgl. etwa Reinhart (1981), Gundel (1988). 18429_Kasper_SL5.indd 196 18429_Kasper_SL5.indd 196 20.08.2020 10: 56: 01 20.08.2020 10: 56: 01 3.2 Akzessibilität: Gegenstände im Gedächtnis und die Wahl ihrer Ausdrucksform 197 Teiläußerung a womman that hadde a box of alabastre of precious oynement, cam to hym und unserer Leserin auch so vorstellen, dass die Leserin in ihrem Gedächtnis eine Karteikarte für den Vorstellungsgegenstand Frau - Subjekt, Agens, Topik - anlegt und darauf notiert, was die Äußerung über sie zu sagen hat. 294 Bei weiteren Aussagen über die Frau updatet die Leserin ihre Notizen und sie tut dies am wahrscheinlichsten, wenn die Frau wieder als Topik fungiert. Der indefinite Artikel ist eine Instruktion an die Leserin, die Karteikarte im Gedächtnis überhaupt erst anzulegen, definitere - oder, wie wir sagen können, akzessiblere - Ausdrucksformen instruieren die Leserin, auf einer bestehenden und mehr oder weniger kürzlich verwendeten Karteikarte zum Satztopik dessen Zustand upzudaten. Das bedeutet auch, dass eher auf der Gedächtniskarteikarte der Frau notiert wird, dass sie eine wertvolle Schachtel hatte, als dass auf einer Karteikarte zu einer wertvollen Schachtel notiert würde, dass sie bei einer Frau war. Die Leserin sieht, weil die Frau Topik ist, vor ihrem inneren Auge die Szene eher aus der Perspektive der Frau und verfolgt ihr Geschick aufmerksamer als das der Schachtel. Die Frau ist diejenige, auf die hin und von der aus die Leserin Informationen zur Kenntnis nimmt und für die weitere Verwendung ablegt. Wir sehen hier aber schon, dass Subjekt, Agens und hoch belebt zu sein die Frau zu einem geeigneten Topik machen, denn was Menschen tun oder erfahren, insbesondere das, was sie absichtlich und kontrolliert tun, ist für uns pertinenter - was kann oder muss ich jetzt tun? - als der Zustand unbelebter Schachteln. Gleichzeitig werden solche Gegenstände auch bevorzugt als Subjekte ausgedrückt, eignen sich aber auch gut als Rezipienten. Daher sollten wir nicht ausschließen, dass in manchen Äußerungen auf zwei Karteikarten etwas notiert wird, weil wir ein primäres und ein sekundäres Topik haben. Das wäre speziell in Äußerungen mit Subjekten, indirekten und direkten Objekten der Fall. Beispiel (37) und Tabelle 12 oben, in die auch Topik-Kommentar-Verhältnisse aufgenommen sind, illustrieren dies. In den Sprach(stuf)en, die ich hier untersuche, gibt es den engen Zusammenhang zwischen Subjekt und Agens, den ich weiter oben in Tabelle 10 herausgestellt habe. Ihn beobachten wir insbesondere in den aktivischen Satztypen mit mindestens zwei Satzgliedern, die uns speziell interessieren. In diesen Zusammenhang von Subjekt und Agens gehört nun auch das Topik mit hinein. Subjekt, Agens und Topik bilden eine funktional-semantisch-pragmatische Dreifaltigkeit, mit der zahlreiche Erscheinungen im Umkreis sprachlicher Eigenstrukturen zusammenhängen, aus synchronischer und diachronischer, Offline- und Online-, sprachlokaler und -globaler Perspektive. 295 Hinsichtlich sprachhistorischer Entwicklungen kann man die Beziehung von Topik und Subjekt im Zusammenhang von Integration und Syntaktifizierung betrachten. Diese Konzepte sind uns schon früher bei der Frage begegnet, als welche syntaktischen Funktionen Nullstellen in koordinierten Teilsätzen interpretiert werden können. 296 Dabei hatten wir gesehen, dass in unseren jüngsten Sprach(stuf)en die koordinierten Teilsätze mit Nullstellen syntaktisch parallel zu ihren vollständigen Partnersätzen strukturiert sind. Syntaktisch parallel bedeutet dabei: in Bezug auf die relativen Positionen der Satzglieder und die syntaktische Funktion der Nullstelle. In den älteren Sprach(stuf)en bestand diese 294 Vgl. Heim ([1982] 2011) und Burkhardt (2005). 295 Zu synchronischen und diachronischen Offline-Phänomenen vgl. Givón (1983a, 1983b, 2017), zu Online-Phänomenen Kaiser & Trueswell (2004), Hung & Schumacher (2014), Schumacher, Roberts & Järvikivi (2017). 296 Siehe Abschnitt 2.3.2. 18429_Kasper_SL5.indd 197 18429_Kasper_SL5.indd 197 20.08.2020 10: 56: 01 20.08.2020 10: 56: 01 198 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise eigenstrukturelle Regelung noch nicht. In ihnen waren aber die beteiligten Teilsätze ebenfalls parallel strukturiert, aber nicht, was die syntaktische Eigenstruktur beziehungsweise die syntaktischen Funktionen betrifft, sondern was die Organisation der Informationen zwischen Produzent und Interpretin betrifft; mit anderen Worten: die Topik-Kommentar-Struktur, die Ordnung in der Aktivierung und Aktualisierung von Gedächtnisinhalten. Die Nullstelle musste nicht mit der gleichen syntaktischen Funktion versehen werden wie der Pendantausdruck im Partnerteilsatz, sondern mit der gleichen Informationsstruktur. Um Gedächtnisinhalte zu aktivieren und aktualisieren, bedarf es zwar Zeichen, aber die Topik-Kommentar-Organisation ist nicht prinzipiell auf festgelegte Weise in eigenstrukturelle Kategorien wie Kasus, relative Positionen und syntaktische Funktionen eingebunden. Besonders im modernen Englisch und in hohem Maß bereits im Mittelenglischen fällt die Topikfunktion schon auf eine Einheit, die eigenstrukturell definierbar ist: die Subjektfunktion beziehungsweise sogar die Subjektposition. Für Äußerungen, in denen Topik, Subjekt, Nominativ und die Position vor dem finiten Verb nicht zusammenfallen sollen, gibt es eigene Ausdrucksmuster, die genau zum Ausdruck eines Topiks dienen, das nicht Subjekt ist. In gewissem, wenn auch geringerem Maße gilt dies auch für die Sprach(stuf)en des Deutschen und dabei für die jüngeren stärker als für die älteren. In den Sprach(stuf)en des Englischen und Deutschen ist das Subjekt ein syntaktifiziertes Topik , ein Topik, dessen Ausdruck von der grammatischen Eigenstruktur absorbiert worden ist, beginnend in vorgermanischer Zeit. 297 3.2.3 Update der Hypothese Das Topik von gestern ist das Subjekt von heute. Es ist der akzessibelste Vorstellungsgegenstand in der komplexen Vorstellung zu einem Satz. Es gibt Ausdrucksmuster für Vorstellungsgegenstände, die ihrem Akzessibilitätsgrad zuordenbar sind. Dies ist - in zugespitzter Form - die Kurzfassung der vorangegangenen Ausführungen. Auf ihrer Grundlage können wir die Hypothese ein weiteres Mal präzisieren. Sie steht hier allerdings in Konkurrenz zur Belebthteitshypothese: Es kann nur eine geben. Satzgliedbeziehungen, die eigenstrukturell, das heißt morphologisch und syntaktisch mehrdeutig sind, können von unseren Leserinnen richtig interpretiert werden, wenn diese automatisch oder routinemäßig davon ausgehen, dass höhere Akzessibilität • in Beziehungen zwischen Subjekten und allen Arten von Objekten auf das Subjekt beziehungsweise Agens, • in Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten auf das indirekte Objekt beziehungsweise den Rezipienten und • in Beziehungen zwischen indirekten/ direkten Objekten und O-Instanzen auf das indirekte/ direkte Objekt beziehungsweise den Rezipienten hinweist. 297 Vgl. Givón (1976, 1979: 208-211), Keenan (1976), Lehmann (1976), Li & Thompson (1976), Shibatani (1991), Hinterhölzl & Petrova (2009), Petrova & Solf (2009), van Kemenade, Milicev & Baayen (2008). 18429_Kasper_SL5.indd 198 18429_Kasper_SL5.indd 198 20.08.2020 10: 56: 01 20.08.2020 10: 56: 01 3.3 Weitere Kandidaten? 199 3.3 Weitere Kandidaten? Das Online-Sprachverstehensmodell, das ich kurz diskutiert hatte, als es um die Beziehung der eigenstrukturellen Hinweise zueinander ging, enthält auch außergrammatische Faktoren: Definitheit/ Spezifizität und Person. 298 Wir haben die grammatische Definitheit bereits durch das Konzept der Akzessibilität von Gegenständen im Gedächtnis abgedeckt. Spezifizität ist die nichtsprachliche Entsprechung von grammatischer Definitheit und gibt an, wie präzise sich ein Ausdruck auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, der im sprachlichen Austausch zwischen Schreiber und Interpretin eine Rolle spielt, und andere dabei ausschließt. Auch dieses Konzept ist in dem der Akzessibilität bereits enthalten. 299 Person ist wie Akzessibilität eine grammatische Kategorie, die symptomatisch etwas Außersprachliches anzeigt, nämlich welche von drei Rollen ein Gegenstandsausdruck in der Kommunikationssituation spielt, in der er geäußert wird. Ein Gegenstandsausdruck kann sich entweder auf den beziehen, der die Äußerung tätigt, dann ist es typischerweise ein Pronomen der 1. Person. Oder er bezieht sich auf die Adressatin der Äußerung, dann ist es typischerweise ein Pronomen der 2. Person. Wenn es kein Gegenstand ist, der an der Kommunikation als Produzent oder Adressatin teilhat, handelt es sich um ein Drittes. Ich sage typischerweise, denn es gibt auch Abweichungen zwischen den drei grammatischen Personen und den drei Rollen in der Kommunikationssituation: Lothar Matthäus spricht kein Französisch , sagte einmal ein stolzer Lothar Matthäus. Und wenn Oliver Kahn sagt Da musst Du kämpfen! , sagen andere Da muss man kämpfen! und wieder andere Da muss ich kämpfen! und alle adressieren dieselbe Menge von Personen. In unseren Bibelübersetzungen tauchen auch einige Pronomen der 1. und 2. Person auf, aber keines davon bezieht sich auf den Bibelübersetzer oder die Leserin. Sie beziehen sich sämtlich auf Rollen in erzählten und daher imaginären Kommunikationssituationen innerhalb der Kommunikation zwischen Bibelübersetzer und Leserin. Hörst du nicht, wie hart sie dich verklagen? , fragt Pilatus Jesus, nicht die Evangelische Kirche Deutschland die zeitgenössische Bibelleserin. Aus der synchronischen Offline-Perspektive zeitigt der Unterschied zwischen Produzent und Adressatin auf der einen und Dritten auf der anderen Seite ähnliche Effekte wie Belebtheitsunterschiede. Diese hatten unter anderem bewirkt, dass sich der Gebrauch von Ausdrucksmustern in Abhängigkeit von absoluten oder relativen Belebtheitswerten der beteiligten Vorstellungsgegenstände unterscheidet. Dementsprechend gibt es beispielsweise Sprachen, in denen ein Agens der 1. (Sprecher) oder 2. Person (Adressatin) im Gegensatz zu einem Agens der 3. Person nicht in einem Passivsatz ausgedrückt werden kann. 300 Wir hätten also einen Person-Spalt wie in (38). (38) Produzent/ Adressat ≠ Dritte(s) 298 Vgl. Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009c: 28) und Abschnitt 2.4.2 hier. 299 Vgl. Abschnitt 3.2.1 und die dortigen Referenzen. 300 Für diesen Unterschied vgl. Jelinek & Demers (1983) zu küstensalishen Sprachen der nordamerikanischen Urbevölkerung. Für weitere Effekte der Person-Kategorie vgl. Benveniste ([1956] 1974), Silverstein (1976), DeLancey (1981) und Alber & Rabanus (2011). Zu Letzteren siehe auch oben, Abschnit 3.1.2. 18429_Kasper_SL5.indd 199 18429_Kasper_SL5.indd 199 20.08.2020 10: 56: 01 20.08.2020 10: 56: 01 200 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Soll man nun ähnlich wie bei der Belebtheit die Hypothese aufstellen und überprüfen, dass eine Bibelleserin grammatisch mehrdeutige Äußerungen dann richtig versteht, wenn sie annimmt, dass dasjenige Satzglied das Subjekt beziehungsweise Agens ist, das sich auf den Produzenten oder die Adressatin bezieht? Oder auf Dritte(s)? Wir können eine solche Hypothese von vornherein ausschließen, weil sie nicht erfolgversprechend ist. Da in (38) nur zwei Einheiten vorhanden sind, wird die Menge der Satzgliedpaare, deren Bezugsgegenstände die gleiche Einheit repräsentieren - nämlich Dritte(s) -, sehr hoch sein. In Bezug auf solche Satzgliedpaare würde die Interpretationsstrategie nutzlos. Dies ist sicher durch unsere Textsorte bedingt. Ich werde aber eine Variante der Belebtheitshierarchie verwenden, in der zumindest der Spalt zwischen der 1. Person und der 3. Person enthalten ist. Diese Einheiten in die Belebtheitshierarchie einzureihen und unter diese Chiffre zu stellen, entledigt uns auch des Problems, für sie eine separate Rangfolge rechtfertigen zu müssen, die in (38) fehlt. Ähnliches wird für die dreifache Abstufung zwischen Einzeldingen, mehreren Dingen und nicht Dinghaftem in (39) gelten. Wir können dies die Individuiertheitshierarchie nennen. (39) Einzelding > nicht einzelne, zählbare Dinge > nicht Zählbares, nicht Dinghaftes Die Individuiertheitshierarchie ist eine Hierarchie der absteigenden Dinghaftigkeit und Einheit. Ding und Eins ist dabei, was in der Wahrnehmung klar und deutlich von einem Hintergrund zu trennen ist und nicht teilbar ist, ohne etwas anderes zu werden. Eine Kugel ist klar und deutlich von einem Hintergrund zu trennen und wenn man sie teilt, ist sie keine Kugel mehr. Sie ist ein Einzelding. Davon kann es mehrere geben, die, weil sie jede für sich klar und deutlich erkennbar sind, zählbar sind. Das gilt nicht mehr für amorphe Massen, die weder vor einem Hintergrund abgrenzbar sind, noch zu etwas anderem werden, wenn man sie zu trennen versucht, wie Luft, Sand und Kartoffelbrei. (Anders verhält es sich allerdings, wenn diese als begrenzt wahrgenommen werden, wie in einem Zylinder voll Luft, einem Haufen Sand und einer Handvoll Kartoffelbrei.) Der Zusammenhang der Individuiertheitshierarchie mit etwa der Belebtheitshierarchie oder der Hierarchie der semantischen Rollen - als eine solche absteigender Agentivität - ist leicht zu erkennen. 301 Einzeldinge sind sehr viel wahrscheinlicher belebt(er) als nicht Zählbares, nicht Dinghaftes. Und solche tendenziell belebte(re)n Einzeldinge sind sehr viel wahrscheinlicher das Agens in einer Eventualität als unbelebt(er)es nicht Zählbares, nicht Dinghaftes. Dass unsere Leserinnen bei grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen die richtige wählen, indem sie den individuierteren Vorstellungsgegenstand als Subjekt beziehungsweise Agens interpretieren, wäre also durchaus eine plausible Annahme. Die Individuiertheitshierarchie in eine upgedatete Hypothese zu überführen, wie wir es für Belebtheit und Akzessibilität getan haben, wäre also möglich. Ich werde allerdings auch hier Abstand davon nehmen, da die Wahrscheinlichkeit, dass sie bessere Ergebnisse als Belebtheit oder Akzessibilität erzielt, gegen Null geht. Ein besseres Ergebnis wäre, wenn sie sich als zuverlässigerer instruktiver 301 Das gilt streng genommen nur für eine Teilmenge der semantischen Rollen. Manche Theorien der semantischen Rollen unterscheiden zwei Klassen, die man als Kraft- und Raumrollen bezeichnen könnte. Wenn ich von absteigender Agentivität spreche, betrifft dies unmittelbar nur die Kraftrollen (also etwa die diskreten Rollen Agens, Verursacher, Experiencer, Rezipient, Patiens). Vgl. dazu Culicover & Wilkins (1986), Jackendoff (1987) und Grimshaw (1990). 18429_Kasper_SL5.indd 200 18429_Kasper_SL5.indd 200 20.08.2020 10: 56: 01 20.08.2020 10: 56: 01 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise-(I) 201 Hinweis erwiese als jene. Das können wir aber schon von vornherein ausschließen, weil die Hierarchie mit dreien erneut nur wenige Einheiten aufweist. In sehr vielen Satzgliedbeziehungen würden beide fragliche Satzglieder individuiert und damit der instruktive Wert von Individuiertheit zu oft nicht vorhanden sein. Um das intuitive Erfolgsversprechen der Individuiertheit nicht ganz verwerfen zu müssen, können wir sie teilweise in der Version der Belebtheitshierarchie aufgehen lassen, die wir verwenden werden. Dadurch, dass ich Person und Individuiertheit teilweise in meiner Fassung der Belebtheitshierarchie (Chiffre! ) miterfasse, kann natürlich der Eindruck entstehen, dass ich mir genau so eine Hierarchie zusammenbastle, dass die Hypothese auf jeden Fall erhärtet werden wird. Ich halte diese Sorge aber für unbegründet. Ich werde im vierten Kapitel versuchen, eine kohärente Erklärung für die Belebtheitseffekte zu liefern. Wäre die Belebtheitshierarchie nur ein Sammelsurium verschiedenartiger Einheiten, könnte eine solche Erklärung nicht kohärent sein. Vielmehr soll sich zeigen, dass andere Hierarchienkandidaten deswegen eine gewisse Plausibilität besitzen, weil sie aus dem ableitbar sind, was die umfassendere Belebtheitshierarchie im Innersten zusammenhält. 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise-(I) Ich werde nun überprüfen, wie gut unsere Bibelleserinnen damit fahren, in grammatisch mehrdeutigen Satzgliedpaaren die syntaktischen Funktionen beziehungsweise semantischen Rollen zu erkennen, indem sie deren relative Belebtheits- oder Akzessibilitätswerte so berücksichtigen, wie es die Hypothese(n) besagen. 302 Die Rahmenumstände der Datenbankklassifikation sind dieselben wie im ersten Teil der Analyse. Der Unterschied liegt darin, dass Satzglieder nach außergrammatischen Kategorien klassifiziert wurden. Beschreibungsebene außergrammatische Kategorien Satzglied/ Phrase/ Konstituente Belebtheit Akzessibilität Tab. 13: Außergrammatische Klassifikationskategorien auf Satzgliedebene Die konkreten Hierarchien, die ich bei der Klassifikation verwende, sind diejenigen in Tabelle 14. Durch die Hereinnahme der Einheit Selbst in die Belebtheitshierarchie enthält diese nun auch den Gegensatz der 1. zur 3. Person und durch die Einheiten „abstrakt“ und „Masse“ am unteren Ende enthält sie auch den Unterschied von Zählbarem, Dinghaftem und nicht Zählbarem, nicht Dinghaftem. 302 Siehe Abschnitte 3.1.4 in Bezug auf Belebtheit und 3.2.3 in Bezug auf Akzessibilität. 18429_Kasper_SL5.indd 201 18429_Kasper_SL5.indd 201 20.08.2020 10: 56: 02 20.08.2020 10: 56: 02 202 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Belebtheit Selbst > verwandt > human > belebt > unbelebt > Ort > abstrakt > Masse Bsp. Ich > mein Vater > die Hohepriester > Schafe > ein Tempel (als Gegenstand) > ein Tempel (als Container) > Schuld > Wein Akzessibilität Nullstelle > klitisches Pronomen > unbetontes Pronomen > betontes Pronomen > Demonstrativpronomen > Demonstrativpronomen mit Zusatz > Vorname > Nachname > kurze definite Beschreibung (≤ zwei Inhaltswörter) > lange definite Beschreibung (≥ drei Inhaltswörter) > vollständiger Name > vollständiger Name mit Zusatz > indefinite Beschreibung/ Indefinitpronomen Bsp. Ø > ( uuesgis )tu > sie > ( nicht wie ) Jch ( wil / sondern wie Du wilt ) > das > þa đe þiss đe onsecgeađ > Jesus > Petrus > thi swerd > das Gemisch aus Aloe und Myrrhe, über hundert Pfund > iosep fram amarithea > themo Pontisgen grauen Pilate > en annere Deern/ einer Tab. 14: Die verwendeten Belebtheits- und Akzessibilitätshierarchien Die kontrollierten Bedingungen bezüglich konkreter Satzgliedbeziehung (I-VI), Reihenfolge/ Konfiguration (1-10), Satztyp und morphologischer (A-C, D-F) beziehungsweise syntaktischer Eindeutigkeit (a-c, d-f) sind ebenfalls dieselben (s. Tabelle 3 in Abschnitt 2.8.1). Nicht alle Bedingungen sind hier jedoch gleich relevant. Ich werde nur diejenigen Satzgliedbeziehungen betrachten, die sich bei der Analyse der eigenstrukturellen Hinweise als morphologisch (D-F) und syntaktisch mehrdeutig (d-f) erwiesen haben, denn sie sind unmittelbar von den Hypothesen betroffen. Die Unterscheidungen nach Reihenfolgen/ Konfigurationen, Satztypen (und Wortarten), die wir bemüht haben, um zu ermitteln, ob Satzgliedbeziehungen mehrdeutig sind, sind hier nicht mehr genauso wichtig. Es genügt also, für alle Typen von Satzgliedbeziehungen die relativen Belebtheits- und Akzessibilitätswerte in den Instanzen zu betrachten, die wir als grammatisch mehrdeutig ausgewiesen haben. (Ich werde später jedoch noch einmal auf die Reihenfolgen zurückkommen! ) Da sich die Hypothesen, die die Belebtheit und die Akzessibilität betreffen, in Konkurrenz befinden, werden wir für jede Untersuchungsbedingung nacheinander die relativen Belebtheitswerte und die relativen Akzessibilitätswerte betrachten. Wir differenzieren zunächst nur nach Satzgliedbedingung (I-VI) und ziehen anschließend als einzige weitere Differenzierung die Satzgliedreihenfolge heran. 3.4.1 Differenzierung nach Satzgliedbeziehung (I-VI) Die wichtigste Satzgliedbedingung ist zweifellos diejenige mit Subjekten und direkten Objekten, schon allein wegen ihrer relativen Häufigkeit, aber auch wegen der Aufmerksamkeit, die ihr in Grammatiktheorien zuteil geworden ist. Wir sehen in Abbildung 69, dass im mit Abstand größten Teil der grammatisch mehrdeutigen Instanzen dieser Beziehung dasjenige Satzglied das Subjekt ist, das höher belebt ist. In einigen Fällen sind beide Satzglieder gleich belebt. Der Fall, dass das direkte Objekt belebter als das Subjekt ist, kommt nicht vor. 18429_Kasper_SL5.indd 202 18429_Kasper_SL5.indd 202 20.08.2020 10: 56: 02 20.08.2020 10: 56: 02 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise-(I) 203 Abb. 69: Relative Belebtheit zwischen Subjekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Konfi gurationen und Satztypen hinweg Abbildung 70 zeigt im direkten Vergleich, dass die Akzessibilität in weitaus mehr Fällen in die interpretative Irre führen würde. Die Akzessibilitätshypothese würde hier gegenüber der Belebtheitshypothese klar den Kürzeren ziehen. Abb. 70: Relative Akzessibilität zwischen Subjekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Konfi gurationen und Satztypen hinweg Die grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen mit Subjekten und indirekten Objekten haben zwar nur marginalen Status, sie sind aber theoretisch interessant genug, um hier erwähnt zu werden. Wir fi nden nur zwei Fälle, in denen das Subjekt und das indirekte Objekt anhand eigenstruktureller Hinweise nicht unterscheidbar sind (nicht abgebildet; in keinem der beiden Fälle ist das indirekte Objekt belebter als das Subjekt). 18429_Kasper_SL5.indd 203 18429_Kasper_SL5.indd 203 20.08.2020 10: 56: 04 20.08.2020 10: 56: 04 204 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Das ist für Subjekte und direkte Objekte 42 Mal häufiger der Fall. Dabei sind S-DO-Paare insgesamt nur etwa vier Mal häufiger als S-IO-Paare, das heißt, wenn wir auch die grammatisch eindeutigen Belege berücksichtigen. Im Vergleich zu direkten Objekten haben indirekte Objekte also sehr viel häufiger eine andere Form als Subjekte. Gleichzeitig gibt es sehr viel weniger häufig ein Belebtheitsgefälle zwischen Subjekten und indirekten Objekten. Wie Tabelle 10 gezeigt hat, sind zwischen Agens-Subjekten und direkten Patiens-Objekten sowie zwischen indirekten Rezipienten-Objekten und direkten Patiens-Objekten Belebtheitsgefälle erwartbar. Daraus würden aber relativ ähnliche Belebtheitswerte zwischen Agens-Subjekten und indirekten Rezipienten-Objekten folgen. Mit anderen Worten: Ohne unterscheidbare Formen oder instruktive Reihenfolgen wären Subjekte und indirekte Objekte auch oft nicht über die Belebtheit unterscheidbar. Das legt die Vermutung nahe, dass ihre ähnlichen Belebtheitswerte und ihre eigenstrukturelle Unterscheidbarkeit in irgendeiner Weise ursächlich zusammenhängen und unsere Hypothese in Bezug auf diese Satzgliedbeziehung deswegen erst gar nicht relevant wird. Die relative Akzessibilität der Vorstellungen hinter Subjekten und indirekten Objekten ist genauso verteilt wie die Belebtheitswerte (nicht abgebildet). Die Bedingung mit Subjekten und O-Instanzen ist streng genommen eine solche zwischen Subjekten und zumeist direkten Objekten. O-Instanzen enthalten die infinitivgruppen- und satzwertigen indirekten und direkten Objekte. Dazu zählen auch die vielen Fälle von direkter Rede in unseren Teilkorpora. Ich habe diese Objekte separat klassifiziert, damit sie nicht zu stark die Daten der zumeist direkten Objekte prägen. Die Infinitivgruppen oder Sätze drücken nicht Gegenstände aus, sondern Eventualitäten, die durch Gegenstände konstituiert sind. Als solche sind sie sämtlich abstrakt in Bezug auf ihren Belebtheitsstatus. Niedriger können daher allenfalls Massen sein. Überdies verzichte ich auf eine Akzessibilitätsklassifikation für die O-Instanzen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist ihre äußere Form kein sicher nachvollziehbarer Anzeiger für die Akzessibilität der entsprechenden komplexen Vorstellung. Der gleiche Satz kann als Satzglied womöglich einmal eine relativ akzessible und ein andermal eine gar nicht akzessible Vorstellung ausdrücken. Zum anderen wäre die Verstehenshypothese auf Basis der Akzessibilität selbst dann der konkurrierenden Belebtheitshypothese unterlegen, wenn wir ein nachvollziehbares Verfahren der Akzessibilitätsklassifikation fänden. Denn wie Abbildung 71 zeigt, erkennen unsere Leserinnen in solchen Satzgliedbeziehungen das Subjekt beziehungsweise Agens immer an seiner höheren Belebtheit. 18429_Kasper_SL5.indd 204 18429_Kasper_SL5.indd 204 20.08.2020 10: 56: 04 20.08.2020 10: 56: 04 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise-(I) 205 Abb. 71: Relative Belebtheit zwischen Subjekten und O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle nicht marginalen Konfi gurationen und alle Satztypen hinweg Demgegenüber fi nden sich unter diesen Subjekten beziehungsweise Agenten - wenn auch wenige - indefi nite Beschreibungen. Sie zeigen fehlende Akzessibilität an. Weniger akzessibel als nicht akzessibel könnte aber eine O-Instanz gar nicht sein. Das Akzessibilitätsgefälle wäre also von vornherein weniger ausgeprägt, als es das Belebtheitsgefälle tatsächlich ist. Wenn wir uns den Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten in Abbildung 72 zuwenden, sehen wir wieder, dass diese sehr selten grammatisch mehrdeutig sind. Lediglich im Nordniederdeutschen fi nden wir sehr viele grammatisch mehrdeutige Satzgliedpaare, weil Dativ und Akkusativ sich darin beinahe durchgängig eine Form teilen. Im größten Teil davon ist das indirekte Objekt beziehungsweise der Rezipient belebter. Falls dies nicht zutriff t, sind beide Vorstellungsgegenstände gleich belebt. Was dann passiert, werden wir noch sehen. Abb. 72: Relative Belebtheit zwischen indirekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle nicht marginalen Konfi gurationen und alle Satztypen hinweg 18429_Kasper_SL5.indd 205 18429_Kasper_SL5.indd 205 20.08.2020 10: 56: 05 20.08.2020 10: 56: 05 206 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Insgesamt nur einmal, nämlich im Altenglischen, tritt der Fall auf, dass das direkte Objekt belebter als das indirekte ist. Dies ist allerdings ein Gefälle auf hohem Niveau, wie der folgende Beleg zeigt, in dem Jesus zu Pilatus sagt: (40) [ forþam se hæfđ maran synne se ] Deswegen der hat mehr Schuld der đe me þe REL.3SG/ PL.NOM/ GEN/ DAT/ AKK 1SG.DAT/ AKK 2SG.DAT/ AKK sealde; ausliefer.3SG.PRÄT[u. a.] ‚(Deswegen hat [der] mehr Schuld, der,) der mich dir/ mir dich auslieferte.‘ (Altenglisch; Wessex Gospels; Johannes 19, 11; Liuzza [1994]) Die höhere syntaktische Funktion und semantische Rolle - von 2SG - hat hier die niedrigere Belebtheit - human gegenüber Selbst. Dieser Beleg ist daher entweder falsch verstehbar oder wird aufgrund von Informationen von außerhalb des (Teil-)Satzes richtig verstanden. Der Blick auf die Akzessibilität in Abbildung 73 off enbart, dass im Vergleich zur Belebtheit leicht mehr Vorstellungsgegenstände gleich akzessibel sind. Abb. 73: Relative Akzessibilität zwischen indirekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle nicht marginalen Konfi gurationen und alle Satztypen hinweg In einem nordniederdeutschen Beleg ist das direkte Objekt akzessibler als das indirekte. (41) [ Un as se noch bi wärn to eten, do nähm Jesus dat Brod, sprook dat Dankgebed und deel dat Brod in Stücken ] un gew dat sin und geb.3SG.PRÄT 3SG.N.NOM/ GEN/ DAT/ AKK POSS Jüngers Jünger.NOM/ GEN/ DAT/ AKK.PL 18429_Kasper_SL5.indd 206 18429_Kasper_SL5.indd 206 20.08.2020 10: 56: 06 20.08.2020 10: 56: 06 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise-(I) 207 ‚Und als sie noch dabei waren zu essen, da nahm Jesus das Brot, sprach das Dankgebet und teilte das Brot in Stücke und gab es/ das seinen Jüngern/ / ihm/ dem seine Jünger.‘ (Nordniederdeutsch; Dat Nie Testament; Johannes 20, 26; Jessen [[1933] 2006]) Auch hier würden die relativen Akzessibilitätswerte die Leserin entweder zur falschen Lesart instruieren oder sie müsste auf Informationen zugreifen, die ich aus inhaltlichen Gründen ausgeschlossen hatte. Blicken wir zuletzt in Abbildung 74 und Abbildung 75 noch auf die Beziehungen zwischen indirekten Objekten und O-Instanzen sowie auf diejenigen zwischen direkten Objekten und O-Instanzen. Sie treten nur mit vorangehendem indirektem beziehungsweise direktem Objekt auf und weisen sehr selten Nullelemente auf. Daher brauchen wir nur eine Konfi guration zu betrachten. Abb. 74: Relative Belebtheit zwischen indirekten Objekten und O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über die einzige nicht marginale Konfi guration und über alle Satztypen hinweg Dabei zeigt sich, dass die indirekten beziehungsweise direkten Objekte immer belebter sind als die jeweiligen O-Instanzen. Auf die Akzessibilitätsinformation von O-Elementen verzichten wir aus den bereits genannten Gründen. 18429_Kasper_SL5.indd 207 18429_Kasper_SL5.indd 207 20.08.2020 10: 56: 07 20.08.2020 10: 56: 07 208 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Abb. 75: Relative Belebtheit zwischen direkten Objekten und O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über die einzige nicht marginale Konfi guration und über alle Satztypen hinweg 3.4.2 Diff erenzierung nach realisierten und imaginären Satzgliedern (1- 10/ 1-5) Wenn wir die relativen Belebtheitswerte und Akzessibilitätswerte unserer Satzgliedpaare danach unterscheiden, ob imaginäre Satzglieder beteiligt sind oder nicht, verschieben sich die Werte und damit die instruktiven Leistungen der beiden außergrammatischen Merkmale zum Teil recht stark. In den Beziehungen zwischen realisierten Subjekten und realisierten direkten Objekten in Abbildung 76 verstärkt sich die Tendenz leicht, nach der höhere Belebtheit auf das Subjekt beziehungsweise Agens hinweist. Abb. 76: Relative Belebtheit zwischen realisierten Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg 18429_Kasper_SL5.indd 208 18429_Kasper_SL5.indd 208 20.08.2020 10: 56: 08 20.08.2020 10: 56: 08 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise-(I) 209 Anders verhält es sich bei der Akzessibilität in Abbildung 77. Die Eingrenzung auf realisierte Satzglieder bringt es mit sich, dass nun vielfach das direkte Objekt beziehungsweise Patiens das akzessiblere ist. Abb. 77: Relative Akzessibilität zwischen realisierten Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg Beim Blick auf Satzgliedbeziehungen mit imaginären Satzgliedern beschränken wir uns auf die Konfi guration mit den häufi gsten Belegen. Das ist diejenige mit imaginärem Subjekt, realisiertem fi nitem Verb und realisiertem direktem Objekt in Abbildung 78. Hier ist weiterhin die höhere Belebtheit stark mit der Subjektfunktion und Agensrolle verknüpft. In den jüngeren Sprachstufen ist diese Konfi guration von der syntaktischen Eigenstruktur gedeckt. Abb. 78: Relative Belebtheit zwischen imaginären Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Satztypen hinweg 18429_Kasper_SL5.indd 209 18429_Kasper_SL5.indd 209 20.08.2020 10: 56: 10 20.08.2020 10: 56: 10 210 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Die Kehrseite der schwachen Rolle der Akzessibilität bei realisierten Satzgliedern ist ihre starke Rolle bei imaginären Satzgliedern: In grammatisch mehrdeutigen S-DO-Beziehungen mit einem imaginären Satzglied ist dieses Satzglied immer das Subjekt beziehungsweise Agens, wie Abbildung 79 zeigt. Eine Nullstelle, die als imaginäres Satzglied fungiert, weist in Bezug auf Akzessibilität natürlich auf die höchste mögliche Abrufbarkeit der Gegenstandsvorstellung hin. In der abgebildeten Konfi guration ist Akzessibilität also sogar ein zuverlässigerer Hinweis als Belebtheit. Abb. 79: Relative Akzessibilität zwischen imaginären Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Satztypen hinweg Natürlich ist die abgebildete Konfi guration I 5 gerade so defi niert, dass das imaginäre Satzglied das Subjekt ist. In anderen Konfi gurationen (6 und 9) ist das Objekt das imaginäre Satzglied und höhere Akzessibilität würde dazu anleiten, es als das Objekt zu identifi zieren. Diese Belege gibt es, aber sie sind fast nie grammatisch mehrdeutig, außer im Mittelenglischen. 303 Was Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen betriff t, so gibt es sowohl in Beziehungen mit realisierten Satzgliedern - Abbildung 80 -, als auch in solchen mit mindestens einem imaginären Satzglied - Abbildung 81 - immer ein Belebtheitsgefälle und das belebtere Satzglied ist immer das Subjekt. 303 Ein grammatisch mehrdeutiges Beispiel ist Matthäus 26, 12 in der Wycliff e-Bibel: Th is womman [S] sendynge this oynement in to my bodi, dide [Ø, DO] to birie me ; ‚Als sie dieses Öl über meinen Leib goss, tat diese Frau (das) für mein Begräbnis.‘ 18429_Kasper_SL5.indd 210 18429_Kasper_SL5.indd 210 20.08.2020 10: 56: 11 20.08.2020 10: 56: 11 3.4 Der Analyse zweiter Teil: außergrammatische Hinweise-(I) 211 Abb. 80: Relative Belebtheit zwischen realisierten Subjekten und realisierten O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg Auf die Klassifi kation der Akzessibilität für die Bezugsgegenstände von O-Instanzen verzichten wir aus den genannten Gründen wieder. Daneben könnte die Akzessibilität schon prinzipiell kein verfügbarerer und zuverlässigerer Hinweis als Belebtheit sein. Abb. 81: Relative Belebtheit zwischen imaginären Subjekten und realisierten O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Satztypen hinweg Bei den Beziehungen zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten bleibt höhere Belebtheit relativ stark mit der höheren syntaktischen Funktion beziehungsweise semantischen Rolle verbunden, wie Abbildung 82 illustriert. 18429_Kasper_SL5.indd 211 18429_Kasper_SL5.indd 211 20.08.2020 10: 56: 12 20.08.2020 10: 56: 12 212 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Abb. 82: Relative Belebtheit zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg Ein ähnliches Bild zeigt sich in Abbildung 83 für die relative Akzessibilität unter den gleichen Bedingungen. Abb. 83: Relative Akzessibilität zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg Bei indirekten und direkten Objekten gibt es nur vier grammatisch mehrdeutige Belege mit imaginärem direktem Objekt. In keinem davon ist das direkte Objekt belebter als das indirekte, bei einem Fall gleicher Belebtheit; es ist aber natürlich in jedem Beleg und entgegen der Hypothese akzessibler (jeweils nicht abgebildet). Die Satzgliedbeziehungen zwischen indirekten Objekten beziehungsweise direkten Objekten und O-Instanzen weisen keine imaginären Satzglieder auf und unterscheiden sich bezüglich Belebtheit und Akzessibilität nicht von denen im vorherigen Abschnitt (nicht abgebildet). 18429_Kasper_SL5.indd 212 18429_Kasper_SL5.indd 212 20.08.2020 10: 56: 14 20.08.2020 10: 56: 14 3.5 Bedeutung für die Belebtheits- und Akzessibilitätshypothesen 213 3.5 Bedeutung für die Belebtheits - und Akzessibilitätshypothesen Wie groß sind nun die Anteile der grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen, die unsere Bibelleserinnen mittels Belebtheit und Akzessibilität richtig interpretieren können, gemessen an allen grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen? Abbildung 84 gibt die Antwort für die Belebtheit, Abbildung 85 für die Akzessibilität. 304 Abb. 84: Relative Anteile grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen, die mittels der Belebtheitshypothese richtig (Bel.↑=sem. Rolle↑), unbestimmt (Bel. nicht aussagekräftig) oder falsch (Bel.↑=sem. Rolle↓) interpretiert würden Abb. 85: Relative Anteile grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen, die mittels der Akzessibilitätshypothese richtig (Akzess.↑=sem. Rolle↑), unbestimmt (Akz. nicht aussagekräftig) oder falsch (Akzess.↑=sem. Rolle↓) interpretiert würden 304 Hier inbegriff en sind die Belege der in Abschnitt 3.4.1 analysierten Satzgliedbeziehungen. 18429_Kasper_SL5.indd 213 18429_Kasper_SL5.indd 213 20.08.2020 10: 56: 15 20.08.2020 10: 56: 15 214 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Am einfachsten zu entscheiden ist die Konkurrenz zwischen den beiden Hypothesen. Unsere vorgestellten Bibelleserinnen würden zwischen 82 Prozent - im Nordniederdeutschen - und 96 Prozent - im Althochdeutschen - der grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen richtig interpretieren, wenn sie davon ausgingen, dass höhere Belebtheit • in Beziehungen zwischen Subjekten und allen Arten von Objekten auf das Subjekt beziehungsweise Agens, • in Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten auf das indirekte Objekt beziehungsweise den Rezipienten und • in Beziehungen zwischen indirekten/ direkten Objekten und O-Instanzen auf das indirekte/ direkte Objekt beziehungsweise den Rezipienten hinweist. Sie würden nur in einem einzigen - altenglischen - Fall sicher die falsche Interpretation wählen. 305 In etwa vier - im Althochdeutschen - bis etwa 18 Prozent - im Nordniederdeutschen - der Satzgliedbeziehungen wäre in Ermangelung eines Belebtheitsgefälles keine Interpretationsroutine und kein Automatismus auf Basis dieses Hinweistyps möglich. Wenn sie die gleichen routinemäßigen oder automatisierten Erwartungen in Bezug auf Akzessibilität machen würden, würden sie zwischen 73 Prozent - im Hochalemannischen - und 93 Prozent - im Mittelhochdeutschen - der grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen richtig interpretieren. In keiner Sprach(stuf)e würden die Leserinnen mit der Akzessibilitätsannahme besser fahren als mit der Belebtheitsannahme. Und in zwei Prozent - im Altenglischen - bis sogar 19 Prozent - im Hochalemannischen - würde die Akzessibilität zur falschen Interpretation führen, würde sie als Hinweis auf die syntaktischen Funktionen beziehungsweise semantischen Rollen verstanden. In vier Prozent - im Mittelhochdeutschen - bis 15 Prozent der Fälle - im Mittelenglischen - gibt es kein Akzessibilitätsgefälle. Damit ist die Belebtheit der deutlich zuverlässigere Hinweis auf die richtige Interpretation als die Akzessibilität . Bedenken sollte man dabei den Unterschied zwischen den Bedingungen mit imaginären Satzgliedern und ohne imaginäre Satzglieder. In Letzteren ist die Akzessibilität keine gute Interpretationshilfe, in Ersteren eine dafür umso bessere - in der Bedingung mit imaginären Subjekten und realisierten direkten Objekten sogar eine bessere als Belebtheit. Tatsächlich ist es so, dass die Interpretierbarkeit der Nullstelle in unseren Teilkorpora kaum noch Optionen offenlässt. Das gilt für die jüngeren wie für die älteren Sprach(stuf)en mit der möglichen Ausnahme des Mittelenglischen. Ich hatte im zweiten Kapitel in Hinsicht auf die Interpretation von Äußerungen mit solchen Nullstellen eine Vorentscheidung für die nachfolgende Klassifikation der eigenstrukturellen Hinweise getroffen und dabei Gebrauch von gewissen Präzedenzfällen gemacht. 306 Danach hatte ich die syntaktische Funktion der Nullstelle in den älteren Sprach(stuf)en noch als variabler und unabhängiger von der aktuellen syntaktischen Struktur und derjenigen der Partnerteilsätze behandelt, während ich sie in den jüngeren Sprach(stuf)en als eigenstrukturell geregelt analysiert hatte. Nun zeigt sich zwar nicht, dass das falsch gewesen wäre - in den älteren Sprach(stuf)en treten durchaus Null objekte auf, wo wir sie heute nicht erwarten würden -, die Interpretation der Nullstelle - und damit des akzessibleren Vorstellungsgegenstands - als Subjekt scheint sich aber sich aber schon der Ausnahmslosigkeit anzunähern. Und wenn dieser Punkt erreicht ist, spricht 305 Siehe den altenglischen Beleg (40) in Abschnitt 3.4.1 (( forþam se hæfđ maran synne se ) đe me þe sealde ) . 306 Siehe Abschnitt 2.3.2. 18429_Kasper_SL5.indd 214 18429_Kasper_SL5.indd 214 20.08.2020 10: 56: 15 20.08.2020 10: 56: 15 3.5 Bedeutung für die Belebtheits- und Akzessibilitätshypothesen 215 nichts dagegen, das Ergebnis als syntaktifizierte Akzessibilitätskonfiguration zu bezeichnen. Damit hätte sie aber aufgehört, ein außergrammatischer Hinweis zu sein, sondern wäre von der grammatischen Eigenstruktur aufgesogen worden. Was man also bedenken sollte, ist, dass die Vorentscheidung, die Nullstellen in den älteren Sprach(stuf)en nicht in die syntaktische Eigenstruktur hineinzuziehen, eine entweder-oder-Entscheidung sein musste, dass die Daten aber den Zustand des beinahe-syntaktifiziert-Seins nahelegen, in dem die Akzessibilität von Vorstellungsgegenständen eigenstrukturellen Regelungen wie der parallelen Strukturierung weichen muss. Die Frage, ob die Ergebnisse zur einen oder zur anderen Hypothese die besseren sind, ist aber noch einmal eine andere als diejenige, ob die Hypothesen nun erhärtet oder als falsch erwiesen sind. Und diese letztere ist die deutlich schwierigere Frage. Zunächst einmal können wir konstatieren, dass an beiden Hypothesen etwas dran ist: In der deutlichen Mehrzahl der grammatisch mehrdeutigen Sätze würden Belebtheit und Akzessibilität unsere Leserinnen zur richtigen Interpretation anleiten. Die Akzessibilität würde sie allerdings auch nicht selten in die Irre führen. In Bezug auf die Belebtheit käme dies bloß ein einziges Mal vor. Ich denke, dies ist eine Tatsache, die uns berechtigt zu sagen, dass wir die Akzessibilitätshypothese anhand der Daten als falsch ausweisen können. Über die Gründe lässt sich trefflich spekulieren, aber es gibt zumindest einen Hinweis aus der Forschung. Die Idee der Akzessibilität ist ja, dass die verschiedenen Arten von Dingausdrücken Symptome für den Grad der Abrufbarkeit ihrer Bezugsgegenstände aus dem Gedächtnis sind. Und die Hypothese besagt, dass die Akzessibilität in einem nicht zufälligen Zusammenhang mit syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen steht. Wir haben nun gesehen, dass Letzteres nicht in ausreichendem Maße zutrifft. Möglicherweise ist die Idee der Akzessibilität nicht so simpel wie angenommen. Denn ich war einfach davon ausgegangen, dass die Ausdruckstypen, die unsere Übersetzer für Vorstellungsgegenstände wählten, gleichermaßen symptomatisch für den Status dieser Gegenstände in ihrem eigenen Gedächtnis (oder dem der Schreiber der Vorlagen) und im Gedächtnis der Adressaten sind. 307 Wenn dies so wäre, wären diese Ausdruckstypen für unsere Leserinnen präzise Anleitungen, zwischen ihren Vorstellungen genau die Kohärenzstrukturen herzustellen, die für die Übersetzer oder Schreiber Anlass gewesen sind, genau diese Ausdruckstypen zu verwenden. Es gibt durchaus Hinweise darauf, dass die automatische oder routinemäßige Wahl eines Ausdruckstyps durch einen Produzenten daran ausgerichtet ist, was er glaubt, welchen Status ein Gegenstand im Gedächtnis der Adressatin hat. 308 Ebenso gibt es aber auch Hinweise darauf, dass es davon abhängig sein könnte, wie akzessibel ein Gegenstand im Gedächtnis des Produzenten selbst ist. 309 Und schließlich gibt es Hinweise darauf, dass die Wahl des Ausdruckstyps auch von anderen Faktoren abhängt, die weder etwas mit einer Adressatin, noch etwas mit der Aufrufbarkeit von Gegenständen aus dem Gedächtnis zu tun haben. Dazu zählt die kognitive Belastung während der Sprachproduktion. 310 Und dazu zählen ebenfalls Merkmale des Bezugsgegenstands, die für den Produzenten 307 Direkt in Bezug auf Akzessibilität vgl. Ariel (1988 et sqq.), allgemein in Bezug auf den Gedanken, Sprachproduktion und -verstehen seien aufeinander abgestimmt, vgl. Pickering & Garrod (2013). 308 Vgl. Fukumura, van Gompel & Pickering (2010). 309 Vgl. Fukumura & van Gompel (2012). 310 Vgl. dazu Arnold (2008) und (2010). Für weitere Beispiele dafür, dass Sprecher Äußerungen nicht mit Rücksicht auf die Rezipientin vereindeutigen, vgl. Ferreira & Dell (2000), Ferreira & Slevc (2007: 461-462). 18429_Kasper_SL5.indd 215 18429_Kasper_SL5.indd 215 20.08.2020 10: 56: 15 20.08.2020 10: 56: 15 216 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise subjektiv bedeutsam, für die Rezipientinnen aber nicht unbedingt Unterscheidungsmerkmale sind. 311 Diese Faktoren können dazu führen, dass eine Leserin einen Ausdruckstyp als kohärenzstiftenden Hinweis auf den Status des Bezugsgegenstandes in ihrem Gedächtnis auffasst, während er auch das Symptom für etwas anderes sein kann. 312 Potentielles Resultat ist dann ein Missverstehen. 313 Sodann stellt sich die Frage nach dem Status der Belebtheitsheitshypothese. Mit ihr sind wir ganz offensichtlich etwas auf der Spur, das einen wichtigen Status bei der Interpretation sprachlicher Äußerungen hat. Und sie ist von vornherein frei vom Makel der Akzessibilität: Die Wahl des Ausdruckstyps ist nicht nur symptomatisch für die Akzessibilität einer Gegenstandsvorstellung, sondern auch für anderes. Die Belebtheit eines Bezugsgegenstandes ist nach allem, was wir wissen, für Produzent und Interpretin stets dieselbe und unabhängig von Faktoren, die sich kurzfristig und kontextabhängig ändern. Was uns noch davon abhalten könnte, die Belebtheitshypothese als erhärtet anzunehmen, sind die nicht wenigen Fälle gleicher Belebtheit in den Daten. Für diesen Fall habe ich die Leserinnen mit keiner Interpretationsroutine, mit keinem Automatismus ausgestattet. Wir wissen um die vielen Automatismen und Routinen beim Sprachverstehen und darum, dass wir uns bei Mehrdeutigkeiten nicht einfach einer Deutung enthalten. Auch wenn die Satzgliedbeziehung grammatisch mehrdeutig ist, auch wenn die Belebtheitswerte der Bezugsgegenstände Gleiche sind, bemerken wir dies oft gar nicht und be-deuten die Äußerung trotzdem - und oft richtig. Ich möchte deshalb versuchen, die Hypothese noch einmal zu erweitern, um die vier bis 18-Prozent der grammatisch mehrdeutigen Äußerungen zu vermindern, für die wir den Leserinnen mangels Belebtheitsgefälle bisher keine Interpretationsroutine anbieten konnten. Wenn es gelingt, den Anteil der grammatisch mehrdeutigen Äußerungen, die mittels außersprachlichen Hinweisen und ohne Kontextinformationen richtig interpretierbar sind, für alle Sprach(stuf)en auf mindestens 95-Prozent zu bringen, dann soll die Hypothese Bestand haben. Dafür benötigen wir einen weiteren außergrammatischen Hinweistyp, der mit dem der Belebtheit kombinierbar ist. Ich werde also noch einmal über die Satzgliedreihenfolge sprechen. 3.6 Satzgliedreihenfolge: außergrammatisch betrachtet Bei der Analyse der eigenstrukturellen Hinweise hatte sich gezeigt, dass außer in mittelenglischen Verbletztstrukturen die Satzgliedreihenfolge in unseren Sprach(stuf)en kein zuverlässiger Hinweis auf syntaktische Funktionen oder semantische Rollen ist. In morphologisch 311 Vgl. Gatt et al. (2013). 312 Für weitere Tendenzen, aber eben nicht Regeln über den Zusammenhang zwischen Akzessibilitätsgrad und syntaktischen Einheiten vgl. Bittner & Dery (2015), Portele & Bader (2016). Für die Herausforderung historischer Quellen, zumal Übersetzungsliteratur vgl. Petrova & Solf (2009). 313 Nicht überschätzen sollte man auch die Adäquatheit informationsstruktureller Definitionen. Die Idee der Akzessibilität ist zur Hälfte eine linguistische, zur anderen Hälfte aber eine psychologische. Während die Ausdruckstypen, die symptomatisch für Akzessibilitätsgrade sein sollen, gut definierbar und voneinander abgrenzbar sind, hängt doch der kognitive Teil viel stärker von indirekter Evidenz und theoretischen Annahmen über das Gedächtnis ab. Das gilt im Übrigen auch für die Definition(en) von Topik. Dies äußert sich etwa darin, dass trotz aller Definitions- und Abgrenzungsbemühungen kaum je einhundertprozentige Übereinstimmung zwischen verschiedenen Topikidentifiziererinnen für denselben Text festgestellt werden kann (vgl. Cook & Bildhauer 2013). 18429_Kasper_SL5.indd 216 18429_Kasper_SL5.indd 216 20.08.2020 10: 56: 15 20.08.2020 10: 56: 15 3.6 Satzgliedreihenfolge: außergrammatisch betrachtet 217 eindeutigen wie mehrdeutigen Satzgliedpaaren kamen beide möglichen Reihenfolgen vor, wenn auch in unterschiedlicher Häufigkeit. Die Reihenfolge ist in unseren Sprach(stuf)en mit der genannten Ausnahme also (noch) nicht von der sprachlichen Eigenstruktur absorbiert worden. (Erst wenn sie absorbiert worden ist, kann gegen das Prinzip, das sie vorher gesteuert hat, verstoßen werden! Dies ist das Thema von Kapitel 4.) Das bedeutet für uns, dass sie in diesem Fall gewissermaßen noch frei dafür ist, von Sprachbenutzerinnen automatisch oder routinemäßig als Symptom für etwas anderes als die Erkennung von eigenstrukturellen Einheiten wie syntaktischen Funktionen verwendet oder interpretiert zu werden. 3.6.1 Ein Ort, sie zu knechten, sie alle zu binden Wenn sie nicht syntaktifiziert ist, ist die erste Satzgliedposition der Schauplatz einer Konkurrenz des funktional-semantisch-pragmatischen Dreigestirns aus Subjekt, Agens und Topik, die alle bevorzugt in dieser Position ausgedrückt und bei der Interpretation in dieser Position erwartet werden. 314 Die relative Position taucht auch in meiner Tabelle 10 in Abschnitt 3.1.3 auf. Sie ist dort als einer der Schauplätze dieser Konkurrenz neben anderen eigenstrukturellen Kategorien aufgeführt. Auch in der Betrachtungsweise der synchronischen lokalen Online-Perspektive haben wir die Reihenfolge der Elemente als einen Faktor bei der Identifikation semantischer Rollen gefunden. 315 Die Rolle der Reihenfolge aus den diachronischen und synchronischen Offline-Perspektiven habe ich bereits beleuchtet. 316 Dabei ging es immer genau um den Punkt, an dem aus einer variablen Reihenfolge mit variablen Funktionen global oder lokal ein eigenstruktureller Hinweis auf syntaktische Funktionen wird, zum Beispiel, sobald die morphologischen Anzeiger für verschiedene syntaktische Funktionen nicht mehr unterscheidbar sind. Mit hinein in die Besetzung einer Reihenfolge mit bestimmten Funktionen durch die Sprachbenutzerinnen spielt aber auch, dass die Beziehungen zwischen auslagernden und ausgelagerten Ausdrücken, also die Dependenzbeziehungen in einer Äußerung, so organisiert werden müssen, dass nicht zu viele offene Beziehungen zwischen auslagernden und ausgelagerten Ausdrücken über zu große Distanzen entstehen. 317 Vor diesem Hintergrund bietet sich natürlich die Hypothese an, dass unsere Bibelleserinnen sich für die richtige Interpretation grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen an der Satzgliedreihenfolge orientieren müssen, nun eben als außergrammatischer Hinweis. 3.6.2 Update der Hypothese Ein Problem bei einer solchen Hypothese ist, dass es nicht gerade trivial ist anzugeben, für welchen außergrammatischen Sachverhalt die variable Satzgliedreihenfolge ein Symptom sein soll. Für die Belebtheit hatten wir zumindest eine Chiffre für einen außergrammatischen Sachverhalt. Das zweite Problem ist die Art und Weise, wie wir die Reihenfolge in die Belebt- 314 Vgl. neben den bereits genannten Arbeiten von Givón etwa Halliday (1967) und Tomlin (1986) sowie unsere Tabelle 11 in Abschnitt 3.1.3. Jedes der dort genannten eigenstrukturellen Merkmale ist Austragungsort dieser Konkurrenz. 315 Vgl. Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009c) sowie hier Abschnitt 2.4.2. 316 Ebenfalls in Abschnitt 2.4.2. 317 Vgl. etwa Gibson (1998), Hawkins (2004). 18429_Kasper_SL5.indd 217 18429_Kasper_SL5.indd 217 20.08.2020 10: 56: 15 20.08.2020 10: 56: 15 218 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise heitshypothese integrieren wollen, um eine neue, bessere Hypothese zu bekommen. Ich werde mit diesen Problemen so verfahren, dass ich eine Hypothese formulieren und überprüfen werde, obwohl sie noch nicht ganz verständlich anmuten mag, und mich anschließend und als Letztes in Kapitel 4 darum kümmern werde, sie verständlich zu machen. Die upgedatete Hypothese soll die folgende sein: Satzgliedbeziehungen, die eigenstrukturell, das heißt morphologisch und syntaktisch mehrdeutig sind, können von unseren Leserinnen richtig interpretiert werden, wenn diese automatisch oder routinemäßig davon ausgehen, dass höhere Belebtheit • in Beziehungen zwischen Subjekten und allen Arten von Objekten auf das Subjekt beziehungsweise Agens, • in Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten auf das indirekte Objekt beziehungsweise den Rezipienten und • in Beziehungen zwischen indirekten/ direkten Objekten und O-Instanzen auf das indirekte/ direkte Objekt beziehungsweise den Rezipienten hinweist. Bei gleicher Belebtheit weist der Umstand, das zuerst ausgedrückte oder erschlossene Satzglied zu sein, jeweils in die gleiche interpretative Richtung wie höhere Belebtheit. Erschlossen soll heißen, dass ich angesichts der Resultate zur Syntaktifizierung der imaginären Satzglieder im Weiteren davon ausgehen werde, dass diese Satzglieder imaginäre, aber feste und daher erschließbare Positionen einnehmen. 3.7 Der Analyse dritter Teil: außergrammatische Hinweise-(II) Die angepasste Hypothese liefert unseren Leserinnen nun eine Interpretationsroutine oder einen Automatismus an, anhand deren sie auch diejenigen grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen be-deuten werden, in denen die Bezugsgegenstände gleich belebt sind. Sie liefert eine solche Routine oder einen Automatismus für jede denkbare Satzgliedbeziehung, die unter unsere Fragestellung fällt. Wie wir bereits früher gesehen haben, können in einer Satzgliedbeziehung morphologische Markierungen uninformativ sein, ein Belebtheits- und ein Akzessibilitätsgefälle können fehlen, aber eine Reihenfolge gibt es aufgrund der Beschaffenheit unserer Sprache immer. Die Überprüfung der Hypothese kann hier kurz ausfallen. Ausgangspunkt ist Abbildung 84 oben zu Beginn von Abschnitt 3.5. Unter der upgedateten Hypothese fallen die ehemals nicht aussagekräftigen Belege nun sämtlich entweder unter diejenigen, die die höhere semantische Rolle (und syntaktische Funktion) anzeigen, oder unter diejenigen, die die niedrigere semantische Rolle (und syntaktische Funktion) anzeigen. Es ergibt sich das Bild in Abbildung 86. 18429_Kasper_SL5.indd 218 18429_Kasper_SL5.indd 218 20.08.2020 10: 56: 15 20.08.2020 10: 56: 15 3.7 Der Analyse dritter Teil: außergrammatische Hinweise-(II) 219 Abb. 86: Relative Anteile grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen, die mittels der Belebtheits- und Reihenfolgehypothese richtig (Bel.↑/ 1. Pos.=sem. Rolle↑) oder falsch (Bel.↑/ 1.Pos.=sem. Rolle↓) interpretiert würden Wir sehen Folgendes: Die Anteile der grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen, die von unseren Leserinnen auf diese Weise richtig verstanden würden, rangieren zwischen 95,3 Prozent im Niederdeutschen und 100-Prozent in gleich drei Sprach(stuf)en. Damit kann die Hypothese als erhärtet gelten. Holen wir noch die grammatisch eindeutigen Satzgliedbeziehungen wieder mit ins Boot, die ich in Kapitel 2 besprochen und zu charakterisieren versucht hatte. Ich setze die Satzgliedbeziehungen, die mittels der Hypothese falsch interpretiert würden, in Beziehung zu den Satzgliedbeziehungen, die über außergrammatische und eigenstrukturelle Hinweise richtig interpretiert würden. Um in Abbildung 87 die entsprechenden Anteile sichtbar machen zu können, musste ich weit in die y -Achse hineinzoomen. Abb. 87: Relative Anteile zwischen Satzgliedbeziehungen, die über eigenstrukturelle und außergrammatische Hinweise richtig interpretiert würden, und grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen, die über außergrammatische Hinweise falsch (Bel.↑/ 1.Pos.=sem. Rolle↓) interpretiert würden 18429_Kasper_SL5.indd 219 18429_Kasper_SL5.indd 219 20.08.2020 10: 56: 16 20.08.2020 10: 56: 16 220 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise Gemessen an allen richtig verstehbaren Satzgliedbeziehungen, bleiben diejenigen, die zu einer falschen Interpretation instruieren würden, unter einem Prozent, im Nordniederdeutschen knapp darüber. In der Hypothese war zudem implizit die Annahme enthalten, dass unsere Leserinnen nur dann auf außergrammatische Hinweise zurückzugreifen brauchen, wenn die eigenstrukturellen Hinweise entweder nicht verfügbar oder trotz Verfügbarkeit nicht zuverlässig sind. Anders ausgedrückt, sollen eigenstrukturelle Hinweise, wenn sie verfügbar und aussagekräftig sind, prinzipiell zuverlässiger sein. Wir können jetzt feststellen, dass sich in den Teilkorpora keine Beispiele finden, in denen eigenstrukturelle Hinweise und außergrammatische Hinweise zu unterschiedlichen Interpretationen anleiten würden und die Leserinnen den Letzteren folgen müssten, um die Äußerung richtig zu verstehen. In 15 Fällen - absolut gesehen - führt der Deutungsautomatismus oder die Deutungsroutine, die ich entwickelt habe, zur falschen Lesart. 318 In Beispiel (42) können wir nicht ausschließen, dass Leserinnen für die erfolgreiche Interpretation von De die Vorstellung der Leute - statt der Schwerter und Knüppel - und für em die Vorstellung von Judas statt der Waffen holen müssen. 319 318 Das sind neben den Beispielen, die in diesem und dem nächsten Abschnitt noch besprochen werden, Beispiel (40) und die Folgenden: (43) AVff das Feste aber hatte der Landpfleger gewonet / dem Volck einen Gefangen los zu geben / welche [sic] (NOM/ AKK.SG/ PL) sie (3SG/ PL.NOM/ AKK) wolten (1/ 2/ 3PL.PRÄT) ‚Auf das Fest hin aber hatte der Statthalter die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen freizulassen, die (S/ DO) sie (S/ DO) wollten.‘ (Frühneuhochdeutsch; Matthäus 27, 15) (44) Uf s Fäscht hii hät de Landvogt em Volch amigs en Gfangene freiggèè, dèè, wo s händ wele . (Hochalemannisch; Matthäus 27, 15) Mehrdeutig wie (43). (45) Ganz gliich händ au d Röiber, wo (NOM/ GEN/ DAT/ AKK.SG/ PL) s (3SG.NOM/ PL.NOM/ AKK) mit em zäme gchrüüziget händ (hab.1/ 2/ 3PL.PRÄS) , über en gschnöödet. ‚Genauso spotteten auch die Räuber über ihn, die (S/ DO) sie (S/ DO) mit ihm zusammen gehängt hatten.‘ (Hochalemannisch; Matthäus 27, 44) (46) Da gew he em (3SG.DAT/ AKK) ehr (3PL.DAT/ AKK) in de Hann'n, dat he ant Krüz slan wörr. ‚Da gab er ihn/ ihm (DO/ IO) ihnen/ sie (IO/ DO) in die Hände, damit er ans Kreuz geschlagen würde.‘ (Nordniederdeutsch; Johannes 19, 16) (47) „Wokeen vun de beiden (NOM/ DAT/ AKK) schall ick ju (2PL.DAT/ AKK) nu frielaten? “ ‚„Welchen/ Welchem von den beiden (DO/ IO) soll ich euch (IO/ DO) nun freilassen? “‘ (Nordniederdeutsch; Mt. 27, 17; grammatisch analog auch: Mt. 27, 21) (48) „Wat wüllt ji mi gewen, wenn ick em (3SG.DAT/ AKK) ju (2PL.DAT/ AKK) in de Hann'n lewer? “ ‚„Was wollt ihr mir geben, wenn ich ihn/ ihm (DO/ IO) euch (IO/ DO) in die Hände liefere? “‘ (Nordniederdeutsch; Matthäus 26, 15) 319 Da ich entschieden hatte, dass unsere Leserinnen die Bezugsgegenstände von Pronomen kennen, könnte man hier sicher argumentieren, dass die Mehrdeutigkeit der syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen nur zustande kommt, weil zuvor der mehrdeutige Pronomenbezug falsch interpretiert wurde, was wir ausgeschlossen hatten. Der Pronomenbezug ist allerdings selbst im altgriechischen Text nicht ganz eindeutig, sondern muss letztlich auf Basis von Plausibilitätserwägungen hergestellt werden. Die kritische Frage ist hier, worauf die Präpositionalgruppe mit apo bezogen werden muss beziehungsweise kann, auf μαχαιρῶν καὶ ξύλων (‚Schwerter und Knüppel‘) oder auf ὄχλος πολὺς (‚große Menge‘): [ … ] καὶ μετ’ αὐτοῦ ὄχλος πολὺς μετὰ μαχαιρῶν καὶ ξύλων ἀπὸ τῶν ἀρχιερέων καὶ πρεσβυτέρων τοῦ λαοῦ ; ( kai met‘ autou ochlos polys meta machairōn kai xylōn apo tōn archiereōn kai presbyterōn tou laou ) (Novum Testamentum Graece). 18429_Kasper_SL5.indd 220 18429_Kasper_SL5.indd 220 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 3.7 Der Analyse dritter Teil: außergrammatische Hinweise-(II) 221 (42) [ … ] un mit em folgen en barg Lüd mit Swerter un Knüppels. De haarn de DEM.NOM/ GEN/ DAT/ AKK.PL[…] hab.3PL.PRÄT DET Hochepreesters un Öllerlüd Hohepriester und Älteste ut dat Volk em aus dem Volk.NOM/ GEN/ DAT/ AKK.PL 3.DAT/ AKK.SG/ PL mitgewen. mitgeb.PTZII ‚… und mit ihm folgte [im Original Plural] ein Haufen Leute mit Schwertern und Knüppeln. Die (S/ DO) hatten die Hohepriester und Ältesten aus dem Volk (S/ DO) ihm mitgegeben.‘ (Nordniederdeutsch; Dat Nie Testament; Matthäus 26, 47; Jessen [[1933] 2006]) In diesem Fall wäre der Bezugsgegenstand von De genauso belebt wie der von de Hochepreesters un Öllerlüd … ; De wäre aber das erstgenannte Satzglied, also als Subjekt beziehungsweise Agens zu interpretieren. Dass dies die falsche Interpretation ist, ließe sich nur über historisches Besserwissen oder Plausibilitätserwägungen auf Basis des bisherigen Verlaufs der Erzählung entscheiden. Mit anderen Worten: Ein tatsächliches Missverstehen ist hier nicht ausgeschlossen. Dies gilt umso mehr, als das Beispiel zusätzlich zwischen indirektem und direktem Objekt beziehungsweise Rezipient und Patiens mehrdeutig ist. (Zum Beispiel: ‚Denen hatten die Hohepriester und Ältesten ihn mitgegeben.‘) In den 15 übriggebliebenen Satzgliedbeziehungen taucht dieser Satz also zwei Mal auf. Dazu ist er in einer Weise mehrdeutig, die ebenfalls der hypothetischen Interpretationsroutine entgegenläuft: De - das eigentliche direkte Objekt beziehungsweise Patiens - geht dem eigentlichen indirekten Objekt beziehungsweise Rezipienten - em - bei gleicher Belebtheit voran. Zu erkennen, dass die Zuordnung von syntaktischen Funktionen beziehungswiese semantischen Rollen und Satzgliedern nicht umgekehrt richtig ist, ist auch hier eine Frage des sogenannten enzyklopädischen Wissens oder von - fehlbaren - Plausibilitätserwägungen. Und so ist es bei den meisten anderen Beispielen ebenfalls. Vier Beispiele weichen davon ab. Es handelt sich um die frühneuhochdeutsche, neuhochdeutsche, hochalemannische und nordniederdeutsche Übersetzung von Matthäus 27, 5, Was gehet vns das an? , Was geht uns das an? , Waas gaat öis daas aa? beziehungsweise (49). (49) Wat geit uns Was.NOM/ (DAT)/ AKK geh.3SG.PRÄS 1PL.DAT/ AKK dat an? DEM.3SG.NOM/ (DAT)/ AKK an ‚Was (S/ DO) geht uns das (DO/ S) an? ‘ Hier besteht ein ganz besonderer Kontrast: Einerseits lässt die Verstehensroutine, die ich herauspräpariert habe, erwarten, dass diese vier Belege so, wie sie sprachlich organisiert sind, missverständlich sind: mehrdeutig zwischen Subjekt und direktem (Patiens-)Objekt bei gleicher Belebtheit - abstrakt - und vorangehendem Objekt. Andererseits sind diese Belege wirklich alles andere als missverständlich. Es ist schon eine besondere Vorstellungsakrobatik 18429_Kasper_SL5.indd 221 18429_Kasper_SL5.indd 221 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 222 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise nötig, um das Fragepronomen als Subjekt und das Demonstrativpronomen als direktes Objekt interpretieren zu können. Woher kommt dieser Kontrast, was verursacht diese Schwierigkeit? Mein Eindruck ist, dass das W -Satzglied nicht nach einem Gegenstand fragt, sondern - im Sinne von ‚Wieviel? ‘ und rhetorisch - nach einer Menge oder einem Maß fragt, die oder das den Grad des Angehens ausdrückt. 320 Das W -Satzglied würde hier keine syntaktische Kernfunktion, das heißt, nicht die Funktion von Subjekt, indirektem oder direktem Objekt mehr einnehmen. Wenn wir überlegen, wie die Antwort auf die Frage lauten könnte, also welche Arten von Gegenständen im weitesten Sinne als Patiens-Objekt eingesetzt werden könnten, kommen letztlich nur Indefinitpronomen - nichts , etwas -, Maßangaben - viel , wenig - und ein feuchter Dreck in Frage: Das - die Tatsache, dass Judas Reue empfindet - geht uns { etwas, nichts, viel, wenig, einen feuchten Dreck } an . In manchen Fällen würde das Objekt schon nicht mehr von einer adverbialen Bestimmung unterscheidbar sein. Außerdem ist es wie adverbiale Bestimmungen weglassbar. Die missverständliche Lesart müsste so zustande kommen, dass sich das W -Satzglied auf die Tatsache bezieht, dass Judas Reue empfindet, und das Demonstrativpronomen auf etwas, nichts, wenig, viel oder einen feuchten Dreck. Das sind aber kaum Gegenstände, auf die mit einem Demonstrativpronomen Bezug genommen würde, denn die Bezugsgegenstände sind vollkommen unbestimmt: wie viel oder wenig wovon eigentlich? Und Demonstrativpronomen zeigen auf einen wirklichen oder imaginären Suchraum, aus dem die Leserin etwas Bestimmtes holen soll. Dieser Suchraum enthielte aber gar nichts Bestimmtes. Deswegen fällt diese Be-Deutung so schwer. Um das W -Satzglied aber als Pseudo-Objekt und als Pseudo-Patiens erkennen zu können, müsste die Leserin auf die Verbbedeutung zurückgreifen. Diese ist aber in der Hypothese absichtlich gar nicht berücksichtigt. Die Hypothese sollte auch keineswegs leugnen, dass andere Arten von Hinweisen nützlich beim Verstehen sind, sondern unter Ausschaltung dieser Arten von Hinweisen auf das gewaltige Potenzial hinweisen, das die Kombination aus Belebtheit und relativer Reihenfolge birgt. 3.8 Bedeutung für die Belebtheits- und Reihenfolgehypothese Ich habe in Kapitel 2 ausführlich erörtert, wie die sprachliche Eigenstruktur sich zu unseren Vorstellungen verhält und wie bestimmte Merkmale dieser Eigenstruktur uns verbindlich und zuverlässig zum Aufbau komplexer Vorstellungen instruieren, sofern sie verfügbar und aussagekräftig sind. Wir haben ebenfalls gesehen, dass diese Bedingung in allen untersuchten Bibelübersetzungen mitunter nicht erfüllt ist, so dass es in ihnen zu grammatischen Mehrdeutigkeiten kommt. Ich habe dann in diesem Kapitel unter verschiedenen Kandidaten außersprachlicher Hinweise die Belebtheit, die Akzessibilität und die nicht syntaktifizierte Reihenfolge daraufhin untersucht, ob sie von unseren Bibelleserinnen als Hinweise auf die richtige Interpretation der grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen nutzbar gemacht werden können. Die Kombination aus Belebtheit und Reihenfolge hat sich hier als geeignet herausgestellt: 320 Vgl. dazu das eng verwandte Phänomen der why-like-what -Fragen in Bayer & Obenauer (2011). Diesen Hinweis verdanke ich Oliver Schallert. 18429_Kasper_SL5.indd 222 18429_Kasper_SL5.indd 222 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 3.8 Bedeutung für die Belebtheits- und Reihenfolgehypothese 223 • Sie ist für Leserinnen immer verfügbar, weil selbst bei fehlendem Belebtheitsgefälle eine Satzgliedreihenfolge immer vorhanden ist. • Sie ist für Leserinnen hoch zuverlässig: In mindestens 95 von 100 grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen hat sie sie zur richtigen Interpretation angeleitet. • Sie sind allerdings für Leserinnen prinzipiell weniger verbindlich und weniger zuverlässig als eigenstrukturelle Hinweise: Folgen Leserinnen ihren Instruktionen gegen die Instruktionen eigenstruktureller Hinweise, verstehen sie die betreffende Äußerung falsch. An dieser Stelle können wir auch noch einmal auf die referierten Meinungen zur Dynamik der eigenstrukturellen Hinweise zurückkommen. Nach der Analyse der eigenstrukturellen Hinweise hatte ich festgestellt, dass sowohl die Meillet’sche als auch die Jespersen’sche Position globalistische Vereinfachungen darstellen. Auf unsere Sprach(stuf)en traf einfach nicht zu, dass - synchronisch gesehen - morphologische Mehrdeutigkeit mit einer syntaktifizierten Reihenfolge einhergeht. Damit erübrigte sich für unsere Sprach(stuf)en auch die Frage, ob - diachronisch betrachtet - die morphologische Mehrdeutigkeit die Syntaktifizierung der Reihenfolge verursachte oder von ihr verursacht wurde - wie immer wir uns das im Einzelnen vorstellen sollen. Nach meiner sozusagen lokalistischen Analyse der einzelnen syntaktischen Bedingungen und der außergrammatischen Hinweise möchte ich aber noch das ein oder andere anmerken. Erstens sahen wir am Mittelenglischen - als historisches Mittelglied zwischen dem Alt- und dem modernen Englischen -, dass die Syntaktifizierung sich in einer syntaktischen Bedingung, wir können auch sagen, Konstruktion, entwickelt und dann wahrscheinlich schrittweise auf die anderen Konstruktionen, ausgeweitet wird. Das verschiebt die Entscheidung für die beiden Positionen aber nur vom Globalen ins Lokale. Zweitens können wir nun Jespersens Argument gegen Meillets Position als falsch erweisen: Nach Meillets Szenario, so Jespersen, müsse es eine Entwicklungsphase einer Sprache geben, in der die Morphologie nicht mehr und die Reihenfolge noch nicht anzeigt, was womit in welcher Beziehung steht. Dies sei aber unrealistisch, weil die Sprache in dieser Phase unverständlich und damit unbrauchbar sei. Die Analyse der außergrammatischen Hinweise hat erwiesen, dass diese in Abwesenheit eigenstruktureller Hinweise ebenfalls anzeigen, was womit in welcher Beziehung steht, und zwar ziemlich zuverlässig. Das ist jedoch kein Argument gegen Jespersens Position, nimmt aber seinem Argument gegen Meillet den Wind aus den Segeln. Es zeigt auch, dass es jenseits des pronominalen Minimalsatzes kein morphologisches Minimum gibt. 321 Drittens können wir nun konstatieren, dass die Syntaktifizierung trotz der instruktiven Leistungen der außergrammatischen Hinweise erfolgt ist. Dies spricht für diejenigen Positionen, die die Syntaktifizierung der Reihenfolge in einer indirekten oder gar keiner Beziehung zur Ausprägung morphologischer Unterschiede sehen. Mehr können wir auf Basis der Ergebnisse (noch) nicht sagen. Für nicht unwahrscheinlich halte ich, dass in einer bestimmten syntaktischen Bedingung ab einer bestimmten Schwelle morphologischer Mehrdeutigkeit oder Unsicherheit, und trotz der Wirksamkeit der außergrammatischen Hinweise die Interpretinnen die Reihenfolge auf der instinktiven Suche nach Gewissheit als fixiert annehmen. (Dies wird das Thema des letzten Kapitels sein.) Der kaum lernbaren Fragmentierung der eigenstrukturellen Regelungen der gesamten Sprach(stuf)e wirken die Sprachbenutzerinnen dann im Sinne der Sparsamkeit so entgegen, dass sie die syntaktifizierte Reihenfolge auch in 321 Siehe Abschnitt 2.4.5. 18429_Kasper_SL5.indd 223 18429_Kasper_SL5.indd 223 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 224 3 Der Beitrag außergrammatischer Hinweise anderen syntaktischen Bedingungen anwenden, unabhängig vom Grad der morphologischen Mehrdeutigkeit, den diese aufweisen. 322 Ich hatte das Einleitungskapitel mit einer vorgestellten Zürcherin und einem vorgestellten Zürcher begonnen, die uneins über die Interpretation der Äußerung in (1) gewesen waren. (1) Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa. von jener an hat genommen (Hochalemannisch, S Nöi Teschtamänt, Weber [1997]) Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dürfen wir feststellen, dass die Annahme der hochalemannischen Leserin, die Mutter Jesu habe den Jünger zu sich, der Mutter Jesu, genommen, höchst plausibel war und alle teilsatzinternen eigenstrukturellen und außergrammatischen Hinweise in der Tat auf diese Interpretation hinzeigen. Dass ihr Zürcher Zeitgenosse meinte - und recht damit hatte -, dass es umgekehrt gewesen sei, war viel wahrscheinlicher auf Informationen zurückzuführen, die er unabhängig von diesem Teilsatz erlangt hat - etwa aus einer anderen, grammatisch eindeutigen Quelle. Anders gesagt: Der Satz ist leichter misszuverstehen als zu verstehen. 322 Das ist auch die Überlegung in vielen generativistischen Sprachwandeltheorien, vgl. beispielsweise Fischer (2010). Für eine Übersicht vgl. Burnett & Ferch (2005). 18429_Kasper_SL5.indd 224 18429_Kasper_SL5.indd 224 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Die Grenzen des Hier und Jetzt beliebig übergreifend, ist uns die Welt in bloßen Andeutungen verfügbar, die aus unserer eigenen Lebendigkeit ihre Intimität ziehen, und die Wahrnehmungen werden durch die Worte zugleich ersetzt, erledigt und vertreten, sie können in ihrer Tatsächlichkeit übergriffen und beliebig transponiert werden, was besonders in der Richtung auf Ferne und Zukunft von höchster vitaler Wichtigkeit ist. (Gehlen, Zur Systematik der Anthropologie, S. 99) Im zweiten und dritten Kapitel dieses Buchs habe ich ausführlich Deutungsarbeit an möglichen Sprachverstehensautomatismen und -routinen von vorgestellten Interpretinnen geleistet. Die sprachliche Eigenstruktur und außergrammatische Hinweise haben mir als die wesentlichen Orientierungspunkte im Fortgang der Untersuchung gedient. Ich habe auf diese Weise versucht, die Verstehensautomatismen und -routinen unserer Interpretinnen sozusagen aus der sprachwissenschaftlich-philologischen Innenperspektive herzuleiten, zu beschreiben und mittels detaillierter Untersuchungen glaubhaft zu machen. Als Ergebnis habe ich festgehalten, dass an der Belebtheit in Kombination mit der Reihenfolge etwas dran ist. Das ist freilich genau in dem Maße vage geblieben, in dem es hier vage formuliert ist. Wir können zwar sagen, was unsere Interpretinnen beim Lesen ihrer Bibeln vielleicht tun, wenn sie sie richtig verstehen, aber wir können nicht sagen, warum es dem Verstehen zuträglich ist, falls sie es tun. Es gibt mindestens drei zentrale Fragen, die weitgehend offen geblieben sind und die uns daran hindern sollten zu behaupten, wir hätten das Phänomen nicht nur in seiner Funktionsweise verstanden, sondern auch in seiner Funktion begriffen. Die erste Frage betrifft die Belebtheitshierarchie und die unsyntaktifizierte Satzgliedreihenfolge. Wir haben sie als wirksame außergrammatische Hinweise kennengelernt. Aber „Belebtheit“ ist bis jetzt eine bloße Chiffre geblieben: Gegenstandsausdrücke rufen bei unseren Leserinnen nicht nur Gegenstandsvorstellungen hervor, sondern aktivieren immer auch etwas an diesen Gegenständen mit, das ihnen beim Verstehen helfen kann. Was dieses Etwas ist, ist ungeklärt geblieben. Ganz Ähnliches gilt für die Satzgliedreihenfolge, sofern sie zwei Abfolgen unter ansonsten gleichen Bedingungen zulässt. Für sich genommen, ist sie nur ein zwangsläufiges Früher und Später zweier Satzglieder in der sprachlichen Entäußerung von Vorstellungen. Worauf dieses Früher und Später im Zusammenspiel mit der Belebtheitshierarchie hinweist, ist ebenfalls ungeklärt geblieben. Die zweite zentrale Frage betrifft die Interpretinnen. Ich habe über sie nicht viele wissenschaftliche Aussagen gemacht. Ich habe sie methodisch ein wenig modelliert, ich habe Gedankenexperimente mit ihrem eigenstrukturellen Know-how gemacht, ich habe es aber weitgehend dabei bewenden lassen, sie ohne große Spezialannahmen Äußerungen deuten zu lassen. Ich habe sie mit eigenstrukturellem Know-how , mit einem Vorstellungsleben und mit einer Einsicht in das Prinzip der symbolischen Auslagerungen ausgestattet. Ihr eigenstruktu- 18429_Kasper_SL5.indd 225 18429_Kasper_SL5.indd 225 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 226 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze relles Know-how äußert sich darin, dass sie im Angesicht von Äußerungen die entsprechenden Bestandteile richtig als Anleitungen zum Vorstellen und Handeln annehmen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Äußerungsteile, die nicht zum Vorstellen von etwas instruieren, sondern dazu, wie Inhalte vorgestellt werden sollen und was mit dem Vorstellungsinhalt zu tun ist. Außergrammatische Hinweise verweisen dagegen auf Eigenschaften der Vorstellungsinhalte selbst. Die Wirksamkeit dieser Hinweise ist so grundlegend mit der Verfasstheit des menschlichen Vorstellungslebens verknüpft, dass die zweite Frage zugleich die Kehrseite der ersten ist: Worin besteht die menschliche Empfänglichkeit dafür, die außergrammatischen Hinweise wirksam werden zu lassen? Kurz gesagt, stellen wir die folgende Frage, die beide Seiten umfasst: • Warum sind die außergrammatischen Hinweise wirksam? Die letzte Frage betrifft die Beziehung der eigenstrukturellen zu den außergrammatischen Hinweisen. Ihre Beantwortung wird ebenfalls wesentlich mit der menschlichen Verfasstheit der Leserinnen und uns zu tun haben: • Warum sind die eigenstrukturellen Hinweise zuverlässiger als die außergrammatischen? Warum -Fragen lassen immer mehrere Arten von Antworten zu. In menschlichen Angelegenheiten sind die befriedigendsten Antworten im Alltag meist solche, die Handlungsbegründungen enthalten. In den Wissenschaften, speziell in den Naturwissenschaften, ist dies nicht so. Dort stehen Handlungsgründe oft nicht zur Verfügung, weil Handlungen auf Verhalten und Gründe auf Funktionen oder Organismusleistungen reduziert werden. Als Antworten angestrebt werden stattdessen Entstehungsgeschichten, die mit anderen Forschungsergebnissen kohärente und möglichst lückenlose Wirkursache-Folgeketten enthalten. 323 Die Wirksamkeit der außergrammatischen Hinweise vor dem Hintergrund reflektierter Mittel-Zweck-Erwägungen unserer Leserinnen zu betrachten, wäre sicherlich unangemessen. Keine von ihnen, so können wir annehmen, kann darüber Rechenschaft ablegen, dass, wie und warum sie außergrammatische Informationen als Hinweise für das Verstehen gebraucht. Und wie sich die sprachlichen Anzeigearten in Auseinandersetzung mit dem menschlichen Vorstellungsleben wirkursächlich entwickelt haben, darüber werde ich mich ebenfalls nicht äußern. Vielmehr werde ich in systematischer Absicht versuchen, über die Gelenkstelle des menschlichen Vorstellungslebens aus der sprachwissenschaftlich-philologischen Innenperspektive auf unser Phänomen einen Schwenk zu einer anthropologischen Außenperspektive zu tun, die wieder an Kapitel 1 anknüpft, aber nun die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse im Rücken hat. Ich werde versuchen, die Wirksamkeit der außergrammatischen Hinweise in der Interpretation und ihre Beziehung zu den eigenstrukturellen Hinweisen dadurch begreiflich zu machen, dass ich sie aus einem umfassenderen Bild des Menschen als dem des homo loquens ableite und in ein kohärentes Verhältnis dazu setze. Die Sprachfähigkeit mag vielleicht die ausgezeichnetste Fähigkeit des Menschen sein, aber mein Eindruck ist, dass über dem gelehrten Denken über sie oft vergessen wird, auf welch gewaltigem Unterbau sie aufruht - einem Unterbau, den sie nicht nur gattungsgeschichtlich besitzt, sondern in jedwedem Einsatz, und der grundlegend von ihr verschieden ist. Zweifellos können wir im sprachlich verfassten Nachdenken diese Fä- 323 Vgl. Tinbergen (1963). Wirkursache ist hier im Sinne und vor dem Hintergrund der aristotelischen Ursachentypen gemeint. 18429_Kasper_SL5.indd 226 18429_Kasper_SL5.indd 226 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze 227 higkeit vermeintlich in die höchsten Höhen treiben, und das, während wir unbewegt, die Hand am Kinn im Lehnstuhl sitzen und versonnen den Blick an den Horizont heften, durch Fenster hindurch, die andere für uns geputzt haben. Daraus sollten wir aber nicht schließen, dass bloß geistige oder Hirntätigkeit für diese Fähigkeit hinreichen würde oder jemals hingereicht hätte. Ich möchte nicht beanspruchen, ein - im absoluten Sinne - umfassendes Bild des Menschen zu zeichnen. Ich möchte bloß einige ausgewählte Aspekte davon skizzieren, die weiter ausgreifen, als Sprachwissenschaftler dies gemeinhin tun und in hiesigen Gefilden für ratsam halten. Dieses Unterfangen als anthropologisch zu bezeichnen, ist eine Verlegenheitslösung. Der Sache nach ist es ein humanökologisches, insofern es bestimmte - aber keineswegs alle - Eindrucks- und Ausdrucksbeziehungen zwischen dem Menschen und seiner belebten wie unbelebten Umwelt betrifft. Diese Bezeichnung hat aber neben solchen der Umweltzerstörung vor allem naturalistische Nebenbedeutungen, die ein reduziertes Bild vom Menschen als das ganze Bild des Menschen verstehen und die ich vermeiden möchte. 324 Wir müssen stattdessen begrifflich sowohl mit Verhalten und Funktionen, als auch mit Handlungen und Gründen umgehen können. Ebenso ist das Unterfangen aufgrund seiner empirischen Anteile nicht bloß philosophisch. Und weil unser Leib eine tragende Rolle spielt, ist es weder rein psychologisch, noch rein kognitionswissenschaftlich. Biologisch wiederum nennt sich vieles, wie wenige Gemeinsamkeiten das vorgeblich Biologische untereinander auch haben mag. Innerhalb der Anthropologie steht das Unterfangen der philosophischen Ausrichtung am nächsten. 325 Die Philosophische Anthropologie versucht sich an Charakterisierungen des Menschen, die umfassender als empirische Erkenntnisse oder theoretische Annahmen der wissenschaftlichen Spezialdisziplinen sind. Sie hat es nicht nur mit der möglichst kohärenten Zusammenführung verschiedenster solcher Erkenntnisse und Theorien aus diversen Disziplinen zu tun, sie enthält zwangsläufig auch spekulative Anteile, wo diese Disziplinen methodisch oder programmatisch bedingt haltmachen. Oft sind die Charakterisierungen von einer Leitidee über den Menschen bestimmt, in deren Licht die gesammelten Einzelergebnisse und Theorien möglichst kohärent gedeutet werden. Die Leitidee prägt zum einen die spekulativen Anteile. Diese stellen die Kohärenz zwischen empirischen Ergebnissen verschiedenen Ursprungs her. Zum anderen ist die Leitidee selbst größtenteils spekulativer Natur. 326 Anthropologische Gesamtentwürfe sind aus diesen Gründen schwer als falsch auszuweisen und deshalb nicht unumstritten. Sie stehen dann schnell im Verdacht einer politischen Agenda. Allerdings kann aus anthropologischen Aussagen darüber, wie der Mensch (angeblich) ist, niemals gefolgert werden, wie er (angeblich) bleiben oder werden soll. Gleichzeitig besitzen anthropologische 324 Damit sind Forschungsprogramme gemeint, die das Wirkliche mit dem gleichsetzen, was mit den jeweils aktuellen naturwissenschaftlichen Methoden beforscht werden kann. Zur biologi(sti)schen Charakterisierung der Ökologie vgl. Odum (1999) oder Nentwig, Bacher & Brandl (2017). Hier werden die systemtheoretischen Metaphern nicht einmal reflektiert. 325 Letztlich folgt mein Unterfangen dem Forschungsprogramm, das ich in Kasper (2015b) ausgebreitet habe und das einem kulturalistischen Pragmatismus verpflichtet ist. Inspiriert ist es von der sogenannten kulturalistischen Wende und der Philosophie von Peter Janich (vgl. Janich 2006, 2014, 2016). Dass es explizit antinaturalistisch ist, schließt dabei natürlich nicht aus, dass Menschen erfolgreich mit naturwissenschaftlichen Methoden erforscht werden können. 326 Ich denke bei all diesen Aspekten etwa an Ernst Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen“ ([1923, 1925, 1929] 2010) und den daraus erwachsenden „Versuch über den Menschen“ ([1944] 2007), an Susanne Langers (1967, 1973, 1982) „Mind. An essay in human feeling“, an Plessners ([1928] 1975, 2019) und Gehlens ([1940] 1995) Großentwürfe und Blumenbergs (2014) „Beschreibung des Menschen“. 18429_Kasper_SL5.indd 227 18429_Kasper_SL5.indd 227 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 228 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Provokationen oft gesellschaftliche Relevanz. 327 Sie bieten Deutungsrahmen für möglichst vieles von dem an, was Menschen tun können und lassen wollen oder nicht tun wollen und nicht lassen können; sie machen auf Analogien zwischen anscheinend disparaten Phänomenen oder auf Disparates zwischen scheinbar analogen Phänomenen aufmerksam; sie vermögen, Fragen zu provozieren, die von Spezialdisziplinen selten gestellt werden und die von uns Stellungnahmen einfordern. Insofern müssten sie in freiheitlichen demokratischen Gesellschaften gewollt sein. Vor ideologischen Vereinnahmungen und Diffamierung in eindimensionalen Diskursen ist freilich nichts gefeit. Im ersten Kapitel hatte ich bereits nicht ganz unanthropologisch angenommen, dass es keineswegs eine Seltenheit ist, mit verschiedenartig ausdeutbaren Phänomenen konfrontiert zu sein, sondern der Normalfall, wenn wir an andere Ereignisse als sprachlich vermittelte denken - ein Fahrrad, das in Schlangenlinien auf uns zu fährt, ein Hund, dessen Verhalten irgendwie auf uns gerichtet ist, der letzte Keks in der Schale, der dunkle Fleck auf der Tomate, der Reichsbürger in der Bundeshauptstadt, das Erdbeben von Lissabon, der aus einem Luftballon geknotete Pudel für 43 Millionen Euro. Die Grammatik einer Sprache lenkt uns von der interpretativen Offenheit allerdings allzu oft ab, weil sie uns vorgaukelt, Eindeutigkeit sei der Normalfall und Mehrdeutigkeit die Abweichung. Auch unsere Leserinnen bemerken die Mehrdeutigkeiten höchstwahrscheinlich nicht, die ich im Rahmen gezielter Deutungsarbeit in eine Datenbank eingegeben habe. Die sprachlich vermittelte Wirklichkeit, die eigentlich stets unzählige Hinsichten zulässt, ist bereits aspektvereinseitigt und die Aspektvereinseitigungen mittels der grammatischen Eigenstruktur als Einseitigkeit behauptet. Dennoch, das haben wir gesehen, ist die verschiedenartige Ausdeutbarkeit der Phänomene allgegenwärtig, auch wenn wir dessen nicht gewahr sind, und die Phänomene werden von uns auch stets bedeutet. Deuten ist so basal - um zu wiederholen, was ich bereits in Kapitel 1 gesagt habe -, weil unser Dasein davon abhängt. Es lässt uns menschlich reagieren und handeln: Es schützt uns vor Gefahren für Leib und Leben, eröffnet uns Handlungsmöglichkeiten für selbstgesetzte Zwecke und Deutungserfolge bedingen auch die erfolgreiche Reproduktion. Diese allgemeinsten, lebenserhaltenden und lebensermöglichenden Funktionen des Bedeutens geben die Hinsichten vor, in denen wir Phänomene deuten, und die wir mit den deutschen W -Wörtern gefasst haben: Was oder wer ist es (zum Beispiel: Freund oder Feind)? Wo ist es (zum Beispiel: zu nah)? Woher kommt es (zum Beispiel: Ist da noch mehr davon)? Was oder wer hat es verursacht (zum Beispiel: Warum passiert es)? Wohin geht es (zum Beispiel: Hört es auf)? Zusammen: • Was steht womit in welcher Beziehung? Die Antworten auf diese Fragen, das Bedeuten von Phänomenen, stehen im Dienst der übergeordneten Frage: • Was kann ich im Angesicht davon (jetzt) tun? 327 Dabei denke ich etwa an Cassirers ([1946] 2002) „Mythus des Staates“, an die Rundfunkgespräche zwischen Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen in den frühen Sechzigerjahren oder an die Diskussionen zwischen Wolf Singer und Peter Janich gegen Ende der Nullerjahre in den großen Tages- und Wochenzeitungen über die Naturalisierung des Menschen. 18429_Kasper_SL5.indd 228 18429_Kasper_SL5.indd 228 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 4.1 Grenzen der philologisch-sprachwissenschaftlichen Innenperspektive 229 Die Antworten, die wir darauf wiederum reflektiert, routinemäßig oder automatisch geben, indem wir etwas tun, hängen von unserer menschlichen Physis und Kognition, von sozialen Normen und Konventionen, von der inneren und äußeren Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden und von der Ausprägung der „-enz“-Faktoren der Phänomene ab: ihrer Salienz, Pertinenz, Frequenz und Rezenz. In Abschnitt 4.1 werde ich versuchen, die Grenzen der philologisch-sprachwissenschaftlichen Innenperspektive herauszuarbeiten. In Abschnitt 4.2 werde ich einen Schwenk zur Außenperspektive vornehmen, indem ich sprachliche Phänomene beschreibe, die aus der Sprache hinausweisen. Der folgende Abschnitt 4.3 bildet den theoretischen Kern der anthropologischen Außenperspektive. Darin werde ich einen Begriff der Bedeutsamkeit skizzieren, vor dessen Hintergrund ich in den Abschnitten 4.4 und 4.5 die außergrammatischen beziehungsweise eigenstrukturellen Hinweise aus der Außenperspektive heraus neu und - wie ich meine - neuartig bewerte. Es folgt eine abschließende Reflexion. 4.1 Grenzen der philologisch-sprachwissenschaftlichen Innenperspektive 4.1.1 Ein lokales synchronisches Offline-Filtermodell Genau vor dem Hintergrund der Leitfragen können wir nun die Studie erneut betrachten. Wie alle Eventualitäten, mit denen wir konfrontiert werden oder uns selbst konfrontieren, ist jede Äußerung in den Bibelübersetzungen grundsätzlich verschiedenartig ausdeutbar. Das gilt sowohl für die Äußerungshandlung als auch für das, was mit der Äußerung symbolisch ausgedrückt werden soll. Dieses, das Geäußerte, dringt zunächst in Form von Geräuschen, manuellen Gestikulationen oder, in unserem Falle, variablen Anordnungen wiederkehrender graphischer Gestalten an die Sinnesorgane der Leserinnen. Indem diese das Ausgedrückte mittels ihres konventionalisierten eigenstrukturellen und sonstigen Know-hows deuten, konstruieren sie komplexe Vorstellungen der ausgedrückten Eventualitäten, die hinsichtlich der Frage bestimmt sind, was in ihnen womit in welcher Beziehung steht. Wenn wir die Zeitlichkeit der Interpretation außer Acht lassen, dann lassen sich die Ergebnisse der Studie mit dem Filtermodell in Abbildung 88 beschreiben. Dabei stellen wir uns in den Köpfen unserer Leserinnen hintereinander arrangierte Filter vor, auf die die Äußerungen treffen, mit denen sich die Leserinnen konfrontieren, indem sie lesen. Die Äußerungen führen eigenstrukturelle und außergrammatische Merkmale mit sich, die die Leserinnen als Anleitungen zum Aufbau von komplexen Vorstellungen verwenden. Die Filter sind jeweils sensibel gegenüber bestimmten Hinweistypen. 18429_Kasper_SL5.indd 229 18429_Kasper_SL5.indd 229 20.08.2020 10: 56: 17 20.08.2020 10: 56: 17 230 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Abb. 88: Ein Filtermodell aus der lokalen synchronischen Offl ine-Perspektive (revisionsbedürftig) Die Leserinnen haben keine Vorannahmen über das, was sie lesen, außer dass sie es mit sprachlichen Äußerungen zu tun bekommen, die für sie neue Informationen enthalten, denen zufolge irgendetwas mit irgendetwas anderem in irgendeiner Beziehung steht. Sie nehmen die Äußerungen wahr und jede Äußerung beziehungsweise jede Satzgliedbeziehung gelangt nacheinander an die vier Filter. Die Kasus- und Kongruenzmorphologie stellt den ersten Filter dar. In ihm bleiben in allen unseren Sprach(stuf)en sehr viele Äußerungen hängen, wie wir sahen. Die eigenstrukturellen Hinweise der Kasus- und Kongruenzmorphologie instruieren die Leserinnen, wie sie die einzelnen Vorstellungsinhalte zu einer komplexen Vorstellung zusammenfügen müssen. Hier resultiert immer die richtige Lesart. Äußerungen, in denen diese Hinweistypen nicht verfügbar oder trotz Verfügbarkeit nicht aussagekräftig sind, passieren diesen Filter. Das heißt, dass die Leserinnen bei ihnen bis hierhin zu keiner bestimmten Vorstellung gelangt sind. Dasselbe gilt für den nächsten Filter, die syntaktifi zierte Reihenfolge. Diesen Filter habe ich nur aus bestimmten syntaktischen Konfi gurationen des Mittelenglischen erschlossen. Die Leserinnen der anderen Sprach(stuf)en könnten über ihn zwar verfügen, er fi nge dann aber keine Äußerungen auf. Die Äußerungen, die auch diesen Filter passieren, sind endgültig grammatisch mehrdeutig. Eine wichtige Implikation dieses Filtermodells ist, dass es für die Leserinnen an dieser Stelle immer noch nichts außer dem Zufall gibt, der sie zu der einen oder der anderen Interpretation tendieren ließe. Nun kommen aber die beiden kombinierten außergrammatischen Hinweise als weitere Filter ins Spiel. Als Satzglied den höheren Belebtheitswert als das andere zu haben und bei gleicher Belebtheit die erste Position einzunehmen, lässt die Leserinnen die Einzelvorstellungen auf eine bestimmte Weise kombinieren, bei der das genannte Satzglied als Subjekt beziehungsweise Agens identifi ziert wird. Die Satzgliedbeziehungen, die die eigenstrukturellen Filter passiert haben, werden also restlos durch die außergrammatischen Filter aufgefangen und in eine bestimmte Vorstellung überführt. Die Studie hatte ergeben, dass die Satzgliedbeziehungen durch die letzten beiden 18429_Kasper_SL5.indd 230 18429_Kasper_SL5.indd 230 20.08.2020 10: 56: 19 20.08.2020 10: 56: 19 4.1 Grenzen der philologisch-sprachwissenschaftlichen Innenperspektive 231 Filter zu 95 bis 100 Prozent in richtige Lesarten überführt werden, also in Vorstellungen, die dem entsprechen, was mit den Äußerungen gemeint ist. Die Anordnung der einzelnen Filter ist durch die Verbindlichkeit der Hinweistypen gerechtfertigt und dadurch auch durch ihre Zuverlässigkeit. Tatsächlich instruieren morphologische und syntaktifizierte Reihenfolgehinweise nicht zu konkurrierenden Lesarten. Insofern sind die beiden ersten Filter austauschbar, sofern es zwei sind. Unter den letzten beiden, den außergrammatischen Filtern, ist der Belebtheitsfilter der primäre, der Reihenfolgefilter der nachgeordnete, gemäß der Hypothese, die sich bewährt hat. Die außergrammatischen Filter vor den eigenstrukturellen zu platzieren, würde zu mehr falschen Lesarten führen, weil die außergrammatischen Hinweise die Satzgliedbeziehungen herausfiltern würden, so dass sie ohne die Instruktionen der eigenstrukturellen Hinweise in Vorstellungen überführt würden. Damit scheinen die Ergebnisse der Studie aus einer lokalen synchronischen Offline-Perspektive angemessen erfasst zu sein. Sie vermeidet die Überverallgemeinerungen und Unterbestimmtheiten einer globalen Betrachtungsweise und enthält die Bedingungen, unter denen die instruktiven Hinweise befolgbar sind. Im Folgenden werde ich versuchen plausibel zu machen, dass dieses Modell aus einer umfassenderen anthropologischen Perspektive falsch ist und dass dies unbemerkt bleiben würde, beschränkte ich mich auf die sprachwissenschaftlich-philologische Perspektive. 4.1.2 Manche Äußerung(styp)en sind gleicher als andere Unsere Antworten auf die Frage, was womit in welcher Beziehung steht und was wir daraufhin tun können, sollen von unserer Physis und Kognition, von sozialen Normen und Konventionen, von der inneren und äußeren Situation und von der Ausprägung der „-enz“-Faktoren der Phänomene abhängen. Das hatte ich bereits im ersten Kapitel behauptet und das ist bereits der erste Hinweis darauf, was an meinem Filtermodell nicht stimmt. Denn es ist so, dass diese Faktoren bewirken, dass wir auf bestimmte Phänomene eher vorbereitet sind als auf andere; anders ausgedrückt, könnten wir auch sagen, dass bestimmte Phänomene uns mehr als andere überraschen, irritieren, oder auch, dass wir bestimmte Phänomene eher als andere erwarten. 328 In meinen früheren kurzen Ausführungen zur inkrementellen, das heißt Online-Interpretation hatte ich bereits die Rolle der Routine- oder automatischen Erwartung erwähnt. 329 So sind wir eigentlich in keiner Situation leere Gefäße, die interesselos darauf warten, dass Reize in uns einströmen - außer in der Laborsituation ironischerweise. 330 In absoluter Perspektive ist es daher schwer, genau zu sagen, was wir erwarten, bevor beispielsweise eine sprachliche Äußerung beginnt, aber aus zahllosen Laborstudien wissen wir, dass unterschiedliche Varianten des gleichen Reiztyps, also etwa Äußerungen, die sich nur in einem Merkmal unterscheiden, bei der Wahrnehmung dieses Merkmals unterschiedliche neuronale Reaktionen im Millisekundenbereich in uns hervorrufen. Bei der Aufzeichnung der neuronalen Aktionspotenziale infolge solcher Reize werden bestimmte Muster von Aktionspotenzialen beispielsweise in Hinsicht 328 Vgl. Kuperberg & Jaeger (2016). 329 Speziell in Abschnitt 1.5. 330 Über die Atemmeditation des Zen und die Stufe der Erleuchtung im (Zen-)Buddhismus etwas zu sagen, traue ich mich nicht. Dem Ideal nach scheint die Meditierende beziehungsweise die Erleuchtete eine solche Interesselosigkeit (vgl. Suzuki 1999), wie hier in Abrede gestellt, zu erreichen. 18429_Kasper_SL5.indd 231 18429_Kasper_SL5.indd 231 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 232 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze darauf interpretiert, wie stark der Reiz, der sie ausgelöst hat, gegen eine automatische oder routinisierte Erwartung verstoßen hat; 331 andere Muster neuronaler Aktionspotenziale werden dahingehend gedeutet, dass sie anzeigen, wie leicht - oder wahrscheinlich - ein - oder derselbe - Reiz in die bestehenden, meist unbewussten Annahmen über die Wirklichkeit einer Person integriert werden kann, so dass er beim nächsten Mal nicht mehr so überraschend ist. 332 Daneben wird in Reaktionszeitexperimenten die Zeit gemessen, die Sprachbenutzerinnen benötigen, um in vorgegebener Weise auf kontrollierte Reize zu reagieren. Hier werden längere Reaktionszeiten oft damit in Verbindung gebracht, dass die entsprechenden Reize weniger erwartbar und vorhersagbar und eher überraschend sind, so dass die gemessene zusätzliche Zeit für ihre Verarbeitung benötigt wird. 333 So hat sich beispielsweise gezeigt, dass Versuchspersonen unter fast allen Bedingungen länger brauchen, um zu entscheiden, welches von zwei Satzgliedern in einem grammatisch eindeutigen neuenglischen Satz das Agens ist, wenn sie dies infolge eines Passivsatzes entscheiden mussten, als wenn sie es infolge eines Aktivsatzes entscheiden mussten. 334 Solche Reaktionszeitexperimente sind Offline-Studien, so wie mein Filtermodell ein Offline-Modell ist. Versuchspersonen agieren ein Mal auf einen Reiz als Ganzes hin. In Online-Studien werden dagegen bestimmte neuronale Prozesse kontinuierlich und an der Präsentation von Stimuli entlang aufgezeichnet, so dass für jedes mögliche Zeitfenster neurophysische Reaktionen Reizsegmenten zuordenbar sind. Wir können aber bereits aus der Offline-Perspektive sagen - und dies betrifft das Filtermodell direkt - dass manche Äußerungstypen erwarteter als andere sind und diese anderen überraschender und irritierender als jene ersteren sind. Danach wären in grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen genau diejenigen Zuordnungen von außergrammatischen Hinweisen und syntaktischen Funktionen beziehungsweise semantischen Rollen erwartbarer, die wir in der Hypothese als erfolgversprechender ausgewiesen haben, und zwar im Vergleich zu anderen möglichen Zuordnungen: In grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen wies höhere Belebtheit in Beziehungen zwischen Subjekten und allen Arten von Objekten auf das Subjekt beziehungsweise Agens hin, in Beziehungen zwischen indirekten und direkten Objekten auf das indirekte Objekt beziehungsweise den Rezipienten und in Beziehungen zwischen indirekten/ direkten Objekten und O-Instanzen auf das indirekte/ direkte Objekt beziehungsweise den Rezipienten. Bei gleicher Belebtheit wies die Eigenschaft, das zuerst ausgedrückte Satzglied zu sein, jeweils in die gleiche interpretative Richtung wie höhere Belebtheit. Im Folgenden werde ich diese erfolgversprechenden Zuordnungen die kanonischen nennen. Wenn diese kanonischen Zuordnungen hinsichtlich ihrer Erwartbarkeit also gleicher als die konkurrierenden sind, dann müssen wir fragen, was den Grad ihrer Erwartbarkeit festlegt. Dabei treffen wir erneut auf „-enz“-Faktoren. 331 Etwa die Negativierung circa 400 Millisekunden nach Präsentation eines Stimulus, vgl. Kutas & Hillyard (1980). 332 Etwa die Positivierung circa 600 Milisekunden nach Präsentation eines Stimulus, vgl. Brouwer et al. (2012). 333 Vgl. etwa Schwanenflugel & Shoben (1985). 334 Vgl. Ferreira (2003). Das Verb ist dabei ein Handlungsverb, also auf jeden Fall eines mit einem Agens-Subjekt und einem Patiens-Objekt. 18429_Kasper_SL5.indd 232 18429_Kasper_SL5.indd 232 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 4.1 Grenzen der philologisch-sprachwissenschaftlichen Innenperspektive 233 4.1.3 Gebrauchsfrequenz als Lösung In der sprachwissenschaftlichen Sparte, in der korpuslinguistische Untersuchungen wie diese durchgeführt werden, gibt es eine Richtung, die eine ziemlich einfache und fürs Erste plausible Antwort darauf anbietet, was den hohen Grad an Erwartbarkeit bewirkt, den wir für unsere kanonischen Zuordnungen annehmen dürfen: die Häufigkeit, oder Frequenz, ihres Gebrauchs im Verband mit bestimmten kognitiven Gegebenheiten auf Seiten der Sprachbenutzerinnen. Im Falle unserer Leserinnen wäre die Häufigkeit gemeint, mit der sie auf konkrete Satzgliedbeziehungen treffen, die diese kanonischen Zuordnungen aufweisen, erneut im Vergleich zu Satzgliedbeziehungen, die abweichende Zuordnungen aufweisen. Die Verbindung zur Kognition der Leserinnen besteht nach dieser gebrauchsbasierten Auffassung in einer Entsprechung von Gebrauchshäufigkeit und kognitiver Verfestigung. 335 Danach entspricht die Häufigkeit, mit der eine sprachliche Einheit innerhalb einer Sprechergemeinschaft verwendet wird, dem Grad ihrer Verfestigung in der Kognition der einzelnen Sprecher. 336 Im hiesigen Zusammenhang wären davon also die kanonischen Zuordnungen von grammatisch mehrdeutigen Strukturen und komplexen Vorstellungen betroffen, die ich untersucht habe. Auf der kognitiven Seite finden wir neben der kognitiven Verfestigung auch die Prozesse oder Aktivitäten der Assoziation, Kategorisierung, Automatisierung und Schematisierung. Übrigens wird dabei nicht, wie ich es getan habe, zwischen Automatisierung und Routinisierung unterschieden. Beide fallen unter dem Label Automatismus in einen Prozess zusammen. 337 Um mit Hermann Paul generelle Prozesse im Spracherwerb zu charakterisieren, in denen diese Prozesse zusammenspielen: „Wir hören nach und nach eine Anzahl von Sätzen, die auf dieselbe Art zusammengefügt sind und sich deshalb zu einer Gruppe zusammenschliessen.“ 338 Die Teile, aus denen die Sätze zusammengefügt sind, werden also miteinander assoziiert und, weil wir viele gleichartige solcher Sätze hören, als größere Einheiten kategorisiert. Gleichzeitig wird so etwas wie ein Schema des Satztyps im Gedächtnis gebildet. „Die Erinnerung an den speziellen Inhalt der einzelnen Sätze mag dabei immer mehr verblassen, das gemeinsame Element wird durch die Wiederholung immer von neuem verstärkt, und so wird die Regel [= das Schema - SK] unbewusst aus den Mustern [= Beispielen - SK] abstrahiert.“ 339 Je frequenter wir also gleichartig strukturierte Sätze hören, deren Vorstellungsinhalte verschiedene sein können, desto mehr verfestigt sich in unserem Gedächtnis ein Schema ihrer Strukturierung unter Außerachtlassung der Inhalte. Ein solches Schema wirkt wie eine Regel, weil jeder weitere konkrete Satz, den wir hören, in seiner Struktur mit bestehenden Schemata abgeglichen 335 Vgl. grundlegend Langacker (1987) und - aktualisiert - (2000a) oder (2000b, Kap. 4). „Kognitive Verfestigung“ entspricht dem englischen „entrenchment“. 336 Zu sogenannten gebrauchsbasierten Modellen der Sprache vgl. grundlegend Paul (1920), besonders Kapitel 5. Die modernen Ansätze, die verstärkt seit der Jahrtausendwende und noch verstärkter seit dem Aufkommen von Big Data vertreten werden, erwähnen Hermann Paul kaum jemals als Vordenker. Dabei ist bei ihm bereits das meiste genannt, was dort als Neuheit präsentiert wird (vgl. Auer 2015). Pauls Sprachpsychologie ist wiederum stark der allgemeinen Psychologie Herbarts (1834) verpflichtet. Unter den modernen gebrauchsbasierten Ansätzen und ihren Wegbereitern vgl. neben Langackers Arbeiten Greenberg (1966), DuBois (1985), Bybee (1985, 2010), Bybee & Thompson (1997), Bybee & Hopper (2001), Kemmer & Barlow (2000), Croft (2001), Tomasello (2003). Aus angrenzenden linguistischen Teildisziplinen vgl. Ellis (2002), Hawkins (2004), Kempen & Harbusch (2004). 337 Zu meiner Unterscheidung siehe Abschnitt 1.5. 338 Paul (1920: 111). 339 Paul (1920: 111). 18429_Kasper_SL5.indd 233 18429_Kasper_SL5.indd 233 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 234 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze werden kann. Der Grad der Verfestigung eines Schemas ist beispielsweise damit verknüpft, wie veränderlich das Schema im Gedächtnis ist. Solche, die durch häufigen Gebrauch kognitiv verfestigter sind, verändern sich weniger leicht durch Konfrontation mit abweichenden Beispielen als solche, deren Schema in unserem Gedächtnis nur auf seltenem Gebrauch beruht. Die Schemabildung ist dabei auch an gemeinsame Funktionen und Bedeutungen der jeweiligen schematisierten Strukturen geknüpft, also etwa an bestimmte Vorstellungsinhalte oder Typen von Vorstellungsinhalten. 340 „Die Gruppierung vollzieht sich um so leichter und wird um so fester einerseits, je grösser die Übereinstimmung in Bedeutung und Lautgestaltung ist, anderseits, je intensiver die Elemente eingeprägt sind, die zur Gruppenbildung befähigt sind.“ Modern gesprochen, wird die Kategorisierung einer Äußerung als Vertreterin eines bestimmten Schemas unter den genannten Bedingungen kognitiv einfacher und verfestigter. „In letzterer Hinsicht kommt für die Proportionengruppen einerseits die Häufigkeit der einzelnen Wörter, anderseits die Anzahl der möglichen analogen Proportionen in Betracht.“ 341 Die Kategorisierung einer Äußerung unter ein Schema ist also nicht nur dann einfach und festgefügt, wenn die entsprechende syntaktische Struktur bei variablem Inhalt häufig auftritt, sondern auch dann, wenn es durch immer gleiche Ausdrücke vertreten wird. So ließe sich aus unseren Teilkopora ein bestimmtes Form-Bedeutungspaar herausschematisieren, das eigentlich nur auf zwei Äußerungstypen basiert, die aber häufig wiederkehren, nämlich ‚und (Ø) antwortete: …‘ sowie ‚und (Ø) sagte: …‘. Das Schema enthielte, auf einer Ebene der Schematisierung, unter anderem die Informationen KONJ - Agens-S_Ø > finites V des Sagens > Patiens-O. Ein anderes Schema, beispielsweise Agens-S > Patiens-DO > finites V, müsste dagegen aus zahllosen gleich strukturierten Äußerungen extrahiert werden, die aber ganz unterschiedlichen Vorstellungsinhalts sind. Weiteres folgt nun wie von selbst daraus: Die Strukturen oder Form-Bedeutungspaare, mit denen wir am häufigsten konfrontiert sind, sind dadurch, dass sie bei uns kognitiv am verfestigsten sind, auch ohne kognitive Arbeit abrufbar und werden von uns routinemäßig oder automatisch auch am ehesten produziert. Sie liegen uns also bereits auf den Lippen und fahren uns in die Hand. Sprachwandel geschieht, wenn die Sprecher einer Sprache Äußerungen oder Äußerungsteile als Vertreter von mehr als einem Schema kategorisieren können - beispielsweise Präposition > Substantivgruppe Gen gegenüber Präposition > Substantivgruppe Dat -, etwa weil der kritische Ausdruck, der darüber entscheidet, wegen Formgleichheiten als Vertreter zweier Kasuskategorien - Genitiv und Dativ - kategorisiert werden kann. Wahrscheinlicher ist in dem Fall, dass die kritische Äußerung als Instanz des verfestigteren der beiden Schemata kategorisiert wird. Wenn nun das weniger verfestigte Schema zunehmend oder in kritischen Lernphasen ausschließlich mit dem kasusmehrdeutigen Ausdruck realisiert wird, kann dieses Schema zunehmend vergessen oder erst gar nicht gelernt werden, weil es gegenüber dem 340 Paul (1920: 108-109) veranschaulicht dies folgendermaßen: „Es assoziieren sich z. B. Sätze wie spricht Karl , schreibt Fritz etc. (mit Voranstellung des Prädikats) oder Verbindungen wie pater mortuus , filia pulchra , caput magnum (mit Kongruenz in Genus, Numerus, Kasus), und es werden dabei die Gleichungen gebildet spricht: Karl = schreibt : Fritz und pater : mortuus = filia : pulchra = caput : magnum . Mit der äusseren Form der syntaktischen Zusammenfügung assoziiert sich das Gefühl für eine bestimmte Funktion, und diese Funktion bildet dann in Gemeinschaft mit der äusseren Form das Band, welches die Proportionen zusammenhält. Alle syntaktischen Funktionen lassen sich nur aus solchen Proportionen abstrahieren.“ 341 Paul (1920: 109). 18429_Kasper_SL5.indd 234 18429_Kasper_SL5.indd 234 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 4.1 Grenzen der philologisch-sprachwissenschaftlichen Innenperspektive 235 häufigeren ins Hintertreffen gerät oder abwesend ist. 342 Strukturen und Varianten, die eine bestimmte Schwelle der Gebrauchshäufigkeit überschreiten, werden zudem als grammatisch wohlgeformt beurteilt, während solche unterhalb dieser Schwelle als nicht wohlgeformt beurteilt werden. 343 Ein anderes Szenario: Zwei mögliche syntaktische Strukturschemata existieren, die denselben Inhalt ausdrücken, beispielsweise eine S > DO und eine DO > S-Struktur in einer spezifischen syntaktischen Bedingung, so dass S jeweils das Agens und DO das Patiens ausdrückt. Die S > DO-Reihenfolge ist nun sehr wahrscheinlich schon die häufiger verwendete und bei den Sprachbenutzerinnen die kognitiv verfestigtere. Wenn nun Sprachbenutzerinnen mit konkreten Äußerungen konfrontiert werden, die grammatisch mehrdeutig sind und sowohl als Instanzen des einen als auch des anderen Schemas interpretiert werden können, dann werden sie sie automatisch oder routinemäßig im Sinne des verfügbareren frequenteren Schemas interpretieren. Bleibt die Interpretation in der Folge unhinterfragt, wird die Interpretation im Sinne des verfestigteren Schemas weiter verstärkt und die Interpretation im Sinne des weniger verfestigten Schemas. Geschieht das bei vielen Sprachbenutzerinnen, sinkt die kognitive Verfügbarkeit der nicht kanonischen Zuordnung stetig und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie produziert wird. Unsere grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen würden von unseren Leserinnen also deshalb richtig interpretiert, weil die entsprechenden Lesarten, das heißt die kanonischen Zuordnungen von Vorstellungsstrukturen zu syntaktischen Strukturen, bei den Mitgliedern ihrer Sprachgemeinschaft kognitiv verfestigter als die alternativen, nicht kanonischen Zuordnungen sind. Sie sind kognitiv verfestigter, weil unsere Leserinnen die kanonischen Zuordnungen in einem relevanten Zeitraum vor ihrer Bibellektüre häufiger als die alternativen Zuordnungen hörten oder lasen. Und weil sie bei ihnen nun kognitiv verfestigter sind, kategorisieren unsere Leserinnen die grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen automatisch oder routinemäßig als Vertreter der häufigeren und verfestigteren Schemata - der kanonischen. Die umgekehrten Zuordnungen, die mit falschen Lesarten verknüpft sind, waren ja auch extrem selten und die entsprechenden Schemata sollten demnach gar nicht oder weitaus weniger verfestigt sein. Produziert werden diese kanonischen Zuordnungen natürlich, weil sie sich bereits mit zureichender Häufigkeit im sprachlichen Input der Sprecher und Schreiber befanden - vermittelt durch die genannten kognitiven Prozesse. Ist meine erste Frage - warum die außergrammatischen Hinweise wirksam sind - damit beantwortet? Nun, dass die außergrammatischen Hinweise in grammatisch mehrdeutigen Äußerungen kanonisch auf bestimmte syntaktische Funktionen und semantische Rollen hinweisen, weil diese Zuordnung bei unseren Leserinnen kognitiv verfestigter ist, ist durchaus eine angemessene Antwort auf die Frage. Sie ist aber keine befriedigende Antwort. 4.1.4 Gebrauchsfrequenz als Problem Im Zeitalter von Big Data scheinen frequenzbasierte Erklärungen einen Plausibilitätsvorschuss zu haben. Man scheint ja mit ihnen sogar Wahlen manipulieren zu können. Aber bei genauerem Hinsehen erweisen sie sich ohne weitere Qualifikationen zumindest in unserem 342 Als Beispiel vgl. die illustrative Detailstudie von Barðdal (2009). 343 Vgl. Kempen & Harbusch (2004), Bader & Häussler (2010). 18429_Kasper_SL5.indd 235 18429_Kasper_SL5.indd 235 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 236 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Zusammenhang als zu flach. Uns interessieren die Verstehensaktivitäten unserer Leserinnen. Ich habe diese Aktivitäten bisher darauf eingeschränkt, öffentliche Entäußerungen von komplexen Vorstellungen als solche zu erkennen und von bestimmten Signaltypen - eigenstrukturelle und außergrammatische - so Gebrauch zu machen, dass sie als Instruktionen zum Aufbau von wiederum komplexen Vorstellungen dienen. Diese komplexen Vorstellungen sollen hinsichtlich der Frage, was darin womit in welcher Beziehung steht, denjenigen der Schreiber hinreichend ähnlich sein. Im Zusammenhang der frequenzbasierten Erklärung spielt sich also alles bloß zwischen den Büchern und den Köpfen, zwischen dem sprachlichen Input und den kognitiven Prozessen der Leserinnen ab: dort verschiedene Äußerungen und Äußerungstypen in verschiedenen Häufigkeiten, hier automatische Assoziationen und Kategorisierungen von Äußerungen und ihren Teilen als Instanzen von bestimmten Schemata in Abhängigkeit vom Grad ihrer kognitiven Verfestigung. Die grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen und die Sätze, in denen sie auftreten, werden richtig kategorisiert, das heißt in ihren Strukturen und ihren assoziierten Vorstellungen richtig erkannt, weil diese (kanonischen) Paarungen diejenigen sind, die sich schon früher am häufigsten im Input unserer Leserinnen befunden haben. Die Flachheit dieses Erklärungstyps zeigt sich, sobald man fragt, was die kanonischen Zuordnungen denn im Input unserer Leserinnen so frequent macht. Dann ist man gezwungen zu antworten, dass sie so frequent im Input unserer Leserinnen sind, weil sie so frequent im Output von anderen sind, also häufig so und nicht anders geäußert werden. Das ist auch bei unseren Bibelübersetzern und -schreibern der Fall. Die kanonischen Zuordnungen sind also so häufig im Input, weil sie so häufig im Output sind. Und warum sind sie so häufig im Output? Richtig, weil sie so häufig im Input waren. Jemandes Input ist der Output von - meistens vielen - anderen. Wir könnten die Häufigkeiten so jetzt weiter durch Outputs und Inputs nach hinten weiterverfolgen; befriedigender wird unsere Erklärung dabei aber nicht werden. Der Zusammenhang von Frequenz und kognitiven Prozessen, allen voran kognitiver Verfestigung, liefert Erklärungen für die Ähnlichkeit, für strukturelle Verwandtschaft, für analoge Strukturierungen zwischen jemandes Inputs und Outputs, aber kaum für die Konstitution von Strukturen oder für die kanonischen Zuordnungen selbst. Der Erklärungsansatz ist ein formaler Mechanismus. Er ist weitgehend blind gegenüber Qualitäten von individuellen Formen, Inhalten oder Form-Inhaltspaaren; er spricht nur darauf an, ob Formen, Inhalte und Form-Inhaltspaare verschiedener Schematizitätsgrade untereinander gleich oder verschieden sind und wie häufig sie sind. Das hülfe uns weiter, wenn wir in Erfahrung bringen wollten, wie sich sprachliche Varianten durch Netzwerke von Sprachbenutzerinnen hindurch in größeren Sprachgemeinschaften ausbreiten. Wir, die wir Antworten auf die obigen Leitfragen suchen, müssen aber, um zu einer tieferen Erklärung zu kommen, anstatt relative Frequenz für die Erklärung heranzuziehen, nach den Ursachen für Frequenzen und damit nach den Qualitäten von frequenten Phänomenen selbst fragen. 344 Um an früher Gesagtes wieder anzuknüpfen: Die Effekte von Frequenz genügen 344 Es besteht natürlich die Möglichkeit, weitere Frequenzen als Ursachen für Frequenzen ins Feld zu führen. Man könnte beispielsweise sagen, Agens > Patiens-Strukturen seien in der Sprache häufiger, weil sie in der Wirklichkeit häufiger sind. An irgendeinem Punkt der Rückführung auf Häufigkeiten wird man aber dazu kommen müssen, die Bedeutsamkeit einer Phänomenkonstellation für einen Organismus zu berücksichtigen, weil sonst nicht erklärt werden kann, warum ein Organismus irgendetwas überhaupt als irgendetwas behandeln kann. Bei der Bedeutsamkeit wird man wiederum auf die Qualitäten der Phänomene und des Organismus zurückkommen müssen. Das ist es, was ich im Folgenden versuche. 18429_Kasper_SL5.indd 236 18429_Kasper_SL5.indd 236 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 4.2 Der Schwenk zur Außenperspektive 237 den Erfordernissen der Sparsamkeit, einem der beiden grundsätzlichen Erfordernisse einer funktionierenden, konventionalisierten sprachlichen Eigenstruktur. Jedes Abweichen von kognitiv Vorgebahntem, sei es frequent oder rezent, erfordert Mehraufwand. 345 Ich habe aber davon gesprochen, dass es mit der Treue sprachlicher Entäußerungen gegenüber unserem vorsprachlichen Vorstellungsleben ein weiteres solches Erfordernis gibt. Erklärungen für Zusammenhänge zwischen sprachlichen Eigenstrukturen und Vorstellungsstrukturen, die nur Bezug auf Häufigkeiten oder Kürzlichkeiten nähmen, würden das Treueerfordernis verkennen. 346 Frequenz- (und ebenso rezenz-)basierte Erklärungen werden auch dazu verwendet, Vorhersagen als Hypothesen zu generieren. Wenn man den gesetzesähnlichen Zusammenhang von Gebrauchsfrequenz und kognitiver Verfestigung sowie von kognitiver Verfestigung und Verarbeitungs- und Produktionsleichtigkeit sowie grammatischer Wohlgeformtheit voraussetzt, kann man aus der Frequenz von sprachlichen Strukturen oder konkreten Varianten vorhersagen, wie leicht sie verarbeitbar und produzierbar sein sollten sowie als wie wohlgeformt sie beurteilt werden sollten. Es gibt zahlreiche Studien, die diese Hypothesen bekräftigen. 347 Daneben gibt es allerdings auch Studien, die zu zeigen scheinen, dass die Entsprechungen von Frequenz und kognitiven sowie Verhaltensbeobachtungen nicht ganz so gut sind oder sich gar nicht so leicht definieren lassen. 348 Nach diesen Studien müssen wir zum einen noch mit anderen Einflussfaktoren rechnen, die die angeblichen Frequenzeffekte mitbedingen könnten. Zum anderen machen sie es erforderlich, Kriterien zu definieren, die darüber bestimmen, gegenüber welchen Häufigkeiten genau unsere kognitiven Prozesse sensibel sind. Solche Kriterien müssen dann unter Bezug auf Phänomenqualitäten charakterisiert werden, damit Sprachversteherinnen über ein Know-how darüber verfügen können, auf welche Häufigkeiten sie achten müssen und auf welche nicht. 4.2 Der Schwenk zur Außenperspektive […] und zweitens wird der prinzipielle Mißgriff aufzudecken […] sein, den all jene getan haben, die im Banne der klassischen Assoziationstheorie die zweifelsfrei nachzuweisenden Komplexions- und Verlaufsverkettungen in unserem Vorstellungsleben verwechseln mit dem Bedeutungserlebnis. (Bühler, Die Axiomatik der Sprachwissenschaften, S. 55) Es wäre zweifellos töricht, die Wirkungen der Gebrauchsfrequenz (und der Rezenz) auf Produktions- und Verstehensprozesse zu leugnen, ebenso wie ihren Einfluss auf Sprachwandel und -variation. Dafür sind die Forschungsergebnisse zu zahlreich, die einen Zusammenhang aufzeigen. Ich möchte allerdings auf viereinhalb konkrete Beobachtungen hinweisen, die relevant in Bezug auf unsere Fragestellung sind und die nicht oder nur flach zu erklären sind, 345 Ein Rezenzeffekt besteht darin, dass die kognitive Aktivität infolge eines Reizes dadurch vorgebahnt ist, dass dem gleichen, einem strukturell ähnlichen oder in seiner Bedeutsamkeit verwandten Reiz kurz zuvor bereits die gleiche kognitive Aktivität gefolgt ist. Dadurch ist sie vorgebahnt. 346 Gaëtanelle Gilquins Einwurf zu gebrauchsbasierten Erklärungen in Arppe et al. (2010: 8) zielt in eine ähnliche Richtung. Ihr Salienzbegriff ist allerdings einseitig in der Prototypensemantik verankert. 347 Vgl. beispielsweise Reali & Christiansen (2007) neben dem bereits genannten Kempen & Harbusch (2004). 348 Vgl. Bornkessel, Schlesewsky & Friederici (2002) sowie Ferreira (2003) hinsichtlich des ersten, Pickering, Traxler & Crocker (2000) hinsichtlich des zweiten Aspekts. 18429_Kasper_SL5.indd 237 18429_Kasper_SL5.indd 237 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 238 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze wenn man die kausale Rolle der Frequenz und die Tiefe von frequenzbasierten Erklärungen überschätzt. Vielmehr deuten diese Beobachtungen auf andere, qualitative Faktoren hin, die zum einen plausible Ursachen für Frequenzen selbst abgeben und zum anderen aus der Sprache hinaus auf allgemeinere Faktoren hinweisen. 4.2.1 Die Reihenfolge von Agens- und Patiens-Satzgliedern sprachenübergreifend Um Frequenzdaten handelt es sich auch bei der Übersicht über die „dominanten“ Reihenfolgen zwischen „Subjekten“ und „Objekten“ in den Sprachen der Welt im Rahmen des „World Atlas of Language Structures Online“. 349 Sie sind dabei aber das Resultat mehrfacher methodischer Abstraktionen. Hier wurden zunächst viele konkrete Informationen über die einzelnen Äußerungen innerhalb jeder untersuchten Sprache abgezogen; sodann wurden bestimmte Unterschiede zwischen den Sprachen abgezogen, um den Sprachvergleich zu ermöglichen. Nicht zufällig handelt es sich auch um eine Untersuchung auf der Basis von vielen Einzeluntersuchungen. Dabei zeigt sich, dass unter 1377 untersuchten Sprachen in 1148 die dominante Reihenfolge zwischen Subjekten und Objekten diejenige mit vorangehendem Subjekt ist . Das sind über 83 Prozent. Neben den 189 Sprachen, in denen keine dominante Abfolge ermittelt werden konnte, ist in nur 40 Sprachen - knapp unter drei Prozent - die Reihenfolge mit vorangehendem Objekt die dominierende. Der entscheidende Punkt ist hier aber, dass Subjekt und Objekt nicht rein grammatisch definiert sind, sondern teils formal, teils semantisch. Mit Subjekt und Objekt ist hier das agentivere beziehungsweise patientivere Satzglied in einer satzwertigen Beziehung zwischen zwei Satzgliedern gemeint , die durch ein Vollverb ausgedrückt ist. 350 Und als dominante Reihenfolge gilt dabei in einer Sprache die häufiger beobachtete. 351 Die Daten repräsentieren also sprachenübergreifende Häufigkeitsverteilungen über sprachinterne Häufigkeitsverteilungen. In mindestens 83 Prozent der untersuchten Satztypen in den untersuchten Sprachen geht das Agens also dem Patiens meistens bis immer voran. In nur 3 Prozent ist es umgekehrt. Der Verweis darauf, dass diese Agens zuerst-Reihenfolge sprachenübergreifend die am häufigsten verwendete ist, weil sie die kognitiv verfestigste ist, weil sie die am häufigsten verwendete ist, weil sie die kognitiv verfestigste ist, trägt hier nicht sehr weit. Die Frage, warum das Agens so häufig dem Patiens vorangeht und dies in Sprachen so ist, die nicht miteinander verwandt sind und deren Sprachnutzerinnen vielfach nie Kontakt zueinander hatten, die also einander keinen Input liefern können, schubst uns geradezu in die Richtung einer Antwort, die Bezug auf die Bedeutung der entsprechenden Sätze, auf die Qualität der Beziehungen nimmt. Wenn wir aber nach der Beziehung zwischen Agenten und Patienten fragen, bewegen wir uns nicht mehr nur im Sprachgebrauch. Beziehungen zwischen aktiveren und passiveren, handelnden und erleidenden, sich bewegenden und bewegungslosen Gegenständen (im weitesten Sinne) finden sich keineswegs nur in sprachlich ausgedrückten, sondern ebenso in wirklich wahrgenommenen, sprachlich unvermittelten Ereignissen, in erinnerten, phantasierten und antizipierten Ereignissen. Vielleicht haben sie 349 Vgl. Dryer (2013b). Es geht dabei zwar um die Reihenfolge zwischen Subjekt, Objekt und Verb, aber man kann die Daten auch unter Außerachtlassung des Verbs auswerten. 350 Das sind A und P im typologischen Sinne; vgl. Dixon (2010, I). 351 Vgl. Dryer (2013a). 18429_Kasper_SL5.indd 238 18429_Kasper_SL5.indd 238 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 4.2 Der Schwenk zur Außenperspektive 239 ja von dort außen Eingang in die Sprache und in Sprachverstehensroutinen und -automatismen gefunden. 4.2.2 Die Agens zuerst-Präferenz im inkrementellen Sprachverstehen Bis hierhin ist bereits oft von den semantischen Rollen Agens und Patiens die Rede gewesen. Dabei handelt es sich um Abstraktionen aus den konkreten Rollen, die Gegenstände in Eventualitäten einnehmen. So war in unserem Beispiel (1) der Jünger der Mitnehmer der Mutter Jesu und die Mutter Jesu die vom Jünger Mitgenommene. In anderen Sätzen gibt es Sagerin, Gesagtes und Empfänger des Gesagten, Schlägerin und Geschlagenes, Schütterin und Geschüttetes und so weiter. 352 Die semantischen Rollen Agens, Rezipient und Patiens sind dabei aus diesen konkreten Rollen abstrahiert, so dass sie nur noch durch das charakterisiert sind, was Sagerinnen, Schlägerinnen und Schütterinnen, was Gesagtem, Geschlagenem und Geschüttetem beziehungsweise was Adressaten des Gebens, Sagens und Wegnehmens gemeinsam ist. Ich habe außerdem davon gesprochen, dass Vorstellungsgegenstände agentiver als andere sein können. Wenn das eine sinnvolle Redeweise sein soll, bedeutet das natürlich, dass die Gegenstände, die konkrete Rollen wie die der Schütterin oder die des Sagers ausfüllen, die abstrahierten Charakteristika des Agens besser oder schlechter repräsentieren können. Dasselbe gilt für konkrete Rezipienten und Patienten. 353 Ich habe ebenfalls von „echten verantwortlichen“ Agenten gesprochen. 354 Das sind sozusagen die Idealtypen des agentivischen Gegenstands. Es handelt sich dabei um Vorstellungsgegenstände, die wir verantwortlich für ihr Tun machen, indem wir ihnen zuschreiben, dass sie die ausgedrückte Eventualität absichtlich, gekonnt und aus zweckrationalen Erwägungen hervorgebracht haben. 355 Das trifft beispielsweise auf Jesus zu, wenn er Pilatus entgegnet, sein - Jesu - Reich sei nicht von dieser Welt. Andere Agenten sind im Vergleich dazu zwar auch Agenten, aber ihnen fehlen etwa die zweckrationalen Erwägungen, die Fertigkeiten oder die Absicht, etwas zu tun. So kann es jemandem gegen die eigenen Absichten geschehen, dass er etwas - oder jemanden - verrät. Dass man jemandem etwas überschüttet, kann beispielsweise sowohl zweckrational, absichtlich und gekonnt, als auch versehentlich geschehen. Um eine Verursachung handelt es sich in beiden Fällen: Man hat eine Veränderung in der Welt herbeigeführt. Das genügt, dass beide Schütterinnen Agenten sind. Aber die eine ist eine echte verantwortliche Agentin, die andere eine bloße Verursacherin ohne Verantwortlichkeit. Die Information, ob wir es in einer konkreten Situation mit der einen oder der anderen zu tun haben, ist für uns soziale Lebewesen von immenser Bedeutung. Dafür ist nicht nur die unterschiedliche Behandlung von Vorsatz und Fahrlässigkeit vor Gericht ein Beispiel. Wir können nun der Aufgabe unserer Leserinnen noch einmal eine Dimension hinzufügen: Sie müssen nicht nur erkennen, welche Rolle welcher Gegenstand in einer Eventualität einnimmt, sondern sie beurteilen die beteiligten Gegenstände auch automatisch dahingehend, ob sie gute oder weniger gute Vertreter ihrer Rolle sind. Daher überrascht es auch nicht, 352 Vgl. etwa Van Valin (2004). 353 Vgl. Dowty (1991), Primus (1999). 354 Siehe Abschnitt 3.1.1. 355 Vgl. Kasper (2014, 2015b, 2017a). 18429_Kasper_SL5.indd 239 18429_Kasper_SL5.indd 239 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 240 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze dass schlechte Rollenvertreter neurophysische Reaktionen hervorrufen, die auf eine Überraschung, eine Irritation, etwas Unerwartetes hinweisen. 356 Um allerdings einen Gegenstand als schlechten Vertreter etwa der Agensrolle zu beurteilen, muss dieser Gegenstand schon als Agens identifiziert worden sein. In diesem Zusammenhang gibt es nun bedeutsame Befunde, die aus der Sprache hinausweisen. So wurden Versuchspersonen in diversen Sprachen mit Sätzen konfrontiert, die sich in der Reihenfolge von Subjekt und (direktem) Objekt sowie der Belebtheit des Subjekts unterschieden. Ereigniskorrelierte Hirnpotenziale wurden jeweils auf dem zweiten Satzglied gemessen, nachdem das erste bereits wahrgenommen wurde. Bei der Interpretation des zweiten Satzglieds zeigte sich die Überraschungssignatur, wenn ein unbelebtes Subjekt auf ein belebtes Objekt folgte , beispielsweise in Paul fragte sich, welchen Angler der Zweig gestreift hat. Da man es in dieser Art von Experimenten nicht mit absoluten, sondern mit relativen Effekten zu tun hat, erwies sich das unbelebte Subjekt in diesem Teilsatz als überraschender als ein belebtes Subjekt in einem Vergleichssatz wie … welchen Angler der Jäger gelobt hat . Wohlgemerkt finden sich diese Effekte, bevor ein Verb überhaupt wahrgenommen wurde, so dass sie unabhängig von dessen syntaktischen Bestimmungseigenschaften und vorstellungsbezogenen Auslagerungsbeziehungen sein müssen. Der Kontrast zwischen den beiden Bedingungen zeigte sich zudem nicht, wenn die Interpretation des zweiten Satzglieds in Sätzen verglichen wurde, in denen das unbelebte gegenüber dem belebten Subjekt dem Objekt voranging , beispielsweise in … welcher Zweig/ welcher Jäger den Angler gestreift/ gelobt hat. Was zeichnet die irritierende Bedingung mit vorangehendem Objekt und unbelebtem Subjekt aus? Es ist zweierlei: erstens die Tatsache, dass beim Interpretieren der zweiten Substantivgruppe schon eine Substantivgruppe verarbeitet wurde, die den Akkusativ trug und deswegen als Objekt und Patiens interpretiert werden musste; zweitens die Tatsache, dass die darauffolgende Substantivgruppe aufgrund ihrer Nominativmarkierung als Subjekt und Agens interpretiert werden musste. Weil dieses aber unbelebt war, war es ein schlechter Vertreter der Agensrolle. In der anderen Objekt-zuerst-Bedingung ist das Agens kein schlechtes Agens, weil es human ist. In den Subjekt-zuerst-Bedingungen ist ein unbelebtes Subjekt nicht sehr überraschend und verletzt keine Erwartungen, weil es kein Agens zu sein braucht - es kann immer noch das Subjekt eines Satzes mit nur einem erforderlichen Satzglied sein. 357 Wenn aber zuerst ein Objekt verarbeitet wird, muss ein Subjekt folgen. Umgekehrt trifft dies nicht zu. Aus diesen Befunden, die für verschiedene, nicht verwandte Sprachen vorliegen, wurde die „Actor Identification Strategy“ abgeleitet, derzufolge „das Verarbeitungssystem“ „versuche“, die Actor-Rolle (= den eher agentiven Gegenstand), also den für den fraglichen Sachverhalt primär verantwortlichen Teilnehmer, so schnell und eindeutig wie möglich zu identifizieren. 358 Aus diesem Grund gebe 356 Gemeint ist eine N400. Vgl. hier wie für das Folgende Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009c, 2015). 357 Gemeint ist ein typologisches intransitives S gegenüber einem transitiven A. Dies verweist neben der Agens zuerst-Präferenz auf eine weitere Eigenschaft automatischer oder routinisierter Interpretationsaktivitäten: die Tatsache, dass wir möglichst minimale Strukturen erwarten. Vgl. Frazier & Fodor (1978), Inoue & Fodor (1995), Hawkins (2004), Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009a). 358 Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2015: 337). Der Verantwortlichkeitsbegriff ist in dieser Theorie nicht geklärt, vor allem nicht in dem zentralen Aspekt, dass es sich um von Sprachbenutzerinnen zugeschriebene Verantwortlichkeit handelt. Zudem wird hier offensichtlich ein Aspekt des Sprachverstehens zu einem Akteur, dem „Verarbeitungssystem“, hypostasiert, dem sodann menschliche Fähigkeiten zu- 18429_Kasper_SL5.indd 240 18429_Kasper_SL5.indd 240 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 4.2 Der Schwenk zur Außenperspektive 241 es (wie im Competition Model) eine Competition um die Actor-Rolle und „das Verarbeitungssystem“ „präferiere“ Reihenfolgen mit vorangehendem Actor. Wir könnten mit anderen Worten auch sagen, dass unsere Leserinnen der Routine folgen, den ersten Agenskandidaten in einer Äußerung auch als Agens vorzustellen. In diesem letzten Aspekt trifft sich der Befund mit dem sprachenübergreifenden im vorangegangenen Abschnitt. Außerdem verträgt er sich ausgezeichnet mit der Hypothese, die sich bewährt hat. Sie beschreibt ja, wie es Leserinnen gelingt, die höhere von zwei semantischen Rollen zu identifizieren. Und auch die Agens zuerst-Präferenz ist hochverdächtig, von außen Eingang in die Sprache gefunden zu haben. Die Actor Identification Strategy hat allerdings eine Voraussetzung, ohne die sie nicht funktionieren würde. Sie erfordert, dass wir ein Subjekt erwarten, wenn wir ein Objekt identifiziert haben, dass wir aber nicht unbedingt ein Objekt erwarten, wenn wir ein Subjekt identifiziert haben. Dies folgt der Erwägung, dass das „Sprachverstehenssystem“ ohne widerstreitende Informationen minimale Strukturen „zuweist“. 359 Umfangreichere Strukturen als nötig sind also unerwarteter als minimale Strukturen . Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Eigenschaft unserer Interpretationsroutinen oder -automatismen der Sparsamkeit verpflichtet ist. Nebenbei bemerkt, ist dann auch dieses Merkmal der Interpretation kaum einsichtsvoll mit Frequenzen erklärbar. 4.2.3 Der Schluss von humanen Ursachen auf echte Agenten Die nächste Beobachtung hat schon wieder mit Agentivität zu tun. Wahrscheinlich lässt sie sich in allen Sprachen der Welt machen. Denn das leitende Prinzip hinter dem Phänomen bringt es mit sich, dass sich die Zahl der Verben, die von den Sprechern der jeweiligen Sprache gelernt werden müssen, rapide vermindert. Dasselbe Verb wird verwendet, unabhängig davon, wie gut das Subjekt die Agensrolle ausfüllt. Die Güte des Agens wird dann unseren Schlussfolgerungen überlassen. 360 Wir können dieses Prinzip in fast jedem Text oder Diskurs finden, der von Menschen handelt. In Matthäus 26, 51 ist beispielsweise die Rede davon, dass ein Jünger Jesu einem Schergen des Pilatus das Ohr abschlug, als dieser mit seinen Kameraden Jesus ergreifen wollte. In jeder unserer Bibelübersetzungen steht hier ein Verb des Schlagens oder Hauens zusammen mit dem Geschlagenen und dem Schläger. Für uns und unsere Leserinnen steht es außer Frage, dass Jesu Jünger hier ein echtes verantwortliches Agens ist. Routinemäßig oder automatisch schreiben wir ihm die Verantwortlichkeit dafür zu, dass er das Ohr des Schergen abhieb, dass er es also absichtlich, gekonnt und aus rationalen Erwägungen heraus getan hat. Das Erstaunliche an der Üblichkeit dieser Interpretation ist, dass sie gesprochen werden. Weder das authentizistische Verantwortlichkeitskonzept noch die theoretischen Hypostasierungen werden reflektiert und sind so auf basale lebensweltliche Unterscheidungen nicht mehr zurückführbar. Vgl. Janich (2001) zu authentizistischen gegenüber askriptivistischen Handlungsbegriffen, Kasper (2015b) zu einem askriptivistischen Agentivitätskonzept und zur Hypostasierung sowie Kasper & Purschke (2017) zum Problem, dass theoretische nicht mehr auf lebensweltliche Unterscheidungen zurückführbar sind. 359 Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky (2009a: 1542). 360 Vorausgesetzt, dass diese Schlussfolgerungen bestimmte Funktionen gut genug erfüllen, könnten sich Sprachbenutzer Mehrdeutigkeit in gewissem Maß durchaus leisten. Vgl. Pintadosi, Tily & Gibson (2012) zu den Funktionen von Mehrdeutigkeit im Rahmen von Effizienzerfordernissen. 18429_Kasper_SL5.indd 241 18429_Kasper_SL5.indd 241 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 242 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze durch die grammatischen Konventionen und die Wortbedeutungen keineswegs erzwungen ist. 361 Jünger zu sein heißt natürlich nicht automatisch, auch verantwortliches Agens zu sein. Das Verb des Schlagens oder Hauens allein oder in Kombination mit allem, was es benötigt, um im Satz wohlgeformt zu sein, bringt es ebenfalls nicht automatisch mit sich, dass der verursachende Gegenstand konventionell als verantwortliches Agens interpretiert werden muss. Man erkennt dies daran, dass die Interpretation als verantwortliches Agens immer auch ausgeschaltet werden kann, indem man Adverbien wie versehentlich hinzusetzt: und schlug ihm versehentlich das Ohr ab . Daneben gibt aber auch weniger zahlreiche Verben, die echte Agentivität bei ihrem Subjekt erfordern. Ermorden gehört dazu. Hier führt der Zusatz von versehentlich deshalb auch zu einem Widerspruch: Wenn man jemanden ermordet hat, war es nicht versehentlich, und wenn es versehentlich war, dann war es kein Mord. Viele der Verben, die den Grad an Agentivität offen lassen, brauchen nicht mal ein belebtes Subjekt. Auch befestige Schwungbeile können Körperteile abschlagen, aber auf die Idee, sie seien verantwortliche Agenten, kommen wir dabei nicht. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt , dass Schriften keine echten Agenten sind, wenn sie etwas sagen. 362 Die Verben lassen vielmehr offen, ob es sich bei ihren Subjekten um gar keine Agenten handelt - die Schrift, die etwas sagt; der Mensch, der schwimmt im Sinne von ‚treibt‘ -, oder um recht solide Agenten - jemand oder etwas, der versehentlich oder das verursacht, dass ein Glas herunterfällt -, oder um echte, ideale Agenten - jemand, der mittels Schwimmbewegungen verantwortlich schwimmt; jemand, der verantwortlich das Glas zum Fallen bringt. Dass wir die Subjekte dann doch meistens als echte Agenten interpretieren, ist unsere Zutat zur Interpretation, nicht die des Subjektausdrucks, des Verbs oder der Verbalgruppe. Die Bedingung, die erfüllt sein muss, damit wir auf echte Agentivität schließen, so eine sehr wichtige Beobachtung, ist lediglich, dass das Subjekt human ist. 363 Ist diese Bedingung nicht erfüllt, kommen wir ohnehin nicht auf die Idee, wir hätten es mit einem echten Agens zu tun. Wenn echte Agentivität möglich ist, gehen wir von ihrer Wirklichkeit aus, es sei denn, etwas spricht explizit dagegen, zum Beispiel ein Adverb, oder die Belebtheitsschranke wird unterschritten. Anders gesagt: Wir springen ohne anderslautende Information auf die agentivste mögliche Lesart. Wie sähe hier eine frequenzbasierte Erklärung dieser Schlussfolgerung aus? Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher. Und selbst, wenn ich sie formulieren könnte, stellte sich auch hier immer noch die Frage nach der Ursache der Frequenzen selbst. Und diese lenkt unseren Blick auf die Qualität der Schlussfolgerung. Unser Anspringen auf die stärkste mögliche Interpretation riecht förmlich danach, dass sie eine besondere Funktion erfüllt, eine, die nicht auf das Sprachverstehen beschränkt ist. 4.2.4 Die Zuverlässigkeit/ Verbindlichkeit von Hinweistypen Zuletzt sei noch auf die zweite Leitfrage dieses letzten Großkapitels verwiesen. Ich hatte nicht nur gefragt, warum die außergrammatischen Hinweise wirksam sind, sondern auch, warum die eigenstrukturellen Hinweise die zuverlässigeren beziehungsweise verbindlicheren sind. 361 Gemeint ist das Kompositionalitätsprinzip. 362 Neuhochdeutsch; Bibel; Johannes 19, 24; Luther/ EKD (1984). 363 Es handelt sich dabei um eine Implikatur. Vgl. grundlegend Holisky (1987) sowie Van Valin & Wilkins (1996), Primus (1999). 18429_Kasper_SL5.indd 242 18429_Kasper_SL5.indd 242 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 4.2 Der Schwenk zur Außenperspektive 243 Wie sähe eine frequenzbasierte Erklärung dafür aus? Wenn beide Hinweistypen zu unterschiedlichen Lesarten instruieren, führen die eigenstrukturellen Hinweise unsere Leserinnen zur richtigen Interpretation und die außergrammatischen zur falschen. Die Kategorisierung der Äußerungen hinsichtlich eines Schemas muss also nach eigenstrukturellen Merkmalen automatisiert sein. Automatisiert ist sie, wenn sie durch kognitive Verfestigung vorgebahnt ist. Aber auf der Frequenz wovon basiert diese kognitive Verfestigung? Wir könnten nun antworten, auf der Häufigkeit, mit der die Beachtung der eigenstrukturellen auf Kosten der außergrammatischen Hinweise bisher irgendeine wichtige Funktion für die Leserinnen erfüllt hat, beispielsweise die kommunikative. Das ist aber bereits keine rein frequenzbasierte Erklärung mehr, denn sie enthält versteckte Vorannahmen über Phänomenqualitäten: ihre Funktion für uns. Welche Funktionen sind das und woher haben unsere Leserinnen das Know-how darüber, dass diese und nicht andere Funktionen maßgeblich sind? Einmal mehr greifen gebrauchsfrequenzbasierte Antworten auf unsere Fragen zu kurz. Wir müssen uns daher dem Rest der „-enz“-Faktoren zuwenden, der uns nun aus der Sprache hinausführen wird. 4.2.5 Bedeutsamkeit als Gelenkstelle Ich habe argumentiert, dass eine einseitig konzentrierte frequenzbasierte Erklärung für kanonische Zuordnungen nicht sehr einsichtsreich wäre. Sie würde uns nichts darüber sagen, warum diese Zuordnungen überhaupt erst frequent geworden sind, da sie sozusagen nur die Ähnlichkeit zwischen Zuordnungen in Inputs und Outputs, aber nicht ihre Qualitäten berücksichtigen würde. Diese Erklärung böte uns als kausalen Mechanismus Häufigkeiten im Input unserer Sprachbenutzerinnen - den Output der Übersetzer - und ihre kognitiven Prozesse der Assoziation, kognitiven Verfestigung, Automatisierung, Kategorisierung und Schematisierung an. Wir suchen aber Erklärungen für den Erfolg der kanonischen Zuordnungen und die Verbindlichkeitsunterschiede zwischen den Hinweistypen. Deshalb müssen wir nun danach fragen, was die spezifische Qualität der kanonischen Zuordnung ist, die in unserer Hypothese formuliert ist. Nach ihrer spezifischen Qualität zu fragen heißt zu fragen, worin ihre Bedeutsamkeit für unsere Leserinnen und uns besteht. Dafür nehmen wir nun Phänomene in den Blick, die keine bloß sprachlichen, und menschliche Regungen, die keine bloß kognitiven sind. Das Filtermodell ist bisher auf genau diese beschränkt geblieben. Wir können, wie in Abbildung 89 geschehen, noch die grundlegenden Mechanismen hinzufügen, die den frequenzbasierten Erklärungen zugrundeliegen. 18429_Kasper_SL5.indd 243 18429_Kasper_SL5.indd 243 20.08.2020 10: 56: 20 20.08.2020 10: 56: 20 244 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Abb. 89: Erweitertes Filtermodell aus der lokalen synchronischen Offl ine-Perspektive (revisionsbedürftig) Der Makel dieses Modells wird off ensichtlich, wenn wir uns fragen, wodurch eigentlich festgelegt wird, was aus dem Input miteinander assoziiert werden muss, was aus dem Input als Vertreter welcher Kategorie identifi ziert werden muss und was davon abgezogen und was behalten werden muss, um es zu schematisieren. Und wieso eigentlich „muss“? In Hinblick auf welches Ziel? Um auf früher Gesagtes zurückzukommen: Jede Eventualität, mit der wir konfrontiert werden oder uns selbst konfrontieren, ist verschiedenartig ausdeutbar. Daran eine Deutung vorzunehmen - zu einer bestimmten Vorstellung zu kommen, etwas als etwas zu erkennen, das heißt zu kategorisieren - bedeutet, bestimmte Merkmale eher als andere zu beachten, bestimmte Assoziationen anstatt anderer vorzunehmen, bestimmtes Wahrgenommenes als Vertreter einer Kategorie statt einer anderen zu identifi zieren. Mit anderen Worten handelt es sich dabei um hochgradig wählerische kognitive Aktivitäten. Das Modell enthält aber überhaupt keine Kriterien für die Unterscheidung von im jeweiligen Moment Bedeutsamem und Bedeutungslosem. 364 Frequenz und kognitive Verfestigung boten uns keine befriedigende Antwort darauf, warum in uns eine erhöhte Bereitschaft dazu besteht, bei grammatisch mehrdeutigen Äußerungen von der kanonischen Zuordnung auszugehen. 364 Vgl. für eine ähnlich ausgerichtete Kritik Bühler ([1927] 1978, [1933] 1976, in Letzterem besonders 45). 18429_Kasper_SL5.indd 244 18429_Kasper_SL5.indd 244 20.08.2020 10: 56: 22 20.08.2020 10: 56: 22 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 245 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz The science of human behavior - as far as it is not physiology - cannot abandon reference to meaning and purpose. (von Mises, Human action, S. 27) Wir müssen nun also einen Begriff der Bedeutsamkeit entwickeln. 365 Die zwei Typen von Bedeutsamkeit, um die es nun gehen soll, sind Salienz und Pertinenz. Ich werde die beiden Konzepte entwickeln, indem ich zunächst vom Alltagsleben ausgehe. 4.3.1 Salienz und Pertinenz im Alltag The zeal for truth presupposes interest. Also sustained observation presupposes the notion. For concentrated attention means disregard of irrelevancies; and such disregard can only be sustained by some sense of importance. Thus the sense of importance (or interest) is embedded in the very being of animal experience. As it sinks in dominance, experience trivializes and verges into nothingness. (Whitehead, Modes of thought, S. 12) Ich beginne mit Alltagserfahrungen. Wir führen unser waches Leben, indem wir die meiste Zeit Zwecke verfolgen, das heißt wir tun etwas, um bestimmte Situationen herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten. Wir schmieren Brote, um sie zu essen, schalten das Licht ein, um etwas zu sehen, öffnen Fenster, um zu lüften. Solche kleineren Zwecke können natürlich auch in größere eingebettet sein und diesen als Unterzwecke dienen. So schalte ich vielleicht das Licht ein, um etwas zu sehen und ich möchte etwas sehen, um ein Buch im Regal zu finden. Das Buch gibt mir Informationen zu etwas, über das ich schreibe. Ich schreibe darüber, um andere, die sich mit dem Thema befassen, davon in Kenntnis zu setzen. Ich möchte sie davon in Kenntnis setzen, weil ich denke, dass das, was ich geschrieben habe, bei der Lösung gemeinsamer Probleme hilft. Ich möchte zur Lösung gemeinsamer Probleme beitragen, weil … Das, was wir jeweils tun, um eine der genannten Situationen herbeizuführen, sind Handlungen. Handlungen sind Mittel, um Zwecke zu erreichen. Kennzeichen von Handlungen sind, dass wir sie immer auch unterlassen können - ist es wirklich klug, mir jetzt noch ein Brot zu schmieren? -, und wir können verschiedene Mittel abwägen, um das gleiche Ziel zu erreichen - tut es nicht vielleicht auch ein Apfel? Das Unterlassen ist auch eine Handlung. Das sieht man daran, dass wir es unterlassen können, etwas zu unterlassen. Deshalb ist es auch nicht unsinnig, jemanden aufgrund unterlassener Hilfeleistung zu verurteilen. Um unsere größeren und kleineren Zwecke zu verwirklichen, benötigen wir eine Idee davon, wie die Situationen, die wir eintreten lassen möchten, aussehen sollen. Mit anderen 365 Indem ich das versuche, versuche ich auch, eine frühe Kernidee der Konstruktionsgrammatik (KxG) weiter zu explizieren, die „Scene Encoding Hypothesis“ von Goldberg (1995: 39). Die Hypothese ist leider innerhalb der KxG selbst nicht expliziert worden. Ich meine in der frühen KxG den qualitativen Ansatz zu erkennen, den ich hier gegen den quantitativen, gebrauchsbasierten wieder stärken möchte, weil er von diesem absorbiert worden ist (vgl. Goldberg 2006). Ich möchte gern beide vereint sehen. Die Scene Encoding Hypothesis besagt, dass „[c]onstructions which correspond to basic sentence types encode as their central senses event types that are basic to human experience.“ Was hier bis auf ein paar Beispiele für den Begriffsumfang offenbleibt, ist gerade die Definition von „basic“. Kasper (2015b) hat dieses Projekt begonnen. 18429_Kasper_SL5.indd 245 18429_Kasper_SL5.indd 245 20.08.2020 10: 56: 22 20.08.2020 10: 56: 22 246 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Worten, wir brauchen eine hinreichend bestimmte Vorstellung von der entsprechenden Eventualität und wir müssen in der Lage sein, den Unterschied zwischen der gegenwärtigen und der gewünschten Eventualität zu überblicken, um ersehen zu können, welche Handlungen wir ausführen und wie wir unsere Handlungen ausführen müssen, um die angestrebte Situation zu verwirklichen. Außerdem brauchen wir die motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, diese Handlungen auszuführen. Habe ich also keine Tasse Kaffee, möchte aber eine haben, so muss ich nun in einer bestimmten Reihenfolge bestimmte Handlungen ausführen. Ich muss zunächst in die Küche gehen, Wasser in den Kaffeeautomaten füllen, Kaffee in den Kaffeautomaten füllen, mir eine Tasse aus dem Schrank nehmen, etwas, aber nicht zu viel Hafermilch mit Kalziumzusatz hineinfüllen, sie an die richtige Stelle unter der Front des Geräts stellen und so weiter, bis ich den Kaffee endlich heiß und trinkfertig in der Hand halte. Nicht nur für die Endsituation, auch für jede dieser Teilhandlungen, die die große Handlung des Kaffeemachens tragen, muss ich jeweils eine bestimmte Vorstellung der Situation haben, die durch sie hergestellt werden soll. Ich gehe in die Küche, weil ich mir zuvor vorgestellt habe, dass dort der Automat steht. Indem ich motorisch tätig werde, nehme ich die vormals nur vorgestellten Gegenstände sowie meine eigenen Tätigkeiten wahr. Ich fülle das Wasser auf, weil ich mir eine Situation vorstelle, in der der Wassertank gefüllt ist, weil ich weiß, dass ich bei leerem Wassertank keinen Kaffee werde machen können. Ich wirke motorisch auf den Wasserhahn und den Wassertank ein und sehe, wie ich dabei einem vorgestellten Teilziel näherkomme. Ich habe also eine Vorstellung der herzustellenden Eventualität und Vorstellungen der Teileventualitäten, die ich der Reihe nach herstellen muss, um sie zu verwirklichen. 366 Während wir die Handlungen ausführen, um diese Eventualitäten herzustellen, konfrontieren wir uns, aber diesmal in der Wahrnehmung, mit genau den Gegenständen, die Teile unseres vorgestellten Handlungsplans sind - dem Kaffeeautomaten, seinem Wassertank, dem Bohnenfach, dem Küchenschrank, der Tasse, dem richtigen Knopf am Automaten und so weiter - und wir handeln an ihnen in der vorgestellten Weise, so dass schließlich der oberste Zweck realisiert ist: der erquickende Effekt von gutem, heißem Kaffee! Wir können die Gegenstände oder Merkmale von Gegenständen, die Teil eines solchen Handlungsplans sind, pertinent in Bezug auf einen Handlungszweck nennen. Hier kehrt nun ein Begriff wieder, der uns bereits begegnet ist: In Handlungszusammenhängen erwarten wir Pertinentes. Unsere Handlungen gelingen bekanntlich nicht immer und sind nicht immer erfolgreich. Sie können auch scheitern oder erfolglos bleiben. Sie scheitern, wenn das Ergebnis unseres Tuns das falsche ist. Wenn etwa in meiner Tasse nur trübes braunes Wasser landet, weil ich vergessen habe, Bohnen nachzufüllen, habe ich nicht die Handlung ‚Kaffee machen‘ ausgeführt. Was ich wahrnehme, stimmt unumkehrbar mit dem Vorgestellten nicht überein. Handlungen bleiben erfolglos, wenn sie die bezweckte Folge nicht einstellt. Dafür kann die Handlung durchaus gelungen sein. So könnte ich zwar Kaffee gekocht haben, aber seine tatsächliche Wirkung enttäuscht mich, während mich sie mich in der vorausschauenden Vorstellung erquickt hat. Ob es an der Hafermilch mit Kalziumzusatz gelegen hat? Das, was nicht Teil unseres Handlungsplans gewesen ist, was wir uns nicht in Vornherein vorgestellt, was wir deswegen nicht erwartet haben, stellt für uns ein Widerfahrnis dar. Dazu 366 Vgl. zur Handlungstheorie und ihrer Beziehung zu Wahrnehmung und Vorstellung Kasper (2015b: 83-94, 100-192). Zu Argumenten, mit einer Beschreibung der Lebenswelt zu beginnen, vgl. Schütz & Luckmann ([1975] 2017) sowie Janich (2014). 18429_Kasper_SL5.indd 246 18429_Kasper_SL5.indd 246 20.08.2020 10: 56: 22 20.08.2020 10: 56: 22 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 247 zählt unser eigenes Scheitern im Handeln, dazu zählen aber auch die Handlungen und das Verhalten von anderen - die Fahrradfahrerin, die uns von hinten überholt, so dass wir zusammenzucken, oder die uns so in die Hacken fällt, dass wir mitfallen - sowie natürliche Ereignisse wie der Hagelschauer, der uns auf dem Weg zum Bewerbungsgespräch ereilt. Widerfahrnisse verursachen in uns Reaktionen oder Reflexe. Sie können im Gegensatz zu Handlungen nicht unterlassen oder abgebrochen werden und sind nicht das Resultat von Mittel-Zweck-Abwägungen. Sie laufen automatisch ab, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind. Als solche gehören sie zum bloßen Verhalten. Auch autonome Körperprozesse wie die vegetativen zählen dazu. Handlungen und bloßes Verhalten sind die zwei großen Unterarten menschlicher Regungen oder Aktivitäten. Wenn mir nun etwas Unerwartetes widerfährt, während ich handelnd eine Situation herstelle, die ich vorausschauend vorgestellt habe, zwingt mich dieser Reiz zu einer Reaktion und dazu, meine Aufmerksamkeit auf ihn zu richten und mich mit ihm auseinanderzusetzen, damit ich mein ursprüngliches Ziel weiterverfolgen kann. Ein Kollege könnte etwa auf meinem Weg in die Küche aus seinem Büro treten und mich ansprechen. Sich mit ihm auseinanderzusetzen heißt für mich, die Interaktion mit ihm als einen weiteren Unterzweck in meinen ursprünglichen Handlungsplan einfügen zu müssen. Der Kaffee darf nicht auf der Strecke bleiben! Wenn der Zweck, den ich mir für die Interaktion mit meinem Kollegen setzen muss, gewichtiger als die Erquickung durch den Kaffee sein sollte, kann ich diesen Zweck auch verwerfen, und die Interaktion mit meinem Kollegen zum neuen Oberzweck machen (im relevanten Ausschnitt meines Zweckhorizonts). Wir können Gegenstände oder Merkmale von Gegenständen, die unsere Aufmerksamkeit schlechthin auf sich lenken oder von den Elementen unseres gegenwärtigen Handlungsplans wegleiten - so wie mein Kollege in der beschriebenen Situation -, salient nennen. 367 Das bedeutet, im Alltag, in dem wir so gut wie nie interesselos dasitzen und so gut wie nie gerade keinen Zweck verfolgen, überführen wir stetig saliente Reize in pertinente Reize. Anders gesagt, bauen wir stetig das, was uns unerwartet widerfährt, in unsere Zweckstrukturen ein, um weiter handlungsfähig zu sein. Das kann auch darin bestehen, dass die wahrgenommenen Resultate unserer Handlungen nicht mit dem übereinstimmen, was wir uns vorausschauend vorgestellt haben. Wir haben es also mit einem recht komplexen Zyklus zu tun. Er besteht aus: der Zwecksetzung, der vorausschauenden Vorstellung von pertinenten Phänomenen, den wahrgenommenen umsetzenden Handlungen, die wir an den ebenfalls wahrgenommenen pertinenten Gegenständen vornehmen, und dem Abgleich unserer wahrgenommenen Handlungsergebnisse mit den vorgestellten Eventualitäten, die wir herstellen wollten. Dazwischen passiert Unerwartetes, indem saliente - nicht vorausschauend vorgestellte - Phänomene uns von umsetzenden Handlungen abhalten und es erforderlich machen, unsere vorausschauenden Vorstellungen anzupassen, indem wir die salienten als pertinente Phänomene in sie einbauen. Schauen wir uns etwas genauer an, wie dieser komplexe Zyklus zusammengesetzt ist. 367 Salienz beschreibt eine Relation zwischen Merkmalen von Wahrgenommenem und sensomotorischen Eigenschaften des Wahrnehmenden. In weiten Teilen der linguistischen Literatur ist „salient“ ohne Bedeutungsänderung austauschbar gegen „signifikant“, „bedeutsam“ oder „relevant“, Ausdrücke, die ein aktiv verfolgtes, top-down verlaufendes Interesse des Wahrnehmenden implizieren oder zumindest nahelegen. Ich möchte solche top-down -Anteile vollständig aus dem Salienzbegriff ausschließen. Die Bedeutung von lat. salire ist ‚anspringen‘. Saliente Dinge springen uns an, nicht umgekehrt. 18429_Kasper_SL5.indd 247 18429_Kasper_SL5.indd 247 20.08.2020 10: 56: 22 20.08.2020 10: 56: 22 248 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze 4.3.2 Die sensomotorische Linie Geschlossenheit - Salienz - Verhalten - Automatismus - vitale Funktionen The whole neural organism, it will be remembered, is, physiologically considered, but a machine for converting stimuli into reactions; and the intellectual part of our life is knit up with but the middle or ‘central’ portion of the machine’s operations. ( James, The Principles of Psychology, Bd. II, S. 372) Der komplexe Zyklus enthält als Grundelemente Vorstellungen von Eventualitäten, Aktivitäten - Handlungen und Verhalten, zumeist an Gegenständen - und Wahrnehmungen von Eventualitäten. 368 Zerlegen wir ihn: Wir nehmen das Zitat von William James und erwägen seine Aussage, dass ein lebendiger Organismus mit Nervensystem eine Maschine ist, die Reize in Reaktionen überführt. Wir blenden gezielt den „mittleren“ Teil aus, der unser intellektuelles Innenleben ausmacht. Dabei kommt in etwa das Bild heraus, das wir uns - berechtigt oder unberechtigt - von niederen Tieren machen: Organismen, die Eventualitäten wahrnehmen und unmittelbar auf sie reagieren . Unmittelbar heißt: Die Schnecke spürt die Berührung und zieht sich zusammen. Dazwischen erfolgt kein sichtbares Erkennen des Reizes als Vertreter einer Kategorie und deshalb auch keine Abwägung zwischen angemessenen Antwortregungen. Das Ganze besitzt die Kennzeichen automatischen Verhaltens : Es läuft immer gleich ab, kann vom Organismus nicht unterbrochen und nicht unterlassen werden. 369 Die Reaktion ist die gleiche, wenn ein Blatt auf die Schnecke fällt und wenn ein Kind sie mit dem Zeigefinger am Rücken berührt. Sie ist dadurch unflexibel. Die Schnecke mag dann geschützter gegenüber einem weiteren Blatt sein, das auf sie fällt, aber wird sich mit ihrem Defensivverhalten kaum weiterer gefährlicher Zumutungen durch das Kind erwehren können. Dennoch bedient der Automatismus vitale Funktionen des Organismus: die Schutzfunktion zugunsten körperlicher Unversehrtheit. Weitere dieser Funktionen sind Reproduktion und Nahrungsaufnahme. Diese bringen eher Verhaltensweisen hervor, die auf einen salienten Reiz hingerichtet sind, als solche, die von ihm weggerichtet sind. 368 Vgl. zu diesem und dem nächsten Abschnitt James ([1890] 2006), Hommel et al. (2001), Kunde (2006), Hommel (2009) zum sensomotorischen gegenüber dem ideomotorischen Modell, Plessner ([1928] 1975, 2019) und Gehlen ([1940] 1995, [1941] 1983) zum Gegensatz von Geschlossenheit und Offenheit, Purschke (2011, 2014) sowie Kasper (2015b) zum Gegensatz von Salienz und Pertinenz, Dewey ([1910] 1997, [1928] 1998), von Mises ([1949] 1998), Hartmann (1993, 1996, 1998) zum Gegensatz von bloßem Verhalten und Handeln sowie Automatisierung und Routinisierung, Janich (2001, 2014) ebenfalls zum Gegensatz von bloßem Verhalten und Handeln, Uexküll (1921, [1928] 1973) und Weizsäcker ([1940] 1973) zum Kreismodell, Ridderinkhof (2014) zu einem detaillierten neurokognitiven Modell, in dem viele Konzepte aus den genannten Quellen im zeitgenössischen Gewand auftreten. 369 Eine Ausnahme, aber ebenso mechanisch, ist die Habituierung. 18429_Kasper_SL5.indd 248 18429_Kasper_SL5.indd 248 20.08.2020 10: 56: 23 20.08.2020 10: 56: 23 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 249 Abb. 90: Verhaltenskreis im Dienste vitaler Funktionen Ein weiterer Gesichtspunkt ist Folgender: Die Reaktion der Schnecke auf den Druckreiz ist in etwa genauso unfl exibel und einseitig wie ihre Unfähigkeit, Unterschiede an den Reizobjekten wahrzunehmen. Weil sie keinen Unterschied zwischen Blatt und Kind erkennt, gibt es auch keinen Unterschied in ihrer Reaktion. Und weil das Repertoire ihrer Verhaltensarten so eingeschränkt ist, sind auch ihre Diff erenzierungsmöglichkeiten in der Wahrnehmung so eingeschränkt. Ein Gegenstand (im weitesten Sinne) erscheint ihr einseitig in Hinsicht auf eine vitale Funktion und ebenso einseitig als Träger ihrer potentiellen Wirkungen. Wenn die Schnecke hinsieht, kennt sie bloß eine Hinsicht auf den Gegenstand: die der vitalen Funktion. Und diese macht den Gegenstand für sie salient. Phänomenale Einseitigkeit ist, was die Welt der Schnecke auszeichnet. So bildet die Schnecke mit ihren Merk- und Wirkorganen einen geschlossenen und hochgradig spezialisierten Funktionskreis. Der Grad, in dem die Merk- und Wirkmöglichkeiten des Organismus spezialisiert sind, entspricht dann auch in etwa dem Grad, in dem seine Umwelt geschlossen und einseitig ist. Innerhalb des Organismus bedingen Merk- und Wirkmöglichkeiten einander, außerhalb bedingen Organismusstruktur und Umweltstruktur einander. Deshalb ist bei der Schnecke die Kette mit Wahrnehmen und Reagieren auch nicht zu Ende. Die Schnecke nimmt nämlich auch ihre eigene motorische Aktivität an ihrem eigenen Körper an der Umwelt wahr. Das eine oder das andere werden ihr so zum Reiz für weitere Körperreaktionen, und so weiter. Vor dem Hintergrund vitaler Funktionen steht hier also die Wahrnehmung salienter Reize im Dienste funktionalen Verhaltens und das funktionale Verhalten im Dienste der Wahrnehmung funktionaler, salienter Reize. Komplexer wird das Ganze, wenn wir bestimmte Arten des Verhaltens und die Formen ihres Erwerbs unterscheiden. 370 Beim Verhalten gibt es Reaktionen, die in uns heranreifen , ohne dass wir auf frequente (oder rezente) Konfrontation mit ihnen angewiesen wären, um sie ausführen zu können. Dazu zählen Refl exe wie der Lidschluss- oder der Ausweichrefl ex. Für sie genügt ein äußerer Auslösereiz. Andere, ebenfalls nicht erworbene, sondern ererbte 370 Vgl. zum Folgenden zusammenfassend Hartmann (1998: 53-64). 18429_Kasper_SL5.indd 249 18429_Kasper_SL5.indd 249 20.08.2020 10: 56: 24 20.08.2020 10: 56: 24 250 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Reaktionen hängen von äußeren Reizen mit einer bestimmten Qualität und zugleich von inneren, nicht selbst gesetzten Motivationen ab. Solche Motivationen sind (An-)Triebe. Sind beide gegeben, lösen sie Instinktverhalten aus. Dazu zählen beispielsweise Reaktionen auf Gefahr, Hunger und den Geschlechtstrieb. Andere Verhaltensarten entwickeln sich nur in funktional angemessener Weise, wenn Organismen mit genügender Frequenz bestimmten einfachen oder komplexen Reizbedingungen ausgesetzt werden. Sie reifen daher nicht, sie sind auch nicht ererbt, sondern sie werden erworben . Dazu zählt zuerst die klassische Konditionierung , bei der Reiz und Reaktionsverhalten so frequent gekoppelt sind, dass sie assoziiert sind und die Reaktion auf den Reiz automatisch geworden ist. Das Verhaltensrepertoire ist dabei aber auf dasjenige der Reflexe beschränkt. Die Reaktion kann mühevoll durch konkurrierende frequente Kopplungen gelöscht werden. Soll das Verhaltensrepertoire der klassischen Konditionierung auf komplexere Verhaltensarten ausgedehnt werden, muss man - ebenfalls durch frequente Kopplung von Reizen und Reaktionen, aber diesmal mittels Verstärkung der Assoziationen - operant konditionieren . Dies wird beim Menschen gezielt in der Verhaltenstherapie eingesetzt, um ungewünschte Verhaltensarten sozusagen zu überschreiben. Sodann ist die Prägung zu nennen. Davon sprechen wir, wenn ein Reaktionsverhalten auf einen bestimmten Reiz hin bei allen Angehörigen einer Spezies während einer sensiblen Entwicklungsphase auftritt. Das Verhalten ist dabei rigide, der Reiz aber innerhalb von Grenzen variabel: Ein geschlüpftes Entenküken folgt beispielsweise einem Gegenstand, der sich innerhalb seiner ersten Lebensstunden für es sichtbar bewegt. 371 Für das Küken ist die Kehrseite davon, dass wir uns die Erde untertan gemacht haben, die Tatsache, dass das auch ein Ball sein kann. Die vitale Funktion besteht ursprünglich darin, das Küken auf die Mutter zu prägen. Geprägte Verhaltensreaktionen gelten üblicherweise als nicht löschbar. Das Küken wird weiterhin dahin laufen, wohin das Kind den Ball schießt. Damit habe ich die Linie Geschlossenheit - Salienz - Verhalten - Automatismus - vitale Funktionen aus dem komplexeren Zyklus herausgelöst, den ich an uns als Menschen illustriert habe. 4.3.3 Die ideomotorische Linie Offenheit - Pertinenz - Handlung - Routine - Zwecke Man kann sogar einfach den Menschen in höherem Grade ein vorstellendes als ein wahrnehmendes Wesen nennen, und gerade davon lebt er, denn er verhält sich mehr von den vorausgedachten und entworfenen Umständen her, als von den vorgefundenen und ‚wirklichen‘. (Gehlen, Ein Bild vom Menschen, S. 61) Um Lebendes zu erforschen, muß man sich am Leben beteiligen. (Weizsäcker, Der Gestaltkreis, S. 3) In der menschlichen Alltagserfahrung sind die zwei Typen der Bedeutsamkeit, Salienz und Pertinenz, in spezifisch menschlicher Weise miteinander verflochten. Es gibt eine kontinuierliche Umformung von salienten in pertinente Reize. Wir bestreiten unseren Alltag, indem wir unsere Zwecke handelnd verwirklichen. Diese Zwecke haben wir uns selbst gesetzt. Zwecke 371 Vgl. Lorenz ([1935] 1984). 18429_Kasper_SL5.indd 250 18429_Kasper_SL5.indd 250 20.08.2020 10: 56: 24 20.08.2020 10: 56: 24 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 251 zu verfolgen und mitt els Handlungen zu realisieren, die wir gegen andere abgewogen haben, ist etwas anderes, als sich wahrnehmend und verhaltend zugunsten vitaler Funktionen treiben zu lassen. Es heißt, sich vor dem inneren Auge, in der Vorstellung, ohne nötigen wahrgenommenen Auslöser Eventualitäten ausmalen zu können und an ihre Verwirklichung zu gehen. Es heißt genauso, es unterlassen zu können, vorgestellte Eventualitäten zu verwirklichen, wenn sie durch wahrgenommene äußere Reize ausgelöst wurden. Kennzeichen der Linie Off enheit - Pertinenz - Handlung - Routine - Zwecke ist, dass wir handeln, um uns mit bestimmten Wahrnehmungsgegenständen zu konfrontieren und dass wir uns mit bestimmten Warhrnehmungsgegenständen konfrontieren, um zu handeln. (Zu diesen Gegenständen kann auch der eigene Körper gehören.) Dabei verwirklichen wir handelnd unsere Zwecke, aber zugleich müssen wir beharrlich mit winzig kleinen bis zu unüberwindbaren Widerfahrnissen klarkommen, die wir an äußeren Gegenständen oder am eigenen Handeln erfahren und die Verhaltensreaktionen oder Refl exe in uns auslösen können, weil wir sie, anders als pertinente Reize, nicht erwartet haben, weil sie uns überraschen und irritieren. Insofern ist die sensomotorische Linie Geschlossenheit - Salienz - Verhalten - Automatismus - vitale Funktionen dem Menschen allein unangemessen, aber sie zu ignorieren ebenso. Selbstverständlich gibt es menschliche Wahrnehmungen und menschliche Regungen, die vitalen Funktionen dienen. Der „mittlere“ Teil ( James) zwischen sensorischen Reizen und motorischen Antwortregungen ist dadurch charakterisiert, dass er einen Hiatus , eine Kluft zwischen dem ermöglicht, was wir wahrnehmen, und dem, was wir anschließend tun. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit einer Handlung. Die Kluft ist unser Innenleben, sie vermitt elt zwischen unseren sensorischen Eindrücken und unseren motorischen Ausdrücken und stellt beide in ihren Dienst. Sie fehlt, oder fehlt nahezu, bei der Schnecke, weil ihr Wahrnehmen und ihre Antwortregungen unmittelbar(er) verbunden sind. Ihre Antwortregungen sind daher Vertreter von Verhalten und nicht von Handlungen. Abb. 91: Inklusiver Handlungskreis 18429_Kasper_SL5.indd 251 18429_Kasper_SL5.indd 251 20.08.2020 10: 56: 25 20.08.2020 10: 56: 25 252 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Das Gegenstück zur phänomenalen Einseitigkeit der wahrgenommenen Gegenstände, den einseitig salienten Wahrnehmungsmöglichkeiten des Organismus, der unvermittelten Überführung in ebenso einseitige Verhaltensweisen, kurz: das Gegenstück zur Geschlossenheit des Verhaltenskreises ist die Weltoffenheit des - menschlichen - Handlungskreises, den Abbildung 91 zeigt. Auf sie werde ich in den folgenden Abschnitten immer wieder Bezug nehmen. Der menschliche Handlungskreis ist offen, insofern wir als Menschen an einem Gegenstand nicht unzählige, aber außerordentlich vielfältige Aspekte unterscheiden können. Ein Wahrnehmungsgegenstand erscheint uns in einer außerordentlichen phänomenalen Fülle und je nachdem, welchen Zweck wir gerade verfolgen, sind wir in der Lage, diesen verschiedenartig ausdeutbaren Gegenstand in seiner phänomenalen Fülle auf die Merkmale zu verengen, die gegenwärtig oder gewohnheitsabhängig pertinent für uns sind. Diese Verengung ist eine Aspektvereinseitigung : Wir können unsere Hinsicht auf einen Gegenstand in Abhängigkeit von unseren Zwecken ändern. So ist ein Ball für uns überhaupt da, weil er für uns etwas ist, mit dem wir unsere Zwecke erreichen können oder der selbst für uns zum Zweck werden kann, und er kann zum Mittel oder Zweck für uns werden, weil wir auf ihn wirken können. Er kann für uns etwas zum Rollen sein, er kann für uns ein Geschoss sein, er kann für uns ein Pfropfen für eine Öffnung sein, er kann für uns ein Testobjekt für die Spitze eines Gegenstandes sein und so weiter. Dies sind alles verschiedene Hinsichten auf denselben, verschieden ausdeutbaren Gegenstand; die Hinsichten beinhalten Verengungen auf jeweils verschiedene Merkmale - Rundheit, Schwere und Aerodynamik, Dichte und Elastizität und so weiter. Je nachdem, welche Hinsicht zweckdienlich ist, wählen wir eine ebenso vereinseitigte Handlungsweise an dem Gegenstand: wir rollen ihn, werfen ihn, stopfen ihn, stechen in ihn und so weiter. Die pertinenten Merkmale des Gegenstands zeigen uns die pertinenten Wirkmale des Gegenstands. 372 Von Bedeutung ist in Hinsicht auf einen Ball außerdem die Tatsache, dass es sich bei ihm um ein Artefakt handelt: Er ist bereits das Produkt zweckgerichteten menschlichen Handelns. Insofern sind ihm die Angriffspunkte für Handlungen, die Wirkungsträger, planmäßig eingebaut. Er ist planmäßig so aspektvereinseitigt, dass er genau die Merkmale hat, die ihn effizient rollbar machen. Anders bei einem natürlichen Gegenstand: Wenn unser Ziel ist, etwas zu rollen, wird uns kein natürlicher Gegenstand so effektiv zum Rollen dienen wie ein Ball. Dafür ist die Rollsuggestion des Balles so groß, dass seine anderen Aktionssuggestionen relativ klein werden. Zur Illustration: Der Stein mag zwar nicht so effizient rollbar sein wie der Ball, weil er weniger rund als der Ball, aber dafür vielleicht etwas länglicher ist. Er suggeriert so aber stärker eine menschliche Gestalt und für ein Kind neben dem Rollen beispielsweise auch das Betutteln. Ein Stein suggeriert mehr, aber jede suggerierte Handlung wird effizienter ausführbar sein mit einem Artefakt, dessen Merkmale auf die jeweilige Handlung hin entworfen sind. Es ist von der Linie Offenheit - Pertinenz - Handlung - Routine - Zwecke her auch leicht einsehbar, warum neurologische, kognitionspsychologische und sog. neurobiologische Mo- 372 Hier - genauer bei Jakob von Uexküll - liegt der Ursprung der Theorie der Affordanzen, die gemeinhin James Gibson (1986) zugeschrieben wird. Affordanzen sind Aktionen, die uns Gegenstände aufgrund ihrer Merkmale in der visuellen Wahrnehmung anbieten oder suggerieren. Dennoch sollte Gibsons Ansatz nicht mit Uexkülls verwechselt werden. Ihre Vorannahmen - man könnte sagen präsentationalistische bei Gibson gegenüber repräsentationalistischen bei Uexküll - unterscheiden sich grundlegend. Vgl. zum Wert der Affordanzen für das, was ich Linkingkompetenz genannt habe, Kasper (2015b). 18429_Kasper_SL5.indd 252 18429_Kasper_SL5.indd 252 20.08.2020 10: 56: 25 20.08.2020 10: 56: 25 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 253 delle so stark auf die Linie Salienz - Verhalten - Geschlossenheit - Automatismus - vitale Funktionen fixiert sind. Die Tatsache, dass wir es mit einem beständigen Umformungsprozess von salienten Reizen in pertinente Reize zu tun haben, wird durch die Laborsituation programmatisch verdeckt. Dort wird ja methodisch bedingt die Versuchsperson zu einer interesselosen Immobilie gemacht. Die Messapparaturen sind eben nicht in den Alltag integrierbar und außerhalb des Labors ausgemessen zu werden, ist nicht alltäglich. Der praktische Horizont der Probanden ist daher darauf beschränkt, Reize zu erwarten, die die Wissenschaftlerinnen zu Wissenschaftlerzwecken für sie vorbereitet haben. Anschließend gelangen die Reaktionen der Versuchspersonen in die theoretischen Modelle der Wissenschaftler, die uns wiederum allzu leicht vergessen lassen, dass die methodische Zurechtstutzung der Versuchspersonen auf die Linie Salienz - Verhalten - Geschlossenheit - Automatismus - vitale Funktionen noch längst keine wirkliche Beschränkung auf diese Linie darstellt. Setzt man sie aber gleich, kriegt man aus der Theorie nur das heraus, was man bereits in sie investiert hat. Dass man sich beim Experimentieren und Theoretisieren selbst auf der Linie Pertinenz - Handlung - Offenheit - Routine - Zwecke bewegt hat, wird dann ebenfalls leicht vergessen. 4.3.4 Der Leib, Routinisierung und die Aspektvereinseitigung von Vorstellungen Die Erkenntnistheorie ist den Vermutungen über das, was beim Akt des Sehens stattfindet, nachgebildet worden. […] Das unvermeidliche Ergebnis ist eine Zuschauertheorie des Erkennens. (Dewey, Die Suche nach Gewißheit, S. 27) Denn bei den anderen Sinnen ist er [der Mensch - SK] gegenüber den Tieren im Nachteil, hinsichtlich des Tastsinns erreicht er eine hervorragende Schärfe. Deshalb ist er auch das klügste Lebewesen. (Aristoteles, Über die Seele, Buch II, Kap. 9) Der Erfolg dieser Prozesse, in denen Bewegungen jeder Art, besonders der Hände, mit allen Sinnen, besonders dem Auge, zusammenwirken, ist der, daß die umgebende Welt ‚durchgearbeitet‘ wird, und zwar in der Richtung der Verfügbarkeit und der Erledigung: die Dinge werden der Reihe nach in Umgang gezogen und abgestellt, im Zuge dieses Verfahrens aber unvermerkt mit einer hochgradigen Symbolik angereichert, so daß endlich das Auge allein, ein müheloser Sinn, sie übersieht und in ihnen zuletzt Gebrauchs- und Umgangswerte mitsieht, welche vorher mühsam eigentätig erfahren wurden. (Gehlen, Der Mensch, S. 40) Dass wir Menschen die Weltfülle, die uns umgibt, auf die Aspekte verengen können, die jeweils pertinent für uns sind, hält die ideomotorische Linie Offenheit - Pertinenz - Handlung - Routine - Zwecke im Innersten zusammen (auch wenn wir zur Routine gleich erst noch kommen werden). Welche Merkmale wir an Wahrnehmungsgegenständen aussondern und welche Angriffsmöglichkeiten wir an ihnen haben, beschreibt zwei Seiten derselben Medaille. Im Ganzen ist der komplexere Zyklus, den ich in die zwei Linien um Salienz und Pertinenz zerlegt habe, ein ideomotorischer Zyklus, also einer, in dem unser Innenleben zentral steht. Er ist ein Handlungskreis, der einen Verhaltenskreis, einen sensomotorischen, einschließt. Der Einschluss besteht darum, weil es das menschliche Geschäft ist, saliente Reize bis in den Bereich von Sekundenbruchteilen hinein in pertiente Reize umzuwandeln. Mit dem vermit- 18429_Kasper_SL5.indd 253 18429_Kasper_SL5.indd 253 20.08.2020 10: 56: 25 20.08.2020 10: 56: 25 254 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze telnden Innenleben meine ich hier unser Vorstellungsleben. Es hat in dem inklusiven Handlungskreis eine ausgezeichnete Rolle. Von ihm her werden Zwecke gesetzt, Vereinseitigungen vorgenommen, Füllen reduziert, Wahrnehmungserlebnisse vorgebahnt und Handlungen entworfen. Ich hatte gesagt, dass wir Ideen von den Zwecken benötigen, die wir eintreten lassen wollen und in deren Dienst dann unsere Wahrnehmungen und Handlungen stehen. Mit Ideen ist nun nichts anderes als Vorstellungen gemeint. Wenn wir an Gegenständen ihre pertinenten Merkmale wahrnehmen und ihren pertinenten Merkmalen entsprechend an ihnen handeln, dann nehmen wir diese Aspektvereinseitigungen von der vorausschauenden Vorstellung aus vor. Unsere geordneten Zielvorstellungen geben uns vor, was wir an den Gegenständen unserer vorgestellten Wahrnehmung wie tun müssen, um die Zielvorstellungen wirklich werden zu lassen. Das Was und Wie macht die Vereinseitigung aus. Auf der Salienzlinie sind das Was und das Wie festgelegt und vorgegeben. Auf der Pertinenzlinie sind sie offen und der Zweck gibt sie vor. Wie sind aber aspektvereinseitigte Vorstellungen überhaupt möglich, da doch sowohl die gewünschten Eventualitäten und oft genug auch die vorausschauend vorgestellten Wahrnehmungs- und Handlungsgegenstände gar nicht anwesend sind? In diesem Abschnitt will ich versuchen, darauf eine Antwort zu geben. Ich beginne zunächst mit einer eingehenderen Charakterisierung von Vorstellungen. Mein Vorschlag lautet, Vorstellungen als Wahrnehmungs- und Aktivitätsphantasmen zu behandeln. Das heißt, wenn wir uns etwas vorstellen, dann simulieren wir, dass wir es wahrnehmen. 373 Und wenn wir uns vorstellen, dass etwas mit etwas geschieht, dann können wir nicht nur innerlich simulieren, dass wir dies wahrnehmen, sondern auch, dass wir dieses Geschehnis selbst aktiv hervorbringen. 374 Meine Vorstellung vom Kaffeeautomaten ist eine simulierte Wahrnehmung des Kaffeeautomaten. Meine Vorstellung davon, seinen Wassertank mit Wasser zu befüllen, ist die simulierte Wahrnehmung davon und die Simulation der entsprechenden Handlung . Der Simulationscharakter unserer Vorstellungen lässt sich schon im Alltag aufzeigen. Ich habe beispielsweise aufgrund einer gewissen Vorgeschichte ein Problem damit, Knochenbrüche bei anderen zu beobachten. Wer aktuelle Filme schaut, wird von solchen Beobachtungen kaum verschont bleiben. Jedesmal, wenn ich nicht rechtzeitig wegschaue und mir die Ohren zuhalte, bedeutet die visuelle oder auditive Wahrnehmung des Knochenbruchs, dass er mir bis zu einem bestimmten Punkt selbst widerfährt, und zwar nicht unbedingt visuell oder auditiv, sondern taktil, propriozeptiv und kinästhetisch. Wer kennt nicht diese Reaktion auf irgendeinen Unfall, den wir bei anderen beobachten: Wenn er geschieht, beißen wir gleichzeitig die Zähne fest aufeinander, entblößen sie durch Zurückziehen der Lippen, kneifen die Augen zusammen, runzeln die Stirn und stocken mit dem Atem, indem wir ihn heftig und hörbar durch die Zahnzwischenräume einziehen. So reagieren wir nicht nur auf das, was wir an anderen wirklich wahrnehmen, sondern auch, wenn uns nur darüber berichtet wird und wir die Erfahrung des Ereignisses simulieren. Wir können solche Widerfahrnisse sogar an Vorstellungen erleben, die wir selbst hervorgerufen haben. Der Simulationscharakter von Wahrnehmungen und Aktivitäten ist auch psychologisch und neuroanatomisch gut abgesichert. Beispielsweise benötigen wir mehr Zeit, um einen vorgestellten Gegenstand im Geist zu rotieren, je weiter wir ihn rotieren. 375 Und beim Vorstellen werden 373 Vgl. Hartmann (1998). 374 Vgl. Barsalou (1999, 2008), Hesslow (2002, 2012). 375 Vgl. Shepard & Metzler (1971), Wexler, Kosslyn & Berthoz (1998), Ganis et al. (2000). 18429_Kasper_SL5.indd 254 18429_Kasper_SL5.indd 254 20.08.2020 10: 56: 25 20.08.2020 10: 56: 25 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 255 weitgehend Neuronenpopulationen rekrutiert, die auch beim tatsächlichen Wahrnehmen und Handeln aktiv sind, als ob wir den Gegenstand mit der inneren Hand rotieren würden. 376 Wahrnehmungen und Handlungen scheinen in gewissem Maße genauso aufgebaut zu sein wie ihre Phantasmen, unsere Vorstellungen. Im Falle unserer visuellen Wahrnehmung - dem Sinn, auf den wir uns am meisten verlassen und in dem vieles zusammenläuft - können wir sagen, dass sie wie die simulierten Wahrnehmungen bildhaft strukturiert sind. 377 Das ist es ja auch, was das Rotationsexperiment zeigt. So ist es nicht nur eine Metapher, von dem inneren Auge zu sprechen. Als nächstes wird es noch einmal nötig sein, über Handlungen zu sprechen. Nehmen wir diesmal das Beispiel des Autofahrens. Jede, die Auto fährt, kann sich daran erinnern, wie schwierig es in den ersten Fahrstunden gewesen ist, die ganzen Bewegungen zu koordinieren, die nötig sind, um an einer Kreuzung mit Linksabbiegerspur und Ampel abzubiegen. Die Trägerhandlungen reichen von Innenspiegel-, Außenspiegel-, Schulterblick über Blinkersetzen, Kuppeln, Runterschalten, Bremsen, auf die Linksabbiegerspur Wechseln und Ampel Beobachten bis hin zu Kuppeln, Runterschalten und Anhalten oder - bei Grün - nochmals Innenspiegel-, Außenspiegel, Schulterblick, Gegenverkehr Beachten und Abbiegen. Der eine oder die andere mag dabei befürchtet haben, das nie hinzukriegen; man hat Teilhandlungen vergessen, falsch oder in der falschen Reihenfolge ausführt. Wer sich heute als routinierte Autofahrerin daran zurückerinnert, kann kaum noch nachvollziehen, wie sie damals solche Probleme haben konnte. Heute ist sie in der Lage, sich mit dem Beifahrer zu unterhalten, während sie alle Trägerhandlungen des links Abbiegens ohne Aufmerksamkeit regelmäßig erfolgreich ausführt. Was zwischen damals und heute passiert ist, ist Routinisierung . Man hat gelernt, Handlungen so oft gelungen und erfolgreich auszuführen, dass man sie nicht mehr aufmerksam ausführen braucht und währenddessen andere Handlungen aufmerksam ausführen kann. Solche Routinen erscheinen, als hätten wir das Steuern des Autos vollständig unserem Leib überlassen, während unser Vorstellungsleben mit dem Gesprächsverlauf beschäftigt ist. Unser Leib scheint sich in einem Flow zu befinden, in dem er wie von Geisterhand geführt Wahrgenommenes in genau die zweckdienlichen Routinehandlungen überführt und Routinehandlungen ihm genau die zweckdienlichen Wahrnehmungen zuführen, die er wiederum in genau die zweckdienlichen Routinehandlungen überführt. 378 Routinisierte Handlungen können aber, falls nötig, jederzeit abgebrochen, modifiziert und wieder aufmerksam übernommen werden. Sie erfüllen also weiterhin notwendige Kriterien für Handlungen. Es wäre daher unangemessen, Routinen, die immer Handlungen betreffen, mit Automatismen zu verwechseln, die immer Verhalten betreffen. So, wie sich automatisches, insbesondere vegetatives, Verhalten unterhalb einer Wahrnehmungsschwelle abspielen kann, so können wir Handlungen unterhalb einer (nicht zu dinglich zu verstehenden) Aufmerksamkeitsschwelle ausführen. 376 Vgl. Vingerhoets et al. (2002). 377 Vgl. Bruce, Green & Georgeson (2003). 378 Vgl. Hermann Schmitz im Gespräch mit Christoph Demmerling und Heinz Becker, in: Neue Phänomenologie ([2010] 2015): Hermann Schmitz im Gespräch I/ 5 Einführung. YouTube. Online verfügbar unter: <https: / / www.youtube.com/ watch? v=SVPx5j-WUV8&list=PLRfx7SpBqcw8gLg0sCoc06DeNrM- 1KzsEu&index=5> [31.05.2019]. 18429_Kasper_SL5.indd 255 18429_Kasper_SL5.indd 255 20.08.2020 10: 56: 25 20.08.2020 10: 56: 25 256 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Zentral bei der Routinisierung ist also, dass die Linie Pertinenz - Handlung - Zwecke vollständig intakt bleibt, aber in der Aufmerksamkeit abgesunken ist. Wenn wir bekannte Strecken routinisiert mit dem Auto fahren und uns dabei aufmerksam unterhalten, sind die Landmarken der durchquerten Umwelt und die Instrumente unserer Steuerungshandlungen noch immer pertinent, aber wir haben die Wahrnehmungen und die Handlungen so oft unter derselben verengten Hin-Sicht ausgeführt, dass wir kognitiven Aufwand benötigen würden, um andere Aspekte pertinent zu machen und andere Handlungen auszuführen. Wer in seiner Wohnung einmal Räume getauscht hat, etwa Schlafzimmer und Büro, nachdem sie jahrelang fest zugeordnet waren, hat sicher schon die Erfahrung gemacht, dass er noch oft bis fast ins Büro gegangen ist, obwohl er eigentlich in das Schlafzimmer wollte oder umgekehrt. Der Gang war so routinisiert, das Gelingen der Handlung so lange an die Wahrnehmung-Motorik-Koordination des Leibes abgegeben, dass nur durch aufmerksame Überwachung der eigenen Wahrnehmungen und Handlungen der Weg in den richtigen Raum gelingt, ohne zuvor in Richtung des falschen zu gehen. Mittels Routinisierung können also mehrere Handlungen gleichzeitig ausgeführt werden. Wenn wir den inklusiven Handlungskreis prozessual betrachten, könnte man sagen, eine Handlung, etwa Singen, bestehe im vielfachen Durchlaufen dieses Kreises. Routinisierung führt dazu, dass sozusagen dahinter, in der Aufmerksamkeit abgesunken, im Rahmen einer weiteren komplexen Handlung, ein ebensolcher Kreis durchlaufen werden kann, beispielsweise Kaffee Kochen oder Klavier Spielen. Man könnte so weit gehen zu sagen, dass eine Handlung erst dann richtig beherrscht wird, wenn sie nicht mehr aufmerksam ausgeführt werden braucht, das heißt, wenn sie routinisiert ist. Unsere Fertigkeit in den entsprechenden Handlungen steigt mit der Anzahl der Wiederholungen - ein Frequenzeffekt -, so dass die Handlungen häufiger gelingen und erfolgreich sind. Ich komme nun zurück auf die Frage, wie aspektvereinseitigte Vorstellungen überhaupt möglich sind. Wir sind, das müssen wir als entwicklungsgeschichtliches Faktum voraussetzen, weltoffene Wesen: Die Welt bietet unseren Sinnen eine phänomenale Fülle, und unsere motorischen Fähigkeiten sind so vielseitig, dass diese Eigenschaften unter den bekannten Lebewesen einzigartig und in ihrer Ausprägung konkurrenzlos sind. Wahrnehmungs- und motorische Möglichkeiten komplementieren sich, wie ich am Verhaltens- und am inklusiven Handlungskreis argumentiert habe. Und Vorstellungen habe ich als simulierte Wahrnehmungen und Aktivitäten charakterisiert. Das bedeutet, wir verfügen über aspektvereinseitigende Vorstellungen nur insofern und insoweit, als wir uns die phänomenale Fülle, der wir als Menschen ausgesetzt sind, in unserer speziesbezogenen und individuellen Entwicklungsgeschichte wahrnehmend handelnd und handelnd wahrnehmend durchgearbeitet haben . Das Medium dieser Erschließung war uns der Leib. Was heißt das? Wenn ich mich umsehe, während ich dies hier schreibe, sehe ich genau einen Naturgegenstand: einen abgebrochenen Ast, den meine Tochter - wie übrigens noch viele, viele andere Waldfunde - geruht hat, in unser Heim zu tragen. Alles andere sind Artefakte. Wenn ich also meinen Blick darüber schweifen lasse, sehe ich Dinge, auf die man sich betten kann, Dinge, an denen man sich stoßen kann, Dinge, die man lesen kann, Dinge, die man gespannt betrachten kann, Dinge, die man heben kann, indem man sie an einem eigens dafür designten porzellanenen Bogen greift und so weiter. All diese Dinge können auch genommen und versetzt, gegen die Wand gehauen, auf den Kopf gestellt, ineinander geschachtelt, beschmiert, mit Flüssigkei- 18429_Kasper_SL5.indd 256 18429_Kasper_SL5.indd 256 20.08.2020 10: 56: 25 20.08.2020 10: 56: 25 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 257 ten getränkt, befüllt, sich gegen den Kopf geschlagen werden und so weiter und so fort. Um mit Arnold Gehlen zu sprechen, übersehe ich alles in meiner Umgebung und ich sehe die Gebrauchs- und Umgangswerte der Gegenstände meiner Umgebung mühelos mit . Sie sind im Falle von Artefakten verengter als im Falle von Naturgegenständen, in der Sache ändert dies aber nichts. Die Gebrauchs- und Umgangswerte mitzusehen, heißt streng genommen, mit Wahrnehmungs- und Vorstellungsphantasmen auf Andeutungen anzuspringen, die Gegenstände unseren Sinnen, allen voran unserem Sehsinn, vermittels ihrer Merkmale machen. Die Entdeckung Gehlens ist wichtig genug, um in seinen eigenen Worten wiedergegeben zu werden. Man kann […] zeigen, daß in der Gesetzlichkeit der uns wahrnehmbaren Welt, der anscheinend ohne unser Zutun den Sinnen gegebenen Wirklichkeit, die menschliche physische Eigentätigkeit darinsteckt; die komplizierten Prozesse der Zusammenarbeit von Körperbewegung, Auge und tastender Hand lassen sich so weit analysieren, daß klar wird: der ‚unmittelbare‘ Bestand der gegebenen Welt ist hochgradig durch unsere Eigentätigkeit vermittelt und geradezu ein Resultat. Am Ende dieser hier nicht entfernt darzustellenden Prozesse, welche den Hauptinhalt der Leistungen der frühen Kindheit ausmachen, steht jedenfalls die Tatsache, daß wir uns in einer optisch völlig übersehenen Welt befinden, deren Einzelheiten uns zwar durch Gestaltumrisse, Farbwerte, Größendifferenzen, Abschattungen, Verkürzungen usw. nur angedeutet (symbolisch gegeben) sind, jedoch so, daß uns die Umgangs- und Gebrauchswerte rein optisch mitgegeben werden, also die Trockenheit, Materialstruktur, Schwere, Entfernung, ja die ‚Handlichkeit‘ der Dinge. 379 Die Aspektvereinseitigungen, die unseren inklusiven Handlungskreis kennzeichnen und die nur dadurch möglich sind, dass wir offen gegenüber der phänomenalen Fülle unserer Umwelt sind, werden hier als Resultat dargestellt. Es besteht darin, dass wir als erwachsene Menschen in materiellen Kulturen an der phänomenalen Fülle praktisch vermittelte Engführungen vornehmen, die die Fülle reduzieren, übersehbar und damit - im wörtlichen Sinne - handhabbar machen. Durch den Simulationscharakter von Vorstellungen sind uns die Gebrauchs- und Umgangswerte von Gegenständen - ihr Pertinenzpotenzial - auch in der Vorstellung verfügbar. Wir müssen dieses Resultat in Beziehung setzen zu Entwicklungsstufen des menschlichen Individuums, in denen die entsprechenden Fähigkeiten noch nicht ausgewickelt sind. Die Entwicklungsprozesse nicht durchlaufen zu haben, die zu dem beschriebenen Resultat führen, heißt, der phänomenalen Fülle ausgeliefert zu sein, ohne Aspektvereinseitigungen vornehmen zu können, sich im Verhaltenskreis vorgegebener Einseitigkeit zu drehen und mit nicht handhabbaren Reizen konfrontiert zu sein. 380 Für manche salienten Reizqualitäten hat das Baby fertige Verhaltensweisen. So dockt es relativ mühelos an die Brust an, aber selbst dabei muss die strukturelle Kopplung von Mund und Brust oft noch optimiert werden, damit das Baby 379 Gehlen ([1941] 1983: 56-57). Vgl. ebenso Gehlen ([1942, 1951] 1983) und Gehlen ([1940] 1995). 380 Hier wird bisweilen sogar von einer Bilder„flut“ gesprochen. Zu der damit verbundenen kognitiven Überlastung vgl. beispielsweise Cassirer ([1923, 1925, 1929] 2010, passim), Langer (1972, Kap. 17 & 18), Schwemmer (1997a, Kap. II). Bei Jaynes [1976] 2000) ist es eine Heimsuchung durch Stimmen. Stellvertretend lautet es bei Cassirer ([1925] 2010, II: 39): „Denn die unzerlegten Inhalte und Gestaltungen der Wahrnehmung als solche bieten diesem Denken keinen Halt und Stützpunkt dar. Sie fügen sich keiner durchgehenden und festen Ordnung, sie tragen nirgends den Charakter wahrhaft eindeutiger Bestimmtheit, sondern sie stellen vielmehr, in ihrem unmittelbaren Dasein aufgefaßt, ein schlechthin Fließendes und Flüchtiges dar, das jedem Versuch, an ihm selbst wahrhaft scharfe und genaue ‚Grenzen‘ zu unterscheiden, widerstreitet.“ 18429_Kasper_SL5.indd 257 18429_Kasper_SL5.indd 257 20.08.2020 10: 56: 25 20.08.2020 10: 56: 25 258 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze genug Milch ansaugen kann und die Mutter nicht zu viele Schmerzen leidet. Abgesehen von den vergleichsweise wenigen ererbten Reaktionen auf Reize ist die wahrnehmbare Umwelt für das Baby noch nicht gegliedert in übersehbare Gegenstände, die dem erwachsenen Menschen jeweils als etwas fungieren können, sondern begegnet ihm je unvermittelt in Form von jeweils diffusen, also ungegliederten Ganzheiten. Die Entwicklung muss also dahin führen, die Pertinenzlinie überhaupt erst auszubilden und das heißt, einen Pertinenzfilter für die wahrnehmbare Wirklichkeit auszubilden, der in das aspektvereinseitigende Vorstellungsleben mündet, das das menschliche ist und die Zentralstelle des inklusiven Handlungskreises darstellt. Das wird so erreicht, daß die Bewegungsübungen des unreifen Organismus in die Entwicklung seiner Wahrnehmungsleistungen eingebaut sind, so daß der Mensch ‚lernend wächst‘, indem die Entdeckung des Sichtbaren nur tätig möglich ist und wieder die Entwicklung des Bewegungsvermögens von wechselnden Reihen sinnlicher Eindrücke begleitet und gefolgt ist. Am Ende jedenfalls steht ein Organismus, in dem ein ungemeiner Reichtum möglicher und ‚gekonnter‘ Bewegungen darauf wartet, auf eine Andeutung hin einzuspringen, die die menschliche Umsicht und Vorsicht einer Welt mühelos übersehbarer, distanzierter und doch intimer Reize nimmt. Der genaue Gegensatz dieser sehr mühsam entwickelten Fähigkeit ist die ebenso großartige Spezialisierung, mit der viele Tiere auf einen noch nie gesehenen, sehr besonderen Umwelteindruck mit einer angeboren fertigen, flüssigen und vollkommen zweckmäßigen [lies: funktionalen - SK] Bewegungsfolge reagieren, wie etwa junge Graugänse auf die Silhouette des Raubvogels […]. 381 Der Weg zur Aspektvereinseitigung des Vorstellungslebens und zu den mannigfaltigen Aktionssuggestionen des Wahrnehmbaren führt also über den Leib, über die motorische Entwicklung in Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung. 382 Für ein illustratives Beispiel für die Diffusität der Frühphase halte ich das Baby, das sich des Öfteren echte Kratzer im Gesicht beibringt, davon sichtbar und hörbar erschrocken ist und Schmerzen empfindet, dabei aber kein klares und deutliches Gefühl dafür und schon gar keine Kenntnis darüber hat, dass es sich diesen Kratzer selbst beigebracht hat, und dies zudem mit einem Teil von sich selbst. Durch bloßes Schauen allein wird das Baby nicht herauskriegen, dass es einen Arm hat und dass es damit kratzen kann. Unsere Innenwelt ist konstituiert daraus, dass wir Theoretiker (Beschauer) und Praktiker (Macher) sind. Unsere Vorstellungwelt bildet nicht durch das bloße Beschauen der Phänomene feste, aspektvereinseitigende, immer wieder evozierbare Vorstellungen von diesen Phänomenen aus. Dafür müssen wir mit und an den Phänomenen erst etwas gemacht haben, wir müssen sensorische Rückmeldung von ihnen bekommen haben, um sie zu objektivieren, sie uns als Gegen-Stände gegenüberzustellen. 383 In dem Maße, wie wir auf diese Weise dann Praktiker bereits geworden sind, können wir auch am bloßen Beschauen der Phänomene unsere Vorstellungswelt ausbilden. Dann, und nur dann, können wir auch unsere praktischen Fähigkeiten verlieren, ohne die Pertinenzlinie mitzuverlieren. 384 381 Gehlen ([1941] 1983: 57). 382 Für historische Aufarbeitungen der Geringschätzung für körperliche Tätigkeiten im Gegensatz zu rein geistigen und die vernichtenden Konsequenzen für die Erkenntnistheorie vgl. Dewey ([1928] 1998) und Janich (2016). 383 Vgl. auch Cassirer ([1930] 2009a, [1925] 2010, II: 235, 250-252), Schwemmer (1997a, 1997b). Zu empirischen Ergebnissen vgl. Adolph, Eppler & Gibson (1993a, 1993b), Bushnell & Boudreau (1993), Adolph & Berger (2006). 384 Vgl. Laakso (2011). 18429_Kasper_SL5.indd 258 18429_Kasper_SL5.indd 258 20.08.2020 10: 56: 26 20.08.2020 10: 56: 26 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 259 Um es kurz zu machen: Unser Vorstellungsleben, und dazu zählen die Prozesse der Assoziation, Kategorisierung und Schematisierung, ist grundlegend durch unsere eigentätige leibliche Erschließung unserer Umwelt geformt. Unser Vorstellungsleben ist handlungsförmig und unsere Handlungen sind leiblich. Was uns zu Beginn unserer Entwicklung immer nur als Hort von Widerfahrnissen begegnet, die diffuse Umwelt, wird uns zu einer ausdifferenzierten Gegenstandswelt, einem übersichtlichen Repertoire an Mitteln zu selbst gesetzten Zwecken, und zwar aus einer verleibten Innenwelt heraus. Über die Vorstellungswelt, über saliente und pertinente Gegenstände und Merkmale von Gegenständen lässt sich sinnvoll nur unter Bezug auf den Leib sprechen. Der Leib ist dabei nicht bloß ein Körper wie jeder andere. Insofern an einen Körper eine Innenwelt gebunden ist, die den Körper zu ihrem Gegenstand machen kann, können wir vom Körper als Leib sprechen: ein je eigener Körper, den wir merken und bemerken, fühlen und befühlen können, den wir lieben und verachten können, von dem wir uns aber nicht trennen können, weil wir in ihm sind, zu dem wir aber eine imaginäre Distanz gewinnen können, indem wir uns innerlich außerhalb von ihm positionieren und ihn von dort aus objektivieren und als Körper gegenüberstellen. Objektiviert ist er ein Körper unter anderen, ein Drittes zu uns, aber die Objektivation wird vorgenommen von der ersten Person, von mir, der ich einen Leib habe und durch einen Leib bin, der nicht bloß einer unter anderen ist. 385 4.3.5 Die Fünfte im Bunde: Effizienz Ich habe Salienz und Pertinenz als Typen der Bedeutsamkeit eingeführt. Sie können uns als Erklärungen dafür dienen, was wir (an einem Gegenstand) überhaupt wahrnehmen, zu einem Ganzen zusammenfügen, als etwas Bestimmtes erkennen und wie wir es in unser Handeln oder Verhalten einbeziehen. Ich hatte Salienz und Pertinenz als alternative Erklärungen für frequenz- (und rezenz-)basierte Erklärungen für das gleiche Problem behandelt. Diese boten, so das Argument, bloß flache Erklärungen für die kognitiven Aktivitäten. Tatsächlich wäre es wünschenswert, die qualitativen und die quantitativen „-enz“-Faktoren in einer einzigen Erklärungsform vereint zu sehen. Um das zu erreichen, möchte ich nun über Effizienz sprechen. Zunächst, neutral gesprochen, betrifft Effizienz die Frage, mit wie viel Aufwand eine Aufgabe vor dem Hintergrund der verfügbaren Ressourcen erfüllt werden kann, soll oder muss. Zu wenig Aufwand könnte dazu führen, dass die Aufgabe nicht erfüllt wird, der Ertrag könnt zu viel Aufwands nicht wert sein oder zu viel Aufwand könnte die Aufgabe ebenfalls nicht erfüllen. Aufwand kann in investierter Zeit oder investierter Mühe oder beidem bestehen. Die Kehrseite des Aufwands ist die Sparsamkeit. Man könnte auch sagen, eine Aufgabe effizient zu erfüllen besteht darin, sie so sparsam wie möglich zu erfüllen. Mehrere Verbindungslinien zur Pertinenz- und zur Salienzlinie ergeben sich unmittelbar. Schauen wir zunächst auf den inklusiven Handlungskreis. Wir könnten sagen, ein konkreter Handlungskreis sei effizient, sofern er vor dem Hintergrund der verfügbaren mentalen und physischen Ressourcen einen Zweck mit nicht mehr und nicht weniger als dem nötigen Aufwand realisiert, wie in (50) unten erfasst ist. Wenn zwischen mir und dem Kaffee zu viele Widerfahrnisse liegen - etwa weil ich feststelle, dass ich erst Kaffeebohnen werde besorgen 385 Zum Begriff des Leibes vgl. Plessner ([1928] 1975, besonders 293-308), Husserl (1952, besonders 158) und Husserl (1973), Merleau-Ponty ([1945] 1966, besonders 123-127), Waldenfels (2000, besonders Kap. 1), Schmitz (2011, besonders 1-6). 18429_Kasper_SL5.indd 259 18429_Kasper_SL5.indd 259 20.08.2020 10: 56: 26 20.08.2020 10: 56: 26 260 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze müssen - wird mir der Aufwand möglicherweise zu groß, sie zu überwinden und ich gebe auf. Stehen mir kaum Widerfahrnisse im Wege - alles da, alles sauber, alles aufgefüllt - kann ich die Handlung des Kaffeemachens sehr schnell und mit wenig Mühe ausführen. Je besser mir die Handgriffe gelingen - wozu Frequenz und Rezenz zweifellos einen großen Beitrag leisten - desto routinisierter kann ich sie ausführen. Routinisierung kann sowohl Zeit als auch Mühe - nämlich Konzentration - sparen. Bei gleich guter Zweckerfüllung leistet Routinisierung also einen Anstieg an Effizienz für einen Handlungskreis. (50) Effizienz inklusiver Handlungskreis = Mühe : Sparsamkeit | mentale & physische Ressourcen Zweckrealisierung Betrachten wir nun den Verhaltenskreis. Ich hatte erwähnt, dass der inklusive Handlungskreis dadurch gekennzeichnet ist, dass wir, um unsere Zwecke zu erreichen, ständig saliente in pertinente Reize umformen müssen. Während wir also wahrnehmend handeln und handelnd wahrnehmen, um vorausschauend vorgestellte Eventualitäten zu verwirklichen, widerfahren uns unvorhergesehene Dinge. Etwas sieht anders aus als vorgestellt, wir werden gezwungen, auf etwas zu reagieren oder Sonstiges. Daraus müssen wir neue Unterzwecke konstruieren. Nun ist es aber so, dass manche salienten Reize von uns eine Aktivität erfordern, bevor wir in der Lage sind, sie als pertinente Reize in unseren Handlungsplan zu integrieren. Das könnte der Fall sein, wenn wir beispielsweise einen Stein auf uns zufliegen sehen. Er löst eine automatische Reaktion aus. Die Funktion dieser Reaktion liegt natürlich darin, meine leibliche Unversehrtheit sicherzustellen. Ein Kennzeichen eines solchen Verhaltenskreises ist die hohe Geschwindigkeit, mit der die Wahrnehmung in eine funktional angemessene Reaktion überführt wird. Im Verhaltenskreis hatten wir diese Verbindung ja auch als unmittelbar ausgezeichnet. Sie ist aufgrund ihrer Unmittelbarkeit auch viel schneller als eine vermittelte Verbindung im Handlungskreis. Die Vermittlung über das Erkennen-als, die vorausschauende Konstruktion eines Unterzwecks und über einen Handlungsentwurf würde mentale Ressourcen und Zeit kosten - Zeit, in der der Stein längst gegen unseren Kopf geschlagen wäre. So weichen wir automatisch aus. Der Verhaltenskreis ist effizient, insofern eine vitale Funktion vor dem Hintergrund der verfügbaren Ressourcen mit nicht mehr und nicht weniger als dem nötigen Aufwand erfüllt wird, wie in (51) erfasst. (51) Effizienz Verhaltenskreis = Mühe : Sparsamkeit | mentale & physische Ressourcen Funktionserfüllung Zu viel physischer Aufwand würde zu einem Treffer führen. Zu wenig physischer Aufwand? Ebenfalls Treffer. Vermittlung durch Nachdenken? Auch Treffer. Hier ist es also ein weitgehend ererbtes, in seinem Mühe-Sparsamkeitsverhältnis automatisch kalkuliertes Verhalten, das effizienter als alternative Verhaltens- und vor allem Handlungsarten ist. Der heranfliegende Stein suggeriert ein Ausweichverhalten. Für die Effizienzerwägungen sind auch die verschiedenen Lernformen für verschiedene Verhaltens- und Handlungsarten relevant. Das heißt, bei den Formen der Konditionierung, 18429_Kasper_SL5.indd 260 18429_Kasper_SL5.indd 260 20.08.2020 10: 56: 26 20.08.2020 10: 56: 26 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 261 aber nicht bei Reflexen und der Prägung steigert Frequenz die Effizienz von Verhaltensarten, indem sie das Verhältnis von Mühe und Sparsamkeit verringert, ohne die Funktionserfüllung anzutasten. Die Effekte davon sind die gleichen wie in der Sprache: Die entsprechenden Verhaltensarten sind die neurophysisch verfestigsten und sobald die Auslöser da sind, sind sie diejenigen, die am leichtesten verfügbar sind und automatisch ablaufen, sofern nicht irgendetwas dazwischenkommt. Im Falle des Handelns ist die Optimierung des Mühe-Sparsamkeitsverhältnisses bei gleichbleibender Zweckrealisierung grundsätzlich stärker von der Wiederholung abhängig. Hiermit ist die Routinisierung verbunden. Damit können wir nun die Effekte der quantitativen „-enz“-Faktoren, Frequenz und Rezenz, besser verorten: Sie betreffen die Mühe-Sparsamkeitsverhältnisse in Handlungskreisen und Kreisen konditionierten Verhaltens, indem sie sie in Bezug auf die entsprechenden Zweckverwirklichungen beziehungsweise Funktionserfüllungen effizienter machen. Die Fragen nach der Bedeutsamkeit müssen unter Bezugnahme auf die qualitativen „-enz“-Faktoren Salienz und Pertinenz beantwortet werden, umso mehr bei den Verhaltensarten, bei denen Frequenz gänzlich unabhängig von Effizienz ist: den Reflexen, geprägtem Verhalten und den Instinkten. Ganz zu Anfang, im ersten Kapitel, hatte ich unterschieden zwischen Deutungsroutinen und Deutungsarbeit. Was ich dort über die Deutung gesagt habe, gilt nun auch für die anderen Handlungen: Je routinisierter eine Handlung durch Wiederholung und Übung wird, desto eher und müheloser führen wir sie aus, wenn die assoziierten Bedingungen gegeben sind. Kennzeichen einer Handlung ist, etwas auch unterlassen oder anders machen zu können. In Hinsicht auf die Effizienz stellt dies dann aber Arbeit dar. 4.3.6 Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste: Effizienz online The person perceiver’s fundamental task is […] to find sufficient reason why the person acted […]. Instead of a potentially infinite regress of cause and effect […] the perceiver’s explanation comes to a stop when an intention or motive is assigned that has the quality of being reason enough […]. ( Jones & Davis, From acts to dispositions, S. 220) Bis hierhin habe ich es mir noch ein wenig leicht mit unseren Reizen gemacht. Ich habe immer so getan, als hätten wir es mit genau einem gleichbleibenden Reiz zu tun, den wir als solchen erkennen und von dem bestimmte Merkmale für uns besonders salient oder pertinent sein können, weil sie Konsequenzen für unser Verhalten beziehungsweise Handeln haben. In Wirklichkeit tun uns die Reize diesen Gefallen nicht. Eventualitäten entfalten sich in der Zeit und wir nehmen sie in der Zeit wahr. In ihrem Verlauf können Gegenstände entstehen, sich verändern, vergehen oder ihre Lage in Beziehung zu anderen Gegenständen oder Orten verändern. Man denke an den Jünger, der die Mutter Jesu zu sich nahm. Und genau wie in der Online-Interpretation von sprachlichen Äußerungen warten wir nicht, bis ein Ereignis zu Ende ist, bis wir mit seiner Deutung beginnen. Nicht nur das Interpretieren, auch das Interpretierte braucht Zeit. Die Tatsache, dass der zeitliche Verlauf unserer Interpretationsaktivitäten am zeitlichen Verlauf der interpretierten Eventualität festgeknüpft ist, verschafft uns in Bezug auf Effizienzerwägungen noch einmal einen neuen alten Gesichtspunkt: den der Erwartung oder Vorhersage beziehungsweise der Überraschung oder Irritation. 18429_Kasper_SL5.indd 261 18429_Kasper_SL5.indd 261 20.08.2020 10: 56: 26 20.08.2020 10: 56: 26 262 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Ich hatte begonnen mit der Frage, was es ist, das festlegt, was wir eher erwarten als anderes, dessen Auftreten wir eher vorhersagen. Ich hatte die quantitativen zugunsten der qualitativen „-enz“-Faktoren zurückgestellt, da ich auf einen Begriff der Bedeutsamkeit angewiesen war. Ich hatte das Pertinente als das charakterisiert, was im Handeln von unseren vorausschauenden Vorstellungen aus erwartbar oder vorhersagbar ist, und das Saliente als dasjenige, das uns unerwartet widerfährt, unsere Aufmerksamkeit vom Pertinenten abzieht und Verhaltensreaktionen auslöst, die vitalen Funktionen dienen. Etwas geschieht und stets fragen wir uns: Was steht womit in welcher Beziehung? In Bezug auf den Handlungskreis stellt sich diese Frage, insofern sie von unserer Vorgabe Dies und das soll geschehen. abgeleitet ist und die Möglichkeit, dies und das geschehen zu lassen, von der vorausschauenden Vorstellung abhängt, dass dies mit dem in der und der Relation steht. Im Verhaltenskreis ist die Frage danach, was womit in welcher Relation steht, viel dringlicher. Erstens hat das Wahrgenommene nicht notwendig etwas mit dem vorausschauend Vorgestellten zu tun, das ich gerade versuche, in die Tat umzusetzen. Dass auf meinem Weg zum Kaffeeautomaten plötzlich an der Seite die Tür aufgeht und mein Kollege mich anspricht, ist kein Widerfahrnis, das ich an Komponenten meines Handlungsentwurfs erlebe, der sich damit als revisionsbedürftig erweist, sondern etwas, das ganz von außerhalb dieses Handlungsentwurfs kommt. Es ist also sozusagen nochmal unerwarteter als bloß im Rahmen meiner Pläne unerwartet. Zweitens dient der Verhaltenskreis vitalen Funktionen. Dazu hatte ich neben der Nahrungsaufnahme und der Reproduktion auch die leibliche Unversehrtheit genannt. Der Wahrnehmungsteil des Verhaltenskreises ist also dazu da, bei bestimmten Reizqualitäten Alarm zu schlagen, weil Fress-, Reproduktions- oder Sterbechancen bestehen. Nehmen wir nun noch einmal den Grad an Effizienz zum Ausgangspunkt, den die Ausweichreaktion auf einen heranfliegenden Stein widerspiegelt. Wie könnten wir uns die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Verhalten hier noch effizienter vorstellen? Auf der Suche nach einer Antwort müssen wir uns auch fragen, ob mit dem Vorbeifliegen des Steins an unserem Kopf alles wieder gut ist und wir unseren ursprünglichen Zwecken nun weiter nachgehen können. Dann hätten wir das Maximum an Effizienz vielleicht schon erreicht. Wir würden dann sozusagen nach dem Reflex wieder in den Handlungskreis einbiegen. Oder ist es nicht eher so, dass dort, wo ein Stein in Richtung meines Kopfes fliegt, ein anderer vielleicht folgen könnte? Vor diesem Hintergrund wäre es effizient, wenn wir mit einem gewissen Erfolg auf der Basis von dem, was gerade passiert, vorhersehen könnten, was gleich passieren wird. Und die effektivste Weise, vorherzusagen, was als nächstes passieren wird, ist es, dasjenige zu identifizieren, was die Eventualität hervorbringt, mit der ich gerade konfrontiert bin. Dieses können wir das vordere Ende einer Eventualität nennen. Die letzte Wirkursache eines salient auf mich zufliegenden Steins zu identifizieren, heißt, das vordere Ende dieses Ereignisses zu identifizieren. Zu wissen, was das Ereignis hervorgebracht hat, erlaubt mir vorherzusagen, wie das Ereignis ausgehen wird, ob es sich wiederholen wird und so weiter. Es macht mich wieder handlungsfähig und zwar viel effektiver, als wenn ich jeweils nur auf den unmittelbaren Reiz reagieren würde, ohne mich weiter um sein vorderes Ende zu kümmern. Meine These ist nun, dass wir tatsächlich so verfahren, dass wir beim ersten geeigneten Kandidaten davon ausgehen, dass er die Ursache dessen ist, was gerade passiert , und nicht nur das, sondern dass wir auch davon ausgehen, in ihm nichts weniger als eine verantwortlich handelnde Person 18429_Kasper_SL5.indd 262 18429_Kasper_SL5.indd 262 20.08.2020 10: 56: 26 20.08.2020 10: 56: 26 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 263 als Ursache vorzufi nden. Ich nenne dies die Präferenz für (verantwortliche) Ursachen. 386 In verschiedenen Domänen menschlicher Aktivität taucht sie in je eigener Gestalt und theoretischer Fassung auf. 387 Würden wir hinter dem Stein, also weiter vorne im Ereignis, keine potentielle Ursache identifi zieren können, wäre dies im Vergleich zu einer verantwortlichen Verursacherin ein irritierendes Widerfahrnis. Einen Gegenstand vorzufi nden, wäre demgegenüber erwartet. Als erfahrene Akteure in der Welt wissen wir sodann aber, dass unbelebte Gegenstände sich nicht von selbst bewegen und in ihrer Bewegung von jemandem oder etwas abhängen. Ein unbelebter Gegenstand wäre also gegenüber gar keinem Gegenstand weniger, aber gegenüber einer verantwortlichen Verursacherin immer noch irritierend. Ein belebter oder gar humaner Gegenstand wäre also gegenüber einem unbelebten erneut erwartet. Falls wir einen humanen Gegenstand, eine Person, als vorderes Ende ausmachten, gäbe es wieder zwei Möglichkeiten: Erstens könnte das, was die Person getan hat, von etwas oder jemand anderem verursacht worden sein. Das wäre immerhin weniger irritierend, als gar keine mögliche Ursache oder eine niedriger belebte zu identifi zieren; aber gegenüber einer verantwortlichen Verursacherin ist es wiederum dennoch eine Erwartungsverletzung. Zweitens könnte die Person zweckgerichtet gehandelt haben. Falls wir ihr dies zuschrieben, wäre ihr Handeln selbst unverursacht und sie gewiss das vordere Ende des Ereignisses, also der Idealfall, im Vergleich zu dem die schrittweisen Abweichungen zunehmend irritierender sind (Abbildung 92) 388 . Abb. 92: Dynamik der Präferenz für verantwortliche Ursachen 386 Kasper (2014, 2015b). 387 Vgl. Heider ([1958] 2015, insbesondere Kap. 4 und S. 117) zur allgemein-kognitiven Rolle, Gallagher & Frith (2003) im Kontext der „Theory of Mind“, Jones & Davis (1965: 220) im Kontext der kausalen Attribution, Kahneman (2012: 90) und Oosterhof & Todorov (2008) zum Überlebenswert im Kontext der Evolution. 388 Bei der gestrichtelten Linie mag man sich die Stufen zwischen unbelebten Gegenständen und Menschen auf der Belebtheitshierarchie denken, über dem „Gegenstand“ Massen und Abstrakta. 18429_Kasper_SL5.indd 263 18429_Kasper_SL5.indd 263 20.08.2020 10: 56: 28 20.08.2020 10: 56: 28 264 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Die Gründe oder Motive einer Person zu kennen, erlaubt dagegen eine sehr genaue Vorhersage dessen, was passieren wird, ob man selbst Chancen oder Gefahren zu erwarten hat, und ermöglicht deshalb, das eigene Handeln daraufhin zu entwerfen. Und gerade bei menschlichen Ursachenkandidaten interpretieren wir etwa deren Gesichtsausdrücke automatisch hinsichtlich der Dimension gefährlich versus harmlos. 389 Man beachte, was sich hinter diesen kognitiven Aktivitäten verbirgt: Es ist zum einen die außersprachliche Variante der sprachlichen Agens zuerst-Präferenz. Der Agens zuerst-Präferenz entspricht es, davon auszugehen, dass ein Ereignis eine Ursache, ein vorderes Ende hat und dass der erste mögliche Gegenstand diese Ursache ist. Zum anderen finden wir hier auch die Schlussfolgerung von menschlichen auf verantwortliche Ursachen. Ihr entspricht, bei der identifizierten Ursache, dem vorderen Ende der Eventualität, von der höchsten Agentivität auszugehen . Wir nehmen den Stein wahr, weil er salient ist, reagieren unmittelbar mit einem Ausweichreflex und damit wird schon eine vorausschauende Vorstellung in Gang gesetzt, in der das Fliegen des Steins verantwortlich verursacht worden ist. Im Rahmen der Suchaktivität folgen Kategorisierungsprozesse hinsichtlich des Vorgefundenen mit der Erwartungserfüllungs- und -verletzungsdynamik aus Abbildung 92. Der Stein ist der erste Gegenstand, der die Erwartung einer verantwortlichen Ursache verletzt. Aus dem Gesagten zum Handlungskreis und zur Effizienz lässt sich auch direkt eine zentrale Rolle für die Belebtheit ableiten: Als je höher belebt sich ein Gegenstand im Rahmen der Wahrnehmung und Kategorisierung erweist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass er die Erwartung einer verantwortlichen Ursache erfüllt. Anders ausgedrückt, ist hohe Belebtheit ein Anzeiger für verantwortliche Ursachen . 390 4.3.7 Die Präferenz für verantwortliche Ursachen im inklusiven Handlungskreis Wie können wir nun die Suchaktivität nach verantwortlichen Ursachen mit dem inklusiven Handlungskreis zusammenbringen? Die Frage ist, kurz gesagt, ob es sich um eine Verhaltens- oder um eine Handlungsart handelt. Die Antwort ist theoretisch zentral, sie ist allerdings nicht leicht zu geben. Die Schwierigkeit besteht in Folgendem: Ich hatte die Salienzlinie die senso motorische genannt und die Beziehung zwischen Wahrnehmung und motorischer Aktivität als unmittelbar bezeichnet. Dabei handelte es sich aus Gründen der Darstellung um eine Zuspitzung der Verhältnisse; sicherlich stellt dies einen Extrempol dar. Gerade instinktives Verhalten, auf das ich bereits hingewiesen hatte, kann in der Tierwelt erstaunlich komplex sein. Man denke zum Beispiel an die Navigations- und Heimfindefähigkeiten von Ratten beziehungsweise Vögeln und Krokodilen, an Brutpflegeaktivitäten, die sehr ausdauernd sind, oder aber an das sogenannte Appetenzverhalten. Dabei hat das Tier einen inneren, instinktiven (An-)Trieb zu einer bestimmten Aktivität mit vitaler Funktion. Zur Auslösung der Aktivität bedürfte es aber eines äußeren Reizes. Appetenzverhalten bringt diesen Reiz in Wahrnehmungsreichweite. Wir sollten bei solchen Verhaltensarten nicht ausschließen, dass 389 Vgl. Oosterhof & Todorov (2008). 390 Das geht so weit, dass wir als Menschen sogar unbelebte Gegenstände vermenschlichen, mit der Funktion, sie für uns als verantwortliche Agenten berechenbar zu machen oder als soziale Partner in emotionale Nähe zu uns zu bringen (vgl. Epley, Waytz & Cacioppo 2007). 18429_Kasper_SL5.indd 264 18429_Kasper_SL5.indd 264 20.08.2020 10: 56: 28 20.08.2020 10: 56: 28 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 265 Vorstellungen eine Rolle spielen können. Der Unterschied zur Pertinenzlinie bleibt dabei aber bestehen: Falls beim Instinktverhalten Vorstellungen beteiligt sind, lösen diese das Verhalten automatisch aus. Die Tiere handeln dann nicht flexibel aus zweckrationaler Abwägung, indem Vorstellungen zwischen Wahrnehmungen und Aktivitäten vermitteln. 391 Tiere nehmen dadurch auch nicht vom selbstgewählten Ziel her eine flexible Aspektvereinseitigung vor. Das Ziel ist weitgehend ebenso alternativlos wie der einseitige Aspekt, unter dem dem Organismus diejenigen Reize erscheinen, die nützlich für die Erreichung des Ziels, die Erfüllung der vitalen Funktion sind. Die Reize sind nur Reize in Hinsicht auf dieses Ziel, und ansonsten nichts. Der zentrale Punkt ist aber, dass dabei bestimmte Reizqualitäten erwartet werden, im Verhältnis zu denen andere Reizqualitäten Abweichungen und Widerfahrnisse darstellen . Allerdings ist ein solches komplexes Verhalten beim einmaligen Beobachten in nichts von zweckgerichteten Handlungsketten unterscheidbar. Ob die Wahrnehmung und darauffolgende Aktivität einseitig, da salienzgetrieben, oder vereinseitigt, da pertinenzgetrieben ist, ob eine Aktivität automatisch oder hochgradig routinisiert ist, ob sie von einer selbstbestimmten vorausschauenden Vorstellung her ausgeführt wird oder fremdbestimmt auf einen auslösenden Reiz und inneren (An-)Trieb hin, - all das kann am Phänomen ununterscheidbar sein. Als Menschen sind wir insofern instinktärmer und -unsicherer als Tiere, als wir in viel geringerem Maße komplexes automatisches Verhalten an den Tag legen. Unsere Instinktunsicherheit ist die Rückseite der Medaille, deren Vorderseite die Weltoffenheit ist. Weltoffenheit bedeutet, für keine bestimmte Umwelt gemacht zu sein, sondern in jeder etwas werden zu können, sei es in Grönland, dem Sudan oder Hongkong, in Immobilien, Mobilien oder Wohnkapseln, durch Ökoveganismus oder Karnismus. Die Einseitigkeit der ökologischen Nische eines Organismus korreliert dabei tendenziell positiv mit seiner Instinktsicherheit. Mit komplexem automatischem Verhalten meine ich nun gerade solche längeren Ketten von Einzelaktivitäten, die äußerlich wie Handlungen anmuten können, die wir aber (operant) konditioniert oder instinktiv ausführen, sobald ein entsprechender äußerer Reiz und gegebenenfalls ein nicht selbst gewählter innerer Antrieb dazu bestehen. Davon haben wir nur wenige, und wenn überhaupt, dann unsichere, also leicht störbare. Stattdessen biegen wir nach überraschenden Wahrnehmungen und mit ihnen verbundenen automatischen Reaktionen - meist Reflexen - üblicherweise sehr schnell wieder in den Handlungskreis ein, um innen abzuwägen, was außen zu tun das Beste sein wird, um einen neuen Unterzweck oder den alten Oberzweck zu erreichen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Ausweichen vor dem Stein ein einseitiger Verhaltensreflex auf einen einseitigen Reiz, auf den hin die Identifikation der verantwortlichen Ursache durch Suchaktivität - ein Wenden des Kopfes, ein kurzes Abscannen der Umgebung, aus der der Stein gekommen ist - sich höchstens kurzzeitig unserem aufmerksamen Eingriff entzieht. Zu diesem Zeitpunkt haben wir einen Kandidaten für eine - bestenfalls verantwortliche - Ursache identifiziert oder nicht; jedenfalls biegen wir nach diesem Moment wieder in den Handlungskreis ein, indem wir nun entweder einen neuen Unterzweck konstruieren, der diesem Widerfahrnis geschuldet ist, beispielsweise die Suche nach der Ursache. Oder wir nehmen wieder unseren ursprünglichen Zweck in den inneren Blick und verfolgen ihn weiter. Genau das Wiedereinbiegen in den Handlungskreis kann aber gewissermaßen als eine Störung eines Verhaltensautomatismus charakterisiert werden, der ursprünglich vitalen Funktionen 391 Vgl. Ridderinkhof (2014: 9). 18429_Kasper_SL5.indd 265 18429_Kasper_SL5.indd 265 20.08.2020 10: 56: 28 20.08.2020 10: 56: 28 266 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze diente, etwa der Flucht oder dem Angriff. Suchen wir handelnd nach der verantwortlichen Ursache, bei der wir eine solche vorausschauend vorstellen und den erstbesten Kandidaten damit abgleichen, bewahrt uns dies natürlich wiederum nicht vor einem weiteren Widerfahrnis. Dies könnte darin bestehen, dass der Kandidat ein schlechter, weil zu wenig belebter und damit unerwarteter ist. Wichtig ist der Punkt, dass hier sozusagen zwei Verhaltenskreise durch einen Handlungskreis unterbrochen waren. Der erste war das Verhalten, das vom Steinflug ausgelöst wurde, der zweite das Verhalten, das durch die verhältnismäßige Schlechtigkeit des Ursachenkandidaten ausgelöst wurde. Dazwischen haben wir handelnd gesucht. Von einem komplexen automatischen Verhalten kann also nicht die Rede sein. Daneben besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass wir innerhalb des kurzen Zeitfensters, in dem wir automatisch auf einen salienten Wahrnehmungsreiz reagieren, auch schon den Kandidaten für die Ursache ausmachen, der dann wiederum salient sein kann, wenn er weniger als eine verantwortliche Ursache ist. Wenn wir angerempelt werden, uns umwenden und eine Person, einen humanen Gegenstand, erkennen, halte ich die Kategorisierung dieses Gegenstands als verantwortliche Ursache für einseitig und automatisch, da instinktiv, und damit vollständig im Wirkkreis eines vitalen Erfordernisses. Kommt der Gegenstand allerdings nicht als verantwortliche Ursache in Frage, ist dies eine Erwartungsverletzung. Entscheidend dafür, ob die Suche nach einer Ursache und das Identifizieren einer Ursache in den inneren Verhaltenskreis oder in den äußeren Handlungskreis eingeordnet werden kann, ist also die Zeitspanne, die vom Wahrnehmen des ersten salienten Reizes bis zum Entdecken seiner potentiellen Ursache vergeht. Ist sie zu lang, biegen wir in den Handlungskreis ein. Ist sie kurz genug, verläuft der Abgleich des Ursachekandidaten mit einer einseitig vorausschauend vorgestellten verantwortlichen Ursache automatisch. In beiden Fällen ist aber das vorausschauende Vorstellen einer Ursache als verantwortliche, also als maximal agentive, gegeben. Dies scheint mir eine ererbte instinktive Erwartung zu sein. 4.3.8 Belebtheit auf der Salienzlinie A salient characteristic of attitudes to changes in welfare is that losses loom larger than gains. (Kahneman & Tversky, An analysis of decision under risk, S. 279) Zuletzt argumentierte ich, dass die Suche nach Ursachen für Widerfahrnisse Verhalten oder (routinisiertes) Handeln sein kann, dass es sich beim Ausgehen von verantwortlichen Ursachen aber um ein instinktives oder zumindest ererbtes und automatisches Verhalten handelt. Die Rolle der Belebtheit dabei ist deutlich: Verantwortlichkeit ist nicht wahrnehmbar, sie muss erschlossen werden. Ihr zuverlässigster und immer (! ) anwendbarer Indikator sind Belebtheitsmerkmale. Je höher belebt ein Gegenstand erscheint, desto eher ist er ein echtes Agens. Die Einheit human ist dabei eine echte Schwelle. Fehlende Belebtheit schließt Verantwortlichkeit zuverlässig aus. Belebtheitsmerkmale sind daher salienzgetrieben einseitig, nicht pertinenzgetrieben vereinseitigt; sie lösen einen ererbten Automatismus aus, bei Gegenständen, die Ursachenkandidaten sind, von verantwortlich handelnden Agenten auszugehen. Die Funktion davon, von der höchsten möglichen Agentivität auszugehen, ist eine Vorsichtsmaßnahme, indem die potentielle Gefahr lieber überals unterschätzt wird. 18429_Kasper_SL5.indd 266 18429_Kasper_SL5.indd 266 20.08.2020 10: 56: 29 20.08.2020 10: 56: 29 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 267 Ich möchte drei Indizien dafür ins Feld führen, dass unsere kognitiven Reaktionen auf Belebtheitsmerkmale trotz aller Instinktarmut und -unsicherheit instinktive oder zumindest ererbte, salienzgetrieben einseitige und automatische sind. Zwei betreff en das Gefahrenmanagement und eins das Bindungsmanagement. Das erste Indiz stammt aus der Verhaltensökonomik an der Schnittstelle von kognitiver Psychologie und Ökonomie. In unserem Kontext ist das nur auf den ersten Blick weit hergeholt. Es lässt sich nämlich evolutionär wenden. Es geht dabei darum, welche Entscheidungen wir bei Ungewissheit zwischen Gewinnchancen und Verlustgefahren treff en. Die Ungewissheit entspricht dabei der verschiedenen Ausdeutbarkeit von Eventualitäten unter verschiedenen Aspekten der Bedeutsamkeit. Innerhalb einer dieser verhaltensökonomischen Theorien, die als Prospekt-Theorie bekannt ist, wurde eine Hypothese zur Verlustaversion aufgestellt. 392 Abb. 93: Verlustaversion: Verluste wiegen schwerer als Gewinne Danach gewichten wir in Situationen, in denen wir sowohl etwas gewinnen als auch etwas verlieren können, ein Verlustquantum psychisch höher als das gleiche Quantum an Gewinn. Stellen wir uns beispielsweise vor, wir nähmen an einem Münzwurfspiel teil. Wir sind keine Millionäre und 100 Euro mehr oder weniger zu haben, macht für uns durchaus einen Unterschied. Das Spiel besteht darin, dass wir bei Kopf 150 Euro gewinnen und bei Zahl 100 Euro verlieren. 393 Die Unsicherheit besteht natürlich darin, dass wir nicht wissen, ob sich beim Münzwurf auch Kopf einstellen wird. Die Wahrscheinlichkeit beträgt nur 50 Prozent. Die meisten von uns würden sich aus Verlustaversion gegen dieses Spiel entscheiden (siehe Abbildung 93). Es gibt aber ein bestimmtes Verhältnis von Gewinn- und Verlustaussichten, das für uns eine Schwelle zur Teilnahme darstellt. Betrüge der Gewinn 250 Euro, würden wir es uns möglicherweise schon überlegen. Die Verlustaversion wird auf evolutionäre Anpassungsprozesse zurückgeführt. Organismen, die Gefahren für dringlicher halten als Gelegenheiten, 392 Vgl. Kahneman & Tversky (1979), Kahneman (2012). 393 Das Beispiel stammt aus Kahneman (2012: 283-284). 18429_Kasper_SL5.indd 267 18429_Kasper_SL5.indd 267 20.08.2020 10: 56: 30 20.08.2020 10: 56: 30 268 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze haben bessere Überlebenschancen, ein Umstand, den wir bereits bei der Charakterisierung der Salienzlinie besprochen hatten. 394 Um die Relevanz der Verlustaversion unmittelbar plausibel zu machen, müssen wir die Perspektive ein wenig ändern, denn Gewinne und Verluste im Bereich des Leiblichen sind schwer gegeneinander aufzurechnen. Daher vergleichen wir besser mögliche Verluste im Bereich des leiblichen Wohlergehens. Wir nehmen an, wir sind gerade dem Stein ausgewichen oder mit etwas zusammengestoßen. Bei beidem handelt es sich um potentielle Gefährdungen. Wir entdecken als ersten Ursachekandidaten einen belebten oder humanen Gegenstand. Als wie agentiv sollen wir ihn kategorisieren? Betrachten wir nur die möglichen Verluste, die sich auf unsere Kategorisierungsaktivitäten hin einstellen können: Wir könnten den Gegenstand als Ursache beziehungsweise als verantwortliche Ursache identifizieren, obwohl er tatsächlich keine ist. Oder wir könnten ihn nicht als Ursache beziehungsweise nicht als verantwortliche Ursache identifizieren, obwohl er eine ist. Die Wahrscheinlichkeiten mögen die gleichen sein, die möglichen Verluste sind es nicht: Den Gegenstand als (verantwortliche) Ursache zu identifizieren, obwohl er keine ist, ist falscher Alarm und man hat unnötig Angst gehabt oder Energie darauf verwendet, sich zu entfernen. Ihn als (verantwortliche) Ursache zu missachten, bedeutet zwar eine Energieersparnis, aber auch, eine reale Gefahr zu ignorieren und Schaden am eigenen Leib zu riskieren. Im evolutionären Sinne der reproduktiven Fitness wäre es funktionaler, den weniger kostenintensiven der beiden Fehler zu machen. 395 Genauso verhält es sich auch bei anderen Arten der Gefahrenerkennung: Kleinkinder werden, sobald sie selbsttätig an Nahrung kommen können, beispielsweise oft mäkelig, was Nahrungsmittel betrifft, die sie nicht kennen - eine instinktive Vorsichtsmaßnahme. Es ist sicher nicht gut, Mangelerscheinungen zu leiden, indem man nur Nudeln mit Tomatensauce isst, aber allemal besser, als einem unbekannten Toxin zu erliegen. Das zweite Indiz für den ererbten Charakter unserer Reaktionen auf Belebtheitsmerkmale ist, dass wir spezifische Hirnreaktionen auf belebte, insbesondere bebeinte Bewegung im Unterschied zu anderen Bewegungsarten zeigen. 396 Außerdem erkennen wir die Richtung bebeinter Fortbewegung selbst unter etlichen Manipulationen am Reizgegenstand, und das nicht nur an menschlichen, sondern auch an Tierbewegungen. Dabei handelt es sich wohl um einen evolutionär alten Mechanismus, der nicht nur auf unsere Spezies beschränkt ist und dazu dienen könnte, bebeintes Lebendiges unter dem, was sich sonst noch so bewegt, zu erkennen. 397 Zudem gibt es Forschungsergebnisse dazu, dass aus humanen Bewegungsmustern zuverlässig Intentionen, also verantwortliches Handeln gefolgert wird. 398 Ich habe mich bei diesen zwei Indizien auf die Gefahrenerfassung beschränkt. Vor diesem Hintergrund ist die Belebtheitshierarchie eine Hierarchie des Gefahrenpotenzials und die kognitiven Reaktionen auf Belebtheitsmerkmale solche des Gefahrenmanagements. 399 Bei der Besprechung der Salienzlinie hatte ich auf saliente Reize hingewiesen, die motorische Bewegungen auf den Reizgegenstand hin auslösen können, und solche, die Bewegungen von 394 Siehe Abschnitt 4.3.7. 395 Vgl. Haselton & Nettle (2006). 396 Vgl. Grossman et al. (2000). In der Literatur wird das „biologische Bewegung“ genannt. 397 Vgl. Troje & Westhoff (2006). 398 Vgl. Barrett et al. (2005). 399 Vgl. auch Greggor et al. (2018). 18429_Kasper_SL5.indd 268 18429_Kasper_SL5.indd 268 20.08.2020 10: 56: 30 20.08.2020 10: 56: 30 4.3 Die „-enz“-Faktoren: Bedeutsamkeit im Einsatz 269 ihm weg auslösen können. Gefahr ist eher mit Distanzvergrößerung assoziiert. Ich möchte sogleich zwei möglichen Missverständnissen vorbeugen: Erstens können wir auf der Salienzlinie ebenfalls Belebtheitseffekte in Bezug auf andere Domänen erwarten: Höhere Belebtheit kann auch Gewinne versprechen, etwa größere Sicherheitsgefühle oder sexuellen Kontakt, und eher mit Bewegungen auf einen Gegenstand hin, mit Distanzverringerung assoziiert sein. Im Falle größerer Sicherheit wäre die Belebtheitshierarchie dann eine Hierarchie der absteigenden Ähnlichkeit zum Selbst, so dass wir uns desto sicherer fühlen, je ähnlicher der betreffende Gegenstand uns ist. Eine echte Schwelle nach unten stellt dabei der Übergang von Verwandten (vor allem ersten Grades) zu human dar, da diese Einheit stark binnendifferenziert werden muss, beginnend bei Gegenständen - wohlgemerkt im weitesten Sinne -, die gleichen Geschlechts sind wie wir, die die gleiche Hautfarbe haben, das Gleiche (nicht) essen und so weiter. Dabei dreht sich der funktionale Wert der Belebtheit gewissermaßen um: Je ähnlicher, desto berechenbarer. Beim Gefahrenmanagement war es umgekehrt: Je belebter - stoppend bei der Einheit human -, desto gefährlicher. 400 Daran schließt sich ein zweites mögliches Missverständnis an: Ich rede hier über automatische kognitive Reaktionen auf Belebtheitsmerkmale, etwa Kategorisierungen. Dabei können unsere neuronalen oder motorischen Reflexe durchaus - und durchaus regelmäßig - mit sexistischen, rassistischen und anderen prominenten Vorurteilen in Verbindung gebracht werden. Damit müssen wir leben. Womit wir nicht leben müssen, ist, diese Vorurteile beim Einbiegen auf die Pertinenzlinie handlungswirksam werden zu lassen. 401 Genau dafür können wir das einsetzen, was wir bei der Charakterisierung der Pertinenzlinie Hiatus genannt haben und was man ebensogut Besonnenheit oder Reflexionsfähigkeit nennen könnte. Ein letztes interessantes Indiz für die Verwurzelung der Belebtheitseffekte in der evolutionär alten, an instinktive Reaktionen gebundenen Salienzlinie ist die Tatsache, dass nach der Verabreichung des Hormons Oxytocin Probandinnen eher dazu neigten, unbelebte Formen als anthropomorph zu beschreiben, also mit sprachlichen Mitteln, die verantwortliches Handeln explizit oder implizit ausdrücken, als Probandinnen, denen kein Oxitocin verabreicht wurde. 402 Oxytocin wird auch als Bindungshormon zwischen Neugeborenen und ihren Müttern bezeichnet, scheint eine Rolle in Aktivitäten der Partnerwahl zu spielen und Stress sowie Aggressionen zu reduzieren. 403 Belebtheitsmerkmale scheinen also grundlegend mit Instinkten der Distanzgewinnung und -verminderung verbunden zu sein. 400 In unserem Sinne interpretiert, schlug schon Allport (1979: 43) die folgende Binnendifferenzierung der Einheit human vor: Familie > Nachbarschaft > Stadt > Bundestaat/ -land > Staat > Ethnie („race“) > Menschheit. Er stellt dies als konzentrische Kreise dar, mit der Familie ganz innen. Auch den Referenzpunkt des Selbstes findet man schon bei Allport (1979: 47, Fußnote 13): “The reader may ask, What really is the innermost circle of loyalty? It is by no means always the family […]. May not the core be the primordial self-love […]? If we regard self as the central circle, then the broadening loyalties are, psychologically speaking, simply extensions of the self.” 401 Vgl. Allport (1979, Part I). 402 Vgl. Scheele et al. (2015). 403 Vgl. Scheele et al. (2011). 18429_Kasper_SL5.indd 269 18429_Kasper_SL5.indd 269 20.08.2020 10: 56: 30 20.08.2020 10: 56: 30 270 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze 4.4 Der Blick zurück auf die außergrammatischen Hinweise Überlegt man, daß eine selbsttätig über die Wahrnehmungswelt gebreitete Symbolik, eine Herabsetzung des unmittelbaren Kontakts mit ihr, ein zunehmend variables und nur andeutendes Verhalten zu den allgemeinen Gesetzen jenes Lebens [des sensomotorischen - SK] gehört, so kann es nicht erstaunen, diese Gesetze in der Sprache in höchster Ausprägung wiederzufinden, wenn man diese nur grundsätzlich selbst als sensomotorisches System erfaßt. (Gehlen, Zur Systematik der Anthropologie, S. 98) 4.4.1 Rekapitulation Zeit zu rekapitulieren: Warum sind die außergrammatischen Hinweise wirksam? Von dieser Frage nahm ich in diesem Kapitel Ausgang. Zuvor hatten wir gesehen, wie unsere Bibelleserinnen grammatisch mehrdeutige Satzgliedbeziehungen richtig interpretieren können. Dazu mussten sie sich die richtigen Vorstellungsinhalte auf die richtige Weise vorstellen, derart, dass sie Belebtheitshinweise in Kombination mit Reihenfolgehinweisen als instruktiv für den Aufbau ihrer komplexen Vorstellungen behandeln mussten. Ich hatte gesagt, dass höhere Belebtheit und bei gleicher Belebtheit das frühere Satzglied zu sein, fast immer zu richtigen Vorstellungen instruiert. Das hatte ich die kanonischen Zuordnungen von außergrammatischen Hinweisen und syntaktischen Funktionen beziehungsweise semantischen Rollen genannt. Die außergrammatischen Hinweise als instruktiv zu behandeln, hatte sich für die Leserinnen als möglich und nötig erwiesen, weil sich in allen unseren untersuchten Sprach(stuf)en Anteile von Satzgliedbeziehungen gefunden hatten, in denen eigenstrukturelle Hinweise nicht verfügbar waren oder bei Verfügbarkeit nicht zuverlässig instruierten. Um die Frage nach der Wirksamkeit außergrammatischer Hinweise zu beantworten, hatte sich ein Filtermodell als ungeeignet erwiesen, das sich auf die sprachwissenschaftlich-philologische Innenperspektive beschränkte, weil es das Innenleben der Sprachbenutzerinnen zu unspezifiziert ließ. Eine Erweiterung des Filtermodells um gebrauchsbasierte Annahmen zur Rolle von Frequenz erwies sich ebenfalls als ungenügend. Kognitive Aktivitäten werden nicht dadurch spezifischer, dass man sie öfter in Anspruch nimmt. Vielmehr deuteten schon sprachwissenschaftliche Befunde, die einen inhaltlichen Zusammenhang mit unseren kanonischen Zuordnungen aufwiesen, darauf hin, dass die Wirksamkeit von Belebtheit und Reihenfolge auf deren Qualität, nicht auf ihre Quantität zurückzuführen sei. Dabei handelte es sich um sprachübergreifende Befunde zur Reihenfolge von Agenten und Patienten in Äußerungen, um die Agens zuerst-Präferenz im Online-Sprachverstehen und um den Schluss von humanen Selbstbewegern und Ursachen auf echte, verantwortliche Agenten. Die Frage nach der Qualität der kanonischen Zuordnungen machte es erforderlich, einen Begriff der Bedeutsamkeit zu entwickeln. Mein Vorschlag kumulierte im inklusiven Handlungskreis, der sich aus einem pertinenzgeleiteten Handlungskreis und einem darin eingebetteten, salienzgeleiteten Verhaltenskreis zusammensetzt und wesentlich an unsere leibliche Daseinsform gebunden ist. 404 Belebtheitsmerkmale sind uns saliente Merkmale, die im Dienste 404 Da wir uns hier am Übergang zur Sprache befinden, soll darauf hingewiesen werden, dass der Leib - oder der Körper? - in der Kognitiv-Funktionalen Linguistik programmatisch unter dem Terminus „Embodi- 18429_Kasper_SL5.indd 270 18429_Kasper_SL5.indd 270 20.08.2020 10: 56: 30 20.08.2020 10: 56: 30 4.4 Der Blick zurück auf die außergrammatischen Hinweise 271 vitaler Funktionen instinktiv als Anzeiger von Agentivität behandelt werden. Sie werden am vorderen Ende von Ereignissen gesucht. 4.4.2 Außergrammatische Hinweise im inklusiven Handlungskreis Von Anfang an hatte ich sprachliche Äußerungen als Instruktionen zum Aufbau von komplexen Vorstellungen behandelt. Bestimmte Äußerungsteile instruieren zum Vorstellen, andere zum Handeln. Von denjenigen, die zum Vorstellen instruieren, leiten manche, insbesondere Wurzeln und Stämme von Wörtern, vor allem zum Vorstellen von etwas an; andere, wie die meisten Flexionsmorpheme, leiten dazu an, wie die Vorstellungsinhalte vorgestellt werden sollen. 405 So leiten Jünger , Mutter Jesu und nahm vor allem dazu an, dass sich die Leserin etwas vorstellt, die Ausdrücke der , die und zu instruieren eher dazu, in welcher bestimmten Beziehung die Inhalte zueinander vorzustellen sind, und sich instruiert zu beidem. Der neue Gesichtspunkt hinsichtlich des Instruktionsgedankens ist nun, dass ich Vorstellungen als simulierte Wahrnehmungen und Aktivitäten charakterisiert habe. Über diese Schnittstelle ist der inklusive Handlungskreis mit sprachlichen Instruktionen verbunden. Sprachliche Äußerungen sind jemandes Anleitungen zu jemand anderes simulierten Wahrnehmungen und Aktivitäten . Über Ausdrücke, die zum Vorstellen von etwas instruieren, und über grammatische und außergrammatische Hinweise darauf, wie sie sich das Etwas vorstellen sollen, konfrontieren die Schreiber und Übersetzer die Bibelleserinnen mit Wahrnehmungen und Aktivitäten, die diese unmittelbar simulieren. Da sich die Leserinnen diese Simulationen nicht vorausschauend vorgestellt haben, sondern sie mindestens im Detail neu für sie sind, erleben sie die ausgedrückten Ereignisse in einem gewissen Maß tatsächlich. Die Regie führt dabei der jeweilige Schreiber beziehungsweise Übersetzer. Für die Leserinnen sind die ausgedrückten Eventualitäten also Widerfahrnisse. Die Einschränkung auf ein gewisses Maß besteht aus folgendem Grund: Natürlich haben sich die Leserinnen vorausschauend vorgestellt, in der Bibel sprachlich vermittelt mit bestimmten Vorstellungen von Eventualitäten konfrontiert zu werden. Insofern ist dies erwartet und bewegt sich auf der Pertinenzlinie. In diese selbst gewählte Linie eingebettet, in der Sicherheit des Lehnstuhls, widerfahren den Leserinnen die konkreten Eventualitäten, deren Wahrnehmung oder Ausführung sie simulieren, aber dennoch . Die Ausdrücke einer Sprache sowie ihre Eigenstrukturen sind öffentlich verfügbare Vehikel für Aspektvereinseitigungen. Wie erwähnt, ist der Jünger nie nur ein Jünger und das Nehmen nie nur ein Nehmen. Diese Aspektvereinseitigungen hat der Schreiber beziehungsweise Übersetzer auf seiner Pertinenzlinie zu bestimmten Zwecken vorgenommen und die Leserin muss sie aspektvereinseitigt simulieren. Das ist ein Grunderfordernis dafür, dass der Übersetzer und sie über gemeinsame private Vorstellungen verfügen können, die vorher nur er hatte. Wenn etwas mit etwas anderem in der Vorstellung beider in einer Beziehung stehen soll, so muss etwas Aspektvereinseitigtes mit etwas Aspektvereinseitigtem in einer aspektvereinseitigten ment“ berücksichtigt wird und als konstitutiv für bestimmte kognitive und sprachliche Gegebenheiten gilt; vgl. grundlegend Lakoff & Johnson (1999), Barsalou (1999, 2008), Rohrer (2007) sowie Bergen (2015, 2016). Kaum je trifft man aber etwa auf eine verleibte Charakterisierung semantischer Rollen, obwohl sie für die Beschreibung und Erklärung von Zuordnungen syntaktischer und Vorstellungsstrukturen einschlägig sein sollte. Ausnahmen sind Kaschak & Glenberg (2000), Glenberg & Kaschak (2002) sowie Kasper (2015b). 405 Siehe Abschnitte 2.2 und 2.3, insbesondere 2.2.2. 18429_Kasper_SL5.indd 271 18429_Kasper_SL5.indd 271 20.08.2020 10: 56: 30 20.08.2020 10: 56: 30 272 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Beziehung stehen. Welcher Gegenstand welche Rolle in dieser Beziehung einnimmt, dahingehend geben grammatisch mehrdeutige Äußerungen den Leserinnen keine instruktiven Hinweise. Die Leserinnen sind dabei also auf das Simulierte selbst zurückgeworfen . Die Leserinnen erwarten zwar, mit sprachlich vermittelten aspektvereinseitigten Eventualitäten konfrontiert zu werden, sie wissen aber nicht, welche es sein werden. Und an dieser Stelle hat die instinktbasierte Salienzlinie ihren Ort im inklusiven Handlungskreis beim Lesen, um nicht zu sagen, im Lesekreis: Im Rahmen der Online-Interpretation werden die Leserinnen bei jeder Satzgliedbeziehung die entsprechenden aspektvereinseitigten Wahrnehmungen und Aktivitäten (nach) simulieren. Das Folgende ist in Abbildung 94 illustriert. 406 Abb. 94: Die Wirksamkeit außergrammatischer Mittel in grammatisch mehrdeutigen Äußerungen Die hochalemannische Leserin nimmt Und vo säbere Stund aa hät si … wahr. Sie befolgt die Instruktionen der einzelnen Ausdrücke - soweit durch symbolische Auslagerungen möglich -, bis sie zu si gelangt. Die Leserin simuliert die aspektvereinseitigte Wahrnehmung der Mutter Jesu, zu der der Ausdruck si sie instruiert, so wie sie es bereits bei den vorangehenden Ausdrücken getan hat (a). Die Beziehung, in der der Bezugsgegenstand- die Mutter Jesu - steht, ist an dieser Stelle der Äußerung ungewiss. Kein Pfeil führt direkt von der Instruktion zur Ebene „Vorstellen Art und Weise“ (b). Die Konsequenz davon war, dass die Äußerung grammatisch mehrdeutig ist. An dieser Stelle möchte ich nun die Wirksamkeit der außergrammatischen Hinweise einfügen: Gleichzeitig mit der aspektvereinseitigten simulierten Wahrnehmung infolge von si registriert die Leserin nun bei dem Bezugsgegenstand die Belebtheit und geht automatisch davon aus, dass die Mutter Jesu hier das vordere Ende der Eventualität darstellt, eine verantwortliche Ursache, ein echtes Agens. Tatsächlich ist die Leserin ja mit dieser An- 406 Die Abbildung ist nach denjenigen in Abschnitt 2.3 modelliert. Auf die Darstellung aller relevanten Beziehungen auf den Ebenen der Instruktion habe ich hier verzichtet. Im früheren Abschnitt handelte es sich bei ihnen auch um Offl ine-Beziehungen. 18429_Kasper_SL5.indd 272 18429_Kasper_SL5.indd 272 20.08.2020 10: 56: 32 20.08.2020 10: 56: 32 4.4 Der Blick zurück auf die außergrammatischen Hinweise 273 nahme bereits in die Äußerung hineingegangen und findet nun am ersten Satzglied nichts, was dieser Lesart widersprechen würde. Die instinktive Vorannahme läuft sozusagen ungehindert durch. Der Bezugsgegenstand des ersten Satzglieds ist nicht nur belebt genug dafür, sondern auch der erste Kandidat einer verantwortlichen Ursache im Satz. Wir haben es hier aber mit zwei ganz verschiedenen Prozessen zu tun. Die simulierte Wahrnehmung der aspektvereinseitigten Gegenstände und Beziehungen beruht zu einem Gutteil auf der erlernten, konditionierten Assoziierung von Symbolen mit Vorstellungen, die Pertinenzgefiltertheit ist dabei ein echtes Wesensmerkmal von Sprache. Aber die Evaluation des ersten geeigneten Bezugsgegenstands als verantwortliche Ursache wirkt von außen in die Sprache hinein, ist die Fortsetzung instinktiver kognitiver und nichtsprachlicher Aktivitäten in die Interpretation von Sprache. Weil die Leserin das Ereignis an der Äußerung entlang nacherlebt, läuft das einseitige Registrieren der Belebtheitsmerkmale mit, als ob sie mit einem echten Ereignis konfrontiert wäre, bei dem die Dringlichkeit der Belebtheitsmerkmale unterhalb des Pertinenzgefilterten sie immer in Alarm versetzen kann. Nimmt die Leserin in der Folge de Jünger und den Rest der Äußerung wahr, simuliert sie die entsprechenden aspektvereinseitigten Wahrnehmungen und findet auch auf der Salienzlinie weiter nichts Irritierendes: Nichts in der Äußerung spricht gegen die - hier leider falsche - automatische Vorannahme, dass die Mutter Jesu ein echtes Agens und der Jünger das Patiens ist. Dass diese in Aktivsätzen zudem Subjekte und Objekte mit bestimmten grammatischen Eigenschaften sind, ist ebenfalls per Konditionierung erlernt. Anders bei einer Äußerung wie E gueti Taat hät si ja a mer taa! , ‚Eine gute Tat hat sie [eine Frau - SK] ja an mir getan! ‘ 407 Wenn die Leserin wüsste, dass sie es mit einer Beziehung zwischen mehreren Gegenständen zu tun hat, wäre schon der abstrakte Status der Tat ein salienter Verstoß gegen die Erwartung einer frühen verantwortlichen Ursache. Hier ist durchaus der absolute Belebtheitswert des Bezugsgegenstands von Belang. Als nächster Kandidat käme dann der Bezugsgegenstand von si in Frage und würde nach unserer Hypothese auch (korrekterweise) als Agens beziehungsweise Subjekt identifiziert. Erstens ist die Frau, absolut gesehen, belebt genug für eine verantwortliche Ursache und zweitens ist sie, relativ gesehen, belebter als die Tat. Wüsste die Leserin dagegen nicht, dass sie es mit einer Beziehung zwischen mehreren Gegenständen zu tun hat, könnte sie von einem intransitiven Satz ausgehen und würde das irritierende Widerfahrnis erst bei der Wahrnehmung des zweiten Satzglieds erleben, denn dort würde sie an der salienten Belebtheit erkennen, dass dieses Satzglied das Subjekt, sein Bezugsgegenstand das Agens und das erste Satzglied Objekt und Patiens sein müsste. Die Gewissheit der Interpretation bleibt für die Leserin allerdings, was die außergrammatischen Hinweise betrifft, problematisch, denn diese widersprechen einander. Der frühere Bezugsgegenstand ist nicht der höher belebte. Es gibt mindestens ein menschliches Phänomen, das uns die emotionale Macht von inneren Bildern, die nicht unsere eigenen sind, noch vor Augen führt. Von dieser Macht sind die Belebtheitseffekte in grammatisch mehrdeutigen Äußerungen nur ein schwacher Abglanz. Wir sind trotz allem, was ich über den Leib und die Vorstellungen gesagt habe, zutiefst sprachliche Wesen. Die Bilderwelten, mit denen uns andere vermittels ihrer Äußerungen konfrontieren, sind insofern sauber verschnürt und aufgeräumt, als sie uns als aspektvereinseitigte, 407 Hochalemannisch; S Nöi Teschtamänt; Matthäus 26, 10; Weber (1997). 18429_Kasper_SL5.indd 273 18429_Kasper_SL5.indd 273 20.08.2020 10: 56: 32 20.08.2020 10: 56: 32 274 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze auf menschliches Kulturmaß verengte, begegnen. Dass darin die einseitigen Phänomene der Salienzlinie hier und dort sich melden, aber gleichsam vereinzelt und im Ganzen aufgehoben erscheinen, mag für die relative Bedeutungslosigkeit dieser Linie für den zivilisierten, sprachmächtigen und wohlgenährten Menschen sprechen. Aber das Phänomen, von dem ich spreche, weist die Aspektvereinseitigung, die Einengung auf menschliches Kulturmaß, das Aufgeräumte und Ordentliche nicht auf. Es ist der Traum. Wie in keiner Bilderwelt unseres wachen Lebens - Wachsein heißt Aspektvereinseitigen - sind wir darin der fremdbestimmten Einseitigkeit der Bilder ausgeliefert. Was dabei geschieht, entzieht sich unserer Kontrolle. Wir können oft nicht einmal präzise sagen, als was etwas auftritt, als sei es auf nichts Bestimmtes eingeengt und trete uns mit der Unberechenbarkeit entgegen, die das Merkmal des Unvereinseitigten ist. Darum hat auch alles eine viel größere Dringlichkeit als in der letztlich gemütlichen Vermitteltheit aspektvereinseitigter Mittel-Zweck-Beziehungen. Im Traum ist die Heimsuchung der Bilder noch greifbar, die Umwelt ist in ihr wieder seltsam unbewältigt, ganz im Gegensatz zu der, die wir uns im Wechselspiel von Wahrnehmen und Tun untertan gemacht haben; in den salienten Phänomenen, die uns begegnen, wenn andere uns sprachlich zur Simulation ihrer Wahrnehmung instruieren, finden wir diese Bilderwelten dagegen sprachlich-symbolisch eingehegt. 408 Unsere instinktive Präferenz für verantwortliche Ursachen auf der Salienzlinie schlägt sich in der Sprache als die Wirksamkeit der außersprachlichen Hinweise nieder. Über den Zusammenhang ist Folgendes zu sagen: Was die Wirksamkeit von Belebtheit betrifft, so lässt sie sich problemlos von der Wirklichkeit auf die Sprache übertragen. Im einen Fall nehmen wir Belebtheit an belebten Gegenständen tatsächlich wahr oder stellen uns belebte Gegenstände vor, im anderen Fall stellen wir sie uns auf Basis von sprachlichen Instruktionen vor. In beiden Fällen sind Belebtheitsmerkmale kaum jemals die pertinenten Aspekte von Gegenständen, eine tiefsitzende Wachsamkeit gegenüber Belebtheit ist dagegen grundsätzlich vorhanden, was sich immer dann, aber auch nur dann zeigt, wenn gegen die entsprechenden Erwartungen verstoßen wird. Was den zweiten außersprachlichen Hinweis betrifft, die nicht syntaktifizierte Reihenfolge, so lässt sich der Zusammenhang mit der Präferenz für verantwortliche Ursachen über die Früher-Später-Strukturen von wirklichen und sprachlichen Ereignissen fassen. Wahrgenommene, vorgestellte und sprachliche Ereignisse haben je zwei Enden, ein vorderes und ein hinteres. In wirklichen Eventualitäten identifizieren wir den ersten geeigneten Ursachekandidaten als Ursache, als ihr vorderes Ende. Wenn dasjenige, das unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, nicht zugleich seine eigene Auffälligkeit für uns verursacht hat, dann kann es sein, dass wir nach seiner Ursache weiter vorne im Ereignis suchen müssen. Beispielsweise konnte der Stein aus meinem früheren Beispiel sich nicht selbst in Bewegung setzen, die Bewegung hat ihn aber auffällig für uns gemacht. Die Ereignisse, die uns am effektivsten unser eigenes Handeln planen lassen, sind natürlich diejenigen, bei denen wir das vordere Ende bereits wahrnehmen und wahrnehmend verfolgen, wohin sie sich entwickeln. Jemand nimmt einen Ball und wirft ihn in unsere Richtung. Jemand wendet sich zu uns um und hebt zum Sprechen an. Jemand tritt aus dem Haus auf den Gehweg, wendet sich um 90 Grad nach rechts, geht parallel zur Straße los und wird auf der verlängerten Linie seiner zurückgelegten Strecke etwa fünfzig 408 Schwemmer (1997a: 26) spricht in diesem Zusammenhang von einer Heimsuchung. Vgl. zur überbordenden Salienz im Traum auch Langer (1973, Kap. 17). 18429_Kasper_SL5.indd 274 18429_Kasper_SL5.indd 274 20.08.2020 10: 56: 32 20.08.2020 10: 56: 32 4.4 Der Blick zurück auf die außergrammatischen Hinweise 275 Zentimeter entfernt an uns vorbeigehen, die wir uns gerade in die entgegengesetzte Richtung auf dem Gehweg bewegen. Mit dieser Früher-Später-Struktur treten uns Eventualitäten entgegen, wenn wir im Durchgang durch unsere Umwelt reibungslos unsere Zwecke realisieren. Indem wir wahrnehmen, um zu handeln, und handeln, um wahrzunehmen, maximieren wir geradezu diese Art von Eventualitäten, die unsere Vorhersagen maximieren. In sprachlich vermittelten Ereignissen entspricht der Früher-Später-Struktur wirklicher Ereignisse, wie wir sie von Ursache zu Wirkung wahrnehmen oder uns vorstellen, eine Früher-Später-Struktur von Dingausdrücken, in unserem Falle von Satzgliedern, die die Reihenfolge Agens-vor-Patiens haben. Es handelt sich bei dieser Beziehung von Eventualitäten, wie wir sie wirklich wahrnehmen und simulieren wahrzunehmen, und sprachlich ausgedrückten Ereignissen um ein Abbildverhältnis hinsichtlich der Früher-Später-Struktur. 409 Auf Basis der Funktionalität der Salienzlinie sind solche Äußerungen für uns erwartet, deren Früher-Später-Strukturen die Früher-Später-Strukturen von Eventualitäten abbilden, die wir von der Ursache zur Wirkung wahrnehmen oder simulieren wahrzunehmen. Wie die sprachenübergreifende Analyse gezeigt hat, entspricht die konventionelle Eigenstruktur von Agens- und Patiens-Satzgliedern im Großteil der Sprachen diesem Erfordernis der Treue, und die Treue ist eine salienzbasierte. 410 Worin sprachliche von wirklichen Ereignissen abweichen, ist die Tatsache, dass wir in sprachlichen Ereignissen vor dem ersten Satzglied keinen sprachlichen Suchraum mehr haben, während uns in wirklichen Ereignissen der wirkliche Raum verfügbar ist. 411 Vielmehr stellt sich jeweils beim aktuell wahrgenommen Satzglied unmittelbar die Frage, ob es sich bei seinem Bezugsgegenstand um die Ursache handelt. Zusammengefasst heißt das • erstens, dass die außersprachlichen Hinweise Belebtheit und unsyntaktifizierte Reihenfolge wirksam sind, weil sie als Merkmale von Lebendigem am vorderen Ende von wirklichen Ereignissen bereits vitalen Wert für uns besitzen. Innerhalb und außerhalb der Sprache dienen uns Belebtheitsmerkmale als Anzeiger von (verantwortlichen) Ursachen. Wir gehen automatisch bei dem ersten Ursachekandidaten von der höchsten möglichen Agentivität aus. Im Falle von negativen Motiven bei verantwortlichen Personen oder drohendem Schaden für uns bei anderen Ursachetypen zeitigt diese instinktive Vorannahme die niedrigsten Kosten, sollte sie sich als wahr erweisen. Gründe für verantwortliches Handeln beziehungsweise Ursachen zu kennen, erlaubt uns die Vorhersage dessen, was passieren wird, und die Abstimmung unseres eigenen Handelns und Verhaltens darauf. In kanonischen Zuordnungen ist das derart Erwartete in sprachliche Form gegossen; • zweitens, dass unsere Leserinnen in der Sprache die relative Belebtheit automatisch als den zuverlässigeren Hinweis auf verantwortliche Ursachen behandeln können als die unsyntaktifizierte Reihenfolge. Bei der Interpretation grammatisch mehrdeutiger Äußerungen brauchen sie sich erst bei gleicher Belebtheit der Früher-Später-Struktur der Äußerung zu bedienen. Zumindest gilt das für das untersuchte Korpus. Da beide Merkmale Anzeiger für verantwortliche Ursachen beziehungsweise echte Agenten sind, könnte die relative Wirksamkeit der Merkmale auch anders sein. 409 Peirce (1983: 64) und, ihm folgend, Haiman (1980: 515) sprechen hierbei von diagrammatischer Ikonizität. 410 Siehe Abschnitt 4.2.1. 411 Natürlich könnte man sagen, dass man an der Satzgrenze Kausalketten zertrennen kann. Aber im Rahmen unserer Hypothese - die sich erhärtet hat - brauchen wir zum Verstehen davon, was womit in welcher Beziehung steht, nicht über die Satzgrenze hinausgehen. 18429_Kasper_SL5.indd 275 18429_Kasper_SL5.indd 275 20.08.2020 10: 56: 32 20.08.2020 10: 56: 32 276 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Wir sind durch frequentes Ausgesetztsein an sprachliche Symbole dazu konditioniert, aspektvereinseitigte Wahrnehmungen und Aktivitäten zu simulieren, zu denen uns die sprachlichen Symbole instruieren. Gleichzeitig, so das Argument, ist die instinktive Salienzlinie bei der sprachlichen Interpretation aber ebenfalls immer aktiv. Das bedeutet, wir erleben kognitive Widerfahrnisse, wenn sprachliche Bezugsgegenstände am vorderen Ende von Ereignissen als verantwortliche Ursachen nicht infrage kommen, weil sie die falschen Merkmale haben oder später wahrgenommene Gegenstände bessere Merkmale haben. Was wir dabei nicht vergessen dürfen, ist, dass wir bis hierhin ausschließlich über grammatisch mehrdeutige Äußerungen gesprochen haben und das Gesagte damit auch nur für diese Äußerungen gültig ist. Ich hatte gesagt, bei der Frage, was womit in welcher Beziehung steht - vor allem, was die Ursache ist - seien die Leserinnen auf das Simulierte zurückgeworfen. Die sprachlichen Formen haben dabei gar keine besondere Rolle gespielt. Belebtheit und Früher-Später-Struktur sind in Abwesenheit eigenstruktureller Hinweise instruktiv. Aber sind diese deswegen in eindeutigen Äußerungen unwirksam? 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur Dies führt uns zur zweiten Leitfrage: Warum sind die eigenstrukturellen Hinweise zuverlässiger als die außergrammatischen? Vor dem Hintergrund meiner Bedeutsamkeitsskizze können wir nun nochmals die eigenstrukturellen Hinweise in den Blick nehmen. Wir finden sie als Teil der sprachlichen Eigenstruktur sozusagen im Inneren der Sprache. Die Eigenstruktur hatte ich als einen in der Benutzung entstandenen öffentlichen und konventionellen Kompromiss aus Treue und Sparsamkeit bezeichnet, mit dem man private simulierte Wahrnehmungen und das, was mit ihnen getan werden soll, öffentlich machen kann. Zu ihr gehören einerseits Ausdrücke, die zum simulierten Wahrnehmen von etwas instruieren, andererseits aber auch Ausdrücke und Ausdrucksteile, die dazu anleiten, wie man sich etwas vorstellen soll, also in welcher Beziehung die simulierten Gegenstände zueinander stehen sollen, und außerdem, wie sie mit anderen Vorstellungen zusammenhängen, wie sie zu erden sind und wie sie zu verwerten sind. Die Instruktionen, die uns anzeigen, was womit in welcher Beziehung steht, haben wir neben syntaktischen Kategorien vor allem in Kasus- und Kongruenzmorphemen sowie syntaktifizierten Reihenfolgen gefunden. Ich hatte die instruktiven Teile einer Äußerung detailliert an der versprachlichten Beziehung zwischen dem Jünger und der Mutter Jesu durchgesprochen. 412 Auf das dort Gesagte möchte ich nun wieder zurückgreifen. Ich möchte fragen, welche Rolle die sprachliche Eigenstruktur im inklusiven Handlungskreis spielt, und insbesondere der Teil von ihr, der die instruktiven Hinweise dafür bereitstellt, was womit in welcher Beziehung steht beziehungsweise was oder wer es hervorgebracht hat. 412 Siehe Abschnitt 4.2.2. 18429_Kasper_SL5.indd 276 18429_Kasper_SL5.indd 276 20.08.2020 10: 56: 32 20.08.2020 10: 56: 32 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur 277 4.5.1 Die Interventionsleistung eigenstruktureller Hinweis e Wir müssen uns zunächst klar machen, was geschieht, wenn eigenstrukturelle Hinweise verfügbar und aussagekräftig sind. Die Antwort ist: das gleiche, wie wenn sie nicht da wären, bis zu dem Punkt, an dem sie wahrgenommen werden. Sobald sie wahrgenommen werden, können sie der Lesart entsprechen oder widersprechen, die die Leserinnen vorgenommen haben, solange sie auf die Vorstellungen allein zurückgeworfen waren, ohne Hinweise darauf, wie sie sie vorstellen sollen; die eigenstrukturellen Hinweise können dieser Lesart außerdem an verschiedenen Stellen im Satz ent- oder widersprechen. Wenn wir uns in Abbildung 95 das mittelhochdeutsche Beispiel (7) von früher anschauen - Und von der stunde intfînc si der jungere in di sîne 413 - sehen wir bis zur Wahrnehmung von si noch dasselbe wie in der grammatisch mehrdeutigen hochalemannischen Äußerung in Abbildung 94: Die syntaktische Funktion und die semantische Rolle von si in der Vorstellung sind aufgrund morphologischer und syntaktischer Mehrdeutigkeit ungewiss (b). Die Leserin simuliert, weil sie im Spracherwerb darauf konditioniert wurde, die aspektvereinseitigte Wahrnehmung der Mutter Jesu (a) und geht instinktiv davon aus, dass es sich bei dem Bezugsgegenstand um die verantwortliche Verursacherin handelt. Diese instinktiv angenommene Rolle ist in den Sätzen, die ich untersucht habe, wiederum mit bestimmten grammatischen Eigenschaften assoziiert, von denen die Leserin nun auch automatisch ausgeht, weil sie darauf konditioniert ist (b). Wieder ist die Leserin mit dieser Vorannahme, der Annahme der kanonischen Zuordnung, bereits in die Äußerung hineingegangen und fi ndet nun am ersten Satzglied nichts, was dieser Lesart widersprechen würde. Abb. 95: Die Wirksamkeit außergrammatischer Mittel in grammatisch zeitweilig mehrdeutigen Äußerungen 413 Mittelhochdeutsch; Evangelienbuch; Johannes 19, 27; 1343; Ed. Bechstein (1867). 18429_Kasper_SL5.indd 277 18429_Kasper_SL5.indd 277 20.08.2020 10: 56: 34 20.08.2020 10: 56: 34 278 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Aber diesmal läuft die instinktive Vorannahme nicht ungehindert durch . Abbildung 96 illustriert, was bei der Wahrnehmung des zweiten Satzglieds passiert. Die Nominativmarkierung instruiert die Leserin dazu, den Jünger als Subjekt zu behandeln und als Agens vorzustellen (b). Das widerspricht aber der instinktiven Vorannahme, dass es sich schon beim ersten Satzglied um diese Rolle gehandelt hat, und der konditionierten Zuweisung der Subjektfunktion an das erste Satzglied. Die Nominativmarkierung wirkt hier wie ein Veto dagegen, dass die instinktive Vorannahme und die zugehörigen grammatischen Assoziationen bei der Leserin einfach bis zum Ende der Äußerung durchlaufen. Der eigenstrukturelle Hinweis ist hier die saliente Instruktion an die Leserin, gegen den instinktgebundenen Automatismus nachträglich zu intervenieren, durch den sie bei dem ersten geeigneten Kandidaten von der verantwortlichen Ursache ausgegangen ist. Der Automatismus kann, wie es sich für einen Automatismus gehört, sobald der Auslöser erstmal wahrgenommen ist, nicht verhindert, sondern nur im Nachhinein korrigiert werden . Den salienten Reiz, die Nominativmarkierung, kann die Leserin aber sofort in einen pertinenten überführen. Durch die Kenntnis ihrer muttersprachlichen Strukturen kann die Leserin nun sozusagen auf der Pertinenzlinie in die Textvergangenheit vorstellend vorhersagen, dass es sich beim ersten Satzglied nicht auch um ein Agens-Subjekt gehandelt haben kann, sondern sich um ein Patiens-Objekt gehandelt haben muss. Sie kann nun die gelesene Form mittels einer Interpretationsroutine mit dieser Vorhersage abgleichen und diese modifi zierte Interpretation nun bis zum Ende des Satzes durchführen. Abb. 96: Die Intervention eigenstruktureller gegen außergrammatische Hinweise in grammatisch eindeutigen Äußerungen Wozu die Nominativmarkierung am zweiten Satzglied sie hier gezwungen hat, ist, sich das spätere Satzglied als den früheren Gegenstand im natürlichen Ablauf des simulierten Ereignisses vorzustellen. Der Jünger ist später im Satz, aber früher im Ereignis. Der Satz ist kein strukturelles Abbild des wahrgenommenen oder vorgestellten Ereignisses. Genau deshalb ist die Nominativmarkierung zentral dafür, dass die Leserin nicht die falsche Lesart wählt. Das erfordert eine kognitive Routine, vielleicht auch Arbeit; in jedem Fall ist sie aber relativ müh- 18429_Kasper_SL5.indd 278 18429_Kasper_SL5.indd 278 20.08.2020 10: 56: 35 20.08.2020 10: 56: 35 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur 279 sam im Vergleich zu einem Automatismus und erfordert Hinweistypen, die verbindlicher sind als jene, die ansonsten dem Automatismus freien Lauf lassen würden. Mit anderen Worten, die Funktion der eigenstrukturellen Hinweise ist es hier, gegen instinktive Automatismen zu intervenieren, die andernfalls die Art und Weise der Vorstellung bestimmen würden, und zwar anders bestimmen würden . 4.5.2 Die Stattgabefunktion der eigenstrukturellen Hinweise Neben der Vetofunktion beziehungsweise der Instruktion zu intervenieren, haben die eigenstrukturellen Hinweise noch eine weitere Funktion, die sich am reinsten in einer weiteren Fassung von Johannes 19, 27 demonstrieren lässt, derjenigen in Abbildung 97 zu Beispiel (4) von früher. 414 Abb. 97: Die Stattgabe an die Suggestionen außergrammatischer Hinweise durch eigenstrukturelle Hinweise in grammatisch eindeutigen Äußerungen Hier sind zwei Zeitpunkte im Verlauf der Interpretation zu unterscheiden. Sobald das erste Satzglied der Jünger wahrgenommen wird, passiert zweierlei: Zum einen ruft der Ausdruck Jünger automatisch die aspektvereinseitigte simulierte Wahrnehmung eines Jüngers hervor (a). Der Jünger entspricht der instinktiven und automatischen Erwartung einer verantwortlichen Ursache, also einem echten Agens. Das echte Agens bezeichnet eine Art und Weise, den Jünger in der ausgedrückten Eventualität vorzustellen, spezifi ziert also die Frage, was womit in welcher Beziehung steht (b). Die grammatischen - gegenüber den vorstellungsbezogenen - Eigenschaften des Ausdrucks - Nominativ, Kongruenz mit dem Finitum - sind nicht instinktiv, sondern konditioniert. Zum anderen führt aber auch ein direkter Weg vom Ausdruck der Jünger zur Art und Weise der Vorstellung, nämlich über die eigenstrukturellen Hinweise der Nominativmarkierung und 414 Neuhochdeutsch, Neue Genfer Übersetzung, Genfer/ Deutsche Bibelgesellschaft 2009. 18429_Kasper_SL5.indd 279 18429_Kasper_SL5.indd 279 20.08.2020 10: 56: 37 20.08.2020 10: 56: 37 280 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze P.N.-Übereinstimmung des Artikels der mit dem finiten Verb. Für die Leserin sind diese Hinweise eine Instruktion, den Jünger als Subjekt zu behandeln und als Agens vorzustellen (b). Offenbar führen der indirekte, instinktive Weg über die Jüngervorstellung und der direkte, konditionierte Weg über die eigenstrukturellen Hinweise zur gleichen Vorstellung der Art und Weise, in der der Jünger in der Eventualität beteiligt ist. Dasselbe gilt nun für den späteren Zeitpunkt der Interpretation, wenn die Leserin die Mutter Jesu wahrnimmt. Auf dem Weg über den Vorstellungsinhalt widersprechen die vereinseitigten und einseitigen Merkmale des Gegenstands nicht den instinktiven Vorannahmen über die Früher-Später-Struktur von Eventualitäten: Die Mutter Jesu ist Patiens, das, was mit ihr geschieht, Wirkung in Beziehung zum Agens, der verantwortlichen Ursache des Jüngers. Der direkte Weg von den eigenstrukturellen Hinweisen der Substantivgruppe zu ihrer Behandlung als direktes Objekt und Patiens widerspricht dieser Vorannahme auch nicht. Aufs Ganze gesehen, läuft die instinktive Vorannahme also sozusagen trotz eigenstruktureller Hinweise durch die Äußerung hindurch. Eine Vetofunktion kommt diesen dabei deshalb nicht zu. Aber gerade weil sie hier abwesend ist, wird eine andere Leistung sichtbar: Die eigenstrukturellen Hinweise segnen hier sozusagen die Lesart ab, die instinktiv vor(an) genommen wurde: mit hoch belebter verantwortlicher Ursache am Anfang und ihrer Wirkung später. Die eigenstrukturellen Hinweise geben der Lesart statt, die die Leserin instinktiv auf Basis außergrammatischer Hinweise vor(an)nimmt. Die Vetofunktion und die Stattgabefunktion der eigenstrukturellen Hinweise haben eine zentrale gemeinsame Eigenschaft: Sie verschaffen der Leserin das höchste Maß an Gewissheit, das sie in Bezug auf ihre Interpretation überhaupt erlangen kann . In grammatisch mehrdeutigen Äußerungen, in denen eigenstrukturelle Hinweise nicht verfügbar oder trotz Verfügbarkeit nicht aussagekräftig sind, kann sie nie sicher sein, dass die Interpretation, die sie - üblicherweise instinktiv - vornimmt, die richtige ist. Sobald eigenstrukturelle Hinweise verfügbar sind, werden sie entweder verbindlich der instinktiven Vorannahme stattgeben oder ein Veto gegen sie einlegen . Die Verbindlichkeit beziehungsweise Zuverlässigkeit der eigenstrukturellen Hinweise besteht also darin, dass sie durch Stattgabe an oder Veto gegen instinktive Interpretationserwartungen im Vergleich zu diesen zu größerer Gewissheit führen . 415 4.5.3 Animal symbolis interveniens: mit Symbolen gegen die Suggestionen von innen 4.5.3.1 Aktivitäten über Aktivitäten Mit dem Vorangegangenen habe ich die Frage, warum die eigenstrukturellen Hinweise zuverlässiger als die außergrammatischen sind, nicht beantwortet, sondern nur konkretisiert und neu formuliert. Ihre Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit zeigt sich darin, dass sie Veto- und Stattgabeleistungen gegenüber instinktiv vor(an)genommenen Interpretationen erbringen können. Diese Leistungen haben es an sich, dass die Leserinnen und wir uns unserer Interpretationen sicherer sein können als bei fehlenden eigenstrukturellen Hinweisen. Wodurch wird diese größere Gewissheit aber nun bewirkt? Unsere letzte Aufgabe besteht jetzt noch 415 Dies gilt allerdings nicht ohne Einschränkungen. Auf diese werde ich im Zusammenhang mit dem Übergang vom Altzum Mittelenglischen noch einmal zurückkommen (s. Abschnitt 4.6.1). 18429_Kasper_SL5.indd 280 18429_Kasper_SL5.indd 280 20.08.2020 10: 56: 37 20.08.2020 10: 56: 37 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur 281 darin, die Frage unter Bezug auf den inklusiven Handlungskreis - das Zentrum dieses letzten Kapitels - zu beantworten. Ich werde dazu schrittweise drei Stränge aus den vorangegangenen Erörterungen zusammenführen: erstens werde ich die Aktivitätsarten - instinktives Verhalten, Handlungsroutine und so weiter - im Zusammenhang der instruktiven Schichten „Vorstellen von etwas“ und „Art und Weise des Vorstellens“ rekapitulieren; zweitens werde ich eine Hierarchie der Aktivitätsarten vorschlagen derart, dass manche gegen andere prinzipiell Veto- und Stattgabepotenzial haben können; und drittens werde ich diese beiden Schritte mit einer Schichtung von inklusiven Handlungskreisen in Verbindung bringen, die uns nach meiner Ansicht bei der Betrachtung sprachlicher Interpretationen entgegentritt. In Abbildung 98 fi nden wir den Zusammenhang der instruktiven Schichten „Vorstellen von etwas“ - inklusive der Präferenz für verantwortliche Ursachen - und Art und Weise des Vorstellens auf der einen sowie die Verhaltens- und Handlungsformen auf der anderen Seite. Von einer konkreten sprachlichen Instruktion habe ich hier abstrahiert, um allgemeine Aussagen treff en zu können. Diese Aussagen betreff en wohlgemerkt die Äußerungstypen aus der Korpusstudie. Abb. 98: Aktivitätsarten auf den instruktiven Ebenen Wir fi nden an interpretativen Aktivitäten zunächst stets die konditionierte, automatisierte Assoziation von sprachlichen Ausdrücken oder Ausdrucksteilen mit Vorstellungen von etwas. Diese Vorstellungen sind in der Sprache immer aspektvereinseitigte. Instinktiv mitregistriert werden beim Vorstellen von etwas die einseitigen Merkmale des Vorgestellten, die bedeutsam dafür sind, verantwortliche Ursachen zu identifi zieren. Das sind die außergrammatischen Belebtheitsmerkmale und solche der zeitlichen Organisation der Äußerung. Als (verantwortliche) Ursache identifi ziert worden zu sein, heißt für einen sprachlichen Bezugsgegenstand auch, als (echtes) Agens vorgestellt zu werden. Dass Ursachen beziehungsweise Agenten in den untersuchten Sprach(stuf)en mit den morphologischen oder positionalen Merkmalen der Subjektfunktion verbunden sind, ist nicht notwendig der Fall und ist in anderen Sprach(famili)en 18429_Kasper_SL5.indd 281 18429_Kasper_SL5.indd 281 20.08.2020 10: 56: 39 20.08.2020 10: 56: 39 282 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze auch anders. Die Assoziation und ihre Stärke sind hier die Folge einer Konditionierung. Dem Satzglied wird die Subjektfunktion zugesprochen, auch wenn seine morphologischen oder Reihenfolgemerkmale nicht aussagekräftig sind, nämlich in grammatisch mehrdeutigen Äußerungen. Wie wir sahen, ist die Schlussfolgerung von einseitigen außergrammatischen Merkmalen von Vorstellungsinhalten auf den Status als Subjekt beziehungsweise Agens zwar eine vorangenommene, aber auch immer eine ungewisse. Sodann kann die sprachliche Instruktion auch auf direktem Wege zur Art und Weise einer Vorstellung anleiten, nämlich dann, wenn in ihr die ermittelten eigenstrukturellen Hinweise verfügbar und aussagekräftig sind. Hier ist die Verbindung von morphologischen oder Reihenfolgehinweisen mit der Subjektfunktion eine konditionierte. Diejenige mit der Agensrolle ist ebenfalls konditioniert, aber schwächer, da an mehr Bedingungen gebunden, darunter die semantischen Bestimmungseigenschaften des Verbs. Das bedeutet, auf dem indirekten Weg von der Instruktion zur Art und Weise des Vorstellens ist die Assoziation von Hinweisen mit der Agensrolle stärker als mit der Subjektfunktion und auf dem direkten Weg ist die Assoziation von Hinweisen mit der Subjektfunktion stärker als mit der Agensrolle. Die eigenstrukturellen Hinweise darauf, was Subjekt und Agens ist, kann nun den außergrammatischen Hinweisen ent- oder widersprechen und so deren Interpretationssuggestionen stattgeben oder per Veto gegen sie intervenieren. Wichtig zu erinnern ist es hier, dass im Falle eines Vetos die erforderliche Neuinterpretation der Äußerung ein Herausfallen aus einem mühelosen Automatismus bedeutet. Stattdessen bedeutet der saliente eigenstrukturelle Reiz eine Routine des Verwerfens der instinktiven Vorannahmen und des vorausschauenden Neuvorstellens der ausgedrückten Eventualität und der Restäußerung angesichts der neuen Informationslage. Je nachdem, wie groß etwa die Suggestion der außergrammatischen Hinweise beim mehrdeutigen ersten Satzglied gewesen ist - es kann sich bei dem Bezugsgegenstand um eine potentiell perfekte verantwortliche Ursache gehandelt haben - kann die Neuinterpretation bei einem eindeutigen zweiten Satzglied auch echte Deutungsarbeit darstellen. 4.5.3.2 Animal interveniens Genau in Bezug auf die Aktivitätsarten - von der Arbeit über die Routine, die Konditionierungsarten, das Instinktverhalten, bis hin zur Prägung und zum Reflex - möchte ich nun eine These formulieren, die in Abbildung 99 zusammengefasst ist. Sie besagt, dass Aktivitätsarten weiter rechts mit einem Vetopotenzial gegenüber Aktivitätsarten weiter links verbunden sind, aber nicht umgekehrt. Die hierarchischen Verhältnisse zwischen den Tätigkeitsarten ergeben sich aus deren Lage auf drei Skalen, die aus der Herleitung der Verhaltens- und Handlungskreise beziehungsweise der Salienz- und Pertinenzlinien ergeben. Die Aktivitäten von Reflex bis Konditionierung sind alle Verhaltensmodi, Routine und Arbeit sind Handlungsmodi. 18429_Kasper_SL5.indd 282 18429_Kasper_SL5.indd 282 20.08.2020 10: 56: 39 20.08.2020 10: 56: 39 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur 283 Abb. 99: Vetopotenzial der Aktivitätsarten Die Organismen, die zur Handlung fähig sind - das sind die Bibelleserinnen und wir - hatten wir als weltoff en beschrieben. So off en sie sind, so off en sind auch ihre Aktivitäten. Damit ist das ungemeine Spektrum an Handlungen gemeint, das im Modus der Arbeit oder Routine ausgeführt werden kann, vom Stricken, Lesen und Tauchen über Wingsuitfl iegen, Schachspielen und Stabhochspringen bis hin zu Lohnarbeit, Suizid, der Nobelpreisrede und dem Unterlassen der Nobelpreisrede. Diese Tätigkeiten sind auch hochgradig plastisch, insofern sie in unzähligen Aspekten variierbar und an die jeweiligen Gegebenheiten anpassbar sind. Man denke beispielsweise ans Bäume Beschneiden, Kochen oder Aufsatzschreiben. Wenn wir das Wingsuitfl iegen, Stabhochspringen, Bäume Schneiden, das Aufsatzschreiben und den Suizid als Maßstab nehmen, wird auch einsichtig, was mit biologischer Kontingenz gemeint ist. Selbst die größten Naturalisten werden in diesen Handlungen, wenn überhaupt, nur äußerst mittelbar einen Dienst an basalen vitalen Funktionen wiederfi nden. Die Aktivitäten am anderen Pol zeichnen sich entsprechend durch das Gegenteil aus. Ein Refl ex, ein Instinktverhalten sind insofern geschlossen, als tendenziell gleiche Reize zu gleichen Verhaltensantworten führen. Sie sind allesamt, sobald sie installiert sind, rigide, indem vergleichsweise kleine Änderungen der Reizkonstellation ein Verhalten vollständig verhindern können, anstatt dass der Organismus sein Verhalten an die veränderten Umstände anpassen würde. Und sie sind biologisch notwendig, indem sie verhältnismäßig unmittelbar im Dienste vitaler Funktionen stehen - sofern sie nicht von Menschenhand für dessen Zwecke dienstbar gemacht werden. Dies führt dazu, dass wir mittels Arbeit, also mittels aufmerksamen, oft auch langen, wiederholten und ausdauerenden Handelns, Routinen unterbrechen, Konditionierungen aufl ösen oder ersetzen, Instinkte kompensieren und Prägungen überwinden, also gegen sie intervenieren können. Refl exe können wir wohl nicht unterbinden, aber wir können mittels aufmerksamen Handelns ebenso wie bei Routinen, Konditionierungen, Instinkten und Prägungen versuchen, die Situationen gezielt zu vermeiden, die die auslösenden Reize aufweisen. So können auch Vermeidungsroutinen aus Vermeidungshandeln entstehen. Zudem können wir komplexerer Tätigkeiten gewahr werden, während wir sie ausführen, die wir aber begonnen haben, ohne ihrer gewahr zu sein, und an dieser Stelle gegen sie intervenieren. Wir können uns dabei erwischen, wie wir schon wieder zum Kühlschrank gegangen sind und dabei sind, ihn zu öff nen, um süßen Verführungen 18429_Kasper_SL5.indd 283 18429_Kasper_SL5.indd 283 20.08.2020 10: 56: 40 20.08.2020 10: 56: 40 284 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze nachzugeben. Dies qualifiziert die Tätigkeit bis zu einem bestimmten Punkt als Verhalten, vielleicht als Appetenzverhalten, um eine Instinktbefriedigung vorzubereiten. Die Tatsache, dass unser Gewahrwerden dessen, was wir da gerade tun, uns dazu bringen kann, mit dem Begonnenen nicht fortzufahren, sondern gegen sein Durchlaufen zu intervenieren, zeigt, dass die Zeitspannen, in denen wir Automatismen ausgeliefert sind, recht kurz sind, dass sie aber frühzeitig in Handlungsformen übergehen, in denen das Veto eine Option ist. Ich würde auch dafür argumentieren, dass sowohl mittels Routinen als auch mittels Konditionierungen gegen Instinktverhalten interveniert werden kann, gerade bei uns Menschen, die wir ohnehin im Instinktverhalten störanfällig sind. Beispielsweise ist der Gewaltverzicht für viele Menschen eine Routine, die in der Aufmerksamkeit so weit abgesunken ist, dass er kaum mehr bemerkt wird, während diese Menschen aggressive Gefühle natürlich weiterhin haben. Das ist es, was mit der Bezeichnung eines animal interveniens ausgedrückt werden soll. Der Mensch ist ein Wesen, das gegen die Suggestionen aus seinem eigenen Inneren intervenieren kann. Mir kommt es hier nicht so sehr auf die korrekte Einordnung jeder einzelnen Aktivität in die Aktivitätsarten an, sondern auf das Prinzip des Vetopotenzials, das sich aus der Positionierbarkeit von Aktivitäten auf den drei Skalen ergibt. Dass durch solche Interventionen Nebenfolgen entstehen, die nicht beabsichtigt sind und selbst wieder Verhalten hervorbringen können, das interventionswürdig ist, soll nicht bestritten werden, steht aber auf einem anderen Blatt. Nur so viel sei gesagt, dass unsere Kapazitäten zum aufmerksamen Handeln begrenzt sind. Der Versuch, alle unsere Tätigkeiten auf die rechte Seite der obigen Skala zu hieven, kann daran scheitern, dass uns die Handlungen dabei zu Zwängen werden. 4.5.3.3 Animal symbolis interveniens Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen - man weiß nie, was man kriegt. (Forrest Gump) - Doch, man wird Pralinen kriegen. (SK) Im letzten Schritt möchte ich die vorangegangenen zwei noch mit dem inklusiven Handlungskreis und den Pertinenz- und Salienzlinien zu einem Gesamtbild zusammenführen. Den inklusiven Handlungskreis habe ich früher in diesem Kapitel an nichtsprachlichen Alltagsbeispielen hergeleitet, um hier die Rolle der sprachlichen Interpretation auf ihn zurückzuführen und so eine übergreifende anthropologische Skizze der Bedeutsamkeit zeichnen zu können. Nichtsprachliche Ereignisse sind nun zwar nicht einfach, aber erheblich einfacher als sprachliche Ereignisse. Sprachliche Ereignisse sind insofern komplexer, als sie zum einen mehrere Schichten haben, die durch ihren Charakter als konventionelle Zeichen zustandekommen, und zum anderen selbst kooperative Handlungen darstellen. Die beiden Punkte sind dabei nicht voneinander zu trennen und gehören zum Wesenskern von Sprache. Dadurch entstehen aber gewichtige Unterschiede zwischen den Ereignissen, in denen ein Stein auf mich zufliegt oder ich auf eine Kaffeemaschine zugehe einerseits, und der Konfrontation mit jemandes sprachlicher Äußerung andererseits. Ein Unterschied besteht darin, dass wir in der symbolischen Mehrschichtigkeit die Salienz- und Pertinenzpotenziale in doppelter Ausführung vorfinden: für die Reize der wahrnehmbaren Eigenstruktur und für das simuliert Wahrgenommene, das dadurch ausgedrückt wird. Ein zweiter Unterschied besteht immer dann, wenn gemeinsam gehandelt wird: Die Handlungen anderer widerfahren uns, weil andere autonome Akteure 18429_Kasper_SL5.indd 284 18429_Kasper_SL5.indd 284 20.08.2020 10: 56: 40 20.08.2020 10: 56: 40 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur 285 sind, die nicht unseren vorausschauenden Vorstellungen unterworfen sind. Andererseits ist sprachliche Kommunikation kooperatives Interagieren, bei dem wir Handlungen anderer als sprachliche erwarten. Sprachliche Äußerungen anderer sind für uns also gewissermaßen pertinent salient: Wir erwarten von ihnen Widerfahrnisse . Wenn Forrest Gump das Leben mit einer Pralinenschachtel vergleicht, weil man bei beidem angeblich nie wisse, was man bekommt, dann übersieht er einen entscheidenden Punkt. Wenn der Apologet eines falsch verstandenen Common Sense weiß, was eine Pralinenschachtel ist - und das tut er offensichtlich -, und er einen Grund hat, sie als Pralinenschachtel zu öffnen, - was ebenfalls zutrifft, - dann weiß er zwar nicht, was für eine Praline er kriegen wird, er weiß aber, dass das, was er kriegen wird, eine Praline sein wird. Ebenso können wir annehmen, dass unsere Leserinnen, wenn sie sich ihre jeweiligen Bibeln zur Hand nehmen, um zu lesen, sprachliche Eindrücke erwarten. Sie wissen dann vielleicht zwar nicht, was zwischen den Buchdeckeln stehen wird, aber durchaus, dass es Zeichen sein werden, die für sie als muttersprachliche funktionieren. Womit sie sich dann eigentätig und zweckgerichtet konfrontieren, ist für sie pertinent salient, hat also innerhalb einer rein pertinenten, vorausschauend vorgestellten Eventualität, der des Bibellesens, Widerfahrnischarakter. Wir müssen uns die inklusiven Handlungskreise also als geschichtete Vorstellen. Innerhalb der vorausschauend vereinseitigt vorgestellten Konfrontation mit der Bibel als einem sprachlichem gegenüber einem nicht sprachlichen Phänomen ist das tatsächlich sprachlich Ausgedrückte unter allem möglichen sprachlich Ausgedrückten bloß vorausschauend vorgestelltes Widerfahrnis. Diesen Unterschied finden wir in Abbildung 100 als Schichten des pertinenten „Sprachlichen (vs. nicht Sprachlichen)“ und des (pertinent) salienten „Gesagten (vs. Sagbaren)“. Die erwarteten Widerfahrnisse können sich sodann auf beiden der Schichten ereignen: derjenigen der Eigenstruktur und derjenigen der simulierten Wahrnehmungen und Aktivitäten. Diesbezüglich besitzt sprachlich Geäußertes also einen mittleren Grad an Erwartbarkeit: Es ist erwartbarer als eine bloß saliente Eventualität - der Stein, über den wir stolpern, das nicht kooperative Handeln anderer -, es ist aber weniger erwartbar als eine gänzlich pertinente Eventualität - das Brummen der Kaffeemaschine, nachdem wir die Brühtaste gedrückt haben. 18429_Kasper_SL5.indd 285 18429_Kasper_SL5.indd 285 20.08.2020 10: 56: 40 20.08.2020 10: 56: 40 286 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Abb. 100: Die Schichtung der inklusiven Handlungskreise Und hier müssen wir eine weitere Schicht annehmen. Innerhalb des pertinent Salienten, des erwartbaren Widerfahrnisses, kann uns auch Unerwartetes durch saliente Reize widerfahren (Abzweigung „salient“). In dieser Schicht mit vier Szenarien fi nden wir nun alles vereint: Hier überkreuzen sich nun die Pertinenz- und Salienzlinien mit Handlungs- und Verhaltensarten, mit der Gewissheit und Ungewissheit der Interpretation und mit den beiden Typen von instruktiven Hinweisen. Schauen wir uns diese Konstellationen, in der Abbildung in vier Zeilen angeordnet, der Reihe nach an. Zunächst zu den beiden Bedingungen, in denen instinktive Vorgänge auf Basis außergrammatischer Hinweise ohne Stattgabe oder Veto bleiben („Durchlaufen von Außergrammatischem“ und „widersprüchliches Außergrammatisches“): Im Bereich des pertinent Salienten besteht ein erwartbares Widerfahrnis darin, dass unsere instinktiven Annahmen auf Basis außergrammatischer Hinweise einfach ungehindert und unbestätigt durch die Äußerung durchlaufen. Dies geschieht in grammatisch mehrdeutigen Äußerungen mit humanen Ursachen, die außerdem die Früher-Später-Struktur wirklicher Ereignisse abbilden. Mein Beispiel war Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa . Die Kehrseite des ungehindert und unbestätigt Durchlaufens - der ungewissen Interpretation - ist das mögliche - und hier tatsächliche - Missverständnis. Im Bereich des pertinent Salienten besteht Unerwartetes darin, dass instinktive Vorannahmen mit den tatsächlich vorfi ndbaren außergrammatischen Hinweisen im Widerspruch stehen. Dies triff t in grammatisch mehrdeutigen Äußerungen zu, in denen der höher belebte Gegenstand nicht der frühere ist, wie in E gueti Taat hät si ja a mer taa! Das frühere Erscheinen der Tat weist auf ihren Status als Ursache hin, ihre Abstraktheit und die hohe Belebtheit des Bezugsgegenstandes von si dagegen auf deren Status als (verantwortliche) Ursache. Das Resultat ist zwar höchstwahrscheinlich kein Missverständnis, aber ein Richtigverstehen auf Kosten erhöhter Ungewissheit. Entscheidend ist nun, was passiert, wenn eigenstrukturelle Hinweise beteiligt sind („eigenstrukturelle Stattgabe“ und „eigenstrukturelles Veto“). Im Bereich des pertinent Salienten besteht 18429_Kasper_SL5.indd 286 18429_Kasper_SL5.indd 286 20.08.2020 10: 56: 42 20.08.2020 10: 56: 42 4.5 Der Blick zurück auf die sprachliche Eigenstruktur 287 das andere erwartbare Widerfahrnis darin, dass saliente eigenstrukturelle Hinweise der Interpretation stattgeben, von denen die Leserinnen auf Basis außergrammatischer Hinweise ohnehin ausgegangen sind. Das Beispiel, das ich besprochen hatte, war Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich [ … ] . Die Stattgabe besteht darum, weil die Instruktionen der eigenstrukturellen Hinweise zu befolgen eine erworbene konditionierte, vielleicht auch in der Aufmerksamkeit weit abgesunkene erlernte und routinisierte Aktivität ist und deshalb Vetopotenzial beziehungsweise Stattgabepotenzial gegenüber bloß instinktiven Interpretationssuggestionen hat. Das Resultat davon ist interpretative Gewissheit. Schließlich finden wir im Bereich des pertinent Salienten ein Widerfahrnis darin, dass erworbene eigenstrukturelle Hinweise den ererbten instinktiven Interpretationssuggestionen der außergrammatischen Hinweise widersprechen. Dies hatte ich anhand des Beispiels Und von der stunde intfînc si der jungere in di sîne illustriert. Auch hier haben die eigenstrukturellen Hinweise aufgrund der Tätigkeitsart, die ihre Interpretation darstellt, Vetopotenzial gegenüber den bloß instinktiven Interpretationssuggestionen. Je größer hier der Widerspruch zwischen den eigenstrukturellen Instruktionen und den außergrammatischen Suggestionen ist, desto aufwendiger wird es, die Vorstellung auf die Art und Weise der Instruktion gemäß vorzunehmen. Das Vetopotenzial der eigenstrukturellen Hinweise macht beispielsweise diejenigen wenigen Sprachen möglich, die im World Atlas of Language Structures Online als Patiens-vor-Agens-Sprachen klassifiziert sind. Ich würde vorhersagen, dass diese Sprachen stets aussagekräftige eigenstrukturelle Mechanismen aufweisen, die gegen die instinktiven außergrammatischen Suggestionen intervenieren. Die Frage, warum die eigenstrukturellen Hinweise zuverlässiger, oder verbindlicher als die außergrammatischen sind, warum sie zu größerer Gewissheit führen, beantworte ich also folgendermaßen: • Die inneren Aktivitäten beim Befolgen der eigenstrukturellen Hinweise sind anderer Art als diejenigen beim Befolgen der außergrammatischen Hinweise. Jene haben Veto- und Stattgabepotenzial gegenüber diesen. Dieser Unterschied kann auf die unterschiedlichen Grade der Offenheit, Plastizität und biologischen Kontingenz der jeweiligen - verleibten - kognitiven Aktivitäten zurückgeführt werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Eigenstrukturelle Hinweise sind ausschließlich innerhalb der sprachlichen Einstellung bedeutsam, verschaffen dort aber einen Grad der Gewissheit, der in der nicht sprachlichen Wirklichkeit gar nicht zu erreichen ist. Im vorangegangenen Abschnitt habe ich den Menschen als Wesen charakterisiert, das gegen die Suggestionen aus seinem eigenen Inneren intervenieren kann. In diesem Abschnitt sind die sprachlichen Symbole zu dieser Charakterisierung hinzugetreten. Da die Sprachbenutzung ein grundlegend interaktives Unterfangen ist, richtet sich hierbei die Intervention einer Sprachbenutzerin nicht gegen die Suggestionen aus ihrem eigenen Inneren. Vielmehr interveniert der Schreiber mit den eigenstrukturellen Mitteln gegen die Suggestionen aus dem Inneren der Leserin! Auf diese Weise wird aus der Interventionsleistung eine kooperative. Noch etwas anderes soll über den Zusammenhang des animal interveniens und des animal symbolis interveniens gesagt werden. Der - wenn auch skizzenhafte - anthropologische Entwurf macht Aussagen zu so etwas wie einer Verstehenstiefe. Ich hatte argumentiert, dass 18429_Kasper_SL5.indd 287 18429_Kasper_SL5.indd 287 20.08.2020 10: 56: 42 20.08.2020 10: 56: 42 288 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze unser Vorstellungsleben handlungsförmig ist und unsere Handlungen leiblich sind; soll heißen, wir gewinnen die Übersicht über unsere Umwelt, indem wir sie uns tätig erschließen. Auf diese Weise werden uns die Phänomene zu Anzeigern zahlloser Angriffsmöglichkeiten, die damit einhergehen, dass wir sie zweckabhängig aspektvereinseitigen können. Aber ebenso habe ich die Ausdrücke einer Sprache sowie ihre Eigenstrukturen als öffentlich verfügbare Vehikel für Aspektvereinseitigungen beschrieben. Damit werden aber das Verstehen sprachlicher Äußerungen und der interpretative Umgang mit ihren Eigenstrukturen an den Grad geknüpft, zu dem wir uns das Ausgedrückte vorgängig tätig erschlossen haben. Verstehenstiefe wird so an leibliche Erfahrung gebunden. Ich möchte nicht behaupten, dass die beiden koextensiv sind, also sich parallel entwickeln, parallel bestehen und einander jederzeit bedingen. Dass dies nicht so ist, hängt daran, dass jede Sprache ein Reservoire an Aspektvereinseitigungen ist, das sich über zahllose Generationen akkumuliert hat und so jeder Lernerin, die bereits über einen Grundstock an leiblicher Welterschließung verfügt, gewissermaßen eine Abkürzung zur Aspektvereinseitigung an die Hand gibt, mittels deren die tätige Welterschließung übersprungen werden kann. Je kleiner oder weniger vielfältig aber dieser Grundstock ist, desto weniger werden die Aspektvereinseitigungen gelingen, zu denen sprachliche Ausdrücke und Strukturen instruieren. Es bleibt dann eine Differenz zwischen dem Grundstock an tätiger Welterschließung und der Simulationsanforderung des sprachlich Ausgedrückten. Verstehen Sie das hier: 2 ½ Salto rückwärts mit 3 ½ Schrauben gehechtet . Oder dies: Lehman Brothers bricht zusammen. Das interpretative Abtauchen in die Tiefe scheitert hier weder an der Metonymie noch an der Metapher. 4.6 Die Antworten des vorliegenden Buches Wo ich Lebendiges fand, da fand ich den Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein. (Nietzsche, Also sprach Zarathustra, S. 124) Doch was ist Freiheit? […] Auch der Mensch, der von allen äußeren wie inneren Zwängen frei ist, der frei über sein Dasein verfügen kann, ist nach dem neuen Testament noch lange nicht frei. Er ist nicht deshalb unfrei, weil er in nicht hinreichendem Ausmaß über sich verfügt, sondern weil er überhaupt verfügen will, weil er glaubt, sich und seine Wirklichkeit selbst in Regie nehmen zu können und zu müssen. Darin drückt sich Angst und Sorge aus. Noch mehr, darin kommt eine Bindung und ein Verfallensein an sich selbst zum Ausdruck. Solche Unfreiheit ist das Wesen der Sünde. […] Sünde ist das Verkrampftsein des Menschen in sich, das Verfallensein an das Bestehende und scheinbar Sichere, die Unfähigkeit, frei zu sein für die andern und für das unabsehbare Neue der Zukunft. (W. Kasper, Einführung in den Glauben, S. 113) Ich möchte hier auf eine Zusammenfassung verzichten. Die Ergebnisse der Korpusstudie finden sich bereits konzis in den Schlussabschnitten der vorangegangenen Kapitel, 416 die Ergebnisse der anthropologischen Skizze in diesem Kapitel finden sich hinter den Aufzählungs- 416 Siehe die Abschnitte 2.8.4 und 2.9 sowie 3.8. 18429_Kasper_SL5.indd 288 18429_Kasper_SL5.indd 288 20.08.2020 10: 56: 42 20.08.2020 10: 56: 42 4.6 Die Antworten des vorliegenden Buches 289 zeichen in den Schlussabschnitten der vorangegangenen und vorvorangegangenen beiden größeren Abschnitte. 417 Ich möchte stattdessen noch einmal auf das Filtermodell vom Eingang dieses Kapitels zurückkommen und erörtern, was davon übrig geblieben ist. 418 Anschließend werde ich das Modell durch ein neues ersetzen und auf einige Konsequenzen der anthropologischen Skizze hinweisen. 4.6.1 Was steht womit in welcher Beziehung? Der Mensch ist ein riskantes Lebewesen, das sich selbst mißlingen kann. […] Der Mensch ist die verkörperte Unwahrscheinlichkeit. Er ist das Tier, das trotzdem lebt. (Blumenberg, Beschreibung des Menschen, S. 550) Vor dem Hintergrund meiner These dazu, was unsere Leserinnen tun, wenn sie eigenstrukturelle und außergrammatische Hinweise als Instruktionen zur Simulation von Wahrnehmung und Aktivitäten behandeln, können wir von dem Filtermodell in den Abbildungen 91 und 92 tatsächlich kaum etwas unverändert beibehalten. In dem Filtermodell fehlten zentral die zwei qualitativen und als solche verleibten Typen der Bedeutsamkeit, Salienz und Pertinenz. Sie verbieten es uns im Grunde genommen, nur das zu betrachten, was im Kopf passiert, sei es neuronal oder psychisch. Die qualitativen und verleibten Typen der Bedeutsamkeit müssen in dem Modell ebenso Platz finden wie der quantitative Faktor Inputfrequenz (zusammen mit Inputrezenz). Eine Zwischenstellung zwischen beiden muss der Effizienz zukommen. Die ererbte Bedeutsamkeit der außergrammatischen Hinweise auf der Salienzlinie bringt es mit sich, dass es bei der Konfrontation mit einer Äußerung für die Interpretin nicht offen ist, dass irgendetwas darin mit irgendetwas anderem in irgendeiner Beziehung stehend vorgestellt werden soll. Vielmehr besteht als Vorannahme für eine Äußerung, dass sie die Früher-Später-Struktur einer wirklichen Eventualität mit verantwortlicher Ursache ikonisch abbildet. Das frühere Etwas ist also verantwortliches Agens gegenüber dem späteren Patiens-Etwas. Die außergrammatischen Mittel der Belebtheit und nicht syntaktifizierten Reihenfolge sind also gar keine Filter und sie sitzen auch nicht hinter den eigenstrukturellen Filtern, sondern sie werden bereits als Eigenschaften des Inputs vor-angenommen und kommen damit vor den eigenstrukturellen Filtern. Erlernte kognitive Aktivitäten auf Basis eigenstruktureller Mittel besitzen den außergrammatisch motivierten Vorannahmen gegenüber höhere instruktive Verbindlichkeit und damit Veto- und Stattgabepotenzial. Sie sind dadurch ebenfalls nicht bloß Filter, sondern Richter. 419 417 Siehe die Abschnitte 4.4.2 und 4.5.3.3. 418 Siehe Abbildung 91 in Abschnitt 4.1.1 und, erweitert, Abbildung 92 in Abschnitt 4.2.5. 419 Die Ähnlichkeiten zwischen den Aktivitätsarten, die ich für die eigenstrukturellen gegenüber den außergrammatischen Hinweisen vorschlage, und den Prozessen, die Dan Kahneman (2012) System 1- und System 2-Prozesse nennt, sind nicht zufällig. Das Modell bildet eine wichtige theoretische Inspiration für meinen Ansatz. Ich gehe allerdings von der dynamischeren Annahme aus, dass manche Aktivitätsarten Vetopotenzial gegenüber anderen haben, was sich aus ihren jeweiligen Positionen auf der Skala in Abbildung 99 (siehe Abschnitt 4.5.3.2) ergibt und nicht aus einer statischen Zuordnung zu System 1 oder 2. Anders gesagt, kann auch ein Kahneman’scher System 2-Prozess gegen einen anderen System 2-Prozess intervenieren und nicht bloß gegen System 1-Prozesse; ebenso System 1-Prozesse untereinander. 18429_Kasper_SL5.indd 289 18429_Kasper_SL5.indd 289 20.08.2020 10: 56: 42 20.08.2020 10: 56: 42 290 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze Die kognitiven Aktivitäten im Filtermodell, die zur Interpretation gehören - Assoziation, Automatisierung, Kategorisierung und Schematisierung - erweisen sich damit in vielerlei Hinsicht als gewaltig unterbestimmt. Insbesondere Assoziation und Kategorisierung können auf der Pertinenz- oder Salienzlinie, innerhalb des Handlungskreises oder innerhalb des Verhaltenskreises, in Bezug auf eigenstrukturelle oder auf außergrammatische und hinsichtlich des Grades an Gewissheit beschrieben werden, der mit ihnen einhergeht. Ohne die jeweiligen Bestimmungen geht ihnen jegliche Erklärungskraft verloren. Die Wirksamkeit der Frequenz ist insbesondere für die konditionierten und routinisierten Aktivitäten anzunehmen, die mit eigenstrukturellen Merkmalen verbunden sind und als solche das Potenzial besitzen, die instinktiven Faktoren der Bedeutsamkeit äußerlich vollständig unsichtbar zu machen. Dies wäre der Fall in Sprachen, die so gut wie keine grammatisch mehrdeutigen Äußerungen zulassen, wie beispielsweise das Althethitische. Der Entwurf verfl icht all diese Aspekte mit der Idee der sprachlichen Äußerung als Instruktion zur Simulation von Wahrnehmungen und Aktivitäten, den ich andernorts entwickelt habe, und bringt sie in Verbindung mit den beiden instruktiven Ebenen, um die sich die zentrale Fragen dieser Arbeit gedreht haben, nämlich Was ist es, das ich mir vorstellen soll? und In welcher Beziehung steht es womit? Das folgende revidierte Modell in Abbildung 101 kann das Gesagte nicht ersetzen, aber den Zuwachs an Komplexität zumindest andeuten. Abb. 101: Modell des animal symbolis interveniens aus der lokalen synchronischen Offl ine-Perspektive Mit der Veto- und der Stattgabefunktion der eigenstrukturellen Hinweise im Hintergrund möchte ich mich auch ein letztes Mal der Frage widmen, wie es um das historische Verhältnis der eigenstrukturellen Hinweise untereinander bestellt ist. Wir erkennen in der englischen Sprachgeschichte eine Entwicklung, die wir in der deutschen nicht erkennen: Im Mittelenglischen beginnt die Syntaktifi zierung der Reihenfolge und heute hat sie jede syntaktische 18429_Kasper_SL5.indd 290 18429_Kasper_SL5.indd 290 20.08.2020 10: 56: 44 20.08.2020 10: 56: 44 4.6 Die Antworten des vorliegenden Buches 291 Bedingung erfasst. Die deutschen Dialekte, die ich untersucht habe, zeigen diese Entwicklung nicht. Worin liegen die augenscheinlichsten Unterschiede zwischen dem Übergang vom Altenglischen zum modernen Englischen und vom Althochdeutschen zum Standarddeutschen und den modernen Dialekten? Es sind zwei: Erstens wurde der Gebrauch des Mittelenglischen der (späteren) Wycliffe-Bibel schon gezielt auf seine Vermittlung durch die Schrift hin konzipiert und in gewissem Sinne standardisiert. Dies trifft weder auf das Hochalemannische, noch auf das Nordniederdeutsche zu. Diese sind primär Sprechweisen, die in der face-to-face -Interaktion verwurzelt sind, in der alle Situationsstützen zur Verfügugung stehen. Damit hängt die kommunikative Primärfunktion weniger stark von der Ausprägung eigenstruktureller Hinweise ab. Wenn sie doch einmal geschrieben sind und deshalb dem Missverstehen vorgebeugt werden muss, sind sie im Grad ihrer Syntaktifizierung an der jeweiligen Hochsprache orientiert, wie ihr Umgang mit imaginären Satzgliedern zeigt. In den gesprochenen Dialekten können die Vetofunktion durch direkte Rückkopplung und Korrektur, und die Stattgabefunktion durch direkte Nachfrage und Bestätigung kompensiert werden, also in Wechselrede. Auf die Schrift hin entworfener Sprachgebrauch ist dagegen durch seine raumzeitliche Indirektheit auf eigenstrukturelle Eindeutigkeit angewiesen. Zweitens hat es sprachhistorische Einschnitte, wie sie die Einwanderungen von Wikingern und Normannen darstellen, im Deutschen nicht gegeben. Wie zum Beispiel die Chronik von Peterborough illustriert, hat es beim Übergang vom Altzum Mittelenglischen Phasen gegeben, in denen die eigenstrukturellen morphologischen Hinweise mit großer Unsicherheit gebraucht wurden. Unsicher heißt hier, dass Konventionen, die vormals galten, regelmäßig verletzt wurden, darunter der Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ. Zudem begann man, das maskuline nominativische Demonstrativelement se auf andere Genera auszuweiten. Später wurde þe daraus, das für alle Kasus und Genera verwendet werden konnte. 420 Gleichzeitig war die Reihenfolge zwischen Subjekten und Objekten sowie zwischen indirekten und direkten Objekten noch nicht syntaktifiziert. 421 Damit war eine Situation gegeben, so meine These, in der eigenstrukturelle morphologische Hinweise zwar noch verfügbar, teilweise sogar voneinander unterscheidbar, aber nicht mehr zuverlässig genug für alle waren, weil sie von zu vielen inkonsequent verwendet wurden. Sie instruierten diejenigen mit dem alten eigenstrukturellen Know-how teilweise dazu, sich Eventualitäten auf eine andere Art und Weise vorzustellen, als sie gemeint waren. Eine Interpretin konnte sich nicht mehr immer sicher sein, ob ihr Know-how auch dasjenige des Sprechers oder Schreibers war. Und die eigenstrukturellen morphologischen Hinweise instruierten diejenigen, die keine anderen als die widersprüchlichen Instruktionen kannten, auf mehrdeutige Weise. Zu diesen gehörten die Kinder derjenigen mit dem alten eigenstrukturellen Knowhow . Innerhalb weniger Generationen starben die Sprecher mit dem alten eigenstrukturellen Know-how aus. In der geschriebenen Sprache kam es dazu, dass Interpretinnen die unverbindlichen außergrammatischen Hinweise und die verfügbaren Kontexthinweise gegen die eigenstrukturellen morphologischen als die kritischen Hinweise behandeln mussten. Anders sind bestimmte Äußerungen in der Peterborough-Chronik gar nicht richtig zu verstehen. Das bedeutet, die 420 Vgl. Shores (1970). 421 Für erstere Beziehungen vgl. Shores (1970), für letztere McFadden (2002). 18429_Kasper_SL5.indd 291 18429_Kasper_SL5.indd 291 20.08.2020 10: 56: 44 20.08.2020 10: 56: 44 292 4 Bedeutsamkeit, Sprache und Gewissheit: eine anthropologische Skizze eigenstrukturellen morphologischen Hinweise hatten zwar nicht unbedingt ihren instruktiven Charakter verloren - sie galten weiterhin von manchen für manche - aber sie hatten sehr wohl ihre Veto- und Stattgabefunktionen für alle Sprachbenutzerinnen verloren, denn von wem sie genau für wen galten und gelten konnten, konnte man nicht wissen. Mit anderen Worten, die morphologischen Hinweise lieferten nicht mehr die interpretative Gewissheit, die Interpretinnen von ihnen erwarteten. Unter den Lernern der folgenden Generationen setzten sich jeweils weniger Formen für mehr Funktionen durch, darunter die zentralen the und him . Auf der instinktiven Suche nach Gewissheit durch Veto und Stattgabe mussten sie sich auf andere Hinweise verlegen. Was lag da näher, als einen eigentlich außergrammatischen Hinweis, der äußerlich präsent ist, als eigenstrukturellen zu interpretieren? Die Reihenfolge ist - wie wir wissen, die mittelenglischen Lerner aber nicht wussten -, ohnehin wirksam, sie war als Reihenfolge - und anders als die Belebtheit - im Geäußerten unmittelbar präsent, sie stand den erodierten eigenstrukturellen Hinweisen in Sachen Zuverlässigkeit wohl in nichts nach und musste stellenweise sogar gegen sie verwendet werden. Was vielleicht das Wichtigste war, sie war unabhängig vom Know-how des Sprechers und der Interpretin wirksam. Der Selektionsdruck auf eindeutige Zuordnungen zwischen syntaktischen Konfigurationen und Lesarten durch die Sprachbenutzerinnen, inbesondere im Erstspracherwerb und im Schriftsprachgebrauch, muss über diese Generationen hinweg besonders groß gewesen sein. In den Bedingungen, in denen sie bereits installiert worden waren, konnte flexionsmorphologischer Überschuss phonetisch erodieren oder neu funktionalisiert werden und so zu Verstehens- und Lernbarkeitsproblemen in anderen Bedingungen führen, deren Reihenfolgen noch nicht syntaktifiziert waren, was wiederum den Selektionsdruck auf eindeutige Reihenfolgen erhöhte und so weiter. In bestimmten, aber verschiedenen Hinsichten lagen also sowohl Meillet als auch Jespersen richtig - und falsch. Je nach syntaktischer Bedingung wechselten sich ihre Szenarien ab. Aber alles begann mit dem Verlust der Veto- und Stattgabefunktionen der morphologischen Hinweise und der Übertragung dieser Funktionen auf den ohnehin wirksamen außergrammatischen Hinweis der Reihenfolge beziehungsweise Konfiguration. 422 Damit hören diese aber auf, außergrammatische Hinweise zu sein und werden unabhängig von außergrammatischen Zusammenhängen. Dies ist zwar nur eine Skizze einer These, sie liefert aber eine Erklärung dafür, warum das Ganze im Englischen, aber nicht im Deutschen geschehen ist. Sie ist ebenfalls vereinbar mit der Beobachtung, dass die Erosionserscheinungen schon vor der normannischen Invasion in England eingesetzt haben. Solche Erscheinungen gab es auch im Übergang vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen und vom Altzum Mittelniederdeutschen. Aber ohne die katastropischen Auswirkungen der normannischen Invasion und den gleichzeitigen Bedarf an einer Schriftsprache hätte das Englische auch den Weg des modernen Niederdeutschen einschlagen können. 422 Das geht so weit, dass syntaktifizierte Reihenfolgen außergrammatisch motivierten Reihenfolgen widersprechen können, obwohl sie aus diesen entstanden sind. 18429_Kasper_SL5.indd 292 18429_Kasper_SL5.indd 292 20.08.2020 10: 56: 44 20.08.2020 10: 56: 44 4.6 Die Antworten des vorliegenden Buches 293 4.6.2 Was kann ich (jetzt) tun? Die Gesamtheit der magischen Praktiken ist gewissermaßen nur die Auseinanderlegung, die fortschreitende Entfaltung des Wunschbildes, das der Geist von dem zu erreichenden Ziele in sich trägt. Die einfache, immer gesteigerte Wiederholung dieses Zieles gilt schon als der Weg, der mit Sicherheit zu ihm hinführen muß. Auf diese Weise entstehen die beiden Urformen der Magie: der Wortzauber wie der Bildzauber. Denn Wort und Bild sind die beiden Weisen, in denen der Mensch ein Nicht-Gegenwärtiges gleich einem Gegenwärtigen behandelt. (Cassirer, Form und Technik, S. 139-140) Vertraue und handle! (Helmholtz, Die Thatsachen in der Wahrnehmung, S. 244) Die Leserin verfügt über Aktivitätsarten, anhand deren sie gegen andere Aktivitäten einschreiten kann, die, falls sie es nicht täte, bei bestimmter Reizlage einfach ab- und durchlaufen würden. Ihr erlernter interpretativer Umgang mit der sprachlichen Eigenstruktur ist eine der Aktivitäten, mit der sie gegen den Flow salienzbasierter Aktivitäten einschreiten kann. In dieser Hinsicht ähnelt die Sprache anderen Institutionen, die den Menschen mit Routinen ausstatten, mit denen Aktivitätsarten unterhalb ihrer selbst überbietbar sind. 423 Das Vetoinstrument kann aber dort immer selbst zur Routine absinken, wo seinen Aspektvereinseitigungen so stattgegeben wird, dass sie einseitig werden, dass wir ihrer Einseitigkeit verfallen und sie mit der Wirklichkeit zu verwechseln drohen. Die sprachliche Eigenstruktur hat ihren eigenen Flow . Durch seine Weltoffenheit fühlt der Mensch sich durch die Weltfülle konstitutiv bedroht. Der Weg, der ihm Gewissheit suggeriert, ist, die aspektvereinseitigte Wirklichkeit für die einzige Wirklichkeit zu halten. Die Sprache eröffnet ihm diesen Weg. Etwas wird dann schon dadurch, dass es nur gesagt wird, wirklich. Die scheinbare Alternativlosigkeit bietet auch Gewissheit. Es bedarf der Arbeit, gegen das Vetoinstrument selbst zu intervenieren. Es gibt, wie wir sahen, eine sprachliche Einstellung, die wir als Menschen einnehmen können, aber nicht müssen. Dies ist die äußerste Schicht der inklusiven Handlungskreise, die bei der Sprache beteiligt sind und durch die wir Phänomene überhaupt erst als sprachliche betrachten. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich verstehen, dass dieselben Phänomene auch als beliebig ausdeutbare Sequenzen von Geräuschen, als graphische Gestalten oder manuelle Bewegungsmuster behandelt werden können. Es ist dies die Schicht, in der wir uns wieder die Welt mit allen Seiten wieder selbsttätig und leiblich erschließen müssen. Dort treffen wir auf wirklichen Widerstand, auf das „harte Muss der bloßen Sachen“ als Korrektiv scheinbarer Einseitigkeit. 424 Eine Abkürzung zu nehmen, bedeutet auch immer Verzicht auf leibliche Erfahrung. Den langen Weg zu gehen, schafft zwar keine Gewissheiten, verhindert aber falsche Gewissheiten. 423 Vgl. Gehlens ([1956] 1986) Instutionenphilosophie. 424 Vgl. Cassirer ([1930] 2009a: 148), Schwemmer (1997b: 32). 18429_Kasper_SL5.indd 293 18429_Kasper_SL5.indd 293 20.08.2020 10: 56: 44 20.08.2020 10: 56: 44 18429_Kasper_SL5.indd 294 18429_Kasper_SL5.indd 294 20.08.2020 10: 56: 44 20.08.2020 10: 56: 44 5.1 Quellentexte 295 5 Literaturverzeichnis Die folgenden Verzeichnisse der verwendeten Literatur sind gegliedert in Quellentexte, Übersichtswerke zur (historischen) Syntax und Grammatik der untersuchten (oder verwandter) Sprach(stuf)en sowie Forschungsliteratur. Da die Zuordnung mir für einzelne Arbeiten nicht leichtfiel, lohnt sich bei fehlenden Einträgen sicher der Blick in die jeweils anderen Kategorien. 5.1 Quellentexte Bibel: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen. [Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984.] Durchges. Ausg. in neuer Rechtschreibung. 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Oxford 1850: Oxford University Press. 5.2 Übersichtswerke zur Syntax und Grammatik von Sprach(stuf)en Admoni, Wladimir (1990): Historische Syntax des Deutschen. Tübingen: Niemeyer. Ágel, Vilmos (2000): Syntax des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. In: Besch/ Betten/ Reichmann/ Sonderegger (Hrsg.), Teilband 2, 1855-1903. Behaghel, Otto (1928a): Deutsche Syntax. III. Band: die Satzgebilde. Heidelberg: Winter. Behaghel, Otto (1928b): Geschichte der deutschen Sprache. Fünfte, verbesserte und stark erweiterte Auflage. Berlin/ Leipzig: de Gruyter. Besch, Werner/ Betten, Anne/ Reichmann, Oskar/ Sonderegger, Stefan (Hrsg.) (1998, 2000, 2003, 2004): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Vier Teilbände. Berlin/ Boston: de Gruyter. Blake, Norman (1992): The Cambridge history of the English language. Volume 2: 1066-1476. Cambridge: Cambridge University Press. 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Mannheim: Institut für Deutsche Sprache. 18429_Kasper_SL5.indd 318 18429_Kasper_SL5.indd 318 20.08.2020 10: 56: 45 20.08.2020 10: 56: 45 A.1 Altenglisch 319 Anhang: Paradigmen Viele der Tabellen auf den nächsten Seiten weisen geschwärzte Zellen auf. Die kategoriellen Unterscheidungen der entsprechenden Zeile oder Spalte sind in der jeweiligen Sprach(stuf)e nicht vorhanden. Sie dort aufzuführen, ist also eigentlich der jeweiligen Sprache unangemessen. Ich habe aber in den Paradigmen versucht, ein Bezugssystem für alle Sprach(stuf)en anzusetzen, das sie vergleichbar macht, indem es jede Kategorie aufweist, die in mindestens einer der Sprach(stuf)en vorkommt. In den Tabellen sind zudem mehr oder weniger Formen schattiert. Unter den nominalen Paradigmen sind die Formen schattiert, die sowohl den Subjektkasus Nominativ als auch einen der vorhandenen Objektskasus repräsentieren können. Diese Formen sind also morphologisch mehrdeutig in genau dem Sinn wie si und de Jünger in der hochalemannischen Äußerung in (1) ( Und vo säbere Stund aa hät si de Jünger zue sich gnaa ) mehrdeutig sind. Aus Gründen der Übersichtlichkeit habe ich darauf verzichtet, zusätzlich noch all diejenigen Formen zu schattieren, die mehr als einen Objektkasus repräsentieren können. Diese sind natürlich auch relevant, nämlich für Äußerungen, die nicht hinsichtlich Subjekt und Objekt, sondern zwischen Objekten mehrdeutig sind, wie Jesus und dat Krüz im nordniederdeutschen Beispiel in (9) ( Vun den verlang’n se, dat he Jesus dat Krüz affnehmen dä ). Unter den verbalen Formen sind diejenigen schattiert, die mehr als eine Personenkategorie (1, 2 oder 3) oder mehr als eine Numeruskategorie (Singular und Plural) repräsentieren können, denn diese Kategorien sind entscheidend für die Kongruenz mit dem Subjekt. In dem hochalemannischen Beispiel … hät si de Jünger zue sich gnaa sind si und de Jünger nicht nur Repräsentanten der gleichen Kasus, sondern hät, si und de Jünger weisen auch dieselben Person- und Numerusspezifikationen auf, was die Äußerung insgesamt morphologisch mehrdeutig macht. Solche Verbformen wie mittelenglisch haue ‚hab.1SG.PRÄS.IND/ 1/ 2/ 3.SG/ PL.SUBJ.PRÄS‘ zeigen aber, dass Subjekt und Objekt auch verschiedene Personen und Numeri repräsentieren können und die Äußerung dennoch morphologisch mehrdeutig sein kann. A.1 Altenglisch Nomen stark m. schwach m. Nom. Sg. dæg ‚Tag‘ cempa ‚Soldat‘ Gen. Sg. dæges cempan Dat. Sg. dæge cempan Akk. Sg. dæg cempan Inst. Sg. dæge cempan Nom. Pl. dagas cempan 18429_Kasper_SL5.indd 319 18429_Kasper_SL5.indd 319 20.08.2020 10: 56: 45 20.08.2020 10: 56: 45 320 Anhang: Paradigmen Gen. Pl. daga cempena Dat. Pl. dagum cempum Akk. Pl. dagas cempan Tab. 15: Altenglische Nomen Demonstrativpronomen/ Artikel m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. se seo þæt þes þēos þis Gen. Sg. þæs þære þæs þisses þissere þisses Dat. Sg. þam þære þam þysum þissere þysum Akk. Sg. þone þa þæt þisne þās þis Inst. Sg. þy, þon þy, þon þys, þis þys, þis Nom. Pl. þa þa þa þās þās þās Gen. Pl. þæra þæra þæra þissa þissa þissa Dat. Pl. þam þam þam þissum þissum þissum Akk. Pl. þa þa þa þās þās þās Tab. 16: Altenglische Demonstrativpronomen/ Artikel Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. ic wit wē Sg. hē hēo hyt Gen. 1. mīn uncer ūre Sg. hys hire hys Dat. 1. mē unc ūs Sg. him hire him Akk. 1. mē unc ūs Sg. hyne hīe hyt Inst. Nom. 2. þū git gē Pl. hi(g) hi(g) hi(g) Gen. 2. þīn incer ēower Pl. hira hira hira Dat. 2. þē inc ēow Pl. heom heom heom Akk. 2. þē inc ēow Pl. hi(g) hi(g) hi(g) Tab. 17: Altenglische Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. secge hæbbe Präs. Indik. Sg. 2. segst hafast/ hæfst Präs. Indik. Sg. 3. segþ hafaþ/ hæfþ Präs. Indik. Pl. 1. secgeaþ habbaþ 18429_Kasper_SL5.indd 320 18429_Kasper_SL5.indd 320 20.08.2020 10: 56: 46 20.08.2020 10: 56: 46 A.2 Mittelenglisch 321 Präs. Indik. Pl. 2. secgeaþ habbaþ Präs. Indik. Pl. 3. secgeaþ habbaþ Präs. Subj. Sg. 1. secge hæbbe Präs. Subj. Sg. 2. secge hæbbe Präs. Subj. Sg. 3. secge hæbbe Präs. Subj. Pl. 1. secgen hæbben Präs. Subj. Pl. 2. secgen hæbben Präs. Subj. Pl. 3. secgen hæbben Prät. Indik. Sg. 1. cwæd hæfde Prät. Indik. Sg. 2. cwæde hæfdest Prät. Indik. Sg. 3. cwæd hæfde Prät. Indik. Pl. 1. cwædon hæfdon Prät. Indik. Pl. 2. cwædon hæfdon Prät. Indik. Pl. 3. cwædon hæfdon Prät. Subj. Sg. 1. cwæde hæfde Prät. Subj. Sg. 2. cwæde hæfde Prät. Subj. Sg. 3. cwæde hæfde Prät. Subj. Pl. 1. cwæden hæfden Prät. Subj. Pl. 2. cwæden hæfden Prät. Subj. Pl. 3. cwæden hæfden Tab. 18: Altenglisch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ A.2 Mittelenglisch Nomen Nom. Sg. prince ‚Hohepriester‘ Gen. Sg. princes Dat. Sg. prince Akk. Sg. prince Inst. Sg. Nom. Pl. princes Gen. Pl. princes Dat. Pl. princes Akk. Pl. princes Tab. 19: Mittelenglische Nomen 18429_Kasper_SL5.indd 321 18429_Kasper_SL5.indd 321 20.08.2020 10: 56: 46 20.08.2020 10: 56: 46 322 Anhang: Paradigmen Definiter Artikel, ‚this‘/ ‚these‘ m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. the the the this this this Gen. Sg. Dat. Sg. the the the this this this Akk. Sg. the the the this this this Inst. Sg. Nom. Pl. the the the these these these Gen. Pl. Dat. Pl. the the the these these these Akk. Pl. the the the these these these Tab. 20: Mittelenglischer definiter Artikel und ‚this‘/ ‚these‘ Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. Y, I we Sg. he sche it Gen. 1. my oure Sg. his hir his Dat. 1. me us Sg. hym hir it Akk. 1. me us Sg. hym hir it Inst. Nom. 2. thou ȝe Pl. thei thei thei Gen. 2. thi ȝoure Pl. her her her Dat. 2. thee ȝou Pl. hem hem hem Akk. 2. thee ȝou Pl. hem hem hem Tab. 21: Mittelenglische Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. seie haue Präs. Indik. Sg. 2. seist hast Präs. Indik. Sg. 3. seith hath Präs. Indik. Pl. 1. seien han Präs. Indik. Pl. 2. seien han Präs. Indik. Pl. 3. seien han Präs. Subj. Sg. 1. seie haue Präs. Subj. Sg. 2. seie haue Präs. Subj. Sg. 3. seie haue Präs. Subj. Pl. 1. seie haue Präs. Subj. Pl. 2. seie haue Präs. Subj. Pl. 3. seie haue 18429_Kasper_SL5.indd 322 18429_Kasper_SL5.indd 322 20.08.2020 10: 56: 46 20.08.2020 10: 56: 46 A.3 Althochdeutsch 323 Prät. Indik. Sg. 1. seide hadde Prät. Indik. Sg. 2. seidist haddest Prät. Indik. Sg. 3. seide hadde Prät. Indik. Pl. 1. seiden hadden Prät. Indik. Pl. 2. seiden hadden Prät. Indik. Pl. 3. seiden hadden Prät. Subj. Sg. 1. seide hadde Prät. Subj. Sg. 2. seide hadde Prät. Subj. Sg. 3. seide hadde Prät. Subj. Pl. 1. seide(n) hadde(n) Prät. Subj. Pl. 2. seide(n) hadde(n) Prät. Subj. Pl. 3. seide(n) hadde(n) Tab. 22: Mittelenglisch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ A.3 Althochdeutsch Nomen stark m. schwach m. Nom. Sg. tag ‚Tag‘ kempho ‚Soldat‘ Gen. Sg. tages kemphen Dat. Sg. tage kemphen Akk. Sg. tag kemphon Inst. Sg. tagu Nom. Pl. taga kemphon Gen. Pl. tago kemphono Dat. Pl. tagum kemphom Akk. Pl. taga kemphon Tab. 23: Althochdeutsche Nomen 18429_Kasper_SL5.indd 323 18429_Kasper_SL5.indd 323 20.08.2020 10: 56: 46 20.08.2020 10: 56: 46 324 Anhang: Paradigmen Einfaches Demonstrativum, zusammengesetztes Demonstrativum m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. ther thiu thaz, daz these, theser thisiu thiz Gen. Sg. thes thera thes thesses thesera, therra, therro thesses Dat. Sg. themo theru, thero themo thesemo theseru, therru thesemo Akk. Sg. then thia thaz, daz thesan thesa thiz Inst. Sg. thiu thiu Nom. Pl. thie thio thiu these theso thisiu Gen. Pl. thero thero thero thesero, therro thesero, therro thesero, therro Dat. Pl. then then then thesen thesen thesen Akk. Pl. thio thio thio these theso thisiu Tab. 24: Althochdeutsche Demonstrativa Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. ih wir Sg. (h)er siu iz Gen. 1. mīn unsēr Sg. sīn ira es Dat. 1. mīr uns Sg. imu, imo iru imu, imo Akk. 1. mih unsih Sg. inan, in sia iz Inst. Nom. 2. dū ir Pl. sie sio siu Gen. 2. dīn iuwēr Pl. iro iro iro Dat. 2. dir iu Pl. im, in im, in im, in Akk. 2. dih iuwih Pl. sie sio siu Tab. 25: Althochdeutsche Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. quid haben Präs. Indik. Sg. 2. quidis habes(t) Präs. Indik. Sg. 3. quidit habet Präs. Indik. Pl. 1. quedemes habemes Präs. Indik. Pl. 2. quedet habet Präs. Indik. Pl. 3. quedent habent 18429_Kasper_SL5.indd 324 18429_Kasper_SL5.indd 324 20.08.2020 10: 56: 46 20.08.2020 10: 56: 46 A.4 Mittelhochdeutsch 325 Präs. Subj. Sg. 1. quede habe Präs. Subj. Sg. 2. quedes habes(t) Präs. Subj. Sg. 3. quede habem Präs. Subj. Pl. 1. quedemes habemes Präs. Subj. Pl. 2. quaedet habet Präs. Subj. Pl. 3. quaeden haben Prät. Indik. Sg. 1. quad habeta Prät. Indik. Sg. 2. quadi habetos Prät. Indik. Sg. 3. quad habeta Prät. Indik. Pl. 1. quadum habetum Prät. Indik. Pl. 2. quadut habetut Prät. Indik. Pl. 3. quadun habetun Prät. Subj. Sg. 1. quadi habeti Prät. Subj. Sg. 2. quadis habetis Prät. Subj. Sg. 3. quadi habeti Prät. Subj. Pl. 1. quadim habetim Prät. Subj. Pl. 2. quadit habetit Prät. Subj. Pl. 3. quadin habetin Tab. 26: Althochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ A.4 Mittelhochdeutsch Nomen Nom. Sg. tac ‚Tag‘ Gen. Sg. tages Dat. Sg. tage Akk. Sg. tac Inst. Sg. Nom. Pl. tage Gen. Pl. tage Dat. Pl. tagen Akk. Pl. tage Tab. 27: Mittelhochdeutsche Nomen 18429_Kasper_SL5.indd 325 18429_Kasper_SL5.indd 325 20.08.2020 10: 56: 46 20.08.2020 10: 56: 46 326 Anhang: Paradigmen Definiter Artikel, einfaches Demonstrativum m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. der di daz dirre dise diz Gen. Sg. des der des dises diser dises Dat. Sg. dem der dem disem diser disem Akk. Sg. den di daz disen dise diz Inst. Sg. Nom. Pl. di di di dise dise dise Gen. Pl. der der der diser diser diser Dat. Pl. den den den disen disen disen Akk. Pl. di di di dise dise dise Tab. 28: Mittelhochdeutsche definite Artikel und Demonstrativa Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. ich wir Sg. her si iz Gen. 1. mîn unser Sg. sîn ir es, sîn Dat. 1. mir uns Sg. ime ir ime Akk. 1. mich uns Sg. en si iz Inst. Nom. 2. du, dû ir Pl. si si si Gen. 2. dîn ûwer Pl. ir ir si Dat. 2. dir ûch Pl. en en en Akk. 2. dich ûch Pl. si si si Tab. 29: Mittelhochdeutsche Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. spreche habe, hân Präs. Indik. Sg. 2. spriches(t) hâst Präs. Indik. Sg. 3. sprichet hât Präs. Indik. Pl. 1. sprechin habin Präs. Indik. Pl. 2. sprechit habit, hât Präs. Indik. Pl. 3. sprechin habin Präs. Subj. Sg. 1. spreche habe Präs. Subj. Sg. 2. sprechis(t) hast Präs. Subj. Sg. 3. spreche habe Präs. Subj. Pl. 1. sprechin habin Präs. Subj. Pl. 2. sprechit habit Präs. Subj. Pl. 3. sprechin habin 18429_Kasper_SL5.indd 326 18429_Kasper_SL5.indd 326 20.08.2020 10: 56: 47 20.08.2020 10: 56: 47 A.5 Frühneuhochdeutsch 327 Prät. Indik. Sg. 1. sprach hatte Prät. Indik. Sg. 2. sprachis(t) hattis(t) Prät. Indik. Sg. 3. sprach hatte Prät. Indik. Pl. 1. sprâchin hatten Prät. Indik. Pl. 2. sprâchit hattet Prät. Indik. Pl. 3. sprâchin hatten Prät. Subj. 425 Sg. 1. spreche hette Prät. Subj. Sg. 2. spreches(t) hettis(t) Prät. Subj. Sg. 3. spreche hette Prät. Subj. Pl. 1. sprechin hetten Prät. Subj. Pl. 2. sprechit hettet Prät. Subj. Pl. 3. sprechin hetten Tab. 30: Mittelhochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ A.5 Frühneuhochdeutsch Nomen Nom. Sg. Priester Gen. Sg. Priesters Dat. Sg. Priester Akk. Sg. Priester Inst. Sg. Nom. Pl. Priester Gen. Pl. Priester Dat. Pl. Priestern Akk. Pl. Priester Tab. 31: Frühneuhochdeutsche Nomen 425 Vgl. Bechstein (1867: LX): „Abgesehen von ů mangeln die Umlaute mit Ausnahme von e (Uml. von a) und ê (æ, Uml. von â). […] [LXI] Der Umlaut von â ist wie überhaupt im Mitteld. schon seit früherer Zeit auch hier durchgängig e (ê), niemals æ (doch s. sæten).“ 18429_Kasper_SL5.indd 327 18429_Kasper_SL5.indd 327 20.08.2020 10: 56: 47 20.08.2020 10: 56: 47 328 Anhang: Paradigmen Definiter Artikel, einfaches Demonstrativum m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. der die das dieser diese dieses Gen. Sg. des der des dieses dieser dieses Dat. Sg. dem der dem diesem dieser diesem Akk. Sg. den die das diesen diese dieses Inst. Sg. Nom. Pl. die die die diese diese diese Gen. Pl. der der der dieser dieser dieser Dat. Pl. den den den diesen diesen diesen Akk. Pl. die die die diese diese diese Tab. 32: Frühneuhochdeutsche definite Artikel und Demonstrativa Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. Jch wir Sg. er sie es Gen. 1. meiner unser Sg. seiner jr sein, es Dat. 1. mir uns Sg. jm jr jm Akk. 1. mich uns Sg. jn sie es Inst. Nom. 2. du jr Pl. sie sie sie Gen. 2. deiner euer Pl. jrer jrer jrer Dat. 2. dir euch Pl. jnen jnen jnen Akk. 2. dich euch Pl. sie sie sie Tab. 33: Frühneuhochdeutsche Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. spreche habe Präs. Indik. Sg. 2. sprichst hast Präs. Indik. Sg. 3. spricht hat Präs. Indik. Pl. 1. sprechen haben Präs. Indik. Pl. 2. sprecht habt Präs. Indik. Pl. 3. sprechen haben Präs. Subj. Sg. 1. spreche habe Präs. Subj. Sg. 2. sprechest habest Präs. Subj. Sg. 3. spreche habe Präs. Subj. Pl. 1. sprechen haben Präs. Subj. Pl. 2. sprecht habet Präs. Subj. Pl. 3. sprechen haben 18429_Kasper_SL5.indd 328 18429_Kasper_SL5.indd 328 20.08.2020 10: 56: 47 20.08.2020 10: 56: 47 A.6 Neuhochdeutsch 329 Prät. Indik. Sg. 1. sprach hatte Prät. Indik. Sg. 2. sprach(e)st hattest Prät. Indik. Sg. 3. sprach hatte Prät. Indik. Pl. 1. sprachen hatten Prät. Indik. Pl. 2. sprach(e)t hattet Prät. Indik. Pl. 3. sprachen hatten Prät. Subj. Sg. 1. spreche hette Prät. Subj. Sg. 2. sprechst hettest Prät. Subj. Sg. 3. spreche hette Prät. Subj. Pl. 1. sprechen hetten Prät. Subj. Pl. 2. sprecht hettet Prät. Subj. Pl. 3. sprechen hetten Tab. 34: Frühneuhochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ A.6 Neuhochdeutsch Nomen Nom. Sg. Priester Gen. Sg. Priesters Dat. Sg. Priester Akk. Sg. Priester Inst. Sg. Nom. Pl. Priester Gen. Pl. Priester Dat. Pl. Priestern Akk. Pl. Priester Tab. 35: Neuhochdeutsche Nomen 18429_Kasper_SL5.indd 329 18429_Kasper_SL5.indd 329 20.08.2020 10: 56: 47 20.08.2020 10: 56: 47 330 Anhang: Paradigmen Definiter Artikel, einfaches Demonstrativum m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. der die das dieser diese dieses Gen. Sg. des der des dieses dieser dieses Dat. Sg. dem der dem diesem dieser diesem Akk. Sg. den die das diesen diese dieses Inst. Sg. Nom. Pl. die die die diese diese diese Gen. Pl. der der der dieser dieser dieser Dat. Pl. den den den diesen diesen diesen Akk. Pl. die die die diese diese diese Tab. 36: Neuhochdeutsche definite Artikel und Demonstrativa Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. ich wir Sg. er sie es Gen. 1. meiner unser Sg. seiner ihr seiner Dat. 1. mir uns Sg. ihm ihr ihm Akk. 1. mich uns Sg. ihn sie es Inst. Nom. 2. du ihr Pl. sie sie sie Gen. 2. deiner euer Pl. ihrer ihrer ihrer Dat. 2. dir euch Pl. ihren ihren ihren Akk. 2. dich euch Pl. sie sie sie Tab. 37: Neuhochdeutsche Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. spreche habe Präs. Indik. Sg. 2. sprichst hast Präs. Indik. Sg. 3. spricht hat Präs. Indik. Pl. 1. sprechen haben Präs. Indik. Pl. 2. sprecht habt Präs. Indik. Pl. 3. sprechen haben Präs. Subj. Sg. 1. spreche habe Präs. Subj. Sg. 2. sprechest habest Präs. Subj. Sg. 3. spreche habe Präs. Subj. Pl. 1. sprechen haben Präs. Subj. Pl. 2. sprecht habet Präs. Subj. Pl. 3. sprechen haben 18429_Kasper_SL5.indd 330 18429_Kasper_SL5.indd 330 20.08.2020 10: 56: 47 20.08.2020 10: 56: 47 A.7 Hochalemannisch 331 Prät. Indik. Sg. 1. sprach hatte Prät. Indik. Sg. 2. sprachst hattest Prät. Indik. Sg. 3. sprach hatte Prät. Indik. Pl. 1. sprachen hatten Prät. Indik. Pl. 2. spracht hattet Prät. Indik. Pl. 3. sprachen hatten Prät. Subj. Sg. 1. spreche hätte Prät. Subj. Sg. 2. sprechst hättest Prät. Subj. Sg. 3. spreche hätte Prät. Subj. Pl. 1. sprechen hätten Prät. Subj. Pl. 2. sprecht hättet Prät. Subj. Pl. 3. sprechen hätten Tab. 38: Neuhochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ A.7 Hochalemannisch Nomen Nom. Sg. Prieschter ‚Priester‘ Gen. Sg. Dat. Sg. Prieschter Akk. Sg. Prieschter Inst. Sg. Nom. Pl. Prieschter Gen. Pl. Dat. Pl. Prieschter Akk. Pl. Prieschter Tab. 39: Hochalemannische Nomen 18429_Kasper_SL5.indd 331 18429_Kasper_SL5.indd 331 20.08.2020 10: 56: 47 20.08.2020 10: 56: 47 332 Anhang: Paradigmen Definiter Artikel, Demonstrativum m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. de d s dèè die daas Gen. Sg. Dat. Sg. em de em dem dere dem Akk. Sg. de d s dèè die daas Inst. Sg. Nom. Pl. d(i) d(i) d(i) die die die Gen. Pl. Dat. Pl. de de de dene dene dene Akk. Pl. d(i) d(i) d(i) die die die Tab. 40: Hochalemannische definite Artikel und Demonstrativa Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. i(i)(ch) mi(i)r, mer Sg. èèr, er s(i) (e)s Gen. 1. Sg. Dat. 1. mi(i)r, mer öis Sg. im, em ire im, em Akk. 1. mi(i)(ch) öis Sg. in, en si (e)s Inst. Nom. 2. d(u)(u), de i(i)r, er Pl. s(i) s(i) s(i) Gen. 2. Pl. Dat. 2. di(i)r, der öi Pl. ine, ene ine, ene ine, ene Akk. 2. di(i)(ch) öi Pl. s(i) s(i) s(i) Tab. 41: Hochalemannische Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. sägen ha Präs. Indik. Sg. 2. säisch häsch Präs. Indik. Sg. 3. säit hät Präs. Indik. Pl. 1. säged händ Präs. Indik. Pl. 2. säged händ Präs. Indik. Pl. 3. säged händ Präs. Subj. Sg. 1. sägi hei(g), heb Präs. Subj. Sg. 2. sägisch hei(g)isch, hebisch Präs. Subj. Sg. 3. sägi hei(g), heb 18429_Kasper_SL5.indd 332 18429_Kasper_SL5.indd 332 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 A.8 Nordniederdeutsch 333 Präs. Subj. Pl. 1. sägid hei(g)id, hebid Präs. Subj. Pl. 2. sägid hei(g)id, hebid Präs. Subj. Pl. 3. sägid hei(g)id, hebid Prät. Indik. Sg. 1. Prät. Indik. Sg. 2. Prät. Indik. Sg. 3. Prät. Indik. Pl. 1. Prät. Indik. Pl. 2. Prät. Indik. Pl. 3. Prät. Subj. Sg. 1. säiti hetti Prät. Subj. Sg. 2. säitisch hettisch Prät. Subj. Sg. 3. säiti hetti Prät. Subj. Pl. 1. säitid, -ed hettid, -ed Prät. Subj. Pl. 2. säitid, -ed hettid, -ed Prät. Subj. Pl. 3. säitid, -ed hettid, -ed Tab. 42: Hochalemannisch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ A.8 Nordniederdeutsch Nomen Nom. Sg. Preester ‚Priester‘ Gen. Sg. Dat. Sg. Preester Akk. Sg. Preester Inst. Sg. Nom. Pl. Pressters Gen. Pl. Dat. Pl. Preesters Akk. Pl. Preesters Tab. 43: Nordniederdeutsche Nomen 18429_Kasper_SL5.indd 333 18429_Kasper_SL5.indd 333 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 334 Anhang: Paradigmen Definiter Artikel, Demonstrativum m. f. n. m. f. n. Nom. Sg. de de dat düsse düsse düt Gen. Sg. Dat. Sg. den de dat düssen düsse düt Akk. Sg. den de dat düssen düsse düt Inst. Sg. Nom. Pl. de de de düsse düsse düsse Gen. Pl. Dat. Pl. de de de düsse düsse düsse Akk. Pl. de de de düsse düsse düsse Tab. 44: Nordniederdeutsche definite Artikel und Demonstrativa Pronomen 1./ 2./ 3. Sg. Dual Pl. m. f. n. Nom. 1. ick wi Sg. he se dat Gen. 1. Sg. Dat. 1. mi uns Sg. em ehr dat Akk. 1. mi uns Sg. em ehr dat Inst. Nom. 2. du ji Pl. se se se Gen. 2. Pl. Dat. 2. di ju Pl. ehr ehr ehr Akk. 2. di ju Pl. ehr ehr ehr Tab. 45: Nordniederdeutsche Personalpronomen ‚sagen‘/ ‚sprechen‘, ‚haben‘ Präs. Indik. Sg. 1. segg heff Präs. Indik. Sg. 2. seggst hest Präs. Indik. Sg. 3. seggt hett Präs. Indik. Pl. 1. seggt hebbt Präs. Indik. Pl. 2. seggt hebbt Präs. Indik. Pl. 3. seggt hebbt Präs. Subj. Sg. 1. Präs. Subj. Sg. 2. Präs. Subj. Sg. 3. Präs. Subj. Pl. 1. Präs. Subj. Pl. 2. Präs. Subj. Pl. 3. 18429_Kasper_SL5.indd 334 18429_Kasper_SL5.indd 334 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 A.8 Nordniederdeutsch 335 Prät. Indik. Sg. 1. sä harr Prät. Indik. Sg. 2. säst harrst Prät. Indik. Sg. 3. sä harr Prät. Indik. Pl. 1. sän harrn Prät. Indik. Pl. 2. sän harrn Prät. Indik. Pl. 3. sän harrn Prät. Subj. Sg. 1. Prät. Subj. Sg. 2. Prät. Subj. Sg. 3. Prät. Subj. Pl. 1. Prät. Subj. Pl. 2. Prät. Subj. Pl. 3. Tab. 46: Nordniederdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ 18429_Kasper_SL5.indd 335 18429_Kasper_SL5.indd 335 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 18429_Kasper_SL5.indd 336 18429_Kasper_SL5.indd 336 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 A.8 Nordniederdeutsch 337 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Gestaltpsychologisches Kippbild ..................................................................................... 24 Abb. 2: Der Instruktionscharakter von Äußerungen ........................................................... 49 Abb. 3: Die Funktion „Vorstellen von etwas“ ........................................................................ 54 Abb. 4: Die Funktionen „Vorstellen von etwas“ und „Vorstellen auf eine Art und Weise“ ............................................................................................................................... 54 Abb. 5: Vier Funktionen sprachlicher Ausdrücke ................................................................ 55 Abb. 6: Die fünf instruktiven Funktionen sprachlicher Ausdrücke ................................. 56 Abb. 7: Die Funktion sprachlicher Ausdrücke für die intendierte Interpretation am Beispiel von „(Und vo säbere Stund aa) hät si de Jünger zue sich gnaa“ .......... 72 Abb. 8: Die Funktion sprachlicher Ausdrücke für die nicht intendierte Interpretation am Beispiel von „(Und vo säbere Stund aa) hät si de Jünger zue sich gnaa“ .... 73 Abb. 9: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen, über alle Satzgliedbeziehungen, Konfigurationen und Satztypen hinweg ...................................................................... 122 Abb. 10: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen, für alle Satzgliedbeziehungen mit wirklichen Satzgliedern ................................................................................................... 123 Abb. 11: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen, für alle Satzgliedbeziehungen mit mind. einem imaginären Satzglied ............................................................................................ 123 Abb. 12: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und allen Objekttypen ... 125 Abb. 13: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten .................................. 126 Abb. 14: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen realisierten Subjekten und realisierten O-Instanzen ..... 127 Abb. 15: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen, mit mindestens einem imaginären Satzglied ........................................................................................................ 128 Abb. 16: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten .............................................................................................................................. 129 Abb. 17: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen realisierten indirekten Objekten und realisierten O-Instanzen ........................................................................................................................ 129 Abb. 18: Absolute und relative Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und allen Objekttypen in Hauptsätzen ........................................................................................................................ 130 18429_Kasper_SL5.indd 337 18429_Kasper_SL5.indd 337 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 338 Abbildungsverzeichnis Abb. 19: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und allen Objekttypen in Relativsätzen ........ 131 Abb. 20: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten in Relativsätzen ....... 132 Abb. 21: Absolute Anteile morphologisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und indirekten Objekten in Relativsätzen .... 132 Abb. 22: Absolute Verteilung der Beziehungen zwischen einem Subjekt und einem Objekt (DO/ IO/ O) auf Hauptsätze (links), Nebensätze (Mitte) und Relativsätze (rechts) im Frühneuhochdeutschen, mit mindestens einem imaginären Satzglied .............................................................................................................................. 133 Abb. 23: Absolute Verteilung von morphologisch eindeutigen (dunkel) und mehrdeutigen (hell) Beziehungen zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten im Altenglischen, verteilt auf Satztypen ................................................... 134 Abb. 24: Absolute und relative Anteile von S > IO/ DO/ O- (dunkel) und IO/ DO/ O > S-Beziehungen (hell) ................................................................................... 136 Abb. 25: Absolute Anteile von IO > DO-/ IO > O-/ DO > O-Beziehungen (dunkel) und den umgekehrten DO > IO-/ O > IO-/ O > DO-Beziehungen (hell) ........................ 137 Abb. 26: Absolute und relative Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) ..................................................................................................................................... 137 Abb. 27: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) ................ 138 Abb. 28: Absolute Anteile von S > O- (dunkel) und O > S-Beziehungen (hell .................... 139 Abb. 29: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) ....... 139 Abb. 30: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch eindeutigen S > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch eindeutigen DO > S-Beziehungen (hell) ............................................................................................. 140 Abb. 31: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch mehrdeutigen S > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch mehrdeutigen DO > S-Beziehungen (hell) ........................................................................................................ 140 Abb. 32: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch eindeutigen S > IO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch eindeutigen IO > S-Beziehungen (hell) ............................................................................................... 141 Abb. 33: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch eindeutigen IO > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch eindeutigen DO > IO-Beziehungen (hell) ........................................................................................... 142 Abb. 34: Absolute Anteile von Beziehungen zwischen morphologisch mehrdeutigen IO > DO-Beziehungen (dunkel) und morphologisch mehrdeutigen DO > IO-Beziehungen (hell) ........................................................................................... 142 Abb. 35: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) S > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > S-Beziehungen in Hauptsätzen ....................... 143 Abb. 36: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) S > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > S-Beziehungen in Nebensätzen ....................... 144 18429_Kasper_SL5.indd 338 18429_Kasper_SL5.indd 338 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 Abbildungsverzeichnis 339 Abb. 37: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) S > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > S-Beziehungen in Relativsätzen ...................... 144 Abb. 38: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) IO > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > IO-Beziehungen in Haupt- und Nebensätzen zusammengenommen ...................................................................................................... 145 Abb. 39: Absolute Anteile von morphologisch eindeutigen (hinterste Reihe) und mehrdeutigen (dritte Reihe) IO > DOsowie eindeutigen (zweite Reihe) und mehrdeutigen (erste Reihe) DO > IO-Beziehungen in Relativsätzen .................... 145 Abb. 40: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Altenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs .............................................................................. 148 Abb. 41: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Altenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs .............................................................................. 149 Abb. 42: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Altenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder ................ 150 Abb. 43: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Mittelenglischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ....................................................................... 150 Abb. 44: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Althochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ....................................................................... 153 Abb. 45: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Althochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ....................................................................... 154 Abb. 46: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Althochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder ........ 155 Abb. 47: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Mittelhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 156 Abb. 48: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Mittelhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 158 Abb. 49: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Mittelhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder ... 158 Abb. 50: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Frühneuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 159 Abb. 51: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Frühneuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 160 18429_Kasper_SL5.indd 339 18429_Kasper_SL5.indd 339 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 340 Abbildungsverzeichnis Abb. 52: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Frühneuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder ................................................................................................................................................. 160 Abb. 53: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Neuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verb ......................................................................... 161 Abb. 54: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Neuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ....................................................................... 161 Abb. 55: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Neuhochdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder ...... 162 Abb. 56: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Hochalemannischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 162 Abb. 57: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Hochalemannischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 163 Abb. 58: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Hochalemannischen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder .... 164 Abb. 59: Absolute Anteile von S > DO- (dunkel) und DO > S-Beziehungen (hell) im Nordniederdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 164 Abb. 60: Absolute Anteile von S > IO- (dunkel) und IO > S-Beziehungen (hell) im Nordniederdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder und der relativen Position des finiten Verbs ............................................................... 165 Abb. 61: Absolute Anteile von IO > DO- (dunkel) und DO > IO-Beziehungen (hell) im Nordniederdeutschen unter Berücksichtigung der Wortarten der Satzglieder ... 166 Abb. 62: Absolute Anteile morphologisch mehrdeutiger, aber syntaktisch eindeutiger (dunkel) und morphologisch und syntaktisch mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und direkten Objekten, mit mindestens einem imaginären Satzglied .............................................................................................................................. 167 Abb. 63: Absolute Anteile morphologisch mehrdeutiger, aber syntaktisch eindeutiger (dunkel) und morphologisch und syntaktisch mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und O-Instanzen, mit mindestens einem imaginären Satzglied .............................................................................................................................. 168 Abb. 64: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Satzgliedbeziehungen über alle Untersuchungsbedingungen hinweg ............................................................................ 171 Abb. 65: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und verschiedenen Objekttypen über alle Untersuchungsbedingungen hinweg .................................. 171 Abb. 66: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und verschiedenen 18429_Kasper_SL5.indd 340 18429_Kasper_SL5.indd 340 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 Objekttypen ohne imaginäre Satzglieder, über alle Untersuchungsbedingungen hinweg ................................................................................................................................. 172 Abb. 67: Absolute und relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen Subjekten und verschiedenen Objekttypen, mit mindestens einem imaginären Satzglied, über alle Untersuchungsbedingungen hinweg ............................................................................ 173 Abb. 68: Relative Anteile grammatisch eindeutiger (dunkel) und mehrdeutiger (hell) Beziehungen zwischen den verschiedenen Objekttypen über alle Untersuchungsbedingungen hinweg ............................................................................ 173 Abb. 69: Relative Belebtheit zwischen Subjekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Konfigurationen und Satztypen hinweg ................................................................................................................................. 203 Abb. 70: Relative Akzessibilität zwischen Subjekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Konfigurationen und Satztypen hinweg ................................................................................................................................. 203 Abb. 71: Relative Belebtheit zwischen Subjekten und O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle nicht marginalen Konfigurationen und alle Satztypen hinweg ................................................................................................................................. 205 Abb. 72: Relative Belebtheit zwischen indirekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle nicht marginalen Konfigurationen und alle Satztypen hinweg .............................................................................................. 205 Abb. 73: Relative Akzessibilität zwischen indirekten und direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle nicht marginalen Konfigurationen und alle Satztypen hinweg .............................................................................................. 206 Abb. 74: Relative Belebtheit zwischen indirekten Objekten und O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über die einzige nicht marginale Konfiguration und über alle Satztypen hinweg .................................................................................... 207 Abb. 75: Relative Belebtheit zwischen direkten Objekten und O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über die einzige nicht marginale Konfiguration und über alle Satztypen hinweg .................................................................................... 208 Abb. 76: Relative Belebtheit zwischen realisierten Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg .............................................................................................................. 208 Abb. 77: Relative Akzessibilität zwischen realisierten Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg .............................................................................................. 209 Abb. 78: Relative Belebtheit zwischen imaginären Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Satztypen hinweg ........ 209 Abb. 79: Relative Akzessibilität zwischen imaginären Subjekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Satztypen hinweg ................................................................................................................................ 210 Abb. 80: Relative Belebtheit zwischen realisierten Subjekten und realisierten O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg ................................................................................................................................. 211 Abbildungsverzeichnis 341 18429_Kasper_SL5.indd 341 18429_Kasper_SL5.indd 341 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 342 Abbildungsverzeichnis Abb. 81: Relative Belebtheit zwischen imaginären Subjekten und realisierten O-Instanzen bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über alle Satztypen hinweg ... 211 Abb. 82: Relative Belebtheit zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg .............................................................................................................. 212 Abb. 83: Relative Akzessibilität zwischen realisierten indirekten und realisierten direkten Objekten bei grammatischer Mehrdeutigkeit, über beide Reihenfolgen und alle Satztypen hinweg .............................................................................................. 212 Abb. 84: Relative Anteile grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen, die mittels der Belebtheitshypothese richtig (Bel.↑=sem. Rolle↑), unbestimmt (Bel. nicht aussagekräftig) oder falsch (Bel.↑=sem. Rolle↓) interpretiert würden .................. 213 Abb. 85: Relative Anteile grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen, die mittels der Akzessibilitätshypothese richtig (Akzess.↑=sem. Rolle↑), unbestimmt (Akz. nicht aussagekräftig) oder falsch (Akzess.↑=sem. Rolle↓) interpretiert würden 213 Abb. 86: Relative Anteile grammatisch mehrdeutiger Satzgliedbeziehungen, die mittels der Belebtheits- und Reihenfolgehypothese richtig (Bel.↑/ 1. Pos.=sem. Rolle↑) oder falsch (Bel.↑/ 1.Pos.=sem. Rolle↓) interpretiert würden ................................... 219 Abb. 87: Relative Anteile zwischen Satzgliedbeziehungen, die über eigenstrukturelle und außergrammatische Hinweise richtig interpretiert würden, und grammatisch mehrdeutigen Satzgliedbeziehungen, die über außergrammatische Hinweise falsch (Bel.↑/ 1.Pos.=sem. Rolle↓) interpretiert würden ............................................ 219 Abb. 88: Ein Filtermodell aus der lokalen synchronischen Offline-Perspektive (revisionsbedürftig) .......................................................................................................... 230 Abb. 89: Erweitertes Filtermodell aus der lokalen synchronischen Offline-Perspektive (revisionsbedürftig) .......................................................................................................... 244 Abb. 90: Verhaltenskreis im Dienste vitaler Funktionen ......................................................... 249 Abb. 91: Inklusiver Handlungskreis .............................................................................................. 251 Abb. 92: Dynamik der Präferenz für verantwortliche Ursachen ............................................ 263 Abb. 93: Verlustaversion: Verluste wiegen schwerer als Gewinne ........................................ 267 Abb. 94: Die Wirksamkeit außergrammatischer Mittel in grammatisch mehrdeutigen Äußerungen ........................................................................................................................ 272 Abb. 95: Die Wirksamkeit außergrammatischer Mittel in grammatisch zeitweilig mehrdeutigen Äußerungen ............................................................................................. 277 Abb. 96: Die Intervention eigenstruktureller gegen außergrammatische Hinweise in grammatisch eindeutigen Äußerungen ....................................................................... 278 Abb. 97: Die Stattgabe an die Suggestionen außergrammatischer Hinweise durch eigenstrukturelle Hinweise in grammatisch eindeutigen Äußerungen ............... 279 Abb. 98: Aktivitätsarten auf den instruktiven Ebenen ............................................................. 281 Abb. 99: Vetopotenzial der Aktivitätsarten ................................................................................. 283 Abb. 100: Die Schichtung der inklusiven Handlungskreise .................................................... 286 Abb. 101: Modell des animal symbolis interveniens aus der lokalen synchronischen Offline-Perspektive ......................................................................................................... 290 18429_Kasper_SL5.indd 342 18429_Kasper_SL5.indd 342 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 A.8 Nordniederdeutsch 343 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Die untersuchten Bibelübersetzungen ............................................................................ 30 Tab. 2: Segmentierungsebenen und Klassifikationskategorien in der ReffMech- Datenbank ........................................................................................................................... 118 Tab. 3: Kontrollierte Bedingungen .............................................................................................. 120 Tab. 4: Beispielbedingung mit Erklärung .................................................................................. 121 Tab. 5: Zusammenfassung von Wortklassen zu größeren Einheiten .................................. 146 Tab. 6: Zur Rechtfertigung einer Belebtheitshierarchie ......................................................... 182 Tab. 7: Unterschied in der Interpretation in Abhängigkeit von Belebtheit (Beispiel) ..... 186 Tab. 8: Unterschiede in der Interpretation in Abhängigkeit von der relativen Belebtheit (Beispiel) ........................................................................................................... 187 Tab. 9: Erweiterte Belebtheitshierarchie .................................................................................... 188 Tab. 10: Routinemäßig oder automatisch erwartete beziehungsweise bevorzugte relative Prominenzen von paarigen Satzgliedern nach syntaktischen Funktionen, semantischen Rollen, eigenstrukturellen und außergrammatischen Formmerkmalen ................................................................................................................. 190 Tab. 11: Zur Rechtfertigung einer Akzessibilitätshierarchie ................................................... 195 Tab. 12: Relative Akzessibilität und syntaktische Funktion .................................................... 196 Tab. 13: Außergrammatische Klassifikationskategorien auf Satzgliedebene ...................... 201 Tab. 14: Die verwendeten Belebtheits- und Akzessibilitätshierarchien ............................... 202 Tab. 15: Altenglische Nomen .......................................................................................................... 320 Tab. 16: Altenglische Demonstrativpronomen/ Artikel ............................................................ 320 Tab. 17: Altenglische Personalpronomen .................................................................................... 320 Tab. 18: Altenglisch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ ................................................................. 321 Tab. 19: Mittelenglische Nomen ..................................................................................................... 321 Tab. 20: Mittelenglischer definiter Artikel und ‚this‘/ ‚these‘ .................................................. 322 Tab. 21: Mittelenglische Personalpronomen ............................................................................... 322 Tab. 22: Mittelenglisch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ ........................................................... 323 Tab. 23: Althochdeutsche Nomen .................................................................................................. 323 Tab. 24: Althochdeutsche Demonstrativa .................................................................................... 324 Tab. 25: Althochdeutsche Personalpronomen ............................................................................ 324 Tab. 26: Althochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ ........................................................ 325 Tab. 27: Mittelhochdeutsche Nomen ............................................................................................ 325 Tab. 28: Mittelhochdeutsche definite Artikel und Demonstrativa ......................................... 326 Tab. 29: Mittelhochdeutsche Personalpronomen ....................................................................... 326 Tab. 30: Mittelhochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ ................................................... 327 Tab. 31: Frühneuhochdeutsche Nomen ........................................................................................ 327 Tab. 32: Frühneuhochdeutsche definite Artikel und Demonstrativa .................................... 328 Tab. 33: Frühneuhochdeutsche Personalpronomen .................................................................. 328 Tab. 34: Frühneuhochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ ............................................... 329 18429_Kasper_SL5.indd 343 18429_Kasper_SL5.indd 343 20.08.2020 10: 56: 48 20.08.2020 10: 56: 48 344 Tabellenverzeichnis Tab. 35: Neuhochdeutsche Nomen ................................................................................................ 329 Tab. 36: Neuhochdeutsche definite Artikel und Demonstrativa ............................................ 330 Tab. 37: Neuhochdeutsche Personalpronomen .......................................................................... 330 Tab. 38: Neuhochdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ ....................................................... 331 Tab. 39: Hochalemannische Nomen .............................................................................................. 331 Tab. 40: Hochalemannische definite Artikel und Demonstrativa .......................................... 332 Tab. 41: Hochalemannische Personalpronomen ........................................................................ 332 Tab. 42: Hochalemannisch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ .................................................... 333 Tab. 43: Nordniederdeutsche Nomen ............................................................................................ 333 Tab. 44: Nordniederdeutsche definite Artikel und Demonstrativa ........................................ 334 Tab. 45: Nordniederdeutsche Personalpronomen ...................................................................... 334 Tab. 46: Nordniederdeutsch ‚sagen‘/ ‚sprechen‘ und ‚haben‘ .................................................. 335 18429_Kasper_SL5.indd 344 18429_Kasper_SL5.indd 344 20.08.2020 10: 56: 49 20.08.2020 10: 56: 49 A.8 Nordniederdeutsch 345 Affordanz 252, 258 Agens 29, 43, 71, 73 f., 77, 80, 92, 94 f., 99 f., 107, 116, 139, 184, 185 ff., 189 ff., 196, 197, 198 ff., 204 f., 208 ff., 214, 217 f., 221, 230, 232, 234 ff., 238 f., 241, 266, 268, 272 f., 275, 278, 279, 280 ff., 287, 289. Siehe Präferenz: Agens zuerst-, Ursache, Verantwortlichkeit Agentivität 182, 186, 200, 241, 264, 266, 271, 275 Aktivitätsart 280, 282, 293 Akzessibilität 177, 179 f., 192, 194, 196, 198, 199, 201, 213, 218, 222 Altenglisch 27, 30, 33, 65, 76, 91, 103, 106, 108, 110, 124, 127, 133, 147, 158, 206, 214, 223, 291 f., 319. Siehe Wessex Gospels Althochdeutsch 27, 30, 31, 84, 91, 104, 106, 108, 109, 113, 122, 124, 129, 141, 152, 158, 214, 291 f., 323 althochdeutscher. Siehe Tatian animal interveniens 282, 287 animal symbolis interveniens 280, 290 Arbeit 20, 23, 75, 82, 101, 225, 228, 234, 261, 278, 282, 293. Siehe Aktivitätsart Aspektvereinseitigung 45, 228, 252, 253, 265 f., 271 f., 274, 276 f., 279 ff., 285, 288, 293. Siehe dagegen auch Einseitigkeit von Phänomenen Assoziation 23, 233 f., 236, 243 f., 250, 259, 273, 277 f., 281 f., 290 Äußerungshandlung 21, 49, 229 Aussprachenorm 36 Automatismus 18, 23, 28, 37, 41, 87, 100 ff., 114, 116, 174 f., 185, 190 f., 198, 214, 215, 216 ff., 220, 225, 229, 231, 233 f., 236, 239, 241, 243, 247 f., 255, 260 f., 264, 265 ff., 269, 272 f., 275, 277, 278 f., 282, 290. Siehe Aktivitätsart Bedeutsamkeit 216, 225, 229, 236, 243, 245, 247, 261 f., 267, 281, 284, 287, 289 f. Siehe Salienz, Pertinenz Belebtheit 100, 102, 177, 179 f., 182, 183, 187, 189, 191, 194, 197, 199 ff., 213, 217, 218, 222, 225, 230 ff., 240, 263, 264, 266, 270, 272 ff., 275, 276, 280 f., 286, 289, 292 Belebtheitshierarchie 27, 181, 182 f., 184, 186 f., 188, 189, 200 f., 225, 263, 268 Bibel (1984) 30, 36, 88 Biblia (1545) 30, 35, 88, 109 Dat Nie Testament 30, 36, 37, 88 Dependenz 46, 49, 62, 66, 217. Siehe symbolische Auslagerung Deutungsarbeit. Siehe Arbeit Deutungsroutine. Siehe Routine, Routinisierung diagrammatische Ikonizität 275. Siehe Früher-Später-Struktur -enz-Faktoren 19, 20, 25, 40, 56, 229, 231 f., 243, 245. Siehe Salienz, Pertinenz, Frequenz, Rezenz, Effizienz Effizienz 252, 259, 261, 289 eindeutig 18, 22, 28 f., 37, 39, 43, 65, 69, 72, 75, 85, 117, 120, 276, 282 als Ausnahmefall 228 grammatisch 74, 82, 113, 204, 219, 278 f., 291 f. morphologisch 91 f., 98, 107, 122, 188, 191 syntaktisch 91, 135, 202 Einheitsübersetzung 25 Einseitigkeit von Phänomenen 249, 252, 257, 265 f., 273 f., 280 f., 293 Embodiment. Siehe Leib Empathie 182 Entrenchment. Siehe kognitive Verfestigung ererbt (vs. erworben) 44, 47, 176, 249, 258, 260, 266 ff., 287, 289 Erkennen-als. Siehe Kategorisierung Erwartung 16, 25, 59, 62, 68, 87, 174 f., 179, 190 f., 214, 231 f., 240 f., 246 f., 251, 253, 261, 263, 264 ff., 271, 272, 273 ff., 279 f., 285 f., 292 erworben (vs. ererbt) 44, 47, 176, 250, 287, 289 Evangelienbuch des Matthias von Beheim 30, 32, 110 f., 156, 165 Evangelienharmonie 31 f. Experiencer 200 Register 18429_Kasper_SL5.indd 345 18429_Kasper_SL5.indd 345 20.08.2020 10: 56: 49 20.08.2020 10: 56: 49 346 Register Filter 20, 40, 56 f., 229, 258, 273. Siehe -enz-Faktoren, Norm, Konvention Filtermodell 229, 231 f., 243, 270, 289 Frequenz 19, 25, 29, 106, 174 f., 189, 229, 233, 235, 237 f., 241, 242 ff., 249 f., 256, 259 ff., 270, 289 f. Früher-Später-Struktur 275 f., 278, 280, 286, 289 Frühneuhochdeutsch 27, 30, 35, 126 f., 159, 161, 165 f., 168, 221, 327. Siehe Biblia (1545) Funktionskreis. Siehe Handlungskreis, Verhaltenskreis Gebrauchsfrequenz. Siehe Frequenz Gewissheit der Interpretation 58, 99, 174, 177, 223, 225, 263, 267, 272 f., 277, 280, 282, 286 f., 290, 292 f. globale Betrachtungsweise 92, 101 f., 135, 140, 151, 175, 197, 217, 223, 231 Habituierung 248 Handeln. Siehe Handlung Handlung 16 ff., 21, 23, 47, 50, 59, 61, 86, 182, 185, 226 ff., 245, 246 ff., 250 ff., 254 ff., 259, 260, 261, 262, 263, 264 ff., 268 f., 274 f., 281, 283 f., 286, 288 handlungsfähig 18, 247, 262 Handlungskreis 251, 252, 253, 256, 257, 258, 259, 260 ff., 264, 270, 271, 276, 281 f., 284 f., 290 geschichtet 285 f., 293 Handlungstheorie 246 Häufigkeit. Siehe Frequenz Hinweis 16, 59, 222, 229, 231, 282, 286 außergrammatisch 179, 216, 218, 223, 225 f., 235, 242, 270, 272, 280, 287, 289 außersprachlich 85, 274 eigenstrukturell 62, 65, 66, 92, 117, 242, 276, 277, 278 ff., 287, 291 graphisch 60 verbindlich 101, 223, 231, 242, 243, 279, 280, 287, 289 verfügbar 27 f., 85, 98, 99 zuverlässig 27, 59 f., 62, 64, 65, 66 ff., 81, 98 f., 102, 142, 149, 151, 166, 169, 172, 174, 176, 180, 189, 191 f., 201, 210 f., 214, 216, 220, 223, 226, 231, 242, 266, 268, 270, 275 f., 280, 287, 291 f. Hinweisreiz. Siehe Hinweis Hochalemannisch 15, 23, 30, 36, 69, 72 f., 75, 80, 82, 89 f., 105, 124, 130, 131, 132 ff., 162 f., 165, 171, 175, 214, 221, 277, 291, 331. Siehe S Nöi Teschtamänt Hypothese 27, 135, 171, 176, 179 f., 189, 191, 194, 198, 200 f., 203 f., 213, 217, 219, 231, 241 ideomotorische Linie. Siehe Pertinenzlinie Individuiertheit 182, 185, 199, 200 f. inkrementelle Interpretation. Siehe Online-Betrachtungsweise Instinkt 223, 250, 261, 264, 265, 266, 267 ff., 271, 273 ff., 277, 278, 279, 280 ff., 286 f., 290, 292. Siehe Aktivitätsart Instruktion 49, 57, 223, 271, 272, 276, 280, 281, 287, 288, 289, 290 ff. Instruktionsgrammatik 11, 49 instruktive Leistungen 49, 50 f., 60, 74 f., 92, 94, 98, 102, 114, 176, 276 instruktive Mittel 92, 101 f., 106 f., 118, 135, 175, 190 f., 222 f., 270. Siehe Wortart, Morphologie, Reihenfolge, Belebtheit, Prosodie Intervention. Siehe Vetofunktion kanonische Zuordnung 232, 233, 235 f., 243 f., 270, 275, 277 Kasus 27 f., 47 f., 52 f., 55, 62, 64 ff., 68, 74, 78, 81, 83, 91 f., 94, 97 f., 100, 101 ff., 106 f., 113, 115 f., 118 f., 122, 124, 126 f., 130 f., 133, 134, 167 f., 172, 188, 191, 194, 198, 230, 234, 276, 291, 319 Kategorisierung 233, 234 ff., 243 f., 248, 259 ff., 264, 266, 268 f., 273, 290 Know-how 41, 44, 45, 47, 50, 56, 57, 59 f., 65, 69, 77 f., 86, 88, 114, 176, 177, 179, 181, 189, 225, 229, 237, 243, 291 f. kognitive Verfestigung 233, 234, 235, 236 ff., 243 f., 261 Konditionierung 250, 260, 265, 273, 276 f., 279, 282, 290. Siehe Aktivitätsart Kongruenz 15, 25, 28, 48, 62, 64 ff., 68, 75, 81, 91 f., 94, 97 f., 101 f., 107, 112, 115, 118 f., 122, 126, 134, 167, 172, 191, 230, 234, 276, 279, 319 Konvention 17, 18, 19, 20 ff., 27, 29, 39, 40, 43, 47, 56, 68, 84, 86, 90, 99, 176, 229, 231, 237, 242, 276, 284, 291 Leib 18, 29, 227 f., 253, 260, 262, 268, 270, 273, 287 ff., 293 lokale Betrachtungsweise 92 f., 97 f., 100 ff., 135, 139, 141 f., 175, 197, 217, 223, 229, 244, 290 18429_Kasper_SL5.indd 346 18429_Kasper_SL5.indd 346 20.08.2020 10: 56: 49 20.08.2020 10: 56: 49 Register 347 Lokation 43, 74 f. mehrdeutig 16, 18, 26, 27 ff., 37, 39, 68, 75, 80, 85, 116, 117, 118 f., 176, 177, 201, 282, 291. Siehe et passim alltägliches Phänomen 15, 228 bezugs- 74, 179 grammatisch 16, 74, 110, 180, 187, 189, 191 f., 198, 200, 213, 218, 222, 230, 232, 235, 270, 272 f., 275, 277, 280, 286, 290 kategorial 70 komposita- 70 lexikalisch 70 lokal 25 morphologisch 70, 74, 83, 91, 92, 98, 101, 108, 122, 188, 191, 319 semantische Rollen 71 et passim 71 syntaktisch 74, 91, 115, 135 syntaktische Funktionen 71 et passim 71 und ausdeutbar 18 vs. vage 17 Mittelenglisch 27, 30, 33, 35, 64, 81, 91, 101, 103, 106, 112, 113, 123, 124, 125, 126 ff., 131, 133 f., 136, 138, 150 ff., 170, 171 ff., 175, 189, 193, 198, 210, 214, 216, 223, 230, 290 ff., 321. Siehe Wycliffe-Bibel Mittelhochdeutsch 27, 30, 32, 65, 110, 156, 160, 168, 214, 277, 292, 325. Siehe Evangelienbuch Morphologie 16, 27, 48, 52, 55, 60 ff., 65, 66, 67 f., 70, 73, 75, 78, 83, 91, 92, 107, 111 f., 115, 117 ff., 121, 122, 124, 134, 172, 175, 177, 191, 202, 217 f., 223, 230 f., 271, 277, 281, 291 f. Siehe instruktive Mittel Neue Genfer Übersetzung 40, 51, 72, 279 Neuenglisch 35, 64, 103, 106, 170, 198, 223, 232, 291 Neues Testament 22, 35, 169 Neuhochdeutsch 27, 36, 64, 72, 80, 82, 85, 88 f., 91, 104, 106, 124, 127, 161, 165, 221. Siehe Bibel (1984) Nordniederdeutsch 27, 30, 35, 36, 80 ff., 89 ff., 105, 106, 122, 124 f., 128 f., 131, 133, 135, 141, 164 f., 168, 170 f., 173 ff., 205, 214, 220 f., 291 f., 333. Siehe Dat Nie Testament Norm 18 ff., 40, 43, 56, 229, 231 Normalalthochdeutsch 111 Normannen 103, 291 f. Offline-Betrachtungsweise 56, 68, 92, 141 f., 151, 183, 187, 190, 194, 196, 197, 199, 217, 229, 232, 244, 272, 290 Ökonomie. Siehe Effizienz Online-Betrachtungsweise 25, 67, 92, 102, 189, 197, 199, 217, 231 f., 239, 261, 270, 272 Patiens 29, 43, 71, 73 ff., 78, 80, 92, 94, 104, 106 f., 116, 187, 189, 190 ff., 196, 200, 204, 209, 221 f., 234 ff., 238, 239 f., 270, 273, 275, 278, 280, 287, 289 Person (außergrammatischer Hinweis) 177, 179, 199 Pertinenz 19 f., 25, 43, 45, 52, 57, 66, 68, 84, 101, 157, 180, 197, 229, 245, 248, 250, 253, 256 f., 259, 260 ff., 265 f., 269, 273 f., 278, 284, 289 Pertinenzlinie 250, 253, 256, 258 f., 265, 271, 278, 282, 284, 286, 290 Peterborough Chronicle 291 Phänomenqualitäten 40, 42 f., 236, 237 f., 243, 245, 250, 257, 259, 261 f., 265, 270, 289. Siehe Bedeutsamkeit Phänomenquantitäten 245, 259, 261 f., 270, 289. Siehe Frequenz, Rezenz Phantasma. Siehe Vorstellung Präferenz Agens zuerst- 239, 264, 270 für verantwortliche Ursachen 263 f., 274, 281 Prägung 250, 261. Siehe Aktivitätsart Prosodie 39, 48, 52, 85, 114 Qualitäten. Siehe Phänomenqualitäten Quantitäten. Siehe Phänomenquantitäten Reaktion 18, 191, 231 f., 240, 247, 248, 249 ff., 253 f., 258, 260, 262, 265, 267 ff. Reaktionszeit 232 Reflex 247, 249, 251, 261 f., 264 f., 269. Siehe Aktivitätsart Reifung 249. Siehe Aktivitätsart Reihenfolge 23, 28, 48, 61 f., 64 f., 66, 68, 74 f., 83, 92, 109 ff., 113, 115, 117, 118, 119 ff., 135, 145, 174 f., 177, 189, 191, 198, 202, 204, 217 f., 222 f., 225, 238 f., 270, 277, 281 f., 292. Siehe instruktive Mittel 18429_Kasper_SL5.indd 347 18429_Kasper_SL5.indd 347 20.08.2020 10: 56: 49 20.08.2020 10: 56: 49 348 Register nicht syntaktifiziert 216, 225, 270, 274 f., 289, 291 f. syntaktifiziert 27, 230 f., 276, 290 Reihenfolgehypothese 222 Reiz 17, 100, 174, 231 f., 250, 257, 261 f., 264, 278, 282 ff., 286 Reaktion auf 248, 249 f., 258, 260 Salienz und Pertinenz 247, 250, 253 Rezenz 19, 25, 229, 237, 249, 259 ff., 289. Siehe -enz-Faktoren Rezipientin (kommunikative Rolle) 27, 43, 176 f., 215 f. Rezipient (semantische Rolle) 29, 74 f., 78, 104, 106, 187, 189, 190 ff., 196 ff., 200, 204 f., 214, 218, 221, 232, 239 Routine, Routinisierung 18 f., 23, 28, 37, 41, 43, 72, 79, 87, 100 ff., 114, 116, 174 f., 186, 190 f., 196, 198, 214, 215, 216 ff., 220 f., 225, 229, 231, 233 f., 239, 241, 250, 253, 260 f., 278, 281, 287, 290, 293. Siehe Aktivitätsart Salienz 19, 47 f., 52, 229, 245, 247, 248, 250, 252 f., 257, 259, 260 ff., 264 ff., 273 f., 278, 282, 284, 285 ff., 289, 293 Salienzlinie 248, 251, 253, 259, 264, 266, 272, 273, 274 ff., 282, 284, 286, 289 f. Schematisierung 233, 234 ff., 243, 259, 290 Schriftnorm 36, 88 sensomotorische Linie. Siehe Salienzlinie S Nöi Teschtamänt 15, 20, 22, 30, 36, 88 Sparsamkeit (vs. Mühe) 241, 259 ff. Sparsamkeit (vs. Treue) 42, 45, 66, 176, 223, 237, 276 Spezifizität 177, 179, 199. Siehe Akzessibilität Sprach(stuf)e 28, 30, 64, 75, 80, 81, 82 ff., 91, 92 ff., 97 ff., 101 f., 117, 118, 183 f., 187, 197 f., 214, 216, 219, 223, 230, 270, 296, 319. Siehe Altenglisch usw. Sprachverstehensmodell 98, 100, 179, 199 Stattgabefunktion 279, 280, 282, 286 f., 289, 290, 291 ff. symbolische Auslagerung 44, 48, 49, 51, 52, 53, 54, 55 ff., 59 f., 66, 74, 176, 177, 217, 225, 240, 272 Syntaktifizierung 84, 86, 88 ff., 197 f., 215, 217 f., 223, 291 syntaktifiziert. Siehe Reihenfolge syntaktische Kategorie. Siehe Wortart syntaktische Mittel 170 Syntax, syntaktisch. Siehe Reihenfolge Tatian althochdeutscher 29, 30, 109 ff., 129, 138, 152 f., 166 Diatessaron 31 Topik 182, 196 ff., 216 f. Treue (vs. Sparsamkeit) 42, 45, 59, 66, 176, 237, 275 f. Überraschung 26, 174, 191, 231 f., 240, 251, 261, 265 Übersetzung 27, 29 f., 88, 108, 114, 153 f. Übersetzungstechnik 108 Ursache 18, 185 f., 200, 228, 239, 241, 262 f., 264, 266, 268, 270, 273, 274, 275, 276 ff., 280 ff., 286, 289 für Frequenzen 236, 238 für Sprachwandel 28, 95, 101, 135, 175, 223, 290 Verantwortlichkeit 19, 185, 239, 240 ff., 263, 264 ff., 268 ff., 273, 275, 276 ff., 280 f., 286, 289 verbindlich verbindlich. Siehe Hinweis Verhalten 23, 181 f., 186, 226 f., 237, 247, 248, 251, 253, 255, 257, 259, 260 ff., 264 ff., 275, 281, 282 ff., 286 Verhaltenskreis 249, 252, 257, 260, 262, 266, 270, 290 Verhaltensökonomik 267 verleibt. Siehe Leib Verlustaversion 267 verstehen 15, 20, 26, 27, 29, 39, 60, 66, 69, 87 f., 95, 102, 109, 113 f., 157, 167, 176 f., 179 f., 186, 191, 200, 216, 219 f., 221, 222, 223 ff., 239, 270, 286, 288, 291 Verstehenstiefe 287 Verursacher. Siehe Ursache Vetofunktion 277 f., 279 f., 282, 283 f., 286 f., 289 ff. Vorhersage 67 f., 100, 102, 106, 186 f., 232, 237, 261 f., 264, 273, 275, 277 f., 287 Vorstellung 23, 25, 39 f., 44, 45 f., 49, 66, 176, 229, 238, 246 f., 253, 254, 257, 271 als simulierte Aktivität 254 als simulierte Wahrnehmung 254 18429_Kasper_SL5.indd 348 18429_Kasper_SL5.indd 348 20.08.2020 10: 56: 49 20.08.2020 10: 56: 49 bildhaft 17 et passim 275 und Handlung. Siehe Handlungskreis, Pertinenzlinie und Leib 253 und Verhalten. Siehe Salienzlinie, Verhaltenskreis Vorstellungsleben 43, 225 f., 237, 254 f., 258, 259, 288 Wahrnehmung 18 f., 23, 25, 39 f., 42 f., 50, 59, 67, 176, 189, 194, 200, 238, 240, 246, 247 ff., 251 f., 253, 254, 257, 264 bildhaft 17, 255 simulierte 254. Siehe Vorstellung und Handlung. Siehe Handlungskreis, Pertinenzlinie und Leib 253 und Verhalten. Siehe Salienzlinie, Verhaltenskreis Was kann ich tun? 18, 19, 23, 26, 40, 50, 197, 228, 293 Was steht womit in welcher Beziehung? 17 f., 20, 22, 25, 27, 28, 40, 42, 50, 56, 61, 64 ff., 71, 74, 77, 85, 94, 97 f., 100 f., 107 f., 114, 117 f., 176, 180, 223, 228, 229, 231, 236, 262, 276, 279, 289 Wessex Gospels 30, 33, 111 W-Fragen 18, 21, 26, 40, 43, 47 ff., 77, 228 Widerfahrnis 20, 246, 247, 251, 254, 259 f., 262 f., 265 f., 271, 273, 276, 284, 285 ff. Wortart 45, 47 f., 59, 60 ff., 66, 67 f., 70, 78, 91, 111, 115, 118 f., 121, 136, 145, 169, 183, 202. Siehe instruktive Mittel Wycliffe-Bibel 30, 33, 65, 88, 110 f., 291 Zürichdeutsch. Siehe Hochalemannisch Register 349 18429_Kasper_SL5.indd 349 18429_Kasper_SL5.indd 349 20.08.2020 10: 56: 49 20.08.2020 10: 56: 49 ISBN 978-3-8233-8429-8 Welchen Stellenwert hat die Kenntnis einer Grammatik für das Verhältnis des Menschen zur Welt und zu sich selbst? Und wofür braucht es Grammatik überhaupt, wenn grammatische Mehrdeutigkeit ohnehin meist unbemerkt bleibt und selten ein Verständnisproblem darstellt? Auf diese Fragen gibt Simon Kasper empirisch und theoretisch fundiert eine umfassende Antwort. Anhand einer historischen Korpusstudie an Paralleltexten dokumentiert er den erfolgreichen menschlichen Umgang mit Mehrdeutigkeit und liefert in der Folge einen anthropologischen Entwurf zum Verstehen, der sowohl der leiblichen Existenz des Menschen (Embodiment) als auch der Grammatizität seiner Sprache Rechnung trägt. Dabei bezieht er nicht nur Grundannahmen der Kognitiven Linguistik und der Philosophischen Anthropologie ein, sondern führt auch quantitative (Frequenz) und qualitative (Bedeutsamkeit) Ansätze der Sprachtheorie zusammen.