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'Reden ist Chefsache'

1997
978-3-8233-3023-3
Gunter Narr Verlag 
Andreas P. Müller

Authentische Arbeitsbesprechungen aus Unternehmen bilden die Basis für eine detaillierte linguistische Analyse. Von Mikrosignalen bis hin zu rhetorischen Verfahren werden sprachliche Mittel im Hinblick auf steuernde und manipulative Funktionen beschrieben. Aus dem Gesprächsverhalten der Teilnehmer entfaltet sich in actu ein Spektrum sozialer Strukturen in unternehmerischeii Organisationen. Der vorliegende Band ist insbesondere von Interesse für Linguisten, die anwendungsorientiert arbeiten wollen, die sich mit ,Sprache und Beziehung und ,Sprache in Institutionen beschäftigen. Sie ist ferner ein Kompendium rhetorischer Einsatzweisen von Sprache in Unternehmen und kommt so für alle diejenigen als Ratgeber in Betracht, die sich mit interner Unternehmenskommunikation beschäftigen.

Andreas P. Müller ‘Reden ist Chefsache’ Linguistische Studien zu sprachlichen Formen sozialer ‘Kontrolle’ in innerbetriebhchen Arbeitsbesprechungen glW Gunter Narr Verlag Tübingen STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 6 Studien zur deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Herausgegeben von Bruno Strecker, Reinhard Fiehler und Hartmut Günther Band 6-1997 Andreas P. Müller ‘Reden ist Chefsache’ Linguistische Studien zu sprachlichen Formen sozialer ‘Kontrolle’ in innerbetriebhchen Arbeitsbesprechungen gnw Gunter Narr Verlag Tübingen Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Müller, Andreas P.: ‘Reden ist Chefsache’: linguistische Studien zu sprachlichen Formen sozialer 'Kontrolle' in innerbetriebhchen Arbeitsbesprechungen/ Andreas P. Müller. - Tübingen : Narr, 1997 (Studien zur deutschen Sprache; Bd. 6) Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-8233-5136-2 NE: GT © 1997 • Gunter Narr Verlag Tübingen Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teüe ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das güt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Druck: Müller + Bass, Tübingen Verarbeitung: Braun + Lamparter, Reutlingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 3-8233-5136-2 Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; euch aber habe ich Freunde genannt, [...] Joh. (15: 14, 15) und ich will ihnen auch um Himmels willen keinen Vorwurf machen ganz im Gegenteil, äh, sie wissen es nicht besser, äh, LACHT KURZ [...] Ein Werksleiter zu Meistern Dem Andenken des Mannes, der mir für ‘Arbeit’ den ersten und bis heute maßgeblichen Sinn vermittelte: meinem Vater. Vorwort Oft wurde und werde ich gefragt, was den Linguisten zur Beschäftigung mit innerbetrieblicher Kommunikation veranlaßt habe. Nun ist man sicherlich verfuhrt, am vorläufigen Ende der Arbeit eine ganz andere Antwort zu geben, als zu Beginn, als viele Sachverhalte ihre Hintergründe noch nicht offenbart hatten. Im Prinzip ist mein Interesse aber immer wieder geweckt worden, und es hat sich im Verlauf in zunehmendem Maße aufgefächert. Ein Arbeitsplatzwechsel (es waren wahrlich einige in den letzten Jahren) bringt andere Gepflogenheiten im verbalen Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten mit sich. Ein guter Teil der Zeit nach dem Antritt einer Stelle wird aufgebracht, um sich die Wege, die Notwendigkeiten und vielleicht auch die ersten Mißgeschicke in der Kommunikation erklären zu lassen. Mein Anliegen war es ursprünglich, die sprachlichen Gepflogenheiten am Arbeitsplatz, in der internen Kommunikation von Produktionsbetrieben, aus einer linguistischen Perspektive zu dokumentieren und zu durchleuchten. Ganz uneigennützig war dies nicht. Schließlich kommunizieren an ihrem Arbeitsplatz auch die Linguisten, und auch sie sind in einen Produktionsprozeß eingebunden. In der Linguistenwerkstatt sind Arbeitsgespräche eine der gebräuchlichen Kommunikationsformen. Dafür, daß während der Entstehung dieses Buchs so viele fruchtbare Arbeitsgespräche möglich waren, möchte ich zunächst Herrn Professor Werner Kallmeyer, dem Leiter der Abteilung ‘Verbale Interaktion’ am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, ganz herzlich danken. Er half nicht nur mit konstruktiver Kritik an den Manuskripten und vielerlei Ermutigung; eine Hilfe anderer Art war, daß ich ihn als einen Chef kennenlernen durfte, bei dem die Freude an der Arbeit und die Arbeitsintensität problemlos gemeinsam steigerbar sind. Ich danke auch den (z.T. ehemaligen) Mitarbeitern in der ‘Verbalen Interaktion’, daß sie für das Ausfechten der methodischen Diskussion so viel Bereitschaft zeigten. Dem Vorstand des Instituts danke ich für das Vertrauen, mit dem er meine Arbeit begleitete und unterstützte. Ich danke meiner Frau dafür, daß sie trotz der manchmal eigenartigen Auswüchse meiner oft verworrenen Denkeskapaden in ihrem Zuspruch nie nachgelassen hat. Und schließlich gilt mein Dank den vielen Unternehmensmitarbeitern, die sich nach einer anfänglichen Skepsis mit dem Exoten, der sie besuchte und mit Fragen löcherte, wenigstens für kurze Zeit einließen. Sie sind die Hauptpersonen in dieser Untersuchung. INHALT 1. Einleitung 5 2. Untersuchungsmaterial 13 2.1 Kooperation mit Unternehmen 13 2.2 Vor-und Nachbesprechungen 15 2.3 Über die Gespräche 17 2.4 Aufbereitung des Materials 21 2.5 Tabeile der Transkriptionszeichen/ Register der Teilnehmersiglen 24 2.6 Anmerkungen zum Führungsstil in den Unternehmen 25 3. Theoretische und methodische Voraussetzungen für die Analyse innerbetrieblicher Kommunikation 31 3.1 Soziale Strukturiertheit und Beziehung 32 3.1.1 Stellenrelationen 3 2 3.1.2 Sprachlich konstituierte soziale Beziehungen 34 3.1.3 ‘Machtverhältnisse’ im Gespräch und interaktioneile Dominanz 39 3.1.4 Imagebalance 44 3.1.5 Die Sprecher-Hörer-Konstellation 48 3.1.6 Beteiligungsrollen 53 3.1.7 Zusammenfassung: Aspekte der Beziehung 60 3.2 Die‘Normalform’der Mitarbeiterbesprechung 62 3.2.1 Zweckbestimmtheit 62 3.2.2 Handlungszwänge und die Normalform der ‘kontrollierten’ Kommunikation 67 3.2.3 Kallmeyer und Schmitt: ‘Forcieren’ 72 3.3 Das Steuerungs- und Kontrollpotential sprachlicher Aktivitäten 74 4. Steuerung 81 4.1 Zum Gegenstand: das Herstellen von Handlungsverpflichtungen bei der Themakonstitution 81 4.2 Steuerungsmechanismen an thematischen Umbruchstellen 82 4.2.1 Metadiskursive Steuerungseinheiten 82 4.2.1.1 Die‘ambikonnexe’Vorlaufeinheit 83 4.2.1.2 Segmentierungen und die ‘ideale Abfolge’ an der Umbruchstelle 89 2 Reden ist Chefsache 4.2.2 Fokussierungsverfahren 91 4.2.2.1 Thematische Orientierungsprinzipien 91 4.2.2.2 Schlagwortartige (initiale) Fokussierung 95 4.2.2.3 Sukzessive Fokussierung 98 4.2.2.4 Thematische Refokussierung 103 4.2.3 Zusammenfassung 107 4.2.4 Metakommunikationen und Beziehungskonstitution 108 4.2.4.1 Zum Verhältnis von Metakommunikation und der Beziehungsrelevanz sprachlicher Aktivitäten 109 4.2.4.2 Aussagen zu zeitlichen und thematischen Rahmenbedingungen 112 4.2.4.3 Aushandlungen von Beteiligungsrollen und-rechten 116 4.2.4.4 Emotive Bewertungen des thematischen Fokus 121 4.2.4.5 Zusammenfassung: steuerungsfunktionale Aspekte metakommunikativer Aktivitäten 129 4.3 Sequentielle Implikationen der Themeneröffhung 130 4.3.1 Theoretische und methodische Vorbedingungen 131 4.3.1.1 Die Themeneröffnung als Handlungsschritt 131 4.3.1.2 Was ist ein Problem? 134 4.3.1.3 Das Ansteuern von Handlungsschemata der Interaktion 13 8 4.3.1.4 Kategorisierung der Themeneröffnungen 139 4.3.2 Beispiele: Ansteuern einer Tnformationsweitergabe’ 142 4.3.2.1 ‘Retrospektive’ Etablierung des informativen Themenanspruchs 142 4.3.2 2 Information zu einem Thema mit defizitären Aspekten 146 4.3.3 Beispiele: Ansteuern einer‘Problembearbeitung’ 150 4.3.3.1 Problematisieren eines defizitären Aspekts im Rahmen einer Subthemenbearbeitung 150 4.3 3.2 Kritik an der Arbeitsleistung 157 4.3.3.3 Sonderfall Betriebsratsgespräch: Präsentation eines Problems mit fortgeschrittenem Bearbeitungsstand 163 4.4 Zusammenfassung: ein siebenstufiges Schema zu den sprachlichen Mitteln der Steuerung 165 5. Kontrolle 185 5.1 Zum Gegenstand: Verfahren der Einstufung von Partnerbeiträgen zur Durchsetzung eigener Ziele 185 5.2 Systematisierung sprachlicher Kontrollverfahren in der Mitarbeiterbesprechung 187 5.2.1 Hervorheben der Position 187 5.2.2 Abwerten der Partneraktivität 197 5.2.3 Verfahren interaktioneller Ausgrenzung 202 5.2.4 Diskreditierungsverfahren 210 Inhalt 3 5.2.5 Degradieren des Partners 215 5.2.6 Deklassieren des Partners 224 5.2.7 Einbinden von Vorwissen 231 5.2.8 Beanspruchen eines Expertenstatus 237 5.2.9 Zurückweisen von Problematisierungen 243 5.2.10 Ignorieren von Initiativen 247 5.2.11 Pauschalisieren des Gegenstands 251 5.2.12 Relativieren der Gültigkeit 258 5.2.13 Umdeuten des Partnerbeitrags 263 5.2.14 Kompetitive Problematisierungen 269 5.2.15 Scherzhaftes Überspielen von Handlungsanforderungen 278 5.3 Zusammenfassung 283 5.4 Zu den Realisierungsformen sprachlicher Kontrollverfahren im Korpus 286 6. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß: Analyse einer komplexen Problembearbeitung 291 6.1 Zur Methodik 291 6.2 Angaben zur Interaktionsgeschichte 292 6.3 Verlaufsanalyse 295 6.3.1 Problempräsentation, Zurückweisen eines Lösungsvorschlags und die Behandlung gesteigerter Partizipationsansprüche 295 6.3.2 Selbst- und Fremddarstellung und die Instruktion als Lösungsdiktat 304 6.3.3 Überstrapazieren der Problembearbeitung, Machtansprüche und Impositionen 318 6.4 Zusammenfassung 328 7. Fazit: die Verwendbarkeit des methodischen Apparats 331 8. Macht, Situation und sprachliches Handeln 333 9. Literatur 341 Anhang I: Räumliche Verhältnisse 355 Anhang II: Transkripte (in Auswahl) 359 Transkript 1: Die Diskussion um das Werk 1 (aus: ‘Meister-l’) 359 Transkript 2: Das Problem von Herrn Schmidt (aus: ‘Inspektoren’) 365 1. Einleitung Diese Arbeit befaßt sich mit der Face-to-face-Kommunikation am Arbeitsplatz. Genauer gesagt: Ihr Gegenstand sind innerbetriebliche Arbeitsbesprechungen, an denen die Mitglieder einer Abteilung, Organisationseinheit, einer bestimmten Berufsgruppe o.a. unter Leitung ihres Vorgesetzten teilnehmen. Arbeitsbesprechungen unterliegen einer Reihe von betrieblichen Kontrollmechanismen. So ist relativ klar geregelt, wer teilnehmen darf, wer das erste Wort hat, ungefähr wie lange die Besprechung dauern und was im einzelnen zu behandeln sein wird. Der dominierende Themenbereich in Arbeitsbesprechungen entstammt dem Tages- und Wochenprogramm einer Belegschaft, mit allen Faktoren, die hierfür von Belang sind (Personalbedarf, Zeit- und Materialaufwand, Qualitätssicherung etc.). Abgesehen von solchen ziemlich stringenten, ‘äußeren’ Voraussetzungen können auch ‘innere’ Kontrollmechanismen der Besprechungen sich in z.T. sehr heiklen Prozessen niederschlagen. Allerdings ist dies schon schwieriger darzustellen. Im Arbeitsalltag hilft man sich mit einem Griff nach Vokabeln, die hier besondere Bedeutung gewonnen zu haben scheinen. Man spricht von der ‘Diskussion’ um die Bezahlung der Überstunden, von der ‘Predigt’ des Chefs oder davon, die Besprechung sei reine Zeitverschwendung gewesen, ein vom Vorgesetzten veranstaltetes ‘Ritual’. Nichtsahnend bezeichnet man dergestalt gesprächsinterne Makrostrukturen mit Begriffen, die auch der Linguistin und dem Linguisten dienen (Gülich 1981, Werlen 1979). Abstrahiert man vom vorwissenschaftlichen Gebrauch der Begriffe, so zeigt es sich auf dieser Ebene der Gesprächsbetrachtung, daß die Teilnehmer ‘kontrollierend’ an der Herstellung kommunikativer Makro-Konstituenten beteiligt waren. Das Anliegen dieser Arbeit wird es sein, bei einer noch feineren Zerlegung des Gesprächskontinuums einen Einblick in ‘Kontrollmechanismen’ zu erhalten, die durch einzelne sprachliche Aktivitäten konstituiert werden. Hierzu ein Beispiel aus einer Meisterbesprechung: 1 1 BV und da möcht ich gern mi"treden net nur als 2 BV betrie"bsrat sondern auch als mei"ster- * nämlich ne"t 3 BV daß ich da"nn mol den vorwurf gemacht krieg- * 4 BV hättescht du” hier * immer druff gedrängt daß de"s 5 BV oder des gemacht wird dann könnten wir * heut 6 BV unsere arbeitsplätze noch ha"ben\ 7 wL also ich glaube 8 WL wir sollten das thema mit den arbeitsplätzen 9 WL ein bißchen beiseite schieben\ * 10 BV hamm' r hamm=ma in' in bezug uff fuhrpark auch lange 11 WL L das' das' hier steht das 1 1 Eine Legende der Transkriptionszeichen befindet sich in Abschnitt 2.5. 6 Reden ist Chefsache 12 BV uff die seife geschoben bis es soweit war\ 13 WL das war eine völlich andere situation\ * Die beiden Sprecher (ein Meister und zugleich Betriebsratsvorsitzender (BV) und der Werksleiter (WL)) gehen den Dialog zum Thema ‘Arbeitsplätze’ offensichtlich mit gänzlich verschiedenen Zielsetzungen an. Während der eine versucht, das Thema zu etablieren, weicht der andere aus, möchte es beiseite schieberf (Z. 9). Sein Gesprächspartner insistiert mit Hilfe eines Vergleichs, dessen Relevanz der Werksleiter aber sofort wieder entkräftet: das war eine völlich andere situation\ (Z. 13). Die Sprecher ‘kontrollieren’ sich hier gegenseitig in dem Sinne, als sie mit großer Sensibilität auf die vom jeweils anderen provozierte Situationsveränderung reagieren und ihrerseits günstigere Ausgangspositionen für das Durchsetzen der eigenen Meinung zu schaffen versuchen. Das Potential von Aktivitäten, manipulierend auf die situativen Voraussetzungen für partnerseitiges Handeln einzuwirken, bezeichne ich als ‘kontrollierendes’ Potential. Es ist eingebettet in den Strom interaktiven Geschehens und kann als solches analysiert und hinsichtlich seiner linguistischen Eigenschaften differenziert werden. Mit diesen drei Dimensionen des Begriffs ‘Kontrollmechanismus’ öffnet sich ein analytischer Zugang zu den Arbeitsbesprechungen, einer Gesprächsform, die in den Forschungszweigen linguistischer Kommunikationswissenschaft kaum untersucht worden ist. Insofern wird mit der vorliegenden Arbeit ein von der Linguistik fast unberührtes Neuland betreten. Die Sprachwissenschaft hat sich bis heute wegen der Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung nur durch die Tätigkeit einzelner Forscherinnen und Forscher mit dem Bereich der ‘Wirtschaftskommunikation’ auseinandersetzen können (z.B. E. Bartsch, G. Brünner, Th. Bungarten, F. Lenz). Allerdings gibt es bei der Erforschung der Unternehmenskommunikation und insbesondere auch der vergleichbaren institutionellen Kommunikation in den letzten Jahren enorme Fortschritte, v.a. durch Projektarbeiten in der Diskursforschung, der Konversations- und Gesprächsanalyse sowie der Dialogforschung (vgl. Becker-Mrotzek 1992). 2 Be- 2 In der Gesprächsforschung haben sich drei Forschungszweige herauskristallisiert und gefestigt, die man anhand ihrer analytischen Perspektiven unterscheiden kann. Erstens: eine Gesprächsanalyse, in der die ethnomethodologische Konversationsanalyse angloamerikanischen Ursprungs (Harold Garfinkei, Harvey Sacks) eine differenzierte Rezeption und Weiterentwicklung erfahren hat. Diese Richtung beschäftigt sich mit strukturellen Aspekten des Gesprächs, Redeorganisations-Regeln, mikrosequentiellen Abläufen usw. (etwa Gülich und Kotschi 1987, Lenz 1989, Kallmeyer und Schmitt 1991). Zweitens: eine stärker an den Fragen von Sprache und Beziehung bzw. Gesellschaft interessierte Gesprächsanalyse, die sich mit interpersonaler Beziehungsarbeit, sozialen Stilen, sozialer Typisierung, Rollendynamik im Gespräch etc. auseinandersetzt (etwa Holly 1979, Schwitalla und Streeck 1989, Kallmeyer, Hg., 1994). Drittens: eine an der gesprächsweisen Herstellung umfassenderer textlicher Strukturen interessierte Diskursforschung in der Nachfolge pragmalinguistischer Tradition oder einer Handlungstheorie der Einleitung 1 rührungspunkte zwischen Linguistik und Wirtschaft werden deutlich gemacht (Brünner 1991); zwei Bibliographien (Pogarell 1988, Bungarten 1990) sowie in rascher Folge erscheinende Sammelbände (z.B. Fiehler und Sucharowski 1992, Bartsch 1994, Bungarten 1994, Ehlich und Wagner 1995 etc.) signalisieren ein wachsendes Interesse am Gegenstandsbereich. 3 Im Bereich interner Mitarbeiterkommunikation besteht jedoch ein deutliches Desiderat, das wahrscheinlich auch für lange Zeit nicht befriedigend eingelöst werden wird. Der Bedarf an Mikrostrukturanalysen von Gesprächen aus dem Unternehmen ist längst nicht gedeckt. Die Erforschung der gesprochenen Sprache in Unternehmen basiert in der Gesprächs- und der Diskursanalyse (als Forschungszweige) auf Aufzeichnungen von einzelnen oder mehreren Verkaufsgesprächen, fachlichen Beratungen, Verhandlungen, technischen Dienstbesprechungen, Einstellungsgesprächen und Gesprächen aus der innerbetrieblichen Aus- und Weiterbildung. Nach Ehlich und Rehbeins (1972) Untersuchung zu Handlungsmustern in einem Speiserestaurant sind insbesondere die Arbeiten von Schönfeld und Donath (1978) zu varianzlinguistischen Gesichtspunkten und Brünner (1978) zu theoretischen Problemen als grundlegend anzusehen. Mit Verkaufsgesprächen beschäftigen sich Henne und Rehbock (1982) und Brons-Albert (1992), mit fachlichen Beratungen Beneke (1992), mit gesprächstypologischen Aspekten der Bürokommunikation Prokop (1989); Reiher (1980) untersucht Handlungsanweisungen in Industriebetrieben, Marquard (1994) und Lenz (1989) behandeln technische Dienstbesprechungen (Technical Meetings) im Hinblick auf Problemlösungsdiskurse bzw. auf Gesprächsorganisationsprinzipien. Hervorgehoben sei schließlich die Arbeit G. Brünners (1987 u.a.) zu Lehr-Lern-Prozessen in einem Bergbaubetrieb. Aus der Sicht dessen, der sich für betriebsinterne Besprechungen interessiert, können diese Arbeiten nur mit wenigen Ausnahmen als Grundlagen und Ratgeber für die eigene Untersuchung hilfreich sein. Die ihnen zugrundeliegenden Korpora wurden entweder in nicht-alltäglichen Kontexten (z.B. Trainings) erhoben, in Unternehmensbereichen, die aus dem alltäglichen, innerbetrieblichen Arbeitsprozeß ausgelagert sind (z.B. Ausbildungsstätten, unternehmensübergreifende Verhandlungen), und sie dokumentieren häufig die Kommunikation von Mitarbeitern mit Externen (z.B. Verkauf, Kundenberatung). Die interne Mitarbeiterkommunikation wird als Untersuchungsfeld quasi von außen ein- Sprache (etwa Ehlich und Rehbein 1972, Rehbein 1977, Brünner und Graefen, Hg., 1994). 3 Der Vf. konnte während der Redaktion dieser Arbeit mit den zu seinem Thema erscheinenden Werken irgendwann nicht mehr Schritt halten. Neuere Arbeiten konnten nur noch partiell berücksichtigt werden. Nicht genannt werden bei den hier angestellten Betrachtungen die Arbeiten aus dem angloamerikanischen Raum u.a. (z.B. Anderson et al. 1987, Drew und Heritage 1992, Borzeix 1990, Bargiela-Chiappini und Harris 1995). Hierzu sei auf das Kapitel 3 der Arbeit verwiesen. 8 Reden ist Chefsache gegrenzt und bleibt als ein umso weißerer Fleck in der Linguistik bestehen. 4 Die Ursache für die Einschränkungen bei der Korpuserhebung liegt in der fehlenden Kooperationsbereitschaft der Unternehmen, die Aufzeichnungen von alltäglichen Gesprächen aus Gründen des Firmengeheimnisses rigoros und außerordentlich hartnäckig ablehnen. Von den Problemen bei der Feldarbeit ist auch der Verfasser der hier vorliegenden Arbeit nicht verschont geblieben. Die z.T. abenteuerlichen Erfahrungen im Umgang mit den ‘Informanten’ werden im 2. Kapitel präsentiert. Aus diesen Problemen entstehen für die wissenschaftliche Arbeit andere. Es ist einigermaßen schwierig, Forschungsfragen für die i.w.S. soziolinguistisch orientierte Arbeit zu formulieren, wenn die erreichbare Informationsmenge sich auf einige wenige Aspekte des ethnographischen Kontextes reduziert. Das Untersuchungsziel der vorliegenden Arbeit hatte ich anfangs schon als eine Analyse des ‘kontrollierenden’ Potentials sprachlicher Aktivitäten beschrieben. Wie und ob jemand seinen Gesprächspartner oder das gesamte Gespräch steuert und kontrolliert, ist eine Frage, die auf den Gesprächsanalytiker eine überaus große Faszination ausübt. Einer ‘Phänomenologie der Kontrolle’ ließe sich manches einordnen. Interaktionspartner kontrollieren z.B. die Einhaltung der formalen Gesprächsorganisation (Rederechtverteilung) und Verstehensleistungen des Partners hinsichtlich der Bedeutung des Gesagten; sie kontrollieren sich gegenseitig mit Blick auf übergreifende Handlungsstrukturen (Interaktionsmuster) im Gespräch; und schließlich kontrollieren sie ihre ‘Beziehung’ im Hinblick auf deren Belastung, auf Krisensituationen, Annäherungen, Distanzierungen etc. Die Unterscheidung von Gesprächskonstitutionsebenen in dieser Weise folgt der Darstellung von Kallmeyer und Schütze (1976), einem Konzept, dessen Nützlichkeit sich durchaus erwiesen hat. Die Anwendung des Kontrollbegriffs auf jede einzelne der Ebenen mag hier fremd und vielleicht fragwürdig erscheinen. Später wird es notwendig sein, genauer auf den Begriff einzugehen, seine Dimensionen auszuloten und seine Anwendbarkeit im einzelnen zu überprüfen (Abschnitte 3.2 und 3.3). Mit der Frage nach den Erscheinungsweisen von ‘Kontrolle’ in innerbetrieblichen Mitarbeitersprechungen ist die Forschungsfrage zumindest umrissen. Einen Begriff wie ‘Kontrolle’ der empirischen Untersuchung von Arbeits- oder Mitarbeiterbesprechungen voranzustellen, birgt eine gewisse Gefahr. Immerhin gilt Befünd- und nicht Ergebnisorientiertheit als eine der methodologischen Maximen gesprächsanalytischer Dissertationen (z.B. Spranz-Fogasy 1984, Nothdurft 1986, Spiegel 1995 etc.). Natürlich aber nicht nur dort. Auch in einer, für unseren Gegenstandsbereich naheliegenden Bezugswissenschaft, 4 Man muß einschränkend sagen, daß sich mehrere Linguisten aus der ehemaligen DDR schon in den 70er Jahren intensiv mit dem Bereich der innerbetrieblichen Kommunikation befaßten. Der Kontakt zur Industrie galt als Interesse an der Basis, dem Arbeiter. Allerdings ist man auch hier kaum über Einzelanalysen hinausgekommen. Einleitung 9 der Betriebswirtschaftslehre, ist ein ‘situativer’ Ansatz entstanden, der deduktive Vorgehensweisen ablehnt (Kieser und Kubicek 1992). Der Gefahr, die Befundorientiertheit zugunsten der Einführung eines neuen Begriffs zu opfern, werde ich mit zwei umfangreichen empirischen Kapiteln (Kapitel 4 und 5) begegnen, mit denen ich die methodologische Legitimität des Begriffs zu beweisen hoffe. Ein in diesem Zusammenhang wichtiger Aspekt gesprächsanalytischen Arbeitens weniger mit dem Stellenwert einer methodologischen Maxime denn einer theoretischen Prämisse ist die Annahme, daß sich in Gesprächen soziokulturelle Welten konstituieren. Gespräche stellen Wirklichkeit her; sie sind nicht lediglich die Reproduktionsmechanismen einer in sich fixen Gesellschaft. Die Analyse von Gesprächen aus einer Institution machen somit die Rekonstruktion grundlegender Handlungsbedingungen innerhalb der Institution überhaupt erst möglich. Einen wesentlichen Schritt hin zu dieser dynamischen Sichtweise stellt das Entstehen der interpretativen Soziolinguistik (Gumperz, Hg., 1982) und der Ethnographie der Kommunikation (Hymes 1979) dar. Was in der gesprächsanalytischen Nachfolge dieser Forschungsrichtungen etwas in den Hintergrund trat, war die Tatsache, daß ja tatsächlich Strukturen in der Gesellschaft existieren, die in hohem Maße determiniert und fixiert sind. In Arbeitsbesprechungen liegt eine solche determinierte Struktur im Verhältnis ‘Vorgesetzter-Untergebener’ vor. Für die Analyse von Arbeitsbesprechungen werde ich deshalb für eine dialektische interpretationsleitende Sichtweise plädieren, die sowohl der fixen unternehmerischen Organisationsstruktur als auch der gesprächsweisen Herstellung sozialer Strukturen Anerkennung zollt. Die Dialektik der analytischen Perspektive kann allgemein in dem Verhältnis von ‘Vorstrukturiertheit’ institutioneller, speziell arbeitsweltlicher Kommunikationsbedingungen und einem strukturierend ‘wirksamen’ verbalen Verhalten gesehen werden. Bestimmte Rahmenbedingungen in der institutionellen Kommunikation, wie asymmetrische Beteiligungsvoraussetzungen (z.B. Hierarchien), institutionsspezifische Interaktionsmuster (z.B. Problemlösungsprozesse) und die Zweckbestimmtheit, sind relativ fixe Handlungsorientierungen für alle Gesprächsteilnehmer. Diese Orientierungen liegen als reziproke Produktions- und Interpretationsbedingungen der Interaktion zugrunde (Ehlich und Rehbein 1980). Demgegenüber gilt das Gespräch in der Gesprächsanalyse als ein Prozeß gemeinsamen Herstellens von Wirklichkeit durch Indexikalisierungs- und Inferenzverfahren in mikro- und makroprozessualen Ereignissen (Kallmeyer 1988). Ich möchte in theoretischer und methodischer Hinsicht die Frage aufwerfen, wie die Gesprächsanalyse institutionelle Parameter nutzvoll anzuwenden imstande sein kann. Genau dies ist ja einer der Ansatzpunkte etwa der Sozialpsychologie (z.B. Holtgräves et al. 1989). Allerdings werde ich kein integrales und abschließendes Bild davon zeichnen können. Der 10 Reden ist Chefsache dialektische Ansatz wird exemplarisch in bezug auf die Beziehungsebene in Mitarbeiterbesprechungen entwickelt (Abschnitt 3.1). Nach der Darstellung des Untersuchungsmaterials (Kapitel 2) und den Ausführungen zur Beziehungskonstitution in Arbeitsbesprechungen sowie zum Kontrollbegriff (Kapitel 3) werden thematische Umbruch-Stellen in den Gesprächen des Korpus analysiert. An diesen Stellen orientieren sich die Gesprächsteilnehmer neu, handeln themenspezifische Beteiligungsbedingungen aus und zeigen sich gegenseitig eine Reihe von Vorgaben für die Bearbeitung des gerade angeschnittenen Themas an. Insbesondere soll uns interessieren, mit welchen sprachlichen Mitteln die Vorgaben schon im Gesprächsschritt der ‘Themeneröffnung’ etabliert werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Steuerung der Aufmerksamkeitsorientierung (Fokus). Der Fokusbegriff wird im Zusammenhang mit dem Begriff der ‘Relevanz’ untersucht (Kapitel 4). Danach wird querschnittartig an bestimmten, durch die Typik sprachlicher Aktivitäten vergleichbaren Gesprächsstellen aufgezeigt, mit welchen rhetorischen Verfahren die Beteiligten versuchen, ihre Bearbeitungsziele gegenüber denen der Partner durchzusetzen. Die Berücksichtigungen des vorangegangenen Partnerbeitrags, seine Einordnung, Rückstufung, Abwertung etc. werden als Formen reaktiver sprachlicher ‘Verfahren’ beschrieben (Kapitel 5). Anhand eines längeren Gesprächssegments werden die Ergebnisse der empirischen Kapitel in einer Verlaufsanalyse angewandt (Kapitel 6) und anschließend Fazits gezogen. Dieser Arbeit liegen acht, etwa zu vierzig Prozent ihrer Gesamtdauer transkribierte Gespräche aus vier verschiedenen Unternehmen zugrunde. Die Transkriptionen (ca. 230 Seiten) wurden aus Raum-, Kosten- und auch Datensicherungsgründen nicht in die Publikation aufgenommen. Im Anhang befinden sich jedoch zwei Transkriptsegmente, die vielleicht einem ersten Einstieg in die Charakteristik der Gespräche dienen können. Dies mag als Hinweis für diejenigen Leser gelten, die mit Transkriptarbeit wenig Erfahrung haben, vielleicht insbesondere für Nicht-Linguisten, die mit ‘Untemehmenskommunikation’ ihr Brot zu verdienen haben werden: für Betriebswirte, Arbeitspsychologen, Betriebssoziologen etc. Ein viel engerer Zusammenhang mit den jeweiligen Bezugswissenschaften war von mir ursprünglich geplant; im Laufe der Arbeit kristallisierte sich die Notwendigkeit linguistischer Grundlagenarbeit aber immer stärker heraus. Die ‘Übersetzung’ linguistischer Befünde in eine stärker unternehmenswissenschaftlich orientierte Arbeit muß vorerst ein Desiderat bleiben. Nichtsdestotrotz füge ich hier einige Gedanken zum sozialhistorischen und unternehmenspolitischen Stellenwert der Materialien an: Begriffe wie Unternehmenskultur, Corporate Communication, Partizipationsorientiertheit und Ethik wurden etwa von 1965 bis 1990 als Stichworte in wirtschaftlicher Literatur und Presse kontinuierlich dominanter (Breisig 1990). Einleitung 11 Es zeichnete sich eine grundlegende Veränderung der Werte in der Managementlehre ab. Der Ursprung dieser qualitativen Veränderung ist u.a. in der Entwicklung von Human-Relations-Konzepten zu sehen, die das Bild vom Homo oeconomicus in Frage stellen konnten (Kieser 1993b). Der Kollaps der Ostwirtschaft und die grundlegende Veränderung des Marktes hatten jedoch derart katastrophale Konsequenzen für die Wirtschaft, daß sich heute (immer noch) die meisten (kleinen und mittelständischen) Unternehmen ernsthafte Gedanken ums Überleben machen müssen. Das existenzielle Problem stieß die qualitativen Prozesse fast unvermittelt bis heute in den Hintergrund der aktuellen Diskussion. Davon zeugen die verschärften Rahmenbedingungen für Verhandlungen in der Tarifrunde, der radikale Abbau ganzer Führungsetagen, die gravierenden Kürzungen im Sozialbereich der Unternehmen, die Diskussion um den Wirtschaftsstandort usw. Die dieser Arbeit zugrundeliegenden Gesprächsaufzeichnungen stammen aus der Zeit, in der die Krise einsetzte bzw. erstmals vehement spürbar war (1989 - 1993). Sie sind insofern (noch) Zeugnisse des Versuchs, partizipationsorientierte Führungspolitik in die Praxis umzusetzen, bei gleichzeitig sich abzeichnender Gefährdung der Arbeitsplätze aller Teilnehmer. Im sozialen Mikrokosmos der sprachlichen Interaktion spiegelt sich der angesprochene Zwiespalt zwischen Hinwendung zum Mitarbeiter und Überlebensstrategie. 2. Untersuchungsmaterial 2.1 Kooperation mit Unternehmen Die acht Gespräche des Korpus wurden über einen Zeitraum von etwa dreieinhalb Jahren aufgezeichnet. Bis ich das Einverständnis zu den Aufnahmen erhielt, waren z.T. erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden. Vom ersten Kontakt bis zu der tatsächlichen Gesprächsaufzeichnung vergingen in einem Fall über zweieinhalb Jahre, weil ich eine Unmenge von ‘Instanzen’ durchlaufen mußte, die in irgendeiner Form über Entscheidungsgewalt in meiner Sache verfugten. Mit der Bitte, Gesprächsaufzeichnungen für eine wissenschaftliche Grundlagenarbeit machen zu dürfen, war es alleine nicht getan. Der bei weitem am schwierigsten zu bewältigende Punkt war, Unternehmensmitarbeiter von der Wahrung des Betriebsrechts (persönlicher und institutioneller Datenschutz) zu überzeugen. Abteilungen oder Gremien, die Einfluß auf die Zulassung von Gesprächsaufzeichnungen haben, sind die Firmen-, Geschäfts- oder Werksleitungen, das Personalwesen und die Mitarbeitervertretungen (Betriebsräte und ggf. Vertrauensleute). Entscheidungsrechte in meiner Sache hatten außerdem die unmittelbar betroffenen Vorgesetzten, die Mitarbeiterbesprechungen durchfuhren (Bereichs-, Gruppen- und Abteilungsleiter). Oftmals lehnten die Unternehmen die Kooperation ab, weil sie keinen unmittelbaren Nutzen in einer Mitarbeit sehen konnten. Ich machte zwar das Angebot, Analyseergebnisse mittelfristig im Hinblick auf firmenspezifische und unternehmerische Interessen aufzubereiten und in einem Kolloquium zu präsentieren (was zweimal auch veranstaltet werden konnte); aber es überwog das Mißtrauen, einen Externen ohne vertragliche Bindung zu internen Gesprächen zuzulassen. Die wichtigsten Gründe für die Skepsis waren, daß ich es vielleicht an Loyalität fehlen lassen könnte und Betriebsgeheimnisse ausplaudern würde, sowie die Furcht, daß Mitarbeiter wegen Verletzung des Datenschutzes klagen könnten. Ein wichtiger Punkt war außerdem die z.T. sehr deutliche Angst leitender Angestellter, daß sie selbst und ihre eigene Kommunikationskompetenz negativ beurteilt würden. 5 In den Personalabteilungen wußte man oft gar nicht, wohin man meine Anfrage weiterleiten sollte. Weil in vielen Unternehmen erhebliche Umstrukturierungen im Gange waren, konnten die Ansprechpartner zuweilen überhaupt nicht sagen, in welchen Bereichen regelmäßig Mitarbeiterbesprechungen stattfanden. Mehrmals fand sich ein für mich potentieller ‘Gesprächsleiter’, der eine Aufzeichnung mit dem Hinweis darauf verweigerte, daß man sich in einer Krise befände und daß momentan nur Organisatorisches besprochen würde, was für Außenstehende sowieso ‘uninteressant’ sei. Andere meinten, daß mit 5 Vgl. zu den Problemen der Feldforschung in diesem Bereich die Ausführungen von Brünner (1987) zur Kontaktaufnahme und Materialgewinnung in einem industriellen Ausbildungsbetrieb (Brünner 1987, Kap. 1.4). 14 Reden ist Chefsache ‘Schulgrammatik’ Probleme in der Mitarbeiterfuhrung bestimmt nicht zu lösen seien. Wieder andere versicherten mir, daß man die von mir skizzierten Probleme in der Mitarbeiterkommunikation bereits vor zwanzig Jahren gelöst habe. In einem Fall verhinderte allein der Einspruch des Konzembetriebsrats die Aufzeichnung eines Meistergesprächs, obwohl der Geschäftsführer und die Meister des Industriebetriebs bereits zugestimmt hatten. In anderen Fällen demonstrierten die in der Personalabteilung angesprochenen Mitarbeiter ihren deutlichen Unwillen, ihre Vorgesetzten mit meinem Vorhaben zu konfrontieren, und ließen meine Anfrage in der Schublade verschwinden. Eine Suche nach Zielfirmen in Handelsregistern u.ä., bei der die Selektion aus nach betriebswirtschaftlichen Kriterien einzugrenzenden Gruppen (nach Dienstleistungssektor, nach Branche, z.B. Banken) erfolgen sollte, mußte nach mehr als einem Jahr mit etlichen Telefonaten, Sondierungsgesprächen, Vorstellungsterminen, aber letztendlich erfolglosen Verhandlungen abgebrochen werden. Erfolg war schließlich nur durch private Referenzen beschieden, durch direkten Kontakt mit Mitarbeitern in geschäftsleitender Stellung, die eine Aufzeichung ‘nach unten’ delegierten. War dies einmal geschehen, verhielt man sich im Einzelfall außerordentlich kooperativ, bot mir z.B. eine Werksführung, die Teilnahme an (nicht aufgezeichneten) Informationsgesprächen mit den Mitarbeitern des Werks, Geschäftsberichte und weitere Unterlagen an. Das Fazit: Was salopp mit ‘Vitamin B’ bezeichnet wird, ist der mächtigste Faktor bei der Suche nach Kooperationsbereitschaft in Unternehmen. So zog ich denn los, mit mehreren schweren Taschen behängen, die ein Tonbandgerät, weitere tontechnische Utensilien, Untemehmensunterlagen und Schreibzeug für ein Gesprächsprotokoll enthielten. Ich nahm einen Besucherausweis entgegen und meldete mich im Sekretariat der Geschäftsleitung. Nach Betreten des Veranstaltungsraums merkte ich sehr schnell, daß die Mitarbeiter unterer ‘Ebenen’, also Arbeiter, Verkäufer, Büroangestellte 6 usw., nicht nur kein Mitspracherecht bei der Entscheidung gehabt hatten, die Aufnahmen zuzulassen, sondern daß sie in den meisten Fällen sprichwörtlich erst in letzter Minute gefragt wurden. Regelmäßig war niemand außer meiner Kontaktperson überhaupt über mein Erscheinen informiert (nur bei zwei Gesprächen wurde die Aufzeichnung angekündigt). Ich stellte das Mikrofon und das Tonband erst unmittelbar vor oder nach Gesprächsbeginn auf, während man die Mitarbeiter in aller Kürze über die Gründe meiner Anwesenheit aufklärte. In drei Fällen beschwerten sich die Mitarbeiter derart lautstark über meine Anwesenheit, daß ich befürchtete, abbrechen zu müssen. Nur mit Mühe konnten der 6 Ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich mich für die durchgängige Verwendung der maskulinen Form nur der Einfachheit halber entscheide, ln denjenigen Fällen, bei denen Mitarbeiterinnen die Mehrzahl der anwesenden Gesprächsteilnehmer stellen, ziehe ich die feminine Form vor. Untersuchimgsmaterial 15 Gesprächsleiter und ich die Aufregung schlichten. Letztendlich erklärten sich immer alle einverstanden. Die Feldarbeit im Unternehmen führte mich mehr als einmal in ziemlich prekäre Lagen. Jede Art von Aufzeichnungsgerät kann schockierend wirken. Man steht vor einem enormen Zwang, sich erklären zu müssen, und zwar in sehr kurzer Zeit. Zur Überwindung der Schrecksekunden entwickelte ich allmählich einen zweiminütigen Vortrag zu den Zielsetzungen meiner Arbeit und zu meiner unbedingten Zuverlässigkeit in Sachen Datenschutz. Die Erfahrung aus den Telefonaten mit dem gehobenen Management, die kaum jemals länger dauerten, stellten sich so im Nachhinein als wertvolle rhetorische Übung heraus. Leider kann ich keinerlei Angaben zu den Identitäten der Firmen machen, die im Zuge meiner Untersuchung kooperierten. Dies war ein Teil der Zusicherungen, zu denen ich mich verpflichtete. Die lange Suche führte am Ende zu einem in jedem Fall interessanten Querschnitt, was die Firmengröße (Jahresumsatz, Mitarbeiterzahl), die Kommunikationskultur (Mitspracherecht, Geltungswert der Gespräche) und das individuelle Verhalten der Gesprächsteilnehmer betrifft. Der Querschnitt kann und will nicht repräsentativ sein; er läßt aber mit Sicherheit das Ziehen von Parallelen zu heute existierenden Formen der Kommunikation in vielen anderen Unternehmen zu. 2.2 Vor- und Nachbesprechungen Den Gesprächsaufzeichnungen ging in der Regel ein offenes Interview mit dem Gesprächsleiter voraus, oder ein solches fand unmittelbar im Anschluß an das Gespräch statt. In einigen Fällen gab es mehrere solcher Interviews, an denen dann auch andere, von meinem Anliegen betroffene Mitarbeiter teilnahmen, sowie Nachbesprechungen, die erst nach einiger Zeit und nach einer ersten Durchsicht des Datenmaterials erfolgten. Auch die bereits angesprochenen Kolloquien sind hier zu nennen, wobei in ihnen allerdings anwendungsorientiert (‘Selbstkonfrontation’) und nicht mehr deskriptiv gearbeitet wurde (vgl. Brünner 1992). In den Vor- und Nachbesprechungen ging es mir darum zu erfahren, in welchem Spannungsverhältnis sich der persönliche Anspruch des Gesprächsleiters und etwaige für die Art und Weise der Kommunikation relevante Vorgaben durch die Unternehmensleitung bewegten. Weiterhin drehten sie sich um allgemeine programmatische, teilnehmerspezifische und organisatorische Punkte. Von diesen Gesprächen existieren keine Aufzeichnungen. Sie ergaben sich meist unter großem Zeitdruck, z.T. auch spontan, ohne spezielle Vorbereitung oder vorherige Absprachen, und werden so allenfalls einem Anspruch voranalytischen ethnographischen Recherchierens gerecht. Es ist zwar 16 Reden ist Chefsache nicht Ziel dieser Untersuchung, Befunde über unterschiedliche Corporate Identity- oder Corporate Communication-Konzepte zu erarbeiten (vgl. hierzu Bruhn 1992, S. 22ff); einige der Fragestellungen der Interviews sind aber wichtige Orientierungen für Aussagen über die Kommunikationskultur der Unternehmen: - Welche Anleitungen werden Gesprächsleitem gegeben, um Gespräche effizient durchzuführen, bzw. welches hinter der Durchführung von solchen Gesprächen liegende Interesse der Firmenleitung wird auf die Gespräche projiziert; gibt es ein spezifisches Modell für die Kommunikation im Unternehmen? - Wie verhalten sich Firmenleitung o.a. Vorgesetzte gegenüber dem Gesprächsleiter, was dessen Kommunikationsstil betrifft; wie empfindet der Gesprächsleiter den Diskurs der Firmenleitung? - Wie, glaubt der Gesprächsleiter, vertragen sich in solchen Mitarbeiterbesprechungen die Ansprüche, dem Mitarbeiter möglichst großes Mitspracherecht einzuräumen und gleichzeitig durch das Gespräch die Effizienz von Arbeitsleistung zu erhöhen; wie motivierend sind die Gespräche für den Angestellten? - Wie verträgt sich der persönliche Anspruch des Gesprächsleiters an alltägliche Kommunikation mit der Verpflichtung, seinen Angestellten firmenspezifische Interessen glaubhaft zu vermitteln? - Mit welchen Aktivitäten treten die Mitarbeiter in Gesprächen besonders hervor; in welchem Maß sind Aktivitäten auf Schulungen zurückzuführen, in denen der einzelne seine kommunikativen Fähigkeiten trainiert hat? - Glaubt der Gesprächsleiter, daß ihn die Angestellten inhaltlich verstehen, wenn er über betriebswirtschaftliche Punkte referiert; wie groß schätzt er betriebsorganisatorische Wissensdefizite bei ihnen ein? Mit allen Beteiligten konnten aufgrund der z.T. hohen Teilnehmerzahl, des trotz aller Verhandlungen immer noch relativ unvorbereiteten Charakters der Aufzeichnungen und nicht zuletzt auch aus Zeitmangel ähnliche Gespräche nicht stattfinden. Die Inhalte dieser Gespräche fließen in die Betrachtungen zum Führungsstil (s.u.) und an geeigneter Stelle in der Analyse als verständnisfördernde Information ein. Als wichtige Quelle für Informationen stellten sich im Verlauf des Entstehens dieser Arbeit Mitarbeiter der Unternehmen heraus, die zwar an den vorliegenden Gesprächen nicht teilnahmen, mit denen ich aber häufig über die konversationellen Gepflogenheiten in den Unternehmen sprechen konnte. Diese Informanten waren eine unschätzbare Hilfe bei vorwissenschaftlichen Betrachtungen zur Kommunikationskultur, zum Führungsstil, zum Stellenwert der aufgezeiebneten Gespräche und auch bei der Überprüfüng einzelner analytischer Befunde. Gerade hinsichtlich des letzteren bewahrheitet sich, was als ein Grundprinzip der ethnomethodologischen Konversationsanalyse angesehen werden kann: Die mit den Gegebenheiten einer Gesprächstypspezifik vertrauten Gesprächsteilnehmer sind in der Lage, lokale Handlungszusammenhänge interaktiven Geschehens in sozio-strukturale Rahmenbedingungen zu übersetzen. Dabei leisten sie kontinuierlich eine vorwissenschaftlich soziologische Untersuchungsmaterial 17 Interpretations- und Rekonstruktionsarbeit (Garfinkei 1967). 7 Da es sich bei den Informanten um Personen handelt, die zwar Gepflogenheiten innerbetrieblicher Kommunikation kennen, nicht aber an den Gesprächen meines Korpus teilnahmen, zeigt umso mehr, daß sich im Institutionstyp ‘Unternehmen’ wiedererkennbare Textmuster, figurative Interaktionsmuster und Kooperationsformen herausgebildet haben, die „die Institution mit ihren Werten repräsentieren“ (Sandig 1986, S. 180). 2.3 Über die Gespräche Im Korpus liegen vor: Zwei Meistergespräche und die Aufzeichnung einer Betriebsratssitzung aus einem Werksteil eines Konzerns, ein Belegschaftsgespräch in einer Versicherungsagentur, ein Mitarbeitergruppengespräch in einer der Produktionsstätten eines Konzerns und drei Gespräche aus der Filialdirektion einer Versicherung. Im folgenden werde ich die acht Gespräche näher beschreiben. Darstellungen der räumlichen Verhältnisse und zur Sitzordnung finden sich im Anhang I. Im Abschnitt zum Führungsstil werden die Angaben zu den Unternehmen und deren ‘Kommunikationskultur’ erweitert. - Bei den Gesprächen ‘Meister-1’ (I) und ‘Meister-2’ (II) 8 handelt es sich um zwei Meisterbesprechungen bei einem Fett- und Schmierstoffe- Konzern. Zu der Unternehmensgruppe gehören außer dem Standort, in dem die Aufzeichnung realisiert wurde, noch zahlreiche Zweig- und Tochterfirmen. Die Gespräche finden (bzw. fanden) alle zwei bis drei Wochen mit etwa denselben Teilnehmern statt. An dem Gespräch ‘Meister- 1’ sind folgende Mitarbeiter des Standorts beteiligt: die Meister aus insgesamt drei Teilwerken, verschiedene Gruppenleiter und der Werksleiter, der für alle drei Teilwerke zuständig ist. Besprochen werden mehrere Punkte (ohne schriftliche Tagesordnung, aber mit Tischvorlage zu einem Thema), darunter Informationen seitens des Werksleiters, Fragen von den Meistern, Bedarfsanmeldungen, die die Meister an den Werksleiter gestellt haben, sowie Kritikpunkte, auf die der Werksleiter die Meister anspricht. Das Gespräch findet im Speiseraum der Arbeiter statt, ein Raum, in dem sich alle Beteiligten nur selten aufhalten. Der Werksleiter und die 7 Schmitt (1992) meint hierzu: „So richtig diese Gleichsetzung von Alltagssoziologen und professionellen Soziologen - oder in Garfmkels Worten: von ‘lay’ und ‘professional’ auch ist, so muß doch gleich betont werden, daß sie nur unter einer bestimmten Perspektive bzw. eines zu spezifizierenden Geltungsbereichs angemessen ist.“ (S. 76). Er fuhrt weiter aus, daß gerade an den Stellen, an denen sich die Reflexivität der Beteiligten „als brüchig und für den aktuellen praktischen Zweck als unzureichend“ erweist, die Grenze zwischen vorwissenschaftlicher und ‘professioneller’ Perspektive gezogen werden muß (ebd.). 8 Die acht Gespräche des Korpus werden mit römischen Ziffern durchnumeriert. Die Reihenfolge entspricht der chronologischen Abfolge der Aufzeichnungen. 18 Reden ist Chefsache Gruppenleiter erscheinen in ‘Zivil’, die Meister in blauen Arbeitsanzügen. Bei ‘Meister-2’ ist die Teilnehmerkonstellation in etwa dieselbe. Hinzu kommt der Bereichsleiter für Logistik des Standorts, der das Gespräch bei dem wichtigsten Thema (mit Tischvorlage) leitet. Es geht um die Planung der Inventur in den drei Teilwerken. Der Bereichsleiter stellt sein Konzept vor und diskutiert es mit den Anwesenden. Danach folgen noch einige wenige Informationen und Fragen zu anderen Punkten. Raum und Erscheinungsbild der Teilnehmer stimmen mit ‘Meister-1’ überein. Das folgende Organigramm 9 zeigt die ungefähre diszplinarische Stellenrelation: Organigramm 1: Gespräche 'Meister-T und ‘Meister-2’ - Das Gespräch ‘Agentur’ (III) wurde in einer Versicherungs-Bezirksleitung (insgesamt etwa 25 Mitarbeiter) aufgezeichnet. Die Agentur hat außerdem noch ein Büro und etwa zwanzig Außendienstmitarbeiter in den neuen Bundesländern. Die Geschäftsleitung fuhrt vierteljährlich Besprechungen in der Art des vorliegenden Gesprächs mit der Belegschaft im Innendienst der Bezirksleitung durch. Angesprochen werden dabei alle Themen, die sowohl die Innendienstarbeit als auch den Kontakt vom Innendienst zum Außendienst betreffen. Deshalb sind außer dem Geschäftsführer für den Innendienst, seiner Sekretärin und einer Bürohalbtagskraft auch der Geschäftsführer für den Außendienst und der Schulungsleiter der Agentur (Verkäuferschulung) anwesend. Das Gespräch findet im Büro der Geschäftsführer statt. Das folgende Organigramm zeigt die disziplinarische Zuordnung der Teilnehmer. Während die Aufgaben des Geschäftsführers für den Außendienst weitestgehend auf die Betreuung und Förderung der Außendienstmitarbeiter beschränkt ist, hat der Geschäftsführer für den Innendienst weitreichendere Befügnisse: 9 Die folgenden fünf Organigramme zeichnen nur ein ungefähres Bild von den organisatorischen Gegebenheiten im Unternehmen, bezogen auf die anwesenden Teilnehmer. Es handelt sich nicht um Originale der Geschäftsleitungen (vgl. Abschnitt 3.1.1). Untersuchungsmaterial 19 Organigramm 2: Gespräch ‘Agentur’ Beim vierten Gespräch handelt es sich um eine Sitzung des Betriebsrats in dem Unternehmen, in dem auch die Meistergespräche aufgezeichnet wurden (Gespräch ‘Betriebsrat’, IV). Einer der an ‘Meister-1’ teilnehmenden Meister ist Vorsitzender des Betriebsrats und leitet die Sitzung. Außer ihm sind sein Stellvertreter und fünf weitere Betriebsräte anwesend. Das Gremium bespricht die aktuelle Korrespondenz mit der Geschäftsführung und Probleme unter den Mitarbeitern des Standorts. Das Gespräch findet im Betriebsratszimmer statt. Das interaktive Geschehen zeigt eine formale Struktur (Protokollfuhrung, Tagesordnung, Tischvorlagen, Rednerliste). In einer Produktionsstätte (Zweigwerk) eines großen Unternehmens (über 35.000 Mitarbeiter in der BRD) finden sich alle Angestellten und Arbeiterinnen einer Abteilung (Gummi-Spritzgußbetrieb) im Konferenzzimmer der Verwaltung des Zweigwerks ein (Mitarbeitergruppengespräch ‘Bonusentlohnung’, V). Ihnen wird vom Bereichsleiter für Arbeitswirtschaft, der ausschließlich zu diesem Zweck aus dem Stammwerk gekommen ist, ein Gruppenentlohnungsverfahren vorgestellt, das die Akkordentlohnung ablösen soll. Außer dem Bereichsleiter sind folgende Mitarbeiter des Zweigwerks anwesend: der Werksleiter (erst kurz vor Gesprächsende), der Produktionsleiter, der Sachbearbeiter für Arbeitswirtschaft, zwei Einrichter (Vorarbeiter) und mehrere Arbeiterinnen. Einrichter und Arbeiterinnen tragen weiße Arbeitskleidung. Der Sachbearbeiter für Arbeitswirtschaft ist dem Produktionsleiter disziplinarisch, dem Bereichsleiter für Arbeitswirtschaft fachlich unterstellt: Organigramm 3: Gespräch ‘Bonusentlohnung’ 20 Reden ist Chefsache - Einmal in der Woche nehmen eine Auswahl von Inspektoren (hier: Verkäufer von Versicherungspolicen) an einem Gespräch in der für sie zuständigen Filialdirektion des Versicherungsunternehmens teil (Vortrags- und Schulungsraum). Es wird von dem ihnen Vorgesetzten Filialdirektor geleitet. Im allgemeinen geht es um die Beurteilung der Wochenarbeitsleistung der Inspektoren, speziell bei diesem Gespräch ‘Inspektoren’ (VI) um bevorstehende Aktionen in der Öffentlichkeitsarbeit (z.B. einen ‘Tag der offenen Tür’) und um weitere direktionsinteme Anliegen. Außer den Genannten ist noch der Direktionsbeauftragte für Sachversicherungen anwesend. Die Inspektoren sind disziplinarisch ihren Bezirksleitem unterstellt (diese wiederum dem Filialdirektor). Bezirksleiter sind Geschäftsführer selbständiger, aber vertraglich der Versicherungsgesellschaft angeschlossener Agenturen (s. die Geschäftsführer in ‘Agentur’). Die hierarchische Bezirksleiter-Ebene wird bei den Inspektorengesprächen ausgeschlossen bzw. übersprungen. Organigramm 4: Gespräch ‘Inspektoren’ - Ebenfalls wöchentlich finden an derselben Stelle Gespräche mit Bezirksleitern statt. Auch diese Gespräche leitet der Filialdirektor; der Direktionsbeauftragte für Sachversicherungen ist anwesend. Die Thematik ist ungefähr dieselbe wie im Inspektorengespräch. Die Bezirksleiter des Gesprächs ‘Bezirksleiter-1’ (VII) unterhalten selbständige Agenturen und haben keine angestellten Inspektoren unter sich. Die Bezirksleiter im Gespräch ‘Bezirksleiter-2’ (VIII) verfügen über einen eigenen Mitarbeiterstab. Sie beschäftigen selbst Außendienstmitarbeiter, die zum Teil im Gespräch ‘Inspektoren’ anwesend sind. Die vertraglichen bzw. betriebsorganisatorischen Verknüpfungen zwischen Bezirksleiter- und Inspektorenebene sind in der Versicherungsbranche sehr komplex, weshalb ich sie hier im einzelnen nicht aufschlüsseln will. Tatsache ist, daß auch die Bezirksleiter in ‘Bezirksleiter-1’ in mittelbarer Verbindung mit manchen Inspektoren stehen (etwa im Rahmen betreuerischer Aufgaben und durch finanzielle Gewinnbeteiligung an Akquisitionen bestimmter Inspektoren): Untersuchungsmaterial 21 Organigramm 5: Gespräche ‘Bezirksleiter-1’ und ‘-2’ 2.4 Aufbereitung des Materials Alle Gespräche wurden offen aufgezeichnet. Ich war als teilnehmender Beobachter anwesend (außer beim Gespräch in der Versicherungsagentur, von dem auch eine Video-Aufzeichnung vorliegt). Die Risiken des Beobachter-Paradoxons konnten zwar nicht vermieden werden, z.T. wurden sie durch die Nicht-Informiertheit eines Teils der Anwesenden noch verstärkt; die Teilnehmer waren von der behandelten Thematik jedoch in einem Maße betroffen, daß eine Befangenheit bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht erkennbar ist. 10 Alle Gespräche wurden in der regulären Arbeitszeit der Beteiligten aufgezeichnet. Die offene Gesprächsaufzeichnung war eine Folge unzureichender Zusammenarbeit. Die Grenzen der Kooperation zwischen Untersuchendem und Unternehmen wurden hieran sehr deutlich. Ursprünglich waren ‘provisorisch verdeckte’ Aufnahmen vorgesehen. Die Aufnahmen wären zwar angekündigt worden, der genaue Termin aber nicht (Brinker und Sager 1989, S. 33). Im Verlauf stellte es sich allerdings auch aus praktischen Gründen als unmöglich heraus, diese Aufnahmeform zu realisieren. Es wären technische Installationen notwendig geworden, die über meine Möglichkeiten hinausgingen. Positiv an der offenen Gesprächsaufzeichnung war, daß ich die auffälligsten Phänomene nonverbaler Kommunikation im Gesprächsprotokoll vermerken konnte (Kopf- und Handbewegungen, Blickkontakte etc.). Bei den drei Gesprächen in der Filialdirektion einer Versicherungsgesellschaft wurde auf eine Beurteilung der Mitarbeiterleistung (in Höhe der Vertragsab- 10 Eine leichte Befangenheit war zu Beginn der Gespräche in der Versicherungsagentur und dem Mitarbeitergnippengespräch zu erkennen. Auf eine Transkription des Gesprächsbeginns wurde im ersten Fall verzichtet; im zweiten Fall war nach Aufbau der Geräte keine Befangenheit mehr erkennbar. 22 Reden ist Chefsache Schlüsse gemessene Arbeitsleistung), die bei diesen Gesprächen normalerweise stattfindet, fast ganz verzichtet. Der Grund dafür lag zum einen darin, daß ich anwesend war. Andererseits zeigen die große Zahl der besprochenen Themen und die Überlänge des Inspektorengesprächs (80 min., statt normalerweise 45 bis 60 min ), daß der Gesprächsleiter auch noch andere Gründe zum Verzicht auf Leistungsanalysen hatte. Die Gespräche wurden in der Regel mit einem Nagra-Vollspur-Spulentonbandgerät (Nagra 4.2.; Geschwindigkeit 19,5 cm/ s) und einem Sennheiser- Richtmikrofon oder einem Shure-Kondensatormikrofon (Nierencharakteristik) aufgezeichnet. Die Qualität der Aufnahmen ist ausgezeichnet. Der Aufzeichnung war in allen Fällen die Grenze von ca. einer Stunde gesetzt (Kapazität einer Tonbandspule). Nach dem Herstellen von Kopien wurden die Gespräche ausschnittsweise transkribiert. Aufgrund der Länge der Gesprächsaufzeichnungen war eine vollständige Verschriftlichung nicht möglich. Für die Transkription wurden deshalb jeweils Passagen ausgewählt, die mir für die Gesamtcharakteristik der Gespräche repräsentativ schienen. Als repräsentativ erachtete ich insbesondere Themenbearbeitungen seitens der Teilnehmer, die in Inhalt und Form charakteristisch für eine Summe von Themen waren. Bei einer Verquickung von Themenbearbeitungen oder bei einem einzigen Thema im gesamten Gespräch (in ‘Bonusentlohnung’) wurden längere Passagen am Stück transkribiert. Die folgende Tabelle gibt Aufschluß über die jeweilige Teilnehmerzahl, die Gesamtdauer des Gesprächs, die Dauer des Mitschnitts und die transkribierte Menge in Minuten. Nr. GESPRÄCH meister-1 TN-Zahl 15 Dauer 44'30" Aufz. 44'30" Transkript 24'45" meister-2 13 32’45" 32'45" 14'45" agentur IV betriebsrat 47'30" 47'30" 63'15" 61’00” 14'45" 2ri5" bonusentlohnung 16 QO'OO" 62'30" 41'20" VI Inspektoren 11 80’30" 61'00" 18’35" VII bezirksleiter-1 43’15" 43’15" 16'45" VIII bezirksleiter-2 44'00" 44'00" 18'40" GESAMT 7,25’45” 1 6,36'30” 3,12’50” Zur Verschriftlichung der Aufnahmen wurde eine literarische Transkription gewählt. Die Darstellung der Äußerungen erfolgt innerhalb der Grenzen des Untersuchungsmaterial 23 Standardalphabets. Bei Zwischenstufen von Lauten, die sowohl die eine als auch die andere Verschriftlichung gestattet hätten so etwa beim geschlossenen <a> im kurpfälzer Raum (z.B. in ‘isch kann’) wurde grundsätzlich für die hochdeutsche Variante entschieden. Die Transkription ist an den Regelungen der Partiturschreibweise orientiert. D.h., gleichzeitg Stattfmdendes steht übereinander; nacheinander Stattfindendes steht hintereinander. Kommentare zum Geschehen stehen in einer Kommentarzeile entweder direkt unter der Sprecherzeile, für die der Kommentar gilt, oder sie stehen unter den Zeilen mehrerer, gleichzeitig aktiver Teilnehmer. Auf die Notation prosodischer Merkmale und Besonderheiten wurde bei der Transkription verstärkt geachtet. Die prosodischen Eigenschaften der gesprochenen Sprache sind in den letzten Jahren u.a. durch Arbeiten von M. Selling (z.B. 1983, 1989) und der Konstanzer Gesprächsanalyse (z.B. Couper-Kuhlen und Auer 1988, Auer 1990, F.E. Müller 1991) weit differenzierter analysiert worden, als dies in früheren konversationsanalytischen bzw. soziolinguistischen Arbeiten die Regel war (z.B. Gumperz 1982, Kap. 5, Gumperz, Hg., 1982). Der Prosodie kommt somit heute ein Stellenwert zu, der zwar schon früher erkannt wurde, für dessen methodologisch und theoretisch diversifizierte Aufarbeitung aber kaum Mittel zur Verfügung standen. Akzentuierungen beispielsweise sind als potentielle Kontextualisierungshinweise aufzufassen, die den interaktiven Stellenwert von Äußerungen im Transkript gleichsam ‘konservieren’ und für sozial-pragmatische Interpretationsansätze nutzbar machen. Ähnliches gilt für auffällige Rhythmisierungen (Auer 1990, F.E. Müller 1991). Einschränkend muß gesagt werden, daß die von mir verwendete Notation noch weit hinter den Ansprüchen der genannten gesprächsanalytischen Arbeiten zurückbleibt. Die Prosodie der Äußerungen wird mit den zur Verfügung stehenden Mitteln so exakt als möglich in den Sprecherzeilen wiedergegeben. Zur Prosodie zähle ich Sprechtempo, Lautstärke, Akzente und den Tonhöhenverlauf. Nicht unterschieden wurde zwischen schwachen und starken Akzentuierungen im Wort bzw. Satz. Wort- und Satzakzente sind dann markiert, wenn sie vom Sprecher auffällig betont wurden. Generell gilt, daß jeder Akzent, der anders betont wurde, als es bei einem vom Kontext isolierten Betrachten der Äußerung erwartbar gewesen wäre, gekennzeichnet ist (z.B. bei Akzenthäufüngen in indikativischen Assertionen oder bei Auffälligkeiten in der Gestaltschließung, etwa auffällig deutlichem Schlußakzent). Pausen sind hinsichtlich ihrer Länge vermerkt; Pausen, die bei Sprecherwechseln auftreten, sind in der Zeile des letzten Sprechers notiert; steht kein Pausenzeichen (*), so erfolgt der Redeanschluß unvermittelt. In den Kommentarzeilen werden markante Veränderungen des Sprechtempos, auffällige Lautstärkewechsel und Signale emotionalen Sprechens notiert. In 24 Reden ist Chefsache der Kommentarzeile stehen darüber hinaus Hinweise auf auffällige Rhythmisierungen bei der fortlaufenden Äußerungskonstruktion (Realisierung einer Reihe von tendenziell isochronen Akzenteinheiten). Des weiteren wurde hier deutliches Ein- und Ausatmen vermerkt. Emotionales Sprechen wurde mit deskriptiven Termini notiert, z.B. ‘gereizt’, ‘leicht verärgert’, ‘verhalten’, ‘belustigt’ usw. Auf tendenziell interpretative Attribute wie ‘ironisierend’ oder ‘sarkastisch’, die bereits den semantischen Gehalt der Äußerung berücksichtigen, wurde auf dieser Ebene der Arbeit mit dem Material weitgehend verzichtet. In den Kommentarzeilen stehen schließlich außerdem Hinweise auf nonverbales Geschehen, soweit es im Gesprächsprotokoll vermerkt werden konnte. Hierzu zählen z.B. Schläge mit der Faust oder der flachen Hand auf den Tisch, auffällige Veränderungen in der Hinwendung an die Gesprächspartner, etwa durch Körperdrehung oder Veränderung der Blickrichtung etc. 2.5 Tabelle der Transkriptionszeichen/ Register der Teilnehmersiglen Tabelle der Transkriptionszeichen * kurze Pause ** etwas längere Pause (unter 1 sec) * 1.2* Pause mit Angabe der Dauer / steigende Intonation \ fallende Intonation iss bitte (...) (was) X m.v.g. K # ## mhm=m/ mhmschwebende Intonation Wort- oder Konstruktionsabbruch auffallende Betonung im Wort (hinter Vokal oder Umlaut) auffallende Dehnung von Vokal Verschleifung oder Elision einer oder mehrerer Laute zwischen zwei Wörtern (z.B.: so iss=es) Übergang zu langsamerem Sprechen im Duktus des Sprechers Übergang zu schnellerem Sprechen im Duktus des Sprechers für auffallend betonte Konsonanten stehen Doppelkonsonanten simultan gesprochene Sequenzen sind unterstrichen unverständliche Sequenz vermuteter Wortlaut nicht identifizierter Sprecher einzeln gesprochene Buchstaben (Abkürzungen) Kommentarzeile Beginn und Ende der Sequenz, in der die in der Kommentarzeile gegebene Angabe gilt. Bei Kommentaren zu einzelnen Sprechern erstreckt sich der Kommentar bis zur Wiederholung des Zeichens in der Sprecherzeile. Bei Kommentaren zur Gesamtsituation fehlen diese Zeichen in der Sprecherzeile; dafür markiert das Zeichen Anfang und Ende der Sequenz in der Kommentarzeile. Beginn und Ende eines übergeordneten Kommentars, der den mit (#) gekennzeichneten umschließt, zweihebige Partikel einhebige Partikel Untersuchungsmaterial 25 Register der Teilnehmer-Siglen <Sigle> = <Position>; <Gespräche> Sind Gespräche durch </ > getrennt, handelt es sich um dieselbe Person. Al-n Bl-n BA BV DB DI El-n Gl-n GL GP HA Il-n LO Ml-n PL Rl-n SE SL SV WL Arbeiter oder Arbeiterin; Bonusentlohnung Bezirksleiter mit bzw. ohne angestellte Mitarbeiter; Bezirksleiter-1, Bezirksleiter-2 Bereichsleiter Arbeitswirtschaft aus dem Stammwerk; Bonusentlohnung Betriebsratsvorsitzender und Meister; Meister-1/ Betriebsrat Direktionsbeauftragter für Sachversicherungen; Inspektoren/ Bezirksleiter-1/ Bezirksleiter-2 Filialdirektor einer Versicherungsfilialdirektion; Inspektoren/ Bezirksleiter-1/ Bezirksleiter-2 Einrichter und Vorarbeiter; Bonusentlohnung Geschäftsführer einer Versicherungsbezirksleitung; Agentur Gruppenleiter Lager; Meister-l/ Meister-2 Gruppenleiter Produktion; Meister-l/ Meister-2 Halbtagskraft im Sekretariat; Agentur Inspektor oder Inspektorin; Inspektoren Bereichsleiter Logistik; Meister-2 Meister; Meister-1, Meister-2 Produktionsleiter (Zweigwerk); Bonusentlohnung Betriebsrat oder Betriebsrätin; Betriebsrat Sekretärin; Agentur Schulungsleiter einer Versicherungsbezirksleitung; Agentur Stellvertretender Betriebsratsvorsitzender; Betriebsrat Werksleiter; Meister-1/ Meister-2, Bonusentlohnung 2.6 Anmerkungen zum Führungsstil in den Unternehmen Das Kapitel zu den Untersuchungsmaterialien soll mit Anmerkungen zu einem Terminus abgeschlossen werden, der in linguistischen Untersuchungen praktisch nicht vorkommt: dem ‘Führungsstil’. Die Anmerkungen leiten zu einer betriebswirtschaftlichen Perspektive auf das Untersuchungsmaterial über. Die Lektüre wirtschaftswissenschaftlicher Literatur ist für den Linguisten im hier vorliegenden Untersuchungsfeld eine wichtige Hilfe, weil sie eine ‘andere’ Dimension des Gegenstands erschließt. Die Beschreibung von ‘Führungsstilen’ ist für wirtschaftswissenschaftliche, betriebssoziologische oder arbeits- und organisationspsychologische Arbeiten ein vielseitiger und z.T. sehr komplex differenzierter Ansatz. Die Kategorisierung von Führungsstilen dient der Beschreibung personalpolitischer Praxis in Unternehmen, dem Entwurf präskriptiver Vorgaben an leitende Angestellte u.a. 26 Reden ist Chefsache Die Literatur zum Führungsstil ist außerordentlich umfangreich und braucht hier nicht diskutiert zu werden. 11 Zwei Beispiele sollen lediglich die Spannweite in der Verwendung des Begriffs illustrieren: Breisig (1990) gelingt es, bei einer Nachzeichnung der historischen Genese von Führungstechniken nachzuweisen, daß sich prinzipiell zwei Führungstechniken differenzieren lassen, deren ‘sozialtechnischer Kern’ in immer neue Modelle gekleidet wurde und wird, im Grunde aber unverändert bleibt: ‘kooperativer’ vs. ‘autoritärer’ Führungsstil (Breisig 1990, S. 128ff. und 153). Breisig zeigt, daß v.a. in den 80er Jahren von den Unternehmen vielfach der Wunsch geäußert wurde, vom autoritären zum kooperativen oder partizipationsorientierten Führungsstil zu wechseln. Er sieht darin eine unternehmerische Reaktion auf einen gesellschaftlichen Wertewandel (vgl. hierzu Steinmann und Lohr, Hg., 1991). Tatsache ist, daß dieser Wechsel in der Praxis oft scheitert. Auf der anderen Seite sprechen Kieser und Kubicek (1992) schon bei einzelnen sachspezifisehen Aufgaben (‘innovativen Vorhaben’) von anderen Anforderungen an die Führung als bei ‘Routineprozessen’ und differenzieren weiter „drei Führungsstile, zwischen denen zu wechseln ein Führer in innovativen Prozessen fähig sein muß: visionäre Führung, partizipative Führung und transaktionale Führung“ (Kieser und Kubicek 1992, S. 403f). Das Führungspersonal würde durch einen solchen ‘situativen Führungsstil’ (Blake und Mouton 1964, Fiedler und Garcia 1987) kompetent aufjegliche Veränderung im Innovationsprozeß reagieren. Aufgrund seiner terminologischen Spannweite ist es nicht ohne weiteres möglich, den Begriff ‘Führungsstil’ für linguistische Untersuchungen zu nutzen. Hier wären theoretische Voraussetzungen noch zu schaffen (vgl. Abschnitt 4.3.1.4). Beobachtungen zum Führungsstil und zur Organisationsform in Unternehmen können aber als ethnographische Daten Vorteile bei der gesprächsanalytischen Arbeit bringen, wenn diese auf kontextuelle Informationen angewiesen ist (Muhr 1988). Die folgenden Ausführungen bilden gleichsam ein Resümee der Informationen aus den Vor- und Nachbesprechungen mit den Gesprächsleitern und aus vielen anderen, zum Großteil informellen Gesprächen mit anderen Mitarbeitern der Unternehmen. Gespräche I, II und IV: Meistergespräche finden in vielen der größeren industriellen Unternehmen statt. Die Meister sind das Bindeglied von der Geschäfts- oder Werksleitung zu dem Arbeiter an der Maschine. Meistergespräche stellen insofern eine kommunikative Schnittstelle zwischen Verwaltungs- und Produktionsstäben dar. Das Unternehmen (Konzern), in dem die Gesprä- 11 Zu den Zusammenhängen zwischen Führung und Organisation vgl. Neuberger (1984), von Rosenstiel (1992). Haberkom (1981) und Kieser und Kubicek (1992, S. 403ff.); s. dort sowie bei Muhr (1988, S. 308), der eine pragmalinguistische Arbeit zum Thema ‘Kommunikationsprobleme in komplexen Industriebetrieben’ vorlegt, weiterführende bibliographische Angaben. Untersuchungsmatehai 27 che ‘Meister-1’, ‘Meister-2’ und ‘Betriebsrat’ aufgezeichnet wurden, beschäftigt in der ganzen Produktionsstätte 250 Mitarbeiter. Gut ein Drittel davon ist den Meistern unterstellt. Da es sich um einen fast vollständig automatisierten Betrieb handelt, ist der Bedarf an Facharbeitern relativ gering. In der Produktionsstätte sind vor allem ungelernte Arbeiter, z.B. als Gabelstaplerfahrer oder Lagerarbeiter, tätig. Das Gefüge der Stellenrelationen ist an tayloristischen Organisationsprinzipien 12 orientiert. Vorgaben zum Führungsstil werden von der Unternehmensleitung nicht gemacht. Der etablierte Führungsstil, der mir vor allem vom Werksleiter und von den Betriebsräten beschrieben wurde, ist als relativ konservativ zu bezeichnen. 13 Der Werksleiter selbst sieht die Meistergespräche als nicht besonders effektiv an, weshalb er sich nicht darauf vorbereitet. Sein am häufigsten benutztes Mittel zur Leistungssteigerung ist Druck. Er neigt dazu, in schwierigen Arbeitsphasen seine Tür zu schließen und die Erreichbarkeit zu vermindern, obwohl er für die Meister den wichtigsten Kontakt zur Geschäftsleitung darstellt. 14 An dem Betriebsratsgespräch aus demselben Unternehmen nehmen auch Facharbeiter oder qualifizierte Angestellte teil (z.B. aus der Buchhaltung oder dem Labor). Das Betriebsratsgespräch gehört einem anderen Gesprächstyp an, weil es formal stringenter strukturiert ist. In der Betriebsratssitzung herrschen ‘demokratische’ Gesprächsorganisationsprinzipien (ähnlich einer parteipolitischen Sitzung). Allerdings wird in der Teilnehmergruppe schnell ein moralisierender Druck auf 12 D.i. straffe Hierarchie, vorherrschendes Delegationsprinzip, Trennung von Hand- und Kopfarbeit (Kieser 1993a). Das Taylorsche System, das in den 20er Jahren entwickelt wurde und rasch einen starken Einfluß auf wirtschaftliche Organisationen gewann, basiert auf der Vorstellung, daß der Mensch von Natur aus faul, durch finanzielle Anreize aber zu Disziplin und effizientem Arbeiten zu motivieren sei (Kieser 1993a, S. 86). Dieser in der Organisationspsychologie (vgl. Stern 1921, S. 92, Bungard 1990/ 91) oft kritisierte - Ansatz wurde und wird angewandt und weiterentwickelt, in den 50er Jahren z.B. im sog. ‘Harzburger Modell’ (s. auch weiter unten, sowie bei Haberkoni 1981, S. 114ff., Breisig 1990, S. 132f„ Kieser 1993a, S. 91). 13 Dies hängt mit der Aufrechterhaltung tayloristischer Organisationsprinzipien zusammen. Man muß jedoch einschränkend hinzufugen, daß der Bereichsleiter für Logistik im Gespräch ‘Meister-2’, was die geplante Inventur in den Werken des Unternehmens betrifft, den Meistern relativ freie Hand hinsichtlich der Durchfuhrungsgestaltung läßt. Dies ist ein Hinweis auf eine Orientierung an einem etwas humanistischeren Managementsystem als dem tayloristischen, einem ‘Management by objectives’ (Haberkorn 1981, S. 117f). 14 So sagt er bspw. in bezug auf die Gerüchteküche im Werk: wie gesackt- *2,1 * es muß diese gerüchterede' * diese rederei außiören/ * dieses papa ich weiß was im heller brennt Ucht\ das iss manchmal so das geföhl was ich da habe\ ** denn wie gesackt die alternative heißt hinterher daß ich meine türen zumache\ *1,5* unn wie gesucht mir da draußen irgendwo n=container baue mit stacheldraht drumrum\ ** unn dann * bleibt einer * zehn meter vorher weg/ * in der schleuse/ * und dann frag ich ihn was kommt * und dann geh ich in=nen extraraum\ * das kö=mer au"ch machen\ * das ist mit Sicherheit der fa"lsche weg\ ** (WL, meister-1/ 23). Auch wenn er dies hier als „den falschen Weg“ bezeichnet in der Vorbesprechung machte er deutlich, daß er eine verschlossene Tür für die beste Möglichkeit halte, der Konfrontation mit ‘Lappalien’ aus dem Weg zu gehen. 28 Reden ist Chefsache Betriebsräte ausgeübt, die in ihren Meinungen vom mehrheitlichen Konsens abzuweichen drohen. Gespräch III: Die Bezirksdirektion der Versicherung, in der das Gespräch ‘Agentur’ aufgezeichnet wurde, existiert zum Zeitpunkt der Aufnahme seit ca. zwei Jahren. Man ist bemüht, den Mitarbeitern größtmögliches Mitspracherecht einzuräumen, auch was betriebsorganisatorische Fragen, z.B. die Gestaltung innovatorischer Arbeitsprozesse betrifft (nicht jedoch bei Einstellungen, größeren Investitionen etc.). In der Arbeitsroutine stellt es sich allerdings als unmöglich heraus, die Mitarbeiter in alle Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Entweder ist der Zeitdruck zu groß, oder der Mitarbeiter, der für eine Moderatorenfunktion entsprechend qualifiziert wäre, ist für mehrere Tage unterwegs (dies trifft v.a. für den Schulungsleiter und den Geschäftsführer für den Außendienst zu). Insgesamt führt dies zu einer größeren Belastung und Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für den Innendienst. Der Führungsstil ist von der positiven Einstellung zu den Mitarbeitern geprägt. Aufgrund der anvisierten und zu einem großen Teil realisierten Integration der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse kann m.E. von einem weitgehend verwirklichten partizipationsorientierten Führungsstil gesprochen werden. Gespräch V: Die Gesprächsleiter des Gesprächs ‘Bonusentlohnung’ (Bereichsleiter, Werks- und Produktionsleiter) sind durch den Unternehmensvorstand an Vorgaben der Partizipationsorientiertheit gebunden. Das Unternehmen versucht z.B. durch umfangreiche Informationsveranstaltungen, die innerhalb der regulären Arbeitszeit in Einzelbetrieben stattfinden, die Identifikation der Mitarbeiter mit Unternehmenszielen zu steigern. In diesen Veranstaltungen (sog. Mitarbeitergruppengesprächen) werden Inhalte präsentiert, die Mitarbeitern der unteren Ebenen in konservativ orientierten Unternehmen i.a. nicht mitgeteilt werden. Entscheidend ist hier, daß sich das Unternehmen seit etwa zwei Jahrzehnten an der Kommunikationskultur in japanischen Unternehmen orientiert. Man versucht, die Persönlichkeit des Arbeiters über ein erhöhtes Mitspracherecht zu fordern. Mehr Wissen über Betriebsorganisation und Planung ist dafür eine Voraussetzung, da es Entfremdungsprozessen entgegenwirkt und globalere Sinnstrukturen für den Arbeiter schafft. Gleichwohl werden die unteren Ebenen an Entscheidungsprozessen nur in kleinem Maße (bzw. durch die Mitarbeitervertretung) beteiligt. Das Vorstellen und Einführen der Bonus- oder Gruppenentlohnung im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ ist ein gutes Beispiel für die Übergangsform von autoritärem zu kooperativem Führungsstil: Der Arbeiter soll zu selbstverantwortlichem Arbeiten, Qualitätskontrolle und Reagieren veranlaßt werden, um Ausschuß zu vermindern. 15 Gleichwohl ist die Entscheidung über die Einführung des neuen 15 In dem auf japanische Führungstechniken zurückgehenden ‘Toyotismus-System’ spielt das Gruppenprinzip eine zentrale Rolle: „Für den Einzelnen ist die Gruppe das wichtigste soziale Netz, Erziehungsinstanz, Lemstatt, Einheit der Leistungsregelung, Ort für Er- Untersuchungsmaterial 29 Entlohnungssystems längst an anderer Stelle (Geschäftsleitung und Betriebsrat) gefallen, und das Gespräch ‘Bonusentlohnung’ hat primär einen informativen Zweck. Gespräche VI bis VIII: Der Führungsstil, der in den Gesprächen ‘Inspektoren’, ‘Bezirksleiter-1’ und ‘Bezirksleiter-2’ zum Ausdruck kommt, wird im wesentlichen durch den Direktor der Filiale bestimmt, der diesbezüglich keinen Vorgaben des Unternehmensvorstands unterliegt. Es kann hier zwischen dem Management und dem Manager (als Alleinherrschendem) deutlich unterschieden werden (vgl. hierzu Hodge et al. 1979, S. 83). Der jetzige Filialdirektor ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen seit etwa sechs Monaten in dieser Funktion; sein Vorgänger hatte sich durch Schreien, Beleidigungen und barsches Niederschlagen jedes Widerspruchs einen Namen gemacht. 16 Insofern ist der Führungsstil des neuen Direktors trotz einer ‘überheblichen’ und z.T. ‘narzißtischen’ Art als eine ‘Verbesserung’ des Betriebsklimas zu verstehen. Alle drei wöchentlichen Gespräche (also mit den Inspektoren, mit den Bezirksleitern mit Angestellten bzw. ohne) sind institutionalisierte, kommunikative Schnittstellen in der Firma. Daneben gibt es eine monatliche Bezirksleiterbesprechung, zu der alle Bezirksleiter eingeladen werden. Zu den mir vorliegenden Gesprächen werden zum einen Mitarbeiter zitiert, bei denen es Grund zur Beanstandung gibt, d.h. bei denen die Produktionszahlen unter dem Soll liegen, zum anderen aber auch Mitarbeiter, die z.B. aufgrund von Bestandsübertragungen besondere Verpflichtungen gegenüber der Filialdirektion eingegangen sind. 17 Der eingeladene Mitarbeiter kann sich im Krankheitsfall oder bei anderer Verhinderung nur beim Filialdirektor persönlich entschuldigen. Den Gesprächen liegt nach Aussage des Gesprächsleiters (Filialdirektor) und anderer Mitarbeiter ein ‘motivierender’ Anspruch zugrunde. In den Gesprächen sollen objektive Dokumentation und Analyse von fehlender fahrungstransfer“ (Bungard 1990/ 91). Beispiele für frühe europäische Realisierungen des Gmppenprinzips sind die sog. ‘Fertigungsinseln’ bei Volvo oder VW. Zu Übergangsformen von autoritärer zu partizipativer Fühmng vgl. auch Kieser und Kubicek (1992), zu den europäischen Ursprüngen des Gruppenprinzips (20er Jahre) Kieser (1993b, S. 98). 16 Daß ein solcher diskursiver Stil nicht auf die leichte Schulter genommen werden kann, wird vielleicht anhand von R. Muhrs (1988) Beobachtungen in einem Maschinenbauunternehmen deutlich: „Innerhalb des Betriebs herrscht generell Konkurrenz zwischen und manchmal auch innerhalb der Gruppen. Das Anschreien von Untergebenen bzw. Abkanzeln im Beisein anderer gilt als üblich. Sich solche Verhaltensweisen zu verbieten, hieße den Arbeitsplatz auf der Stelle zu verlieren“ (Muhr 1988, S. 325). 17 Der Bestand (= Listen mit Adressen bereits vorhandener Kunden) stellt eines der wichtigsten Besitztümer (nicht nur) von Versicherungsgesellschaften dar. Solche Listen können entsprechend ihres Umfangs zu mehreren zehntausend Mark gehandelt werden. Die (unentgeltliche) Übertragung von Bestand an einen Mitarbeiter setzt ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis des Filialdirektors zu dem Mitarbeiter voraus. Um die Effizienz der Arbeit im Bestand zu dokumentieren, sind die Mitarbeiter gezwungen, vor den Besprechungen Wochenberichte abzuliefem. 30 Reden ist Chefsache Effizienz zu Lösungsfindungen beitragen. Dem Filialdirektor ist die kritische Überprüfung seiner Mitarbeiter aber sehr wichtig, so daß sie jederzeit mit einer in einem sehr autoritären Stil gehaltenen Beurteilung rechnen. Druck entsteht für die Mitarbeiter außer durch derartige Beurteilungen aus ihrer Leistung selbst, da sie auf Provisionsbasis arbeiten. Vor allem die Inspektoren sind gerade in der ersten, mit Schulungen angefullten Zeit, auf Provisionsvorschüsse angewiesen, Kredite also, die ihnen die Direktion gewährt. 3. Theoretische und methodische Voraussetzungen für die Analyse innerbetrieblicher Kommunikation Die in den folgenden Abschnitten vorgestellten Konzepte nähern sich dem Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, den Mitarbeiterbesprechungen, aus unterschiedlichen Richtungen. Eine Einschränkung möchte ich vorab machen: Zwar handelt es sich bei dem Gespräch ‘Betriebsrat’ auch um eine innerbetriebliche Gesprächsform; seine Spezifik legt es jedoch nahe, es von den anderen sieben Arbeitsgesprächen im Korpus abzugrenzen. Das Betriebsratsgespräch wird nur vereinzelt, zur Eingrenzung subtypologischer Kriterien der Mitarbeiterbesprechung berücksichtigt werden können. Dieses Kapitel legt zwei Schwerpunkte. Zum einen werden Aspekte der Beziehung zwischen Teilnehmern an Mitarbeiterbesprechungen besprochen (Abschnitt 3.1). Die Beziehung zwischen zwei Interaktionspartnern und das Beziehungsgeflecht in einer Teilnehmergruppe sind außerordentlich komplexe Phänomene, zu denen es eine Vielzahl von theoretischen Modellen und Erklärungsversuchen in einer Reihe von Wissenschaftszweigen gibt. Es können hier nur einige wenige Konzepte diskutiert werden. Grundsätzlich gilt, daß jede sprachliche und nicht-sprachliche Aktivität eines Teilnehmers an der Konstitution der Beziehung teilhaben kann. Die Beziehungskonstitution braucht deshalb aber nicht notwendig immer im Vordergrund des Geschehens zu stehen. Ich fasse die Beziehung als eine ‘geschichtete’ Dimension des interaktiven Geschehens auf. Einzelne Aspekte der Beziehung können getrennt voneinander betrachtet werden; dabei handelt es sich aber lediglich um eine heuristische Trennung. Die ‘Bereiche’ (Holly 1979, S. 22ff.) der Beziehung sind eng miteinander verwoben. Als zweiten Schwerpunkt stelle ich Betrachtungen dazu an, welche ‘Normalform’ der Kommunikation in Mitarbeiterbesprechungen vorliegt (Abschnitt 3.2). ‘Normalform’ ist ein Cicourelscher (1975) Terminus, der die grundlegenden Bedingungen für kooperative Handlungsweisen in Gesprächen umfaßt. Kooperation ist der Überbegriff für das diskursive Verhalten von Gesprächspartnern, die sich gemeinsam der Bewältigung unterschiedlicher Aufgaben widmen. Der Abschnitt zur Normalform von Mitarbeiterbesprechungen soll klären, welche spezifischen Merkmale die Charakteristik kooperativen Interagierens im Unternehmen prägen. Den Abschluß des Kapitels bildet die Herleitung einer Orientierungslinie für den empirischen Teil in den Kapiteln 4 und 5 der Arbeit. Ausgehend von der Fokustheorie Kallmeyerscher Prägung (Kallmeyer 1978) spreche ich über die Möglichkeiten von Teilnehmern, steuernd und kontrollierend auf das interaktive Geschehen Einfluß zu nehmen. Die Aufmerksamkeitsausrichtung (Fokus) der Teilnehmer ist eines der zentralen Elemente im Gespräch, das den Zugriff beeinflussender Mittel erlaubt. Ich möchte den Fokusbegriff im Hinblick auf 32 Reden ist Chefsache das steuernde und kontrollierende Potential sprachlicher Aktivitäten durchleuchten. Wichtig ist hierfür die Weiterentwicklung des FokusbegrifFs hin zu einer Verknüpfung von ‘Fokus’ und ‘Relevanz’. 3.1 Soziale Strukturiertheit und Beziehung 3.1.1 Stellenrelationen Ein Aspekt der Beziehung zwischen Interaktionspartnern in innerbetrieblichen Gesprächen ist die Relation ihrer Positionen in der unternehmerischen Organisation. Mit ‘Positionen’ sind hier Stellen gemeint, die sich durch die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes, der Aufgaben, Funktionen und der Befugnisse der jeweiligen Person charakterisieren lassen. 18 In den im Korpus vorliegenden Mitarbeiterbesprechungen treten Personen miteinander in Kontakt, zwischen deren Stellen unmittelbare Relationen in der Organisationsstruktur der Unternehmen existieren. Relationen von Mitarbeiterstellen werden in der Betriebswirtschaftslehre (Organisationstheorie) u.a. als ‘Linien’ beschrieben (Kieser und Kubicek 1992, S. 184). In den Korpusgesprächen würden von den Gesprächsleitern zu den anderen Teilnehmern vertikale Linien fuhren, während zwischen einem Großteil der Teilnehmer auf inferioren Positionen horizontale Verbindungen bestünden. Aus den Linien formt sich die Organisationsstruktur innerhalb der Teilnehmergruppe, und aus abteilungs- oder gruppenspezifischen Hierarchien kann Schritt für Schritt die Gesamtorganisationsform des Unternehmens erfaßt werden. 19 Weiter oben hatte ich bereits mit Organigrammen versucht, die Angaben zu den Korpusgespächen zu veranschaulichen. Die Ebenen und Positionen innerhalb eines solchen ‘Organisationsprogramms’ täuschen jedoch leicht darüber hinweg, daß zwischen den Stellen eine Vielzahl weiterer sozialer Faktoren besteht, die die formalen disziplinarischen Relationen relativieren oder ggf. auch spreizen können (z.B. die Herkunft, die Berufserfahrung, das Dienstalter, Sonderbefügnisse durch die Funktionen eines Mitarbeiters für den 18 Mit dem Begriff ‘Position’ werde ich mich auch im folgenden immer auf eine solche Stelle beziehen. Von einer ‘inhaltlichen Position’ spreche ich nicht; ich verwende hierfür die ‘inhaltliche Einstellung’. 19 Das schrittweise und empirische Nachvollziehen der organisatorischen Struktur im Unternehmen ist eines der Merkmale des sog. ‘situativen Ansatzes’, einer der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorien (Kieserund Kubicek 1992, S. 45f„ Kieser 1993c). In einem etwas gröberen Raster unterscheiden Kieser und Kubicek (1992) folgende vier Stellenkategorien, a) Instanzen (Leitungsstellen, oberer Linienpunkt), b) unterstützende Stellen (Stäbe, Dienstleistungsstellen außerhalb der Linie), c) ausfuhrende Stellen (unterster Linienpunkt) und d) die Gesamtheit der Organisationsmitglieder (Kieser und Kubicek 1992, S. 183f.). Teilaspekte der hierarchischen Struktur sind Gliederungstiefe (Menge der Ebenen), Leitungsspanne (personales Mengenverhältnis auf den Ebenen) und Stellenrelation (z.B. fachliche oder disziplinarische, d.i. verwaltungstechnische Weisungsbeftignis) (Kieser und Kubicek 1992, S. 150ff.). Theoretische und methodische Voraussetzungen 33 Stab o.ä.)- Mitarbeiterfunktionen definieren sich oft mehr durch reale Abweichungen von idealen Organisationsprogrammen als durch deren Einlösung. ‘Formalisierende’ Versuche der Strukturierung sind nur eingeschränkt in der Lage, die realen Gegebenheiten im Unternehmen widerzuspiegeln. 20 Im allgemeinen entspricht das Oben und Unten im Organisationsprogramm proportional der Distribution von positionaler Befugnis oder Weisungsbefugnis. 21 Befugnisse sind in Organisationsprogrammen asymmetrisch verteilt, und diese Asymmetrie kann u.U. eine außerordentliche Komplexität besitzen. Obwohl es in den letzten Jahren in vielen Unternehmen eine Tendenz dahingehend gibt, die Organisation ‘schlanker’ zu gestalten und Hierarchieebenen abzubauen, sind komplexe Stellengefuge größtenteils nach wie vor vorhanden. Auch was die hier untersuchten Unternehmen betrifft, kann davon ausgegangen werden, daß zum Zeitpunkt der Gesprächsaufnahmen komplexe Distributionen von Befugnissen Vorlagen. Bei Mitarbeiterbesprechungen wissen tendenziell alle Teilnehmer über die in der Teilnehmerkonstellation vorliegende hierarchische Struktur Bescheid, und sie wissen zugleich, daß jeder andere über dasselbe Wissen verfugt. Die positionalen Befugnisse der Teilnehmer sind ‘elementare’ Handlungsgrundlagen im Gespräch. 22 Sie spielen in der Mitarbeiterbesprechung latent immer eine Rolle. Die Hierarchie und die Organisationsform bilden reziproke Bezugsrahmen, auf die die Teilnehmer jederzeit verbal zurückgreifen können. Ich möchte dies an einem Beispiel zeigen: Im folgenden Transkriptausschnitt (fortan TA) aus dem Gespräch ‘Meister-1’ weist der Sprecher (WL) auf spezifische Befugnisse seiner Partner hin. Die Meister (Mn) hatten schriftlich die Ausrüstung von Dieselgabelstaplern mit Rußpartikelfiltern beantragt: 23 (3.01) 1 WL äh ich hab also erstmal diesen' diese 2 WL bedarfsanmeldung aus de”m gründe zurückgew' 3 WL äh gegeben (..) weil das natürlich eindeutig 20 Mit ‘Formalisierung’ ist die explizite (i.a. verschriftlichte) Regelung von Programmen gemeint, sei es hinsichtlich der Arbeitsteilung oder der Personalpolitik (Brünner 1978, S. 238, Kieser und Kubicek 1992, S. 159ff.). 21 Ich verstehe die Begriffe ‘positionale Befugnis’ und ‘Weisungsbefugnis’ nicht als gleichbedeutend. ‘Weisungsbefugnis’ meint Entscheidungsgewalt darüber, was ein anderer tun soll; ‘positionale Befugnis’ schließt außerdem mit ein, was ich selbst an Handlungen zu tätigen berechtigt bin, ohne daß eine Weisung damit unmittelbar verbunden wäre. 22 Ich werde im folgenden häufiger von ‘elementaren’ Grundlagen sprechen, in Abgrenzung von eher prozeßabhängigen Faktoren in der Interaktion. 23 Im folgenden werden die Transkriptausschnitte (fortan TA) durchnumeriert, wobei die erste Zahl der Ausschnittsnummer (Bsp.: (TA 3.01)) auf das jeweilige Kapitel hinweist. Die Angabe unter dem Ausschnitt verweist auf das Gespräch und die Seitenzahl in meinen Korpusunterlagen (Bsp.: meister-1/ 6). 34 Reden ist Chefsache 4 WL 5 WL 6 WL 7 WL 8 M3 9 M4 die Sache des autohofes ist\ ** ja/ sie" können nicht für * äh dinge die nachher der autohof und sowas machen muß dagegen mit die bedarfsanmeldung r stellen\ da würd i"ch L ja aber da bewe"gt' meister-1/ 6 Unter anderem zeigt die Akzentuierung des Personalpronomens sie" (Z. 4), daß der Werksleiter hier einen bedeutsamen Kontrast schaffen möchte. Er signalisiert, daß es zwischen den Funktionen der Mitarbeiter im Fuhrpark des Unternehmens (autohof, Z. 6) und denen der hier angesprochenen Meister eine Grenze gibt, die durch Aufgabengebiete klar definiert ist. Die Meister waren mit der Bedarfsanmeldung vom formalisierten Weg abgewichen. Nun ‘erinnert’ sie der Werksleiter gleichsam an die Eingeschränktheit ihrer Befugnisse. Das akzentuierte Personalpronomen indiziert gewissermaßen eine Position im Organigramm des Unternehmens, mit der sich die Meister identifizieren sollen. 24 Abgesehen von den Funktionen der Pro-Form macht das Beispiel natürlich auch die Stellenrelation zwischen dem Werksleiter und den Meistern deutlich. Der Werksleiter hat die Befugnis, über das Weiterreichen von Bedarfsanmeldungen zu entscheiden, sie anzunehmen oder zurückzuweisen (vgl. Z. 1-3). Solche Hinweise auf Befugnisse treten in den Korpusgesprächen sehr häufig und sowohl explizit als auch versteckt auf. Hinweise auf Positionen sollte man aber nicht einfach als ein Signal für die formale Struktur registrieren. Interessant sind gerade auch Aktivitäten von Angestellten der unteren Hierarchieebenen, die u.U. sehr unterschwellig Befugnisse in Anspruch nehmen, die von formalisierten Voraussetzungen abweichen. Wenn man Organisationsstrukturen bei der Analyse von Mitarbeiterbesprechungen nicht als fixierte und dominierende Verhältnisse voraussetzt, stellen sich Stellenrelationen als dynamische und stark von der jeweiligen Situation abhängige Beziehungen heraus. 3.1.2 Sprachlich konstituierte soziale Beziehungen Die Beziehung zwischen Interaktionspartnern kann mit einem Ansatz aus der interpretativen Soziolinguistik (Gumperz und Cook-Gumperz 1982) als eine Beziehung zwischen sozialen Identitäten verstanden werden. Die soziale Identität von Gesprächsteilnehmern entsteht prozessual, sie unterliegt interak- 24 Auf die Funktionen solcher Pro-Formen komme ich im folgenden noch ausführlicher zu sprechen. Grundsätzlich gehe ich davon aus, daß diese sprachlichen Mittel soziale Bedingungen des Kontextes aktualisieren können: „Die Summe sprachlicher Objektivationen, welche zu meinem Beruf gehört, ist ein semantisches Feld, das alle Routineereignisse meiner täglichen Arbeit sinnhaft ordnet.“ (Berger und Luckmann 1991, S. 43). Theoretische und methodische Voraussetzungen 35 tiven Aushandlungen. Soziale Identitäten werden durch Formen sprachlichen Handelns konstituiert. Aktivitäten, für die sich identitätsschafFende Eigenschaften identifizieren lassen, sind charakteristischerweise solche mit selbst- und fremddarstellerischen Aspekten. Aus diesem Blickwinkel sind Teilnehmeridentitäten und ihre Beziehung situationsabhängige Größen. Eine soziale Struktur ist immer eine relationale Konstellation der in ihr eingebundenen sozialen Identitäten. ‘Relational’ heißt in diesem Zusammenhang, daß eine Konstellation mit anderen verglichen werden kann, auch wenn es sich um dieselben Teilnehmer handelt. Mit dieser Auffassung von ‘sozialer Identität’ ist demnach die Persönlichkeit eines Teilnehmers nicht als eine fixe Einheit angesprochen. Man kann vielmehr davon ausgehen, daß Beteiligte jeweils die für den situativen Kontext benötigten Elemente ihrer Identität aktualisieren und in einem gewissen Maß versuchen, korrespondierende Elemente beim Partner zu aktivieren. Mit dem wissenssoziologischen Ansatz von Berger und Luckmann (1992) könnte man auch sagen, daß Teilnehmer ‘typisierend’ verfahren, und zwar in Abhängigkeit von situativen Bedingungen. 25 Hörer erfassen das jeweilige Geschehen im Gespräch vergleichend mit bereits erlernten Wissensbeständen. Sie ordnen Partneraktivitäten mehr oder weniger scharf umrissenen funktionalen Aktivitätstypen zu. Die hierfür relevanten Wissensbestände werden dadurch erweitert, relativiert, sedimentiert oder ergänzt. Typisierungen von Aktivitäten und auch der Partner selbst sind gerade (aber nicht nur) in der Institution charakteristisch, wo Gesprächsteilnehmer in der Regel gewisse Rollen im Gespräch übernehmen. Bei den Begriffsdefinitionen von ‘sozialer Identität’ gibt es Unterschiede vor allem im Hinblick auf den Grad der Fixiertheit der Identität. Eine der Definitionen von ‘sozialer Identität’ faßt Identität als eine Form von Zugehörigkeit oder Zugeordnetheit zu größeren sozialen Einheiten auf (vgl. hierzu Kallmeyer 1994, S. 24). Ich bin nun einerseits grundsätzlich von einer dynamischen Definition ausgegangen, möchte aber im folgenden auch die Frage stellen, welche Rolle die betriebsorganisatorische Hierarchie der Gesprächsteilnehmer spielt. Die Mitarbeiterkonstellationen in den im Korpus vorliegenden Gesprächen 25 „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution. Für ihr Zustandekommen wichtig sind die Reziprozität der Typisierung und die Typik nicht nur der Akte, sondern auch der Akteure" (Berger und Luckmann 1991, S. 58, vgl. auch Luckmann 1979, S. 301f). Die Typisierung von Akteuren kann u.a. als interaktive Zuweisungen von bzw. Identifizierungen mit sozialen Rollen erklärt werden (ebd., S. 76£f.). Der Begriff der ‘sozialen Rolle’ ist für die hier anvisierte Untersuchung aber nicht unproblematisch (vgl. u.). (Zur Einordnung der Betrachtungen von Berger und Luckmann in die institutionstheoretische Diskussion in der Soziologie vgl. J.A. Schülein, 1987, S. 89ff.). Zu einem neueren Ansatz in der Nachfolge der Autoren vgl. die „Theorie der Strukturierung“ von A. Giddens (1988). 36 Reden ist Chefsache sind vorstrukturiert. Man könnte eine Zugehörigkeit von Teilnehmern zu relativ fixen Berufsgruppen beschreiben (Meister, Verkäufer, Vorarbeiter, Werker, Manager usw ). Die Frage lautet also: Wie verhalten sich die makrosoziale Vorstrukturiertheit und ein dynamisches Verständnis der Teilnehmerbeziehungen zueinander? In der Nachfolge der strukturalistischen Rollensoziologie ist man davon ausgegangen, daß Gruppenzugehörigkeiten eine normative Wissensgrundlage der Beteiligten an institutioneller Kommunikation darstellen. Popitz (1980) zufolge ist der institutionelle Diskurs wesentlich durch die Norm sozialer Strukturen und bestimmte Sanktionsgefahren geprägt. Normative Diskursregelungen würden gewährleisten, daß erfolgreiche gesellschaftliche Strukturen bestehen bleiben. Sie würden den Machterhalt des Superioren sozialen Stratums sichern. 26 Dieser soziologische Diskursbegrifif stellt für gesprächsanalytische Untersuchungen jedoch ein nur eingeschränkt anwendbares Konzept dar, weil er als ‘Diskurs der Macht’ eine metaphorisierende Tendenz hat und die Relevanz situativer Handlungsbedingungen ausblendet. 27 Goffmans Arbeiten zur Theatermetaphorik der Interaktion (1991, Or. 1959) und zu Interaktionsritualen (1991a, Or. 1967) zeigen im Gegenzug, daß Statuszwänge, Ansprüche oder Erwartungen an Konformität die diskursive Charakteristik institutioneller Interaktion nicht mit aller Konsequenz vorhersagbar machen. Es gibt sehr komplexe soziale Zusammenhänge, die ohne empirische Untersuchungen nicht präzise beschrieben werden können. Auf den normativen Rollen-Begriff des Strukturalismus haben einige Soziologen mit einem dynamischen Konzept geantwortet. Ein ‘fester’ und ein dynamischer Rollen-Begriff sind zwei klar differenzierbare Pole in der soziologischen Forschung. Turner (1976, S. 120) beispielsweise beschreibt dynamische Rollenübernahmen als einen Prozeß, der ebenso divers ist wie die sozial-interaktive Situation, in der Rollen wirksam sind bzw. ausgefiillt werden. Dreitzel (1980, S. 109) stellt das dynamische Rollenkonzept im Zusammenhang mit der Situationsdefinition dar. Eine Situation in sozialen Kontakten sei eine je spezifische Herauskristallisierung des Rollenspiels von Individuen. Diese An- 26 Vgl. die Ausführungen von Dreitzel (1980, S. 109), sowie von Link und Link-Heer (1980, S. 378f.). Der Begriff vom ‘Diskurs der Macht’ wurde v.a. in der Nachfolge der Vorlesungen und Gespräche Foucaults (1987, 1991) geprägt. 27 „Regeln beherrschen die Interaktion, aber nicht gänzlich ihre Folgen“ (Strauss 1974, S. 89). A. Strauss widerspricht so einer der Thesen aus der klassischen Soziologie nach Parsons und auch einer der Grundlagen der frühen Rollensoziologie (vgl. zu deren Standpunkt die vieldiskutierte Schrift Dahrendorfs (1977, Or. 1958), der Begriffe wie ‘Regeln’, ‘Konformität’, ‘Sanktion’ etc. in die deutsche Soziologie einführte, zur neueren Diskussion Popitz (1976, 1980)). H. Garfinkei und E. Goffman gehörten zu den ersten Gegnern des normativen Konzepts von Parsons (vgl. Hettlage und Lenz, Hg., 1991, sowie Garfinkei 1973, Anm. 2 der Hg.). Zu den Grenzen der strukturalistischen Rollentheorie vgl. außerdem Cicourel (1973, S. 159f.) und Kirchhoff-Hund (1978, S. 89ff.). Theoretische und methodische Voraussetzungen 37 Sätze sind einer ‘interpretativen’ Rollensoziologie zuzuordnen, die eine Brükke von der deduktiven Strukturanalyse hin zur phänomenologischen Untersuchung sozialer Strukturiertheit in der Institution schlägt. 28 In der interpretativen Rollensoziologie neueren Ursprungs existiert beispielsweise die These von der ‘Re-Konstitution’, vom ‘make-roles’, einer verbal-interaktiven Etablierung und quasi automatisierten Erneuerung der Institution und ihrer ‘sozialen Strukturen’: Yet interactants regularly collaborate on the reconstitution of roles and positions. (Linell undLuckmann 1991, S. 11) Soziale Strukturen in der Institution ‘Unternehmen’ können so als ein Resultat von kommunikativen Prozessen angesehen werden, zu denen auch die Mitarbeiterbesprechungen gehören. Mitarbeiterbesprechungen sind sedimentbildende und strukturkonstituierende Elemente in institutioneilen kommunikativen Netzwerken. Zur Analyse solcher Besprechungen muß meiner Ansicht nach eine dialektische Perspektive eingenommen werden, wie ich sie schon in der Einleitung angesprochen habe. Auf der einen Seite weiß jeder, daß in Mitarbeiterbesprechungen einige ‘feste’ Rahmenbedingungen für die verbale Interaktion existieren, an denen man sich orientieren wird. Bei diesem Vorwissen handelt es sich um Bestände kultureller Sozialisierung, Organisation und auch Habitualisierung. Andererseits kann die Frage gestellt werden, wann und wie Teilnehmer sprachliche Handlungen realisieren, um die Relevanz und die Bedeutung ihrer Aktivitäten in den makro- und mikrosozialen Rahmenbedingungen richtig eingeordnet zu wissen, und wie sie letztere durch ihre Aktivitäten verändern. Man würde es sich bei der Analyse zu einfach machen, wenn man ein Konzept wie das dichotomische Rollenpaar ‘Vorgesetzter vs. Angestellter’ bestätigen wollte. Einer empirischen Analyse fällt vielmehr die Aufgabe zu, komplexe ‘Aus- und Überformungen’ dieser Relation und das interaktive Zustandekommen der Komplexität zu untersuchen (Reitemeier 1994, S. 236). 29 28 Schon die bereits zitierten Autoren Berger und Luckmann (1991, Or. 1967) werden gelegentlich als frühe Vertreter der interpretativen Rollentheorie bezeichnet. Als Einführung in den interpretativen oder interaktionistischen Ansatz in der Rollensoziologie ist die Arbeit von Kirchhoff-Hund (1978) zu empfehlen (S. 120f. u. passim). Vgl. außerdem zum Stellenwert des Ansatzes in der Organisationstheorie Kieser und Kubizek (1992, S. 460ff.), in der Ethnomethodologie Atkinson und Heritage (Hg., 1984) und Schegloff (1992, S. 105), in den Sprachwissenschaften Maas und Wunderlich (1972, S. 82), Glindemann (1984, S. 180) sowie Techtmeier (1985, S. 30-41). Außerdem kann der Aufsatz von Sornig (1983) zu den in der Gesprächsanalyse seit dem sog. ‘Freiburger Modell’ (Sieger et al. 1974) verwendeten Rollenbegriffen herangezogen werden, insbesondere zu der Unterscheidung von ‘angemaßter’ Rolle und ‘anerkannter’ Rolle (S. 227-230). 29 Vgl. hierzu Reitemeiers Arbeit (1994) zur Interaktionsbeziehung ‘Ratsucher vs. Berater’ (insbesondere Reitemeier 1994, S. 230-236). Reitemeier orientiert sich an dem von Sacks in seinen Vorlesungen entwickelten ‘Membership Categorization Device’. Dies besagt, daß für die Etablierung einer Interaktionsbeziehung auf sozial-kategoriale Beziehungs- 38 Reden ist Chefsache Das folgende Beispiel aus dem Gespräch ‘Bezirksleiter-l’ illustriert, wie die Rechte einer sozialen Rolle sprachlich angezeigt werden können, im vorliegenden Fall innerhalb einer metakommunikativen Handlung. Im vorangegangenen Kontext geht es um den Vorschlag eines Bezirksleiters (B5), einen Kaffeeautomaten in der Filialdirektion aufzustellen. Noch während der Bezirksleiter ein Pro-Argument formuliert (ein bestimmter Gerätetyp holt sich das Wasser frisch von der Leitung), bricht der Filialdirektor (DI) die Diskussion ab: herr Zie"glervielen dank für den' für ihren vorschlag\ ich lehne hiermit * diktatorisch ab\ (Z. 1, 3, 5). Die Paarbeziehung ‘Vorgesetzter vs. Angestellter’ wird durch diktatorisch (Z. 5) indiziert. Es handelt sich gewissermaßen um eine metaphorische Übertragung (‘Diktator vs. Untertan’): (3.02) 1 DI r herr Zie"glervielen dank für den 1 für ihren 2 B5 L von der leitunq un tun 3 DI f- Vorschlags ich lehne hiermit * 4 B5 L des sofort filtern- 5 DI diktatorisch ab\ r also ich mag-' 6 B5 L des isch genau wie >mit dem bezirksleiter-1/ 180 Der Filialdirektor lehnt die Anschaffung eines Kaffeeautomaten strikt ab (übrigens wurde bis heute keiner aufgestellt). Er möchte die Phase des argumentativen Abwägens von Vor- und Nachteilen eines Kaffeeautomaten beenden. Da er im vorangegangenen Kontext mehrfach seinen Unwillen deutlich gemacht hat, die Bezirksleiter aber nicht zu überzeugen vermochte, greift er jetzt sozusagen auf superiore Beteiligungsrechte zurück. Die Verwendung der Vokabel diktatorisch (Z. 5) erfolgt aus strategischen Gründen. Das Lexem indiziert zum einen die Vorgesetzten-Rolle, zum anderen die Form der Ablehnung. In der Regel zeigen solche Signale Schlüsselstellen im Gespräch auf. Sie treten typischerweise in ‘zerfahrenen’ Situationen auf, in denen es keine Lösungsmöglichkeit für ein Problem gibt. Salopp könnte man sagen, der Sprecher markiert den Chef. Der Hinweis auf die eigene, superiore Position ist ein ultimatives Signal an den Gesprächspartner, seinen Standpunkt nicht mit letzter Konsequenz weiterzuverfolgen. Im Verlauf dieser Arbeit werden nun nicht allein solche Hinweise auf die hierarchische Struktur untersucht. Insbesondere bei der Berücksichtigung der jeweiligen Reaktionen auf derartige Kontrollaktivitäten sind dezidierte Rückschlüsse auf das Entstehen sozialer Strukturiertheit im Sinne einer relationalen Konstellation sozialer Identitäten möglich. Sprachliche Aktivitäten hapaare zurückgegriffen werden kann (z.B. ‘Vater-Sohn’, ‘Lehrer-Schüler’, ‘Herr-Knecht’ etc.) (vgl. Sacks 1992, S. 40ff., Or. 1964). Theoretische und methodische Voraussetzungen 39 ben ein symbolisches Potential, das im Einzelfall komplexe Verhältnisse im Unternehmen und zwischen den Teilnehmern am Gespräch indiziert. Die Konstitution sozialer Beziehungen ist deshalb in einem z.T. weitreichenden sozio-kulturellen Kontext zu sehen. Die Konstellation sozialer Identitäten in der Mitarbeiterbesprechung ist ein von den prozessualen Faktoren des Gesprächskontinuums berührtes, dynamisches und komplexes Gebilde. Sie unterliegt ständigen Redefinitionsbemühungen aller Beteiligten, einer Kontrolle über die ‘variety of relationships’ (Wiemann 1985, S. 97). Einerseits bilden die Berufsrollen der Beteiligten (z.B. Produktionsleiter, Arbeiter, Inspektor, Meister) ein relativ fixiertes Spektrum für Identifizierungsangebote und Leistungen der Teilnehmer. Für die Etablierung einer Interaktionsbeziehung in Mitarbeiterbesprechungen stellen die Berufsrollen eine elementare Handlungsgrundlage dar. Der von mir gewählte, gesprächsanalytische Fokus befaßt sich andererseits auch mit mikrostrukturellen und mikrosoziologisch zu erklärenden Phänomenen. Zu diesem Fokus gehört u.a. die Analyse, a) an welchen komplexen Handlungsstrukturen sich die Interaktionspartner orientieren, b) welche Aktivitäten oder Formen des Agierens besondere soziale Signifikanz erlangen, c) wie nicht die Berufsrolle an sich, sondern das sozio-emotionale Wie ihrer Ausfüllung sozial typisiert wird (z.B. ein ‘überkritischer’ Vorgesetzter, ein ‘nörglerischer’ Angestellter), d) welche unterschiedlichen Verfahren der Selbst- und Fremddarstellung der Teilnehmer zur Definition der sozialen Beziehung beitragen und e) wie zeichenimmanente (stilistische) Eigenschaften der Sprachproduktion die Beziehung beeinflussen. 30 3.1.3 ‘Machtverhältnisse’ im Gespräch und interaktioneile Dominanz Von seiten der Soziologie und der Sozialpsychologie ist häufig ein sozialwissenschaftliches Desiderat formuliert worden, für dessen Bewältigung man auch die Soziolinguistik als zuständig ansieht: Allgemein gesagt geht es um die Klärung von Zusammenhängen zwischen der Etablierung sozial-gesellschaftlicher Machtverhältnisse und sozial-stilistischen sowie interaktionskonstitutiven Eigenschaften des Sprechens. 31 Tatsächlich ist man diesem Ge- 30 Diese Phänomene werden an unterschiedlichen Stellen der vorliegenden Arbeit von Belang sein. Meine Vorgehensweise wird sein, Korpusbelege für diese Phänomene unter den Stichwörtern ‘Steuerung’ und ‘Kontrolle’ zu systematisieren. 31 Vgl. z.B. Hymes (1979, S. 244ff.), Bourdieu und Boltanski (1981, S. 98), Dreitzel (1987, S. 118), Thimm und Kruse (1991, S. 40). In der Sozialpsychologie spielt der Macht-Begriff eine zentrale Rolle (vgl. Berger 1985, S. 439). Linell (1990, S. 173) kritisiert z.B. an der Konversationsanalyse, daß sie sich auf ‘symmetrische’, d.i. alltagsweltliche, Kommunikation beschränken würde und die asymmetrische, z.B. institutionelle, nicht ernst genug nähme. Vgl. aber die neueren Sammelbände „Talk at work“ (Drew und Heritage, Hg., 1992), „Beratungsgespräche - Analyse asymmetrischer Dialoge“ (Nothdurft et al. 1994), „Texte und Diskurse“ (Brünner und Graefen, Hg., 1994), „Kommunikationsberatung und Kommunikationstraining“ (Fiehler und Sucharowski, Hg., 1992) usw. 40 Reden ist Chefsache genstand in der soziolinguistischen Forschung hauptsächlich in kleineren Arbeiten nachgegangen. In diesen stehen z.B. sequentielle Strukturen, morphosyntaktische oder textlinguistische Phänomene sowie Betrachtungen zur Fachsprache im Vordergrund, ohne daß der Begriff ‘Macht’ eine wichtige Rolle spielte. 32 Für Beschreibungen des Zusammenhangs von Macht und Sprache, die dem Anspruch eines theoretischen Konzepts hätten genügen können, existieren in der Gesprächsanalyse keine Ansätze. 33 Eines der in der Sozialpsychologie etablierten theoretischen Konzepte, mit deren Hilfe man Aufschluß über den Zusammenhang von Sprache und Macht erlangen möchte, sind die (1978) von Erickson et al. eingefuhrten kategorialen Stilvarianten ‘powerful style’ vs. ‘powerless style’. Diese Varianten werden beim Sprechen mit (para-)sprachlichen Mitteln konstitutiert. Es scheint z.B. nachgewiesen, daß Sprecher aufgrund einer Häufung verstärkender und abschwächender Modalisierungen in der Rede, langsameren Sprechens, vermehrter Abbrüche usw. als statusinferiore Teilnehmer eingestuft werden. Solche Kennzeichen gelten insgesamt als typische Signale fur powerless style (Brooke und Ng 1986, S. 201, Lind und O’Barr 1979). Während man in der Gesprächsanalyse nach rekurrenten Phänomenen im Gesprächskontinuum forscht, in denen „soziale Strukturzusammenhänge sich reproduzieren“ (Bergmann 1991, S. 214), greift eine der gängigen sozialpsychologischen Experimentauswertungen auf die ‘impression-formation’ bei Versuchsteilnehmern zurück. Zum Nachweis von manifester Macht spielen bei der Fixierung des Experimentdesigns oft solche Versuchsparameter eine Rolle, die aus dem Umfeld soziolinguistischer Forschungen stammen. 34 Trotz me- 32 Vgl. aber z.B. Brown und Gilman (1960) zu ‘power-Formen’ der Adressierung. Sozialgesellschaftliche Machtverhältnisse i.w.S. rücken in der Soziolinguistik unter anderen Vorzeichen ins Interesse des Forschenden. Vgl. z.B. Schönfeld und Donath (1978) zur phonetischen und lexiko-semantischen Differenzierung der Sprechstile sozialer Strata (außerdem Schönfeld 1980, Donath 1980), Reiher (1980) zur Textmustercharakteristik von Arbeitsanweisungen, Selling (1983) zum ‘strategischen’ Stilwechsel, Keßler und Michel (1980) zum Verhältnis von Situation und Aktivitätstypen bei der Leitungstätigkeit, Sandig (1983) zum ‘Inventar’ des ichzentrierten Partnerbezugs, Somig (1983) zur Markierung von ‘Rollendistanz’ usw. 33 Auch wenn dies nicht als Defizit empfunden wird man arbeitet ja behind- und nicht ergebnisorientiert stellt das Fehlen eines solchen Konzepts ein gewisses Problem dar. Lenz sieht sich z.B. bei der Analyse von ‘Technical Meetings’ damit konfrontiert: „Die Diskussion der Chairman-Rolle [...] hat deutlich werden lassen, daß die Untersuchung von Meetings allein auf der Basis formaler Strukturen im strengen ethnomethodologischen Sinne nur begrenzte Möglichkeiten bietet.“ (Lenz 1989, S. 77). 34 Vgl. etwa zur Lexiko-Semantik Bradac und Mulac (1984) sowie Bradac und Wisegarver (1984), zur Standardvarietät Scotton (1985, 1988), zu parasprachlichen Phänomenen Hosman (1989), zur Sprechakttypologie Ng (1990, S. 278ff.) sowie Holtgräves (1986). Wenn das Experiment mit dem Ziel konzipiert wird, Machtverhältnisse als Ergebnis kommunikativer Kontakte zu beschreiben, stoßen allerdings auch Psychologen auf methodische Schwierigkeiten (vgl. Cohen 1992, S. 155f.). Ein Problem, das aus der Arbeit Theoretische und methodische Voraussetzungen 41 thodischer Unterschiede können daher manche Ergebnisse aus Untersuchungen zu powerful und powerless style durchaus mit soziolinguistischen Einsichten verglichen werden. 35 Indirekte Sprechakte, Modalisierungen, Abbrüche usw. wurden z.B. auch bei imagebedrohenden Aktivitäten nachgewiesen. Es handelt sich um (para-)sprachliche Mittel, die eine imageverletzende Illokution ‘entschärfen’. Sprecher verwenden diese Mittel typischerweise, wenn ihre Äußerung ungewollt verletzend wirken kann, wenn sie eine stark dominanzbeanspruchende Aktivität starten oder wenn sie gar eine Verletzung von Höflichkeitsregeln in Kauf nehmen (Brown und Levinson 1987, S. 172). In Interviews können diese Mittel vom Interviewer genutzt werden, um eine allzu starre Rollenasymmetrie zu relativieren (vgl. Holly 1979, S. 157); in der Mitarbeiterkommunikation ‘von oben nach unten’ können sie als Signale für nicht-autoritären Stil gelten (Thimm und Kruse 1993, S. 31). Bei der Verwendung des powerless style durch statussuperiore Sprecher kommt es also zu einer Aufweichung fixierter Rollengefüge. Der Begriff ‘powerless’ ist in sich situations- und sprecherabhängig zu differenzieren. Schwieriger gestaltet sich die Identifizierung des powerful style (vgl. hierzu Ng und Bradac 1993). In anderen Zusammenhängen ist dieses ‘Machtpotenan Gesprächsmaterial entspringt, das nicht-alltäglichen Situationen entstammt, ist z.B. die Tatsache, daß die Teilnehmer an solchen Gesprächen einer gewissen Befangenheit unterliegen, also gleichsam einem Beobachter-Paradoxon des Versuchsteilnehmers (Brooke und Ng 1986, S. 201). 35 Zum Vergleich von Untersuchungen in Sozialpsychologie und Soziolinguistik: Bradac (1982) weist bspw. einen Zusammenhang zwischen ‘lexical diversity’ und ‘language intensity’ nach. Thimm und Kruse (1991) sagen hierzu, diese Intensität sei „als kontextabhängiger Bewertungsaspekt von semantischen Einheiten zu sehen. Eine höhere Dichte und Intensität kann z.B. über ‘intensifiers’ wie ‘very’ erreicht werden.“ (Thimm und Kruse 1991, S. 16). Währenddessen zeigen die Soziolinguisten Fowler und Kress (1979), daß ‘Re-Lexikalisierungen’ vormals metaphorisierender Ausdrücke in Anweisungstexten (Regeln in einem Schwimmverein) die Aussagekraft dieser Texte verstärken und die Androhung von Konsequenzen bei Nicht-Befolgen der Regeln verschärfen (Fowler und Kress 1979, S. 33f., vgl. auch Mattheier 1986). Scotton (1985), die auf methodische Ansätze der Sprachakkommodationstheorie zurückgreift, bezeichnet Standardwechsel (Code-switching) als ‘powerful features’, die zu einem interaktionalen ‘Machtgefälle’ in Femsehinterviews führen; anhand von Rundfimkaufnahmen mit telefonischer Hörerbeteiligung zeigt dagegen Selling (1983), daß der Stilwechsel zur Hochsprache der 'Bekräftigung des Gegenarguments’ und der ‘Sich-Gleichstellung’ mit dem Gegenüber dienen kann. Sie bezieht sich dabei auf einen ‘Stilwechsel gegenüber Experten’, als Interaktionsstrategie, die der Rekonstitution zielgerechter Kommunikationsabläufe dient (vgl. Selling 1983, Abschnitt 4.2.). Insgesamt zeigt es sich im Vergleich einzelner Untersuchungen, daß zwischen der Soziolinguistik und der Sozialpsychologie dann auch methodisch enge Berührungspunkte bestehen können, wenn bei letzterer auf authentisches Gesprächsmaterial zurückgegriffen wird. Dies bildet jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Zu ausführlichen Literaturhinweisen in bezug auf sozialpsychologische Arbeiten zum Gegenstand s. Ng und Bradac (1993), insbesondere auch Thimm und Kruse (1991) zu theoretischen Konzepten. Begriffsdefinitionen etc. 42 Reden ist Chefsache tial’ der sprachlichen Aktivität auch ‘Emphase’, ‘illokutionäre Kraft’, ‘Dominanzbeanspruchung’ u.ä. genannt worden. Wenn ein Vorgesetzter ‘Drohungen’ oder ‘Abmahnungen’ ausspricht („wir können auch anders“), kann z.B. schon ein Leiserwerden seiner Stimme tendenziell emphatisierend wirken. Der Wechsel in der Stimmlautstärke markiert als scheinbar beiläufigen Kommentar, was für den Angesprochenen zur Katastrophe werden kann. Indem das Leiserwerden die Äußerungsbedeutung als etwas Alltägliches kennzeichnet, verstärkt es deren illokutionäre Kraft (illocutionary force; Brown und Levinson 1987, S. 145ff.). Prosodische Kontextualisierungsverfahren, insbesondere eine lokale Variation des Sprechstils, können die Einordnung der Sprecherleistungen in interpretative Rahmen, etwa sequentielle (z.B. Erzählkontexte), mikro- und makrosoziale Handlungskontexte unterstützen. 36 Ähnlich verweist fachsprachliches Vokabular potentiell immer auf institutionelle Handlungsgrundlagen (z.B. Zuständigkeit, Verantwortlichkeit usw.). Bevor man nun z.B. Verweise des Sprechers auf die eigene, superiore Position als ‘Machtindiz’ erfassen wollte, ist eine wichtige Unterscheidung vonnöten. Man muß zwischen dem sozio-strukturellen Machtverhältnis von Gesprächsteilnehmern (zwischen Vorgesetzten und Angestellten) und der einer bestimmten Sprachverwendung gewissermaßen inhärenten Macht differenzieren. Diese zwei Dimensionen des Machtbegriffs entsprechen wenn auch in einer vereinfachenden Analogie der von mir eingenommenen, dialektischen Perspektive auf die Mitarbeiterbesprechungen. Das erste kann mit der disziplinarischen Befugnisrelation der Gesprächsteilnehmer verglichen werden. Die immanente Macht der sprachlichen Aktivität kann hingegen z.B. bei einer prosodischen Gestaltung wie der Rhythmisierung, dem Lauter- oder Leiserwerden oder in kombinatorischen (para-)sprachlichen Verfahren identifiziert werden (vgl. Selling 1994). Ob und wie sprachliche Aktivitäten eine immanente Macht besitzen, hängt von vielen linguistischen und kontextuellen Faktoren ab. Bei je unterschiedlicher Gewichtung sind die Person des Sprechers, die Plazierung von Aktivitäten im Gesprächskontext, ihre prosodische Gestaltung, ihr propositionaler Gehalt, ihre illokutionäre Bedeutung und ihr kontextualisierendes Potential immer alle gleichzeitig relevant. Situativen Rahmen- 36 Kontextualisierende Funktionen der Prosodie (Rhythmik) untersuchen z.B. Couper- Kuhlen und Auer (1990, S. 16f.) und F.E. Müller (1991) (vgl. auch Selling und Hinnenkamp 1993, S. 9). M. Selling (1994) beschreibt das Entstehen des emphatischen Sprechstils folgendermaßen: „In order to constitute emphatic style, a particularly marked prosody is used in co-occurrence with particular syntactic and lexical choices, most often in particular activity-types, and in particular sequential environments in conversational interaction“ (Selling 1994, S. 377). Das von mir als Beispiel genannte ‘Leiserwerden’ würde allerdings nicht in den Bereich des Seltingschen Emphase-Begriffs fallen. Hierzu vgl. den Begriff der ‘Emphase’ als eines klassischen rhetorischen Tropus, der einen für den Partner ‘gefährlichen’ Handlungszug verschleiert, gleichzeitig aber die korrespondierende interpretatorische Eigenleistung des Rezipienten sicherstellt (Lausberg 1990 §419). Theoretische und methodische Voraussetzungen 43 bedingungen muß deshalb bei der Beschreibung des Kontrollpotentials sprachlicher Aktivitäten ein hoher Stellenwert zukommen. Wegen der Abstrahiertheit des sozialwissenschaftlichen Macht-Begriffs hat man in einigen Forschungszweigen nach alternativen Konzepten gesucht. Einige handlungstheoretisch orientierte Autoren haben den Begriff ‘Dominanz’ vorgeschlagen, als „various more or less visible (manifest) dimensions or structures in dialogue or discourse“ (Linell 1990, S. 157). 37 Im Gegensatz zu einer an der Oberfläche manifestierten Dominanz wird Macht dann eher als Potential definiert: „‘Power’ can arguably be conceived of as more abstract than dominance and as involving an invisible (latent) macrostructure“ (ebd ). In seinem Aufsatz „The power of dialogue dynamics“ (1990) stellt Linell ein Konzept vor, das vier Dimensionen von Dominanz unterscheidet, von denen mir die ‘interaktioneile’ und die ‘semantische’ Dominanz die beiden wichtigsten zu sein scheinen. 38 Mit semantischer Dominanz meint Linell z.B. das Gesprächsverhalten eines Individuums, das ständig thematische Initiativen starten und deren weitere Bearbeitung bzw. die Gültigkeit von Sichtweisen in bezug auf den Gegenstand quasi überwachen würde. Interaktionelle Dominanz manifestiere sich vornehmlich in Manipulationen (directing moves, z.B. Fragen), Blockaden (inhibiting moves, z.B. Themenabbrüche) 39 und Kontrollaktivitäten (control moves), mit denen man die partnerseitigen Beiträge evaluiert, ratifiziert oder disqualifiziert. Diese Diversifizierung von Aktivitätstypen rückt die Linellsche Klassifizierung in die Nähe anderer Ansätze, auch solcher in der Gesprächsanalyse (s. Kap. 5, vgl. auch Kallmeyer und Schmitt 1996). Dabei ist allerdings die entscheidende 37 Dies geht u.a. zurück auf die ‘Relational Communication Theory’ von Rogers-Millar und Miliar (1979), die ein Konzept des ‘domineering behaviour’ (Dominanzbeanspruchung) vorschlagen (Rogers-Millar und Miliar 1979, S. 240). Thimm (1990) entwickelt in Anlehnung daran eine ‘Dominanzsequenz’, bei deren interaktiver Realisierung einem der Sprecher Dominanz zugewiesen wird, weil der andere die dominanzbeanspruchende Handlung ratifiziert. Zu den begrifflichen Konzepten im Umfeld des sozialpsychologischen Macht-Begriffs vgl. insgesamt Berger (1985, S. 439ff.). 38 Außerdem nennt Linell (1990) die Sprechmenge und ‘strategic moves’. Die Sprechmenge bezeichnet Linell auch als rein ‘quantitative’ Dominanz; der Terminus ‘strategic moves’ bleibt relativ Undefiniert (1990, S. 158ff.). In den Mitarbeiterbesprechungen liegen wie in den meisten arbeitsweltlichen Gesprächsformen relativ proportionale Verhältnisse zwischen Sprechmenge und Teilnehmerposition vor. D.h., der Vorgesetzte redet im Vergleich mehr als die Angestellten (vgl. hierzu Müllerovä 1987). Allerdings gilt nicht als erwiesen, daß die Asymmetrie der Sprechmenge immer in einem analogen Verhältnis bspw. zu einer Rollenhierarchie steht. So wurde gezeigt, daß Angeklagte vor Gericht durch expansive Tunis versuchen können, dominant zu wirken (Linell et al 1988, S. 436). 39 Eine Klasse der inhibiting moves sind für Linell die sogenannten framing moves, d.i. ein dominant gesetzter Abschluß thematischer Bearbeitungen. Ich ordne die letzteren den in Kap. 5 systematisierten Kontrollverfahren zu, weil ein dominanter Abschluß eine Evaluierung der letzten Partneraktivität implizieren kann. 44 Reden ist Chefsache Einschränkung zu machen, daß Linelis Ergebnisse z.T. nicht auf einer befiindorientierten Korpusanalyse, sondern auf einer quantifikativen Tum-Klassifikation basieren (Linell et al. 1988), die sich in der Übertragung auf andere Korpora reduktionistisch auswirken würde. Auch die umgekehrte Übertragung von Ergebnissen aus gesprächsanalytischer Arbeit auf das Dominanzkonzept ist problematisch, weil dazu nahezu sämtliche Kontexlbedingungen unberücksichtigt bleiben müßten. Der Begriff der ‘kontrollierten’ Kommunikation als der kommunikativen Normalform in der Mitarbeiterbesprechung (vgl. im Abschnitt 3.2.2) ist auf einer dem Dominanzkonzept untergeordneten Abstraktionsstufe angesiedelt. Der Dominanzbegriff scheint mir für die Klassifizierung von Aktivitätstypen an authentischem Gesprächsmaterial zu abstrakt zu sein. Dominanz kann am ehesten als eine Dimension der Makrostruktur aufgefaßt werden, die sich als kontinuierliches Gefälle asymmetrischer Beteiligungsweisen greifen läßt. Die Mittel zur Erzeugung von Dominanz liegen auf sehr diversen (linguistischen) Ebenen. ‘Dominanz’ ist ein Terminus, der sich beispielsweise zur Beschreibung von Gesprächsstilen eignet. 40 3.1.4 Imagebalance [...] maintenance of face is a condition of interaction, not its objective. Erving Goffman 1955 Die Balance der Images von Beteiligten an einem Gespräch kann als das Resultat einer kontinuierlichen Beziehungsarbeit (face-work) angesehen werden (Goffman 1972, Or. 1955 u.a.). 41 Die Herstellung und Auffechterhaltung von Imagebalance ist mit einem gewissen Aufwand bei der Produktion von Äußerungen verbunden. Dies gilt z.B. für die Einhaltung gesellschaftlicher Regeln der Höflichkeit, die eine schroffe Verletzung oder Gefährdung des Partnerimage verhindern helfen. Interaktive Verfahren, die die Beteiligten-Images ausbalancieren, sind als ritualisierte sequentielle Handlungsabfolgen der Vermeidung und Reparatur beschrieben worden. Bei detjenigen Handlungsabfolge, die ein belastetes Imageverhältnis z.B. aufgrund einer für das Part- 40 Dies wird z.T. auch von Linell selbst so gesehen (vgl. Linell 1990, S. 157f, sowie Linell und Luckmann 1991, S. 4). Vgl. zu sprachlichen Mitteln, die ‘Dominanz’ erzeugen, die Ausführungen Sandigs (1983, S. 165ff.) zum ichzentrierten Partnerbezug. 41 Bei der Analyse bestimmter Transkriptstellen kann v.a. dann von Imagearbeit gesprochen werden, wenn der interaktive Prozeß der Bedeutungskonstitution mit einer ‘Werteinschätzung’ des eigenen oder des anderen Selbst verbunden ist. Dies trägt auch zur Unterscheidung des Image-Begriffs von dem der organisationsbezogenen (sozialen) ‘Rolle’ bei: „Rollenhandlungsmuster [...] sind anders als Image-Muster nicht unbedingt evaluativ“ (Holly 1979, S. 37). Zu einer Abgrenzung von alltagsweltlichen Verwendungen des ‘Gesichtsbegrififs’ vgl. Schwitalla (1996 S. 283ff). Ich werde im folgenden den Begriff ‘Image’ verwenden. Theoretische und methodische Voraussetzungen 45 nerimage bedrohlichen Aktivität wieder auszugleichen vermag, spricht man von einer Korrektivsequenz. 42 Für die germanistische Linguistik ist der Face-BegrifF (mit dem Synonym ‘Image’) zuerst ganz wesentlich durch die Arbeit W. Hollys (1979) rezipiert worden. Holly versteht unter Images ‘situationsbezogene’, in einem „mikrosozialen Rahmen anzusiedelnde Objekte“ (Holly 1979, S. 36). Images sind insofern vornehmlich lokale, interaktiv konstituierte Selbstbilder von Beteiligten an verbaler Interaktion. Sie können jedoch auch längerfristig existierende Bestandteile von sozialer Identität enthalten. Die Gültigkeitslänge eines Image oder die Bestandhaftigkeit bestimmter Aspekte des Image zu erfassen, stellt bis heute eine Herausforderung bei der Untersuchung von Imagearbeit dar. Insbesondere für den institutioneilen Gesprächskontext konnten die Einflüsse ‘fester’ Rahmenbedingungen auf die Imagearbeit noch nicht eindeutig oder kategorisch erklärt werden. I. Werten (1983) formuliert im Vorfeld einer Analyse bestimmter Konversationsrituale beispielsweise folgende allgemeine Voraussetzung: Das spezielle face des Interagierenden in einer bestimmten Situation ist immer nur in Rücksicht auf die Verpflichtungen, Rechte und Regeln zu sehen, die in der Situation für die Interagierenden, ihre Rollen und Status gelten [...] (Werlen 1983, S. 195) Einige Untersuchungen zu unterschiedlichen institutioneilen Gesprächskontexten insbesondere in der Nachfolge der Höflichkeitstheorie von Brown und Levinson (1987) haben allerdings gezeigt, daß der Einfluß rollenspeziftscher Rechte auf die Imagearbeit nur sehr bedingt zu verallgemeinerbaren Aussagen über die Imagearbeit in Institutionen fuhren kann. 43 Gehen nun die ‘Status’ (als fixe Größen) in die Konstitution der ‘Beteiligtenimages’ ein, oder handelt es sich um voneinander unabhängige Dimensionen der Beziehung? Auch hier wie schon beim Rollen- und Machtbegriff tritt m.E. die Notwendigkeit einer dialektischen Sichtweise zu Tage. Für die Herstellung der Imagebalance ist letztendlich der situative Gesprächskontext entscheidend; Vor- und 42 Zur Struktur der Korrektivsequenz s. Schwitalla und Schank, Hg. (1987), und Holly (1979, S. 58). Es handelt sich mindestens um zwei Schritte, möglich sind aber auch 1. Zwischenfall, 2. Veranlassung/ Zwischenfallmarkierung, 3. Korrektiv, 4. Entgegenkommen, 5. Dank usw. (Schwitalla 1987, S. 102). 43 Zur Unterscheidung ihrer Höflichkeitsstrategien ziehen Brown und Levinson (1987, Or. 1978) zwar drei soziologische Variablen heran: P (= power), D (= social distance) und R (= absolute ranking of impositions) (74ff.); deren kategorischen Stellenwert relativieren sie jedoch im Vonvort zur Auflage von 1987. Andere Autoren zeigen z.B., daß vor Gericht die Selbst- und Fremdbestimmung des Image in Abhängigkeit von der Rolle des Teilnehmers variiert (Penman 1990, S. 35), daß der Bekanntheitsgrad der Teilnehmer eine wichtigere Rolle spielt als relationale Macht (Lim und Bowers 1991, S. 447) oder daß der Individualstil von Sprechern in derselben experimentellen (imagebedrohenden) Situation im arbeitsweltlichen Kontext sehr unterschiedlich sein kann (Thimm und Kruse 1993). Einen guten Überblick über verschiedene Anwendungen der Face-Theorie bietet Tracy (1990). 46 Reden ist Chefsache Nachteile eines Sprechers innerhalb einer Status-Konstellation können aber nur in besonderen Fällen ausgeblendet werden. Ich möchte dies in bezug auf Korrektivsequenzen konkretisieren: Bei der Korrektivsequenz kommt es durch die Markierung eines ‘Zwischenfalls’ (Holly) zur Etablierung einer für das Image des Partners bedrohlichen Situation. Der Angesprochene wird sich im Regelfall durch eine ‘korrektive’ Handlung darum bemühen, einer Imageeinbuße entgegenzuwirken, ein ‘Entgegenkommen’ des Partners zu erreichen und die Balance der Images wiederherzustellen. 44 Imageverletzungen oder -bedrohungen können grundsätzlich jederzeit und durch alle Formen des Handelns auftreten. Holly (1979) sagt hierzu, es stünden „am Ausgangspunkt korrektiver Bemühungen nicht Tatsachenbeweise, sondern explizite oder implizite ‘schlimmstmögliche Deutungen’ (worst possible readings), die ein ‘virtuelles Vergehen’ (virtual offense) als Zwischenfall markieren“ (Holly 1979, S. 54, engl. Termini nach Goffman). In einer Bestimmung nach Brown und Levinson (1987) kann von einer imagebedrohenden Aktivität (face-threatening act) dann gesprochen werden, wenn einzelne (evaluative) Aktivitäten über das Einlösen sachorientierter Beteiligungsaufgaben hinausgehen und der Angesprochene Gefahr läuft, eine Schwächung seines beanspruchten Selbstbildes (positives Face) oder eine Einschränkung seiner Handlungsmöglichkeiten (negatives Face) hinnehmen zu müssen. Typischerweise werden solche Imagebedrohungen z.B. als Vorwurfshandlungen realisiert. So könnten etwa verbale Abmahnungen („ich will das nie wieder sehen“), die Kritik an einer defizienten Leistungsbereitschaft im Arbeitsprozeß, Beschwerden über Fehlverhalten am Arbeitsplatz, der Vorwurf mangelnden Kooperationswillens im laufenden Gespräch etc. als imagebedrohende Aktivitäten in der Mitarbeiterbesprechung gelten. Als Reaktion auf imagebedrohende Handlungen wie Vorwürfe oder Kritik kommt ein explizites Eingestehen von Schuld in den Mitarbeiterbesprechungen des Korpus selten vor. Regelmäßig versuchen die Adressaten vielmehr, einer Imageeinbuße durch Entschuldigungen oder Rechtfertigungen auszuweichen. Zu diesen Aktivitätstypen sagt Holly: Während man mit Rechtfertigungen [...] die volle Verantwortung für die Tat eingesteht, gleichzeitig aber deren negative Bewertung bestreitet, ist es mit Entschuldigungen [...] gerade umgekehrt: man gibt zu, daß die Tat negativ zu bewerten ist, bestreitet 4 Schvvitalla (1987, S. 126-141) beschreibt in einem Beitrag zur Konfliktforschung eine Reihe von Sprechakttypen, die als Korrektive in Frage kommen. Z.B. nennt er Eingeständnisse, Entschuldigungen, Selbstvorwürfe, Erinnern an die gute Beziehung früher, Ausdruck guten Willens, Loben, Konsensäußerungen etc. In der linguistischen Forschung werden traditionell zwei Klassen von Reaktionen auf korrektive Handlungen beschrieben: Zum einen handelt es sich um entgegenkommende Handlungszüge (‘relief, Goffman), zum anderen um Tnteraktionsblockaden’, die allgemein als Verweigerungen der Beziehungsregulierung verstanden werden können (zum Überblick Spiegel 1995, III, Theoretische und methodische Voraussetzungen 47 aber die (volle) Verantwortung, indem man sich auf Sachverhalte oder Personen beruft, bei denen man den eigentlichen Grund für den Fehler vermutet. (Holly 1979, S. 62) Ich kann hier auf sprechakttypologische Probleme nicht ausführlich eingehen (vgl. hierzu Holly 1979, S. 62-72). Für die Qualifizierung von Korrektivsequenzen in den Korpusgesprächen wird es aber in jedem Falle wichtig sein, daß die Bewertung eines Sachverhalts (bzw. die Verantwortungsübernahme für irgendein Problem) als Unterscheidungskriterium für bestimmte Aktivitätstypen (Korrektiv-Klassen) gelten kann. Beim Überblicken der Mitarbeiterbesprechungen könnte man vereinfachend sagen, daß Vorgesetzte auf ‘Entschuldigungen’ mit einem Entgegenkommen, auf rechtfertigende Bewertungen aber ablehnend reagieren. Eine Entschuldigung etwa unter Angabe von Gründen (‘widrigen Umständen’, Holly 1979, S. 72), die aus dem unmittelbaren Arbeitskontext stammen, an denen der Angestellte jedoch keine Schuld trägt (z.B. „ich hatte so viel Arbeit, daß ich einfach nicht dazu kam“), führt tendenziell zu entgegenkommenden Äußerungen des Vorgesetzten. Rechtfertigungen hingegen, die partnerseitige Bewertungen korrigieren („Ihren Vorwurf akzeptiere ich nicht“ ), werden ziemlich regelmäßig - und dies gilt sowohl für Angestellte als auch für Vorgesetzte mit insistierenden Aktivitäten gekontert. Dies sind zwar relativ grobe Angaben angesichts der vielfältigen interaktiven Ausgestaltungen von Korrektivsequenzen im Korpus. Sie sind jedoch für das weiterführende Verständnis der Zusammenhänge zwischen Teilnehmerposition, institutionellen Bewertungsmaßstäben und individuellen Auswahlmöglichkeiten wichtig. Der Zusammenhang zwischen Position und Image stellt sich oftmals als ein Problem von Evaluationsmöglichkeiten und Bewertungskompetenzen heraus. Abschließend soll hier noch eine Unterscheidung getroffen werden. Korrektivsequenzen, also eine Mindestabfolge von Imagebedrohung und Abwehr, sind übergreifenden Interaktionsmustern (z.B. thematischen Bearbeitungen) textlich unterzuordnen. Korrektivsequenzen werden durch unmittelbar aufeinander bezogene Aktivitäten konstituiert, die innerhalb größerer Strukturen lokal auftretende Bemühungen der eigenen oder fremden Imagewahrung signalisieren. Da sie in besonderer Weise konventionalisierte Abfolgen sind, kann man sie als Rituale bezeichnen (Weden 1979, S. 152). Für das vorliegende Korpus kann in bestimmten Fällen von einer institutionsspezifischen Überformung des alltagsweltlichen Rituals bzw. von institutionsspezifischen Interaktionstypen 45 gesprochen werden. Als Beispiel mag der Fall dienen, bei dem es dem Vorgesetzten in deutlich erkennbarer Weise darum geht, den Angestellten ‘herunterzuputzen’ oder ein Exempel zu statuieren, und wo sich die 45 „Dank ihres symbolischen Charakters verweisen sie [die Rituale] auf bestimmte Normen oder Werte [...], die möglicherweise mit der Leitidee der Institution Zusammenhängen und denen die institutionsspezifischen Zwecke untergeordnet sind“ (Gülich 1981, S. 424). 48 Reden ist Chefsache Möglichkeiten des Betroffenen auf ‘Schadensbegrenzung’ reduzieren. Das Interaktionsmuster wird hier durch eine mehrfache Runde ritueller Handlungsschritte (z.B. ‘Vorwurf und ‘korrektive Handlung’) etabliert (vgl Abschnitt 5.2.5). 3.1.5 Die Sprecher-Hörer-Konstellation In diesem und im nächsten Abschnitt werden zwei eng verwandte Konzepte zur Betrachtung interaktiver Beziehungskonstitution voneinander getrennt: Sprecher- und Hörerstatus (speaker and hearer roles) bzw. Beteiligungsrollen (participant roles). 46 Die ‘Sprecher-Hörer-Konstellation’ möchte ich als einen Begriff verstehen, der eine eher formelle und gesprächsorganisatorische Dimension verbal-interaktiven Geschehens beschreibt. Sprecher- und Hörerstatus sind in meiner Verwendung der Begriffe lokale, mikrostrukturell angezeigte oder zugewiesene Kategorien, die aber im Rahmen z.B. einer Anekdotenerzählung auch längerfristig gültig sein können (Quasthoff 1990). Zu ihrer Differenzierung setze ich die der ethnomethodologischen Betrachtungsweise zur Gesprächsorganisation zugrundeliegende Annahme des one-speaker-at-atime voraus. Auch wenn diese gerade was Kommunikation in Gruppen betrifft ihre Grenzen hat (Edelsky 1981, S. 396ff), bei bestimmten Formen kollektiven Sprechens gar ‘obsolet’ ist (Schwitalla 1993, S. 71), stellt sie dennoch für umfangreiche Phasen auch der Mitarbeiterbesprechungen ein nutzvolles Prinzip dar. Ein Hörerstatus wird u.a. mit Hilfe von Adressierungsformen angezeigt oder zugewiesen. Namentliche Adressierungen einer Aktivität sind der eindeutigste Fall. Dabei wird dem Adressaten oft auch das Rederecht nach Beendigung der eigenen Aktivität zugewiesen (Schwitalla 1993a): (3.03) 1 M8 zur inventu"r noch mal\ ja/ 2 LO mhm\ 3 M8 äh herr Kühn äh * 4 M8 wa"nn geben sie bekannt we"r wa"s au"fzunehmen 5 M8 hat\ meister-2/ 46 Schon die Fokussierung der ‘Inventur’ (Z. 1) indiziert eine Beteiligungserwartung des Meisters M8 an den Bereichsleiter für Logistik (LO). Dieser nimmt ja am Gespräch ‘Meister-2’ vornehmlich teil, um über den Planungsvorgang zur 46 Eine gute Übersicht zu diversen Behandlungen dieser Beschreibungskategorien in der angloamerikanischen und der deutschen Konversationsbzw. Gesprächsanalyse ist bei Schwitalla (1993) zu finden. Theoretische und methodische Voraussetzungen 49 Inventur zu informieren. Die Rückmeldung von LO (Z. 2) zeigt, daß er sich mit der Fokussierung angesprochen fühlt; mit der namentlichen Adressierung (Z. 3) sichert M8 die Etablierung einer dialogischen Sprecher-Hörer-Konstellation ab. Der Meister aktualisiert also im ersten Turn durch lexiko-semantische Mittel eine (sachverhaltsspezifische) Zuständigkeit 47 eines Hörers; im zweiten Turn weist er LO durch Adressierung das Recht des Folgesprechers zu. Das erste kann als ein Anzeigen rollenspezifischer Beteiligungserwartungen verstanden werden, das zweite als gesprächsorganisatorische Fremdselektion. Beides tritt in der Aktivität des Meisters zusammen auf, wenn man die beiden Turns von M8 als funktional vereinheitlichte Form einer ThemeneröfFnung ansieht. 48 Zuständigkeitssignalisierungen und explizite Adressierungsformen treten häufig gemeinsam auf. Sprecher- und Hörerkategorien können deshalb kaum unabhängig vom sozial-interaktiven Kontext beschrieben werden (auch wenn ich sie als im engeren Sinne strukturelle Kategorien verstehe). Vor allem Goffman, in seinem Artikel zu dem von ihm so bezeichneten ‘footing’ (1981), betont die soziale Relevanz von Sprecher- und Hörerkategorien. Bei denjenigen Hörerstatus, bei denen es sich um ‘ratifizierte Teilnehmer’ handelt, unterscheidet er im wesentlichen zwischen ‘Adressaten’ und ‘Nicht-Adressaten’ (Goffman 1981, S. 132f.). 49 Die GofFmanschen Hörerkategorien, die eine zufällige Anwesenheit (overhearer) oder ein heimliches Lauschen (eavesdropper) beschreiben (S. 13 lf), fallen für die Mitarbeiterbesprechungen aus. Es handelt sich ja um nicht-öffentliche Gespräche; die Teilnahme setzt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten hierarchischen Ebene oder Mitarbeitergruppe voraus. Es kommt allerdings im Rahmen bestimmter Handlungszüge vor, daß der gesprächsorganisatorische Status eines Teilnehmers der eines scheinbar Nicht- Beteiligten wird, obschon er bislang aktiv beteiligt gewesen ist (z.B. beim Reden über einen Teilnehmer, etwa in der Form Jetzt hör sich einer an, was der wieder sagt! “). Es handelt sich hier um Verfahren interaktioneller Ausgrenzung, wobei einer der zugewiesenen Hörerstatus dem eines ‘nicht-ratifizierten Hörers’ (non-ratified participant) gleichkommt. 50 47 Sachverhaltsspezifische Zuständigkeit ist von einem ‘Zuständigkeitsprinzip’ (Quasthoff 1990) zu unterscheiden, aufgrund dessen ein Teilnehmer z.B. für die Dauer der Durchführung einer Erzählung einen primären Sprecherstatus übernimmt. Vgl. hierzu auch Bublitz (1988), der Sprecher- und Hörerrollen kategorisch an die Einführung und Auflösung thematischer Abschnitte bindet. 48 Zu der Analyse dieser (Sub-)Themeneröffnung vgl. auch die Diskussion des Transkriptausschnitts 4.30. 49 Zu Goffmans Kategorien vgl, die kritische Darstellung bei Edelsky (1981). 50 Schwitalla (1996, S. 290) spricht in Anlehnung an Goffman vom ‘nicht-ratifizierten’ Hörer. Er nennt folgende Möglichkeiten der Zuweisung dieser Rolle: das Reden über den Partner, das Übergehen von projektierten Anschlußhandlungen, ostentatives Nicht- Zuhören, einen impliziten interaktiven Ausschluß (z.B. durch Verwendung von Fach- 50 Reden ist Chefsache Dem Adressaten gilt in der Regel der größte Teil der Aufmerksamkeit des Sprechers. Dieser Hörerstatus wird durch pronominale oder namentliche Adressierung des Teilnehmerbeitrags, durch ‘Zuständigkeit’, durch Anblicken, körperliche Hinwendung etc. zugewiesen, oder er geht aus dem vorangegangenen Gesprächskontext hervor (z.B. bei Phasen mit dominant dialogischem Redewechsel; explizite Markierungen zur Etablierung einer über längere Strecken gültigen Sprecher-Hörer-Konstellation liegen dann meist nur wenige Turns im Kontext zurück). Den Stellenwert eines Adressaten bezeichne ich als primären Hörerstatus; er gilt für denjenigen Hörer, der sich in unmittelbarem verbalen Austausch mit dem jetzigen Sprecher befindet oder gleich befinden wird. Einen sekundären Hörerstatus haben alle Nicht-Adressaten bzw. die nicht in Anspruch genommenen Hörer (non-engrossed participants, Goodwin 1986). Auffällig am primären Hörerstatus ist in der Mitarbeiterbesprechung, daß die Adressierung an den Hörer häufig nicht allgemein in bezug auf seine Person, sondern vornehmlich in bezug auf institutionell relevante Aspekte seiner sozialen Identität zu gelten scheint, also beispielsweise seine Berufsrolle, das Aufgabenprofil seiner Position etc. (vgl. TA 3.01: „Sie können diese Bedarfsanmeldung nicht stellen“). Adressierungen dieser Art könnten als minimale Formen sozialer Kategorisierung aufgefaßt werden, weil sie den Adressaten einer bestimmten Gruppe zuordnen. Verwendet ein Sprecher bestimmte Vokabeln, die bei einem oder mehreren Hörern so etwas wie betriebliche ‘Zuständigkeit’ aktualisieren, kann dies die Zuweisung eines primären Hörerstatus für eine Gruppe sein. Die Grenze zwischen dem primären und dem sekundären Hörerstatus kann in einem solchen Fall unscharf werden, sogar wenn im unmittelbaren syntaktischen Umfeld eindeutige, z.B. pronominale oder namentliche Adressierungen den Unterschied zwischen einem Adressaten und einem Publikum markieren. 51 Sprecher werden im Rahmen des Tum-taking-Mechanismus als die Turn-Inhaber angesehen, als diejenigen, die über einen bestimmten Zeitraum das Resprache) und das Infragestellen der Rechtmäßigkeit der Anwesenheit. Ich komme noch mehrfach auf Verfahren interaktioneller Ausgrenzung zu sprechen (vgl. die Abschnitte 5.2.3 und 6.3.2). Eine mit meiner Unterscheidung vergleichbare leistet Goodwin (1986), der zwischen ‘principal’ oder ‘focal recipients’ und ‘non-engrossed recipients’ differenziert. 51 Wenn der Sprecher diesen Unterschied nicht deutlich macht, kann dies ein Indiz für ein Aufweichen der Imagebedrohung des Adressaten bei gleichzeitigem Einbeziehen des Publikums sein. Eine ähnliche aufweichende Funktion hat das Verschleiern der eindeutigen Adressierung durch ‘Herausnahme des Adressaten’ (Schwitalla 1987; vgl. ‘Entpersonifizierung’ bei Brown und Levinson 1987, S. 197). Der Begriff des Publikums (audience) ist sowohl als Hyponym für alle Hörer gebräuchlich (vgl. Goodwin 1986, Duranti 1986) als auch als Hörerkategorie. Mit der letzten Bedeutung wird er von mir verwendet; mit ‘Publikum’ bezeichne ich den von mir ‘sekundär’ genannten Hörerstatus. Theoretische und methodische Voraussetzungen 51 derecht behalten. Bei den Sprechern kann man einen primären und sekundären Status im Hinblick darauf unterscheiden, wer für die Durchführung eines komplexen Gesprächsschritts vorrangig verantwortlich ist und wer nur redebegleitend aktiv wird, etwa beim gemeinsamen Sprechen (vgl. Schwitalla 1993). 52 Wichtiger für die Mitarbeiterbesprechung scheint mir aber zu sein, daß der Teilnehmer bei der Formulierung seines Beitrags Signale dafür aussenden kann, ob er selbst als individuelles Subjekt die Verantwortung für den Inhalt des Geäußerten übernehmen möchte oder ob er die Verantwortung einer Gruppe aktualisiert. Deren Verantwortung kann im Unternehmen auf unterschiedliche Weise definiert sein. Der Unterschied zwischen individueller und Gruppen-Verantwortung verhält sich analog zu dem, was bei der Zuweisung eines primären Hörerstatus angezeigt wird. Bestimmte sprachliche Mittel verweisen entweder auf das Individuum als den Verantwortlichen oder auf Teile seiner sozialen Identität, die wiederum auch von anderen Individuen (einer Gruppe) beansprucht werden können. Goffman (1981) meint in etwa dasselbe, wenn er von einem ‘principal’ spricht, von jemandem, dessen „position is established by the words that are spoken“ (Goffman 1981, S. 144). 53 Weiter sagt er: In thus introducing the name or capacity in which he speaks, the speaker goes some distance in establishing a corresponding reciprocal basis of identification for those to whom this stand-taking is addressed, (ebd., S. 145) Reziproke Grundlagen für typisierende Identifizierungen werden in der Mitarbeiterbesprechung in auffälliger Weise durch die Verwendung bestimmter Personalpronomina der ersten Person konstituiert. Tendenziell gilt folgendes: Bei der Verwendung der Ich-Form kann davon ausgegangen werden, daß der Sprecher auf sich selbst referiert und die Verantwortung für den geäußerten Inhalt übernimmt (ein Grenzfall sind Perspektivenübernahmen, bei denen eine solche Verantwortung sozusagen angelastet wird, etwa „ich an Ihrer Stelle würde mich nicht beschweren“ ). Bei der Verwendung der Wir-Form oder des indefiniten Pronomens ‘man’ referiert der Sprecher hingegen ziemlich regelmäßig auf gruppenspezifische Verantwortung. Die Gruppencharakteristik ist i.a. aus der Organisationsstruktur des Unternehmens ableitbar. Hierzu ein Beispiel aus dem Gespräch ‘Bonusentlohnung’: Der Bereichsleiter für Arbeits- 52 Das Kriterium einer vorrangigen Aufgabe oder eines primären Rederechts ist in der Gesprächsforschung häufig zur Unterscheidung von primärem und sekundärem Sprecherstatus herangezogen worden (z.B. Henne 1979, Glindemann 1984). Bublitz (1988) spricht von einem ‘sekundären Sprecher’, schon wenn ein Teilnehmer Rückmeldungen und Verständnissignale produziert (1988, S. 187ff). Eigentlich ist dies eine Hörerleistung. 53 Auf die von Goffman gemachte Unterscheidung von ‘animator’ und ‘author’ als demjenigen, der seine Stimme leiht, und dem, der Worte aussucht, um sich auszudrücken, kann ich hier nicht näher eingehen (vgl. Goffman 1981, S. 144f.). Auch Goffman selbst verfolgt den Ansatz nicht mit letzter Konsequenz weiter. Vgl. zu den individuellen bzw. nicht-individuellen Subjekten sprachlicher Handlungen Schwitalla (1993, S. 95). 52 Reden ist Chefsache Wirtschaft (BA) spricht zu den Arbeiterinnen. Es geht um die Unterscheidung von real produzierten Stückzahlen und nach Abzug des Ausschusses verkaufbaren ‘Gutstücken’. (3.04) 1 BA wir reden * an akkord grundsätzlich i"mmer nur über 2 BA stück\ * aber der ku"nde kriegt nur gutstück\ * 3 BA wobei wir sie hier nicht benachteiligen werden\ 4 BA des werden se noch sehn\ bonusentlohnung/ 101 Das Personalpronomen wir (Z. 1, 3) in dieser Äußerung von BA referiert im ersten Fall (Z. 1) auf die Gesprächsleiter (BA und PL), kann aber auch alle anderen Anwesenden einschließen; im zweiten Fall (Z. 3) sind allerdings nur noch die an der Entscheidung zur Einführung des Bonusentlohnungssystems beteiligten leitenden Angestellten (inklusive der Betriebsräte) gemeint. Man könnte sagen, die Wir-Form wird im zweiten Fall vom Sprecher strategisch eingesetzt, um seine eigene Person für etwaige Kritik am Bonusentlohnungssystem unangreifbar zu machen, indem er die Verantwortlichkeit einer Vorgesetzten-Gruppe indiziert. Das Anzeigen von Gruppenverantwortung kann eine soziale Zugehörigkeit, eine gewisse ‘hermetische’ Identität und soziale Distanz signalisieren. Der Sprecher nimmt eine gruppenspezifische Perspektive auf den Gegenstand ein, und das Zuordnungsangebot an den Rezipienten lenkt von individueller Verantwortung weg. Die Wir-Form kann als sprachliche Indizierung einer hierarchischen Ebene oder subjektiver Distanzierung, als Interpretationsangebot für Gruppenzugehörigkeit bzw. als Divergenzsignal (Giles und Smith 1974) füngieren; im Regelfall koinzidieren in der Mitarbeiterbesprechung mehrere dieser Deutungsmöglichkeiten. Mit Brown und Gilman (1960) möchte ich die Verwendung ‘distanter’ pronominaler Formen als power-Formen bezeichnen. 54 Sowohl Vorgesetzte als auch Meister, Arbeiter, Verkäufer usw. verwenden diese Formen beispielsweise, um sich von einer vorgebrachten Kritik zu distanzieren. Die Verwendung von ‘wir’ seitens der Vorgesetzten, die als ein Hinweis auf die erhöhte Verantwortlichkeit ihrer 54 Die Definition der power-Formen steht in engem Zusammenhang mit einem Prinzip der Reziprozität. Brown und Gilman (1960) beschreiben dieses Prinzip anhand nicht-reziproker bzw. reziproker Anredeformen (T/ V-Anrede) (vgl. hierzu Preston (1987, S. 695f.) sowie Mühlhäusler und Harre (1990)). Für die Verwendung von Personalpronomina der ersten Person als power-Formen gibt es m.W. keine systematische Beschreibung. Allerdings existieren Untersuchungen, die meine Annahmen bestätigen. Vgl. etwa für arbeitsweltliche Settings - Hodge et al. (1979, S. 92f.) und Akinnaso und Seabrook (1982, S. 122), für die Abgrenzungstechniken in einer Jugendlichengruppe Schwitalla und Streeck (1993, S. 238). Theoretische und methodische Voraussetzungen 53 Ebene wirkt, besitzt allerdings kaum ein Äquivalent auf der Angestelltenseite. 55 Beim primären Hörerstatus können für die Zuordnung des Hörers zu bestimmten sozialen Kategorien oder institutioneilen Gruppen auch Wechsel von der Siezur Du-Anrede von Wichtigkeit sein. Diese Formen können mit Brown und Gilman (1960) als Signale fur powerbzw. solidarity-Verhältnisse angesehen werden. Die gängige Verwendung in der Mitarbeiterbesprechung ist zwar das Du unter Gleichgestellten und das Sie für Andersgestellte (sowohl ‘nach oben’ als auch ‘nach unten’); im Einzelfall wirken Abweichungen von dieser Regel aber als deutliche Markierungen sozialer Divergenz oder Konvergenz. Es soll keinesfalls davon ausgegangen werden, daß mit den hier genannten Sprecher- und Hörerkategorien alle lokalen Geschehnisse in der Mitarbeiterbesprechung erschöpfend systematisiert werden könnten. Die Sprecher-Hörer- Konstellation ist in Gruppengesprächen nicht nur in Mitarbeiterbesprechungen ein außerordentlich komplexes und dynamisches Gebilde. Gerade bei den interaktiven Funktionen pronominaler Formen sind Überschneidungen, Sonderfälle oder eine Plurifunktionalität jederzeit möglich. Einen Sonderfall für die Untersuchung der Sprecher-Hörer-Konstellation bilden außerdem Nebenschauplätze der Interaktion, die praktisch immer ohne aktive Beteiligung des Gesprächsleiters in der Mitarbeiterbesprechung eröffnet, aufrechterhalten und geschlossen werden (vgl. hierzu Goffman 1981, S. 134f). Typischerweise werden diese Nebenschauplätze z.B. durch ‘Kommentare’ eröffnet, die eigentlich eine ‘Antwort’ auf die Äußerungen des Vorgesetzten hätten sein können, statt an diesen aber an den eigenen Nebenmann adressiert werden. Der Stellenwert der Kommunikation am Nebenschauplatz für das zentrale Geschehen im Gespräch um den Vorgesetzten kann sehr unterschiedlich sein. Die Bandbreite reicht von einer subordinierten bis zu einer subversiven Kommunikation, letztere als Form einer zur Aggression tendierenden Nebenkommunikation (vgl. Kallmeyer und Schmitt 1996, Kap. 5.3.3). 3.1.6 Beteiligungsrollen Die ‘Beteiligungsrolle’ ist, allgemein formuliert, eine Beschreibungskategorie für den Einfluß, den makrosoziale und -strukturelle Bedingungen auf das Agieren eines Sprechers in der Mitarbeiterbesprechung nehmen. Die Charakteristika von Beteiligungsrollen sind bestimmt von tendenziell festen oder fi- 55 Es handelt sich hierbei um ein Problem, das im weitesten Sinne als ‘ideologisch’ einzustufen wäre. Die Untersuchung von Kontrollaktivitäten Vorgesetzter und Angestellter (Kap. 5) wird zeigen, daß Unterschiede in ihrem ‘klassenspezifischen’ Verhalten stilistisch festzumachen sind und vor allem grundlegende Auswahlmöglichkeiten bei der Form und Gestaltung von Aktivitäten betreffen. 54 Reden ist Chefsache xierten Vorgaben an die Gesprächsbeteiligung; teilweise unterliegen sie jedoch gemeinsamen Aushandlungen. Bei Beteiligungsrollen handelt es sich um eine Beschreibungskategorie, auf die in der Gesprächsanalyse bisher wenig zurückgegriffen wurde (vgl. aber Spranz-Fogasy 1993, Reitemeier 1994). Spricht man in der Gesprächsanalyse von ‘rollenspezifischen’ Beteiligungsvoraussetzungen eines Teilnehmers, so sind damit eher Gesprächsrollen gemeint (z.B. ‘Moderator’, ‘Experte’, ‘Ratsuchender’, ‘Berater’ usw.). 56 Durch die Zuweisung bzw. Übernahme von Beteiligungsrollen wird geklärt, wer wann bei welchem Bearbeitungsstand eines Themas bzw. in welchem Stadium des Interaktionsmusters ein vorrangiges Recht auf das Ergreifen von (auch nicht zugewiesenen) Redegelegenheiten hat. Zum Spektrum der Beteiligungsrolle gehören außerdem Vorgaben dazu, konkret welche sprachlichen Aktivitäten ein Sprecher starten kann. Ich möchte drei Aspekte rollenspezifischer Beteiligung unterscheiden. Rollenspezifika gelten für a) die Gesprächsorganisation, b) betriebliche Zuständigkeiten und c) die Zielorientiertheit der Interaktion. a) Rollenspezifika für die Gesprächsorganisation betreffen Beteiligungsaufgaben und -rechte des Teilnehmers im Hinblick auf die organisatorische Regulation des Gesprächskontinuums, z.B. die Gesprächsgliederung und die Kontrolle des Themenwechsels. 57 Durch diesen Aspekt der Beteiligungsrollen werden in der Mitarbeiterbesprechung alltagsweltliche Regelungen des Tumtaking und der Rederechtzuweisung (allocation, Sacks et al. 1974) außer Kraft gesetzt. Die Folge innerbetrieblicher Turn-taking-Mechanismen ist nicht nur, daß der Gesprächsleiter eine weitaus größere Zahl an Turns von Partnern zu- 56 Kallmeyer (1985) zeigt an einem privaten (telefonischen) Beratungsgespräch, daß die Aushandlung von Beteiligungsrollen nicht auf institutioneile Kontexte beschränkt ist. Auch in der alltagsweltlichen Kommunikation existieren Kooperationsformen, bei denen die Teilnehmerkonstellation deutlich asymmetrische Züge hat, bzw. bei denen die subjektive Voraussetzung von asymmetrischen Beteiligungsbedingungen zu Aushandlungsprozessen führen kann. Solche Aushandlungen finden im Regelfall zu Gesprächsbeginn statt. Vgl. zu Situationseröffnungen am Telefon neben Kallmeyer (1985) Berens (1981), bei der telefonischen Sozialberatung Behrend et al. (1992), bei Gesprächen in der Autowerkstatt Beneke (1992), beim verbalen Austausch am Kiosk Schmitt (1992), bei der Nicht-Seßhaften-Beratung Reitemeier (1994) usw. 57 Die folgenden Ausführungen sind v.a. an die Beobachtungen von Lenz (1988, 1989) zu den Organisationsprinzipien in Technical Meetings angelehnt. Der Gesprächsleiter in Technical Meetings ist nicht unbedingt ein Vorgesetzter; er übernimmt die Rolle eines Moderators oder Vorsitzenden (chairman), der im wesentlichen formale Kontrolle (Kontinuitätssicherung) ausübt (Lenz 1989, S. 34, 73fT, 161f). Im Unterschied zum Technical Meeting kann der Teilnehmer an Mitarbeiterbesprechungen nach Schließung der ‘Tagesordnung’ durch den Vorgesetzten selbst weitere Themen initiieren (Lenz 1989, S. 200). Vgl. hierzu auch Marquards Artikel zum Problemlösungsdiskurs in Technical Meetings (insbesondere Marquard 1994, S. 173) und Bargiela-Chiappini und Harris (1995) zu den Problemen der Gesprächsgliederung im Unternehmen aus einer interkulturellen Perspektive. Theoretische und methodische Voraussetzungen 55 gewiesen bekommt bzw. selbst selektiert als jeder andere Teilnehmer im Gespräch; aufgrund seiner Beteiligungsrolle fällt ihm auch bei nicht zugewiesenen Turns das Rederecht zu. Neben einem Superioren Recht zum Ergreifen von Redegelegenheiten könnte beim Vorgesetzten auch von einer ‘Pflicht’ zur Beteiligung gesprochen werden: In contrast to both debates and conversation, meetings that have a chairperson partially pre-allocate turns, and provide for the allocation of unallocated turns via the use of preallocated turns. Thus, the chairman has rights to talk first, and to talk after each other speaker, and can use each such turn to allocate next speakership. 58 In allen Korpusgesprächen handelt es sich beim Gesprächsleiter um den (oder um einen der) Vorgesetzten. Die Gesprächsleitung ist ein Teil seiner Beteiligungsrolle. Die Gesprächseröffnung, die Beendigung und explizite Themenabbrüche gehören zu seinen Exklusivrechten. Weiterhin ist er derjenige, der in die (ggf. schriftlich vorliegende) Tagesordnung einfuhrt und eine Diskontinuität der Kommunikation verhindert. Die Gesprächsleitungsfunktionen können von dem einen Vorgesetzten auf den anderen übertragen werden, wenn einer der beiden nur wegen eines ganz bestimmten Themas am Gespräch teilnimmt. Dies trifft z.B. auf den Bereichsleiter für Logistik im Gespräch ‘Meister-2’ und seine Leitung des Gesprächs beim Thema ‘Inventur’ zu. Eine Übertragung solcher Funktionen auf einen der Angestellten der niedereren hierarchischen Ebenen war im gesamten Korpus an keiner Stelle erkennbar. Dem Vorgesetzten in den Mitarbeiterbesprechungen entstehen schon allein durch die Gesprächsleitungsfunktionen umfassende Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten. Die Gesprächsleitung gehört zu den elementaren Handlungsgrundlagen in den Mitarbeiterbesprechungen. Als Sonderfall im Turn-taking-Mechanismus von Arbeitsgesprächen ist der sogenannte round turn (Lenz 1989, S. 73f.) zu nennen. Er wird z.B. durch wiederholte Fragen „und was meinen Sie dazu .. und Sie .. und Sie? “ mit jeweils anderem Adressaten konstituiert. Über mehrere reaktive Turns, die als Einlösungen des vom ersten Sprecher eröffneten adjacency pairs (Schegloff 1972) gelten können, bleibt beim round turn die ‘konditionelle Relevanz’ aufrechterhalten. 59 b) Rollenspezifika der betrieblichen Zuständigkeit sind bereits im vorigen Abschnitt angeklungen. Zuständigkeiten werden typischerweise durch Fokussie- 58 Sacks et al. (1978, S. 45), in einer späteren Version ihres grundlegenden Artikels zur Systematik des Tum-taking (in der Bibliographie s. Sacks et al. 1974). 59 Der Terminus ‘konditionelle Relevanz’ wird im folgenden als gnmdlegendes Phänomen in interaktiven Sequentialisierungsprozessen vorausgesetzt. Folgende Definition gilt als klassisches Verständnis des Begriffs: „By conditional relevance of one item on another we mean: given the first, the second is expectable; upon its occurrence it can be seen to be a second item to the first; upon its nonoccurrence it can be seen to be officially absent all this provided by the occurrence of the first item.“ (Schegloff 1972, S. 43). 56 Reden ist Chefsache rungen betrieblicher Sachverhalte oder Sachverhaltsbereiche, d.h. mit lexikosemantischen Mitteln aktualisiert. Vereinfacht gesagt hat jeder Teilnehmer an der Mitarbeiterbesprechung einen bestimmten Zuständigkeitsbereich im unternehmensorganisatorischen Sinne. Zuständigkeit impliziert ein spezifisches Wissen, Verantwortung für das Handeln und eine gewisse Entscheidungs- und ggf. Weisungsbefugnis in diesem Bereich. Der Zuständigkeitsbereich des Vorgesetzten umschließt i.a. den mehrerer Angestellter, wobei er zugleich über Entscheidungsbefugnisse auf einer höheren Ebene verfugt. Fokussierungen des Zuständigkeitsbereichs oder einzelner Aspekte aus diesem Bereich provozieren eine erhöhte Aufmerksamkeit des betroffenen Teilnehmers, senken die Beteiligungsschwelle für ihn usw. Man könnte sagen, daß diese Art von Fokussierung beteiligungsrollenspezifische Rahmenbedingungen des Handelns etabliert und zugleich weitere eigene Aktivitäten projiziert, die die Handlungsanforderungen an den Partner spezifizieren werden. In bestimmten Fällen wird die Zuständigkeit für einen Bereich thematisiert. Die Beteiligten versuchen dann, ihre Befugnisse im Rückgriff auf das Organisationsprogramm zu klären. Aushandlungen der Zuständigkeit sind von solchen Fällen zu trennen, in denen die Zuständigkeit grundsätzlich anerkannt wird, der Betroffene aber die Verantwortung für ein Problem in seinem Bereich zurückweist. Verantwortung zu übernehmen bedeutet, daß der Teilnehmer zusätzlichen und z.T. sehr komplexen Handlungsimplikationen nachkommen muß: (3.05) 1 WL wer is eigentlich für das' für das anbruchfaßlager 2 WL in der' in der drei zwoundzwanzich unten 3 WL verantwortlich\ *2,3* K #LACHEN, UNVERST. BEITRÄGE# meister-2/ 49 Die Gründe für die relativ lange Pause 60 vor dem Lachen der Teilnehmer als Reaktion auf die Frage des Werksleiters (Z. 3 und K-Zeile) lassen sich durch den unmittelbar vorangegangenen Kontext erläutern. Man hatte über die ‘katastrophale’ Unaufgeräumtheit mancher Werksteile gesprochen und über die Probleme, die dadurch für die Inventur entstehen können. In diesem Zusammenhang ist jedem klar, daß auch das hier genannte Anbruchfaßlager (Z. 1) ein Problem darstellt und daß, wer jetzt ‘Ich’ sagt, eine Rüge riskiert. Die Äu- 0 Pausen in den Mitarbeiterbesprechungen, die länger als zwei Sekunden dauern, sind tendenziell immer entweder mit gesprächsorganisatorischen Funktionen verknüpft (z.B. beim Themenwechsel), oder sie lassen auf eine konfliktträchtige Situation schließen, und zwar schon aufgrund des Zeitdrucks, unter dem die Gespräche stattfinden, und der gesprächsorganisatorischen Beteiligungspflicht des Gesprächsleiters. Auch in Technical Meetings haben Schweigephasen vornehmlich eine themenorganisatorische Funktion (Lenz 1989, S. 157ff.). Theoretische und methodische Voraussetzungen 57 ßerung des Werksleiters enthält einen Fachausdruck, der auf den organisatorischen Bereich referiert {anbruchfaßlager, Z. 1), eine räumliche Deixis, die die hörerseitige Identifizierung des Referenten sicherstellt {in der drei zwoundzwanzich unten, Z. 2), und sie impliziert, daß ein Mitarbeiter zuständig sein muß {wer is [...] verantwortlichY, Z. 1, 3). Dies ist offensichtlich ausreichend, um ein interaktives Klären der Zuständigkeit einzuleiten. c) Die Rollenspezifik eines Teilnehmers im Hinblick auf die Zielorientiertheit der Interaktion ist im Vergleich mit den beiden anderen Aspekten ungleich schwieriger zu beschreiben. Es handelt sich um eine von thematischen oder interaktionsmusterspezifischen Handlungsbedingungen abhängige Kategorie. Um sie zu erläutern, möchte ich etwas weiter ausholen. Mit Bezug auf die Gesprächsleiterfiinktionen hatte ich von umfassenden Kontrollrechten bestimmter Teilnehmer an der Mitarbeiterbesprechung gesprochen. Dies ist auch für andere institutionelle Kommunikationsformen nachgewiesen worden: „Vor Gericht kontrolliert der Vorsitzende das Rederecht: er befragt selbst oder gibt das Fragerecht an den Staatsanwalt oder Verteidiger“ (Hoffmann und Nothdurft 1989, S. 125). Das Kontrollrecht des Vorsitzenden berührt nicht nur die Redegelegenheit, sondern auch die sprachliche Form der Beteiligung (das Recht auf Fragen). Darüberhinaus kann er die konkrete sprachliche Realisierung einer Frage sanktionieren. Im Beispiel der Autoren fordert ein Richter den Angeklagten zu Fragen an einen Zeugen auf und kritisiert mehrfach die Gestaltung der ‘Frage’, bis sie tatsächlich den Anforderungen des forensischen Diskurses entspricht: [D]er Richter kontrolliert zunehmend stark die Äußerungen des Angeklagten und orientiert sich an einem sehr engen Fragebegriff, der einige Frageformen [...] ausblendet; damit engt er den Angeklagten so ein, daß er schließlich realisiert, was er für die Minimalfonn einer prototypischen Frage hält. [...] Nicht tolerierbar ist für ihn [den Richter], wenn das Fragerecht so wahrgenommen wird, wie er selbst, der Verteidiger oder der Staatsanwalt es wahmehmen. (Hoffmann und Nothdurft 1989, S. 126) 61 Zwar gelten für die Kommunikation vor Gericht gänzlich andere und in Relation zur Mitarbeiterbesprechung striktere Regelungen; es wird sich jedoch in der Analyse des Materials im Detail zeigen lassen, daß die Verwendung und Gestaltung bestimmter Aktivitätstypen beteiligungsrollenspezifischen Vorgaben unterliegen. Welche Form und Gestaltung als ‘korrekt’ empfünden werden, hängt insbesondere von der Position des Teilnehmers, vom Interaktionstyp und von individuellen Zielen ab. Spranz-Fogasy (1993, S. 34) bezeichnet 61 In einem anderen Zusammenhang weisen die Autoren daraufhin, daß die Steuenmg der Interaktion auch in anderen institutionellen Kontexten ganz konkrete Eingriffe des Agenten der Institution in die sprachlichen Aktivitäten des Klienten umfaßt: „Ein Beispiel ist die medizinische Visite, in der Patienten auf die rein reaktive Rolle festgelegt werden, diagnoserelevante Fragen zu beantworten, und oft vergeblich versuchen, selbst initiativ zu werden, um ein Problem zu klären oder von Erfahrungen zu erzählen [...]“ (Hoffmann und Nothdurft 1984, S. 127, vgl. hierzu auch Erickson und Rittenberg 1987). 58 Reden ist Chefsache das Wissen um den jeweils etablierten Interaktionstyp als eine der allgemeineren "Situationsressource[n], an denen sich die Interaktionsteilnehmer jeweils beteiligungsrollenspezifisch orientieren“. Weiter sagt er: 62 Dieses Wissen [um den Interaktionstyp] enthält Angaben darüber, was zu tun ist (z.B. ein Problem darstellen, es definieren, es lösen), in welcher Reihenfolge dies zu tun ist (dito) und wer welche Aufgaben dabei übernehmen kann oder soll [...]. (ebd.) Wenn nun im Zuge der Aufgabenbearbeitung im Rahmen eines Interaktionsmusters Aktivitäten gestartet werden, die dem etablierten Interaktionsmuster nicht ohne weiteres zugerechnet werden können, so fuhrt dies in der Mitarbeiterbesprechung häufig zu sofortigen Kontrollhandlungen seitens des Gesprächsleiters. Eine Rückstufung der Aktivität ist die Regel, d.h., man weicht den durch sie etablierten Handlungsimplikationen aus. Im folgenden Beispiel aus dem Gespräch ‘Bonusentlohnung’ beschreibt eine Arbeiterin (Al) eine Erfahrung aus ihrem eigenen Arbeitsbereich. Im Werk werden die Arbeiterinnen häufig von einem Werksbereich in den anderen versetzt. Dieser Zustand wird von ihr im Hinblick auf die Ausschußproduktion problematisiert: un dann le: ft=s ehe wieder drei lach net/ (Z. 3-4). (3.06) 1 Al mit * kaum ausschuß\ * aber zum beispiel 2 Al ka=ma=s morje passiern daß isch wieder niwwer kumm 3 Al an den Vierkammernstand/ un dann le: ft=s ebe wieder 4 Al drei tach net/ dann rutsch isch wieder weiter in 5 Al die #a.# vor/ * r weil isch/ ’ dann- 1 6 PL L >ne halt langt\< * dann muß ich' K #WERKSBEREICH 7 PL muß ich unterbrechenN und zwar aus=em 8 PL einfachen grund\ * wir sind jetzt dabei\ * wir 9 PL sind dabei und haben=s festgelegt\ * wir haben 10 PL p hier/ * die mannschaft zusammengestellt\ * 11 BA L eine gruppe\ bonusentlohnung/ 13 8 Ginge man davon aus, daß die Arbeiterin Ursachen der Ausschußproduktion analysiert und ihre Problemdefinition darstellen möchte, so könnte die explizite Unterbrechung durch den Produktionsleiter (Z. 6, 7) verwundern. Man muß sich jedoch vor Augen halten, daß die Problematisierung der Versetzun- 62 Spranz-Fogasy (1993) untersucht eine Podiumsdiskussion zum Thema ‘Müllverbrennung’ im Hinblick auf beteiligungsrollenspezifische und bedeutungskonstitutive Zusammenhänge. Als weitere, allgemeine Ressourcen für den bedeutungskonstitutiven Prozeß nennt er die ‘Beteiligungsaufgaben’ und das ‘Sachverhaltswissen’ (S. 34ff). Interessant ist, daß der zum Podium eingeladene ‘Betroffene’ über ein ebenso reiches Fachwissen verfügt wie der ‘Experte’. Die Beiträge des ‘Betroffenen’ überziehen häufig die ihm im Rahmen seiner Beteiligungsaufgabe zugewiesenen Rechte. Die Verwendung von Expertenwissen führt zu Sanktionen seitens des ‘Moderators’ (S. 7). Theoretische und methodische Voraussetzungen 59 gen einen interaktiven Bearbeitungsanspruch etabliert, dem in diesem Gespräch gar nicht nachgekommen werden kann oder soll. Das Gespräch ‘Bonusentlohnung’ ist primär ein Informationsgespräch. Zudem berührt die Problematisierung von Versetzungen den Zuständigkeitsbereich der Geschäfts- oder Produktionsleitung im Werk. PL signalisiert mit Rekurs auf superiore gesprächsorganisatorische Beteiligungsrechte und durch die Verwendung der Wir-Form (ab Z. 8) eine Rückstufung der Relevanz des Beitrags von Al und die (Wieder-)Herstellung sozialer Distanz (vgl. den Abschnitt 5.2.9). 63 Ich fasse zusammen: Beteiligungsaufgaben und -rechte von Teilnehmern an Mitarbeiterbesprechungen sind ein Bereich innerhalb der Beziehung zwischen sozialen Identitäten. In diesem Bereich können zumindest die Gesprächsleitungsfunktionen als relative fixe Aspekte angesehen werden. Weitere Spezifizierungen der Beteiligungsaufgaben und -rechte sind in der Regel Gegenstand gemeinsamer Aushandlungsprozesse (vgl. Abschnitt 4.2.4 3). Aushandlungsprozesse in bezug auf Beteiligungsaufgaben finden v.a. zu Gesprächsbeginn statt. Beteiligungsrollenspezifika können aber auch zu Beginn neuer thematischer Abschnitte (Schank 1981) sowie in turbulenten Interaktionsphasen zu einem Gegenstand interaktiver Bearbeitung werden. Dies hängt z.B. davon ab, wie genau Initiativrechte oder interaktionsmusterspezifische Vorgaben festgelegt oder wie sie verändert worden sind. Die drei in diesem Abschnitt beschriebenen Spezifika der Beteiligungsrollen bilden gewissermaßen ein triadisches ‘Format’ der Beteiligungsrolle eines Teilnehmers in der Mitarbeiterbesprechung. Die Aspekte stehen miteinander in einem wechselseitigen Verhältnis und bedingen sich gegenseitig. Das Aktualisieren von Zuständigkeit ist beispielsweise mit der Etablierung von Beteiligungsaufgaben verknüpft, die Einlösung dieser Aufgaben kann wiederum an ein aktuelles und übergeordnetes Interaktionsmuster gebunden sein usw. In der Verteilung von Beteiligungsrechten für jeden der beschriebenen Aspekte spiegelt sich die soziale Über- und Untergeordnetheit von Teilnehmern an der Mitarbeiterbesprechung. Das Was, Wann, Wer und Wie bei der Produktion von Äußerungen ist durch asymmetrische, divergente Verteilungen von Rechten gekennzeichnet. 64 Asymmetrische Verhältnisse bestehen z.B. in der 63 Die für ein Interaktionsmuster geltende Rollenspezifik richtet sich nicht auf formale Mechanismen, z.B. die konditionelle Relevanz oder die Präferenzorganisation des Handelns (zum Überblick s. Bilmes 1988). Sequenzeigenschaften interaktiven Handelns i.e.S. bleiben unbeeinflußt, sofern sie nicht durch superiore gesprächsorganisatorische Beteiligungsrechte (Gesprächsleitung) außer Kraft gesetzt werden (vgl. hierzu Wiemann 1985, S. 97). Auch Kotthoff (1993) weist daraufhin, daß eine quantitative Analyse von ‘Interventionen’ im Tum-taking u.U. nicht ausreicht, um zu einer „globalen Ebene der Interpretation von Gesprächsstrategien“ zu gelangen (Kotthoff 1993, S. 162). 64 Zur ‘Asymmetrie’ gibt es eine Reihe von Beschreibungsversuchen: Henne und Rehbock (1982, S. 32) führen bspw. sozio-strukturell, anthropologisch, fachlich und gesprächsstrukturell bedingte Asymmetrien auf; Drew und Heritage (1992, S. 49) sprechen von 60 Reden ist Chefsache Distribution von Rechten bei der Gesprächsorganisation, im Stellenwert des individuellen Zuständigkeitsbereichs für die Gesamtorganisation des Unternehmens und in den Selektionsmöglichkeiten für Typ und Gestaltungsweise einer Aktivität an einer bestimmten Stelle im Interaktionsmuster. Bewertende Aktivitäten nehmen hinsichtlich dieser Selektionsmöglichkeiten außerdem eine Sonderrolle ein, weil sie ihrerseits besondere Bearbeitungsansprüche etablieren (vgl. Abschnitt 4.4). 3.1.7 Zusammenfassung: Aspekte der Beziehung Aus der Betrachtung der gezeigten wissenschaftlichen Ansätze, die die Beziehung unter Beteiligten an Gesprächen beschreiben, resultiert das folgende: Die Beziehung zwischen Interaktionspartnem ist ein wie kaum ein anderes Objekt wissenschaftlicher Gesprächsforschung komplexes Phänomen, dessen Bestandteile sich heuristisch voneinander trennen und in aspektualisierender Form untersuchen lassen. Die Beziehung ist ein Geflecht diverser inhärenter Faktoren, inhärent sowohl hinsichtlich faktischer Vorstrukturiertheit der Beziehung als auch makrostruktureller Gesprächskonstituenten, die eine Beziehung fordern, als auch situationsabhängiger Modifizierungen der Beziehung der sozialen Identitäten der Gesprächspartner. Schon die Beziehung unter zwei Partnern ist ein Geflecht; für das Gruppengespräch müßte von einem Gefüge von Geflechten gesprochen werden. Die Beziehung in der verbalen Interaktion ist ein Teil sozialgesellschaftlicher Formation durch verbale Interaktion. Umgekehrt bildet die Beziehung gesellschaftliche Wirklichkeit ab. Konstitutive Faktoren der Beziehung bestimmen durch ihre je graduelle Relevanz die Charakteristik des Faktorengeflechts. Bestimmte Erscheinungsformen des Faktorengeflechts sind von den Interaktionspartnern wiedererkennbar. Diese Erscheinungsformen haben den Rang typisierter Situationsraster oder mikrostruktureller Beziehungskristallisationen. Insbesondere an ‘Knotenpunkten’ von Gesprächen (z.B. Situationseröffnungen, Ritualeinleitungen, metakommunikativer ‘Textherstellung’ (Gülich und Kotschi 1987)) sind typisierte Beziehungskristallisationen bedeutsame Erscheinungen, durch die sich soziale Situationen im Kontext gesellschaftlicher Wirklichkeit sedimentieren und weiterentwickeln. ‘omnirelevanten’ Asymmetrien im institutionellen Gespräch; Beneke (1992, S. 219) schlägt einen Begriff der ‘gekreuzten’ Asymmetrie (Höflichkeit vs. Kompetenz) zur Beschreibung von fachsprachlichem Diskurs vor, usw. Interessant sind die Beobachtungen von Müllerovä (1987, S. 186), die eine klare Divergenz in der prosodischen Variablität von Aktivitäten einerseits Angestellter und andererseits Vorgesetzter konstatiert. (Vgl. auch die Sammelbände von Markovä und Foppa (Hg., 1990/ 91), darin insbesondere Drew (1990), Linell (1991) und Linell und Luckmann (1991).) Theoretische und methodische Voraussetzungen 61 Im sozio-strukturellen Kontext innerbetrieblicher Mitarbeiterbesprechungen sind m.E. zehn Faktoren an der Konstitution der Beziehung beteiligt. Diese zehn Faktoren lassen sich auf zwei übergeordnete Fragestellungen verteilen: 1) welche Rolle spielen bei der Beziehungskonstitution die fixen Parameter betrieblicher Organisationsprogramme und makrosozialer Strukturierung (Institution), 2) welche Faktoren bestimmen die Gegebenheiten des situativen Kontextes zusätzlich zu den bereits genannten (Situation)? Den zehn Aspekten der Beziehung entsprechen in einzelnen Wissenschaftszweigen jeweils eigene Gegenstandsbereiche (vgl. Schwitalla 1996, S. 344). 1. Institution - Die Stellenrelation der Interaktionspartner (Gliederungstiefen, Weisungsbefugnisse). - Die innerbetrieblichen Zuständigkeitsbereiche der Interaktionspartner (Verantwortungsspannen, Spezialisierungen, Abteilungszugehörigkeiten). - Statusmerkmale (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Arbeitserfahrung, Arbeitsleistung, Bekanntheitsgrad, Tätigkeit für den Betriebsrat u.a.). - Das Vorhandensein von Gesprächsleitungsfunktionen (Gesprächsleiter, Moderator). 2. Situation - Das Sprecher-Hörer-Verhältnis (Anrede- und Adressierungsformen, Hinweise auf den Sprecherstatus, Ausgrenzungen, Nebenkommunikation). - Die Organisation des Sprecherwechsels (Allokation, Selbstwahl, Interventionen). - Interaktionsmusterspezifische Beteiligungsaufgaben und -rechte (Konformität und Nicht-Konformität des sprachlichen Handelns in bezug auf explizierte oder habitualisierte Bearbeitungsweisen). - Das Verhältnis der Images der Beteiligten (Indizierung von Distanz vs. Nähe, Feindseligkeit vs. Freundlichkeit). - Kennzeichen der affektiven Beteiligung (emotionalisiertes Sprechen, phonetische und prosodische Signale für die Einstellungsqualität). - Situatives Machtverhältnis (durch Form und Gestalt von Aktivitäten angezeigte Steuerungs- und Kontrollabsichten). Die vorliegende Arbeit wird sich in ihrem empirischen Teil (Kapitel 4 bis 6) insbesondere mit dem letzten dieser Faktoren auseinandersetzen. Bei der weiteren Arbeit spreche ich hinsichtlich der gezeigten Beziehungsaspekte zusammenfassend von einer Beziehung unter sozialen Identitäten. 62 Reden ist Chefsache 3.2 Die ‘Normalform’ der Mitarbeiterbesprechung 3.2.1 Zweckbestimmtheit Die Theorie der Institution und die wirtschaftswissenschaftliche Organisationstheorie stimmen überein in der Annahme, daß Institutionen bzw. Organisationen zweckbestimmt seien. Das ‘Unternehmen’ wird mit Einschränkungen in beiden Wissenschaftszweigen als Beispiel für Institutionen bzw. Organisationen genannt. 65 Die Zweckorientiertheit solcher Einrichtungen prägt die Ausrichtung des Handelns ihrer Mitglieder auf bestimmte Ziele. Die Ziele der Einrichtungen selbst, die Arbeitsziele der Mitglieder und die Ziele der Kommunikation in den Einrichtungen stehen in mehr oder weniger unmittelbaren Zusammenhängen. Die Ziele der Mitarbeiterbesprechung sind z.B. mit allgemeinen Sach- und Repräsentationszielen des Unternehmens verknüpft, die tendenziell allen Mitarbeitern bekannt sind (z.B. die Gewährleistung hoher Produktqualität, Zeit- und Geldersparnis, Wahrung firmenrepräsentativer Interessen etc.). Angehörige des Unternehmens sind in einem gewissen Grad verpflichtet, diese Ziele mit Hilfe ihrer persönlichen Ressourcen zu verfolgen. Um das Erreichen von Arbeitszielen abzusichern, unterstützen kommunikative Vorgänge bestimmte Sektionen des Arbeitsprozesses. Kommunikative Vorgänge im Arbeitsprozeß können als Einheiten angesehen werden, die in der Regel größeren Arbeitsvorgängen unterzuordnen sind. Verbale Interaktionen, die in bezug auf bestimmte Gegenstände aus dem Arbeitsprozeß stattfinden, haben wie die Arbeitsvorgänge selbst eine Zielrichtung. Die Kommunikationsziele von Besprechungen, Konferenzen, Arbeitssitzungen u.ä. sind ‘Leitvorstellungen’ (Techtmeier 1983, S. 8) für das sprachliche Handeln der Interaktionspartner. Die Interaktanten richten ihre Beiträge zum Gespräch auf diese Leitvorstellungen hin aus. Sie orientieren sich dabei an bestimmten, im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Institution erlernten Interaktionsmustern. In der Institution (aber nicht nur dort) ist die Kenntnis dieser Muster „eine wichtige Voraussetzung für einen störungsfreien Ablauf der Kommunikation“ (Gülich 1981, S. 422; vgl. auch S. 443f). 65 Eine Abgrenzung der Begriffe ‘Institution’ und ‘Organisation’ kann hier nicht geleistet werden. Es ist aber auffällig, daß Unternehmen in der Institutionstheorie stiefmütterlich behandelt werden, mal als Institutionstypen neben Schule, Familie, Justiz etc. genannt werden und mal nicht. Nicht zuletzt liegt das daran, daß die unternehmerische Organisation eine relativ junge, etwa zweihundert Jahre alte Erscheinung ist und in der Begriffsgeschichte von ‘Institution’ praktisch keine Rolle spielt (vgl. Kieser und Kubicek 1992, S. 3, Ehlich und Rehbein 1994). Zu ‘utilitaristischen’ Organisationsformen bzw. der Zweckbestimmtheit der Kommunikation s. Kieser und Kubicek (1992, S. 4f. u. 12) und Ehlich und Rehbein (1980, S. 338; 1994, S. 291ff). Zum Standpunkt der Handlungstheorie der Sprache, die eine Zweckbestimmtheit als Grund für die Herausbildung gesellschaftlicher Kooperationsformen schlechthin ansieht, vgl. Rehbein (1977, S. 126f). Theoretische und methodische Voraussetzungen 63 Bestimmte Interaktionsmuster in der Unternehmenskommunikation können auch in der Alltagskommunikation Vorkommen (z.B. Problem- und Konfliktbearbeitungen). Im Unternehmen unterliegen sie zusätzlichen Implikationen bei ihrer Bearbeitung. 66 Ehlich und Rehbein (1980, S. 338) weisen daraufhin, daß die Zwecke der institutioneilen Kommunikation unterschiedliche ‘Formen sprachlichen Handelns’ ausbilden. Da spezifische Interaktionsmuster in engem Zusammenhang mit institutionsspezifischen Zielen stehen, müssen Phänomene, die von alltagsweltlicher Kommunikation abweichen, im institutionsspezifischen Kontext gesehen werden. Bei abweichenden Phänomenen könnte es sich z.B. um bestimmte Interaktionsstile und in institutionsspezifischer Weise überformte Evaluierungsstandards handeln. Als einer der primären Zwecke der Mitarbeiterkommunikation im allgemeinen und der Mitarbeiterbesprechung im speziellen kann der Informationstransfer aufgefaßt werden. Aus wissenssoziologischer Sicht stellt die Weitergabe von Wissen sogar eine wesentliche Voraussetzung für die Konstitution und den Erhalt der Institution dar (Berger und Luckmann 1991, S. 75f). Der ‘informative Zweck’ z.B. der Meistergespräche wird in folgendem Transkriptausschnitt aus der Sicht eines Meisters erkennbar. Im vorangegangenen Gesprächskontext war es um Gerüchte im Unternehmen gegangen, und der Werksleiter hatte gezeigt, daß ihm die Diskussion um die Gerüchte deutlich gegen den Strich ging. Der Meister M3 unternimmt hier eine einlenkende Initiative: (3.07) 1 M3 2 M3 3 M3 4 M3 5 M3 6 M3 7 WL 8 M3 meister-1/ 24 herr Mayer der informationsstand der hot jo eigentlich noch nie so richtig gestiinmt\ * unn deswege haben sie" auch wahrscheins * des hier angfange\ * friher war immer der' die rede/ * mir habben=s vun de butzfra: erfahre\ unn do war immer was dra man hot nie was richtiges erfahre\ p unn jetzt si=mer jo do beisamme/ L herr Tannen* unn do kä=mer=s besprecheX 66 Hiervon sind bspw. Interaktionsmuster, Interaktionsmodalitäten, die Verteilung von thematischen Steuerungsrechten und natürlich auch schon die Themenauswahl betroffen. So flicht bspw. der Werksleiter im Gespräch ‘Meister-1’ des öfteren Anekdoten aus dem Unternehmen ein, die geradezu parabelartig eine von ihm intendierte Kritik unterstützen, weil er sie hinterher zu seinen Gunsten auslegt. Interessant ist, daß diese Anekdoten zwar menschliche Schwächen, aber keine organisatorischen Fehler beschreiben. Geschichten wie die vom Tankwagenfahrer, der mit 20 Tonnen eines teuren, weil in der Herstellung aufwendigen Schmieröls eine weite Strecke ins Ausland fuhr, um an seinem Zielort zu erfahren, daß man nur 20 Kilo bestellt hatte, erzählt der Werksleiter nicht. Solcherlei Informationen werden (auch in meinem Fall) auf informellen Wegen verbreitet. 64 Reden ist Chefsache Der Meister sieht den Zweck der Meistergespräche offensichtlich in einem Ausgleich eines Informationsgefälles. Zumindest mutmaßt er, daß hierin die Gründe für die Einführung der Meistergespräche durch den Werksleiter (d.i. Herr Mayer, vgl. Z. 1) zu finden sind: der informationsstand der hot jo eigentlich noch nie so richtig gestimmt * unn deswege haben sie" auch wahrscheins * des hier angfange\ (Z. 1-3). Weiterhin stellt er dem informellen, tendenziell hinsichtlich der Informationsqualität problematischen Kommunikationsweg (mir habben=s vun de butzfra: erfahret Z. 4-5) den formellen (unn do kä=mer=s bespreche\, Z. 8) als Alternative gegenüber. Das Beispiel soll illustrieren, daß der Wissenstransfer, der hier sozusagen als Abgleich des ‘Informationsstands’ thematisiert wird, eine reziprok anerkannte Handlungsgrundlage darstellt. Auf diese Grundlage kann jeder Teilnehmer explizit rekurrieren, um das eigene Handeln vor dem Hintergrund der Zweckbestimmtheit zu legitimieren. Handlungsweisen etwa der Form „ich wollte Ihnen das doch nur sagen, damit Sie auf dem Stand der Dinge sind“ sind typische Verfahren, um weitgreifenden Problematisierungen auszuweichen. Neben der Informationsweitergabe kann als ein weiterer, allgemein beschreibbarer Zweck der Mitarbeiterbesprechung die interaktive Bearbeitung von Problemen genannt werden. Es handelt sich hierbei charakteristischerweise um praktische (z.B. technische) Probleme, die den Routine-Arbeitsprozeß behindern oder die in planerischen Prozessen auftreten. Die Art und Weise der interaktiven Gestaltung von Problembearbeitungsdiskursen hängt mit habitualisierten Gesprächsstilen im Unternehmen oder in der Gruppe, mit einem wie auch immer formalisierten Führungsstil oder mit der präferierten Beteiligungsweise des Gesprächsleiters zusammen. Kooperative Lösungsfmdungen können beispielsweise bei einem partizipationsorientiert agierenden Vorgesetzten die Regel sein; sie können jedoch bei einem autoritären Führungsstil durch Lösungsdiktate gänzlich ersetzt werden. Eine gewisse Brisanz erlangen Probleme immer dann, wenn der Sprecher im Rahmen der Problem-Stellung (Nothdurft 1984) die Schuldfrage aufwirft und einen der Interaktionspartner aufgrund seines Aufgabenbereichs zur Verantwortung zieht. Problembearbeitungen spitzen sich in solchen Fällen häufig zu interpersonalen Konflikten zu. 67 ‘Lösungsfindung’ als Ziel einer Problembearbeitung soll nicht mit ‘Entscheidungsfindung’ verwechselt werden. Entscheidungen in betriebsorganisatorischen Fragen (z.B. Personalabbau, Standorterhaltung, Umstrukturierung des Organisationsprogramms, Investitionen usw.; vgl. Kieser und Kubicek 1992, 67 Der Terminus ‘interpersonal’ bzw. ‘interpersonale Beziehung’ (interpersonal relationship) wird i.d.R. für eine Beziehung zwischen zwei Individuen, in Abgrenzung von einer Beziehungsstruktur in Gruppen (innergroup relations) gebraucht. Diese Verwendungsweise liegt den meisten sozialpsychologischen Arbeiten zur Interaktionsbeziehung zugrunde (z.B. Knapp und Miller, Hg., 1985; Cappella 1987). Theoretische und methodische Voraussetzungen 65 S. 83) werden in der Mitarbeiterbesprechung nicht gefällt. Entsprechend kommen Abstimmungen o.ä., die einen Prozeß demokratischer Entscheidungsfindung abschließen, hier nicht vor (im Betriebsratsgespräch sind sie hingegen die Regel). Die unternehmenspolitische Formalisierung des Anspruchs ‘Beteiligung an Entscheidungen’ an die Mitarbeiterkommunikation schätzt der Organisationstheoretiker A. Kieser gar als „Bestreben des Managements nach Herrschaftssicherung“ (Kieser 1993c, S. 182) ein. In einem solchen Fall diene die Mitarbeiterbesprechung „nicht dazu, die Mitarbeiter an wichtigen Entscheidungen zu beteiligen, sondern ihrem Vorgesetzten Informationen zu verschaffen“ (ebd.). 68 Bei der Analyse der Gespräche im Korpus werde ich den Informationsaustausch und die Bearbeitung von Problemen im Arbeitsprozeß als primäre Ziele eingehender untersuchen. Weitere Zwecke der Mitarbeiterkommunikation, wie sie in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur genannt werden, können nur z.T. berücksichtigt werden. Man muß sich vor Augen halten, daß Mitarbeiterbesprechungen nur ein kleiner Teil der Face-to-face-Interaktionen sind, die in Unternehmen stattfinden, und weiter ein noch kleinerer Teil eines umfangreichen verbalen, schriftlichen oder gar automatisierten kommunikativen Netzwerks, das in Unternehmen existiert. In einer wirtschaftswissenschaftlichen Studie unterscheidet Bruhn (1992, S. 6) bei der innerbetrieblichen Kommunikation (Mitarbeiterkommunikation) drei prinzipiell mögliche Kommunikations-Flußrichtungen: aufwärts-, seitwärts- und abwärtsgerichtete Kommunikation. Die Mitarbeiterbesprechung wird der letzteren Sparte zugeordnet. Sie ist dadurch von seitwärtsgerichteten Kommunikationsformen, also etwa Verhandlungen, Konferenzen, Produktausschußsitzungen und anderen Gesprächstypen abzugrenzen, in denen tendenziell symmetrische Beteiligungsbedingungen für alle Teilnehmer bestehen. 69 Auch das im Korpus vorliegende Gespräch ‘Betriebsrat’ ist in dieser Hinsicht keine Mitarbeiterbesprechung. Zu den Zielen der Mitarbeiterkommunikation sagt Bruhn: 68 Kieser sagt dies im Rahmen einer scharfen Kritik am ‘Harzburger Modell’, einem in den 50er bis 70er Jahren außerordentlich erfolgreichen Management-System, das auch als ‘Führung im Mitarbeiterverhältnis’ bezeichnet wird, auf strikten Delegationsverhältnissen beruht, gleichzeitig aber die Einrichtung kommunikativer Schnittstellen bei außerplanmäßigen Problemen vorsieht: „Die betrieblichen Entscheidungen werden nicht mehr allein von einem oder wenigen Männern an der Spitze der Unternehmung getroffen, sondern jeweils von den Mitarbeitern auf den Ebenen, zu denen sie ihrem Wesen nach gehören“ (Höhn 1971, der Begründer des ‘Harzburger Modells’, zit. n. Kieser 1993a, S. 91f). 69 Weitere Untertypen der seitswärtsgerichteten Kommunikation sind bspw. Innovationsworkshops, Profit-Center oder Sitzungen von Qualitätszirkeln, Produktkomitees und Venture-Teams (Kieser und Kubicek 1992, S. 398ff.). Auch die von Lenz (1989) und Marquard (1994) beschriebenen Technical Meetings sind i.w.S. hierzu zu zählen. Zur Unterscheidung der Kommunikations-Flußrichtungen vgl. Haberkom (1981, S. 80), Prokop (1989) sowie Brünner (1978, S. 235ffi). 66 Reden ist Chefsache So wird das Management im Rahmen der Mitarbeiterkommunikation (interne Kommunikation) durch Informationen und Dialogangebote versuchen, die Untemehmensstrategie in der täglichen Arbeit umzusetzen. Das Management wird dafür sorgen, daß die Mitarbeiter die verschiedenen Elemente der Untemehmensstrategie aufgreifen (Sachaufgabe) und in Art, Intensität und Wirkung ihre eigene Kommunikation einheitlich und zielentsprechend darauf ausrichten (Kommunikationsaufgabe). (Bruhn 1992, S. 3) Das Zitat soll exemplarisch zeigen, welchen Stellenwert die Mitarbeiterkommunikation in den Wirtschaftswissenschaften innehat. Innerbetriebliche Kommunikationsformen werden als strategische Instrumente der Führung angesehen. Ihre Ziele sind unternehmenspolitisch konzipiert und durchdacht. Wie allerdings das Management konkret und v.a. verbal „dafür sorgen“ soll, daß die Mitarbeiter „Elemente aufgreifen“ und ihre „Kommunikation ausrichten“, wird nur selten im Detail beschrieben. Die wirtschaftswissenschaftliche und die betriebssoziologische Literatur nennen in der Regel zwar vorstellbare, aber empirisch kaum überprüfte Situationen. Werden Formen verbaler Interaktion beschrieben, handelt es sich um nicht-authentisches oder um ein für eine Gesprächsanalyse zu unzureichend dokumentiertes Beispielmaterial. 70 Insgesamt findet sich in den Wirtschaftswissenschaften eine weit ältere Tradition in der präskriptiven Erstellung von Regelapparaten für die Mitarbeiterkommunikation als in deren deskriptiver Analyse. 71 70 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler greifen bei ihren Untersuchungen im Unternehmen eher auf Interviews als auf Gesprächsaufzeichnungen zurück. Eine Sonderstellung nehmen die Untersuchungen sog. ‘Mitarbeitergespräche’ (Konfliktlösungsgespräche) ein. Vgl. hierzu z.B. die betriebssoziologischen Arbeiten von Haberkom (1981, Kap. 19) und Neuberger (1973, 1987) und die populärwissenschaftlichen von Crisand und Kiepe (1991) sowie Kempe und Kramer (1991). Eine detaillierte Beispielanalyse zur Kommunikation in Konzernen (Bertelsmann AG) aus betriebssoziologischer Sicht bietet Witzer (1992). Die Verwendung von Transkripten ist selten, aber: Anderson et al. (1987) analysieren eine geschäftliche Verhandlung, die Betriebssoziologin Borzeix (1990) betrachtet französische Mitarbeiterbesprechungen im Hinblick auf rhetorische Verfahren. 71 Die ersten Regeln zur Mitarbeiterkommunikation stammen aus der Zeit des Pyramidenbaus. Sie können gleichzeitig als Ursprünge von Handlungsanweisungen in bürokratischen Systemen und von Management-Leitfaden gesehen werden. Das folgende Zitat stammt aus den Papyrusrollen des Ptah-hotep (ca. 2700 v.Chr.), eines Wesirs des Königs Issi, der die für über ein Jahrtausend an Schulen gelehrte Regel ausgab: „Solltest Du einer von denen sein, an den Petitionen herangetragen werden, so höre Dir in Ruhe an, was der Antragsteller zu sagen hat. Weise ihn nicht zurück, bevor er sich enthüllen konnte und bevor er gesagt hat, weswegen er gekommen ist. [...] Es ist nicht notwendig, daß alle seine Bitten gewährt werden, aber gutes Zuhören ist Balsam für das Herz.“ (George 1972, S. 6, zit. n. Kieser 1993a, S. 63). A. Kieser stellt fest, daß sich in „modernen Texten zur Personalführung [...] ähnliche Formulierungen“ finden lassen (ebd.). Leider gibt es darunter auch sehr fragwürdige Texte, die mit mehreren Auflagen erschienen sind; vgl. etwa: „Rückfragen [in Mitarbeiterbesprechungen] sind erwünscht, um Irrtümer auszuschließen. Jede Diskussion jedoch sollte vermieden werden. Darum sind Dienstbesprechungen oft kurz und einem militärischen Appell vergleichbar“ (Kempe und Kramer 1991, S. 48). Theoretische und methodische Voraussetzungen 67 Gesprächsanalytische oder textlinguistische Ansätze sind von den Wirtschaftswie von deren Bezugswissenschaften kaum rezipiert worden. 72 In der neueren Organisationstheorie wird allenfalls auf‘interpretative Ansätze’, darunter auch auf die ethnomethodologische Konversationsanalyse verwiesen, gleichzeitig aber die Verwendbarkeit des analytischen Gewinns für Organisationstheorien bezweifelt (Wollnik 1993, S. 285f, 295; Osterloh 1993, insbes. Abschnitt 3.1.3). An empirischer Gesprächsforschung herrscht in den Wirtschaftswissenschaften ein m.E. eklatanter Mangel, 73 was natürlich nicht zuletzt daran liegt, daß der Unternehmer einer Aufzeichnung von Gesprächen außerordentlich skeptisch gegenübersteht. 74 3.2.2 Handlungszwänge und die Normalform der ‘kontrollierten’ Kommunikation In der Sozialpsychologie spricht man neben der Verwendung der weiter oben bereits betrachteten Termini ‘Macht’ und ‘Dominanz’ auch von ‘interpersonaler Kontrolle’. Der Kontroll-Begriff bezieht sich hier auf Individuen, 72 Schon die zugrundeliegenden Kommunikationsmodelle sind oft sehr einfach gehalten. Einige greifen das triadische Funktionsmodell von Bühler (Organon-Modell) in der Weiterentwicklung von Schulz von Thun (1981) auf (Neuberger 1987: TALK-Modell; Wahren 1987). Einzelne Untersuchungen zu Innovationsprozessen legen frühe Arbeiten der Sprechakttheorie zugrunde (z.B. Ford und Ford 1995). Komplexere Ansätze bieten die Transaktionsanalyse (vgl. hierzu Bremerich-Vos 1992) und die empirische Mitbestimmungsforschung (Borzeix 1990, s. auch Osterloh 1993). Bisweilen wird das sprachliche Flandeln von Angestellten in rigoroser Manier auf die Freudschen 'Abwehr-Mechanismen’ reduziert (Kempe und Kramer 1991). Insgesamt läßt sich angesichts dieser Vielfalt sagen, daß in den Wirtschaftswissenschaften ein eigenständiges Forschungsgebiet zur Kommunikation fehlt. Erst in letzter Zeit entsteht ein Bereich ‘Sozial- und Kulturwissenschaften’ an Fachhochschulen, der auf lange Sicht den kommunikationswissenschaftlichen Bedarf abzudecken imstande sein könnte. 73 Vgl. aber die Arbeiten des Organisationspsychologen Oswald Neuberger (u.a. 1973, 1987), in denen Problemlösungsprozesse, Konfliktgespräche sowie rhetorische Formen des verbalen Austauschs beschrieben werden (z.B. Neuberger 1987, S. 15). Neuberger ist einer der in der Wirtschaftswissenschaft am meisten rezipierten Autoren, die sich mit der Mitarbeiterkommunikation auseinandergesetzt haben. Als Zwecke der Mitarbeiterkommunikation nennt er beispielsweise den sozialen Kontakt, die untemehmensstrategische Lenkung und die Motivation. Interessanterweise kommt Neuberger bei der Analyse von Problemlösungsstrukturen zu ähnlichen Ergebnissen wie einige Diskursforscher (Neuberger 1987). Er stellt weiterhin fest, daß zwischen Tnteraktionsmuster’ und ‘Motivation’ Zusammenhänge existieren. Unvollständige oder unkooperative Abarbeitungen eines Interaktionsmusters ‘Problemlösung’ würden sich negativ auf den motivationalen Zielaspekt der Mitarbeiterbesprechung auswirken können, indem sie eine ‘Mitbestimmung’ in eine ‘Mitarbeiter-Beurteilung’ verwandeln (Neuberger 1987, S. 15). 74 Nichtsdestotrotz war die Wirtschaftskommunikaüon Gegenstand einiger Arbeiten in der germanistischen Linguistik (s. Einleitung). Insbesondere die Arbeiten von Brunner (1987) bzw. Brünner und Fiehler (1983, 1984) zur mündlichen Kommunikation in Ausbildungsbetrieben sind als dezidierte Beschäftigungen mit dem Gegenstand zu empfehlen. Nur exemplarisch für die Analyse schriftlicher Texte in Unternehmen können hier Mattheier (1986) und Häcki Buhofer (1985) genannt werden. 68 Reden ist Chefsache die sich in Relation zu anderen Handelnden (nicht nur) in institutioneller Kommunikation durchzusetzen versuchen. 75 Wiemann (1985) zufolge gehen interaktive, interpersonale Beziehungsdefinitionen sogar größtenteils auf eine gegenseitige Kontrolle zurück (Wiemann 1985, S. 97). Interpersonale Kontrolle werde durch eine Anwendung von durch Sprache möglichen ‘Zwängen’ (constraints) ausgeübt. Der Autor zeigt, daß es zwischen unterschiedlichen Gesprächsformen Parallelen im Hinblick darauf gibt, wie Gesprächsteilnehmer die Beteiligungsmöglichkeiten des anderen kontrollieren. Als Beispiele dafür, wie man Zwänge ausübt, nennt er die Ausnutzung struktureller Prinzipien des Tum-taking und den Rückgriff auf die metakommunikative ‘Kommandoebene’ (‘command level’, Watzlawick et al. 1967). Auch in der Konversationsanalyse wurden sequentielle Verknüpfungen von Aktivitäten bereits früh unter dem Gesichtspunkt gegenseitiger Kontrolle gesehen. Allerdings stehen hier keine subjektiven Dominanzansprüche des Redenden, sondern die Abfolgebedingungen für das konversationeile Handeln im Betrachtungsvordergrund. Zu den Beschreibungen einer ‘Obligation’, was die Gestaltung von Folgeäußerungen betrifft, gehört etwa eine der Arbeiten von G. Jefferson (1972). Die Obligation wird als ‘structural provision’ bezeichnet, als eine durch konventionalisierte Abfolgeregeln entstehende Einschränkung der alternativen Möglichkeiten des Agierens, die durch ‘participants’ work’ (Selektion) eingelöst wird (Jefferson 1972, S. 315). Kallmeyer und Schütze (1976) sagen hierzu: Diese Konventionen gestatten es den Beteiligten, die Aktivität des Partners bis zu einem gewissen Grade zu kontrollieren, d.h. aufgrund von strukturellen Zwängen sein Verhalten zu steuern. [...] Die Beteiligten setzen durch ihre Äußerungen jeweils bestimmte Strukturen „in Kraft“, die für die Reaktion des Partners wie unter Umständen für die eigene weitere Gesprächsbeteiligung bestimmte Obligationen beinhalten. [...] Im Sinne dieser Art von Konversationsanalyse ist Koordination also als partielle gegenseitige Kontrolle zu erklären. (Kallmeyer und Schütze 1976, S. 14) Die strukturellen Zwänge, von denen hier gesprochen wird, beziehen sich im wesentlichen in der Tradition der Konversationsanalyse der frühen 70er Jahre auf diverse Formen konditioneller Relevanz in alltagsweltlicher Kommunikation (im Beispiel Jeffersons handelt es sich z.B. um eine Verabschiedungs-Paarsequenz). Kallmeyer und Schütze weisen weiter darauf hin, daß Handlungsobligationen mehr als nur mikrosequentielle Zusammenhänge steuern können; sie führen hierzu den Begriff des ‘Handlungsschemas’ ein, als einer gemeinsam von allen Beteiligten hergestellten, übergeordneten Handlungsorientierung. 75 Zum Überblick über den sozialpsychologischen Ansatz zu ‘Kontrolle’ vgl. Berger (1985), Cappella (1985, 1987) sowie Wiemann (1985): „[...] control is the constellation of constraints people place on one another by the manipulation of both interactional structure and content, which limit the options appropriately available subsequently to each relational partner and the relational system as a whole“ (Wiemann 1985, S. 86). Theoretische und methodische Voraussetzungen 69 Eine ganz andere Form von Handlungsobligation, die insbesondere für institutioneile Kontexte beschrieben worden ist, sind übergeordnete und aus der Charakteristik der Institution resultierende Zwänge: „it has been shown that the participants shape their conduct by reference to powerful and legally enforceable constraints“ (Drew und Heritage 1992, S. 23). Die Verwendung des Begriffs ‘Zwang’ bezieht sich hier auf eine andere Ebene des interaktiven Prozesses als bei Kallmeyer und Schütze. Bei Drew und Heritage steht die Teilnehmerorientierung an Rahmenbedingungen des Gesprächs im Vordergrund, also sozusagen an den dem participants’ work zugrundeliegenden Wissens- und Handlungsgrundlagen in der Institution. Solche Handlungsgrundlagen können im Hintergrund des Geschehens bleiben und nicht sichtbar sein; sie können aber auch aktualisiert werden, um die Zweckgerichtetheit des Gesprächs zu sichern (vgl. u.). Die Herstellung und Einlösung von Handlungszwängen sind von institutioneilen Handlungsgrundlagen immer auch beeinflußt. Die bis hier genannten Verwendungen des Begriffs ‘Zwang’ schließen sich gegenseitig nicht aus. Das Fazit ist vielmehr, daß Handlungsverpflichtungen und ‘Kontrolle’ auf unterschiedlichen Ebenen der Gesprächskonstitution wirksam sein können (vgl. Kallmeyer 1978). Bei den genannten Formen der Handlungsverpflichtung können beispielsweise auch Verhältnisse der Sympathie und Antipathie oder der Nähe und der Distanz bei allen Formen des Auftretens von Handlungszwängen eine Rolle spielen. Kontrollmechanismen interferieren im Zusammenhang sequentieller Gegebenheiten (wie ein etabliertes Interaktionsmuster), übergreifender Handlungsbedingungen (wie die Zweckorientiertheit) und der Beziehung unter sozialen Identitäten (etwa die Balance gegenseitiger Höflichkeit). Bei der Gesprächskonstitution kommen interferierende Kontrollmechanismen auf diversen Ebenen zum Tragen. Als ‘Wirkungsebenen’ interaktioneller Kontrolle könnte man mit Kallmeyer und Schütze (1976) vier Ebenen nennen (Organisation des Sprecherwechsels, Bedeutungsebene, Handlungsebene, Beziehungsebene, S.U.). Im institutioneilen Gesprächskontext kommt m.E. eine weitere Wirkungsebene hinzu, eine ‘Institutionsebene’. Auf dieser Ebene ordne ich ein, was ich bereits mehrmals als ‘elementare’ Handlungsgrundlagen bezeichnet habe. Die Institutionsebene beinhaltet vom interaktioneilen Prozeß im Kern unabhängige Handlungsverpflichtungen, die aber durch sprachliches Handeln mit für das Gespräch z.T. radikalen Konsequenzen in Kraft gesetzt oder indiziert werden können. Hierzu gehören für die Mitarbeiterbesprechungen etwa die hierarchische Konstellation, zeitlich-räumliche Rahmenbedingungen, die Gesprächsleitungsfünktionen, der pragmatische Zweck der Gespräche usw. Zu den elementaren Voraussetzungen gehören weiterhin Wissensbestände, deren Geltungswert nicht in Frage zu stehen scheint (wie etwa gesetzliche Fristen, feststehende Termine oder globale Unternehmensziele). Elementare 70 Reden ist Chefsache Voraussetzungen werden, um an Beteiligungsbedingungen zu ‘erinnern’ oder solche überhaupt erst relevant zu setzen, indiziert oder explizit thematisiert. Der Gesprächsleiter kann beispielsweise durch eine einfache Formel wie „machen wir jetzt hier Schluß“ eine Diskussion wegen Zeitknappheit abkürzen und den Bearbeitungsbedarf eines Problems u.U. vollständig ausblenden. Gegen Themenabbrüche dieser Form wird in dem mir vorliegenden Korpus nur an zwei oder drei Stellen protestiert. Ich werte solche Aktivitäten als Manifestationen von Kontrolle auf der Institutionsebene der Interaktion. Insgesamt ergeben sich als Wirkungsebenen von Kontrolle (mit Beispielen): - Kontrolle beim Sprecherwechsel (nicht zu Wort kommen lassen, dazwischenreden), - Kontrolle auf der Bedeutungsebene (das Wort im Mund herumdrehen, bewußt falsch interpretieren), - Kontrolle auf der Handlungsebene (durch Fragen kontinuierlich zum Re- Agieren zwingen, ein Problem verlagern), - Kontrolle auf der Beziehungsebene (keine Entschuldigungen akzeptieren, die kalte Schulter zeigen) und - Kontrolle auf der Institutionsebene (mit Superioren Beteiligungsrechten die Interaktion blockieren). Die Funktionen kontrollierender Aktivitäten können sich überschneiden, oder sie lassen sich weiter differenzieren, als es das grobe Raster der Ordnungsebenen erlaubt. Auf der Bedeutungsebene findet z.B. statt, was bisweilen als der Prozeß ‘thematischer Entfaltung’ bezeichnet wird. Die Steuerung des Gesprächs durch themenkonstitutive, -verlagernde, -verschiebende etc. Beiträge (topic control oder steering 76 ) stellt in der Mitarbeiterbesprechung eine der am häufigsten verwendeten und auch auffälligsten Ressourcen für Manipulationen dar (vgl. Kap. 4). Weiterhin spielt der bedeutungskonstitutive Aspekt von Aktivitäten praktisch immer auch eine begleitende Rolle auf der handlungsbzw. beziehungskonstitutiven Ebene, z.B. bei der Problembearbeitung bzw. dem Sich-lustig-Machen über die partnerseitige Einstellung. Das ‘Geschehen’ auf der bedeutungskonstitutiven Ebene muß meistens im Kontext mit oder als funktionale Parallele zu anderen Phänomenen gesehen werden. Ich möchte sowohl die Etablierungen als auch die je situativen Einlösungen von Handlungszwängen auf allen Ebenen der Interaktion zusammenfassend als Manifestationen ‘kontrollierter Kommunikation’ in institutioneilen Gesprächen bezeichnen (vgl. hierzu Müllerovä 1987, S. 177f). Gegenseitige Kontrolle kann mit einem Cicourelschen Terminus als ‘Normalform’ der Kommunikation in der zweckorientierten institutioneilen Interaktion angesehen werden. 76 Vgl. hierzu Erickson und Rittenberg (1987), Erickson und Shultz (1982), Palmer (1989), Drew und Heritage (1992, S. 49) usw. Theoretische und methodische Voraussetzungen 71 Mit einer Normalform der Kommunikation ist gemeint, daß alle Teilnehmer auf eine zur Verfügung stehende Verfahrensgrundlage zurückgreifen, die sie als störungsfreien oder regulären interaktiven Umgang in der Mitarbeiterbesprechung empfinden und wiedererkennen. 77 Diese Normalform wird in der Mitarbeiterbesprechung mit der Fokussierung des ersten Themas oder Bearbeitungsgegenstands etabliert und bis zum Ende der Besprechung aufrechterhalten. Kontrollierte Kommunikation bedeutet u.a., daß die Teilnehmer an der Mitarbeiterbesprechung sich gegenseitig dahingehend überwachen, ob mit der laufenden Interaktion institutionelle Ziele oder zweckorientiertes Kommunizieren sichergestellt sind. 78 Weiter können sie, um ihre eigene Problemsichtweise durchzusetzen, bestimmte Verfahren der Legitimierung einsetzen, deren gemutmaßten Erfolg sie einzuschätzen wissen. 79 Kontrollierte Kommunikation heißt auch, daß man, wenn alles ‘glatt geht’, nichts unternimmt, um korrigierend in den Verlauf der Kommunikation einzugreifen. Das Konzept der kontrollierten Kommunikation basiert auf Reziprozität. Auch wenn sich sprachliche Ausgestaltungen gegenseitiger Kontrolle sehr unterschiedlich manifestieren werden, steht kontrollierte Kommunikation als Verfahrensgrundlage doch allen Teilnehmern gleichermaßen zur Verfügung. Gegenseitige Kontrolle stellt fiir Gespräche im arbeitsweltlichen Setting ein mindestens ebenso auffälliges typologisches Kriterium dar wie die ‘direktive Handlungsdimension’ im Gespräch, die Henne und Rehbock (1982, S. 32ff.) nennen. Der Begriff der ‘kontrollierten Kommunikation’ ist der direktiven Handlungsdimension übergeordnet, weil er auch als sequentielle und nicht allein illokutionäre Größe verstanden werden kann. Ich vermeide den Begriff der ‘Direktive’, weil er eng an die sprechakttypologische Tradition angelehnt ist und die interaktive Dimension des Gesprächs tendenziell ausblendet (Dittmann 1979, S. 199ff.). Die Normalform kontrollierter Kommunikation ist ein Konzept, das sich bei einer Vielzahl (nicht nur) institutioneller Gesprächsformen identifizieren und anwenden läßt. 77 Zum Begriff der ‘Normalform’ vgl. Kallmeyer und Schmitt (1996, Kap. 3). Die Autoren zeigen, daß in der Rezeption des ursprünglich von Cicourel stammenden Begriffs ein Normalformkonzept entwickelt wurde, das „nun nicht mehr als Strukturelemente des Alltagswissens, sondern als institutionsspezifisches Sonderwissen“ verstanden wird (Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 32, Anm. 12). 78 Aus dieser Sicht sind alle Teilnehmer gleichermaßen an einem Kontroll-Prozeß beteiligt, der den unternehmerischen Stellenwert des Gesprächs kontinuierlich redefmiert. Man gerät hier in die Nähe des betriebssoziologischen Begriffsverständnisses, das ‘Kontrolle’ tendenziell mit Überprüfungs- und Vergleichsverfahren von Soll-Ist-Zuständen bei Arbeitshandlungen in konkreten praktischen Zusammenhängen gleichsetzt (vgl. hierzu Brunner 1978, S. 226-234). 79 Als Beispiele für legitimierende Verfahren wurden bereits explizite Verweise auf den Zweck des Gesprächs und Entschuldigungen, die die Verantwortung für einen Kritikpunkt verlagern, genannt. Auf Legitimierungsverfahren komme ich v.a. im Zusammenhang mit der Relevantsetzung von Fokussierungen in thematischen Initiativen (Abschnitt 4.2.2) zurück. 72 Reden ist Chefsache 3.2.3 Kallmeyer und Schmitt: ‘Forcieren’ Kallmeyer und Schmitt stellen mit „Forcieren oder: Die verschärfte Gangart“ (1996) einen Ansatz vor, der dem Verständnis von Kontrolle als einer Form der Kooperation verwandt ist. Ihr Konzept des Forcierens knüpft an Arbeiten zu einer Rhetorik des Gesprächs an (Bausch und Grosse, Hg., 1985). Forcieren wird zum einen beschrieben als ein interaktionsrelevanter Aspekt von Aktivitäten bzw. als Interaktionsmodalität, die „durch Verstöße gegen bestimmte Gemeinsamkeiten der Ziele geprägt ist“ (Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 27). Forcieren besteht darin. Rechte zu beanspruchen, die der eigenen Beteiligungsrolle nicht zustehen, z.B. indem man sich Vorteile bei der Verteilung der Redegelegenheiten, bei der Bewertung von Sichtweisen oder in der Imagebalance verschafft. Forcieren wird zum anderen verstanden als „rhetorische Verfahren, mit denen die Gesprächsbeteiligten spezifische Kooperationsformen realisieren“ (S. 25), die in bestimmten Gesprächsarten oder -phasen (z.B. in Diskussionen, politischen Interviews) zu den gemeinhin gepflogenen Formen gesellschaftlichen Umgangs gezählt werden kann. Gerade an hitzigen oder zur Aggression tendierenden Stellen im Gespräch kann Forcieren, also bestimmte Formen, den Interaktionspartner zu bedrängen, Handlungsanforderungen auszuweichen oder solche zu erzwingen etc., „im Rahmen der etablierten Normalform liegen“ (S. 33). Die Autoren weisen daraufhin, daß bei einer Analyse forcierenden Verhaltens Normalformerwartungen sowohl gesprächstypspezifisch als auch situativ verstanden werden müssen. Die Beteiligungsrechte einzelner Teilnehmer und die Modalitäten des Umgangs können sich im Verlauf von Gesprächen modifizieren. Die Identifizierung forcierender Aktivitäten hängt unmittelbar vom jeweils gegebenen situativen Kontext ab: Forcierende Züge verfügen in vielen Fällen über mehr oder weniger deutliche formale Struktureigenschaften, z.B. Überlappungen bei Unterbrechungen eines etablierten Sprechers oder längere Simultanpassagen beim Kampf ums Wort, oft mit einer Steigerung des Ausdruckverhaltens verbunden (größerer Nachdruck, Lauter-Werden usw.). [...] Manchmal werden z.B. schon kleinste Unterbrechungen als forcierend und damit als behandlungsbedürftig wahrgenommen, und manchmal werden sogar harte Unterbrechungen akzeptiert und nicht als Forcieren behandelt. (S. 33f.) Außer auf der formalen, gesprächsorganisatorischen Ebene kann eine forcierende Beteiligung auch auf allen weiteren interaktionskonstitutiven Ebenen auftreten. Die Wirkrichtung von Forcieren wird von den Autoren bezüglich der im vorigen Abschnitt genannten Ordnungsebenen der Gesprächskonstitution nach Kallmeyer und Schütze (1976) beschrieben. Allerdings unterscheiden Kallmeyer und Schmitt zusätzlich zwischen einer Bedeutungs- und einer Sachverhaltsebene. 80 Als zweite Dimension einer Kreuzklassifikation, die die 80 Forcierende Verfahren auf der Bedeutungsebene bestehen z.B. darin, dem Partner aufgnind seiner Äußerung bestimmte, scheinbar mitgemeinte Implikationen zu unterstellen. Theoretische und methodische Voraussetzungen 73 Beschreibung einzelner sprachlicher Realisierungen des Forcierens ermöglicht, wird die Bestimmungsrichtung der Aktivitäten in Selbst- und Fremdbestimmtheit differenziert. Daraus ergeben sich zehn Klassen von Verfahren des Forcierens, die ein umfangreiches Inventar zur Untersuchung asymmetrischer Gespräche bieten: Die lokale, partielle Unkooperativität des Forcierens stellt jeweils eine gesteigerte Asymmetrie in den Rechten der Selbst- und Fremdbestimmung her. (Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 31) Zwischen ‘Forcieren’ als einer situativ oder phasenweise etablierten Kooperationsform oder einer zur Normalform des Kommunizierens relativen Dimension und ‘Kontrolle’ als der Normalform im innerbetrieblichen Gespräch gibt es von der Konzeption her Überschneidungen. Allerdings ist die Kommunikation im Unternehmen von elementaren Handlungsgrundlagen (Hierarchie, Unternehmensziele etc.) stark geprägt. In der Mitarbeiterbesprechung ist es gewissermaßen nur im Rahmen kontrollierter Interaktion möglich, daß ein einseitiges oder gegenseitiges Forcieren phasenweise zur dominierenden Interaktionsmodalität wird. Auch Phasen des gegenseitigen Forcierens sind den institutioneilen Handlungsbedingungen als einer übergeordneten Instanz unterworfen. Forcieren ist ein möglicher Bestandteil des als normal empfundenen kommunikativen Austauschs in der Mitarbeiterbesprechung. Allerdings unterliegen die Sprecher hier zusätzlichen Verpflichtungen dahingehend, daß sie ihre Handlungsweisen vor dem Hintergrund institutioneller Rahmenbedingungen einordnen müssen. Sie müssen sich quasi legitimieren können, und zwar umso mehr, je stärker sie den Partner unter Druck setzen. Sogar eine aggressive Interaktionsmodalität kann als Ausgestaltung der Normalform empfunden werden, wenn sich die Teilnehmer erfolgreich auf Unternehmensziele berufen. Es spielt zwar eine gewisse Rolle, welche Position der jeweilige Sprecher im Unternehmen bekleidet. 81 Bestimmte forcierende Verfahren werden jedoch unabhängig von der Teilnehmerposition mit immer demselben rhetorischen Potential eingesetzt. Hierbei spreche ich im folgenden allerdings nicht von Forcieren, sondern von einem Steuerungs- und Kontrollpotential sprachlicher während auf der Sachverhaltsebene z.B. Eingriffe in die Erzählstruktur (ein Aus-dem- Konzept-Bringen) gemeint sind (Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 89ff). 81 Man könnte diesbezüglich von einer rollenspezifischen ‘Kontrollkompetenz’ sprechen. Reitemeier (1994) sagt etwa zur Kontrollkompetenz des Beraters in sozialen Institutionen: „[Es] gehört [...] zu den kategoriengebundenen Aktivitätspflichten und -rechten des Institutionenvertreters, den kommunikativen Austausch mit einem Klienten dieser Institution zu initiieren, zu steuern und zu kontrollieren. Dadurch ist der Institutionenvertreter hinsichtlich der Durchsetzung seiner Situationsdefinition und hinsichtlich der Etablierung eines gemeinsamen Interaktionsgegenstandes bevorrechtigt; auch besitzt er mehr Definitionsmacht hinsichtlich der Relevanzeinordnung eigener wie fremder Interaktionsbeiträge als der Klient“ (Reitemeier 1994, S. 237). 74 Reden ist Chefsache Aktivitäten. Aktivitäten mit steuerndem oder kontrollierendem Potential sind in der Regel mit Handlungszwängen unterschiedlichster Art verknüpft. 3.3 Das Steuerungs- und Kontrollpotential sprachlicher Aktivitäten Eine soziale Situation kann (in erster Linie) als eine Umgebung definiert werden, in der es Möglichkeiten gegenseitiger Kontrolle gibt. Erving Goffman 1971 (Or. 1967) ‘Steuerung’ und ‘Kontrolle’ sind in der Gesprächsanalyse immer wieder gebrauchte, kategorisch aber kaum gefaßte Begriffe. Ich möchte ‘Kontrolle’ als den hyponymischen Begriff verwenden. Kontrollieren schließt ein durch Sprache ermöglichtes Aktivieren von Überprüfungs-, Steuerungs- und Manipulationsmechanismen mit ein. Es mag problematisch erscheinen, nicht im selben Maßstab von Steuerung, Beeinflussung, Manipulation etc. zu sprechen, da sich die Termini auf den ersten Blick sehr ähneln. Steuerung, Beeinflussung und Manipulation sind Begriffe, die ebenso wie Kontrolle ausdrücken, daß das Gespräch in eine bestimmte Richtung oder zu einem bestimmten Ziel getrieben werden soll. Kontrolle drückt aber mehr als diese Termini aus. 82 Steuerung ‘auf ein Ziel hin’ ist Teil einer Kontrolle, die das Eine im Hinblick auf ein Ziel überprüft und bewertet, um es bestehen zu lassen oder durch ein Zweites zu korrigieren, zu ersetzen, zu ergänzen usw. ‘Steuerung’ hat ein initiatives Potential, als ^«Steuerung eines bestimmten Geschehens im folgenden, während ‘Kontrolle’ einen reaktiven und einen prospektiven Aspekt hat. Die Cnarakteristika von Aktivitäten mit steuerndem oder kontrollierendem Potential sind auf unterschiedlichen linguistischen Untersuchungsebenen einzuordnen. Es kommen sowohl kleinste metadiskursive Steuerungseinheiten als auch komplexe beziehungsregulative Äußerungen vor. Phonetische, prosodische, lexiko-semantische usw. Mittel können das steuernde oder kontrollierende Potential von Aktivitäten jederzeit steigern. Insbesondere lokale Veränderungen im Sprechstil signalisieren häufig wichtige Eigenschaften kontrollierender Aktivitäten. 83 82 Vgl. die Etymologien unter dem Lemma ‘Kontrolle’ bei Pfeifer (1993) und Kluge (1989). Kontrolle ist ein Lehnwort aus dem Französischen (vgl. mfr. contrerolle, die ‘Gegenrolle’). Ursprünglich war damit ein Register gemeint, das zur Überprüfung von Originalregistern diente. Die lexikalisierte Bedeutung ‘Herrschaft’ klammere ich nicht aus. Bei dieser Lesart wird die in Teilen vorhandene Synonymie zu den Begriffen ‘Macht’, ‘Dominanz’ usw. deutlich. 83 M. Selling (1983) demonstriert dies an Gesprächen zwischen Radiomoderatoren und anrufenden Zuhörern: „Stilwechsel tauchen [...] an Steuerungsstellen auf, in denen Zugzwänge auferlegt werden, deren problemlose Bewältigung aus Gründen des Unwillens oder der Unfähigkeit des jeweiligen Hörers nicht unbedingt erwartet werden kann“ (Selling 1983, S. 42). Theoretische und methodische Voraussetzungen 75 Die Beschreibung des Steuerungs- und Kontrollpotentials sprachlicher Aktivitäten setzt daran an, wie die Beteiligten an den Mitarbeiterbesprechungen mit lokalen Bearbeitungsaufgaben umgehen und wie sie dabei übergreifende Handlungsbedingungen berücksichtigen. Lokale Bearbeitungsaufgaben und ihre Bewältigung bilden eine interaktionstheoretisch verstandene Untersuchungseinheit. Das Steuerungs- und Kontrollpotential sprachlicher Aktivitäten ist im Nachhinein an der Situation und ihrer Bewältigung identifizierbar. Sprecher ‘antworten’ gleichsam auf die Gegebenheiten des situativen Kontextes, und sie verändern ihn dadurch. 84 Eine formale Betrachtung situativer Gegebenheiten im Sinne der Konversationsanalyse reicht für die Beschreibung des Kontrollpotentials nicht aus. Ich gehe vielmehr davon aus, daß die Beteiligten die Partneräußerungen vor allem auch im Hinblick darauf überprüfen, was sie selbst an Zielen im konversationeilen Austausch verfolgen. Die Handlungen des Partners werden rezipiert, bewertet und in eine Gesamthandlung eingeordnet. Mit Kontrollaktivitäten versucht man, den Partner zu Veränderungen seiner Einstellung zu bewegen. Als einen Kernpunkt bei den situativen Bearbeitungsaufgaben sehe ich die durch den Sprecher in irgendeiner Form verbindlich gemachte Aufmerksamkeitsorientierung an, die der Folgesprecher akzeptieren kann und soll. Die Aufmerksamkeitsorientierung wird ‘Fokus’ genannt. Sprachliche Fokussierungsleistungen sind ein zentraler Bestandteil des situativen Rahmens. 85 Für die in den Mitarbeiterbesprechungen vorliegende institutionelle Kommunikation gilt, daß die Fokussierungsleistungen der Sprecher in irgendeiner Form für den institutioneilen Kontext von Belang sind. Die mehr oder weniger große Relevanz von Fokussierungen für den betrieblichen Handlungskontext ist eine der entscheidenden Größen für die Ausgestaltung des situativen Rahmens. Man kann hier von einer schon mehrfach angesprochenen - Legitimierungsanforderung oder von einer‘Lokalisierung’ (Kallmeyer 1978, S. 223) des Fokus im außersprachlichen Handlungskontext sprechen; wesentlich ist, daß der Fokus mit bestimmten Gewichtungen oder Relevanzsetzungen verknüpft ist. 84 Der situative Kontext kann mit Goffman (1974, 1981) als ‘Rahmen’ (frame) aufgefaßt werden, sofern man bei diesem eine dynamische, mikrokontextuelle Charakteristik voraussetzt (vgl. Drew und Heritage 1992, S. 8f). Daß sich die Rahmenbedingungen der Interaktion ständig verändern können und daß die Teilnehmer durch ihr Agieren selbst dafür sorgen, hat Goffman (1974, S. 10f.) per Definition seinem Rahmenbegriff zugrundegelegt und später (1981) v.a. im Zusammenhang mit diversen Partizipientenstatus gezeigt (participation framework). Diese Vorannahme ist für den Framebegriff keineswegs selbstverständlich. Ein anderes, kognitionstheoretisches Verständnis von ‘frame’ bezeichnet diesen als ‘Wissensrahmen’, als makrokontextuelle Rahmenbedingung (vgl. Sandig 1986, S. 198, Lenz 1989, S. lOlff). 85 Vgl. für das folgende Kallmeyer (1978). 76 Reden ist Chefsache Zum weiterfiihrenden Verständnis ‘situativer Fokusrelevanz’ möchte ich auf Überlegungen von A. Schütz zurückgreifen. Schütz (1971) zeigt, wie in der Welt agierende Personen wahrgenommene Gegenstände bei der Einordnung in Sinnstrukturen mit einer bestimmten Relevanz verknüpfen. Nicht der Bestand an Vorwissen allein ist entscheidend für die Perzeption, sondern auch gewisse ‘Partikularmomente’ des wahrgenommenen Gegenstandes, die die Aufmerksamkeit, die Schärfe der Wahrnehmung und schließlich die ‘Auslegungsrelevanz’ des Wahrnehmenden steuern (Schütz 1971, S. 68). Betrachtet man Fokussierungen als solche Partikularmomente, so könnte man die lokale Fokusrelevanz als ein rekonstruierbares Resultat aus sprachlicher Aktivität, daraus entstehenden Handlungsimplikationen und einer komplementären Interpretationsleistung des Hörers ansehen. Neuere fokustheoretische Überlegungen am Mikrobereich von Aktivitäten fuhren verstärkt dahin, die lokale Berücksichtigung von Handlungsanforderungen durch Sprecher als situativ bedingte Relationierungsprozesse von Foki mit einem unterschiedlichen Grad an Relevanz zu verstehen. 86 Tritt beispielsweise der fokussierte Gesprächsgegenstand durch Subbzw. Neufokussierungen in den Fokushintergrund, so sind die Teilnehmer zu modifizierten oder ggf. vollständig neu einzuleitenden Interpretationsprozessen gezwungen (vgl. Abschnitt 4.2.2). Sie müssen die mehr oder weniger hohe Interaktionsrelevanz der Partnerfokussierungen identifizieren. Bestimmte Situationsveränderungen können, inbesondere durch geleistete Fokussierungen, eine Bearbeitung erforderlich machen, das Sprecher-Hörer-Verhältnis reorganisieren (etwa aufgrund einer neu zugewiesenen Zuständigkeit) und insgesamt komplexe Verschiebungen in der sozialen Konstellation der Teilnehmer bewirken. Der steuernde oder manipulierende Aspekt von Kontrollaktivitäten ist mit Fokussierungsleistungen verbunden. Mit einer steuernden Aktivität setzen Sprecher Foki relevant, substituieren den Partnerfokus, etablieren neue oder veränderte Bearbeitungsanforderungen usw. (vgl. Kap. 4). Die relationale Einstufung der partnerseitigen Fokussierung ist hingegen ein begleitender Aspekt der reaktiven Dimension von Kontrollverfahren (vgl. Kap. 5). In der 86 Dieser Ansatz ist der Einsicht verpflichtet, daß sich Gesprächsbeteiligte als äußerst sensibel für jegliche Veränderung der Rahmenbedingungen erweisen (vgl. z.B. Kallmeyer 1988, Bergmann 1991). Zur Fokustheorie vgl. als grundlegenden Aufsatz Kallmeyer (1978), außerdem die Arbeiten von Kallmeyer und Schmitt (1991, 1991a) und Kallmeyer und Wolf (1993). Gängigerweise geht man davon aus, daß mit steigendem Bearbeitungsbedarf die Relevanz der Fokussierung höher ist als bei einem gesättigten Bearbeitungsbedarf. Die Begriffe der 'konditioneilen Relevanz’ und der sequentiellen ‘Implikationen’ (sequential implicativeness, Schegloff und Sacks 1973, S. 296) beschreiben hiervon den formalen Aspekt. Im Gegensatz dazu werte ich die semantische Komponente auf. Theoretische und methodische Voraussetzungen 77 Regel stufen die Sprecher durch den Vollzug sprachlicher Kontrollverfahren die Relevanz des Partnerfokus zunächst in irgendeiner Form ein. 87 Situationsveränderungen oder Bewegungen ‘von einem Rahmen zum andern’ (Drew und Heritage 1992, S. 8) können schon durch minimale Signale angezeigt und gefestigt werden. 88 In den kontextuellen Anschlüssen von Äußerungen spiegelt sich entsprechend die Perzeptionssensibilität der Teilnehmer. Jedes sprachliche Handeln orientiert sich an den Vorgaben des Rahmens und beteiligt sich gleichzeitig an seiner Weiterentwicklung. Daß die kontextuelle Orientierung bestimmten kulturellen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, hat die Entwicklung und Formulierung von Maximen und kooperativen Prinzipien (Cicourel 1973, Grice 1968) gezeigt, nach denen sich Gesprächsteilnehmer richten, an die sie sich halten und bei deren Verletzung ‘Störungen’ im Gesprächskontinuum auftreten (können) (vgl. hierzu Kallmeyer 1979). Sprachliche Kontrollhandlungen, die häufig als eine Korrektur partnerseitiger Relevantsetzungen auftreten, können zunächst allgemein als Verletzung insbesondere der Griceschen Relevanzmaxime empfunden werden (z.B. aufgrund fehlender Responsivität, bei unvermittelten Fokuswechseln, Mißachten konditioneller Relevanz usw.). Die Konkretisierung dieser Prämisse ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Wirkungsebenen von Kontrolle nicht ohne weiteres möglich. 89 Die Rahmenbedingungen für das sprachliche Handeln können aufgrund differentieller Graduierungen von Fokusrelevanz auch mit einem komplexen Relevanzsystem verwoben sein. D.h., im situativen Kontext können parzellierte Wissensbestände sehr unterschiedlicher Qualität und unterschiedlichen Gewichts relevant sein, die bei der oder den 87 Hoch- und Rückstufungsverfahren haben nach Kallmeyer (1978) u.a. die Funktion, eine allgemeine Aufmerksamkeitsorientierung (Fokus) einzufuhren bzw. aufzulösen. Sie können außerdem als Verfahren der ‘Hinwendung’ bzw. ‘Abwendung’ in einem gesprächskonstitutiven Sinn verstanden werden; sie zeigen gewissermaßen, ob ein Gespräch über einen bestimmten Gegenstand erwünscht ist und zeigen u.U. Bearbeitungsbedingungen an (Kallmeyer 1978, S. 215f.). Typischerweise treten Rückstufungen bei in irgendeiner Form bedrohlichen Situationen, als konfliktreduzierende Mittel, als Beschwichtigungen auf (Schwitalla 1987, S. 141, Kallmeyer 1979, S. 93f). 88 Mit der Bewegung von einem Rahmen zum andern sind nicht nur thematische Veränderungen, sondern z.B. auch stilistische Ebenenwechsel gemeint. Vgl. etwa Goffmans Beispiel zu der Situationsveränderung im Ovalen Zimmer des Weißen Hauses (GofFman 1981, S. 124). Zu Signalen für Situationsveränderungen zählen auch extralinguistische Formen der Beteiligung wie Kopfschütteln, Zunicken, Schulterzucken, Umdrehen usw. (entsprechende Notizen liegen z.T. im Verlaufsprotokoll der Sitzungen vor). 89 Die Gricesche Maxime ‘be relevant’ ist für die hier angesteuerte Untersuchung nur eingeschränkt anwendbar. Die Anforderung, relevant zu sein, enthält noch keine Spezifizierung, in bezug auf was man relevant sein soll. Das Gricesche Konzept scheint reduziert auf die semantisch-propositionale Kooperationsebene, was Grice selbst als offene Frage einstuft, „questions about what kinds and focusses of relevance there may be, how these shift in the course of talk interchange“ (Grice 1968, S. 46). 78 Reden ist Chefsache Folgehandlung(en) tendenziell alle berücksichtigt werden können, aber nicht müssen (vgl. Brinker und Sager 1989, S. 125f). Die Etablierung lokaler Bearbeitungsaufgaben ist nicht auf explizite Fokussierungsleistungen des vorhergehenden Sprechers, etwa lexematischer Art, beschränkt. Partikularmomente von Sprecheraktivitäten, die die Aufmerksamkeitsausrichtung (den Fokus) steuern können, sind u.U. nur über eine Interpretation der illokutiven Bedeutung oder durch Rückgriff auf weit zurückliegende Kontexte erkennbar. Insbesondere gilt dies für beziehungsrelevante Aspekte und für die makrokontextuelle Einordnung von Beiträgen. Ein gutes Beispiel für kontextübergreifende und lokal aktualisierte Rahmenbedingungen ist der round turn. Ein Satz wie fang ich mit ih"nen an herr Haas (s.u., Z. 8-9) hat zunächst eine projizierende Funktion im sequentiellen Sinne. Nicht nur eine an Herrn Haas gerichtete Äußerung ist erwartbar, sondern auch weitere Aktivitäten desselben Sprechers sowie Aktivitäten mehrerer seiner Partner können vorausgesehen werden. Nun ist der Satz aber auch als imagebedrohende Aktivität interpretierbar, wenn man den vorangehenden Kontext bei der Analyse berücksichtigt. Das folgende Beispiel stammt aus einem der Bezirksleitergespräche. Der Filialdirektor (DI) wirft den Bezirksleitern vor, zu wenig Personen zum ‘Tag der offenen Tür’ eingeladen zu haben: (3.08) 1 DI wir haben ne Verlosung für mountain bike\ wir haben 2 DI bi"orhythmus\ * wir haben äh * Sicherungssysteme durch 3 DI die firma Schlie"ßfest die wer vorzeigen\ * 4 DI auch en thema wo jeden intressieren müßte/ * weil 5 DI jeder ja * in ner Wohnung oder=ime haus wohnt\ * 6 DI dire' und jetzt kommt des was mich ä"rgert\ ** 7 DI wei"ß net wie\' * ganz wenig * einladungen ihrerseits 8 DI * sind vorgenommen worden\ * warum\ * warum\ * fang 9 DI ich mit ih"nen an herr Haas/ warum\ bezirksleiter-2/ 201 Der angesprochene Bezirksleiter, Herr Haas, ist an dieser Stelle zu einer imagewahrenden Aktivität (Rechtfertigung oder Entschuldigung) gezwungen, denn der Filialdirektor hat explizit die Kundenorientiertheit der Veranstaltung betont {auch en thema wo jeden intressieren müßte, Z. 4), seine Behandlung des Themas als ‘Zwischenfallmarkierung’ gekennzeichnet (jetzt kommt des was mich ä"rgert\, Z. 6) und die Arbeitsleistung der Bezirksleiter negativ bewertet (ganz wenig * einladungen ihrerseits * sind vorgenommen worden\, Z. 7-8). Aufgrund der projizierenden Charakteristik von fang ich mit ih"nen an herr Haas (Z. 8-9) ist klar, daß jeder der anwesenden Bezirksleiter ‘an die Reihe’ kommen wird. Die spätere Rederechtübergabe beim vierten Bezirksleiter Theoretische und methodische Voraussetzungen 79 lautet z.B.: sie haben- * herr Neugert-' (bezirksleiter-2/ 204). Nun scheint es zum einen bestimmte Gründe dafür zu geben, warum der Bezirksleiter Herr Neugert erst als vierter gefragt wird; er hat dem Filialdirektor bereits bei anderer Gelegenheit erläutert, warum er überhaupt niemanden zum ‘Tag der offenen Tür’ eingeladen hat. Interessanterweise startet Herr Neugert zum anderen eine Antwort, die mehrere Kennzeichen einer Rechtfertigung trägt (vgl. TA 5.40ff.). Insgesamt ist, ohne daß der Filialdirektor seine am Beginn geäußerte Kritik genauso explizit hätte wiederholen müssen, der ‘Rechtfertigungszwang’ während der ganzen Themenbearbeitung aufrechterhalten geblieben. Die Äußerung fang ich mit ih"nen an herr Haas (Z. 8-9) hat also weit über den situativen Kontext hinausreichende steuernde Funktionen. Durch den thematischen Rahmen (Kritik wegen fehlender Einladungen) ist sie mit spezifischen Handlungsverpflichtungen verknüpf). Jeder der nacheinander angesprochenen Bezirksleiter wird sich mit einer möglichen Einbuße seines Image konfrontiert sehen. Daß dies so ist, ‘wissen’ die Bezirksleiter bereits nach den oben zitierten, einleitenden Sätzen ihres Vorgesetzten. Die folgenden beiden Kapitel beschreiben ein Ansteuerungsbzw. ein Kontrollpotential sprachlicher Aktivitäten, von metadiskursiven ‘Steuerungspartikeln’ bis hin zu rhetorischen Verfahren mit einem klar erkennbaren Machtanspruch. Vor den einzelnen Abschnitten stehen bei Bedarf noch Überlegungen zur konkreten Vorgehensweise. 4. Steuerung 4.1 Zum Gegenstand: das Herstellen von Handlungsverpflichtungen bei der Themakonstitution Das vorliegende Kapitel befaßt sich mit den ThemeneröfFnungen in den Mitarbeiterbesprechungen des Korpus. Der Thema-Begriff spielt in der linguistischen Gesprächsanalyse wegen der alltagsweltlichen Verschwommenheit seiner Bedeutung keine besonders wichtige Rolle (vgl. die Übersicht in Wolf 1992), im Gegensatz etwa zu seiner gänzlich anders einzuordnenden - Verwendung in der Syntax-Grammatik, bei der Untersuchung von Thema-Rhema- Gliederungen. 90 Ich verwende den Begriff für empirisch abgrenzbare, ‘inhaltlich einheitliche Abschnitte’ (Schank 1981, S. 32), in denen sich die Beteiligten mit einem Gegenstand, einem Thema befassen. 91 Die Abgrenzung dieser Abschnitte ist dank der metadiskursiven Steuerungssignale, die die Sprecher verwenden, und dank inhaltlicher Kriterien fast in allen Fällen eindeutig möglich. 92 Das Kapitel befaßt sich insbesondere mit initiativen themenkonstitutiven Beiträgen von Teilnehmern und mit den durch Themeneröffhungen etablierten Handlungsimplikationen. Die Abschnitte in diesem Kapitel widmen sich partikulären strukturellen Aspekten des Themenwechsels, beziehungsrelevanten Eigenschaften charakteristischer Aktivitätstypen in der Themeneröflfnung und schließlich makrostrukturellen Handlungsorientierungen der Interaktionsteilnehmer. Die Themeneröflfnung wird mit Abstrichen als eine spezifische Form der Situationseröfifnung verstanden, die nicht nur in der Konversationsanalyse, sondern z.B. auch in der ‘objektiven Hermeneutik’ als beispielhaft für die Konstitution von Diskurscharakteristika und sozialen Strukturen angesehen wird (einen Überblick bietet Schmitt 1992, S. 89, Anm. 56). Situationseröffnungen sind für die Analyse des steuernden Potentials sprachlicher Aktivitäten 90 Zu einer Verwendung des Themabegriffs zwischen Gesprächsanalytik und Textlinguistik vgl. Schank (1981), zu einem diskursanalytischen Verständnis des Begriffs Dittmar (1988), zur Verwendung des Themabegriffs in der funktionalen Grammatik z.B. von Stechow (1981) oder Hoffmann (1993). In der englischsprachigen Literatur wird i.d.R. mit ähnlich unterschiedlichen Bedeutungen der Begriff ‘topic’ für ‘Thema’ oder aber auch für ‘Fokus’ verwendet (z.B. Bublitz 1988 bzw. Jefferson 1993), während der grammatische Thema-Begriff im Englischen ‘theme’ lautet. 91 Die Themakonstitution in Gesprächen ist ein ‘diskurstypabhängiges’ Phänomen (Dittmar 1988). Insofern gelten die folgenden Betrachtungen für Mitarbeiterbesprechungen im speziellen. Zur Themakonstitution in ‘Beratungsgesprächen’ vgl. Kallmeyer (1985) und Behrend et al. (1992), in ‘Interviews’ Erickson und Shultz (1982), in alltagsweltlicher Kommunikation Bublitz (1988), in ‘Therapiegesprächen’ Dittmar (1988). 92 Insofern wird hier keine Diskussion darüber geführt werden, wie die Grenzen zwischen Themenwechsel, -Verlagerungen, -digressionen etc. zu ziehen sind. Es handelt sich um außerordentlich komplexe Verhältnisse (vgl. Heritage 1985, S. 4f., Bublitz 1988, S. 64f). Für unseren Bedarf werden die Begriffe ‘Sub-’ und ‘Nebenthema’ ausreichen (Abschnitt 4.2.2). 82 Reden ist Chefsache ein fruchtbarer Boden. Grundlegende Bedingungen für die Kommunikatikon können von den Teilnehmern hier festgelegt und ausgehandelt werden. Den Fokussierungen, die die Sprecher in der Themeneröffnung leisten, soll ein gesondertes Augenmerk gelten. Das Kapitel enthält die folgenden Teile: die Untersuchung strukturierender Eigenschaften von metadiskursiven Mitteln und Fokussierungen, bei letzteren insbesondere auch mit dem Augenmerk auf thematischer Hierarchiebildung und Relevanzverhältnissen (4.2.2 und 4.2.3); die semantisch-pragmatischen Eigenschaften von Metakommentaren, die der Konstitution eines Themas typischerweise vorgelagert sind (4.2.4); die exemplifizierte Beschreibung von sprachlichen Mitteln, die die Konstitution übergreifender, makrostruktureller Handlungskomplexe projizieren können (4.3); eine zusammenfassende Darstellung sprachlicher Mittel der Steuerung (4.4). 4.2 Steuerungsmechanismen an thematischen Umbruchstellen 4.2.1 Metadi skursive Steuerungseinheiten Die Äußerung, die als erster Turn am Beginn des neuen Themas steht, beinhaltet in der Regel einige fünktionale Merkmale, die als wiederkehrende Elemente auf der Metaebene der Interaktion am Sicherstellen des Gesprächskontinuums beteiligt sind (‘Diskursstrukturierungsmittel’, Tiittula 1993). 93 Diese Kennzeichen oder Signale dienen den Hörern als Orientierungshilfen und erlauben ihnen, sich auf die Konstitution eines neuen thematischen Abschnitts einzustellen. Während einer Themeneröffhung finden situative Neuorientierungen statt, hinsichtlich des Bearbeitungsgegenstands und hinsichtlich der Beziehung unter den Interaktionspartnern. Bei den Kennzeichen metadiskursiver Art handelt es sich im wesentlichen um ‘formale’ Vorlaufelemente, Segmentierungen, eingeschobene metakommunikative Sätze und schließlich um Besonderheiten bei der Fokussierung des zu bearbeitenden Sachverhalts (Einführung des thematischen Kerns). 94 93 Die Verwendung der Begriffe Metakommunikation, Metadiskurs, Metatext, Metakommentar etc. ist problematisch, weil sie z.T. unterschiedlich gebraucht und definiert werden. Ich orientiere mich an der Arbeit von Tiittula (1993), die davon ausgeht, daß Metakommunikation auch andere als diskursstrukturierende Äußerungen einschließt. Metakommunikation wäre anders als Metadiskurs nicht sinnentleert im semantischen Sinne (vgl. u.). 94 Da metakommunikative Aktivitäten einen erheblichen Einfluß auf die Definition der Beziehung zwischen den Interaktionspartnem haben können, beschreibe ich sie gesondert unter dem Aspekt der Beziehungsrelevanz von Themeneröffnungen und Metakommentaren (Abschnitt 4.2.4). Steuerung 83 4.2.1.1 Die ‘ambikonnexe’ Vorlaufeinheit Mit dem Begriff der ‘Vorlaufeinheit’ ist ein metadiskursiver Äußerungsteil gemeint, den die Sprecher in der Regel vor der Fokussierung thematischer Gegenstände leisten. Die sprachliche Realisierung von Vorläufen bildet eine semantisch-pragmatische Einheit mit einer sowohl links als auch rechts anschließenden Funktion. Insofern könnte man den Vorlauf in einer grammatisch-textlinguistischen Terminologie als ‘ambikonnexe’ textorganisatorische Einheit auffassen (vgl. Engel 1988, S. 89ff). Der Vorlauf zeigt den Abschluß des bisherigen Themas an und signalisiert den Beginn einer sprachlichen Aktivität, die zu einer Fokussierung des (neuen) Themenkerns überleitet. Die Vollzugsformen der Vorläufe vor Themeneröffnungen im Korpus sind sehr unterschiedlich; ihre semantisch-pragmatischen Verknüpfungsfunktionen sind jedoch im Regelfall klar erkennbar. Die Sprecher gestalten den Themenwechsel je nach den Anforderungen des verbal-interaktiven Kontextes. Anforderungen entstehen beispielsweise aus dem thematischen Kontext (vorheriges Thema, Themenbereich, Themenreihe etc.), nach Gesichtspunkten eines geordneten Sprecherwechsels und aus der etablierten Beziehung zwischen den Teilnehmern. Die prototypische Vorlaufeinheit besteht aus einem linkskonnexen, syntaktisch ausgegliederten Element und einem rechts angeschlossenen, in die folgende Äußerungsproduktion syntaktisch integrierten Element. Sie wird z.B. durch ein Kookkurrieren von mehreren Partikeln, Adverbien und Pausen gestaltet. 95 Fläufig vorkommende Realisierungen des Vorlaufs sind bspw. so\, gut\ und okay\, in Verbindung mit jeweils einem Element wie dann- oder jetzt-. Die ambikonnexe Funktion des Vorlaufs wird durch Segmentierungen und durch einen deutlich fallenden Grenzton in der Mitte unterstützt (vgl. so\ jetzt im folgenden Beispiel, Z. 2): (4.01) 1 WL kannich hatt ihnen das ja eines der letzten male 2 WL gesacht\< * so\ jetzt wollt ich sie über etwas 3 WL informieren/ ** der herr Klein gab mir * 4 WL eine bedarfsanmeldung rein- * äh die meister-1/ 4 95 Vgl. hierzu und im folgenden den Aufsatz von Schank (1981) zur Gesprächs- und Themenorganisation, insbesondere seine Liste von Gliederungssignalen (Schank 1981, S. 41). Er weist auf die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung funktionaler Charakteristika von suprasegmentalen, nonverbalen, lexiko-semantischen u.a. Gliederungssignalen hin (S. 35ff.). Er stellt allgemein fest: „Zunächst gilt wohl für das Signal, daß es nicht in die Nachbarsätze davor und dahinter eingebettet ist, und meist ist es durch stille Pausen deutlich aus dem Textfluß herausgehoben“ (Schank 1981, S. 38; vgl. hierzu auch Bublitz 1988, S. 72). 84 Reden ist Chefsache Die linkskonnexe Partikel so\ (Z. 2) steht hinter einem Äußerungsteil, der einen zentralen Aspekt aus der Bearbeitung des vorangegangenen Themas reformuliert: ich hatt ihnen dasja eines der letzten male gesacht\ (Z. 1). Solche Reformulierungen kommen in den Themenendphasen des Korpus relativ häufig vor, 96 sind jedoch nicht auf Themenbeendigungen beschränkt. Vorgesetzte reformulieren beispielsweise bestimmte Teile ihrer Themeneröffnung oft dann, wenn sie später die eigene Einstellung zum Thema durchzusetzen versuchen. Der Sprecher im Beispiel startet das neue Thema mit der adverbialen form jetzt (Z. 2). Er schaltet der Fokussierung des inhaltlichen Themenkerns (bedarfsanmeldung, Z. 4) noch eine Formulierung vor, die als ‘metakommunikative Floskel’ (Schwitalla 1979) gelten könnte: wollt ich sie über etwas informieren/ (Z. 2-3). Ob es sich tatsächlich um eine Floskel handelt, deren illokutive Funktion offen gelassen wird (so das Definitionskriterium nach Tiittula 1993, S. 69), soll uns hier noch nicht interessieren (vgl. Abschnitt 4.4). Links angeschlossene Elemente wie gut\, alles klar\ und okay\ können scheinbar eine positive Wertung des Verlaufs der voraufgegangenen Themenbearbeitung anzeigen; ihr semantischer Gehalt tritt jedoch hinter ihrer gesprächsorganisatorischen Funktion in den Hintergrund. Prosodisch auffällig ist an linkskonnexen Vorlaufelementen der deutlich fallende Akzent, der als themenorganisatorisch relevanter Grenzton gelten kann. Der fallende Grenzton ist eine klare Orientierungshilfe für den Hörer. In einigen Fällen unterstützt der Grenzton die Verwendung des Vorlaufelements als gesprächsorganisatorische Steuermaßnahme des Gesprächsleiters. Die prosodische Markierung steht im Vordergrund der hörerwirksamen Inferenz dieses Äußerungsteils. Das Vorkommen linkskonnexer Elemente mit deutlichem Grenzton ist nicht auf die Beendigung thematischer Abschnitte beschränkt, sondern kann diese auch ankündigen, ohne daß der Abschluß des Themas unmittelbar folgt. Es ist dann derselbe stark fallende Grenzton an der Signalisierung des baldigen Themenendes beteiligt. Schegloff und Sacks (1973) beschreiben diese Art von Elementen als pre-closings: 96 Außer um Partikeln kann es sich bei Gliederungssignalen auch um expansivere Formen handeln, z.B. um Ankündigungen und Rückfragen hinsichtlich der Tagesordnung. Bei einem in stärkerem Grade formal gegliederten Gespräch finden sich Verweise auf vorliegende Themenlisten, Ankündigungen weiterer Themen und explizite Reorganisierungen der Gesprächsstruktur in bestimmten Phasen des Gesprächs. Im Korpus betrifft das v.a. das Betriebsratsgespräch. In unserem Beispiel bezieht sich der Sprecher auf eine Liste, die er in einem der früheren Meistergespräche angekündigt hatte, die dann verteilt wurde und die jetzt in ‘Meister-1’ zur Besprechung anliegt. Auf den Stellenwert der Reformulierung WL’s komme ich später zurück. Gülich und Kotschi (1987, S. 207) subsumieren solche Reformulierungen unter dem Begriff ‘Textherstellungshandlungen’. Als Forschungsüberblick zu Sprechhandlungen dieses Typs ist Tiittula (1993, S. 12-60) zu empfehlen. Steuerung 85 an analyzable possible pre-closing by the initiator, when placed where a topic closing technique might be placed, may itself show the satisfactory (to the part so acting) resolution of the topic. (Schegloff und Sacks 1973, S. 308) Nach mehrmaliger Ankündigung des Themenendes durch pre-closings (mit entsprechendem Grenzton) kann der Gesprächsleiter beim ersten transitionrelevance place (Sacks et al. 1974) übergangslos eine ThemeneröfFnung starten. Wiederholt er ein closing-Signal an diesem Punkt, werden sie zu linkskonnexen Elementen einer Vorlaufeinheit. Die Form der ‘endgültigen’ Beendigung des Themas scheint zwar nicht unabhängig davon zu sein, ob oder wie oft der Sprecher die Beendigung bereits angekündigt hatte. Mikrostrukturelle Regelmäßigkeiten wurden mir bei der Durchsicht des Materials jedoch nicht offensichtlich. Links anschließende Elemente der Vorlaufeinheit treten auch in Kombinationen auf. Eine solche Kombination innerhalb eines expandierten Vorlaufs kann mehrere Gründe haben. Ich gehe im Anschluß an das nächste Beispiel kurz darauf ein. Die im Beispiel auftretende Form ende\ (Z. 4) kommt im ganzen Korpus nur einmal vor. Der Filialdirektor (DI) beendet das bisherige Thema, bei dem es um die Getränkekasse der Direktion ging, und fuhrt in das neue Thema ein. Die Äußerungen von DB und B2 (Z. 1-2 bzw. 3) reformulieren einen themenspezifischen Tatbestand (bestimmte Mitarbeiter konsumieren Getränke, ohne Geld in die Kaffeekasse zu werfen), bzw. einen bereits besprochenen Lösungsvorschlag (auf diese Mitarbeiter muß Druck ausgeübt werden). (4.02) 1 DB also ich hab=s der frau Dienst 2 DB gegebe die hatt gsagt die' die schmei"ße nix nei/ 3 B2 p haja do muß ma e bissei druck mache\ 4 DI L >alles klar\< okay\ ende\ ** 5 DI äh: * dann muß ich ihnen-' muß ich-' * ja möcht ich 6 DI sie gern informieren\ ** über ** den derzeitigen 7 DI stand * der akquisition im gefängnis\ ** bezirksleiter-1/ 184 DI verdrängt den letzten Sprecher vom Floor, indem er mit einem überlappenden Äußerungsstart den links anschließenden Teil einer Vorlaufeinheit mit drei Elementen gestaltet: >alles klar\< * okay\ * ende\ (Z. 4). Die ersten beiden, >alles klar\< und okay\, könnten durch ihren semantischen Gehalt noch durchaus zu verstehen geben, daß zu diesem Zeitpunkt für den Sprecher ein befriedigender Informations- oder Diskussionsstand erreicht ist. Daß es DI aber im wesentlichen darum geht, weitere Beiträge zum Thema zu verhindern, die Bearbeitung zu beenden und ein neues Thema zu eröffnen, macht er mit ende\, einem expliziten Verweis auf den Themenwechsel, deutlich. In diesem 86 Reden ist Chefsache Fall wie in vielen anderen leitet eine adverbiale Form {dann, Z. 5) zunächst eine metakommunikative Aktivität ein. Solche kombinierten Formen der Beendigung die einen kleinen Teil der Themenbeendigungen im Korpus ausmachen manifestieren den Versuch, den aktuellen Sprecher vom Floor zu verdrängen und die Themenbearbeitung abzubrechen. Im Regelfall wollte ein Vorgesetzter zuvor mehrmals eine Beendigung starten, wurde jedoch durch weitere Beiträge anderer Teilnehmer zum Thema daran gehindert. Ein Anlaß für ein Eingreifen mit Hilfe kombinierter Formen sind digressive Verschleppungen des Themas, die den Gesprächsleiter zu einer Kontrollaktivität zwingen. Weiterhin kann es bei den Bearbeitungen von Themen zu Phasen kommen, die institutioneilen Zielen oder dem Anliegen des Vorgesetzten entgegenwirken. Beispiele hierfür sind Witzeleien, die zu den Interessen der Firma nichts beitragen, das Insistieren auf bereits abschlägig beschiedenen Vorschlägen oder Fokussierungen inhaltlicher Aspekte, die dem Image des Vorgesetzten schaden könnten (z.B. wenn Mitarbeiter auf betriebswirtschaftliche Argumente zu sprechen kommen, die der Vorgesetzte bis dahin übersehen hat). Im Anschluß an bzw. während solcher Phasen scheint ein vermehrter Aufwand zur Beendigung des Themas notwendig, um mit der Tagesordnung fortzufahren. ‘Beharrlichkeit’ des Partners, ‘Themendigression’, Tmagegefährdung’ usw., als Ursachen für Themenabbrüche, sind natürlich keine Beschreibungskategorien, die sich auf die strukturellen und strukturierenden Charakteristika themenbeendigender Elemente beziehen würden. Sie verweisen vielmehr auf deren soziale Bedeutung und kontextsensitive Funktionalität. 97 Andere Aktivitäten, mit denen ‘unbequeme’ Diskussionen beendet werden, sind pauschale Ratifizierungen (etwa in der Form „Sie haben ja völlig recht“ ). Solche Bestätigungen der partnerseitigen Einstellung haben den Zweck, die Sättigung des Bearbeitungsbedarfs zu signalisieren. Daß diese Aktivitäten die Position der links anschließenden Vorlaufelemente einnehmen können, zeigt die Möglichkeit einer Verschränkung struktureller und bedeutungskonstitutiver Aspekte. Hierzu ein Beispiel: Im folgenden Transkriptausschnitt aus ‘Meister-1’ wechselt der Werksleiter relativ ‘unvermittelt’ das Thema. Eine Bedarfsanmeldung der Meister, die Dieselgabelstapler mit Partikelfiltern zu versehen, ist zurückgewiesen worden. Die Ansichten zu dem betreffenden Punkt sind von vorneherein zu weit auseinandergegangen, als daß man eine Lösung hätte finden können (oder wollen). Die Werksleitung (durch WL repräsentiert) 97 „Ausgehend von dieser dialektischen Charakterisierung der Gesprächskonstitution [Kontextunabhängigkeit vs. Kontextsensitivität] können konversationsanalytische Untersuchungen sowohl auf die Rekonstruktion der kontextunabhängigen Strukturierungselemeiite als auch auf die Analyse der Formen und Bedeutungen der ‘lokalen Partikularisiemngen’ dieser universellen Ordnungsmechanismen ausgerichtet werden“ (Schmitt 1992 S. 82). Steuerung 87 präferiert die Anschaffung von Benzingabelstaplern. Einer der Meister, die die Bedarfsanmeldung unterstützen, bringt ein betriebswirtschaftliches Argument in das Gespräch ein: (4.03) 1 M4 denn wir dürfen also nicht vergessenbenzin ist 2 M4 momentan die" lösungvon der sau"berkeit her/ * 3 M4 aber nicht von der wi"rtschaftlichkeit\ ne/ wolln 4 M4 wer eindeutig seh"n\ 5 WL völlich richtich\ aber 6 WL das ist die zwei"te stelle\ * so in dem 7 WL Zusammenhang passiert noch einses wird 8 WL also nach * langen geburtswehen wird also 9 WL jetz äh ** äh in die hallen drei * 10 WL dreiundzwanzich bis fünfundzwanzich/ * werden 11 WL fe"nsterventilatoren eingebaut/ * meister-1/ 9 Der Meister (M4) versucht, seine Einstellung für WL nachvollziehbar zu formulieren. ‘Wirtschaftlichkeit’ (Z. 3) ist ein zentrales Argument für jede betriebswirtschaftliche Überlegung. WL reagiert auf den Hinweis mit einer pauschalisierten Zustimmung: völlich richtich\ (Z. 5). Er weicht jedoch von seiner Einstellung nicht ab, sondern verweist das Argument der Wirtschaftlichkeit auf die zwei"te stelle (Z. 6). Im Anschluß formuliert der Sprecher einen metakommunikativen Satz {so [...] passiert noch eins-, Z. 6-7), als Überleitung zu einem anderen Thema, das er gewissermaßen als Nebenthema einstuft: in dem Zusammenhang (Z. 6-7). Er realisiert die themenkonstitutive Äußerung ohne abzusetzen und etabliert den neuen thematischen Abschnitt, ohne die Partikel so mit einem fallenden Grenzton oder mit einer folgenden Segmentierung zu verknüpfen (obwohl so hier syntaktisch nicht integrierbar ist). Der Sprecher gibt mit in dem Zusammenhang und mit noch eins gleichsam an, den aktuellen inhaltlichen Themenbereich nicht zu verlassen, sondern lediglich den Fokus zu verlagern. Auffällig ist an dieser Form der Themenbeendigung, daß die Aktivitäten völlich richtich\ und das ist die zwei"te stelle\ einen Grenzton der Art und Weise tragen, wie er für linkskonnexe Vorlaufelemente typisch ist. Diese Äußerungsteile signalisieren den Abschluß der Diskussion. Sie übernehmen quasi aus der Retrospektive die Funktion von Gliederungssignalen. Rein schematisch könnte man folgern, daß sie zu semantischer Sinnentleertheit tendieren, was bedeutet: Der Werksleiter stimmt hier seinem Partner nur zu, weil er das Thema sowieso sofort wechseln wird. Die Folge dieses Themenwechsels ist, daß das Argument der Wirtschaftlichkeit im Sande verläuft und das Thema ‘Gabelstapler’ bis Gesprächsende nicht mehr zur Sprache kommt. 88 Reden ist Chefsache Textherstellungshandlungen, also Paraphrasierungen, Fazits, abschließende Bewertungen u.ä., können als linkskonnexe Elemente fungieren. Die themenorganisatorische Wirksamkeit dieser Aktivitäten wird durch einen fallenden Grenzton unterstützt. Dieser gewinnt sozusagen an Markiertheit, weil er abgesehen von seiner finalen Plazierung im Satz diskursstrukturierende Funktionen übernimmt. Das Auftreten dieser Variante von Themenbeendigungen ist im Korpus typisch an Stellen, an denen zwar ein Thema abgeschlossen, der übergeordnete Themenbereich aber nicht verlassen wird. Der Themenwechsel wird ‘verdeckt’. Die charakteristischen Gliederungspartikel (gut\, so\, okay\ usw.) werden entweder gar nicht verwendet, oder sie treten ohne fallenden Grenzton auf. Die Beendigungsvariante bildet einen Gegensatz zu den beschriebenen kombinatorischen Verfahren beim Einsatz linkskonnexer Vorlaufelemente. Kombinatorische Verfahren und verdeckte Themenwechsel stellen somit zwei realiter nachgewiesene Pole ein und desselben Geschehens (formal gesehen) im Gesprächsdiskurs dar. Erst nach bzw. mit der Realisierung eines rechtskonnexen Elements im Vorlauf setzen manifeste Formulierungssuchen und der Kern der inhaltlichen Fokussierungen ein. Diese sind in den allermeisten Fällen mit Abbrüchen, Reparaturen, Neustarts, Modalausdrücken etc. verbunden. Die rechts anschließenden Elemente leiten zudem häufig metakommunikative Aktivitäten ein, die Prädikationen über den Bearbeitungsbedarf des Themas und Hinweise auf die Etablierung der Beteiligungsrollen und der Sprecher-Hörer-Konstellation enthalten. Rechtskonnexe Elemente des Vorlaufs sind in der Regel syntaktisch integrierte, initiale Glieder des folgenden Äußerungsteils, z.B. Adverbiale (so.). Als ambikonnexe Vorlaufeinheiten waren im Korpus nachweisbar: 98 so \ jetzt (1/ 5/ 22, II/ 45/ 7, IV/ 90/ 22, V/ 125/ 24, V/ 147/ 12) so \ undjetzt (V/ l 12/ 4) alles klar\ okay\ ende \ dann (VII/ 184/ 6) so \... noch eins (1/ 9/ 30) so \ dann (IV/ 86/ 29, W158/ 17)) gut l dann (VIII/ 211/ 15)) okay \ dann (VIII/ 207/ 1) okay \ nächstes thema (II/ 31/ 1) so \ folgendes noch (1/ 2/ 1) so ... zu diesen fällen (V/ 99/ 5) so ... ganz anderes thema (1/ 10/ 11) 98 Diese Belegstellen setze ich kursiv, transkribiere hochdeutsch und verkürze bzw. paraphrasiere in wenigen Fällen leicht. Die Belegstellenangabe erfolgt in einer römischen und zwei arabischen Ziffern (Bsp.: 11/ 34/ 24): I = meister-1, II = meister-2, III = agentur, IV = betriebsrat, V = bonusentlohnung, VI = inspektoren, VII = bezirksleiter-1, VIII = bezirksleiter-2. Die arabischen Ziffern bezeichnen wie bisher die Belegseite und -zeile in meinen Transkriptunterlagen. Steuerung 89 Ohne linkskonnexes Vorlaufelement, aber nach Paraphrasen, Fazits o.ä.: o jetzt (V/ 128/ 4) 0 weiter (III/ 58/ 19) 0 gerade das nächste (III/ 66/ 3) 0 dann (IV/ 71/ 1, IV/ 73/ 10/ , IV/ 89/ 7, IV/ 91/ 1, VI/ 167/ 3) 0 zum einen (VII/ 176/ 11) o nur eins noch/ (VI/ 171/ 12) 0 und dann (VIII/ 212/ 12) 0 eine andere Sache (HI/ 60/ 16) 0 gehen wir weiter (V/ l 10/ 23) 0 so in dem Zusammenhang (1/ 9/ 14) 0 nächster Punkt (VII/ 177/ 26) 4.2.1.2 Segmentierungen und die ‘ideale Abfolge’ an der Umbruchstelle Segmentierungen und Akzente dienen den Sprechern zur Unterstützung bei der Konstitution des Themenwechsels. Pausen vor und nach dem links anschließenden Element verweisen auf den gesprächsorganisatorischen Stellenwert dieses Elements; Grenztöne und Pausen können in bezug auf die thematische Organisation als wichtige, routinemäßig eingesetzte Supplemente gelten. Betrachtet man die im Vorlauf der ThemeneröfFnung auftretenden Elemente, so läßt sich eine ‘ideale Abfolge’ synthetisieren: 99 1) Refontmlierung des ursprünglichen Ziels der Bearbeitung, Paraphrasierung eines thematisch relevanten Aspekts, Fazit usw. (oft mit finalem fallenden Grenzton). 2) Segmentierung (gefiillte/ ungefullte Pause, Räuspern u.ä.; seltener: abgebrochener Äußerungsstart). 3) Links angeschlossenes, syntaktisch nicht integriertes Element mit deutlich markiertem, fallendem Grenzton (oft als quasi semantisch leere Partikel). 4) Segmentierung (gefullte/ ungefiillte Pause). 5) Rechts angeschlossenes, syntaktisch integriertes Element, oft mit schwebendem oder steigendem Grenzton. 6) Metakommunikative Aktivitäten und/ oder Fokussierung des neuen thematischen Bearbeitungsgegenstands. Als ambikonnexe Vorlaufeinheit wurden im vorherigen Abschnitt die Schritte 3) bis 5) beschrieben. Natürlich erfolgt nicht jeder Themenwechsel in den Korpusgesprächen in genau dieser Form; die ideale Abfolge des Themenwechsels genügt nicht der Beschreibung aller lokaler, verbal-interaktiver Phänomene. Die ideale Abfolge liegt der Themenkonstitution jedoch m.E. als allgemeine Wissensgrundlage, als synthetisches Modell zugrunde. Die Schritte 1) bis 6) finden sich sowohl als Äußerungsteile innerhalb eines einzigen Turns eines Sprechers als auch als interaktives ‘Muster’ der Themen- 99 Synthetisch wird hier verstanden im Sinne von Nothdurft (1984): das Herstellen einer ‘alternativen Ordnung’ der Phänomene, die zu einer ursprünglich linearen Abfolge gehören (Nothdurft 1984, S. 126). Die logische Abfolge von Handlungskomponenten ist rekonstruierbar, jedoch nicht notwendig verwirklicht. 90 Reden ist Chefsache beendigung. An der Abarbeitung des Musters beteiligen sich in der Regel zwei Sprecher. 100 Wechselt der Sprecher an der Umbruchstelle (also vor Schritt 5), verändern sich die Anforderungen der hörerwirksamen Realisierung für den Vorlauf. Der neue Sprecher braucht den Themenwechsel nicht in eine fortlaufende Äußerung zu integrieren. Prosodische Interpretationshilfen (z.B. deutliche Akzente auf fokustragenden Elementen) werden dann häufig im Rahmen der folgenden Formulierung geleistet. Hierzu das nächste Beispiel, aus dem Gespräch ‘Meister-2’: In der vorliegenden Gesprächsphase ist den Meistern Gelegenheit gegeben, Fragen zur Planung der Inventur zu stellen. Eine der Fragen ist im Rahmen des gerade bearbeiteten Subthemas beantwortet worden. LO’s Beitrag (Z. 1-2) kann als Paraphrasierung des inhaltlichen Kerns seiner Antwort gelten. Er reformuliert den Anspruch an die Meister, daß sie selbst die Auswahl der Mitarbeiter für die Inventur treffen sollen. An dieser Stelle entsteht eine deutliche Pause (4,2 sec., Z. 2). Die Pause signalisiert die Beendigung des Themas. 101 (4.04) 1 LO nich/ * aber das * wollten wir 2 LO ihnen doch in diesem fall do"ch überlassen\ *4,2* 3 Ml >beleu"chtung herr Kühn\< * an denne tage * 4 Ml sage sie mir jemand der wo=s li"cht ausmacht/ * 5 Ml ich zeig ihne wu"\ *2,5* meister-2/ 40 Durch die Pause erhält Ml die Möglichkeit, die nächste Frage zu stellen und dabei auf Vorlaufelemente zu verzichten. Ml, der die Werkstatt im Werk leitet, plaziert an erster Stelle seiner Formulierung die Fokussierung eines Arbeitsbereichs, der ihn unmittelbar betrifft: >hdeu"chtung herr Kühn\< (Z. 3; die Beleuchtung im Werk fällt allgemein in den Zuständigkeitsbereich der Werkstatt, vgl. Abschnitt 4.2.2.2). Mit der Akzentuierung des Lexems und der angeschlossenen namentlichen Adressierung (Herr Kühn = LO) signalisiert Ml, daß zwischen der Inventur, der Beleuchtung und der Zuständigkeit von LO ein Zusammenhang besteht, den er ausgehandelt oder besprochen sehen will. Das Beispiel illustriert auch die Inanspruchnahme rollenspezifischer Initiativrechte seitens des Angestellten. Indem der Vorgesetzte nicht sofort auf seine gesprächsorganisatorische Pflicht zurückkommt, die Kontinuität der 100 Lenz (1989) macht vergleichbare Beobachtungen an interaktiv realisierten Themenbeendigungen in Technical Meetings (Lenz 1989, S. 153ff.). 101 Vgl.: „Durch die Aufgabenstellung im Meeting haben Schweigephasen und Themenwechsel eine andere Beziehung [als in alltäglicher Konversation] zueinander. [...] Schweigephasen im Meeting [dienen] als Mittel, das alle gemeinsam alle Teilnehmer schweigen ja anwenden, um das Thema zu beenden und ein neues einführen zu können [...] Bisweilen hat es den Anschein, als ob ein fließender Übergang zu den Schweigephasen geschaffen würde“ (Lenz 1989, S. 158). Steuerung 91 Kommunikation zu sichern (etwa mit „haben Sie noch Fragen? “), ‘gestattet’ er dem Meister gleichsam den thematischen Fokuswechsel. Im gesamten Korpus waren an 13 Stellen Themenwechsel nachweisbar, bei denen es zu einer Pause und ggf. zu einem Sprecherwechsel gekommen war. 102 4.2.2 Fokussierungsverfahren 4.2.2.1 Thematische Orientierungsprinzipien Die Themeneröffnung enthält die Fokussierung des Themas oder, allgemeiner formuliert, die Bezeichnung für einen zu bearbeitenden, inhaltlichen Schwerpunkt aus einem Themenbereich. Diese Fokussierungsleistung provoziert eine zunächst allgemeine Ausrichtung der Aufmerksamkeit aller Teilnehmer. Aufgrund der Zweckgebundenheit der Kommunikation in Mitarbeiterbesprechungen erfolgt diese Fokussierung relativ rasch nach dem formalen Signalisieren des Themenwechsels. Wie die Vorlaufeinheit unterstützen die Sprecher auch die erste inhaltliche Fokussierung regelmäßig mit deutlichen prosodischen und parasprachlichen Kennzeichnungen (Akzenten, Segmentierungen). Ich gehe im folgenden davon aus, daß zur Konstitution eines Themas eine Fokussierung erfolgen muß, die einen thematischen ‘Rang’ hat. Eine solche Fokussierung bezeichne ich als den ‘thematischen Fokus’. Der thematische Fokus referiert auf einen außersprachlichen Weltausschnitt, den der Sprecher als Bereich für die Behandlung selektierter Schwerpunkte, Probleme, Vorschläge usw. aktualisiert. Thematische Fokussierungen erfolgen mit lexiko-semantischen Mitteln, die einen praktischen Erfahrungsbereich der Teilnehmer designieren (z.B. „Reden wir doch mal über Investitionen“). Thematische Fokussierungen indizieren potentiell die Zuständigkeit (Beteiligungsrolle) eines oder mehrerer Beteiligter und sind häufig zugleich imstande, die Relevanz des Themas für die aktuelle Besprechung vor dem Hintergrund institutioneilen Bedarfs zu legitimieren. Fachsprachliche Lexeme, um die es sich bei fokustragenden Elementen thematischen Rangs in den meisten Fällen handelt, können in besonderem Maße eine Legitimierung ermöglichen. Das Nennen einer Abteilungsbezeichnung oder eines bestimmten Aufgabengebiets ‘lokalisiert’ (Kallmeyer 1978) den Fokus im betrieblichen Handlungskontext. Die Lokalisierung des Fokus oder eine Legitimierung der thematischen Fokussierung für das Gespräch läßt sich bei allen Themeneröffnungen im Korpus nachweisen. Diese Handlungsverpflichtung ist für den Initiatoren eines Themas in der Mitarbeiterbesprechung stringent. 102 Es handelt sich um die Belegstellen 1/ 47/ 12, II/ 40/ 3, II/ 42/ 9, 11/ 43/ 34, II/ 46/ 1, II/ 49/ 5, 11/ 50/ 1, II/ 51/ 2, IV/ 74/ 1, V/ 104/ 1, VI/ 170/ 10, VIII/ 206/ 15, VIII/ 221/ 19. Insgesamt liegen 57 Themeneröffnungen vor (s. Abschnitt 4.3.1.4). 92 Reden ist Chefsache Fokussierungen fasse ich mit Kallmeyer und Wolf (1993) als einen Bestandteil sprachlich vollzogener Formulierungsverfahren auf. 103 Fokussierungen werden von den Sprechern in den laufenden Formulierungsprozeß gewissermaßen eingebettet. Die thematische Fokussierung ist von Einzelfokussierungen ‘neuer’ Elemente im Gesamtkontext sprachlicher Vermittlung von Sachverhalten zu differenzieren. Neue Elemente, die sich z.B. lexikalisch oder morpho-phonologisch manifestieren, sichern die kontinuierliche Verstehensleistung des Hörers (Gülich und Kotschi 1993). 104 Solche Einzelfokussierungen nenne ich ‘Subfoki’ des thematischen Fokus. Im Regelfall werden mit Themeneröffhungen komplexe Relevanzverhältnisse geschaffen (z.B. bei mehr oder minder expansiven Sachverhaltsdarstellungen). 105 Die Gliederung der für die kommende Bearbeitung relevanten Foki ist ein Gefüge aus thematischer Fokussierung und diversen Subfokussierungen. Zu den Subfokussierungen können dabei durchaus auch implizite Bedeutungen des Gesagten zählen (vgl. Abschnitt 4.3.3). Alfred Schütz (1971) zeigt, daß Wahrnehmungen und allgemein die Vorgänge im Bewußtsein eines Individuums stark mit der Relevanz von Themen verknüpft sind. Thematische Ver- und Überlagerungen können schrittweise Ablösungen der Aufmerksamkeitsorientierung und längere hierarchische Überlappungen mehrerer thematischer Orientierungen verursachen. Schütz verwendet zur Beschreibung dieses Phänomens u.a. den Begriff der ‘Subthematisierung’ (Schütz 1971, S. 59ff). Subthematisierung bedeutet, daß ein inhaltlich übergeordnetes Thema durch die Relevanz eines zweiten (inhaltlich untergeordneten) überlagert werden kann, was u.U. nur kurzfristig gültig ist und nach seiner Ausblendung zur Wiederherstellung der ursprünglichen Aufinerksamkeitsorientierung führt. 106 103 Ich verstehe hier unter ‘Formulierung’ das gestalthafte Äußere der sprachlichen Aktivität, also die syntaktische, lexiko-semantische, prosodische und parasprachliche Oberflächenstruktur. 104 In diesen Ausführungen, insbesondere beim Rückgriff auf Kallmeyer und Wolf bzw. Gülich und Kotschi (beide 1993), stütze ich mich auf Einsichten, die diese auf dem ‘Kolloquium Formulierungsverfahren’ im November 1993 im Institut für deutsche Sprache, Mannheim, präsentierten. Vgl. hierzu Klein et al. (1994). 105 Die thematische Fokussierung kann unabhängig davon betrachtet werden, was Sprecher mit der Darstellung von Sachverhalten leisten. Sachverhaltsdarstellungen können mehr oder weniger expansiv, klar oder verschwommen sein; eine Thematisierung ist jedoch immer die Aktualisierung eines Wissensrahmens mit Hilfe partikulärer Mittel (Sandig 1986, S. 198). 106 Vergleicht man diese Einsicht z.B. mit den in der Konversationsanalyse beschriebenen Vorgängen im Rahmen subordinierter Paarsequenzen (side sequences, Schegloff 1972), dann zeigt es sich, daß zwischen der makrostrukturellen und der mikrosequentiellen Ordnung und Organisation im Gespräch Analogien im Umgang der Teilnehmer mit thematischer bzw. konditioneller Relevanz bestehen (vgl. Kallmeyer 1978, S. 193, 214f. u. Anm. 4). Steuerung 93 Zwischen den Begriffen ‘Fokus’, ‘Thema’ und ‘Relevanz’ bestehen Zusammenhänge, die bisher nicht endgültig geklärt sind. Wolf (1992) weist beispielsweise daraufhin, daß „ein auf dem Fokus-Konzept aufbauender Thema- Begriff [...] noch recht vage“ ist (Wolf 1992, S. 120) und daß die genauere Bestimmung dessen, wodurch die Aufmerksamkeitsorientierung an einem bestimmten außersprachlichen Weltausschnitt konstituiert, aufrechterhalten und aufgelöst wird, eng in Zusammenhang mit dem Relevanzbegriff in der Wissenssoziologie gesehen werden kann oder muß: Die Grundannahme besteht dabei darin, daß sich Individuen ihr Wissen in bestimmten sich wiederholenden gleichartigen Tätigkeitszusammenhängen aneignen. Von der jeweiligen Tätigkeitssituation sind bestimmte Relevanzsetzungen abhängig, die dem Handelnden anzeigen, was in einer Situation für den Vollzug von Handlungen wesentlich ist. Solche Relevanzsysteme werden von den Individuen bei ihrem Wissenserwerb gleichfalls angeeignet [...]. (Wolf 1992, S. 120f.) 107 Das Problem, das sich dem Analytiker stellt, ist insbesondere, die durch Subfokussierungen entstehenden, komplexen Relevanzverhältnisse (‘Relevanzsysteme’) empirisch angemessen zu beschreiben. Das Rezipieren von Fokus und Subfokus und, gleichzeitig, von deren Relevanzbeschaffenheit und Relevanzverhältnis ist konstitutiver Bestandteil des Wissenserwerbs in einer soziostrukturellen Gruppe und eben auch bei der Themakonstitution in der Arbeitsbesprechung. Die Aufmerksamkeitsorientierung der Teilnehmer ist hier nicht diffus, gestreut oder verworren, sondern sie gliedert sich nach prioritärischen Gesichtspunkten. Die Relevanzverhältnisse bei der Themakonstitution werden durch Fokussierungsleistungen hergestellt. Das Nebeneinander von Fokussierungen fuhrt zur Konstitution einer Relevanzabstufung: Worauf muß ich zuerst reagieren, was ist der wichtigste Aspekt innerhalb dessen, was der Partner geäußert hat, worauf kann oder muß ich später zurückkommen? Ich verstehe die prioritärische Struktur der Aufmerksamkeitsorientierung als eine ‘Vordergrund-Hintergrund-Gliederung’ des Fokus. 108 Die Gliederung bildet 107 ‘Tätigkeitszusammenhänge’, ein Begriff aus der russischen Tätigkeitstheorie und deren Rezeption in der ehemaligen DDR, entspricht etwa dem handlungstheoretischen Konzept des ‘Handlungszusammenhangs’ oder ‘-kontextes’, mit dem Unterschied (nach Rehbein), daß letzterer nicht zielgerichtet sei (vgl. Rehbein 1977, S. 48, 104; Becker- Mrotzek 1992, S. 3f). 108 Der Begriff ‘Vordergrund-Hintergrund-Gliederung’ hat (vielleicht auch nur sehr bedingt) Gemeinsamkeiten mit dem in der neueren grammatisch-phonologischen Intonationsforschung von Jacobs (1988) verwendeten Begriff des ‘Fokus-Vordergrunds’. Vgl.: „es gibt in komplexen Äußerungen, unabhängig von der Konstitution von Thema, Fokus usw. im satzgrammatischen Sinn eine Gliederung aufgrund der Relevanzeinstufiing“ (Kallmeyer 1978, S. 216). Die phonologische/ prosodische Gestalt des ‘Satzes’ hat Einfluß auf die Herstellung der Relevanzstruktur. Freilich werde ich diesen Gedanken satzanalytisch nicht weiter verfolgen können; ich analysiere ‘Fokusrelevanz’ v.a. im Hinblick auf soziale Inferenz. Satzanalysen blenden aus, daß Fokussierungen und thematische Konstitutionen auch untereinander verquickt sein können, nach einem linearen Maßstab (Themenreihenfolge) und anhand von Über-, Unter- und Nebengeordnetheit (Themenhierarchie). Makro- und Mikrostruktur sind miteinander verwoben. 94 Reden ist Chefsache einen Fokusbereich, aus dem die Gesprächsteilnehmer die jeweils am ‘relevantesten’ erscheinenden Foki zuerst aufgreifen werden. Mit dem Aufgreifen von Fokussierungen werden Handlungslinien konstituiert. Aufjede in der Themeneröffnung geleistete Subfokussierung können die Teilnehmer lokal oder weiträumig zurückgreifen. Interaktive Behandlungen thematischer Schwerpunkte (Subfoki des thematischen Fokus) können im Gesprächsverlauf ihrerseits themenkonstitutive Merkmale erlangen. Themenkonstitutive Merkmale sind Eröffnung, Bearbeitung und Abschluß, die alle drei nachgewiesen sein sollen, bevor von Sub- oder Nebenthemen gesprochen werden kann. Der übergreifende Fokus tritt bei der Bearbeitung untergeordneter Themen als latentes Rekursmittel in den Hintergrund des interaktiven Geschehens (Kallmeyer und Schmitt 1991a, S. 18). Mit Subthema oder subthematischen Fokus sind unter diesen Vorbedingungen Aspektualisierungen, Rückfragen zu thematischen Schwerpunkten etc. gemeint, die ohne explizite Schließungen des übergreifenden Fokus eingebracht und bearbeitet werden; Nebenthemen heißen Fokussierungen und Bearbeitungen inhaltlich nicht subordinierter, aber verwandter Sachverhalte, beispielsweise in Themenreihen (vgl. TA 4.03). 109 Sequentiell kann sich die Bearbeitung von Subfokussierungen auf aus dem Fluß des übergreifenden Fokus ausgelagerte - Äußerungstriplets (Fokussierung, Bearbeitung, Auflösung) beschränken. Andererseits können minimale Fokussierungen (z.B. durch Segmentierung oder Akzent hervorgehobene Lexeme) komplexe Bearbeitungsprozesse und Turbulenzen motivieren. Ich gehe davon aus, daß Fokussierungen im Rahmen themeneröffnender Aktivitäten immer potentiell in der Lage sind, je spezifisches Teilwissen beim Hörer zu aktualisieren und progressiv die Etablierung eines (Sub-)Themas unter Berücksichtigung institutioneller und situativer Beteiligungsvoraussetzungen einzuleiten (Sandig 1986, S. 198f). Sprachliche Fokussierungsverfahren haben Anteil an der Herstellung reziproker Handlungsgrundlagen, an der Gesprächsorganisation, an der Sicherstellung kontextbezogenen und kontinuierlichen Handelns usw. Ein einziger Abschnitt kann nicht beschreiben, welche Fokussierungsverfahren die Teilnehmer an Mitarbeiterbesprechungen bei Themeneröffnungen einsetzen. Ich beschränke mich auf drei typische Fokussierungsverfahren: 109 Bei mikrostrukturellen Vorgängen ist analog zu dieser Unterscheidung zwischen ‘subsidiary’ und ‘competitive sequences’ differenziert worden (Jefferson 1972). Jefferson beschreibt allerdings den kompetitiven Charakter einer sprachlichen Aktivität als ein mögliches Merkmal einer ‘subsidiary sequence’ (Jefferson 1972, S. 312). Dazu sagt sie: „There can be, for example, a „change of topic" or, on a finer scale, within a recognizably „same topic“, a shift of focus. These provide to varying degrees that was has been on-going is now no longer on-going.“ (ebd.). ‘Change of topic’ entspricht dem von mir verwendeten Begriff ‘Themenwechsel’; ein ‘shift of focus’ allein hat noch keinen themenkonstitutiven Rang (vgl. Bublitz 1988, S. 64ff.). Steuerung 95 1) Fokussierungen des Themas, die dieses 'schlagwortartig’ nennen, wobei mit einem einzigen Lexem diverse Anforderungen für die Hörer entstehen können und wobei dieses Lexem in initialer Position beim Äußerungsstart genannt wird (4.2.2.2). 2) Sukzessive Fokussierungen, im Sinne einer schrittweisen Präsentation des Anliegens des Sprechers, wobei die thematische Fokussierung in die Formulierungsprozedur mittig eingebettet wird (4.2.2.3). 3) Refokussierungen, mit denen ein als abgeschlossen geltender thematischer Gegenstand wieder als Aufmerksamkeitsorientierung aktualisiert wird. Als abgeschlossen gilt dabei ein thematischer Fokus, dessen Auflösung durch eine entsprechend gekennzeichnete Themenbeendigung signalisiert wurde (4.2.2.4). Es stehen sich hier zwei Fälle von ‘Erstfokussierung’ und ein Fall von ‘Wiederfokussierung’ gegenüber. Dies hängt damit zusammen, daß Refokussierungen in den Untersuchungsmaterialien ein relativ einheitliches Bild präsentieren, was die Gestalt der Formulierung betrifft. Z.B. kommen initiale, schlagwortartige Fokussierungen bei der Wiedereröffnung abgeschlossener Themenbearbeitungen nicht vor; die Refokussierung wird i.a. im Rahmen metakommunikativer Aktivitäten angezeigt. Die Positionierung der thematischen Fokussierung spielt schließlich auch eine Rolle im Hinblick darauf, wie der Sprecher mit vorangegangenen Foki operiert. M.a.W.: Die Art und Weise der initiativen Formulierung bei der Eröffnung eines Themas birgt ein enormes Kontrollpotential im Hinblick auf den vorangegangenen Kontext. 4.2.2.2 Schlagwortartige (initiale) Fokussierung Mit einer schlagwortartigen Eröffnung des neuen Themas ist gemeint, daß die thematische Fokussierung an erster Stelle in der themeneröffnenden Aktivität steht. In der Regel verwendet der Sprecher ein Lexem, das geeignet ist, die innerbetriebliche Relevanz des Themas auszuweisen. Die schlagwortartige Themeneröffhung kommt praktisch nur in fortgeschrittenen Gesprächsphasen vor. Analog dazu finden sich hier entsprechend auch weniger metakommunikative, der thematischen Fokussierung vorgeschaltete Aktivitäten. Interessanterweise gibt es keine schlagwortartige Themeneröffhung im Betriebsratsgespräch, dem eine schriftliche und zu Beginn verlesene Tagesordnung zugrunde liegt (fast alle Themen im Betriebsratsgespräch eröffnet der Vorsitzende mit einer Form wie „dann kommen wir zum Punkt X“). Zu dem Kontext des folgenden Beispiels: Die Filialdirektion der Versicherungsgesellschaft plant einen ‘Tag der offenen Tür’. DI präsentiert dieses Thema in allen drei dort aufgezeichneten Gesprächen (‘Inspektoren’ und ‘Bezirksleiter-1/ 2’). Nach Meinung DI’s haben die Mitarbeiter viel zu wenige (potentielle) Kunden persönlich eingeladen (vgl. TA 3.08). DI fragt einen Teilnehmer nach dem anderen, exakt wie viele jeder eingeladen hat, und kritisiert die Angaben entsprechend. Zuletzt fragt er den Innendienstmitarbeiter DB; die Frage nach der Anzahl der ausgesprochenen Einladungen hat sich zur Frage gewandelt, ob DB überhaupt jemanden eingeladen hat (s. Z. 1): 96 Reden ist Chefsache (4.05) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 DI *2,0* haben sie" eingladen- DB >ich< hab sechs * sieben DB stück eingeladen\ DI #wahnsinn\# ** betrie"bsausflug\ RÄUSPERN * K #TROCKEN, LEICHT GEREIZT DI achtzehnter' * ne\ * am' am siebenundzwa' ei”nen DI tag wird=s vorverlegt r der betriebsausflug wi"ssen Bl L mhm=m/ DI sie schon\ B2 dreiezwanzigster\ DI freitag samschtag/ * bezirksleiter-2/ 206 DI fällt DB schon ins Wort, als er die Zahlen sechs * sieben stück (Z. 2-3) genannt hat. Der Kommentar wahnsinn\ (Z. 4) ist in einem leicht gereizten Tonfall realisiert und in höchstem Maße ironisch (kritisch) zu verstehen. Bei allen anderen Teilnehmern (Bezirksleitern) hatte DI nach den Ursachen für die geringe Anzahl der Einladungen gefragt, bei DB verzichtet er darauf. Zwar legt es die bisherige sequentielle Struktur der ‘Einzelbefragungen’ nahe, daß DI nunmehr auch DB explizit kritisiert. Insofern kann er bereits mit der ersten Reaktion (yvahnsinnX) DB wieder vom Floor verdrängen. DI wechselt aber mit dem Lexem bethe"bsausßug\ (Z. 4) unvermittelt das Thema. 110 Das Schlagwort ist links und rechts (‘Räuspern’) durch Segmentierungen abgetrennt. Zusätzlich trägt es eine markante Akzentuierung auf der zweiten Silbe und einen themenorganisatorisch wirksamen, stark fallenden Grenzton, wie er für links anschließende Vorlaufelemente nachgewiesen wurde (Abschnitt 4.2.1.1). Die Vorlaufeinheit wird gleichsam durch das schlagwortartige Fokussieren des neuen thematischen Fokus ersetzt. Mit Hilfe der prosodischen Gestaltung wird die Fokussierung zum wichtigsten Diskursstrukturierungsmittel an dieser Stelle; retrospektiv erscheint die ‘Bewertung’ von DB’s Beitrag seitens DI (Wahnsinn^ als abschließende Wertung des vorangegangenen Themas und als Textherstellungshandlung. Nach Abbrüchen und dem Anzeigen einer Selbstkorrektur (ne\, Z. 5) formuliert DI zwei Äußerungsteile, in deren Mitte noch einmal das den thematischen Fokus designierende Lexem steht: ei"nen tag wird=s vorverlegt der betriebsausßug wi"ssen sie schon\ (Z. 5-6, 8). Die akzentuierten Einheiten ei "neu und wi"ssen subfokussieren relevante Aspekte für die Bearbeitung des Themas (s. z.B. die Bestätigung des ersten Subfokus durch Bl, Z. 7). Ein ähnlicher Fall war weiter oben bereits angesprochen worden. Das linke Element des Vorlaufs war durch das Entstehen einer langen Pause obsolet 110 Der institutionalisierte Gesprächsrahmen (offiziell: ‘Wochenbesprechung mit Bezirksleitem mit angestellten Mitarbeitern’) schließt im übrigen tendenziell aus, daß DI die Leistung von DB hier und jetzt beurteilt. Steuerung 97 geworden, der Sprecher hatte die initial positionierte thematische Fokussierung ebenfalls mit einem Akzent markiert: (4.06) 1 Ml >beleu"chtung herr Kühn\< * an denne tage * 2 Ml sage sie mir jemand der wo=s li"cht ausmacht/ * 3 Ml ich zeig ihne wu"\ *2,5* meister-2/ 40 Auch hier folgen auf die initiale Fokussierung des Themas (beleu"chtung, Z. 1) die für die Bearbeitung notwendigen Subfokussierungen; Ml formuliert sein Anliegen erst im weiteren Vollzug seiner Eröffnung, und zwar als Problem: Es gibt bisher niemanden, der für das Abschalten der Beleuchtung an den Tagen der Inventur zuständig wäre. Ml weist dem Bereichsleiter für Logistik die Zuständigkeit (an denne tage, d.i. die ‘Inventur’, Z. 1) und einen primären Hörerstatus zu (herr Kühn, Z. 1), expliziert eine handlungsspezifische Erwartung (sage sie mirjemand, Z. 2), verleiht dem Thema eine problematische Dimension, indem er sich der Verantwortung des Licht-Abschaltens entzieht (Z. 2), und klärt im Vorfeld eine Randbedingung für die Verwirklichungsmöglichkeit seines ‘Lösungsvorschlags’ (falls LO den Platz des Lichtschalters nicht kennt, zeigt er ihn ihm, Z. 3). Allgemein könnte man sagen, daß der initial positionierte thematische Fokus zwar den außersprachlichen Referenzbereich designiert, daß die Entfaltung des Themas jedoch auch und entscheidend davon abhängt, welche subordinierten Fokussierungen der Sprecher im folgenden Formulierungsprozeß einbringt. Die Notwendigkeiten der thematischen Bearbeitung werden durch Subfokussierungen präzisiert. In diesem Fall wird eine Relevanzstruktur entwickelt bzw. etabliert, die über eine außerordentliche Komplexität verfügen und explizite Verhaltensfestlegungen beinhalten kann. Die initiale thematische Fokussierung unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht wesentlich von einem sukzessiven Fokussierungsverfahren. Die sukzessive Fokussierung in Verbindung mit einer initialen Fokussierung des Themas kommt im Korpus jedoch selten vor; sukzessive Formulierungsverfahren werden von den Sprechern bei komplexen Problemen und in umfangreichen Sachverhaltsdarstellungen präferiert. Entsprechend tritt die initiale thematische Fokussierung vornehmlich beim Informationsaustausch und vor vorhersehbar ‘unproblematischen’ Bearbeitungen auf. Das Auffällige an ihr ist die Äußerungsgestalt, in knappen, fast im ‘Telegramm-Stil’ gehaltenen Formulierungen. Kennzeichnend sind weiter das linke syntaktische Heraustrennen und das Akzentuieren des Lexems sowie (para-)sprachliche Mittel, die der diskursstrukturierenden Funktion verstärkten Ausdruck verleihen. 98 Reden ist Chefsache Das Plazieren der Fokussierung an erster Stelle in der Formulierung verweist weiträumig auf den institutionellen, formellen Charakter des Gesprächs, in dem es z.T. keiner einleitenden Bemerkung bedarf, um die Aufmerksamkeit der Teilnehmer in die gewünschte Richtung zu lenken. Der Nachweis des Fokussierungsverfahrens in verschiedenen Gesprächen im Korpus läßt darüber hinaus den Schluß zu, daß es sich bei diesem Verfahren um den ersten Schritt einer im Institutionstyp konventionalisierten Form von Eröffnungssequenz handelt. Institutionelle Handlungsbedingungen (z.B. der Zeitdruck, die Voraussetzung von Rollenkonformität) können die soziale Relevanz alltagsweltlicher Kooperationsformen (Einleitungsphrasen, ritualisierte Situationseröffnungsmuster etc.) ausblenden. Die initiale thematische Fokussierung ist weiterhin ein Beweis dafür, daß die Teilnehmer an Mitarbeiterbesprechungen in der Lage sind, durch das Auftauchen bestimmter Ausdrücke je spezifische Wissens- und Handlungsgrundlagen zu aktualisieren. Hierin liegt auch das Steuerungspotential dieser Klasse themeneröffhender Formulierungen. Schließlich kann für das vorliegende Korpus festgehalten werden, daß statusinferiore Mitarbeiter dieses Fokussierungsverfahren nur auf subthematischer Ebene anwenden, wenn sie den übergeordneten thematischen Fokus nicht verlassen. Dies hängt mit der Verteilung der Beteiligungsrechte zusammen: Das Schließen eines übergreifenden Fokus (Themenbereichs) ist ein Exklusivrecht des Gesprächsleiters. 4.2.2.3 Sukzessive Fokussierung Das Verfahren der sukzessiven Fokussierung ist eine schrittweise Fokussierung thematischer Aspekte in mehr oder weniger selbständigen Äußerungseinheiten (Kallmeyer und Schmitt 1991a, S. 18ff). Das Verfahren ist relativ typisch bei der Darstellung komplexer Sachverhalte, etwa planerischen Konzepten, mehrdimensionalen Problemen im Arbeitsprozeß oder bei einer Kritik an der Arbeitsleistung einzelner Mitarbeiter. Bei der sukzessiven Fokussierung muß im einzelnen unterschieden werden zwischen dem thematischen Fokus und der Fokussierung des Problemkems, die der Sprecher u.U. erheblich hinauszögern kann. Letzteres ist typisch für Angestellte, die ein problematisches Anliegen haben. Der Problemkern wird erst nach partnerseitiger Bestätigung der Legitimierung eingebracht. Die Akzeptanz des Fokus von Seiten des Vorgesetzten bereitet den Boden für partikuläre Problematisierungen. Der übergreifende Fokus rückt im Gesprächsverlauf zunehmend in den Fokus-Randbereich (vgl. Abschnitt 4.3.3.1). Die folgenden Transkriptausschnitte aus dem Gespräch ‘Agentur’ bieten auf relativ kleinem Raum Einsicht in das Verfahren sukzessiver Fokussierung. Einer der Geschäftsführer (Gl) der Versicherungsagentur führt in das Thema ‘Frauengesprächskreise’ ein. Die Gesprächskreise mit dem Motto ‘Frauen be- Steuerung 99 raten Frauen’ wurden ins Leben gerufen, um Frauen auf Versorgungslücken in ihren Familien aufmerksam zu machen (Unfall-, Renten-, Krankenversicherungsbereich etc.). Weibliche Außendienstmitarbeiter der Agentur organisieren und leiten die Gesprächskreise an verschiedenen Orten in Deutschland. Für Karlsstadt, den Sitz der Agentur, hat die Sekretärin (SE) betreuende Aufgaben. (4.07) 1 Gl mä: n * mir erleben=s jo jetzt wieder- 2 Gl daß grad ** wann isch des nekschte thema/ * 3 Gl mit denne frau"e*kreise do nä/ *1,5* ähm * ich 4 Gl hab=s jo ihne vorhin * bestätischt/ des war also 5 Gl de be"schte kreis wo mer bisher gehabt hän des 6 Gl war der in Beu"geberg\ * äfach vun de lei"t her- * 7 Gl vun' vun de the: "matik her/ vun' * vun de 8 Gl atmosphä"re her/ * war wirklich su”per\ des 9 Gl häm=mer' * do hätt de reinste zampano spiele 10 Gl känne wie verrickt/ * des war nie: " kumme\ r *2,0* 11 SE L mhm=m\ agentur/ 66 Gl fokussiert mit frau "e *kreise (Z. 3) das Thema. Zuvor hatte er mit einem gesprächsorganisatorischen metadiskursiven Äußerungsteil (grad ** warm isch des nekschte thema/ , Z. 2) den Themenwechsel markiert. 111 Dann folgen ein Verweis auf ein früheres Gespräch mit der Sekretärin (ihne vorhin * bestätischt, Z. 4) und die akzentuierte Subfokussierung eines einzelnen Gesprächskreises (Beu"geberg, Z. 6). Diese Subfokussierung ist bereits mit einer ebenfalls akzentuierten positiven Bewertung verknüpft: de be"schte kreis (Z. 5). Gl fuhrt in das Thema ein, indem er sein eigenes Erlebnis erzählt und positiv bewertet. Der Ausdruck des positiven ‘Erlebens’ wird durch diverse (para-)sprachliche Gestaltungsmittel markiert. Dazu gehören Superlative (de be"schte kreis, Z. 5; su"per, Z. 8; de reinste zampano, Z. 9), Vergleiche (wo mer bisher ghatt hän, Z. 5; wie verrickt, Z. 10) und weiterhin eine Parallelisierung der Gestalt derjenigen Äußerungsteile, die wiederum Subfokussierungen von Aspekten des Beugeberger Gesprächskreises beinhalten (‘Leute’, ‘Thematik’, ‘Atmosphäre’, Z. 6-8). Die Parallelität umfaßt die syntaktischen Strukturen der Präpositionalkonstruktionen, die Akzentuierung des jeweiligen Aspekts und sogar Abbrüche und Neustarts bei der Formulierung des zweiten und dritten Aspekts: vun' [...] vun de [...] (Z. 7-8). Nach einer zusammenfas- 111 Die Funktion der Partikel grad (Z. 2), als ‘selektive Angabe’ (Engel 1988, S. 227f.), kann als ein präzisierender oder konkreüsierender Anschluß an das vorangegangene Thema, bei dem es um die Arbeitsmoral der Mitarbeiter in den neuen Bundesländern ging, umschrieben werden. (Auch Beugeberg (Z. 6) liegt in den neuen Bundesländern.) Insofern könnte grad als linkskonnexes Element des Vorlaufs, hier in einem verdeckten Themenwechsel, gelten. 100 Reden ist Chefsache senden Bewertung (war wirklich su"per\, Z. 8) läßt der Sprecher eine Bewertungsexpansion in Form eines hypothetischen Vergleichs folgen: do hält de reinste zampano spiele käme wie verrickt/ * des war nie: " kumme\ (Z. 9-10). Damit soll ausgesagt werden, daß sogar ausgezeichnete Alternativen zur Unterhaltung keinen Anklang gefunden hätten. Hier finden sich Stilmittel der Übertreibung, und zwar lexematisch (wie verrickt) und prosodisch (nie: "), ebenfalls zur Markierung des Ausdrucks positiven Erlebens, hier eingebettet in eine fazitartige Aktivität. 112 Der Vorgesetzte unterstreicht insgesamt den Vorbildcharakter des Gesprächskreises in Beugeberg, wobei er auf Gestaltungsmittel diverser sprachlicher Subsysteme rekurriert. Vorgreifend kann gesagt werden, daß die Teilnehmer die subfokussierten Aspekte ‘Leute’, ‘Thematik’ und ‘Atmosphäre’ im nachfolgenden Gespräch (z.T. mit erheblichen Verzögerungen) alle als Bearbeitungspunkte aufnehmen werden und daß die Bewertung des Beugeberger Gesprächskreises durch Gl weiterhin gewissermaßen als Evaluierungsmaßstab gilt. Nach einer kurzen Sprechpause (Z. 10), während der SE ein Verstehenssignal sendet (Z. 11), modifiziert Gl kurzfristig seine Perspektive auf den Beugeberger Gesprächskreis: (4.08) 12 Gl ähm ** we: ß a: net * weil mer äfach * net so viel 13 Gl * äh ähm ** versi"cherungsdeitsch gschwätzt hän 14 Gl find ich mo\ r *2,0* 15 SE L mhm=m\ agentur/ 66 Der Äußerungsteil referiert auf die Sprachverwendungsweise im Beugeberger Gesprächskreis, die von einem erwartbaren (fachsprachlichen) Diskurs in derlei Akquisitionsgesprächen abwich (net so viel [...] versi"chemngsdeitsch, Z. 12-13). 113 Der modalisierende Rahmen (we: ß a: net [...]ßnd ich mo, Z. 12, 14) signalisiert einen Wechsel im bisherigen, konstativ-assertativen Duktus des Sprechers. Die Vermutung von Gl hat den Charakter eines ‘spekulativen’ Einschubs. Das Lexem versi"cherungsdeitsch kann wie schon die zuvor genannten Aspekte als Subfokussierung aufgefaßt werden, die in der späteren Diskussion zu einem Anhaltspunkt für die Teilnehmer werden könnte. (Tatsächlich spielt der Diskurs von Versicherungsrepräsentanten im Laufe der 112 Da im gesamten Gespräch eine stark dialektal getönte Umgangssprache dominiert, mag das lexematische Stilmittel noch als konventionelles Ausdruckselement gelten; beim prosodischen ist das m.E. mit Bestimmtheit nicht mehr der Fall. 113 Die evaluative Grundhaltung des Sprechers bleibt gleichwohl bestehen. Die Vokabel ‘Versicherungsdeutsch’ hat evaluativen Charakter, weil mit ihr alltagsweltlich negative Aspekte konnotiert werden (z.B., daß das ‘Versicherungschinesisch’ deshalb kompliziert ist, weil der Kunde Kleingedrucktes nicht auf Anhieb durchschauen soll). Steuerung 101 Themenbearbeitung noch eine wichtige Rolle.) Im folgenden reformuliert Gl seine Einstellung zu dem Beugeberger Gesprächskreis (Z. 16-19) und bereitet die Weitergabe des Rederechts an SE vor. Aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Gesprächskreise in Karlsstadt kommt SE vorrangig für die Bearbeitung von Gl’s Initiative in Frage. Ihre Verstehenssignale (Z. 11, 15, 22, 25) machen ihre Bereitschaft zur Übernahme dieser beteiligungsrollenspezifischen Aufgaben deutlich. (4.09) 16 Gl jetzt we: ß' ich kann=s also 17 Gl nur so begeischtert weitergewwe/ * wie mir=s 18 Gl erlebt hän/ wie mir uns eigentlich a: einich 19 Gl waren/ ** daß des e gute sach wa"r\ ne/ * unn 20 Gl do druff uffgebaut\ * jetzt sie hänn=s in 21 Gl Ka'^lsstadt mitgemacht/ 22 SE mhm=m/ 23 Gl zur zeit hängt=s e 24 Gl bissei in Karlsstadt/ 25 SE des schon ja\ 26 Gl ähm ** misse=mer 27 Gl do was ä"ndern oder * an was mä: nen se daß es hängt- 28 SE *1,7* mhm ja- # # * ich meine wenn die fra"ge oder K #HÖRBARES AUSATMEN 29 SE wenn * der name Versicherung ins * gespräch kommt- K #G1 SPPRICHT LEISE ZU G2# 30 Gl mhm=m/ 31 SE dann * blocken die leute immer erst mal ab\ * gell/ agentur/ 66 Gl schließt die Subfokussierung des Beugeberger Gesprächskreises mit einer elliptischen Konstruktion, die seinen Anspruch an das weitere praktische Vorgehen deutlich macht: unn do druff uffgebaut\ (Z. 19-20). Mit dem folgenden Äußerungsteil wird nun kontrastiv zum Beugeberger Fall (s. die Akzentuierung von Ka"rlsstadt, Z. 21) ein Fokus konstituiert, der eine Problemdimension enthält: Die Erfolge in Karlsstadt bleiben hinter den Erfahrungen in Beugeberg zurück. Gl bereitet die Weitergabe des Rederechts an SE vor, indem er zunächst mit einem Vorlaufelement den Fokuswechsel markiert (jetzt, Z. 20) und das für die Bearbeitung in Frage kommende Sprecher-Hörer-Verhältnis definiert (sie hänn=s in Ka"rlsstadt mitgemacht, Z. 20-21). Dieser Äußerungsteil und auch der nächste, der eine explizite Fokussierung des Problems in Karlsstadt enthält (zur zeit hängt=s e bissei, Z. 23-24), wird von SE ratifiziert (mhm/ , Z. 22; des schon ja\, Z. 25). Es handelt sich hier um eine typische interaktive Festlegung teilnehmerspezifischer Beteiligungsaufgaben zu Beginn von Themenbearbeitungen. Gl formuliert zwei Fragen an SE. Mit einer Entscheidungsfrage wird die Option genannt, ‘etwas ändern’ zu müssen; 102 Reden ist Chefsache mit einer inhaltlichen Frage wird SE zu einer Stellungnahme veranlaßt (Z. 26- 27). SE übernimmt in ihrer Antwort zunächst den von Gl subfokussierten Aspekt ‘Versicherungsdeutsch schwätzen’: wenn * der name Versicherung ins * gespräch kommt (Z. 29). Die Fokusübemahme wird durch eine Akzentuierung des Lexems ‘Versicherung’ markiert. Damit ist ihre Äußerung in bezug auf die von Gl geäußerte Vermutung kontextualisiert, weniger ‘Versicherungsdeutsch’ könne der Qualität der Gesprächskreise nützen, was SE ex contrario mit ihrer Erfahrung bestätigt: dann blocken die leute immer erst mal ab\ (Z. 31). Dies kann nach ihren Verständnissignalen als ihr erster inhaltlicher Beitrag zur Themenbearbeitung gelten. Die Bearbeitung orientiert sich zunächst an einem der von Gl subfokussierten Aspekte der Gesprächskreise. Die von Gl bis zur Übernahme durch SE geleisteten sukzessiven Fokussierungsschritte lassen sich etwa wie im folgenden Schema darstellen, wobei mit Ausnahme der expliziten Problematisierung des Karlsstadter Gesprächskreises (zur zeit hüngt=s e bissei, Z. 23-24) nur akzentuierte lexiko-semantische Einheiten aufgelistet sind. Die evaluativen Charakteristika Gl’s Sachverhaltsdarstellung, v.a. in bezug auf den Beugeberger Gesprächskreis, bleiben hier außer acht. Es fällt ohnedies auf, daß Gl’s Ausführungen zu seinem positiven Erleben in Beugeberg den an inhaltlichen Details und an prosodischen Mitteln weitaus reicheren Teil seiner Sachverhaltsdarstellung ausmachen. Von thematischen Fokuswechseln kann hier nicht gesprochen werden; es handelt sich bei dem ‘Vergleich’ zwischen Beugeberg und Karlsstadt vielmehr um Fokusverlagerungen innerhalb eines thematischen, übergreifenden Fokus. Thematischer Fokus: ‘Gesprächskreise’ Subfokusebene 1: „Beugeberger Kreis“ Subfokusebene 2: „Leute“ „Thematik“ „Atmosphäre“ „Karlstadter Kreis“ „Hängt ein bißchen“ „Etwas ändern“ Der Anlaß zu der Behandlung des Themas ‘Frauengesprächskreise’ ist neben dem Transfer von Informationen über das Geschehen im ostdeutschen Wirkungsfeld der Agentur in der Bearbeitung des Problems ‘Gesprächskreise in Karlsstadt’ auszumachen, deren Effizienz hinter dem Anspruch der Geschäftsleitung zurückbleibt. Die subordinierte und im folgenden subthemen- Steuerung 103 konstitutive Fokussierung des Problems erfolgt jedoch erst nach einer positiven Bewertung eines anderen Gesprächskreises. Anfangs hatte ich auf die strategische Verwendung des sukzessiven Fokussierungsverfahrens seitens Angestellter hingewiesen, die eine Problematisierung zu verschleiern versuchen. Im vorliegenden Fall kann der ‘vorgelagerte’ Ausdruck positiven Erlebens motivationale Gründe haben. 114 Das sukzessive Fokussierungsverfahren hat den bei weitem größten Anteil an den Themeneröffhungen im Korpus. Die thematische Fokussierung ist dabei regelmäßig in die ersten Äußerungsteile eingebettet und häufig syntaktisch integriert. Ellipsen (grad ** wann isch des nekschte thema/ * mit denne frau"e*kreise do nä/ , TA 4.07, Z. 2-3) bilden eher die Ausnahme. Das sukzessive Fokussierungsverfahren in Themeneröffnungen ist in Zusammenhang mit den Charakteristika komplexer Sachverhaltsdarstellungen zu sehen, die z.B. Realisierungsformen umfangreicher Problempräsentationen (Nothdurft 1984) ähneln, bei einem rein informativem Anspruch Merkmale narrativer Textsorten tragen oder bei konfliktivem Potential eine Summe konfliktvermeidender Signale (wie Modalisierungsformen, relevanzabschwächende Einschübe etc.) beinhalten. Die im einzelnen realisierten Subfokussierungen bilden eine komplexe Relevanzstruktur, die zur interaktiven Aushandlung von Problemdefmitionen, der Gültigkeit von Perspektiven und allgemein zu Abwägungen von institutioneilen Relevanzverhältnissen Anlaß geben kann. 4.2.2.4 Thematische Refokussierung Bei refokussierenden Aktivitäten kann man grob unterscheiden: zum einen die Wiedereröffnung eines bereits abgeschlossenen Themas; zum anderen die ‘Reetablierung’ des thematischen Fokus, wenn er durch Subthemen in den Fokus- Randbereich gedrängt worden ist. Gemeinsames Kennzeichen refokussierender Aktivitäten ist die Tatsache, daß zwischen der ersten (oder vorherigen) Bearbeitung des Fokus und der Wiedereröffnung die Aufmerksamkeit der Teilnehmer (mindestens) einem anderen (sub-)thematischen Fokus gegolten hat. Im folgenden beschränke ich mich auf thematische Refokussierungen, also auf Fokussierungen, die ein bereits abgeschlossenes Thema wiedereröffnen. Die Reetablierung des thematischen Fokus nach Subthemenbearbeitungen soll 114 Das Signalisieren positiver Einstellungen und Erfahnmgen ist eine in den Lehrmeinungen der innerbetrieblichen Aus- und Weiterbildung stark vertretene Führungsstrategie. Ein Satz aus den Materialien eines von Gl besuchten Seminars lautet: „Die Strategie des gut geführten Gesprächs zielt darauf ab, den Bereich des gemeinsamen Interesses auszuweiten und dessen Bedeutung für beide Partner zu steigern" (Käser o.J., S. 13). (Die Unterlagen wurden mir freundlichenveise zur Verfügung gestellt.) 104 Reden ist Chefsache nicht als Refokussierung gelten. Bei der Reetablierung ist die Kondition nicht erfüllt, daß der übergreifende Fokus zuvor abgeschlossen worden war. 115 Typisch für die thematische Refokussierung ist das Nennen des Themenbereichs (oder des Themas) im ersten Äußerungsteil, der in den meisten Fällen elliptisch konstruiert ist. Im ersten Äußerungsteil ist (mindestens) ein lexematisches Element vorhanden, dessen Bedeutung den Themenwechsel anzeigen kann, weil es mit dem thematischen Fokus des voraufgegangenen Themas kontrastiert und das zugleich einen kontextuellen Bezug zu einem früheren Thema herstellt. Mindestens eine der folgenden Eigenschaften ist in den Korpusbelegen jeweils erfüllt: Das Lexem ist in den Abschluß der Formulierung integriert (terminale Position); die rechts anschließende Charakteristik wird durch schwebenden bzw. steigenden Grenzton unterstützt; der Sprecher akzentuiert das lexematische Element und hebt es durch Segmentierungen aus dem Formulierungsfluß heraus, und/ oder in dem Lexem ist die Potenz enthalten, die interaktionsspezifische Relevanz des Themas zu legitimieren. Ein Kennzeichen, das für alle thematische Refokussierungen in der Mitarbeiterbesprechung nachgewiesen werden kann, ist die Einbettung des Lexems in einen metakommunikativen Äußerungsteil. Die thematische Refokussierung innerhalb eines metakommunikativen Beitrags enthält typischerweise lexikalische Elemente mit dominant der Herstellung von Kohäsion dienenden Funktionen, wie „um zurückzukommen auf X“ oder „zum Thema X noch mal“.' 16 Vorlaufelemente werden hier durch anaphorische Ausdrücke substituiert (z.B. zurück zu, noch mal zu [...]). Die Spezifik der Metakommunikation ist sozusagen formaler Natur. Sie beinhaltet keine Wertungen, explizite Ausführungen zu emotionalen Haltungen o.ä.; die illokutive Funktion ist auf die orientierungsleitende Wirksamkeit reduziert. Die kommunikative Absicht einer Refokussierung ist die eines hörerseitig mitvollzogenen Themenwechsels bei gleichzeitiger Herstellung thematischer Kohäsion. Bei Themen, deren institutioneile Relevanz fragwürdig ist (s.u. das Beispiel zur Eröffnung des Themenbereichs ‘Gerüchte’), kann die Refokussierung eine legitimierende Funktion übernehmen. 115 Interessant ist gleichwohl, daß Reetablierungen im Zusammenhang mit strategischen Steuerungsverfahren gesehen werden können oder sogar müssen. Dem Sozialpsychologen Holtgräves (1986, S. 306) zufolge indiziert die ‘Rückkehr zum Übergeordneten’, daß das Vorangegangene für den Sprecher negativ war. Einen solchen Fall, wo der thematische Fokus wieder in den Vordergmnd gestellt wird, diskutiere ich in Abschnitt 4.2.4.3. 116 An Formen thematischer Refokussierung waren im Korpus nachweisbar: um zurückzukommen zu X (1/ 13/ 17), nochmal zu X (II/ 46/ 2, V/ 126/ 14), bleiben wir jetzt bei X (V/ 96/ 1), kommen wir wieder zurück zu X (1/ 25/ 2), wir gehen wieder zurück zu X (V/ 96/ 3, V/ 141/ 1) und: um’s nochmal zu sagen ... (X) (VIII/ 210/ 18). Steuerung 105 Allgemeine Gründe für die Refokussierung können z.B. Probleme sein, die noch nicht gelöst wurden; im einfachsten Fall sind es Fragen zu Randbedingungen, deren Erläuterung nicht ausreichend war und jetzt nachgeholt werden soll. Tendenziell aktiviert die Refokussierung eines im Rahmen der interaktiven Beteiligung schon einmal behandelten Fokus alles, was die Teilnehmer an interaktionsrelevantem und inhaltlichem Wissen hierzu gespeichert haben. Im folgenden Beispiel macht der Sprecher über eine Refokussierung deutlich, daß das von ihm in diesem Moment eröffnete Thema zu demselben Themenbereich gehört wie ein zuvor in demselben Gespräch bearbeitetes Thema. 117 (4.10) 1 WL (...) moment jetztherr Merkel/ 2 BV um noch 3 BV einmal zurü"ckzukommen zu * personal- * 4 BV mich wundert=s immer wieder- * wir sind eben 5 BV hier beim * reinlaufen * der Gruber und isch * 6 BV vom * kollegen Hermann gefragt worden was 7 BV denn wohl dran sei- * daß der * Hu"ber ins 8 BV ta"nklager kommt\ ** wo * können so" gerüchte denn 9 BV herkommen\ * n' also so la"ngsam- ** frag ich mich ob 10 BV des dann noch normal läuft\ meister-1/ 13 Der Betriebsratsvorsitzende (BV) refokussiert den Themenbereich ‘Personal’ (Gehälter, Arbeitsplätze, Versetzungen usw.), der beim ersten Thema des Gesprächs ‘Meister-1’ eine Rolle spielte. Der Werksleiter stellte dort eine Liste vor, auf der die Mitarbeiter nach Kostenstellen (Abteilungen) und Gehaltsbzw. Lohngruppen aufgefuhrt waren. Die Form um noch einmal zuhi "ckzukommen zu (Z. 2-3) ist eine typische metakommunikative Einbettung der Refokussierung. Das Lexem personal- (Z. 3) ist terminal positioniert, durch Segmentierungen aus dem Formulierungsfluß herausgehoben, durch den schwebenden Grenzton rechts angeschlossen und designiert einen unternehmerischen Organisationsbereich. Die von BV hergestellte themenorganisatorische Kohäsion betrifft aber nicht unmittelbar den Fokus des ersten Themas im Gespräch (WL’s Liste), sondern nutzt gleichsam die übergreifende Referenz des Lexems personal, um einen neuen, bisher nicht behandelten Themenbereich zu eröffnen. Der Begriff hat hier sozusagen eine themenüberleitende Funktion; er legitimiert vorab die Eröffnung eines Themenbereichs ‘Gerüchte’, 117 Die Beanspruchung des Rederechts seitens des Betriebsratsvorsitzenden BV erfolgt durch Handzeichen. Bei dem von ihm eröffneten Thema handelt es sich um ‘kursierende Gerüchte’ im Werk. Ein komplettes Transkript der Themenbearbeitung findet sich wegen der vielen von mir verwendeten Beispiele im Anhang II. 106 Reden ist Chefsache weil Personalfragen in der Meisterbesprechung eingeschränkt diskutiert werden können. Für BV ist ‘Personal’ der Bereich, in dem er bei seiner Arbeit als Betriebsrat ein erweitertes Mitspracherecht innehat. In diesem Bereich spielen nicht nur für BV, sondern auch für die anderen Teilnehmer die Sicherung der Arbeitsplätze, Fragen der Vergütungsgruppen usw. eine wichtige Rolle. Die ambivalente Beteiligungsrolle des Teilnehmers BV, der ja auch Meister ist, und die zum Teil sehr aktuellen Personalfragen sind Aspekte, die die Teilnehmer durchaus kennen und berücksichtigen. BV bringt die ‘angebliche Versetzung des Kollegen Huber’ mit ‘Personalfragen’ in Zusammenhang (Z. 7-8), stellt sie aber auch oder vor allem als Gerücht dar; im folgenden geht es denn auch ausschließlich um Gerüchte. Die konkrete Frage der Versetzung von Herrn Huber greift BV erst gegen Ende der Themenbearbeitung wieder auf (etwa zehn Minuten später). Es ist eindeutig, daß zentrale Begriffe wie personal die Lokalisierung des Themas ermöglichen. Weiter ist anzunehmen, daß Begriffe, die ein problematisches Potential innehaben (z.B. divergente Sichtweisen zulassen), eine Summe von Wissensressourcen bei den Teilnehmern aktualisieren, die sie im Zuge der folgenden Bearbeitung mittels Subfokussierungen in komplexe Relevanzverhältnisse einbringen. Im folgenden Beispiel refokussiert der Teilnehmer M8 das Thema ‘Inventur’, das in demselben Gespräch bereits besprochen worden ist (das Thema wurde etwa zwölf Minuten vorher beendet), und nach dem zwei andere Themen unter der Leitung von WL bearbeitet worden sind. (4.11) 1 WL okay\ ** noch themen/ *1,6* noch r themen/ 2 M8 L ja zur' K #GESPRÄCH IM HINTERGRUND # 3 M8 zur inventu"r noch mal\ ja/ 4 LO rahm\ 5 M8 äh herr Kühn äh * 6 M8 wa"nn geben sie bekannt we"r wa"s au"fzunehmen 7 M8 hat\ meister-2/ 46 WL signalisiert, daß er selbst keine Themen mehr hat, die er besprechen will, und bietet die Weitergabe des Rederechts mit fragender Intonation (steigender Grenzton) an: ttoch themen/ (Z. 1). Gleichzeitig projiziert er das mögliche Gesprächsende, falls es zu keiner Themeneröffnung seitens der Anwesenden kommen sollte. M8 fällt WL bei der Reformulierung der Frage ins Wort. Die Partikel ja (Z. 2) bildet das Vorlaufelement seiner Eröffnung und beantwortet gleichzeitig WL’s Frage. Nach Abbruch und Neustart wird das refokussierte Thema innerhalb eines metadiskursiven Äußerungsteils {zur inventu"r noch Steuerung 107 mal, Z. 3) akzentuiert genannt; im Anschluß fordert der Meister eine Bestätigung der thematischen Refokussierung: ja/ (Z. 3). Durch das Ratifizierungssignal seitens LO (Z. 4) und die nachfolgende namentliche Adressierung (Z. 5) etablieren LO und M8 die zunächst für die Themenbearbeitung in Frage kommende Sprecher-Hörer-Konstellation. Auch wenn in den beiden vorangegangenen Themen WL das Gespräch geleitet hatte, greifen die Teilnehmer beim Thema ‘Inventur’ sofort wieder auf die themenspezifische Sprecher-Hörer-Konstellation zurück. Dies ist ein typisches Signal dafür, daß in den Mitarbeiterbesprechungen die Beteiligungsrollen und -aufgaben klar verteilt sind. Die Zuständigkeit LO’s rangiert vor der gesprächsorganisatorischen Dominanz des Werksleiters. Die Bearbeitung des Themas kann an der Stelle fortgesetzt werden, an der das letzte dem übergreifenden Fokus ‘Inventur’ zuzuordnende Subthema abgeschlossen worden war. 118 4.2.3 Zusammenfassung Zwei Aspekte wurden in diesem Abschnitt unterschieden: a) Gliederungssignale (Vorlaufeinheiten), mit denen die Sprecher die Grenzen zwischen thematisch einheitlichen Abschnitten im Gespräch markieren und für die eine Form der ‘idealen Abfolge’ synthetisiert werden kann, mit der Themenwechsel regulär vollzogen werden, und b) Fokussierungsverfahren, mit denen der für die Themenbearbeitung relevante außersprachliche Weltausschnitt fokussiert und mit Subfokussierungen diversifiziert werden kann. Bei beiden kookkurrieren sprachliche Ausdrucksmittel, die auf unterschiedlichen linguistischen Ebenen beschrieben werden können (syntaktisch, prosodisch, lexiko-semantisch, parasprachlich etc ). Der formal-strukturelle Aspekt von Themenwechseln ist von Sprecherwechseln unabhängig; allerdings verändern sich mikrostrukturelle Anforderungen an die themenkonstitutive Aktivität. Das hörerwirksame Anzeigen der Themenbeendigung und ThemeneröfTnung muß in jedem Falle gewährleistet sein. 119 Folgendes kann festgehalten werden: - Die thematische Organisation des Arbeitsgesprächs gründet auf reziproken Orientierungen der Teilnehmeraufmerksamkeit, die durch Fokussierungs- und Fokusauflösungsprozesse zeitlich-syntagmatisch und inhaltlich-hierarchisch gegliedert ist. Komplexe, durch subordinierte Fokussierungen eta- 118 M8’s Frage (Z. 6-7) bezieht sich auf den Arbeitsvorgang bei der Inventur. Das Konzept war zwar insgesamt dargestellt worden; die Distribution der Mitarbeiter auf die zu inventarisierenden Bereiche fehlt jedoch noch. 119 Dies ist bis zu einem gewissen Grad eine idealtypische Voraussetzung. Natürlich gibt es auch komplexe thematische Verschiebungen in den Gesprächen im Korpus, und zwar v.a. im Gespräch ‘Agentur’. Aber auch bei Überlappungen von Themenbearbeitungen. Aussetzen, Wiederaufnahmen etc. können metadiskursive Steuerungseinheiten klar identifiziert werden. 108 Reden ist Chefsache blierte Relevanzstrukturen sind ein Bestandteil partikulärer Themenkonstitution. Sie können jedoch aufgrund semantischer Aspekte auch an makrostrukturellen Themenverquickungen beteiligt sein. - Themenwechsel kündigen sich häufig früh durch metadiskursive, projizierende Signale an (pre-closings), die denselben Grenzton wie linkskonnexe Vorlaufelemente tragen. Der Grenzton kann außerdem an Textherstellungshandlungen die Funktion eines themenbeendigenden Signals übernehmen. - Längere Pausen im Gesprächskontinuum können das Ende eines thematischen Abschitts signalisieren, so daß auf formale Beendigungssignale verzichtet werden kann; typische prosodische Markierungen (fallender Grenzton) werden allerdings häufig beim Etablieren des neuen Themas verwendet. - Das Konstituieren eines Themenwechsels bei laufender Themenbearbeitung seitens anderer Teilnehmer fuhrt zu spezifischen Aufgaben der Lfmbruchstellenmarkierung, die etwa durch ein Reihen von Beendigungssignalen oder durch den Verzicht auf Segmentierung (Vermeiden von Übergabestellen des Rederechts) eingelöst werden. Diese Form des Themenwechsels sowie das schlagwortartige Fokussieren mit Auflösung eines übergreifenden Fokus sind Vorrechte des Gesprächsleiters. - Die thematische Fokussierung ist als allgemeine Aufmerksamkeitsorientierung der Teilnehmer nicht immer damit äquivalent, was die Teilnehmer, insbesondere nach komplexen Sachverhaltsdarstellungen, als interaktiven Bearbeitungsgegenstand aufnehmen. Beim ersten Bearbeitungsgegenstand handelt es sich in der Regel um subordinierte Fokussierungen, insbesondere bei Themeneröffnungen mit problematischen Potential. Die Realisierung einer Vorlaufeinheit kann als formales Steuerungsverfahren zur Strukturierung des Gesprächs angesehen werden. Abweichungen von der idealen Abfolge konstitutiver Schritte des Themenwechsels können auf strategische Verfahrensweisen hinweisen, die die Sprecher (v.a. die Vorgesetzten) zum Abbruch interaktiver Bearbeitungsphasen verwenden (z.B. Ignorieren von Beiträgen und unvermittelte Themenwechsel). Themenwechsel erringen dann den Stellenwert mehr oder minder bewußt eingesetzter Lenkungsmechanismen, deren die Folgestruktur der Interaktion festlegende Kraft zur Kontrolle über den Gesprächsverlauf genutzt wird. 4.2.4 Metakommunikationen und Beziehungskonstitution In diesem Abschnitt werden Metakommunikationen untersucht, die thematischen Fokussierungsprozeduren in der Regel vorgelagert sind. Nach einleitenden theoretischen Betrachtungen (4.2.4.1) werden folgende Klassen von Metakommunikationen getrennt exemplifiziert: Steuerung 109 - Aktivitäten, die Rahmenbedingungen der Interaktion anzeigen (Themenspezifik, Zeitdruck). ‘Zeitdruck’ bedeutet, daß Teilnehmer möglichst auf Ökonomie halten müssen, was „auf die sprachliche Realisation der situativen Rolle einen negativen Einfluß ausüben“ kann (Steger et al. 1974, S. 12) (4.2.4.2). - Interaktive Aushandlungen der Beteiligungsrollen und -aufgaben der Teilnehmer (4.2.4.3). - Emotionale Bewertungen von Themen (4.2.4.4). 4.2.4.1 Zum Verhältnis von Metakommunikation und der Beziehungsrelevanz sprachlicher Aktivitäten Metadiskursive thematische Steuerungseinheiten leiten häufig zu metakommunikativen Aussagen des Sprechers über das Folgegeschehen über (etwa „Okay. Dann möchte ich Sie gern informieren.“). Nicht immer handelt es sich hier einfach um ‘sachliche’ Hinweise. Über den Verweis auf den Themenwechsel hinaus enthalten metakommunikative Aktivitäten häufig Aspekte, die die Ansteuerung einer spezifischen Form der Themenbearbeitung erkennen lassen (Verhaltensfestlegungen) oder die die Beziehung unter den Interaktionspartnern beeinflussen (Beziehungsdefinition). Aspekte der sozialen Beziehung unter Gesprächspartnern werden in Abhandlungen über metakommunikativen Diskurs oftmals wenig berücksichtigt. Die meisten Autoren betrachten Metakommunikation unter formalen Gesichtspunkten der Dialogorganisation oder der thematischen Steuerung, wobei sie metakommunikativen Äußerungseinheiten v.a. eine Gliederungsfunktion zuschreiben. 120 Unter den Veröffentlichungen zu Metakommunikation ist demgegenüber häufig ein Aufsatz Schwitallas (1979) zitiert worden, in dem der Autor die Beobachtung macht, es gebe „einige ausgesprochene Beziehungsakte, die metakommunikativ durchgefuhrt werden können“ (Schwitalla 1979, S. 138). Ebenfalls aus dieser Zeit datiert der Versuch Hollys (1979), den Beziehungsaspekt von Sprechhandlungen als illokutive Teilhandlung zu definieren, die ständig an der Beziehungsdefinition zwischen Interaktionspartnern teilhat. 121 Obwohl Holly im folgenden einige Sprechakte aus seinen Materia- 120 Die metadiskursive Funktion dominiert in vielen Fällen von Metakommunikation. Der letztere Begriff ist mit Vorsicht zu gebrauchen. Tiittula (1993) legt die diskursstrukturierende Funktion von ‘Metakommunikation’ als Definitionskriterium für ‘Metadiskurs ’ zugrunde; aus der Unterscheidung von Metakommunikation und -diskurs resultieren allerdings Abgrenzungsprobleme bei der Definition (Tiittula 1993, S. 85). Zu Fragen der Metakommunikation vgl. auch Meyer-Herrmann (1978) und Techtmeier (1984); zu dem Aspekt ‘Metakommunikation und Kontrolle’ Wiemarm (1985). 121 Auf den ersten Blick scheinen sich die Aussagen Hollys und Schwitallas zu widersprechen; es darf jedoch nicht übersehen werden, daß sie mit verschiedenen Modellen operieren. Schwitalla beruft sich auf die Möglichkeit, die Beziehung unter Interaktions- 110 Reden ist Chefsache lien zeigt, die durchaus den Charakter von metakommunikativen Beziehungsdefinitionen haben (bzw. als subjektives Voraussetzen einer solchen gelten können, S. 10, 14f), spricht er nicht von Metakommunikation. Er bewertet den propositionalen Gehalt von Aussagen über die Beziehung als Beitrag zur Definition des illokutiv im weiteren Sinne hergestellten - Beziehungsaspekts im engeren Sinne (S. lOf). Holly umgeht damit die Diskussion um Metakommunikation, die ja gerade deshalb problematisch ist, weil man den Metadiskurs „als ein Phänomen auf mehreren Kontinua“ betrachten kann, bei dem „Übergangsfelder und Grenzfälle in verschiedenen Richtungen“ (Tiittula 1993, S. 85) bestehen. Nichtsdestotrotz bestehen auch zwischen propositionalem Gehalt und illokutiver Bedeutung, dem expliziten und dem impliziten Ausdruck und der subjektiven bzw. objektivierbaren Beziehungsrelevanz von Äußerungen außerordentlich komplexe Verhältnisse, die z.B. in der Nachfolge der Sprechakttheorie kontrovers diskutiert werden (Holly 1979, S. 17ff., Sager 1981, S. 37-41). Auch die Gesprächsanalyse sieht sich bei dieser Art der Unterscheidung bis heute vor gewisse Probleme gestellt (Schwitalla 1996, S. 286-292). In der Gesprächsanalyse wird der Beziehungsaspekt sprachlicher Handlungen als eine der kategorialen Ebenen angesehen, nach denen Handlungen interpretiert werden können. Die Beziehungsrelevanz einer Aktivität würde in der Gesprächsanalyse nicht allein in bezug auf‘integre’ (monologische) Sprechhandlungen beschrieben: Als was eine Äußerung in ihrer Bedeutung für die Beziehung zum Adressaten und für die Selbstdarstellung des Sprechers zählt, wird nicht wie bei Illokutionen sozusagen selbstmächtig vom Sprecher festgelegf, sondern in einem größeren Maße von der interpretierenden Aufnahme, die diese Äußerung von den folgenden Sprechern erfahrt. (Schwitalla 1996. S. 288). Hier anschließend möchte ich die Beziehungsrelevanz einer Aktivität als ein interpretatorisches Resultat verstehen. Die Rekonstruktion der Beziehungsrelevanz einer Äußerung umfaßt ein ‘defmitorisches Angebot’ durch die Äußerung und eine in der respondierenden Aktivität des Partners angezeigte ‘Interpretationsleistung’, und zwar unabhängig vom Grad der Explizitheit dieser Aspekte. Ein defmitorisches Angebot kann diverse Bereiche der Beziehung betreffen. Für metakommunikative Aktivitäten gilt dies in gleichem Maß: Der propositionale Gehalt und die illokutive Bedeutung von Metakommunikationen kann in bezug auf eine oder mehrere Schichten der sozialen Beziehung kontextualisiert sein. Als Beispiele aus dem Korpus nenne ich die folgenden: 1. Aktivitäten mit dominant gesprächsorganisatorischer Funktion, bei denen ein Thema mit vordergründiger Beziehungsrelevanz erwartbar wird, z.B. um von dem thema partnem konversationsanalytisch zu beschreiben (Schwitalla 1979, S. 135f.), während Holly sprechakttheoretisch arbeitet (Holly 1979, S. 6f., in Anlehnung an Searle 1969, S. 54ff.). Steuerung 111 nicht weiterzumachen hab ich noch ein ga"nz anderes thema jetz hier\, wobei man insbesondere auf den Akzent achte (WL, 1/ 10; Analyse siehe TA 4.19). 2. Aktivitäten, mit denen das Sprecher-Hörer-Verhältnis (re-)organisiert wird, z.B. fang ich mit ih"nen an herr Haas/ warum\(Dl, VIII/ 201; s. TA 3.08, vgl. 5.39). 3. Aktivitäten, die explizit oder implizit die Beteiligungsrechte einzelner Teilnehmer einschränken, z.B. wir sollten bloß aufpassen daß mir nicht zuviel andere dinge dazu reinbringe (PL, V/ 96; s. TA 4.15). 4. Aktivitäten, die emotionale Einstellungen des Sprechers zum Thema verdeutlichen, z.B. des is en punkt der mich ärgert\ (DI, VII/ 193; s. TA 4.18). 5. Aktivitäten, die evaluativen Charakter haben, insbesondere dann, wenn der Interaktionspartner von der Evaluation mitbetroffen ist, z.B. das sind doch alles ausreden jetzt was sie zu sagen haben (WL, 11/ 47; s. TA 4.31 und 5.10) 6. Aktivitäten, deren Beziehungsrelevanz nur indirekt erkennbar ist und die den Interaktionspartner zu einer spezifischen respondierenden Aktivität zwingen (vgl. TA 4.33). Die Liste dieser ‘Aktivitätsklassen’, bei denen es sich um Aktivitäten im Rahmen themenkonstitutiver Beiträge handelt, ist mehr illustrativ als kategorisch zu verstehen. Sie müßte für interaktive Redefmitionen der Beziehung im Laufe der Themenbearbeitung erweitert werden. Nichtsdestotrotz ist die Beziehungsrelevanz sprachlicher Aktivitäten gerade bei thematischen Veränderungen entscheidend: „each shift in discourse topic involves some change, however slight, in the relationship of communicative rights and obligations among speakers“ (Erickson und Shultz 1982, S. 82, Kursivschrift i.Or.). Durch die genannten Beispiele wird deutlich, daß die Beziehungsrelevanz von Metakommunikationen z.T. schon durch minimale, signalhafte Elemente (z.B. in der Prosodie) impliziert, bzw. auf die folgenden Aktivitäten desselben Sprechers projiziert werden kann. 122 In den allermeisten Fällen ihres Auftretens ist die Metakommunikation in irgendeiner Weise beziehungsrelevant. Bei der Analyse der Arten ihres Auftretens sind m.E. drei Dinge zu beachten. Erstens ist die Aktivität in Abhängigkeit vom Kontext zu sehen; zweitens ist eine Aussage darüber zu machen, welcher Bereich der Beziehung insbesondere betrof- 122 Beziehungsrelevanz kann auch bei einer Abstrahierung von einem Initiative-Response-Verständnis von Interaktion bei bestimmten Formen gemeinsamen Sprechens nachgezeichnet werden (etwa als Bekundung von Solidaritätsempfinden, Schwitalla 1993). Außerdem kann Beziehungsrelevanz bei der Untersuchung anderer Ordnungsebenen der Interaktion zu einem vordergründigen Analyseresultat werden, z.B. bei der Untersuchung des Sprecherwechsels. Interventionen (Störungen, Unterbrechungen, überlappende Rederechtbeanspruchungen etc.; Kotthoff (1993)) der Gesprächsleiter in der Mitarbeiterbesprechung können Signale dafür sein, daß man die Wahrnehmung institutioneller Interessen ‘von oben nach unten’ vertritt. Die Beziehungsrelevanz der Aktivität wird in solchen Fällen durch die Art und Weise der Intervention deutlich. Störungen können auch ohne Beanspruchung des Floor, aber mit der Eröffnung eines kommunikativen Nebenschauplatzes gestartet werden. Damit signalisiert man dem oder den dominierenden Sprecher(n), daß man die eigene Aufmerksamkeit dem aktuellen Geschehen entzieht; man wappnet sich durch die Solidarisierung mit anderen z.B. gegen eine drohende Imageeinbuße. - Als handlungstheoretischen Versuch, Dominanzbeanspruchungen über eine Analyse von Unterbrechungen zu beschreiben, s. Thimm (1990). 112 Reden ist Chefsache fen ist; drittens ist gerade der inhaltliche Aspekt der Metakommunikationen im Hinblick darauf zu analysieren, welche Implikationen für die Beziehung daraus zu schlußfolgern sind, d.h., welche manipulativen Effekte Metakommunikationen haben. In den folgenden Abschnitten werden Textstellen aus den Materialien gezeigt, die jeweils Beispiele für eine oder mehrere der o.g. Aktivitätsklassen enthalten. Z.T. handelt es sich dabei um Aktivitäten, die der thematischen Fokussierung vorgelagert sind und deren Einbettung in den fortlaufenden Formulierungsprozeß der Themeneröffnung eine syntaktische Ausgliederung aufweist. Da der Sprecher zudem vor und ggf. auch hinter diesem Äußerungsteil Segmentierungen einfugt und Wechsel im Sprechstil vollzieht (z.B. Tempo- oder Lautstärkewechsel), erhalten diese Aktivitäten den Charakter von Einschüben. 4.2.4.2 Aussagen zu zeitlichen und thematischen Rahmenbedingungen Zu Beiträgen, die auf Rahmenbedingungen referieren, zählen insbesondere Hinweise auf den zeitlichen Rahmen, der für die Besprechung angesetzt wird, und auf die Tagesordnung. 123 Beide treten vornehmlich zu Gesprächsbeginn auf (aber nicht nur dort). Aufgrund einiger Belege aus dem Korpus gehe ich davon aus, daß Hinweise auf Zeitdruck und Tagesordnung eine beziehungskonstitutive Dimension haben und für das weitere Verhalten sowohl desselben Sprechers als auch das seiner Interaktionspartner gewisse Rahmenbedingungen festlegen. Der folgende Ausschnitt zeigt den Beginn des Gesprächs ‘Bezirksleiter-1’ (nach einem Hinweis auf den teilnehmenden Beobachter). (4.12) 1 DI äh- * meine Herrn- * wir werden die besprechung 2 DI etwas kürzer fassen- * sie sehen=s an der zeit- * 3 DI ich habe mir heute morgen ja- * n bißchen mehr zeit 4 DI genommen für die inschpektorengruppe\ * äh des war 5 DI * äußerscht notwendich wie ich * der meinung bin\ bezirksleiter-1/ 175 Der Filialdirektor macht deutlich, daß das Inspektorengespräch (das grundsätzlich am selben Tag, und zwar vor den Bezirksleitergesprächen stattfmdet), mehr Zeit als gewöhnlich in Anspruch genommen hat, weshalb das Bezirksleitergespräch kürzer ausfällt. DI manifestiert dabei die mit seinem Status verknüpfte Kompetenz, den zeitlichen Rahmen nach seinem Gutdünken zu wäh- 123 Hinweise auf die Räumlichkeiten zählen auch hierzu. Leider kann ich darauf nicht eingehen. Die Meister, die am Gespräch ‘Meister-1’ teilnehmen, beschweren sich z.B. vor dem Beginn meiner Aufnahme lautstark darüber, im Speiseraum der Arbeiter sitzen zu müssen (s. Anhang I). Steuerung 113 len: ich habe mir [...] mehr zeit genommen (Z. 3-4). Um diese Entscheidung zu legitimieren, ‘reicht’ an dieser Stelle die Meinung von DI, daß dies äußerscht notwendich (Z. 5) war. Daß die Setzung von zeitlichen Rahmenbedingungen mit weiterfuhrenden Umständen und auch Konsequenzen verknüpft ist, signalisiert DI im folgenden: (4.13) 6 DI ** #ich war entse"tzt/ * über den wi"ssensstand/ * K #RHYTHMISCH 7 DI der inschpektoren * bezüglich der dinge# die wir * 8 DI im mon' monatsbesprechungen * miteinander * 9 DI austauschen\ * die wissen * gar nichts\ * mit bezirksleiter-1/ 175 Mit den akzentuierten Elementen entse"tzt und wi"ssensstand (Z. 6) verleiht DI zunächst einem vergangenen (negativ) erlebten Gefühl Ausdruck und nennt dann den thematischen Fokus seiner Themeneröffhung. Auffällig ist in Z. 6 das Einsetzen rhythmisierten Sprechens, das die Relevanz der Fokussierungen für die laufende Interaktion bekräftigt und als verstärkte Aufmerksamkeitsforderung gelten kann. 124 Offensichtlich soll zwischen der Nicht-Informiertheit der Inspektoren und den Beteiligungsvoraussetzungen für die aktuelle Themenbearbeitung durch die hier Anwesenden eine verbindliche Relation hergestellt werden. Die Bezirksleiter sind dafür zuständig, die Inspektoren über die Themen der Monatsbesprechungen zu informieren. 125 Insgesamt geht die anfängliche Äußerung wir werden die Besprechung etwas kürzerfassen- (Z. 1- 2) in argumentativen (kausalen) Schritten zu einer Kritik (Vorwurfshandlung) an den Bezirksleitern über: die Besprechung fällt etwas kürzer aus, wegen der Überlänge des Inspektorengesprächs, die aufgrund der Nicht-Informiertheit der Inspektoren notwendig war, - (welche durch eine defiziente Leistung der Bezirksleiter verursacht ist, die verpflichtet sind, die Inspektoren zu informieren). Den letzten Argumentationsschritt (in Klammern) unternimmt DI in der folgenden Turneinheit. In ihren ersten Reaktionen weigern sich die Bezirksleiter dann anzuerkennen, daß man die Inspektoren unzureichend informiert habe. Auch der zeitliche Rahmen der Gespräche spielt noch einmal eine Rolle. Ich 124 Es handelt sich um eine ansatzweise Konstitution emphatischen Sprechstils. Vgl. weiter unten. 125 Die Bezirksleiter sind verpflichtet, die in der Monatsbesprechung behandelten Themen wiederum zum Zweck der Informaüon in den einzelnen Agenturen weiter zu besprechen. Obwohl in ‘Bezirksleiter-l’ formal keiner der anwesenden Bezirksleiter angestellte Mitarbeiter hat, kann die Verantwortung für bestimmte Inspektoren übernommen werden. Dies zeigt sich auch hier in Reaktionen wie >aber des ham=ma schicke losse\< und aber do hotjeder e eiladung kriegt\ (B3, B5; bezirksleiter-1/ 175). 114 Reden ist Chefsache möchte jedoch darauf verzichten, dies im einzelnen hier zu zeigen. Wesentlich scheint mir zu sein, daß DI die Angaben zum zeitlichen Gesprächsrahmen an den Beginn einer argumentativen Kette stellt, die in eine Kritik an den Bezirksleitern mündet. Ohne daß DI es explizit formulieren würde, werden die Bezirksleister für den Zeitdruck, dem man jetzt aufgrund der Verspätung ausgesetzt ist, verantwortlich gemacht. Der nächste Ausschnitt zeigt eine Stelle etwa am Ende des ersten Drittels des zweiten Bezirksleitergesprächs. Auch hier geht es um die Nicht-Informiertheit der Inspektoren. Ich betrachte im folgenden den Äußerungsteil, bei dem DI die für diese Gespräche geltende Themenfixiertheit aufhebt. Die Gespräche in der Versicherungsdirektion beschränken sich thematisch ‘normalerweise’ auf die erzielten Ergebnisse der Teilnehmer in der Akquisition. (4.14) 1 DI okay\ ** dann hab ich ne geschichte und äh: 2 DI deswegen ging auch heut morgen * die besprechung K RÄUSPERN EINES TEILNEHMERS 3 DI mit den inschpektoren anderthalb stunden\ * ich hab 4 DI überhaupt keine * geschäftserge"bnisse mit denen 5 DI besprochen des werd ich auch mit ih"nen heut nicht 6 DI tun/ ** äh grundsätzliches wird hier besprochen\ 7 DI meine herrn/ die * mei"sten\ * ich nenn jetz keine 8 DI na"men heute morgen\ * die meisten #wußten K #SILBEN 9 DI überhaupt nichts\# ** von * der ** äh * monatlichen K ABGESETZT 10 DI * dienstagsbesprechung * von dem * was ich hier * bezirksleiter-2/ 207 DI eröffnet das Thema mit einer Formulierung, die einige der Charakteristika trägt, die wir in den ersten Abschnitten des Kapitels beschrieben haben, und zwar mit metadiskursiven thematischen Steuerungselementen und einem metakommunikativen Äußerungsteil: okay\ * dann hab ich ne geschichte (Z. 1). Das Lexem geschichte projiziert die im folgenden zu leistende thematische Fokussierung. 126 Im nachfolgenden Äußerungsteil, deswegen ging auch [...] anderthalb stunden (Z. 2-3), expliziert DI einen Zusammenhang zwischen dem anstehenden Thema und der Überlänge des Inspektorengesprächs. Er legitimiert das angekündigte Thema gleichsam mit dessen Relevanz für eine andere Gesprächsgruppe. Es ist wichtig genug, dafür den habitualisierten Zeitrahmen an diesem Tag aufzulösen bzw. zu erweitern. Der bis hier betrachtete Äußerungsteil bildet eine syntaktische Einheit und schließt mit fallendem 126 Formen wie ‘Geschichte’, ‘Punkt’, ‘etwas’, ‘Thema’ etc. erschweren die Grenzziehung zwischen metadiskursiver und metakommunikativer Funktionalität. Zu dem Grad ihrer Sinnentleertheit s. Abschnitt 4.4. Steuerung 115 Grenzton ab; DI könnte mit der folgenden Formulierung den thematischen Fokus etablieren. Er fügt jedoch noch einen weiteren ‘Meta-Beitrag’ hinzu: ich hab überhaupt keine * geschäftserge"bnisse [...] wird hier besprächet * (Z. 3-6). Der Beitrag ist in drei syntaktischen Einheiten (Hauptsätzen) konstruiert. Auffällig ist insbesondere die Akzentuierung auf jeweils einem der Satzglieder: - Der Satz ich hab überhaupt keine * geschäßserge"bnisse mit denen besprochen (Z. 3-5) ist eine Aussage darüber, daß DI im Inspektorengespräch auf die reguläre Themenspezifik verzichtet hat. Durch die Akzentuierung von erge"bnisse wird die Behandlung anderer Themen aus dem Bereich gescfid/ ? jedoch nicht ausgeschlossen. - Der Satz des werd ich auch mit ih"nen heut nicht tun/ (Z. 5-6) ist - und zwar hinsichtlich der Themenspezifik eine analoge Übertragung der Verhältnisse im Inspektorengespräch auf das aktuelle Gespräch. Die Analogie wird durch mit ih"nen, dem im zweiten Satz des Beitrags akzentuierten Element, im Kontrast zu mit denen hergestellt. Der steigende Grenzton und die Pause am Ende des Satzes (** äh, Z. 6) die etwas länger ist als die zuvor im Redefluß auftauchenden Pausen und die DI wahrscheinlich neben ihrer hervorhebenden Wirksamkeit auch zur Planung (Selektion) benutzt leiten über zu einer Formulierung des ‘Höhepunkts’ in der Hauptsatzreihe: - Der Satz gru "ndsätzliches wird hier besprochen (Z. 6) enthält eine Fokussierung in initialer Position. Das linke Herausstellen der Fokussierung (gegenüber den integrierten Elementen in den vorangegangenen beiden Äußerungsteilen) wirkt kontrastiv und hochstufend. D.h., alle weiteren Themen (sowie die zuvor schon behandelten) haben den Rang ‘grundsätzlicher’ Themen. Diese qualitative Festlegung der Themenspezifik hat somit für das gesamte Gespräch Gültigkeit. Die Art und Weise der Formulierung vermittelt einen quasi imperativischen Charakter. 127 Die Auflösung der Themenfixiertheit für das Inspektoren- und das laufende Gespräch könnte bei den Teilnehmern zu dem Eindruck führen, daß die (erwartbar kritische) Beurteilung von Akquisitionsergebnissen an diesem Tag keine Rolle spielt. Das prosodische und syntaktische Herleiten eines Höhepunkts im ‘Grundsätzlichen’, die Formulierung eines modifizierten Imperativs und v.a. auch der formell adressierte Neuansatz DI’s, um die Themeneröffnung fortzusetzen (meine herrn/ , Z. 7), kann man auf die Intention DI’s zurückführen, eben diesen Eindruck gar nicht erst entstehen zu lassen. Auch bei Aufweichung der Themenspezifik möchte DI die Ernsthaftigkeit (und ggf. das kritische Potential) seiner Anliegen nicht in Frage gestellt sehen. Zeichen für diese Intention sind auch die Hervorhebungspausen und die Akzentuierung bei * die mei"sten\ * (Z. 7), die Aussage,yb/ z keine na"men nennen zu wollen (Z. 7-8) und das emphatische Einbinden des thematischen Fokus (mit abgesetzten Silben: wußten überhaupt nichts, Z. 9). 128 127 Die grammatische Form: Deixis + FIN (werden) + Partizip II kann in der Formulierung von Befehlen auftreten; z.B.: ‘im Glied wird stillgestanden’, ‘bei Tisch wird gegessen’. Es handelt sich um eine „Exhortation an den Angeredeten ohne Einschluß des Redenden“, syntaktisch um ein unpersönliches Passiv (Cartagena und Gauger 1989, S. 531). 128 Das Sprechen mit abgesetzten Silben bzw. das Betonen jeder einzelnen Silbe ist eine extreme Form des rhythmischen Sprechens (Selling 1994, S. 382). F.E. Müller hat 116 Reden ist Chefsache Exemplarisch können diese Ausschnitte aus den Bezirksleitergesprächen demonstrieren, daß Hinweise auf den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen des Gesprächs dieses nicht nur formal zu organisieren brauchen. Sie können eingebunden sein in eine Reihe argumentativer Schritte, die in ein einziges Thema münden, wobei sie Problematisierungen, Kritik oder Vorwurfshandlungen ankündigen, die mit einem mehr oder minder explizit werdenden imagebedrohenden Potential verknüpft sind (die Nicht-Informiertheit der Inspektoren würde insofern als ‘Zwischenfall’ markiert). Setzungen des zeitlichen und inhaltlichen Rahmens sind den Vorgesetzten Vorbehalten; bei diesen Aktivitäten rekurrieren sie auf vorteilhafte Verteilungen der Initiativ- und Kontrollkompetenz (Reitemeier 1994, S. 238). Die Beziehungsrelevanz von Rahmensetzungen ist jedoch differenzierter zu betrachten. Die Herleitung von ‘Grundsätzlichem’ als Themenspezifik (in TA 4.14) zeigt, daß habitualisierte Gesprächscharakteristika, die ausgesetzt werden könnten, in anderer Form wieder in Kraft gesetzt werden. Man könnte sagen, daß zwar die Themenauswahl modifiziert wird, daß der Relevanzgrad der Themen jedoch erhalten bleibt. Der Vorgesetzte zeigt durch subtile, stilistischselektive Mittel an, daß seine eigene Beteiligung eine dominante oder kritische sein wird. Die Bezirksleiter können deshalb mit kritischen Beurteilungen rechnen. Die Angaben zu zeitlichen und thematischen Rahmenbedingungen geraten auch zu Vorgaben an die eigene Beteiligungsweise des Sprechers. Der Sprecher etabliert eine Handlungsgrundlage, die am Vorwissen aller Teilnehmer orientiert ist. Die Dominanzverhältnisse im Gespräch bleiben gewahrt, auch wenn die Themenauswahl modifiziert wird. 4.2.4.3 Aushandlungen von Beteiligungsrollen und -rechten Im Abschnitt 3.1.6 führte ich bereits in die grundlegenden Charakteristika von Beteiligungsrollen ein. Der hier folgende Abschnitt befaßt sich im wesentlichen mit dem dritten Aspekt der Beteiligungsrollen, mit Rechten und Pflichten des Agierens im Zusammenhang mit der Zielorientiertheit der Interaktion. Die Aushandlung von Beteiligungsrechten ist natürlich nicht auf die metakommunikative Ebene beschränkt. In den Mitarbeiterbesprechungen kommt es jedoch immer wieder zu expliziten Zuweisungen bestimmter Rechte und Pflichten, was m.E. auf den Formalisierungsgrad der Teilnehmerpositionen zurückzuftihren ist. Eingeschränkte Befugnisse im hierarchischen Gefüge spiegeln sich tendenziell als Einschränkungen bei den alternativen Möglichkeiten verbalen Agierens. Die Eingeschränktheit der partnerseitigen Möglichkeidiese Form als ‘scansions’ bezeichnet, „an exhaustive use of possible stress positions: every grammatically stressable syllable is actually stressed“ (F.E. Müller 1991, S. 39). Die Konsequenz von ‘scansions’ ist Starke Markierung und Inferenz. Steuerung 117 ten explizit anzuzeigen, kann als ‘Griff zur Kommandoebene’ gelten. Solche Aktivitäten seitens des Vorgesetzten sind deutliche Signale dafür, daß er die Zielorientiertheit des Gesprächs wegen nicht ‘vorgesehener’ oder nicht ‘zulässiger’ Beiträge des Partners gefährdet sieht. Die Beteiligungsrechte und -aufgaben eines Teilnehmers oder einer Teilnehmergruppe bei der Abarbeitung von Interaktionsmustern sind ein dynamischer und themenspezifisch auszuhandelnder Bereich der sozialen Gruppenstrukturen. Im Hinblick auf die Zielorientiertheit eines Interaktionsmusters wird festgelegt, wer welche Aktivitätstypen starten kann. Ein Sprecher kann aufgrund eingeschränkter Wahlmöglichkeiten nur mit bestimmten sprachlichen Handlungen agieren und reagieren. Die Anforderung, Informationen zu rezipieren, ist z.B. grundsätzlich eine andere als die, zu einem als Problem definierten Sachverhalt Lösungsvorschläge zu formulieren. Durch die relationale Distribution der Beteiligungsaufgaben werden Verpflichtungen des Teilnehmers hinsichtlich des thematischen Fokus (Bedeutungskonstitution), des etablierten Interaktionsmusters (Sicherung kontinuierlicher Bearbeitung) und der sprechhandlungstypologischen Selektion definiert. Die Wahlmöglichkeit wird eingelöst so lautet eine allgemeine behaviouristische These im Fall des Vorgesetzten beeinflußt durch die Pflicht zur Wahrung ‘institutioneller Interessen’ und im Fall des Angestellten durch eine eher subjektiv erlebte unternehmerische Wirklichkeit (Haslett 1990, S. 338; vgl. hierzu auch Reitemeier 1994, S. 239-243). Der vorliegende Abschnitt beschäftigt sich mit einer komplexen Aushandlungsphase, die relativ früh im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ auftritt. Kurz nach Gesprächsbeginn war es durch Einwürfe von Arbeiterinnen zu einer ersten turbulenten Phase gekommen. Der übergreifende Fokus, die Vorstellung des Gruppen-Entlohnungssystems, geriet dabei durch die Zerstreuung der Aufmerksamkeitsorientierung an subthematischen Foki zunehmend in den Fokushintergrund. Zu Beginn des folgenden Transkriptausschnitts reetabliert der Produktionsleiter den übergreifenden Fokus. Im selben Turn verweist er auf die Problematik von Abschweifungen, die im allgemeinen Zeit kosten und einer raschen Vorstellung des neuen Entlohnungssystems entgegenwirken könnten. (4.15) 1 PL 2 PL 3 BA 4 PL 5 PL 6 PL 7 PL bleiben wir jetzt' gehen wir zurück zu unserem C thema bonusentlohnung\ wir sind hier bei unserer L gru"ppe mit sechzehn mi"tarbeitern wobei heute hier schon mal die kolle"gen da sind und die drei indirekten\ * und der herr Knapp macht jetzt mal weiter/ * wir müssen bloß aufpassen daß 118 Reden ist Chefsache 8 PL #mir nicht zuviel andere dinge dazu r reinbringe# 9 A5 l (wie ma=s K «STOCKEND 10 PL r sonst wird=s zu/ 1 ja 11 A5 L entsprechende jetz) angsproche hawwe miss=ma des 12 PL [okay\ 13 A5 L vielleicht noch' bonusentlohnung/ 96 PL’s Beitrag ist relativ komplex, weil er sukzessive auf mehrere Aspekte der Interaktion referiert. Mit der ersten Äußerungseinheit, bleiben wirjetzt' gehen wir zurück zu unserem thema bonusentlohnung\ (Z. 1-2), reetabliert PL den thematischen Fokus. Danach iistet’ er die Anwesenden auf (Z. 2, 4-6); es handelt sich hier um einen Verweis auf den außerordentlichen Charakter der Teilnehmerkonstellation, die mehrere betriebsorganisatorische (vertikale und horizontale) Ebenen umfaßt. Im Anschluß weist PL Herrn Knapp (BA), dem externen Bereichsleiter für Arbeitswirtschaft, das Rederecht zu: und der Herr Knapp macht jetzt mal weiter/ (Z. 6-7). PL reformuliert damit eine von ihm selbst geleistete Einleitung zu Gesprächsbeginn, bei der er bekanntmachte, daß Herr Knapp Vorrang bei der Vorstellung und Abhandlung des Themas innehat. 129 Der Produktionsleiter, als Vorgesetzter der im Gespräch vertretenen Arbeitnehmerschaft, delegiert gleichsam gewisse Gesprächsleitungsfünktionen an den Bereichsleiter, was jedoch nicht bedeutet, daß er auf formale Eingriffs- und sachliche Beteiligungsrechte verzichtet (vgl. Lenz 1989, S. ISOflf). PL strebt also die Reetablierung der Interaktionsbeziehungen an, wie er sie zu Beginn des Gesprächs bereits ‘definiert’ hatte. Teil dieser Interaktionsbeziehungen ist die relationale Distribution der Beteiligungsrechte, die hier grundsätzlich durch die Zuständigkeit in bezug auf den thematischen Fokus (thema bonusentlohnung, Z. 2) koordiniert werden. Im Zuge der folgenden Äußerungseinheit zeigt PL gewisse Einschränkungen (subthematischer) Initiativrechte an: wir müssen bloß aufpassen daß mir nicht zuviel andere dinge dazu reinbringe sonst wird=s zu/ ' (Z. 7-8, 10). Der Äußerungsteil ist dreiteilig gegliedert: - Mit dem Hauptsatz wir müssen bloß aufpassen (Z. 7) manifestiert PL die Obligatheit, der die Teilnehmer hinsichtlich der Wahrnehmung institutioneller Interessen im Gespräch unterliegen. Das Verb aufpassen kann dabei auch als Forderung verstärkter Äufmerksamkeit gelten. - Der Nebensatz daß mir nicht zuviel andere dinge dazu reinbringe (Z. 7-8) ist in bezug auf die bisherige Beteiligungsweise der Arbeiterinnen kontextualisiert, die gleich nach der Gesprächseröffnung subthematische Initiativen gestartet hatten. PL mahnt zur Orientierung am thematischen Fokus (nicht zuviel andere dinge). Das finite Verb (reinbringe) designiert gewissermaßen den Vorgang der Subthemeneröffnung. 129 Am Beginn des Gesprächs, der leider nicht aufgezeichnet werden konnte, stellt PL den Bereichsleiter aus dem Stammwerk vor, weist darauf hin, daß dieser ‘extra gekommen’ sei, um das neue Entlohnungssystem vorzustellen, und erteilt ihm dann das Wort. Steuerung 119 - Die elliptische Konstruktion sonst wird=s zu/ ' (Z. 10 drückt die Gefahr eines uneffizienten Gesprächsverlaufs aus. Die Konsequenz aus der Zerstreuung der Aufmerksamkeitsausrichtung bleibt unausgesprochen; aber es ist erkennbar, daß die Fortsetzung der bisherigen Interaktionsform Uneffizienz mit sich brächte. Die Befürchtung, daß zuviel andere dinge sich negativ auswirkten, indiziert den Rückgriff auf eine unausgesprochen bleibende Präsupposition, daß man nämlich unternehmerische Vorgaben an das Gespräch wahren muß, um effizient zu sein. Es fällt auf, daß PL im zweiten Glied des Äußerungsteils stockend spricht (Z. 8, 10). Stockendes Sprechen kann wie eine Häufung von Heckenausdrücken, Anakoluthen usw. den Versuch signalisieren, ein imagebedrohendes Potential der Aktivität zu reduzieren (Holly 1979, S. 157). 130 PL realisiert seinen Beitrag relativ früh in dem Gespräch, und er bricht eine Phase ab, in der die Arbeiterinnen in starkem Maß das Rederecht beanspruchten. Auch wenn PL sich gezwungen sieht, die Diskussion, bzw. die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten durch die Arbeiterinnen in dieser Form zu unterbinden, muß er sich gleichzeitig um eine gewisse Sicherung ihrer motivationalen Beteiligungsgrundlage bemühen. Es bestünde sonst die Gefahr, daß sie ‘abschalteten’ und den Vortrag BA’s über sich ergehen ließen, ohne bei Verständnisschwierigkeiten nachzufragen. Man sollte sich an dieser Stelle außerdem vor Augen halten, daß den leitenden Angestellten in diesem Unternehmen relativ eindeutige Anweisungen hinsichtlich ihres Führungsstils gegeben sind (vgl. Abschnitt 2.6). PL und BA sind gehalten, kreative Initiativen aller Mitarbeiter zu berücksichtigen. Ein Abbruch der laufenden Diskussion geht diesem Anspruch u.U. zuwider (s. PL’s zustimmende Reaktion auf die folgende Äußerung von A5, Z. 10, 12; vgl. u.). Die Arbeiterin A5, die an der vorangegangenen Diskussion maßgeblich beteiligt war, akzeptiert deren Abbruch in eingeschränkter Form: (wie ma=s entsprechende jetz) angsproche hawwe miss=ma des vielleicht noch' (Z. 9, 11, 13). Sie fällt PL ins Wort. 131 A5’s Akzeptanz ist auf die Möglichkeit konditioniert, das Rederecht jederzeit wieder zu ergreifen, d.h., sie insistiert auf gewissen Beteiligungsrechten, die durch den Beitrag von PL gefährdet worden sind. Insbesondere bezieht sich dies auf subthematische Initiativrechte. Das entsprechende, das angsproche werden kann, referiert in indefiniter Weise auf thematische Schwerpunkte, die aus der Sicht der Arbeiterin den Rang subthematischer Bearbeitungen erlangen ‘müssen’. PL ratifiziert diesen Anspruch (ja okay\, Z. 10, 12), noch während A5 spricht. 130 Zu weiteren Betrachtungen zu den konfliktabschwächenden Funktionen paralinguistischer Phänomene und zu Literaturangaben vgl. Schwitalla (1987, S. 118-122). Es soll hier daran erinnert werden, daß paralinguistische Phänomene nicht uniftmktional sind und z.B. auch den Ausdruck einer beziehungsmäßigen 'Entfremdung’ des Sprechers von einer anderen Person signalisieren können (Schwitalla 1987, S. 122). 131 Die Interventionen bzw. gegenseitigen Unterbrechungen der beiden Sprecher sind auf eine konkurrierende Inanspruchnahme des Floor durch PL und A5 zurückzuführen. 120 Reden ist Chefsache (4.16) 12 PL r okay\ 13 A5 L vielleicht noch' 14 BA #(da mache) se mich an\ * alles was K #VERTRAULICHER GESPRÄCHSTON 15 BA ihne in richtung entlohnung entgelt' * frage se 16 BA mich- * dafür bin ich da"- * fra"gen se mich-# * 17 BA #also ma=mer weiter\# ** anwesenheit is kla"r K #WENDET SICH ZUR PROJEKTION AN DER WAND K WECHSELT ZU SACHLICHEM TON# bonusentlohnung/ 96 Dadurch, daß A5 ihren Beitrag nicht zu Ende formuliert (Z. 13; denkbar etwa in der Form „müssen wir das vielleicht noch genauer besprechen“ ), bietet sie BA eine Möglichkeit, sich als ‘Zuständigen’ wieder in das interaktive Geschehen einzuklinken. BA realisiert einen Einstieg, der mit Abstrichen als eine Fortsetzung von A5’s Beitrag gelten könnte: (da mache) se mich an\ (Z. 14). BA’s Aktivität kann mit Schwitalla (1993) als eine Form ‘fugalen’ gemeinsamen Sprechens angesehen werden, als Manifestation von Kooperations- oder Solidarisierungswillen (Schwitalla 1993, S. 83ff.). Begleitet wird dieser Ausdruck von sozial-stilistischen Konvergenzsignalen: BA startet in vertraulichem Ton und verwendet im Kontrast zu seinem üblichen Duktus eine formelhafte umgangssprachliche Wendung mit dialektalen morphologischen Kennzeichnungen von Partnerhinwendung. 132 Der folgende Äußerungsteil kann als Explizierung von A5’s Beteiligungsrechten aufgefaßt werden: alles was ihne in richtung entlohnung entgeh' * frage se mich- (Z. 14-16). Diese Aufforderung bildet bedingt einen Kontrast zu PL’s Einschränkung, daß zuviel andere dinge nicht erwünscht seien (vgl. o ). Gleichwohl ist BA’s Aufforderung ebenfalls einschränkend, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen legt er mit in richtung entlohnung entgelt explizit als Rahmen für A5’s Initiativen einen Themenbereich fest, dem der thematische Fokus ‘Gruppen-Entlohnungssystem’ unmittelbar entstammt; zum anderen projiziert das imperative frage se mich, welche Beteiligungsweise A5’s ‘vorgesehen’ ist: sie kann und soll Fragen stellen (nicht aber das Thema verschleppen, abschweifende Probleme erörtern, Anekdoten erzählen etc.). Insofern ist BA’s Reaktion auf die Aussage von A5, die auf indefiniten 132 Dieser Sprecher leistet solche Manifestationen mehrfach im Gespräch ‘Bonusentlohnung’. Die von ihm verwendeten Techniken sind unterschiedlich. Er übernimmt bspw. die Perspektiven der Arbeiterinnen, indem er Sachverhalte aus ihrer Sicht formuliert und sich quasi selbst anredet (BA: gebt uns bleche- * die richtig gebogen sind\, bonusentlohnung/ 144). An drei Stellen honorieren die Arbeiterinnen dies durch ‘chorisches Sprechen’ (Schwitalla 1993, S. 89), d.h., sie fallen in die Aktivität durch gleichlautende Formulierungen ein. Steuerung 121 Initiativrechten insistierte, insgesamt keine Bestätigung von A5’s Anspruch, sondern eine explizite Zuweisung eingeschränkter Beteiligungsrechte. Die folgende Aussage kann als Beteuerung der konversationellen Kooperationsbereitschaft des Sprechers angesehen werden: dafür bin ich da"- (Z. 16). (Die markante Akzentuierung auf da"kann leider mit den Mitteln des Transkripts nicht wiedergegeben werden. Der Akzent auf dem Vokal ist erst steigend, dann fallend.) Anschließend markiert noch einmal das Recht A5’s, bei gegebenem Anlaß (v.a. Unverständnis) Fragen zu stellen: fra"gen se mich- (Z. 16). Mit der folgenden Einheit wird das Ende der Aushandlungsphase angezeigt, in deren Vollzug die rollenspezifischen Beteiligungsrechte und aufgaben der Anwesenden weitgehend festgelegt worden ist: also ma= mer weiter\ (Z. 17). Die Rückkehr vom metakommunikativen zum sachbezogenen Diskurs markiert der Sprecher mit dem Fazitsignal also, dem rechtskonnexen Element weiter und einem stark fallenden, diskursstrukturierend wirksamen Grenzton bei der Gestaltschließung. BA’s Beitrag modifiziert in bedingter Weise die Beteiligungsrollen, die PL mit der Kontextualisierung des Gesprächsbeginns und der dort geleisteten Definition der Interaktionsbeziehung reetabliert hatte. Für BA sind Beiträge (Fragen) im Rahmen des thematischen Fokus wünschenswert. Obwohl PL auf den Anspruch von A5 akzeptierend reagiert hat, formuliert er keine Aufforderung zum Fragen bei Verständnisproblemen. Allgemein könnte man sagen, daß PL die Initiativrechte der Teilnehmer explizit einschränkt, BA die Einschränkung für ‘Fragen’ rückgängig macht. Der Unterschied zwischen BA’s ‘Aufforderung’ (alles was [...]) und PL’s ‘Warnung’ (wird müssen bloß aufpassen daß [...]) besteht m.E. nicht nur in der illokutionären Bedeutung dieser Aktivitäten, sondern auch in der individuellen Umsetzung der Vorgaben an den Führungsstil im Gesamtunternehmen. BA formuliert eine ‘positive’ Assertion und Aufforderung, verknüpft mit einer Markierung persönlicher Hinwendung an und Solidarität mit der Teilnehmerin. (Zwischen diesen beiden Sprechern gibt es im Gesprächsverlauf auch noch andere verbal-interaktive ‘Reibereien’; an entsprechender Stelle komme ich darauf zurück. Der Zusammenhang mit unterschiedlichen Führungsstil-Charakteristika zwischen BA und PL wurde mir in Nachbesprechungen bestätigt.) 4.2.4.4 Emotive Bewertungen des thematischen Fokus In diesem Abschnitt werden ‘subjektive affektive Bewertungen’ (Spiegel 1995, S. 212) eines Themas dargestellt. Gemeint sind explizit manifestierte emotionale Einstellungen hinsichtlich des zu bearbeitenden Gegenstands. Natürlich ist die Manifestation von Emotionen nicht auf ihren expliziten 122 Reden ist Chefsache Ausdruck beschränkt 133 ; die Sprecher in Mitarbeiterbesprechungen starten jedoch in themeneröfFnenden Beiträgen emotiv bewertende Aktivitäten häufig in expliziter Form, während in fortgeschrittenen Bearbeitungsphasen tendenziell der nicht-explizite Ausdruck emotionaler Involviertheit überwiegt. Bei affektiven Bewertungen des hier zu untersuchenden Typs handelt es sich in der Regel nicht um eine in der aktuellen Situation erlebte emotionale Befindlichkeit, sondern um eine verbal reproduzierte, für die Eröffnung und die Bearbeitung des anstehenden Themas relevant werdende emotiv bewertende Haltung des Sprechers. Der Sprecher kündigt quasi im Vorfeld einer thematischen Fokussierung eine bestimmte innere Haltung hinsichtlich eines Themas an, so daß man auch von einer ‘thematischen Gefuhlshaltung’ sprechen könnte. Beim sozial relevanten Aspekt emotiv bewertender Aktivitäten gehe ich von der These aus, daß der Gefuhlsausdruck konstitutiver Teil ‘rekurrenter sozialer Situationen’ (Fiehler 1986, S. 285) ist, die als solche von den Beteiligten erkannt und im weiteren Verlauf der Interaktion berücksichtigt werden. 134 Vorgreifende Bewertungen des Themas, der Situation oder einer Problembearbeitung haben interaktionsmusterkonstitutive Konsequenzen (Fiehler 1986, S. 300fF.; Selling 1994, S. 380; Spiegel 1995, S. 216ff). Die Plazierung einer expliziten gefühlsmäßigen Bewertung des Gegenstands vor dessen Bearbeitung macht eine folgende, interaktive Konfliktaustragung oder zumindest die Eröffnung eines Themas mit konfliktivem Potential wahrscheinlich. Tritt zu einer negativen thematischen Bewertung außerdem eine erkennbare Evaluierung des Partners, so erhält die Themeneröffnung eine ‘Startschuß’-Charakteristik für die Austragung interpersonaler Konflikte (Spiegel 1995). Durch positive Evaluierungen kann der Sprecher andererseits anzeigen, daß sein subjektiver Wille zur Austragung des Konflikts (vor tendenziell imagebedrohenden Sachverhaltsdarstellungen) reduziert ist. In den Gesprächsmaterialien treten emotive Bewertungen v.a. dann auf, wenn Themen mit konfliktivem Potential (Kritik, Vorwürfe) zur Bearbeitung anste- 133 Spiegel (1995) faßt in ihrer Arbeit über das ‘Streiten’ zusammen: „Emotionen werden sowohl verbal, als auch para- und extralinguistisch kommuniziert, wobei letzteres über Mimik und Gestik erfolgt [...]. Parasprachlich können Emotionen durch Klangfarbe, Tempo und Lautstärke der Stimme vermittelt werden (prosodische Elemente) sowie durch Affektlaute (Interjektionen, vokale Embleme).“ (Spiegel 1995, S. 212; vgl. hierzu auch Schwitallal996). Vgl. auch den Ausdruck positiven Erlebens von Gl in den TA 4.07ff. 134 „Emotionen haben nicht nur einen innerindividuellen, sondern auch einen interindividuellen Aspekt. Sie sind nicht schlechthin Zustände in einem der Individuen, sie sind zugleich von Bedeutung für die Qualität der Beziehungen zwischen mehreren Individuen und damit allgemein für das Klima in einer Gruppe, für ihre Kooperationsfahigkeit. D.h., Emotionen haben eine soziale Bedeutung“ (Hartung und Skorubski 1993, S. 34). Steuerung 123 hen. Die Beispiele in diesem Abschnitt zeigen, wie Sprecher nicht nur in bezug auf ein Thema, sondern im Einzelfall auf das ganze Gespräch - Geflihlshaltungen in z.T. expansiven Beiträgen formulieren. Im folgenden Ausschnitt leitet der Gesprächsleiter (DI) nach der (kurzen) Behandlung des ersten Themas (die ‘Nicht-Informiertheit der Inspektoren’) zur Tagesordnung über. (4.17) 1 DI von denen sondern sonstige dinge- * und i hab 2 DI trotzdem anderthalb stunden beansprucht\ ** 3 B3 ja: muß 4 B3 a: r net sei\ 5 DI L ich muß' äh äh ich möchte ihnen einige dinge 6 DI ini"tteilen/ * n=paar davon sind sehr angenehm 7 DI n=paar' * #hab i"ch mich * persö"nlich * geä"rgert/ # * K #RHYTHMISCH 8 DI äh * da spreche ma drüber\ ** zum einen/ ** äh: ** 9 DI wo war denn der #herr Ho"llmann herr Kaiser am K #RHYTHMISCH 10 DI frei"tag zur schu"lung\# *2,2* bezirksleiter-1/ 176 DI vollzieht nach einem Hinweis auf die zeitlichen und themenspezifischen Rahmenbedingungen für das Inspektorengespräch (Z. 1-2) den Abschluß des Themas. (B3’s Kommentar, Z. 3-4, ist auf die Themenspezifik des Inspektorengesprächs bezogen.) Der Satz ich muß' äh äh ich möchte ihnen einige dinge mi"tteilen/ (Z. 5-6) ist ein Hinweis auf eine (nicht schriftlich vorliegende) ‘Tagesordnung’. 135 Mit der folgenden Äußerung expliziert DI eine emotive Bewertung der anstehenden Themen: n-paar davon sind sehr angenehm n=paar * hab i"ch mich * persö"nlich * geä"rgert/ (Z. 6-7). Er stellt die einen als positiv dar, die anderen als negativ. Bei letzteren referiert er nur auf die eigene Befindlichkeit. Er segmentiert erstmals in dieser Turnein heit vor dem Satz hab i"ch mich * persö"nlich * geä"rgert/ (Z. 7). Hier liegt ein Konstruktionsabbruch vor, denn der Indefinitausdruck n=paar' (Z. 7) ist zwar links in die Gestaltung des Beitrags integriert, behält aber nicht die erwartbare Subjektstellung. Die Pause hebt die Fokussierung des auf den Sprecher referierenden, akzentuierten Pronomen i"ch hervor, das zum neuen Träger der Handlung wird. Erwartbar wäre an dieser Stelle auch eine parallele 135 Die ‘Aufweichung’ der Modalisierung vom Obligatheitsmodus ich muß’ zu ich möchte, im Rahmen einer Selbstkorrektur, könnte als Versuch des Sprechers interpretiert werden, einen dominant kritischen Diskurs in den anvisierten Themenbehandlungen nicht von vomeherein als präferierten Stil anzukündigen. (Immerhin hatte er die Teilnehmer schon im ersten Thema wegen des defizienten Wissensstands der Inspektoren gerügt.) Des weiteren besteht die Möglichkeit, daß durch die Selbstkorrektur intrinsische Handlungsmotive des sprechenden Subjekts in den Vordergrund gestellt werden sollen, gleichsam als prospektiver Hinweis auf die folgende, evaluative Aktivität. 124 Reden ist Chefsache Formulierung gewesen („ein paar davon sind sehr angenehm, ein paar sind weniger angenehm“). Der Sprecher realisiert den Kontrast (positiv-negativ) jedoch als ‘angenehm (für alle)’ vs. ‘Ärgernis für mich’. In der Prosodie des Äußerungsteils fällt auf, daß durch die syntaktische Inversion (‘hab ich mich’ statt ‘ich hab mich’) ein dreimal verwendetes metrisches Akzentmuster mit einer von zwei unbetonten Silben eingerahmten betonten Silbe entsteht, das darüber hinaus jeweils durch Hervorhebungspausen abgetrennt wird. Im Äußerungsteil i"ch mich * persö"nlich * geä"rgert/ (Z. 7) verzichtet der Sprecher zudem auf dialektal getönte Formen (vgl. n=paar, Z. 6, 7; spreche ma drüber\, Z. 8). Der Sprecher kennzeichnet sein emotionales Erleben als interaktionsrelevanten Sachverhalt, insbesondere indem er einen emphatischen Sprechstil konstituiert; die Relevanz der negativ evaluierten Themen wird für die kommende Interaktion hochgestuft. 136 Der folgende Satz kann aufgrund des fallenden Grenztons, der folgenden Segmentierung und aufgrund seiner gesprächsorganisatorischen Funktion (als Paraphrase zu ich möchte ihnen einige dinge mi"tteilen/ ) als reformulierende Textherstellungshandlung aufgefaßt werden: da spreche ma drüber\ (Z. 8). Die bis zu dieser Stelle realisierte Turneinheit erhält retrospektiv den Charakter einer Überleitung zum nächsten Gesprächsthema. Der Vergleich der beiden Sprechhandlungen zeigt, daß bei letzterer die Interaktionspartner pronominal in die projizierten Aktivitäten mit eingeschlossen werden. Es ergibt sich eine Veränderung der jeweils angezeigten Beteiligungserwartungen an die Bezirksleiter. Das Verb mi"tteilen (Z. 6) kann als Indiz für die Konstitution eines quasi ‘monologischen’ Interaktionsmusters gesehen werden, bei dessen Abarbeitung dem Interaktionspartner Aufgaben wie ‘Bestätigung’, ‘Rück-’ oder ‘Verständnisfragen’ zukommen. Die verbale Form spreche ma drüber (Z. 8) kann hingegen als eine Erhöhung der Beteiligungserwartungen verstanden werden: Die Partner sollen eben nicht nur Mitteilungen ratifizieren, sondern sich auch aktiv an der Bearbeitung derjenigen Themen beteiligen, die den Ärger von DI verursacht haben. Bei der Formulierung des Satzes da spreche ma drüber\ tauchen wieder Kennzeichen dialektaler Tönung auf. Dieser Stilwechsel indiziert, daß die Erhöhung der Beteiligungserwartungen mit einem gleichzeitigen Senken der Beteiligungsschwelle verknüpft werden soll (i.S. sozial-stilistischer Konvergenz). In der Folge der Einleitung in die ‘Tagesordnung’ ist ein themenorganisatorischer Fokuswechsel erwartbar. Das rechtskonnexe Vorlaufelement zum einen/ (Z. 8) indiziert dementsprechend den sprecherseitigen Vollzug eines selektiven Vorgangs, in dessen Verlauf der Sprecher die Fokussierung des von ihm präferierten ersten Bearbeitungsgegenstands plant und vorbereitet. In seiner fol- 136 An anderer Stelle habe ich die stilistischen Eigenschaften dieser Gesprächspassagen eingehender analysiert (A.P. Müller, ersch.). Steuerung 125 genden an B3 (Herrn Kaiser) namentlich adressierten Frage integriert DI im Rahmen eines sukzessiven Formulierungsverfahrens die thematische Fokussierung: wo war denn der Herr Ho"llmann Herr Kaiser am frei"tag zur schu"lung\ (Z. 9-10). Mit dieser Frage des Filialdirektors an den Bezirksleiter B3 wird eine Imagebedrohung erkennbar, weil B3 für das Erscheinen Herrn Hollmanns bei Schulungen verantwortlich zeichnen muß. Herr Hollmann ist ein Aspirant auf eine Verkäuferanstellung. B3 hat Herrn Hollmann an die Direktion vermittelt und ist in einem gewissen Rahmen zu einer Betreuung verpflichtet. Fehlt Herr Hollmann bei der für Aspiranten essentiellen ‘Schulung’, kann B3 eines Mangels an Arbeitsleistung verdächtigt werden. 137 Wiederum konstitutiert der Sprecher einen emphatischen Sprechstil, allerdings ohne die zuvor verwendeten Hervorhebungspausen. Dies kann als eine zusätzliche Markierung oder gesteigerte Relevanzsetzung der Themeneröffnung gelten (Selling 1994, S. 382). Der emphatische Sprechstil ist hier ein Indiz für eine relative Unverschleiertheit des Angriffs. Zum einen fehlen Anzeichen dafür, daß der Sprecher das Image seines Partners schützen will (wie Modalisierungen, Zögern, Herausnahme des Adressaten etc.). 138 Zum anderen müssen die situativen Rahmenbedingungen insbesondere der Anschluß an den expliziten negativen Gefuhlsausdruck als zusätzlich verschärfende Bedingungen für das Handeln und Reagieren des Bezirksleiters angesehen werden (vgl. Abschnitt 5.2.7). Zusammenfassend soll festgehalten werden: Der Sprecher stuft die Relevanz seiner negativen emotionalen Einstellung bezüglich einiger Themen in der nachfolgenden Besprechung hoch. Die anfänglichen Ausführungen von DI bezüglich seines Ärgers bewirken bei konkretem thematischen Bezug implizit, daß die Teilnehmer sich gezwungen sehen werden, sich für die Ursachen der Ärgernisse zu entschuldigen oder zumindest institutionell relevante Gründe zur Rechtfertigung zu formulieren. 139 Der Sprecher erreicht dies insbesondere durch die Konstitution emphatischen Sprechstils und durch einen Wechsel zu 137 Es spielt auch eine Rolle, daß Versicherungsagenten wie Herr Kaiser, die potentielle Verkäufer (wie Herrn Hollmann) an die Gesellschaft weitervermitteln, an deren zukünftigen Gewinnen in Promille-Anteilen mitverdienen und zudem ihre Primärprovisionen oder ihr Gehalt durch erfolgreiche Vermittlertätigkeit steigern. Die Fokussierung 'Hollmann’ wird Betroffenheit hervorrufen, bzw. Zuständigkeit (rollenspezifische Beteiligungspflichten) aktualisieren. 138 Vgl. Brown und Levinson (1987, S. 33 und 190f.) sowie Schwitalla (1987). Vgl. auch Abschnitt 4.4. 139 Nach den 'Regeln der Gefiihlskorrespondenz’ (Fiehler 1986, S. 290). Dies würde dann nicht gelten, wenn der Sprecher in den nachfolgenden Äußerungsteilen die Hochstufimg der Relevanz seines negativen Gefuhlsausdrucks wieder rückgängig machte, bspw. durch eine expansive, an Subfokussierungen reiche Sachverhaltsdarstellung, die den Gefühlsausdruck in den Hintergrund des interaktionsrelevanten Fokusbereichs drängt, oder einen Wechsel der bedeutungskonstitutiven Ebene, hin zur Scherzhaftigkeit. 126 Reden ist Chefsache reflexiver Referenz (auf sich selbst) bei der Formulierung (Z. 5-7). Dem Wechsel zur prosodisch konstitutierten Emphase werden syntaktische Gestaltungsmittel funktional subsumiert: syntaktische Inversion und der Abbruch einer tendenziell gleichgewichteten Konstruktion. Mit dieser Form der Bewertung hat DI einen manifesten Beitrag zu der Etablierung sozialer (asymmetrischer) Beziehungen zwischen ihm und den Bezirksleitern geschaffen, auf den er sich im folgenden Verlauf rückbeziehen kann. DI reformuliert seine emotionale Grundhaltung bspw. als Einschub bei einer späteren Themeneröffnung: (4.18) 1 DI siebzehn uhr/ was mich enttäu"scht' ich hab des ja zu 2 DI ihnen heut mo"rgen schon gsagt zum anfang- * äh bei 3 DI ihnen r gibt=s ein paar dinge die' * die freuen mich 4 X L ( \) 5 DI ein paar dinge die ärgern mich/ * des is en punkt der 6 DI mich ärgert\ * en tag der offenen tü"r ich hab=s bezirksleiter-1/ 192 Hier werden zunächst beide Alternativen: Freude und Ärger, parallel und gleichgewichtet angeführt (Z. 3, 5). Die emotionale Grundhaltung wird dann kontrastiv hinsichtlich eines Themas konkretisiert: des is en punkt der mich ärgert\ (Z. 5-6). Hierzu wird ein Äußerungsteil reformuliert und thematisch ‘zugespitzt’ (von ‘ein paar Dingen’ auf‘einen Punkt’). Diese Projizierung von Kritik oder Tadel erneuert die vormals etablierte Beziehung der Interaktionspartner. Da den Bezirksleitern schon zu Beginn des Gesprächs ein ‘angenehmes’ Thema in Aussicht gestellt worden war, werden diesbezügliche Erwartungen hier wieder frustriert. Tatsächlich wird in dem ganzen Gespräch kein Thema behandelt, bei dem Freude oder Lob interpretierbar wäre. Im nächsten Beispiel manifestiert der Sprecher eine Gefühlshaltung in bezug auf ein einziges Thema. Der Werksleiter (WL, in ‘Meister-1’) realisiert einen Themenwechsel u.a. mit Hilfe eines metakommunikativen Beitrags, der das neue Thema vorab als Sonderfall einstuft: um von dem thema nicht weiterzumachen habe ich noch ein ga"nz anderes themajetz hier/ (Z. 3-4). WL bricht mit dem ersten Teil dieser Äußerung die laufende Diskussion zu dem voraufgegangenen Thema ab; die Akzentuierung in ein ga"nz anderes thema hat eine prospektive Funktion. 140 Es dreht sich um eine Spesenabrechnung, die einige der anwesenden Meister nach einem auswärtigen Seminar beim Unternehmen eingereicht haben und auf der Getränke und Freizeitaktivitäten aufgefuhrt 140 Der Themenabbruch mit Hilfe eines finalen Nebensatzes ist außergewöhnlich; WL sagt praktisch aus, daß ihm die Bearbeitung des derzeitigen Themas zu lange dauert, und daß er es deshalb vorzieht abzubrechen. Steuerung 127 sind, die nach dem Dafürhalten der Geschäftsleitung zu Lasten der Meister selbst fallen müssen: (4.19) 1 WL da oben/ ** und in die nächsten hallen kommt 2 WL sowas auch rein\ 3 WL *1,4* so\ * um von dem thema nicht weiterzumachen 4 WL habe ich noch ein ga"nz anderes thema jetz hier\ 5 WL * ich habe also * zugegebenerweise mich etwas 6 WL amüsiert/ * ich habe also gegri"nst/ * bei 7 WL der letzten ta"gung/ ** führungshilfen und 8 WL Instrumente für meisten und gruppenleiter- 9 WL am elften bis dreizehnten September in 10 WL AllburgX ** hab ich anschließend von herrn 11 WL Gläsner hier ein paar re"chnungen auf den tisch 12 WL gekricht/ ** wo er der meinung war das würde 13 WL in Zukunft nicht mehr bezahlt\ ** also 14 WL einige flaschen henkel und metternich/ * für 15 WL satte Stückpreise/ ** und * eine stunde 16 WL squash und zwei stunden tennis/ * und so meister-1/ 10 Durch seinen Beitrag mit zweiteiliger Struktur ich habe also * zugegebenerweise mich etwas amüsiert/ * ich habe also gegri"nst/ (Z. 5-6) gibt der Werksleiter dem Gefühl Ausdruck, das ihn beim Erhalt der Rechnungen begleitet hat. Der erste Teil noch durch zugegebenerweise und etwas modalisiert und abgeschwächt stellt die damalige innere Gefühlshaltung dar. Der zweite referiert auf einen mimischen Ausdruck an Freude, gegrV'nst/ , wodurch eine konkrete Gefühlshaltung für den Hörer erfahrbar wird. Die adverbiale Modalisierung zugegebenerweise macht deutlich, daß der Werksleiter auf eine eher kollegiale Ebene einlenken möchte, obwohl für ihn andere statusspezifische Vorgaben und Erwartungen gelten. Einerseits muß er der Geschäftsleitung beipflichten und das ‘unloyale’ Verhalten der Meister kritisieren. Andererseits spielt er aber die Ernsthaftigkeit der Kritik immerhin geht es um firmenschädigendes Verhalten herunter. Zu diesem Zeitpunkt können die Meister den Sachverhalt noch nicht nachvollziehen. WL schiebt die beiden Sätze ja noch vor der Fokussierung thematischer Schwerpunkte, hinter der Markierung des Themenwechsels ein. Die emotive Bewertung des Themas schließt in beiden Teilen der Aktivität mit steigendem Grenzton ab. Die folgende Formulierung enthält die Fokussierung eines institutionsspezifischen Aspekts, mit der die Vorgeschichte des Anliegens eingeleitet wird: bei der letzten ta"gung/ (Z. 6-7). Die Fokussierung der ‘letzten Tagung’ ist ebenfalls mit steigendem Grenzton abgeschlossen. Die emotive Bewertung des Themas kann somit retrospektiv durch analoge prosodische Gestaltschließungen als Bestandteil der Themeneröffhung rezi- 128 Reden ist Chefsache piert werden; das Thema erhält gleichzeitig aufgrund der ‘Belustigung’ von WL einen scheinbar reduzierten Stellenwert. Im folgenden nennt WL den Titel des Seminars, um die Verstehensleistung seiner Hörer zu sichern und um bei den Betroffenen (nicht alle der anwesenden Meister waren in Allburg dabei) Aufmerksamkeit zu wecken. Mit ein paar re"chnungen (Z. 11) formuliert WL den thematischen Fokus. Die re"chnungen sind zwar inhaltlich der Bearbeitungsgegenstand für die erwartbare Diskussion; dominant ist aber hier die illokutive Funktion, die Meister für die Einreichung der Rechnungen zu kritisieren. Der Werksleiter realisiert eine Annäherung an den kritischen Gehalt des Themas, indem er progressiv von der Sachverhaltsgenese hin zu einer illokutiv realisierten Problempräsentation fortschreitet. Er startet Einzelfokussierungen mit ‘Tagung’, nennt die ‘Rechnungen’ und kommt mit ‘Henkel’, ‘Metternich’, v.a. aber mit/ / 7r satte Stückpreise (Z. 14-15) zum Problemkem. Er setzt seine Liste mit ‘Squash’, ‘Tennis’ etc. fort, bis ihm die Meister in lautem Aufbegehren ins Wort fallen (unmittelbar im Anschluß an den oben gezeigten Ausschnitt). WL ist aufgrund seiner Position und der damit verbundenen Weisungsbefugnis gezwungen, die Meister im vorliegenden Fall zurechtzuweisen. Der Ausdruck von ‘Belustigung’, den er in die Themeneröffnung einflicht, hat die Funktion, die Akzeptanzschwelle bei den Meistern zu senken, um deren Eingeständnis zu ‘erleichtern’. WL demonstriert mit seiner emotionalen Grundhaltung außerdem eine gewisse Distanz zum Thema. Dafür spricht z.B., daß er als den Urheber der Kritik einen Dritten - Herrn Gläsner aus der Firmenbuchhaltung (n. anw.) nennt. Die emotive Bewertung des Themas hat aus der Retrospektive eine konfliktvermeidende Funktion; da das Einreichen institutionell (geschäftlich) nicht zu rechtfertigender Spesenrechnungen indirekt auf einen Mangel an Einsichtigkeit verweist, was die Notwendigkeit zur Wahrung allgemeiner Unternehmensziele (Sparsamkeit) betrifft, erleiden die Meister eine Imageeinbuße. Der Begriff der ‘emotiven Bewertung’ besteht aus den Aspekten ‘subjektive Emotion’ und ‘thematische Bewertung’. Bei der Verknüpftmg dieser Aspekte in sprachlichen Aktivitäten zu oder vor Themenbeginn besteht ein enger Zusammenhang mit Legitimationserfordernissen bei der Wahrnehmung von Initiativrechten. Indirekt erheben die Sprecher in den gezeigten Fällen handelt es sich ausschließlich um Vorgesetzte den im Rahmen des hier vorliegenden sach- und zweckorientierten Gesprächkontextes nicht unwesentlichen Anspruch, daß ihr eigenes emotionales Erleben zu einem Bewertungsparameter für gegenständliche Bearbeitungen werden kann. Für Angestellte ist die thematische Gefühlshaltung nur sehr eingeschränkt ein erfolgversprechendes Mittel, um thematische Gegenstände vorab in legitimer Form zu bewerten Steuerung 129 (vgl. z.B. TA 6.06 und 6.11). In diesem Zusammenhang zeigt Müllerovä (1987), daß die Vorgesetzten (head-workers) in Operative Meetings über ein weitaus größeres Repertoire an bewertenden Phrasen verfugen. Die Autorin weist auch auf eine vielseitigere und reichere prosodische Formulierungsgestalt der Vorgesetztenaktivitäten hin (Müllerovä 1987, S. 185, 187). Beides kommt z.B. bei einer Aktivität DFs (s. TA 4.17) zusammen. Die Hochstufung der emotiven Bewertung verleiht seinem persönlichen Evaluierungsstandard institutionelle Relevanz. In den Gesprächen in der Versicherungsdirektion sind emotiv bewertende Aktivitäten des Filialdirektors v.a. im ersten Drittel der Gespräche die Regel. Es handelt sich um selbstdarstellerische Verfahren, die indizieren, daß der Vorgesetzte sich auch ‘innerlich’ stark mit den Problemen des Arbeitsprozesses auseinandersetzt. 141 Es ist erkennbar, daß diese Form der thematischen Bewertung beziehungsregulative Bemühungen der Interaktionspartner vor zusätzliche Hindernisse stellt. Die interaktive Bearbeitung von Problemen im Arbeitsprozeß ist ohnehin häufig mit einer Arbeit an der Imagebalance verbunden. Mit dem expliziten Anzeigen von Ärger erhält die Konfliktaustragung jedoch auch eine subjektiv ‘verinnerlichte’ Dimension, an die sachverhaltsbezogene Bearbeitungen nicht heranreichen. Somit wird eine Asymmetrie in den teilnehmer- und gruppenspezifischen Ressourcen für die interaktive ‘Gefühlsarbeit’ geschaffen, die auf stark divergierende Dominanzverhältnisse in den Direktionsgesprächen hinweist. 142 4.2.4.5 Zusammenfassung: steuerungsfünktionale Aspekte metakommunikativer Aktivitäten Metakommunikationen an thematischen Umbruchstellen werden von Initianten eines Themas in der Regel vor denjenigen Formulierungsprozeduren unternommen, die die thematische Fokussierung enthalten, bzw. die komplexe Fokus-Relevanzstrukturen etablieren. Gerade in den Anfangsphasen der Mitar- 141 Die ‘Regeln der Gefuhlskorrespondenz’ (Fiehler 1986, S. 290) kodifizieren, welche reziproken Gefuhlshaltungen bei den Interaktionspartnem tendenziell ausgelöst und in ihren Reaktionen implizit oder explizit angezeigt werden können. Während (in den oben gezeigten Beispielen) der Werksleiter offensichtlich im Vorfeld um eine Abschwächung der thematischen Brisanz der ‘Spesenrechnungen’ bemüht ist, kann die vom Filialdirektor geleistete Hochstufimg der negativen Bewertung als Verschärfung der situativen und sogar themenübergreifenden Handlungsbedingungen aufgefaßt werden. Als reziproke Gefühlshaltung gegenüber dem ‘Ärger’ des Direktors kämen hier wohl ‘Schuld-’ oder ‘Angstgefühle’ der Angestellten in Frage. 142 Fast serienweise zu nennende Thematisierungen von Defizienzen in der Arbeitsleistung der Inspektoren bzw. der Bezirksleiter drängen diese ständig in die Defensive. Es handelt sich hier um ein Beurteilungsgespräch, in dem Bewertungen seitens des Vorgesetzten dominieren; der Gesprächsstil ist deshalb von einer ständigen Belastung der Beziehung geprägt. 130 Reden ist Chefsache beiterbesprechungen können beziehungskonstitutive Aspekte zum quasi subthematischen Gegenstand interaktiver und metakommunikativer Aushandlungen werden. Dies triffl insbesondere für die Beteiligungsrollen der Teilnehmer zu. Metakommunikative Aktivitäten an thematischen Umbruchstellen sind u.a. mit folgenden Funktionen verknüpft: - Sie leisten projizierende, bedeutungskonstitutive Hinweise auf den folgenden thematischen Gegenstand, wobei sie beispielsweise im Zuge einer argumentativen Eingliederung ihrer Bedeutung in die problematisierende Eröffnung des Themas münden. - Das konfliktive (imagebedrohende) Potential dieser Problematisierung kann durch Metakommunikationen (emotiv bewertender Art) verschärft oder tendenziell abgeschwächt werden. - Sie stufen die Relevanz des folgenden Themas für die laufende Interaktion in je spezifischer Weise hoch, z.B. durch verstärkte Aufmerksamkeitsforderungen, sprechstilistische Emphatisierungen oder prosodisch markierten Kontrast {ein ga"m anderes thema). - Metakommunikationen ordnen vorgreifend die Relevanz des folgenden Themas für die soziale Beziehung ein, indem sie die Beteiligungsrollen, relationale Dominanz oder allgemein die Möglichkeiten der Teilnehmer zur Beziehungsregulierung definieren. - Die jeweils realisierten Formen metakommunikativer Aktivitätstypen mit bewertender Dimension lassen einen Aufschluß darüber zu, welche institutioneilen (und ggf. subjektiven) Vorgaben an die Gesprächsstilistik (und die eigene Beteiligungsweise) ein Sprecher in Kraft zu setzen intendiert. Metakommunikative Aktivitäten an thematischen Umbruchstellen können insofern als Steuerungsaktivitäten aufgefaßt werden, als sie bestimmte Beteiligungsgrundlagen des/ der Interaktionspartner(s) vorab als die für ihn ‘vorgesehenen’ festlegen. Zwar sind diese Festlegungen keineswegs verbindlich und unumgänglich; bezeichnend ist aber, daß praktisch alle Beispiele in diesem Abschnitt Vorgesetzten-Aktivitäten zeigen, deren Geltungswert für interaktive thematische Bearbeitungen nur außerordentlich selten durch Angestellte rückgängig gemacht werden. Bearbeitungen finden unter Berücksichtigung dieser Festlegungen, als eines reziproken Rahmens für die Produktion und die Rezeption von Aktivitäten, statt. 4.3 Sequentielle Implikationen der Themeneröffnung Die Analysen in den folgenden Abschnitten richten sich auf umfassendere Implikationen durch Themeneröffnungen, als sie bisher zur Sprache kamen. Dazu ist ein Überblick darüber notwendig, welchen Stellenwert die Themeneröffnung für komplexe Handlungsstrukturen und Interaktionsmuster hat (4.3.1.1), wie der Problem-Begriff im betrieblichen Kontext zu definieren ist Steuerung 131 (4.3.1.2) und wie eine ‘monologische’ Ansteuerung von Interaktionsmustern verstanden werden soll (4.3.1.3). Letzteres birgt die vielleicht wichtigsten methodischen Schwierigkeiten. Man geht seit langem davon aus, daß z.B. durch das Etablieren einer konditionellen Relevanz gewisse Charakteristika der Folgeäußerung projiziert werden und daß diese Projektion auch mehrere Turns umfassen kann (sequential implicativeness, ScheglofF und Sacks 1973, S. 296); die Projektion komplexer Handlungsstrukturen durch Sprechhandlungen ist jedoch ein relativ unerforschtes Gebiet. Sequentielle Handlungsimplikationen sind mehr oder weniger rigide Verhaltensfestlegungen und Handlungszwänge, die für die Interaktion in Kraft gesetzt werden (vgl. Abschnitt 3.2). Sie bilden einen Bestandteil thematischer Steuerungsverfahren. Sie entstehen dort, wo der Initiator eines Themas Hinweise darauf gibt, wie er das Thema ‘behandelt sehen möchte’. Er verknüpft das Thema gewissermaßen mit einem ‘Bearbeitungsanspruch’. Vorgriffe auf die Themenbearbeitungen sind in den Themeneröffnungen der Korpusgespräche relativ häufig. Sie sind z.B. erkennbar bei Aufforderungen zu Antworten oder Vorschlägen oder bei frühzeitigen Lösungsvorschlägen, die im einzelnen besprochen werden sollen. Die mikrostrukturelle Analyse wird zeigen, daß sich der Anspruch eines Themeninitianten an die Bearbeitung schon in den kleinsten Nuancen seiner Aktivitäten manifestiert. Neben der projizierenden Verhaltensfestlegung gibt es natürlich auch reaktive Verfahren in fortgeschrittenenen Themenbearbeitungen, die als Hinweise auf einen zugrunde liegenden Bearbeitungsanspruch interpretiert werden können (etwa in der Form „Diskutieren wir das doch jetzt bitte nicht als Problem! “). Bei den Beispielen in Abschnitt 4.3.3 werde ich einen solchen Fall beschreiben. Die große Palette solcher Manipulationen der Bearbeitungen werde ich hier allerdings noch nicht behandeln. Reaktive Verfahren, die ein Einhalten ‘planmäßiger’ Bearbeitungsweisen kontrollieren, untersuche ich in Kapitel 5. 4.3.1 Theoretische und methodische Vorbedingungen 4.3.1.1 Die Themeneröffnung al s Handlungsschritt Für das sprachliche Handeln (nicht nur) in Institutionen ist vielfach festgestellt worden, daß Sprecher bei der Produktion von Äußerungen auf erlerntes Vorwissen unterschiedlicher Qualität zurückgreifen. Die Rehbeinsche „Handlungstheorie der Sprache“ geht z.B. von der Herausbildung eines ‘inneren Modells’ für spezifische Handlungskonzepte aus (Rehbein 1977, S. 131). Das innere Modell für ein Handlungskonzept entsteht durch Sozialisation, Lernprozesse oder Informationstransfers. Es wird durch individuelle Erfahrungen verändert, ergänzt oder aspektweise substituiert. 132 Reden ist Chefsache Das innere Modell bildet den Kontrollmaßstab für die Durchführung von Handlungen. Auf einer Ebene ‘selbstkontrollierten Handelns’ überprüft der Handelnde seine Aktivitäten hinsichtlich ihrer Richtigkeit, Angemessenheit und hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit übergreifenden Normen. Aufgrund von Unstimmigkeiten kann er sich zu Korrekturen bei der Handlungsdurchführung gezwungen sehen. Parallel zur Handlungsdurchführung finden kontinuierliche Revisionsprozeduren statt (vgl. Rehbein 1977, S. 131). Man kann in diesem Zusammenhang unterscheiden zwischen mikrostrukturell wirksamen, subjektiven Revisionsprozeduren, die zu Korrekturen an der Durchführung von selbst realisierten Handlungen führen, und interaktiven Kontrollmechanismen, die den Stellenwert von Manipulationen partnerseitiger Voraussetzungen erlangen können. 143 Für das Gelingen von Handlungsdurchführung und Korrekturrealisierung spielt das über Sozialisationsprozesse erlangte Wissen um die Funktion und Zweckmäßigkeit der Handlung eine große Rolle. Dieses Wissen bildet auch die Ressource für Kontrollen beim Einsatz bestimmter Handlungen in spezifischen sozialen Kontexten. Aus wissenssoziologischer Sicht wird von einer ‘objektivierten Sinnhaftigkeit’ des Handelns im institutionellen Kontext gesprochen (Berger und Luckmann 1991). 144 Während des Produktionsvorgangs greift der Sprecher auf individuelle Sprachverwendungsmöglichkeiten zurück und berücksichtigt gleichzeitig die Bereiche der sozialen Beziehung. Der Sprecher formuliert eine für den jeweiligen Zweck von ihm als geeignet erachtete Darstellung, Aufforderung oder Kritik, indem er auf erlernte (internalisierte) modellhafte Muster von Handlungen rekurriert (Rehbein 1977, S. 132). 143 Hieraus ergeben sich Grundlagen für eine ‘Selbstkontrolle’ des Sprechers beim Formulieren, Konturieren und Gestalten von Äußerungen. Konsequenzen aus dieser ‘Selbstkontrolle’ sind Abbrüche, Neustarts, Reparaturen und weitere mikrostrukturelle Phänomene, zu deren Betrachtung nicht notwendig eine interaktionistische Perspektive eingenommen werden muß. Zur Unterscheidung vom interaktionistischen Kontrollbegriff vgl. Abschnitt 3.2.2. Der gegenseitige Einfluß von innerem Modell und realer Handlung, Partnerberücksichtigung und strukturellem Umfang des Handlungskonzepts ist komplex. Einsichten in die mikrostrukturelle Wirksamkeit von Revisionsmechanismen sind bspw. die Präferenzregel der ‘Selbstkorrektur vor Fremdkorrektur’ (Schegloff et al. 1977), eine kontrollierte Reparatur von Fokussierungsleistungen (Hoffmann 1991) und die Thematisierbarkeit von Formulierungsweisen (‘gist formulations’, Heritage und Watson 1979). 144 „Die objektivierte Sinnhaftigkeit institutionalen Handelns wird als ‘Wissen’ angesehen und als solches weitergereicht. [...] Jede Weitergabe von institutionalem Sinn braucht Kontrolle und Legitimation. Beides gehört zu den Institutionen und wird von den vermittelnden Personen verwaltet.“ (Berger und Luckmann 1991, S. 75). Weiter weisen die Autoren darauf hin, daß diese Faktoren unabhängig vom Typ der Institution existieren: „Das Problem logischer Kohärenz entsteht zuerst auf der Ebene der Legitimierung, dort wo Konflikte zwischen verschiedenen Legitimationen und Eifersuchtsgefühle unter ihren Sachwaltern auftreten.“ (ebd., S. 75f.). Steuerung 133 Die Themeneröffnungen in Mitarbeiterbesprechungen verstehe ich im folgenden als sprachliche Realisierung eines Handlungskonzepts, als ‘Handlungsschritt’. Themeneröffnungen sind erste Schritte in z.T. umfangreichen makrostrukturellen Abschnitten, in denen die von den Teilnehmern sprachlich realisierten Handlungskonzepte in semantisch-pragmatischer Weise miteinander verbunden sind. Die Rekonstruktion einer logischen Abfolge von Handlungsschritten macht die Orientierung der Teilnehmer an einer komplexen Struktur, dem ‘Handlungsschema’ erkennbar (vgl. im nächsten Abschnitt). Durch Kontextualisierungsverfahren sichern die Beteiligten die zweckgerichtete Kontinuität der thematischen Bearbeitung und eine progressive Bedeutungs- und Handlungskonstitution im Gespräch. Der Handlungsschritt ‘Themeneröffnung’ steht am Beginn handlungslogischer Abfolgen; seine Realisierung weist auf die im folgenden zu leistenden Handlungskomponenten des Schemas voraus. Themeneröffnungen sind konkrete sprachliche Realisierungen von Handlungskonzepten mit einem steuernden, interaktionelle Ziele anvisierenden Potential. Der Handlungsschritt ‘Themeneröffnung’ fällt in der Regel mit dem ersten Turn bzw. den ersten Turns eines Sprechers bezüglich eines neuen Themas zusammen. Mehrere Turns bilden dann die Einheit einer Themeneröffnung, wenn sie nicht durch mehr als Rückmeldungen unterbrochen sind. 145 Themeneröffnungen brauchen nicht nur die formale Konstitution des Themenwechsels, metakommunikative Sprechhandlungen, die thematische Fokussierung und einige weitere Subfokussierungen einzuschließen. Im Korpus liegen einige mehrminütige Einführungen in komplexe Problematiken vor, die praktische Details, standpunktabhängige Wertungen, Vergleiche, Beispiele, Randbedingungen, Lösungsvorschläge usw. enthalten, die später alle aufgegriffen werden (können). 146 Themeneröffnungen können außerdem das Sprecher-Hörer- Verhältnis (re)organisieren, Beteiligungsrollen zuweisen und eine Imagebedrohung etablieren. Das Wahrnehmen von Initiativrechten ist in der Mitarbeiterbesprechung mit einem ‘Legitimationsdruck’ verknüpft. Ein Teilnehmer kann kein Thema eröff- 145 Die theoretische Diversifizierung solcher Rückmeldungen aufgrund ihrer semantischillokutiven Dimension (Bestätigungen, Verständnissignale oder auch Verweigerungen durch ‘beredtes’ Schweigen) kann hier nicht erfolgen. Rückmeldungen können z.B. als minimale Gesprächshandlungen, jedoch nur eingeschränkt als ‘selbständige’ Turns angesehen werden, während ihr Tumcharakter in tendenziell ritualisierten sequentiellen Handlungszusammenhängen unbestritten ist. Strukturell kann man mehrere abgegrenzte Turns als einen einzigen Tum ansehen, solange dem Sprecher das Rederecht nicht streitig gemacht wird. Es handelt sich hier z.T. um offene Fragen in der theoretisierenden Gesprächsforschung, v.a. in der Nachfolge Goffmans (1981) (vgl. Schwitalla 1993; Kallmeyer und Schmitt 1996, Kap. 5.3.3). 146 Im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ bspw. stellt der Bereichsleiter für Arbeitswirtschaft anhand von Fallbeispielen einzelne Aspekte des neuen Entlohnungssystems vor. Jede Einführung in ein solches Fallbeispiel dauert mehrere Minuten. 134 Reden ist Chefsache nen, ohne zumindest ansatzweise die Relation des Gegenstands mit der Institution erkennbar zu machen. ThemeneröfFnungen beinhalten deshalb Legitimierungsinitiativen als Teilhandlungen (Rehbein 1977, S. 85ff.) oder als charakteristische ‘Stücke’ des Gesprächsschritts (Nothdurft 1984). Zu den Legitimierungsinitiativen zählen z.B. Begründungen, warum man gerade dieses Thema anspricht, explizite Bewertungen der Themenrelevanz oder die Zuordnung des Themas zu einem Untemehmensbereich (‘Lokalisieren’). Durch Lokalisierungen werden der thematische Fokus oder Subfokussierungen in institutioneile Relevanzrahmen situiert. Vorgaben für diesen Rahmen sind beispielsweise der Themenstellenwert für andere Gesprächsgruppen (z.B. den Betriebsrat), für bestimmte hierarchische Ebenen im Organigramm (z.B. die Geschäftsleitung, die Abteilungsleiter), für organisatorische Bereiche (wie Verwaltung, Verkauf, Fuhrpark oder Produktion) usw. Die Relevanz eines Themas ist Teil der objektivierbaren Sinnhaftigkeit institutionalen Handelns. Bei Themen, deren institutionelle Relevanz strittig zu sein scheint, kann die Objektivierbarkeit der Legitimation thematisiert und ausgehandelt werden. Im folgenden Beispiel strebt etwa der Betriebsratsvorsitzende im Gespräch ‘Meister-1’ eine Legitimierung des von ihm eröffheten Themenbereichs ‘Gerüchte’ an. Das Eröffnen der strittigen thematischen Abschnitte wird als ein ‘Anschneiden’ von Themen (Z. 1) bezeichnet: (4.20) BV BV WL BV BV meister-1/ 22 des is doch grad des warum ich sie hier a"nschneid/ weil die gerüchte ge'^n jo um\ * dann r sollt ma=s L bitte\ aber auch besprechen- * und sollt=s gra"de rückenunn net bei den gerüchten la"ssen\ * ja/ 4.3.1.2 Was ist ein Problem? An der Art und Weise, wie der Meister vom Fahrstuhl zur Tür der Meßwarte läuft und die Türklinke hemnterdrückt, erkenne ich von drinnen, ob unsere Unterhaltung normal oder problematisch verlaufen wird. J.F., Schichtarbeiter Die Themen in der Mitarbeiterbesprechung haben außer bei einem (oft nur scheinbar) reinen Informationstransfer ein je graduell unterschiedliches problematisches Potential. Mit problematischem Potential ist gemeint, daß ein Thema inhaltliche Aspekte beinhalten kann, die in irgendeiner Form auf vorhandene Defizienzen in der Planung, in der Kommunikation, in der Leistung usw. hinweisen. Defizite können auf früheren Fehlinformationen, auf Fehlhandlungen von Mitarbeitern, auf aktuellen Unvollständigkeiten in Konzepten, Steuerung 135 auf organisatorischen Schwierigkeiten, insuffizienten Arbeitsplatzbedingungen oder Ungerechtigkeiten basieren. Wann von einer interaktionellen Problembearbeitung gesprochen werden kann, wird in der Gesprächsanalyse gängigerweise von zwei Bedingungen abhängig gemacht: einerseits davon, ob ein Teilnehmer einen Sachverhalt als Problem einstuft, und andererseits davon, ob die Interaktionspartner die Einstufung des Gegenstands als Problem ratifizieren (Spiegel 1995, S. 12f). Allerdings kommt es vor, daß die Interagierenden bei der Einstufung des problematischen Potentials eines Gegenstands nicht zu einer Einigung gelangen. In solchen Fällen lassen sich regelmäßig divergierende Problemsichtweisen rekonstruieren, die verschiedene Bewertungen des problematischen Potentials überhaupt erst ermöglichen. In den Mitarbeiterbesprechungen des Korpus finden sich drei charakteristische, lange Diskussionsphasen, in denen ‘kompetitive’ Einstellungen aufeinanderprallen. Jeder der Partner verteidigt die seinige und versucht, sie als die legitimere durchzusetzen. Von der Objektivierbarkeit der Einstellungen und von ihrer Legitimierung hängt es ab, ob ein problematisches Potential ratifiziert wird und man zu einer interaktiv ausgehandelten Problemdefmition gelangt oder nicht. Das Erreichen einer reziprok anerkannten Problemdefinition muß jedoch vorausgesetzt werden, damit man z.B. zu erfolgversprechenden Lösungsvorschlägen fortschreiten kann. Im gegenteiligen Fall, wenn eine gemeinsame Problemdefmition z.B. ‘untergeschoben’ wird, kommt es später regelmäßig zu divergierenden Reanalysen des Problems. 147 Mein Eindruck ist der, daß interaktiv ausgehandelte Problemdefmitionen in Mitarbeiterbesprechungen als eines der kostbarsten Güter in dieser Kommunikationsform überhaupt angesehen werden müssen. Eine wie auch immer vorhandene, wenn auch nur latente problematische Dimension (sub-)thematischer Foki kann zur Konstitution von Problembearbeitungen als Interaktionsmuster fuhren. (Dies verhält sich analog zu der Goffmanschen Betrachtung dazu, wie sich das Entstehen einer Imagebedrohung beschreiben läßt; vgl. Abschnitt 3.1.4.) Die Konstitution einer Problembearbeitung könnte z.B. dann als nachgewiesen gelten, wenn als reaktiver Handlungsschritt in bezug auf die problematisierende Handlung 148 die ‘Reformulie- 147 Beim Begriff der ‘untergeschobenen Problemdefinition’ lehne ich mich an Nothdurft (1984, S. 87fT.) an. Es handelt sich um eine einseitig festgelegte problematische Dimension von Sachverhalten, um ein Unterstellen partnerseitiger Zustimmung. Konsens wird simuliert und man schreitet zu Lösungsinitiativen weiter. Nothdurft zeigt am Beratungsgespräch in sozialen Institutionen, daß diese Strategie oft fehlschlägt, da man im Zuge der Bearbeitung von Problemlösungsinitiativen feststellen muß, daß man von unterschiedlichen Perspektiven ausgegangen ist (vgl. hierzu auch Schröder 1994). 148 Ich vermeide es, von ‘Problempräsentationen’ zu sprechen, wie sich dies bei der Analyse von Beratungsgesprächen etabliert hat (vgl. v.a. Nothdurft 1984). Bei entsprechen- 136 Reden ist Chefsache rung’ des Problems erfolgt. Auch wenn das problematische Potential des Sachverhalts und dessen interaktionelle Relevanz sofort aberkannt wird (z.B. mit „stimmt schon, was Sie sagen, aber ich wollte darüber jetzt eigentlich nicht reden“ ) handelt es sich um Bearbeitungen der Problematisierung. Allerdings wird die mit dem vorhergehenden Handlungsschritt geleistete Bewertung des problematischen Potentials nicht bestätigt; sie erfährt eine Rückstufung. Augenfällige Beispiele für interaktionelle Einstufungen des problematischen Potentials finden sich bei der Bearbeitung eines Themas im Gespräch ‘Meister-1’ (s. Anhang II). Im wesentlichen sind der Werksleiter und der Betriebsratsvorsitzende beteiligt. Der Diskussion 149 liegt eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Geschäftsleitung zugrunde: Eine Abteilung (das ‘Werk 1’), die nur ‘rote Zahlen schreibt’, soll eventuell geschlossen werden; sie stellt für die Unternehmensleitung (grob ausgedrückt) ein ökonomisches Defizit dar. Aus der Sicht der Unternehmensleitung ist die Schließung relativ unproblematisch, wenn man damit insgesamt Gewinne steigert. Sie betrachtet es nicht als ein Problem, Kosten-Nutzen-Rechnungen anzustellen (oder anstellen zu lassen). Angestellteninteressen sind (noch) zweitrangig; sie kommen als Diskussionsthema erst dann in Betracht, wenn organisatorische Entscheidungen näherrücken. Erst in diesem Stadium könnte man sich Gedanken über möglicherweise bestehende sozial-gesellschaftliche Defizienzen in der Planung machen und überlegen, welche sozialverträglichen Maßnahmen erforderlich sind (Arbeitszeitverkürzung, Vorruhestandsregelungen, Versetzungen, Abfindungen, vertragliche Personalübernahmeregelungen beim Verkauf von Untemehmensteilen usw.). Für den Betriebsratsvorsitzenden im Unternehmen stellt hingegen schon die anfängliche, betriebswirtschaftliche Überlegung der Unternehmensleitung ein Defizit im Personalbereich dar, weil er soziale Interessen der Mitarbeiter dieser Abteilung gefährdet und unterwandert sieht. Gegen Ende der Diskussion sagt der Werksleiter: (4.21) 1 WL aber * gut * also das wie gesagt bitte zu den 2 WL gerüchten- * äh es iss schli"mm/ * daß wir uns 3 WL gedanken machen mü"ssen/ permanent was morgen oder 4 WL übermorgen iss- * iss gar keine frage- ** äh * nur 5 WL wir können nicht alle gedanken gleich im allgemeinen 6 WL besprechen weil wir neunzig bis fünfundneunzig bis 7 WL achtundneunzig prozent unserer ideen we"gschmeißen- * den Themeneröffnungen in der Mitarbeiterbesprechung spreche ich von einer ‘Problematisierung’. 149 Mit Schwitalla (1987) könnte man bei dieser Interaktionsphase auch von einer ‘konfliktären Verhandlungsphase’ zwischen dem Werksleiter und dem Betriebsratsvorsitzenden sprechen, von einer Form des ‘Streitens’, wobei es dämm geht, den anderen jeweils zu bestimmten Handlungen zu bewegen, die dieser von sich aus nicht ausflihren würde (Schwitalla 1987, S. 109). Steuerung 137 8 WL und die restlichen zwei bis fünf prozent der (herde) 9 WL hinterher so lange ändern * bis völlig was anderes K #GESPRÄCH IM HINTERGRUND 10 WL rauskommt\ ja/ ** also bitte' * K # meister-1/ 22 Der Werksleiter gesteht ein, daß die Gedanken der Geschäftsleitung über die mögliche Schließung eines Werksteils eine problematische Dimension innehaben: es iss schW'mm/ (Z. 2) (man beachte auch den mit wir angezeigten Sprecherstatus; Z. 2, 5, 6). Insofern wird dem thematischen Fokus Problemcharakter zugestanden. Der Werksleiter schränkt jedoch die Relevanz des Problems für das laufende Gespräch ein: nur wir können nicht alle gedanken gleich im allgemeinen besprechen (Z. 4-6). Ob einem Sachverhalt eine interaktionsrelevante problematische Dimension zugeschrieben werden soll oder nicht, wird über weite Strecken in Mitarbeiterbesprechungen von der Gesprächsleitung diktiert. Hinsichtlich dieses Aspekts besitzt der Vorgesetzte eine fast uneingeschränkte ‘Problem-Definitionsmacht’ (vgl. Fiehler 1983). Problematisierungen von hierarchisch inferioren Teilnehmern werden z.B. häufig zurückgewiesen, indem man dem Thema Relevanz für den übergreifenden Fokus abspricht, an der fachlichen Kompetenz des Initiators zweifelt, bewußten Eigennutz unterstellt, ein Wissensdefizit des Initiators dokumentiert, oder indem man die Problematisierungen einfach überhört und das Thema wechselt. 150 Typisch für Mitarbeiterbesprechungen sind einseitig festgelegte Problemdefinitionen von seiten des Vorgesetzten, die dieser gegen jegliche Übergriffe seiner Interaktionspartner zu schützen versucht. Bei der interaktiven Abwägung des problematischen Potentials eines Sachverhalts bildet interpersonale Imagearbeit einen begleitenden Bestandteil. Dadurch, daß Probleme auf Defiziten beruhen, die in Zuständigkeitsbereichen einzelner Teilnehmer verortet werden können, spielt die Frage nach dem Verursacher des Problems eine latente Rolle. Die Bewertung des problematischen Potentials wird dann gleichsam ergänzt durch die Evaluierung individueller Verantwortung für ein Problem. Zuständigkeit legt Verantwortung nahe, das eine besteht jedoch nicht analog zum anderen. Man kann z.B. die Verantwortung für ein Problem auf andere mutmaßliche Verursacher verlagern, ohne die eigene Zuständigkeit für den Bereich aufzuheben (TA 4.35); 150 Diese Verfahrensweisen haben Anteil an der Etablierung der Beziehung unter sozialen Identitäten: Der statusinferiore Teilnehmer wird in seine Schranken verwiesen (s. Abschnitt 5.2.10). Es ließe sich hier die These anschließen, daß partizipationsorientierte Führungstechniken über ein partielles Abtreten der Problemdefinitionsmacht zur Stärkung der sozialen Identität inferiorer Teilnehmer beitragen und intrinsische Motivation fordern könnten. 138 Reden ist Chefsache wenn man sich verantwortlich macht für etwas, wofür man gar nicht zuständig ist, kann das als positive Selbstdarstellung dienen (die u.U. überheblich wirkt, vgl. TA 6.10). Die Feststellung eines Defizits bei gleichzeitiger Zuweisung von Verantwortung für das entstandene Problem ist eine imagebedrohende Markierung eines ‘Regelverstoßes’ (Holly 1979). Der Regelverstoß bezieht sich auf institutionelle Standards oder Normen, die im Zuge solcher Aktivitäten indiziert und in Kraft gesetzt werden. 4.3.1.3 Das Ansteuern von Handlungsschemata der Interaktion In den „Elementen zur Handlungstheorie der Sprache“ (1977) verwendet Rehbein den Begriff ‘Handlungsschema’ als Bezeichnung für ein vom Sprecher explizit formuliertes ‘Layout’ seiner folgenden Rede. Rehbein zufolge eröffnet der Sprecher durch diverse diskursive Mittel (‘Platzhalter’) ‘Leerstellen’ in der Bearbeitung, die „erst in der Ausführung in concreto gefüllt“ werden (Rehbein 1977, S. 154). Als makrostrukturelle Orientierung hat dabei der thematische Fokus einen vordergründigen Stellenwert; er konstituiert den Beginn der „faktischen Handlungslinie des Aktanten“ (ebd.). Die Sprecher sind zur Erleichterung der partnerseitigen Rezeption ständig um eine Kontextualisierung ihrer Aktivitäten in bezug auf den übergreifenden Fokus bemüht. Aus der handlungstheoretischen Sicht Rehbeins kommt dem Partner an der Abwicklung des Handlungsschemas allerdings kaum eine aktive Rolle zu. 151 Im Unterschied zu Rehbein versteht Kallmeyer (1978, 1985) ein Handlungsschema als prozessual und interaktiv konstituierten Komplex. Kallmeyer ordnet sein Vorgehen u.a. in die Tradition der ethnomethodologischen Konversationsanalyse ein; gleichwohl geht er bei der Untersuchung der „Handlungskonstitution im Gespräch“ (1985) über deren präferiertes Objekt, die lokale, mikrotextuelle und sequentielle Gesprächsorganisation, hinaus. Er stellt Zusammenhänge zwischen kleinräumigen und makrostrukturellen Organisationsformen im Gespräch dar. Für Kallmeyer sind Handlungsschemata der Interaktion das Resultat einer wechselseitigen Orientierung der Aktanten an den Herstellungs- und Rezeptionsbedingungen der laufenden Interaktion (1978, S. 198f, 1985, S. 81-85). Zwischen den Einsichten dieser beiden Autoren scheint mir ein nutzvoller Vergleich möglich. Was Rehbein mit ‘Leerstellen’ im Auge hat, die im Laufe 151 Rehbeins (1977, S. 154-162) Sichtweise ist pragmatischen bzw. sprechakttheoretischen Ansätzen verpflichtet. Die von ihm gemeinten Handlungsschemata betreffen Makro- Sprechhandlungen, z.B. Vorlesungen, Vorträge, Festreden, Predigten u.ä. Er selbst verweist in einer Kritik an textlinguistischen Vorgehensweisen darauf, daß diese ‘Textsorten’ von ihm als Handlungsmuster und nicht als Handlungsschemata aufgefaßt werden (Rehbein 1977, S. 160). Steuerung 139 einer Redeeinfuhrung zu öffnen seien, tritt aus der interaktionistischen Perspektive des Gesprächsanalytikers Kallmeyer in ähnlicher Weise auf. Er spricht davon, „daß die Initiative zur Durchführung eines Handlungsschemas die Beteiligung des Partners schon bei der Definition des Schemas miteinbezieht“ (Kallmeyer 1978, Anm. 30). Kallmeyer bezieht sich auf‘Aktivitätspotentiale’, die durch bestimmte Fokussierungsprozeduren (Ankündigungen und Andeutungen) in die Interaktion eingefiihrt werden. Aktivitätspotentiale können sowohl für den Sprecher als auch für den Interaktionspartner Handlungsverpflichtungen beinhalten. Für unserem Zusammenhang ziehe ich den Schluß, daß Themeneröffnungen gleichsam eine ‘Valenz’ für variable Aktivitäten sowohl der Hörerschaft als auch des Sprechers selbst besitzen. Ankündigungen in der Schemaeröffnung oder Leerstellen bieten Möglichkeiten der Rückbindung für die Interaktionspartner bei der Themenbearbeitung. Der einfachste Fall ist der, bei dem am Ende von Sachverhaltsdarstellungen auf Aufforderung adjacency-pairs (z.B. Frage-Antwort-Sequenzen) zur Klärung von Randbedingungen eröffnet werden. Eine weitere einfache Form besteht darin, daß der iniitierende Sprecher eine Information präsentiert, worauf die Verstehenssignalisierung folgt. Diese Formen der Bearbeitung sind Handlungsschritte, die ein Handlungsschema Tnformationsweitergabe’ etablieren und charakteristischerweise in Ketten (subordinierten Runden) erscheinen. Im Falle einer durch Subfokussierungen eingeführten Relevanzstruktur in der Themeneröffnung kann der Rückbindungsprozeß hingegen entsprechend komplex sein. Einerseits können vorgreifende Verhaltensfestlegungen sehr spezifischer Art vorliegen (z.B. im Falle expliziter rollenspezifischer Handlungsverpflichtungen); andererseits können durch die Relevanzstruktur verschwommene Anforderungen bzw. keine klar erkennbaren Verhaltensfestlegungen etabliert sein. Themeneröffnende Handlungsschritte, die durch diskursive Hinweise mit einem hohen Grad an problematischem Potential verknüpft sind, weisen i.a. auf die interaktive Konstitution komplexer sequentieller Handlungsstrukturen voraus. 4.3.1.4 Kategorisierung der Themeneröffnungen Die Themeneröffnungen in den Gesprächen des Korpus präsentieren ein relativ einheitliches Bild im Hinblick darauf, was der Sprecher mit ihnen ansteuert. Insgesamt handelt es sich um 57 Eröffnungen, wobei allerdings wegen phasenweiser Themenverquickungen nur von einer Circa-Angabe gesprochen werden kann. Wenn ich die ansteuernde Qualität der Themeneröffnungen im folgenden kategorisiere, handelt es sich zum einen um eine intuitive Zuordnung von Eröffnungen zu durchgängig erscheinenden Typen. Andererseits schälten sich diese Typen im Zuge der monatelangen Arbeit am Material heraus. 140 Reden ist Chefsache Ich gehe im folgenden davon aus, daß Teilnehmer mit der Realisierung von Themeneröffnungen gleichzeitig eine Bearbeitung anstreben, die entweder einer Tnformationsweitergabe’ (1) oder einer ‘Problembearbeitung’ (2) verpflichtet sein soll. Dabei handelt es sich 1) um die Präsentation von Sachverhalten oder von mehr oder minder abgeschlossener Planungen, die den Mitarbeitern mit dem Ziel dargelegt werden, ihr Wissen hinsichtlich der Überlegungen und Entscheidungen der Geschäftsleitung zu erweitern, und 2) um die Darstellung von Problemen. Hier können zwei mögliche Zielvorstellungen differenziert werden. Einmal soll das Wissen beider ‘Parteien’ hinsichtlich der Problematik eines Sachverhalts geschärft und detailliert werden. Im Verlauf wären dann Lösungen zu erarbeiten, die das Problem im institutioneilen Sinn effizient d.h. der Steigerung von Produktionsleistung dienlich in eine Basis für weiteres sachgerechtes Arbeiten umwandeln. Die andere Möglichkeit der Problemdarstellung ist es, den oder die Interaktionspartner mit einem von ihm oder ihnen mutmaßlich verursachten Problem zu konfrontieren, um Stellungnahmen (bis hin zu Schuldgeständnissen) einzufordern. Solche Probleme sind nicht interaktiv ‘lösbar’ im angesprochenen Sinn. Ihre Bearbeitung führt i.a. zu Vorschlägen, wie das Problem zukünftig vermieden werden kann. Bei autoritärem Führungsstil (durchgängig z.B. in der Versicherungsdirektion) kommt es zu einem Diktat des weiteren Arbeitsverhaltens. Es ergibt sich die folgende einfache Systematisierung von Themeneröffnungen in der Mitarbeiterbesprechung im Hinblick auf ihre Steuerungscharakteristika: 152 1) Ansteuem einer Informationsweitergabe a) Die Präsentation abgeschlossener Planungsprozesse, die keine aktuell zu thematisierenden Defizite enthalten (Überblicksinformationen zu Merkblättern, Sicherheitshinweise, Hinweise auf konkrete Vorhaben der Geschäftsleitung, z.B. zu Investitionen, Terminen etc.). b) Die Präsentation nicht abgeschlossener Planungsprozesse, die Defizite enthalten, wobei diese jedoch nicht zu einer interaktiven Problematisierung der gesamten Planung führen, sondern allenfalls als Teile der Sachverhaltsdarstellung rezipiert werden sollen. 2) Ansteuem einer Problembearbeitung a) Die Problematisierung nicht abgeschlossener Planungsprozesse oder laufender Arbeitsprozesse, die ein Defizit enthalten, ggf. mit frühen Vorstößen zur Problemdefinition und Lösungsfindung in der Themeneröffnung. b) Die Kritik an einem Defizit, das aus einem Ungleichgewicht zwischen dem institutionellen Anspruch an den oder die Mitarbeiter und dessen bzw. deren Leistung entspringt, wobei häufig mittels bewertender Aktivitäten eine Imagebedrohung etabliert wird. 152 Eine vergleichbare Typisierung von kommunikativen ‘Zielstellungen’ im Industriebetrieb findet sich bei C. Schwarz (1985, Kap. 3.1.). Sie greift u.a. auf die Beschreibung von Textmustem bei Reiher (1980) und Techtmeier (1984) zurück. Ihre Typisierung nennt die Ziele: a) Wissensaneignung, b) Problemdiskussion, c) Verteidigungen, d) Prognosediskussion und e) Diskussion mit Tagungscharakter. Leider vermißt man trotz einer Summe von Gesprächsbeispielen bei Schwarz die Zuordnung sprachlicher Formen zu der konstitutiven Funktion für diese Zielstellungen. Steuerung 141 Die Grenzen dieser Systematisierung sind mit der Spannweite zwischen dem verknüpft, was mit der ThemeneröfFnung erkennbar angesteuert wird, und dem, was sich erst retrospektiv aus Folgeäußerungen sowohl des Initianten als auch seiner Partner an Handlungsimplikationen rekonstruieren läßt. Gleichwohl ist eine der wesentlichen Einsichten der Erforschung verbal-interaktiven Diskurses die, daß Sprecher ihre Intentionen, die sie z.B. metakommunikativ deutlich machen, in der Regel schon früher ankündigten. Dies wird durch meine Analysen von Vorlaufelementen, Ankündigungsfokussierungen in der ThemeneröfFnung und vorgeschalteten Metakommunikationen bestätigt. Wenn ein Sprecher während der Themenbearbeitung Partnerinterpretationen als fehlerhaft darstellt und zu korrigieren versucht (in der Form „Sie haben völlig mißverstanden, worauf ich eigentlich hinauswollte“), dann lassen sich explizit wie implizit ausgedrückte Kommunikationsziele zumeist schon anhand des vorangegangenen Kontextes rekonstruieren. Die folgende Tabelle zeigt, wie sich die 57 Themeneröffhungen der oben beschriebenen Typen auf die Gespräche des Korpus verteilen: 153 Trotz der relativen Ungenauigkeit meines Zuordnungsverfahrens kann man hier doch den einen oder anderen interpretatorischen Schluß ziehen. Im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ ist beispielsweise auffällig, daß eine große Zahl von Sachverhalten besprochen wird, die mit Defiziten behaftet sind (1b), obwohl es sich bei dem übergeordneten Thema um eine Information zu einem abgeschlossenen Planungsprozeß (Gruppenentlohnungssystem) handelt. Die Gesprächsleiter zeigen diese Defizite auf, verhindern und vereiteln jedoch eine auf sofortige Lösung zielende Bearbeitung der Probleme. Bei den letzten drei Gesprächen (aus der Versicherungsdirektion) liegt eine hohe Anzahl von 153 Thematische Initiativen wurden für diese Tabelle dann berücksichtigt, wenn sie nach den weiter oben beschriebenen Kriterien (Eröffnung, Bearbeitung, Abschluß) im Gespräch auch behandelt wurden. Dies gilt in gleichem Maß für Subthemeneröffnungen, insbesondere im Gespräch ‘Bonusentlohnung’, in dem ein einziges Thema als übergreifendes ständig mehr oder weniger im Vordergrund sieht. 142 Reden ist Chefsache ThemeneröfFnungen vor, die den Interaktionspartnern die Verantwortung an Problemen im Arbeitsprozeß anlasten (2b). In den Bezirksleitergesprächen besticht insbesondere ein Kontrast zum Typ 2a. Wenn der Filialdirektor hier eine Problematisierung startet, verbindet er dies sofort mit einer Verantwortungsanlastung. In der Systematisierung der Themeneröffnungen spiegeln sich demzufolge maßgebliche Charakteristika des Führungsstils partikulärer Unternehmensbereiche. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit greifen die Interaktionspartner entgegen der Ziele des Initianten nach einer Eröffnung des Typs 1b gerade diejenigen Subfoki auf, die ein Defizit enthalten. Dadurch eröffnen sie ein Subthema des Typs 2a, das vor der Reetablierung des übergreifenden Fokus bearbeitet wird. Umgekehrt kann es nach einer problematisierenden Eröffnung des Typs 2b sofort zu einer ‘Abschwächung’ der Handlungsimplikationen kommen, wenn der Partner im zweiten Zug mit der Eröffnung eines subordinierten Schemas des Typs la oder b reagiert. 154 Solche Formen von Reaktanz werden uns zwar vornehmlich in Kap. 5 beschäftigen, im folgenden Abschnitt wird jedoch einer dieser Fälle gezeigt. 4.3.2 Beispiele: Ansteuern einer Tnformationsweitergabe’ 4.3.2.1 ‘Retrospektive’ Etablierung des informativen Themenanspruchs Das erste Beispiel demonstriert, was passiert, wenn der Sprecher es ‘versäumt’, in erkennbarer Weise ein Handlungsschema Tnformationsweitergabe’ zu etablieren. (Im folgenden spreche ich hierbei auch von einem ‘informativen Themenanspruch’.) Er holt die entsprechenden Hinweise nach und versucht, den angesteuerten Themenanspruch durchzusetzen, insbesondere, weil Fremdproblematisierungen den informativen Themenanspruch gefährden. 155 Der folgende Ausschnitt zeigt den Beginn des ersten Themas in ‘Meister-1’. Der Werksleiter kontextualisiert seine Eröffnung zunächst bezüglich des ein paar Wochen zurückliegenden Meistergesprächs. Er hatte dort angekündigt, eine Aufstellung des Personals im Werk nach Kostenstellen anzufertigen. Die Liste, die auch Daten über die Arbeitsleistungen der Abteilungen enthält (Produktionszahlen in Tonnen), wurde wenige Tage vor ‘Meister-1’ den Meistern ausgehändigt. 154 Vgl. hierzu die Beobachtungen von Quasthoff (1981) an den Zuhöreraktivitäten beim ‘Erzählen’. Wenn der Hörer das angestrebte Interaktionsmuster nicht anerkennt, wenn er bspw. nach einer Erzählung sofort das Thema wechselt, negiert die „erzählfeindliche Haltung [...] die Situationsangemessenheit des Erzählens als Kommunikationsmodus“. Damit wird die Umdefmition der Situation vereitelt (vgl. Quasthoff 1981, S. 311). 155 Mit Fremdproblematisierungen sind Probleminitiativen gemeint, die nicht von dem Initianten des Themas selbst gestartet werden. Fremdproblematisierungen greifen i.d.R. subfokussierte Aspekte der Themeneröffnung auf. Steuerung 143 (4.22) 1 WL so\ ich hab also vom 1 * folgende pu"nkte/ ' 2 WL vom letzten mal noch fo"lgendes/ ** ich hab 3 WL das personal also nach kostenstellen sortie"rt/ 4 WL ** äh *1,4* >wer hatte schon reingeguckt- 5 WL herr Schmi"tt sie hatten reingeguckt schon\ 6 WL (nich/ < ja äh- 7 Ml L jar äh- 8 M2 *- 2<a da hab ich noch ne frage 9 M2 dazu\ 10 WL ja/ mei ster-1/ 2 Der Werksleiter eröffnet das Thema (in diesem Fall auch das Gespräch) mit einem Verweis auf das letzte Meistergespräch. Er zeigt an, daß er (mindestens) ein Thema aus der damaligen Tagesordnung in die jetzige übernimmt: vom letzten mal noch fo'lgendes/ {Z. 2). Die Funktion des Beitrags nach dem links angeschlossenen Vorlaufelement (so\, Z. 1) ist primär ein Mittel prospektiver Gesprächssegmentierung. Die folgende Formulierung, ich hab das personal also nach kostenstellen sortie"rt/ (Z. 2-3), paraphrasiert die Arbeitshandlung von WL, deren Ergebnis den Meistern schriftlich vorliegt. Die Pause, die an dieser Stelle entsteht, hat vorherrschend die Funktion, die Tischvorlage in die Aufmerksamkeitsausrichtung der Teilnehmer, d.h. in den thematischen Fokus, mit einzubeziehen. 156 Mit der Äußerung >wer hatte schon reingegucktherr Schmi"tt sie hatten reingeguckt schon\ nich/ < (Z. 4-6) etabliert WL eine für die erste Bearbeitung der Tischvorlage gültige Sprecher-Hörer-Konstellation. Die Frage >wer hatte schon reingegucktist durch die Verwendung der Fragepartikel wer an alle Hörer gerichtet; sie ist als allgemeine Aufforderung zu Stellungnahmen zu verstehen; die Beteiligungsaufgaben der Anwesenden bleiben relativ offen. Im nächsten Schritt weist WL einem Meister, Herrn Schmitt (M2), das Rederecht zu, wodurch die allgemeine Sprecher-Hörer-Konstellation auf ein dyadisches Verhältnis reduziert wird, herr Schmi"tt sie hatten reingeguckt schon\ nich/ - 151 156 Das Verteilen von und der Hinweis auf Tischvorlagen kann als eine funktional äquivalente Handlung zu sprachlich vollzogenen thematischen Fokussierungen gelten (vgl. Lenz 1989). Bei mehreren Tischvorlagen oder unklarem thematischen Bezug reicht i.a. ein deiktisches Signal (etwa .jetzt zu dem hier“). 157 Die einfache Antwort auf WL’s Frage: ‘ich’ bzw. ‘ja’, würde dem eröffneten Handlungsspielraum, bzw. der Leerstelle nicht gerecht. Es ließ sich hinterher nicht klären, ob M2 bereits zuvor mit WL über die Liste gesprochen hatte, ob er einer der ersten war, die sie erhielten, ob WL ihn beim Betrachten der Liste gesehen hatte oder welcher andere Hintergrund dem Wissen WL’s zugrunde liegt. 144 Reden ist Chefsache An dieser Stelle startet zunächst ein anderer Meister, Ml, eine Initiative zur Übernahme des Rederechts (vgl. Z. 7). Ich werte dies als Zeichen dafür, daß die allgemeine Adressierung der Themeneröffnung, die für alle Meister dieselben (relativ undefiniten) Beteiligungsrechte etabliert, ein latentes und für die Bearbeitung vorrangiges Faktum darstellt. Gleichwohl ist die Weitergabe des Rederechts an Herrn Schmitt auch von Ml zu berücksichtigen. Die Aktivitäten von M2 möchte ich im einzelnen nicht darstellen. M2 zweifelt an, ob der von ihm genommene Urlaub im laufenden Jahr in der Liste korrekt verrechnet worden sei. WL besteht auf der Gültigkeit seiner Liste, worauf M2 insistiert. WL reagiert mit Zeichen leichter Gereiztheit, lenkt aber dann insofern ein, als er M2 ein Folgegespräch zu diesem Thema ankündigt. Er setzt im folgenden zu weiteren Erläuterungen an: (4.23) 1 M2 r des wär im gründe genommen' 2 WL L ja des #wei"ß ich jetzt nicht mehr auswendig\# K #UNGEDULDIG 3 WL aber des können wir uns noch mal angucken\ 4 M2 ja\ 5 WL also wie gesagt des kann bitte jeder seh: en/ ** 6 WL sein personal/ ' * welche' welche' welche' welche e. 7 WL gruppen die Leute eingruppiert sind- * und äh- ** 8 WL wie äh *1,2* die Urlaubs * und krankheitsabwesenheit 9 WL * pauschal innerhalb der abteilung ist/ * ich nieister-1/ 3 M2 akzeptiert das Angebot WL’s, sich die Liste zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ‘anzugucken’ (Z. 3). Das Vertagen von Problembearbeitungen, die zu endgültigen Lösungen und Entscheidungen führen könnten, ist ein typischer Hinweis darauf, daß der Initiator die interaktive Aushandlung einer Problemdefmition vermeiden will. Er gesteht zwar die Möglichkeit von Defiziten in seiner Liste zu, seine Einstellung zu dem Thema beinhaltet jedoch für das aktuelle Gespräch nicht die weiterführende Möglichkeit, diese Defizite hier und jetzt als Probleme zu behandeln. Mit seiner folgenden Äußerung kehrt WL zum übergreifenden Fokus zurück. Die Formel also wie gesagt (Z. 5) ist in bezug auf die Eröffnung des Themas kontextualisiert. WL markiert die Rückkehr zum thematischen Fokus, zu der ‘Liste’ als allgemeinem Gegenstand. Mit dem Äußerungsteil des kann bitte jeder seh: en/ (Z. 5) wird die anfängliche Sprecher-Hörer-Konstellation {wer hatte schon reingeguckt-) wieder etabliert, die durch den Dialog mit M2 kurzfristig ausgesetzt worden war. Mit dem indefiniten Personalpronomen jeder wendet sich WL wieder an die allgemeine Hörerschaft. Jeder ist hier eine an die Allgemeinheit gerichtete Adressierung. Die Partikel bitte, durch die die Äußerung den Charakter einer Aufforderung konnotiert, verweist auf eine Steuerung 145 Erwartungshaltung des Sprechers. Diese kann in Zusammenhang mit dem Infinitum seh.en beschrieben werden. Sehen ist in bezug auf das anfängliche ‘Reingucken’ kontextualisiert, ist jetzt jedoch nicht mehr in eine Frage, sondern in eine Aussage integriert. Man kann die Liste sehen, aber gewissermaßen nur, um daraus Informationen zu ziehen. Die anfangs relativ offenen Beteiligungsrechte werden durch die Aufforderung reduziert. Retrospektiv wird damit auch die Stellungnahme M2’s als eine Bearbeitung gekennzeichnet, die von WL nicht angesteuert worden war. Der Sprecher gibt sozusagen eine Anweisung, wie der Stellenwert der Liste einzuordnen ist. Die Anweisung fungiert als Maßgabe für die folgende Produktion von Beiträgen seitens der Meister. Mit der Handlung ‘Sehen’ im Sinne von Betrachten, Rein- oder Anschauen sollen eben nicht diejenigen Handlungen eingeleitet werden, die unmittelbar zu einer Diskussion um problematische Aspekte führen, auch wenn letztere vorhanden sein sollten. ‘Sehen’ als Wahrnehmungsmechanismus gehört vielmehr zu einem Stadium des Handlungsprozesses, der als ‘Einschätzung’ oder ‘Selbst-Orientierung’ bezeichnet werden kann (Rehbein 1977, S. 141ff.). Sollte die Liste Defizite enthalten, die betriebsorganisatorisch von Bedeutung sind (etwa ein auffallendes Ungleichgewicht von Fehlzeiten oder Produktionsleistungen zwischen den Abteilungen), dann sind als weiterführende Handlungen - Zielsetzungs-, Planungs- und Ausführungsinitiativen zwar notwendig. Diese obliegen jedoch im hier vorliegenden Fall eher der Werksleitung, von der die Liste schließlich stammt. Der Stellenwert der Information ist pauschal (Z. 9). D.h., die Liste ist eine technische Maßnahme, die dem Werksleiter zum Überblick dient und den Meistern einen Einblick in den abteilungsübergreifenden Handlungskontext ermöglicht. Im folgenden Gesprächskontext v.a. motiviert durch problematisierende Beiträge des Betriebsratsvorsitzenden (und Meisters), der befürchtet, daß die Liste ein falsches Licht auf die Produktionsleistungen einzelner Abteilungen wirft, wenn die personellen Ausfälle nicht exakt berücksichtigt werden (vgl. u., Z. 1-3), formuliert WL noch mehrmals den informativen Anspruch des Themas. Er hat die Liste erstellt (erstellen lassen), nur damit man überhaupt mal en gefühl hat wie es in den einzelnen abteilungen ausschaut\ (meister- 1/ 3); denn er wollte des einfach nur mal wi"ssen\ [...] wie wir überhaupt generell liegen (s.u., Z. 4-8). Der Grund für die Problematisierung der Liste durch die Meister liegt m.E. darin, daß WL in der Fokussierung des Themas bis zur Übergabe des Rederechts den Stellenwert der Information hinsichtlich evtl, zu bearbeitender Probleme nicht genannt hatte: (4.24) 1 BV bei * den produktio"nszahlen\ * wem do die * 2 BV fehlzeiten * gegenübergstellt/ oder wird des 146 Reden ist Chefsache 3 BV überhau"pt [net berücksichtigtX 4 WL L nein * nein nein\ ich wollte des einfach 5 WL nur mal wi"ssen/ * für mich äh äh * war einfach mal 6 WL wichtig zu wissen- * wie es in den einzelnen 7 WL abteilungen aussiehtwie wir überhaupt generell 8 WL liegen\ meister-1/ 4 Für BV als Betriebsrat ist es natürlich sehr wichtig zu wissen, ob Fehlzeiten in die Beurteilung von Abteilungsleistungen eingehen, weil daraus negative personelle Entscheidungsprozesse der Werksleitung entstehen könnten. 158 Die kontrastive Formulierung der Alternative ‘gegenüberstellen’ vs. ‘überhaupt nicht berücksichtigen’ (Z. 1-3) drückt einen Zweifel hinsichtlich der Validität der Liste aus; sie ist eine problematisierende Initiative, die zu einer Problemdefinition fuhren kann. BV sieht ein Defizit in der Liste im Zwiespalt zwischen Unternehmer- und Arbeiterinteressen. WL wehrt die Initiative ab, indem er den informativen Stellenwert des Themas expliziert. Die adverbialen Elemente bzw. Partikel einfach nur mal, einfach mal, überhaupt und generell (Z. 4, 5, 7) sind gehäufte Hinweise darauf, daß die Information keine konkrete, aktuelle problematische Dimension bekommen soll. Im nachfolgenden Kontext projiziert WL das Themenende mit o/ cay\ >also ich wollt ihnen das nur sa"gen- (meister-1/ 5), wobei er mit nur sa"gen noch einmal den geringen Grad an problematischem Potential des Themas. ‘Sagen’ fungiert als lexematische Markierung des Informationscharakters. 159 4.3.2.2 Information zu einem Thema mit defizitären Aspekten Im folgenden Ausschnitt aus dem zweiten Bezirksleitergespräch liegt ein Thema an, das bereits mit einem Problem behaftet ist. Es geht um Versiche- 158 Negative Abweichungen vom Sollwert der Leistung einer Abteilung kann zu Überprüfungen a) der Leistungskraft der Abteilung und b) zu Kosten-Nutzen-Rechnungen fuhren, die die Verlagerung der Produktionskapazitäten und damit die Schließung der Abteilung notwendig erscheinen lassen. Bei Fehlzeiten aufgrund von Urlaub oder Krankheit ergeben sich für die Abweichung vom Sollwert personelle Gründe, die von kurzer Dauer sind. 159 Derselbe Sprecher wehrt die Diskussion um die Schließung eines Werksteils u.a. ab mit (vereinfacht zitiert): (Kosten-Nutzen-Rechnungen sind) das einzige, was momentan zur Diskussion steht [...] (die Diskussion) ist im Grunde genommen viel zu früh [...] die Frage ist im Augenblick ganz primitiv\ [...] das ist doch nichts Besonderes\ (vgl. im Anhang II, die Diskussion um das Werk 1, Z. 92, 114, 115, 156). Damit unternimmt er immer wieder Vorstöße, die die Problematik des Themas entschärfen sollen. Gleichzeitig etabliert er strukturelle Verpflichtungen, die der Interaktionspartner einlösen kann oder soll. Im Fall der gezeigten Rückstufungen des Themas wäre dies etwa ein „ach so, dann ist ja alles klar“. Ein Nicht-Einlösen dieser Anforderungen kann als Regelverletzung empfunden werden, was aber wiedemm gewollt sein kann (etwa i.S.v. „ich sage jetzt etwas Anderes, als Sie von mir hören wollen“). Steuerung 147 rungsakquisition im Strafvollzug, eine Initiative, die zwei Inspektoren der Versicherungsgesellschaft mehr oder weniger auf eigene Faust gestartet haben. Die Gefangenenvertretung in der betroffenen Vollzugsanstalt machte diesbezüglich eine Meldung an die regionale Zeitung. Der Gefangenenvertreter wies auf die unsichere finanzielle Lage von frisch Entlassenen hin und auf die Möglichkeit, durch den Abschluß von Lebensversicherungen während der Inhaftierung ein Kapital zu schaffen, das bei der Entlassung für eine raschere und problemlosere Wiedereingliederung sorgen kann. (4.25) 1 DI geben mit * noch im >sachversicherungsbereich< daß 2 DI wer die * probleme ausgleichen können\ ** und 3 DI da"nn/ * n wichtiger punkt erscheint mir auch * 4 DI s=war letzte woche in der # #- oder in den # # K #ZEITUNGSNAMEN 5 DI * ein bericht des Strafvollzuges drin/ * was 6 DI natürlich r auch gespräche ausgelöst hat- ** oh"ne ** K L RÄUSPERN 7 DI den konkreten kenntnisstand * wie=s wirklich iss\ 8 DI ** a"Iso ich * werd' möcht sie informieren daß auch 9 DI sie wenn sie * damit konfrontiert werden ** 10 DI korrekte auskunft geben kö"nnen was *1,1* 11 DI akquisition im * Strafvollzug betrifft\ *1,9* bezirksleiter-2/ 212 Der Sprecher DI (Filialdirektor) läßt der formalen Markierung des Themenwechsels, ** und da"nn/ * (Z. 2-3), die Ankündigung eines Themas von besonderer Relevanz folgen: n wichtiger punkt (Z. 3). Das danach verwendete sukzessive Fokussierungsverfahren enthält folgende Schritte, die im einzelnen durch Segmentierungen voneinander getrennt und mit spezifischen Hervorhebungen versehen sind: - Zuerst nennt er in einem Hauptsatz den aktuellen Bezug des Themas, und zwar das Erscheinen des oben angesprochenen Artikels in der Presse. Der Äußerungsteil bericht des Strafvollzugs (Z. 5) fokussiert einen außersprachlichen Weltausschnitt, zu dem die Anwesenden bereits lückenhaftes Wissen besitzen. - In einem relativen Nebensatz, mit konsekutivem und temporalem Nebensinn, werden Gespräche in der Öffentlichkeit (bzw. auch innerhalb des Unternehmens) als Konsequenz aus dem Artikel dargestellt: wm natürlich auch gespräche ausgelöst hat- (Z. 5-6). Dieser Teil des Beitrags, wie auch schon die Erläuterungen zu dem Zeitungsartikel, können als Darstellung der Problemgenese aufgefaßt werden. - Mit der Akzentuierung des sowohl links als auch rechts herausgetrennten oh"ne startet DI die Fokussierung des Problemkems: oh "ne ** den konkreten kenntnisstand (Z. 6-7). D.h., weder die Veröffentlichung des Artikels noch die dadurch verursachten Gespräche stellen das Problem dar. Vielmehr exisüert ein Defizit zwischen dem verschriftlichten bzw. mündlich transferierten Wissen und dem Status quo der Versicherungsarbeit: wie=s wirklich iss\ (Z. 7). - Danach expliziert DI einen Entwurf seines weiteren Vorgehens, a"lso ich * werd' möcht sie informieren (Z. 8), und das damit anvisierte Bearbeitungsziel, den anwesenden Be- 148 Reden ist Chefsache zirksleitern das notwendige Wissen zu vermitteln, um beim Entstehen von etwaigen Gesprächen dieses korrekt transferieren zu können. DI kündigt insgesamt eine detaillierte und expansive Sachverhaltsdarstellung an (vgl. Z. 8-11). Im Fall der Akquisition im Gefängnis sind ethische Fragen als Grundsatzproblem einzustufen. 160 Ein Teil der ausgelösten Gespräche, die der Sprecher nennt, behandeln eben diese Fragen in der Öffentlichkeit. Da er diese Gespräche auf ein Wissensdefizit zurückfuhrt, zeigt er im Grunde schon hier, daß für ihn selbst die ethische Fragen dann keine negative Rolle mehr spielen, wenn die Akquisition im Strafvollzug durch umfangreiche Informiertheit und korrekte auskunft (Z. 10) eine positive ethische Dimension erhält. ‘Korrekt’ heißt in diesem Zusammenhang zum einen, daß man Details richtig einordnen kann. Zugleich wird konnotiert, daß die Einstellung der Direktionsleitung zur Akquisition im Strafvollzug eben die korrekte, die richtige ist. Somit wird gewissermaßen die Tatsache, daß Akquisition in Strafvollzugsanstalten positiv gesehen werden kann, zur institutionell legitimierten Präsupposition. Diese Prämisse kann oder soll nicht hinterfragt werden. Kritik an der Auswahl der unternehmerischen Zielgruppe (Strafgefangene) kann wegen der öffentlichen Brisanz des Themas in diesem speziellen Fall nur auf Vorstandsebene (zu der nicht einmal DI gehört) geübt und diskutiert werden. Der Planungsprozeß für diese Akquisition ist noch nicht abgeschlossen, die Gespräche sind im Grunde zu früh ausgelöst worden. 161 Die Handlungsimplikationen, die sich aus der Themeneröffnung bis zu dieser Stelle ergeben, beinhalten eine Präferenz seitens DI für alle Aktivitäten der Bezirksleiter, die der Absicherung des ‘korrekten’ Wissens dienen. Die erste Reaktion eines der Interaktionspartners nach DI’s (mehrminütiger und ununterbrochener) Darstellung greift auf die Subfokussierung des Zeitungsartikels zurück: (4.26) 1 DI auch\ ** also kurzu"m ich werde das gespräch am 2 DI siebzehnten juni * führen und dann * in den # # 3 K #ZEITUNGSNAME 4 DI en beri"cht machen und sie natürlich vorher 5 DI informierenN * nur daß sie wissen wie der stand der 160 Es geht um die Frage, wie sich Versicherungsarbeit in Strafvollzugsanstalten vor der Öffentlichkeit legitimieren läßt. Diese Frage wird auch in den Gesprächen VI bis VIII des Korpus kontrovers diskutiert. Da vor allem langfristig Inhaftierte (die ‘Lebenslänglichen’) für den Abschluß kapitalschaffender Lebensversicherungen in Frage kommen, sind v.a. Schwerverbrecher eine bevorzugte Zielgruppe (s. TA 4.27). 161 An anderer Stelle in der Themenbearbeitung wird auch deutlich, daß die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion auch deshalb für die Firma nicht generell negativ ist, weil sie billige Publicity bedeutet. Obwohl der Name der Firma im Zeitungsartikel nicht genannt wird, ist die Identität der Firma aufgrund der Dienstleistungs-Infrastruktur vor Ort kaum zu verheimlichen. Steuerung 149 6 DI dinge iss\ * 7 Bl unn was war bisher in de # # gstann/ K #ZEITUNGSNAME 8 DI habe sie den bericht ne"t glese\ g Bl leider net\ 10 B4 doch am mittwoch war der drin\ * 11 DI ja da stand * nichts von u"ns das hat die 12 DI gefangenenvertretung an die # # gegeben\ K # Z EITUNGSNAME 13 Bl ah so"\ bezirksleiter-2/ 214 In der Äußerung, mit der DI seine Ausführungen beendet und die er mit der Partikel kurz"um (Z. 1) als Fazit kennzeichnet, spricht er den Gesprächstermin beim Vorstand an, der wegen der Brisanz des Themas anberaumt worden ist. Die aktuelle Teilnehmerschaft ist also gleichsam der Verantwortung enthoben, über die ethische Vertretbarkeit der Akquisition im Gefängnis zu entscheiden. DI sagt weiterhin, daß er die Entscheidung des Vorstands an die Zeitung zurückmelden und daß er die Bezirksleiter zuvor informieren wird. Der abschließende Äußerungsteil mir daß sie wissen wie der stand der dinge iss\ (Z. 4-5) ist ambivalent. Zum einen bezieht er sich natürlich auf das eben Gesagte, daß also die Anwesenden auch hinsichtlich des von DI beabsichtigten Artikels über den Status quo informiert bleiben sollen; zum anderen kann er jedoch auch gerade wegen seiner finalen Position in der Themeneröffnung als Reformulierung des konversationeilen, für die aktuelle Interaktion geltenden Themenanspruchs und des Bearbeitungsziels interpretiert werden. Die Frage von Bl unn was war [...] gstann (Z. 6) fordert zusätzliche Informationen zu dem Artikel, der die jetzige Relevanz des Themas verursacht hatte. Nach Gegenfrage DI’s, der Antwort von Bl und dem Einwurf von B4 (mit dem Status einer Nebensequenz, die den Fokus von Bl’s Frage nicht außer Kraft setzen; vgl. Z. 8-10), kommt DI der Beantwortung nach. Der Äußerungsteil nichts von u"ns (Z. 10), als Kern der Aktivität, stuft einen wie auch immer erkennbaren problematisierenden Gehalt von Bl’s Initiative hinsichtlich des Problems ethischer Vertretbarkeit sofort zurück. Die Integrität der Firma ist gewahrt, solange keine Namen genannt werden. Öffentliche Gegendarstellungen o.ä. sind auch deshalb nicht angebracht, weil die Darstellung in der Zeitung nicht negativ war (s.u., Z. 1). Noch während er in seiner Beantwortung fortfährt, expliziert DI, wie das Problem thematisiert worden ist, bzw. werden könnte, wie diese Diskussion aus seiner Sicht zu bewerten ist (sehr oberflächlich ohne analyse', s.u., Z. 4) und verdeutlicht im Nachhinein nochmals, daß Entscheidungen dem Vorstand obliegen. Der informative Themenanspruch bleibt aufrechterhalten: 150 Reden ist Chefsache (4.27) 1 DI kein schle"chter berichtN * muß man deutlich sagen 2 DI aber- *2,1* <hier saß heut> morgen jemand der gesagt 3 DI hat versichert die Liebenberger jetzt schon mörder\ 4 DI *2,0* äh * also sehr oberflächlich ohne analyse und 5 DI so wi"rd r natürlich häufich dann auch/ * der 6 B4 L ( ) 7 DI verbrauchet denken nicht wah"r- ** und deswegen 8 DI wird die Übererlegung vom * Vorstand sicherlich 9 DI auch da"hin gehen\ * man wei"ß es nicht\ bezirksleiter-2/ 215 4.3.3 Beispiele: Ansteuern einer ‘Problembearbeitung’ 4.3.3.1 Problematisieren eines defizitären Aspekts im Rahmen einer Subthemenbearbeitung Dieses Beispiel stammt aus der Themenbearbeitung ‘Inventur’ im zweiten Meistergespräch. Der Bereichsleiter für Logistik, der für die Bearbeitung dieses Themas die Gesprächsleiterrolle übernommen hat, erläutert die Vorgehensweise bei der Inventur anhand einer von ihm erstellten (allgemein gehaltenen) Personalliste für die Tage der Inventur (Tischvorlage). Es handelt sich um einen nicht abgeschlossenen Planungsprozeß. Der Bereichsleiter wendet sich an die Meister, weil sie die maßgebliche Verantwortung in der praktischen Umsetzung der Planung tragen. (Die Gesamtverantwortung für die erfolgreiche Durchführung der Inventur liegt bei LO.) Nach der ThemeneröfTnung werden durch reaktive Fragen der Anwesenden Subthemeninitiativen mit einem je spezifischen Grad an problematischem Potential gestartet. Zunächst der Abschluß der Themeneröffnung, die mehrere Minuten gedauert hat: (4.28) 1 LO sollten das dann * so machen\ * gi"bt=s dazu 2 LO jetzt fragen oder\ * a"nregungen oder bedenken 3 LO irgendwelcher art/ 4 M2 des heißt also am * äh mhm 5 M2 dreiundzwanzigsten zwölften am mo"ntag/ bei mir meister-2/ 35 LO stellt eine Frage, die der reaktiven Beteiligung der Meister einen verhältnismäßig großen Handlungsspielraum läßt. Die Lexeme fragen, a"nregungen und bedenken (Z. 2) besitzen Platzhalter-Funktion für die folgenden am übergreifenden Handlungsschema orientierten Handlungsschritte. Gleichzeitig kann man sie als Hinweise auf die vorgesehene sprachliche Form der Partner- Steuerung 151 reaktionen auffassen. Daß die Meister nicht in jedem Fall den allgemeinen Beteiligungserwartungen zu entsprechen brauchen, zeigt die Akzentuierung der verbalen Komponente gi"bt=s (Z. 1) in satzinitialer Position. LO formuliert die Rederechtübergabe als Entscheidungsfrage. Die Lexeme fragen, a"nregungen und bedenken projizieren Leerstellen im nachfolgenden Interaktionsmuster. Ob es zwischen den Projektionen Gewichtungsunterschiede gibt, die auf Präferenzen von LO hinsichtlich der Folgehandlungen der Meister hinweisen, läßt sich schwer entscheiden. Ihre Reihenfolge könnte man so interpretieren, daß mit der Einlösung dieser Leerstellen zunehmend komplexere Bearbeitungen (höhere Problematisierungsgrade) verknüpft sind (während LO Fragen ‘einfach’ beantworten kann, sind Bearbeitungen von Bedenken, d.h. Problematisierungen thematischer Schwerpunkte oder ggf. des gesamten Planungskonzepts, voraussehbar schwieriger). Die Akzentuierung des Lexems Anregungen mag signalisieren, daß er tatsächlich Aktivitäten erwartet, die Verbesserungen zum Konzept beizutragen imstande sind. Die im Ausschnitt nur z.T. erscheinende Frage von M2 (vgl. Z. 4-5) betrifft die Tischvorlage, die LO zu Beginn austeilte. 162 Die folgenden Ausschnitte demonstrieren, wie ein Meister, zu einem späteren Zeitpunkt im Gespräch, im Zuge einer ‘schubweise’ ergänzten Problematisierung (Kallmeyer 1985), ein Defizit im Konzept seiner Vorgesetzten aufzeigt und als Problem definiert: (4.29) 1 WL okay\ ** noch themen/ *1,6* noch r themen/ 2 M8 L ja zur' 3 M8 zur inventu"r noch mal\ ja/ p äh herr Kühn äh * 4 LO L mhm\ 5 M8 wa"nn geben sie bekannt we"r wa"s au"fzunehmen 6 M8 hat\ 7 LO äh ich werd sie' das in dieser woche noch 8 LO machen/ r weil wi"r * uns zusa"mmensetzen/ ich 9 M8 L ja- 10 LO hab herrn Schollmeier gebeten und herrn Süß weil sie 11 LO sie alle viel besser kennen vom na"men her/ * 12 LO daß wir das' uns zusammensetzen aufgrund der 13 LO personalliste dann einteilen wer macht was/ * meister-2/ 46 Die Themeneröffnung von M8 gehört formal zur Gruppe thematischer Refokussierungen. Der Sprecher organisiert die Sprecher-Hörer-Konstellation durch die namentliche Adressierung seiner Initiative: äh herr Kühn äh * (Z. 3). Der Bereichsleiter (LO) ratifiziert seine Zuständigkeit (mhm\, Z. 4). Im 162 Eine subthematische Eröffnung im Rahmen der Bearbeitung von ‘Inventur’ hatten wir in diesem Kapitel bereits an anderer Stelle behandelt (TA 4.04 und 4.06). Zu der folgenden vgl. TA 3.04 und 4.11. 152 Reden ist Chefsache folgenden formuliert M8 eine Frage mit vier auffälligen Akzenten. Die Frage betrifft einen Teil der Planung, der noch zur Erklärung ansteht, die Frage nämlich, wa"nn (Z. 5) die Meister ihre Bereiche zugeteilt bekommen. Zum anderen fokussiert die Frage drei Aspekte: 1. Die Aktanten, die die Arbeitshandlung durchführen sollen: we"r (Z. 5). 2. Die Objekte, die den einzelnen Aktanten zur Arbeitshandlung anvertraut werden: wa"s (Z. 5). 3. Den Arbeitsvorgang selbst, der durch die verbale Komponente des Relativsatzes designiert und mit einem obligaten Modus verknüpft wird: au"fzunehmen hat (Z. 5-6). Diese akzentuierten Lexeme sind dem syntaktischen Hauptteil der Frage untergeordnet: wa"m geben sie bekannt (Z. 5). Die initiale Fokussierung des wa"nn prädominiert gewissermaßen in der Etablierung der konditionellen Relevanz von LO’s Antwort. Gleichwohl bilden alle subfokussierten Aspekte latente Rückbindungsangebote für die folgende Interaktion. Die Akzentreihe kann als Wechsel zu einer extremen Form des emphatischen Sprechens angesehen werden (als Scansion; vgl. F.E. Müller 1991, Selling 1994, S. 382). Das ‘Skandieren’ der Lexeme ist hochgradig funktional. Bei ‘wann’, ‘wer’ und ‘was’ handelt es sich um Aspekte, die getrennt beantwortet werden könnten. Die interaktionelle Relevanz gilt nur eingeschränkt für das ‘Aufnehmen’, weil es den Arbeitsvorgang selbst designiert. ‘Wer’ und ‘was’ können als Andeutungsfokussierungen (Kallmeyer 1978) verstanden werden, die eine Verkomplizierung des Sachverhalts erwartbar machen. LO greift in seiner Antwort alle fokussierten Aspekte auf, er beantwortet die Frage nach dem Wann, in dieser woche noch (Z. 7), expliziert seine Vorgehensweise beim Erstellen dieser Liste (vgl. Z. 10; die Herren Schollmeier und Süß sind Gruppenleiter; nur der erste ist anwesend) und legitimiert die Vorgehensweise: weil sie sie alle viel besser kennen (Z. 10-11). 163 Die von M8 genannten Aspekte der Arbeitshandlung selbst paraphrasiert LO fast identisch: wer macht was/ (Z. 13). Im Nachfolgenden fordert LO die Meister auf, Vorschläge für das Zusammensetzen der Gruppen zu machen. Dann reformuliert er den zeitlichen Rahmen für das Herausgeben der Liste (vgl. u., Z. 1-2). An dieser Stelle startet M8 eine erneute Initiative, mit der er einen weiteren Aspekt in die Bearbeitung einbringt. Es geht ihm ja auch da"rum (s.u., Z. 7), daß vor der Durchführung der Inventur die Arbeitsbereiche der Gruppen vorbereitet werden müssen. (4.30) 1 LO daß ich das die"se woche auch noch schreiben lassen K #HINTERGRUNDGESPRÄCH 163 LO steht im Gegensatz zu WL und den Gruppenleitern zu den Meistern nur mittelbar in Kontakt bei seiner alltäglichen Arbeit. Der Bekanntheitsgrad ist zwischen ihnen dementsprechend geringer. Steuerung 153 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 LO M8 X LO M8 K M8 LO M8 M8 LO M8 M8 M8 M8 M8 M8 M8 M8 WL LO M8 M8 M8 M8 M8 kann und rausbringen\ r ja/ # mhm=m/ gut (möglich) also wir hatten ja r gesacht in dem (betriebs)rat 1 L ja aber (. ■■ ) es geht ja auch da "rum daß sie' die einzelnen L äh weniger die ( ■■■ ) bereiche ja entsprechend vo"rgerichtet werden müssen\ r ja/ * äh * es iss natürlich L ja/ e unding so wie=s letztes jahr war net/ daß * zum beispiel mir im werk eins' okay/ * äh wir haben in der regel immer unser werk aufgenommen\ ne aber d' da es ja von jahr zu jahr immer etwas we"niger wird da unten ja/ unn die Lagerung ja- * äh * nicht mehr so iss wie vor * einigen jahren/ * äh werden dann natürlich Leute ins * werk drei oder werk zwei zur * aufnahme * weggezogen ja/ la\ und do ja\ war j a * oder ham=er=s halt letztes jahr erlebt daß' des e katastrophale aufnahme was wir dann dort e ka' katastrophales rega"l/ * ja/ * was * praktisch fast nicht au"fzunehmen war\ ja/ * weil es en * heilloser durcheinander war\ * ja/ meister-2/ 47 MB stimmt den Ausführungen LO’s zunächst zu (mhm=m/ , Z. 3). Während LO fortfährt, fällt er ihm aber ins Wort. Er startet mitja aber (Z. 6), womit er eine Einschränkung seiner zuvor realisierten Zustimmung projiziert. 164 Im Zuge der Formulierung des adversativen aber-Teils fokussiert MB zunächst den Ort der vorgesehenen Arbeitshandlung. Dieser Aspekt ist in bezug auf das ‘Was’ von MB’s ThemeneröfFnung kontextualisiert. Das ‘Was’ wird semantisch durch die einzelnen bereiche (Z. 7-9) spezifiziert und dadurch, daß die zu inventarisierenden Bereiche eventuell nicht die optimalen Voraussetzungen für die Aufnahme bieten, problematisiert; sie müssen vo"rgerichtet werden (Z. 9). In der gesamten Erläuterung zur Arbeitshandlung ‘Inventur’ von LO ist dies bisher nicht zur Sprache gebracht worden. Mit der Spezifizierung seiner Subfokussierung zeigt MB ein Defizit im Konzept von LO auf: Zwischen dem Planungsprozeß und den Voraussetzungen zur praktischen Durchführung der Arbeitshandlung klafft eine Lücke, die vor dem Start der Inventarisierungshandlungen bearbeitet werden muß. Um diese Einstellung zu 164 In der Grammatik (z.B. Engel 1988, S. 740ff.) spricht man hier von einem höher ‘gewichteten’ zweiten Teil in adversativen Verknüpfungen, die durch Konjunktionen oder konjunktionsähnliche Elemente wie ‘nur’, ‘aber’ eingeleitet werden, oder bei denen Partikel mit adversativer Funktion wie ‘doch’, ‘jedoch’ etc. syntaktisch integriert sind. Vgl. Abschnitt 5.1. 154 Reden ist Chefsache legitimieren, zieht M8 einen Vergleich mit der Inventur vom vergangenen Jahr (vgl. Z. 10-19, 22-26). Ohne die Äußerung von M8 im Detail zu beschreiben, wird aus ihr folgende Einstellung ersichtlich: Wenn der von M8 fokussierte Aspekt bei der Planung unberücksichtigt bliebe, würde die diesjährige Inventur Gefahr laufen, mit ebenso ‘katastrophalen’ Zuständen fiir die Aufnahme konfrontiert zu sein (der Abzug von Arbeitern aus dem Werk 1 in die Werke 2 und 3 wird sowohl von LO als auch WL als gängiges Verfahren anerkannt; Z. 20, 21). LO gibt M8 zunächst recht, als er die Gültigkeit der Ausführungen von M8 grundsätzlich ratifiziert: ja des sollt ma sowieso vo"rher machen die vorbereitutigsarbeitenY. (4.31) 27 LO K LO M8 M8 M8 WL K K WL K 34 LO meister-2/ 47 28 29 30 31 32 33 #ja des sollt ma sowieso vo"rher machen die' #LEISER die |vorbereitungsarbeiterA# L eben\ * und deswegen äh äh äh find ich=s sinnvoll wenn jeder weiß was er vorher' was er p aufzuräumen hat\ (...) L na ja- (. ■■ ) #DURCHEINANDER- REDEN MEHRERER TN# #das sind doch alles ausreden jetzt #GEREIZT was sie zu L ich wollte' M8 ratifiziert seinerseits die Äußerung von LO mit der Partikel eben\ (Z. 29), ohne das Ende von LO’s Zustimmung abzuwarten. Beide, LO und M8, sind an diesem Punkt hinsichtlich des subfokussierten Aspekts ‘Vorbereitung der Bereiche’ scheinbar zu einer Übereinstimmung gelangt: Die Vorbereitungsphase ist gleichsam ein obligates und fast triviales Faktum, das nicht umgangen werden kann (vgl. die Bedeutung der Partikeln sowieso und eben, die den Ausschluß anderer Alternativen auf argumentativer Ebene mit sich bringen; Engel 1988, S. 233f). Die Übereinstimmung ist jedoch nicht vollständig. Man kann einen Unterschied in den Einstellungen von M8 und LO bezüglich des problematischen Potentials der Vorbereitung konstatieren. Für M8, der dieses Subthema innerhalb der Bearbeitung des Themas ‘Inventur’ initiiert hat, besteht ein Defizit in der Planung von LO, das für ihn als Durchführenden zu einer die Effizienz und Schnelligkeit der Arbeit behindernden - Blockade geraten kann. Für LO sind hingegen Vorbereitungs- oder Aufräumarbeiten ein eher triviales (nicht speziell auf die Inventur bezogenes) Problem, was er mit sowieso dementsprechend markiert (d.h., die Bereiche müssen eigentlich immer aufgeräumt sein). Die von ihm realisierte Form der Zustimmung (in Z. 27- 28) kann als Relevanzrückstufüng gelten (Kallmeyer 1978, S. 214). Die Par- Steuerung 155 tikel sowieso signalisiert die Unerheblichkeit von M8’s Betrachtungen aus der Sicht LO’s. Auffällig ist ein Wechsel im Sprechstil von LO, der bisher relativ laut und sachlich war. Seine Reaktion auf M8’s Äußerung ist eher leise und nicht mehr mit demselben Nachdruck gesprochen. Ich werte dies als Hinweis darauf, daß die Vorbereitung für ihn ein nebensächlicher Sachverhalt ist, der mit einer spezifizierten Personalliste inklusive der Einsatzorte nur mittelbar zu tun hat. Insgesamt berücksichtigt er denjenigen Teil der Darstellung von M8 nicht, der die Validität des Planungskonzepts in Frage stellt: M8 und seine Mitarbeiter können im Zuge der Inventur in einen anderen Werksteil geschickt werden (vom Werk 1 ins Werk 2/ 3), über deren (Nicht-)Aufgeräumtheit sie sich womöglich erst beim Eintreffen vor Ort klar werden. Als Konsequenz aus dem scheinbar gemeinsam definierten Stellenwert des Sachverhalts reformuliert M8 seine Einstellung: und deswegen äh äh äh find ich=s sinnvoll wenn jeder weiß was er vorher' was er aufzuräumen hat\ (Z. 29-31). Er geht auf die Rückstufung seiner Problematisierung nicht ein, sondern er insistiert auf seiner Einstellung. Der Einstieg von WL in den Gesprächsverlauf kann als Reaktion auf die insistierende Aktivität von M8 betrachtet werden. WL startet seine Äußerung mit einem zweifelnden naja- (Z. 32), einer Form, die die Zustimmung zur partnerseitigen Einstellung stark einschränkt. Danach formuliert WL die eigene Einstellung: (4.32) 33 WL #das sind doch alles ausreden jetzt r was sie zu K #GEREIZT 34 LO *ich wollte' 35 WL sagen haben >entschu"ldigen sie bitte< wenn sie 36 WL in ihrem la"ger' * laden' also n' * drü"ben im 37 WL lager' im rega"l das haben\# 38 M8 in mei"nem ni"cht\ 39 M8 des war' des' des war der Huber/ * der hat äh 40 M8 mit dem * äh dings werk drei" aufgenommen ja/ K #STUHLGERÄUSCH# 41 WL #ach so\# K #1RÖMISCH meister-2/ 47 Mit der metakommunikativen Aussage das sind doch alles ausreden jetzt was sie zu sagen haben (Z. 33, 35) unterstellt WL dem Meister explizit, daß M8 bewußt Sachverhalte vertuscht, verfälscht oder verschweigt. Die Gültigkeit der Darstellung M8’s wird pauschal (alles) negiert (was WL mit der Partikel doch betont). Die Schärfe der verbalen Attacke gegen M8, die sein Image bedroht (immerhin wirft WL ihm vor, er halte die Wahrheit zurück), wird durch die Entschuldigung >entschu"ldigen sie bitte< (Z. 35) nicht abge- 156 Reden ist Chefsache schwächt. Diese ist vielmehr an LO gerichtet, dessen Rederechtbeanspruchung (Z. 34) WL übergeht. 165 Der nachfolgende Äußerungsteil, den WL mit wenn startet (Z. 35-37), weist unverhältnismäßig viele Abbrüche auf, die als Zeichen für Formulierungssuche, aber auch als Reparaturversuch der unverschleierten Imagebedrohung gelten können (Holly 1979, S. 157). Als Außenstehender erhält man den Eindruck, WL steigere sich in seinen Ärger hinein. Er parallelisiert ‘Lager’ mit dem pejorativen Lexem ‘Laden’, als Bezeichnungen für M8’s Verantwortungsbereich, und fokussiert dann ein ‘Regal’ in diesem Lager, das der Kern des Anstoßes sein könnte (s. die deiktische Form das haben) (vgl. Z. 35-37). WL formuliert seine Einstellung zum Kern des Problems also weder bezüglich der Planung der Inventur, noch bezüglich der Möglichkeit, daß Mitarbeiter an andere Bereiche zugeteilt werden können, sondern im Hinblick auf die Tatsache, daß M8 in seinem eigenen Bereich nicht für Aufgeräumtheit sorgt. Die sequentielle Struktur der Subthemenbearbeitung nimmt bis zu diesem Punkt folgenden Verlauf: - Themeneröffnung'. Refokussierung der ‘Inventur’ - Frage nach dem Erscheinen der Zuteilungsliste - Subfokussierung der Aspekte: Aktanten, Objekte, Durchführung; - Themenbearbeitung'. 1. LO: Antwort (nächste Woche) - Darstellung der Durchführung beim Erstellen der Liste - Aufforderung zu Vorschlägen für Aktanten; 2. M8: Subfokussierung der ‘Vorbereitung’ - Negative Beurteilung der Inventur des letzten Jahres - Grund (Transfer von Mitarbeitern zu unvorbereiteten Bereichen); 3. LO: Trivialisierung der Vorbereitung; 4. M8: Reformulierung seiner Einstellung (vorherige Information über den Einsatzort kann über Effizienz entscheiden); 5. WL: Pauschale, metasprachliche Zurückweisung des Beitrags/ der Beiträge von M8 - Formulierung seiner Einstellung (M8 vertuscht möglicherweise die Unordnung im eigenen Bereich). Diese Themenbearbeitung ist ein typisches Beispiel für Problembearbeitungen in der Mitarbeiterbesprechung, wenn die themeneröffnenden Beiträge von statusinferioren Mitarbeitern unternommen wurden. An erster Stelle im Handlungsschema steht dann häufig ein Handlungsschritt, der den vom Sprecher angesteuerten Bearbeitungsanspruch nur undeutlich erkennen läßt, bzw. nur andeutungsweise etabliert. Beispielhaft sind in diesem Fall subordinierte Andeutungsfokussierungen, die ein progressives Problematisieren des Gegenstands erwartbar machen und ein retrospektives Anbindungspotential für spätere Aktivitäten bilden (etwa für schubweise Ergänzungen zur Problemdarstellung). Charakteristisch ist weiterhin die Etablierung einer mehr oder weni- 165 Abgesehen von der kurzzeitigen Erhöhung des Sprechtempos, mit der die Formulierung der Entschuldigung aus dem Formulierungsprozeß herausgehoben, bzw. als Einschub markiert wird, geschieht die Hinwendung zu LO durch eine Kopfdrehung und Blickrichtungsänderung WL’s, die im Gesprächsprotokoll vermerkt werden konnte. Vgl. die Sitzordnung in ‘Meister-2’ im Anhang I. Steuerung 157 ger eindeutigen konditionellen Relevanz für den Interaktionspartner (im Beispiel durch die Frage nach dem Wann), also einer in einfacher Weise bearbeitbaren Handlungsverpflichtung. Bei den in dieser Form vorliegenden Problematisierungen gibt es gewissermaßen eine Diskrepanz zwischen dem, was mikrosequentiell erreicht werden kann, und dem, was beim zielspezifischen Anliegen des Sprechers an Bearbeitung notwendig ist. Der Meister scheint abwarten zu wollen, wie der Vorgesetzte reagiert, bevor er zur Formulierung des Problemkerns weiterschreitet. Der entscheidende Punkt ist, daß M8 ein Defizit im Planungskonzept seiner Vorgesetzten erkennt, das Arbeitshandlungen behindern kann. Für die Vorgesetzten ist der unmittelbare Zusammenhang mit dem Planungskonzept nicht nachvollziehbar, weshalb sie die interaktioneile Relevanz des Problems rückstufen. Die interaktive Aushandlung einer Problemdefmition wird dadurch ausgesetzt. 166 4.3.3.2 Kritik an der Arbeitsleistung Das folgende Beispiel stammt aus dem Inspektorengespräch. Es handelt sich um die Eröffnung des Themas ‘Tag der offenen Tür’. Diesem ist das Thema ‘Fußballspiel’ vorausgegangen, ein Hinweis des Filialdirektors, daß die Fußballmannschaft der Filialdirektion gegen die einer öffentlichen Institution antritt. Das Thema ‘Fußballspiel’ wurde in knapper Form abgehandelt. (4.33) 1 II könnterA (...)# K LEISER |- LEISES LACHEN 2 DI L wissen sie was am sa"mstag 3 DI hier ist\ ** 4 II |tag der offenen tür/ 5 17 L day to open the door\ 6 DI is des jemand äh äh ni"cht bekannt\ 7 II doch\ 8 DI allen bekannt\ 9 II r mhm=m/ 10 14 L rundschreiben\ * 11 DI haben sie * vie"le leute eingeladen\ *3,1* >ga"r 12 DI keine gell/ * waru"m eigentlich nicht\< ** #jetz den K #LAUTER inspektoren/ 152 Die Eröffnung des neuen Themas erfolgt formal unmarkiert, d.h. ohne Vorlaufelement. Allerdings stellt die Frage wissen sie was am sa"mstag hier ist\ (Z. 2-3) eine paraphrastische Formulierung zur Eröffnung des Themas 166 Diese Formen von Reaktanz werde ich an anderer Stelle als Kontrollverfahren beschreiben. Zu dem vorliegenden Beispiel vgl. Abschnitt 5.2.4. 158 Reden ist Chefsache ‘Fußballspiel’ dar. DI hatte dort mit der Formulierung begonnen sie wissen daß am vor-' am freitag diese woche fußball äh spiel stattfmdet/ (inspektoren/ 151). Die jetzige Eröffnung enthält demnach ein kontrastives, lexikalisches Element mit diskursstrukturierender Funktion: Das akzentuierte Nennen des Wochentags (sa"mstag) markiert den Themenwechsel. Das Element ist in eine Entscheidungsfrage mit einer subordinierten indirekten Frage integriert. Auf letztere reagieren zwei Teilnehmer mit dem Nennen des Veranstaltungstitels (Z. 4, 5). (Die englische Realisierung der Antwort durch 17 mag zurückzufuhren sein auf die Trivialität von Forderung und Antwort. Insofern ist das ‘lapidare’ Antworten auch ein Zeichen dafür, daß man nicht mit einer darauffolgenden Kritik rechnet.) Mit zwei weiteren Entscheidungsfragen, die zweite in elliptischer Konstruktion (allen bekannt, Z. 8), sichert sich DI bezüglich der Informiertheit der Inspektoren ab, ohne daß ihnen erkennbar das Rederecht angeboten würde. Die Bestätigung ihrer Informiertheit leisten die Inspektoren entsprechend in knappen Gesprächshandlungen, die keine Forderung des Rederechts signalisieren (vgl. Z. 7, 9, 10). Zur vierten Frage ebenfalls eine Entscheidungsfrage, haben sie vie"le leute eingeladen (Z. 11), kennt DI bereits die Antwort. 167 Bei den in rascher Abfolge geleisteten Frage-Antwort-Sequenzen bis zu dieser Stelle kontrolliert DI nicht nur die Verteilung der Redegelegenheiten, sondern auch die Einlösung mikrosequentieller Handlungsverpflichtungen. So zielt z.B. die prosodisch hervorgehobene Negation in is des jemand äh äh ni"cht bekannt (Z. 6) auf die positive Bestätigung ‘Doch’ (Engel 1988, S. 53), die ja tatsächlich von II auch geleistet wird (Z. 7). Mit diesen ‘Vorlaufsequenzen’ wird vom Sprecher die Etablierung einer reziproken interaktionsrelevanten Wissensgrundlage geschaffen, die den Boden für sein weiteres Vorgehen bereitet. 168 Die Beantwortung von DI’s vierter Frage haben sie vie"le leute eingeladen (Z. 11) würde negativ ausfallen. Der Sprecher vereitelt v.a. durch die prosodische Hervorhebung von vie"le ein ‘Ja’ der Inspektoren. Retrospektiv kann das Fragebündel DI’s als rhetorisches Verfahren aufgefaßt werden, mit dem die Inspektoren hinsichtlich ihrer Beteiligungsmöglichkeiten zunehmend in die Enge getrieben werden. 167 Das verbale Vorgehen von DI zeigt sehr deutlich, wie er sich vorbereitet, um die Kritik an seinen Mitarbeitern argumentativ zu untermauern. Es ist zu diesem Zeitpunkt DI sehr wohl bekannt, daß die Inspektoren, wenn überhaupt, dann nur sehr wenige Personen zum Tag der offenen Tür eingeladen haben (in der Filialdirektion liegen sehr viele Einladungskarten, die nicht abgeholt worden sind). 168 Den Begriff ‘Vorlaufsequenz’ übernehme ich von H. Sacks (1992, Or. 1967, Lecture 8). Sacks zufolge sichern ‘pre-sequences’ die Basis für das weitere Vorgehen des Sprechers ab. So geht einer Einladungs-Sequenz bspw. die Frage „Hast du heute abend Zeit“ voraus. Wird die Frage negativ beantwortet, kann man es sich ‘sparen’, die Einladung auszusprechen (Sacks 1992, S. 685). Steuerung 159 Die vierte Frage ist die erste im Fragebündel des Sprechers, die die Partner nicht positiv beantworten können. Durch die ersten drei Fragen ist jedoch die Erwartungshaltung des Filialdirektors erkennbar geworden, daß sie auch diese letzte positiv beantworten können sollten, weil sie alle über den ‘Tag der offenen Tür’ informiert sind. Die letzte Frage konstatiert deshalb indirekt ein Fehlhandeln der Inspektoren bei der Einlösung ihrer Arbeitsaufgaben oder, m.a.W., ein Defizit in ihrer Arbeitsleistung. 169 Die entstehende Pause von 3,1 Sekunden (Z. 11) bzw. das Schweigen der Inspektoren an dieser Stelle ist durch die Rhetorik der Frage und durch deren Realisierung nach einer Reihe von unverfänglichen Entscheidungsfragen verständlich. Ein als Antwort auf die Frage ausgesprochenes ‘Nein’ würde das Defizit explizit bestätigen (‘nicht viele’). Das Schweigen wird aber genau so verstanden; DI beantwortet sich die Frage selbst: ga"r keine gell/ (Z. 11-12). Die Auslegung des Schweigens erfolgt insofern zu Ungunsten der Inspektoren, da nicht mehr geklärt wird, ob sie überhaupt Einladungen ausgesprochen haben. Aus einer anderen Perspektive kann die Frage haben sie vie"le leute eingeladen als Formulierung des Anspruchs der Direktionsleitung an die Veranstaltung ‘Tag der offenen Tür’ gesehen werden, zu der man sich natürlich regen Zulauf erhofft. Mit dem Lexem vie"le wird der Anspruch explizit markiert. Die Akzentuierung verhindert außerdem, daß der Anspruch, der hinter dem ‘Tag der offenen Tür’ steht, überhört werden könnte. Schließlich wird durch die Frage eine Imagebedrohung etabliert, sofern man sie als Vorwurfshandlung versteht: Zwischen dem Anspruch an die Inspektoren seitens der Direktionsleitung und der Anzahl der von ihnen konkret ausgesprochenen Einladungen klafft eine Lücke. Das mit der Frage evozierte Problem hat somit Züge eines Konflikts, den es im folgenden durch entsprechende beziehungsregulative (korrektive) Handlungen abzuarbeiten gilt. Im folgenden startet DI zunächst eine Suche nach Gründen für das Leistungsdefizit der Inspektoren: waru"m eigentlich nicht\ (Z. 12): 169 Die von DI realisierte Fragetechnik wirkt ‘wie aus dem Lehrbuch’ für Gesprächsführung im Unternehmen: „Sie [die sog. sokratische Frage] besteht aus 3-5 geschlossenen Fragen (Fragekette), die immer mit ‘Ja/ Doch’ beantwortet werden. Bei der letzten Frage geht man davon aus, daß der andere gar nicht merkt, daß er wiederum mit ‘Ja’ antwortet, obwohl er eigentlich mit ‘Nein’ hätte antworten müssen/ wollen“ (REFA 1991, Kap. ‘Fragetechnik’, S. 3). (Zur rhetorischen Frage vgl. Lausberg (1990, §445.2).) Meine Beobachtungen bestätigen Drew und Heritage (1992), denen zufolge Fragetechniken gerade für den institutioneilen Diskurs gängige Verfahren der Gesprächslenkung darstellen: „A common finding [...] is that institutional incumbents (doctors, teachers, interviewers, family social-workers, etc.) may strategically direct the talk through such means as their capacity to change topics and their selective formulations, in their ‘next questions’, of the salient points in the prior answers“ (Drew und Heritage 1992, S. 49). 160 Reden ist Chefsache (4.33) 12 DI keine gell/ * waru"m eigentlich nicht\< ** #jetz den K #LAUTER 13 DI tag de o' * was glauben sie >warum ma"chen wir hier 14 DI en tag der offenen tür\<# * was denken sie\ ** weil 15 DI wer samstags nix anderes zu tun haben ne/ * wenn=s 16 DI langweilig ist zu hause was' warum ma"chen wir 17 DI samstags en tag der offenen tür\ * HUSTEN für K HUSTEN 18 DI we: "n macht ma denn en tag der offenen tür\ ne/ * 19 DI das wird nicht in der Zeitung * veröffentlicht 20 DI daß hier jedermann reinspaziert\ * sondern gezielte 21 DI einladungen\ * was glauben sie wen man da einladen 22 DI könnte\ sollte\ jnatürlich\ * künden/ * 23 II L die kundenX Inspektoren/ 152 Ohne eine Antwort auf die Frage nach dem Warum abzuwarten, fährt DI fort mit der Frage nach Sinn und Zweck der Veranstaltung, >warum ma"chen wir hier en tag der offenen tiir\< (Z. 13-14), wobei er die Verlagerung des Fokus mit dem Vorlaufelement jetz (Z. 12) markiert. Man könnte sagen, DI expandiert den themeneröffnenden Handlungsschritt durch die Subfokussierung eines bearbeitungsrelevanten Schwerpunkts. Nachdem DI die Inspektoren (rhetorisch) aufgefordert hat, den Sinn und Zweck der Veranstaltung gemeinsam zu definieren {was denken sie\, Z. 14), nennt er mit offensichtlicher Polemik 170 - ‘Gründe’ für die Durchführung der Veranstaltung {nix anderes zu tun haben [...] langweilig ist zu hause, Z. 14-16). Dabei kann folgendes festgehalten werden: - Nach der Frage was denken sie\ wirkt die Formulierung der Gründe wie eine gespielte Perspektivenübernahme. Die gemutmaßten Gründe sind derart trivial, daß den Inspektoren gewissermaßen ein Mangel an sachlicher Auseinandersetzung mit dem Sinn und dem Zweck der Veranstaltung unterstellt wird. - Mit dem Wechsel zur Polemik wird gleichzeitig sichergestellt, daß genau das Gegenteil der genannten Gründe als DFs Einstellung und als ‘Normalität’ erkennbar wird. - Durch die einleitende Fragestruktur bleibt bei der Formulierung der Gründe der rhetorische Druck auf die Inspektoren aufrechterhalten. Natürlich müßten auch Reaktionen auf die vorgetragenen ‘Gründe’ negierend ausfallen. Insgesamt können die polemischen Aktivitäten DFs als scharfer imagebedrohender Angriff auf die Inspektoren verstanden werden, deren Vorbereitung auf den ‘Tag der offenen Tür’ Mängel erkennen läßt. Die Polemik kann als ein 170 Als polemisch bezeichne ich eine Aktivität, deren Bedeutung für die Angesprochenen in einer radikalen Umdeutung des propositionalen Gehalts des Gesagten erkennbar wird, weil die Proposition der ‘Normalität’ genau nicht entspricht. Vgl. hierzu Borzeix (1990), zu polemischen Beschreibungen in Mitarbeiterbesprechungen in französischen Industriebetrieben: „diese Verbalisierung der Wirklichkeit [kann] als deren Infragestellung verstanden werden“ (Borzeix 1990, S. 112). Steuerung 161 Mittel angesehen werden, mit dem der aus den anfänglichen Fragesequenzen hergeleitete Vorwurf an die Inspektoren im rhetorischen Sinne emphatisiert wird. Die illokutive Kritik an den Inspektoren tritt in den Vordergrund des Geschehens und wird mit einer sozialen Kategorisierung verknüpft. Gewissermaßen unterstellt der Direktor, daß für die Inspektoren tatsächlich ‘Langeweile’ als ein Motiv für Öffentlichkeitsarbeit in Frage kommt. Die gemutmaßte Einstellung der Inspektoren wird durch die polemische Rekonstruktion ihrer Sichtweise seitens DI im institutioneilen Sinn disqualifiziert. Danach leistet DI mit der Reformulierung der Frage nach dem Warum (Z. 16- 17) und mit der Frage für we: "n (Z. 17-18) Angebote an die Hörer, einen Informationstransfer einzuleiten, innerhalb dessen sie ihre Einsicht und Verständnis in die Hintergründe der Veranstaltungsdurchführung beweisen können (vgl. u.). Bis zu dieser Stelle hat DI fünf Aspekte angesprochen bzw. subfokussiert, die ein für die Bearbeitung des Themas relevantes Defizit unmittelbar betreffen: 1. Die Inspektoren wissen (zwar) alle über den Termin für die Veranstaltung Bescheid. 2. Sie haben (aber trotzdem) wenige oder keine Leute eingeladen. 3. Dafür müssen Gründe vorhanden sein, bspw.: 3a. Womöglich sind sie sich über Sinn und Zweck der Veranstaltung nicht hinreichend im Klaren. 3b. Womöglich sind sie sich über die Zielgruppe der Veranstaltung nicht hinreichend im Klaren. Der thematische Fokus, der ‘Tag der offenen Tür’, wird mit einem Leistungsdefizit der Anwesenden unmittelbar in Verbindung gebracht. Die Arbeitsleistung kontrastiert mit dem institutioneilen Anspruch an die Veranstaltung; für die interaktive Bearbeitung des Themas sind die o.g. subfokussierten Aspekte, insbesondere die Suche nach Gründen für das Leistungsdefizit, relevant. Die Themeneröffnung DI’s impliziert eine Beteiligung der Inspektoren entweder in Form von Rechtfertigungen oder Entschuldigungen ihres Leistungsdefizits oder in Form eines Wissenstranfers bezüglich der Punkte 3a und 3b. Die erste verbale Reaktion aus dem Hörerkreis ist eine Antwort auf die von DI formulierte Frage was glauben sie wen man da einladen könnte\ sollte\ (Z. 21-22). Diese Frage des Direktors kann als Paraphrasierung von für we: "n (Z. 17-18) angesehen werden; sie wird hier kleinräumig im Rahmen einer subordinierten Paarsequenz innerhalb der Themeneröffnung bearbeitet, ohne daß DI angezeigt hätte, die Einführung in das Thema beenden zu wollen. Die Inspektorin II nennt explizit die Zielgruppe der Veranstaltung (die kunden\, TL. 23). Im Rahmen der Paarsequenz und der anschließenden Ratifizierung von Il’s Antwort durch DI wird somit ein subfokussierter Aspekt der Themeneröffnung behandelt, der im Nachhinein als reziproke Wissensgrundlage zur Verfügung steht. Dadurch wird die Aktualisierung notwendiger Wissensgrundlagen hinsichtlich des o.g. Punkts 3b abgeschlossen. 162 Reden ist Chefsache In einer weiteren Expansion erläutert der Filialdirektor, wer als Besucher der Veranstaltung in Frage kommt und wie die Veranstaltung ablaufen wird. Am Ende kündigt er den Besuch einer Firma an, die Schließsysteme vertreibt. DI bemüht sich insgesamt, den hohen Stellenwert, den man der Veranstaltung in der Direktion gibt, klar darzustellen. Darauf folgt die erste längere Reaktion eines Inspektors: (4.35) 1 DI hier vorgetragen- * und da drüber hinaus * haben 2 DI wir eine firma * engagiert- * die 3 DI si"cherungssysteme vorstellt\ * für haus und 4 DI wohnung\ * des interessiert ja glaub ich je"den 5 DI denn * jeder wohnt ja in einer wohnung\ 6 17 darf ich 7 17 dazu f was sagen/ des=sch heut zum 8 DI L die meisten zumindest\ ja/ 9 17 erschten mal daß ich=s ü' intensiv über des 10 17 gesprochen wird\ r also ich hab' 11 DI '-ja deswegen- * bin ich ja heute 12 DI da\ * mir gefällt r des nämlich nicht daß ihre 13 17 L ^a- 14 DI bezirksleiter sie nicht informie"ren\ inspektoren/ 153 17 startet nach den Ausführungen DFs mit einem indirekten Sprechakt mit konfliktreduzierender Funktion: darf ich dazu was sagen/ (Z. 6-7). Die Realisierung einer Rederechtbeanspruchung in dieser Form erklärt sich aus den imagebedrohenden Aspekten bei der Themeneröffnung. 171 Der Inspektor 17 zeigt ein Versäumnis bei den Vorbesprechungen auf: des=sch heut zum erschten mal daß ich=s ü' intensiv über des gesprochen wird\ (Z. 7, 9-10). 17 schließt weiträumig an die anfangs von DI gestellte Frage an (waru"m eigentlich nicht\, TA 4.33, Z. 12), und er verlagert das Problem von seinem Leistungsdefizit zu einem, womöglich von anderen verursachten Mangel. 17 verweigert mit seiner ‘Entschuldigung’ die Übernahme von Verantwortung (Holly 1979, S. 62). Sein Beitrag kann allgemein als komplexe korrektive Handlung, als erster Schritt zur Beilegung des Konflikts und als Reparaturversuch am geschädigten Image der Inspektoren angesehen werden. 171 Werlen (1983) spricht bei dieser Sprechaktkategorie in Anlehnung an G. Lakoff von ‘hedged performatives’ (vgl. Werlen 1983, S. 198ff.), als typischem Bestandteil von Konfliktvermeidungsritualen. Die hier nachgewiesene Realisierungsform darf ich dazu was sagen kommt im gesamten Korpus nur ein einziges Mal vor. Verwandte Formen wie dazu will ich ihnen folgendes sagen (WL: meister-1/ 6) werden ausschließlich von Vorgesetzten verwendet. Sie signalisieren einen superioren Sprecherstatus. Steuerung 163 4.3.3.3 Sonderfall Betriebsratsgespräch: Präsentation eines Problems mit fortgeschrittenem B earbeitungsstand Der folgende Ausschnitt aus dem Betriebsratsgespräch zeigt einige Kennzeichen von Eröffnungen, wie sie dort in der Mehrzahl Vorkommen. Im spezifischen Fall handelt es sich um die Darstellung eines Problems, das in früheren Gesprächen bereits behandelt worden ist. Die Analyse beschränkt sich auf einige wesentliche Aspekte. (4.36) 1 BV dann hab ich hier- *1,5* noch den fall- K #PAPIERRASCHELN 2 BV *2,3* kollege Schu"lte/ * r des is * de"r punkt/ 3 R2 L was/ 4 SV fettfabrik ne/ 5 BV r fettfa 1 der war in der fettfabrik/ 6 R2 L #ach so-# K # #MIT LACHANSATZ 7 BV unn * da hab ich- * p ich glaub bei der letzten g R3 L s=qibt me"hrere Schulte\ 9 BV sitzung- 10 R2 >hab ich doch net gewißt/ < 11 BV drüber gesprochen- * 12 BV daß der eben seim Vorarbeiter * schlä"ge p angedroht 13 R2 L 14 BV hot/ p und * jetzt hab i"ch ihm 15 R2 L #och gott\ # K #BELUSTIGT UND ERSTAUNT, LACHEN 16 BV empfohlen- * um dem ganze ding aus=m we"g 17 BV #zu gehen/ der hott ne abmahnung gekriegt/ ** K #SCHLEPPEND, WIE GELANGWEILT 18 BV daß er sich * uff die freie Stellung in der 19 BV mi"schanlage bewirbt/ ** betriebsrat/ 89 Der Vorsitzende fokussiert den zur Debatte stehenden Punkt {kollege Schn "lie, Z. 2), verweist auf die Tagesordnung (des is * de "r punkt/ , wobei SV mitwirkt: fettfabrik ne/ , Z. 2 bzw. 4), kontextualisiert das Problem bezüglich einer zurückliegenden Bearbeitung (bei der letzten Sitzung, Z. 9), formuliert den Problemkern (schlä"ge angedroht, Z. 12) und stellt den aktuellen Problemstand dar. Die gegenüber dem Kollegen Schulte ausgesprochene Empfehlung seitens BV (Z. 14, 16-19) wird zur Diskussionsgrundlage, zu der die Betriebsräte Stellung beziehen können und sollen. Da die Problembearbeitung bis zur Lösungsentwicklung fortgeschritten ist, werden im folgenden Aktivitäten erwartbar, die eine Praktikabilitätsüberprüfung, die Reformulierung der Lösung oder Vorschläge zur Lösungsverwirklichung ausdrücken (vgl. Nothdurft 1984, Kallmeyer 1985). 164 Reden ist Chefsache Die problematisierende ThemeneröfFnung durch den Betriebsratsvorsitzenden unterscheidet sich in auffälliger Form von den bisherigen Beispielen. Es liegt hier keine Kritik an Planungsprozessen oder an der Arbeitsleistung von Teilnehmern vor, sondern eine fast ‘regulär’ zu nennende Problempräsentation, wie sie auch in Alltagsgesprächen, oder in anderen institutionellen Kontexten (z.B. in Institutionen mit sozialem Auftrag, bei Abwesenheit von Betroffenen) Vorkommen könnte. Auffällig ist, daß eine der Wissensgrundlagen, auf die die Problempräsentation des Vorsitzenden rekurriert, fast beiläufig zunächst zwischen BV und R2 (Z. 3, 5, 6) und dann in einem Nebengespräch von R2 und R3 (Z. 8, 10) sichergestellt wird. Das Eröffnen eines Nebenschauplatzes während der laufenden Themeneröffnung seitens des Vorsitzenden signalisiert, daß sich die einzelnen Betriebsräte schon nach der thematischen Fokussierung kollege Schu"lte/ (Z. 2) und dem deiktischen Hinweis de"rpunkt (Z. 2) relativ sicher sein können, daß die Problematisierung nicht mit Aspekten behaftet sein wird, die sie persönlich betreffen (z.B. Imagebedrohungen), es sei denn durch die Handlungsimplikationen einer gegenstandsspezifischen Problembearbeitung. Das Thema ‘Kollege Schulte’ bildet eben einen ‘Fall’ neben anderen (vgl. Z. 1). Insofern können die Betriebsräte zu den durchaus ernst zu nehmenden Handlungsweisen von Herrn Schulte Distanz signalisieren, ihnen einen quasi humorvollen Aspekt abgewinnen (vgl. K-Zeile zu Z. 15), bzw. die Tatsache, daß Kollege Schulte bereits abgemahnt worden ist (vgl. Z. 17), durch gelangweiltes Vortragen herunterspielen (vgl. K-Zeile zu Z. 17). Mit der hier vorliegenden Problematisierung wird ein Handlungskomplex angesteuert, den man ‘Ausarbeitung korrektiver Vorschläge’ nennen könnte. Dazu gehören diejenigen Bearbeitungen von Themen, in denen ein Mißverhältnis zwischen der aktuellen Situation an irgendeiner Stelle im Unternehmen und der vom Betriebsrat angestrebten für den Arbeitnehmer und den eigenen Anspruch günstigsten - Situation zur Sprache kommt. 172 Man könnte von einer spezifischen Form der Problembearbeitung sprechen. Der ‘Anspruch’ dieser Bearbeitungen geht über den in den Mitarbeiterbesprechungen als Normalfall zu bezeichnenden hinaus. Es handelt sich hier um das Gespräch eines politischen Gremiums (vgl. Henne und Rehbock 1982, S. 30), dessen Auftrag es u.a. ist, Probleme bzw. Anträge, die von außen herangetragen werden, zu bearbeiten und über deren Lösung im Rahmen seiner Kompetenz zu entscheiden. 172 Daneben sind als Handlungskomplexe etwa eine ‘Beantwortung von Anträgen’ (z.B. Überprüfungen von Bewerbungen auf Arbeitsplätze) und ‘geschäftsordnende’ Handlungsstrukturen (z.B. das Verlesen des Protokolls) differenzierbar. Der Unterschied zu der ‘Ausarbeitung korrektiver Vorschläge’ besteht darin, daß bei den ersten kein Mißverhältnis im beschriebenen Sinne vorliegt. Mißverhältnisse entstehen im einfachsten Falle dann, wenn Fristen, Anhörungstermine oder andere Verpflichtungen der Geschäftsleitung gegenüber dem Betriebsrat nicht eingehalten werden. Steuerung 165 Etwaige Asymmetrien von Einstellungen oder Sichtweisen müssen von den Teilnehmern tendenziell zur Gewährleistung ideologischer Arbeitnehmer-Solidarität minimalisiert werden. Solidarität (als Gleichheit) spiegelt sich entsprechend in demokratischen Vorgehensweisen in der Sitzung. Weiter muß der Betriebsrat neben der Bearbeitung von Themen, die aktuelle, firmeninterne Arbeits- oder Mitarbeiterprobleme betreffen, die eigene Identität im Gespräch definieren, wahren und verstärken. Die Identität könnte im wesentlichen im solidarischen Selbstbild des Betriebsrats gesehen werden, mit dessen Hilfe er gegenüber den Vertretern der Arbeitgeberinteressen machtpolitische Ansprüche durchzusetzen versucht. 4.4 Zusammenfassung: ein siebenstufiges Schema zu den sprachlichen Mitteln der Steuerung In dieser Zusammenfassung werden sprachliche Mittel der Steuerung beschrieben, unter besonderer Berücksichtigung der durch sie hergestellten Handlungsimplikationen und -zwänge. Ich bezeichne solche Mittel im folgenden als Mittel ‘sequentieller Konditionierung’, was ihren interaktionellen Anspruch betonen soll. Ich unterscheide unter den Möglichkeiten der Konditionierung sieben Aspekte, die im folgenden, teils zusammenfassend, teils mit Rekurs auf bisher in der Analyse nicht oder nur wenig berücksichtigte Textausschnitte dargestellt werden. 173 Die Systematisierung erfolgt als eine Anordnung in Stufen. Für das Stufenschema gelten grob zwei Tendenzen: Zum einen geht mit der jeweils höchsten Anzahl von Stufen, die durch entsprechende Hinweise in einer Aktivität hörerseitig aktualisierbar sind, die am stärksten wirksame Verhaltensfestlegung einher. D.h., die Orientierungsmöglichkeiten aller Handelnden werden in zunehmendem Maße auf ein dem explizit oder implizit signalisierten Bearbeitungsanspruch konformes Handeln eingeschränkt. Eo ipso werden Folgebeiträge auch deutlicher als manifeste Handlungsschritte zur Konstitution eines vorab angesteuerten Interaktionsmusters erkennbar, oder im gegenteiligen Fall als Brüche mit einer wie auch immer erwartbaren Konformität spürbar. Zum anderen stellt die aufsteigende Stufen-Bezifferung auch so etwas dar wie eine immer stärker in den Vordergrund tretende Beziehungsrelevanz sprachlicher Aktivitäten. Man kann die Stufen so interpretieren, daß bei den ersten formale, gesprächsorganisatorische Funktionen dominieren und daß bei den weiteren zunehmend die Beziehungsarbeit der Teilnehmer ins Spiel kommt. Parallel zur semantischen Ebene sprachlicher Realisierungsformen können suprasegmentale, phonetische und prosodische Mittel die Wirksamkeit 173 In der Beschreibung der Stufen rekurriere ich auf Stellen aus dem Korpus, die ich hochdeutsch transkribiere und z.T. leicht verkürze. Die Stellenangabe erfolgt in der Kurzversion (vgl. Abschnitt 4.2). 166 Reden ist Chefsache sequentieller Konditionierung jederzeit verstärken. Folgende Stufen werden differenziert: 1) Anzeigen des Themenwechsels 2) Bezeichnen des Bearbeitungsanspruchs 3) Herstellen der Bearbeiterkonstellation 4) Relevantsetzen von Fokussierungen 5) Festlegen von Bearbeitungsschritten 6) Einfuhren von Bewertungsmaßstäben 7) Einbeziehen des Partnerimage Es wird im folgenden nicht darum gehen, eine skalenartige Dominanzanalyse etwa im Sinne einer Turn-Klassifikation (vgl. Linell et al. 1988) durchzuführen. Vielmehr soll die qualitative Beschreibung des Steuerungspotentials einzelner Mittel weiterhin beibehalten werden. Abstufungen bzw. Überschneidungen in der sozialen Relevanz partikulärer Unterschiede innerhalb der Stufen bzw. zwischen ihnen sind möglich. 1) Anzeigen des Themenwechsels Das Anzeigen eines Themenwechsels erfolgt mit Gliederungssignalen (Vorlaufelementen, Segmentierungen), die den Fortgang der Interaktion, den Beginn des neuen Themas kennzeichnen. Ihre prospektive Funktion besteht darin, den hörerseitigen Mitvollzug des Themenwechsels zu sichern. Dies schließt mit ein, daß sich der Hörer auf eine Reorganisation des Sprecher- Hörer-Verhältnisses und auf die im folgenden angezeigten Handlungsanforderungen einstellen kann. Wie ich zu zeigen versucht habe, besitzen Vorlaufeinheiten ebenfalls eine retrospektive Funktion. Vorlaufeinheiten können zur Beendigung von Themen eingesetzt werden, unabhängig davon, ob deren Bearbeitung in einem allgemeinen Sinne als abgeschlossen gelten kann oder nicht. Paraphrasierungen, Fazitäußerungen oder Zusammenfassungen können in dem der Vorlaufeinheit vorangehenden Kontext das Ende der Bearbeitung durch denselben Sprecher projizieren (oder einem anderen Sprecher nahelegen); dies bedeutet jedoch nicht, daß solche Aktivitäten einen Konsens hinsichtlich der Einstellungen der Interaktionspartner widerspiegeln. Ein wichtiger Beitrag zur Wirksamkeit dieser Einheiten ist der stark fallende Grenzton an der Umbruchstelle. Solch ein themenkonstitutiver Grenzton kann am Ende themenbeendigender Handlungen (Textherstellungshandlungen) auftreten; ebenso kann er bei bestimmten Fokussierungsprozeduren (z.B. der schlagwortartigen Fokussierung) von der Umbruchstelle an das Ende der initialen Aktivität beim Themenwechsel verlagert werden. Von einer Markierung des Themenwechsels mit Hilfe dieser Einheiten können Sprecher v.a. dann absehen, wenn längere Pausen nach fazitartigen Äußerungen entstehen, wenn einem Sprecher nach derartigen Aktivitäten durch Handzeichen das Rederecht Steuerung 167 erteilt wird, wenn nach expliziter Aufforderung zur Eröffnung neuer Themen eine Initiative gestartet wird (z.B. von einem Meister realisiert mit ich wollt noch was sagen, II/ 50/ 2) oder wenn Sprecher bei Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Gesprächsbeendigung noch ein Thema besprechen wollen (etwa mit halt, da war noch was, 1/ 28/ 2, ebenfalls eine Initiative eines Meisters). 2) Bezeichnen des Bearbeitungsanspruchs Aussagen darüber, ob die Sprecher ein Thema, eine Geschichte, eine Sache, einen Fall, einen Punkt, folgendes usw. zur Sprache bringen möchten, sind in die Themeneröffnung integriert. Prinzipiell gehe ich davon aus, daß die genannten Lexeme äquivalente gesprächsorganisatorische Funktionen wie Vorlaufelemente erfüllen. Sie sichern die Nachvollziehbarkeit der Themeneröffnung ab. Die gesprächsorganisatorische Funktion dieser Lexeme dominiert im Moment ihres Auftretens. Bei einer tiefer gehenden Interpretation könnte man geneigt sein, die Substantive hinsichtlich ihrer Potenz zu unterscheiden, auf vom Sprecher angesteuerte Interaktionsmuster zu referieren. Punkt scheint diesbezüglich neutraler als beispielsweise Geschichte (als Verweis auf die folgende Textsorte). Weder aus dem Lexem Punkt noch aus dem Lexem Geschichte geht jedoch eindeutig hervor, welche Art von Handlungsanforderungen für die Teilnehmer im einzelnen folgen wird; bei beiden wäre die Anvisierung von Verständnisfragen oder Verstehenssignalisierungen der Hörer, sowie Bearbeitungen bestimmter subfokussierter (problematischer) Sachverhalte denkbar. Ähnlich verhält es sich mit verbalen Varianten lexematischer Markierer, verba dicendi, die praktisch immer in infiniter Form in Sätzen mit modalem finiten Verb verkommen, z.B. informieren, mitteilen, sagen. In initialer Position im themeneröffnenden Handlungsschritt konnten gefünden werden (in Auswahl): wenn ich das nächste Thema’ (III/ 66/ 3) ich habe noch ein ganz anderes Themajetzt hier\ (1/ 10/ 12) ich verteile schon mal das nächste Thema hier (II/ 31/ 1) nächster Punkt (VII/ 177/ 26) ichfang mal mit nem Punkt an (VIII/ 200/ 1) dann sind wir bei dem Punkt (IV/ 86/ 29) ein wichtiger Punkt erscheint mir auch (VIII/ 212/ 13) vom'folgende Punkte/ vom letzten Mal nochfolgendes/ (1/ 2/ 1) beim Punkt Verschiedenes habe ichfolgendes/ (IV/ 91 / I) dann habe ich eine Geschichte (VIII/ 207/ 1) dann habe ich hier noch den Fall (IV/ 89/ 1) dann habe ich noch eine Frage an Sie (VI/ 15 8/ 17) ich hab noch eine kurze Frage (II/ 50/ 2) 168 Reden ist Chefsache ich habe da auch noch etwas\ (11/ 43/ 34) jetzt wollt ich Sie über etwas informieren/ (1/ 5/ 22) dann... möcht ich Sie gern informieret (VII/ 184/ 8) ich... möchte Ihnen einige Dinge mitteilen/ (VII/ 176/ 9) Die steuernden Funktionen dieser Signale sind vorrangig pragmatischer Natur. Ihr semantischer Gehalt ist reduziert, und man könnte sie als formelhafte Erscheinungen einstufen. Sie erhalten allerdings quasi rückwirkend eine pragmatische Relevanz bei Themeneröffhungen, die in der Folge eine Problematisierung oder eine Vorwurfshandlung beinhalten. Deshalb werden sie auf den im folgenden betrachteten Stufen von Belang sein. Es scheint, daß diese formelhaften Aktivitäten in gewisser Weise eine ‘Beziehungsneutralität’ vorgeben, die im Nachhinein alteriert werden kann. Insofern können sie die Bearbeitung projizieren, müssen es aber nicht in jedem Fall tun. Deshalb sind sie u.a. im Umfeld mit anderen Markierern zu betrachten. Deutlichere Projizierungen leisten Formen wie z.B. langsam kommen wirjetzt ans Eingemachte (V/ 126/ 1) oder das ist ein Punkt, der mich ärgert (VTII/ 201/ 6), die spezifische steuernde Funktionen haben. Im ersten Fall ‘klassifiziert’ der Sprecher u.a. durch das Lexem Eingemachte das Vorangegangene als Vorbereitungsphase für das folgende; er zeigt an, daß er auf einen Höhepunkt zusteuert, wodurch er erhöhte Aufmerksamkeit fordert. Beim zweiten Fall handelt es sich um eine vorgreifende emotive Bewertung des Fokus, die eine Konfliktbearbeitung erwartbar werden läßt. Die Verbalform ärgert spezifiziert den neutralen Punkt als ‘Ärgernis’. 3) Herstellen der Bearbeiterkonstellation Innerhalb der Themeneröffhungen werden grundlegende Bedingungen für die Bearbeiterkonstellation geklärt. Zu diesen Bedingungen zählt die Sprecher- Hörer-Konstellation, die u.a. an beteiligungsrollenspezifische Vorgaben für das Gespräch anknüpft. Hiervon sind insbesondere Gesprächsleitungsrechte betroffen. Zu den ‘formalen’ Beteiligungsmöglichkeiten gehört es, selbst Themen eröffnen zu können, bzw. in einer Bearbeiterkonstellation für aktive Beteiligung vorrangig in Frage zu kommen. Beim Herstellen der Bearbeiterkonstellation unterscheide ich a) Initiativrechte, deren Wahrnehmung der Initiator eines Themas praktisch im Vollzug seiner Aktivität signalisiert, und b) formale Beteiligungsrechte und -aufgaben der Interaktionspartner, die durch die Initiative etabliert werden. a) Die Wahrnehmung von Initiativrechten in der Mitarbeiterbesprechung muß in Verbindung mit der Position des Teilnehmers im Unternehmen, mit seiner Beteiligungsrolle und dem lokalen, voraufgegangenen Gesprächskontext (Bearbeitungsphasen, Interaktionsmuster) gesehen wer- Steuerung 169 den. Durch den Abbruch einer Interaktionsphase seitens des Vorgesetzten, beispielsweise durch Fokusverlagerungen zu Nebenthemen, bekräftigt er seine Gesprächsleiterrolle. Der Gesprächsleiter kann Themenbearbeitungen an bestimmten Stellen abbrechen, ohne mit Protest rechnen zu müssen (v.a. nach Witzeleien und nach turbulenten Diskussionen). Nicht- Träger von Gesprächsleiterfunktionen sind diesbezüglich benachteiligt. Ein interessanter Fall sind allerdings Problematisierungs-Serien seitens einzelner Angestellter. 174 Durch solche Serien entstehen zunehmend ‘verschärfte’ Handlungsimplikationen sowohl für den Gesprächsleiter als auch für den Initianten der Subthemen. Neben der Gesprächsleiterrolle des Vorgesetzten etabliert sich gewissermaßen eine ‘kompetitive Gesprächsleiterrolle’. Für den Angestellten birgt dies die Gefahr, daß er seine Möglichkeiten überstrapaziert; er ruft einen interpersonalen Konflikt hervor (s. die Diskussion des Inspektorenbeispiels in Kapitel 6). Operiert der Angestellte mit diversen Verfahren thematischer Steuerung und Lokalisierung, kann er den Vorgesetzten unter kontinuierlichem Zugzwang halten. Für jeden Teilnehmer bestehen bei der Wahrnehmung von Initiativrechten Legitimierungsanforderungen, die er durch Verfahren der Lokalisierung oder Relevantsetzung des thematischen Fokus einlöst. Ein gängiges ‘Legitimierungsverfahren’ setzt den thematischen Fokus in einen Bezug zur institutionellen Ebene des Gesprächs, etwa zur Organisations-, Finanzierungs- oder Wirtschaftlichkeitsplanung (z.B. kommen wir doch wieder zurück zur Invesütionsplatmngda haben wir letztes Jahr schon versprochen gekriegt, daß jede Abteilung die Investition durchgesprochen kriegtes war nix\, 1/ 25/ 2-5). Legitimierungsverfahren beweisen sich als ‘erfolgreich’, wenn dem Initianten die Etablierung eines Bearbeitungsgegenstands gelingt und wenn er (wenigstens graduell) seine Interaktionsziele verwirklicht. Signale für einen sekundären Sprecherstatus des Initianten, z.B. die Verwendung der Wir-Form, verleihen der Themeneröffhung einen sozialen ‘Mehrwert’. Die Wir-Form kann vorab eine dominant geltend gemachte Perspektive auf den Bearbeitungsgegenstand ankündigen. Sie ist somit bereits ein Teil eines einzuführenden Bewertungsmaßstabs und mit der Relevantsetzung von Fokussierungen verknüpft. 174 So in etwa verhält sich der Betriebsratsvorsitzende in ‘Meister-! ’, der in der Diskussion um das ‘Werk T die vom Werksleiter gestarteten Rückstufungen nicht akzeptiert, sondern ständig neue, auf dem Problempotential insistierende Vorstöße unternimmt (s. Anhang II). Dies ist im übrigen auch ein ganz wichtiger Punkt, weshalb er im Verlauf des Geschehens als dominante oder statushöhere Person empfunden wird (vgl. hierzu Linell et al. 1988). 170 Reden ist Chefsache b) Formale Beteiligungsaufgaben werden durch Hinweise auf denjenigen Interaktionspartner etabliert, der die Initiative im weiteren bearbeiten soll. Dies kann durch Adressierung, durch Fokussieren des Zuständigkeitsbereichs des Partners oder durch nonverbale Signalisierungen (Zunicken, Blickkontakt) geschehen. Bei allen Themeneröffnungen in den Materialien erfolgen Signale eines oder mehrerer Hörer, die sich als Bearbeiter identifizieren, noch während der Initiant seinen Handlungsschritt unternimmt. Richtet sich die Adressierung nicht an einen einzigen Teilnehmer, sondern an einige oder alle Teilnehmer, kann es am Ende der Themeneröffnung zu einer wenigstens vorläufigen Konkretisierung der Bearbeiterkonstellation kommen (z.B. wer hatte schon reingeguckt? Herr Schmitt, Sie hatten reingeguckt schon, nicht? , 11214-6, fang ich mit Ihnen an, Herr Haas, VIII/ 201/ 8-9). Dem Publikum kommt eine Sonderrolle zu. Teilnehmer im Publikum erhalten in einigen speziellen Fällen einen ‘Expertenstatus’. Bei Streitfragen werden sie zur aktiven Beteiligung herangezogen, damit sie die Argumente des Sprechers bestätigen und untermauern (vgl. TA 6.13 und 6.18). Die Angestellten mittlerer Ebenen (z.B. die Gruppenleiter in den Meistergesprächen, der Direktionsbeauftragte für Sachversicherungen in den Gesprächen in der Versicherungsdirektion, Einrichter und Sachbearbeiter in ‘Bonusentlohnung’) gehören nur im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ zum Kreis der Angesprochenen. 4) Relevantsetzen von Fokussierungen Sprachliche Fokussierungsleistungen sind Mittel der Aufmerksamkeitslenkung. Fokussierungen erfolgen durch die Produktion lexematischer und morphosyntaktischer Elemente, deren propositionaler Gehalt oder illokutionäre Bedeutung beim Hörer eine komplementäre Interpretation erfahren; somit entsteht eine Ausrichtung der allgemeinen Aufmerksamkeit. Am Relevantsetzen von Fokussierungen sind prosodische Eigenschaften einer Aktivität maßgeblich beteiligt. Zur prosodischen Hervorhebung sind Mittel der Markierung und der Kontrastierung geeignet (wie Akzent, Schnelligkeitsveränderung, Segmentierung usw.). Zwischen der inhaltlichen Dimension einer Fokussierung und deren Relevanz für die Interaktion bestehen unmittelbare Zusammenhänge. Ich möchte in bezug auf Fokussierungen in themeneröffnenden Beiträgen drei Aspekte der Verknüpfung von Fokus und Relevanz unterscheiden: ' 75 175 In Abschnitt 5.1 werden diese Ausführungen ergänzt durch eine Liste detjenigen Mittel, die relevanzeinstufende Funktionen innehaben können. Siehe dort sowie in den Abschnitten 3.3 und 4.2.1 weitere Angaben zur ‘situativen Fokusrelevanz’. Steuerung 171 a) Die thematische Fokusrelevanz: Eine ‘thematische’ Fokussierung designiert einen operationalen Bereich des Unternehmens (Abteilung, Arbeitsprozeß, Mitarbeiter, Planung u.a.). Der thematische Fokus gilt als übergreifender Fokus für einen inhaltlich einheitlichen Abschnitt. Die Interaktionspartner richten ihre Aufmerksamkeit an diesem Fokus als einer allgemeinen Aktions- und Interpretationsgrundlage aus. Das Nennen eines operationalen Bereichs erlangt durch seine initiale Plazierung im neuen thematischen Abschnitt eine interaktionsrelevante Geltung. Der thematische Fokus kann in spezifischer Weise mit dem oder den vorangegangenen und folgenden Foki relationiert sein (thematische Kohäsion). Im einzelnen kann hier Über-, Unter- oder Nebengeordnetheit unterschieden werden. Vereinzelt (z.B. im Gespräch ‘Agentur’) kommt es in der Mitarbeiterbesprechung zu komplexen Themenverquickungen. Das Nennen bestimmter operationaler Bereiche kann per se ein problematisierendes Potential innehaben. Dies ist etwa der Fall bei den Gesprächen in der Versicherungsdirektion, wenn das Thema ‘Akquisition im Gefängnis’ angeschnitten wird (Abschnitt 4.3.2.2). Ob das Problempotential seitens der Hörer identifiziert wird, hängt von ihrem Vorwissen ab und davon, in welche sprachliche Umgebung der Sprecher die Fokussierung einbettet. Er kann z.B. vorab in metakommunikativer Form die Fokussierung als problematisierend einstufen (Jas ist ein Punkt, der mich ärgert\, VII/ 193/ 1). Problempotentiale beruhen auf einem wie auch immer interpretierbaren defizitären Aspekt im Unternehmensbereich, in der Arbeitsleistung des Partners u.a. Fehlen in der Themeneröffnung fokustragende Einheiten mit eindeutigem problematisierendem Potential, können ‘schlichte’ Fokussierungen eine implizite Signalwirkung haben. Das Andeutungspotential einer solchen Fokussierung kann die Aufmerksamkeit der Interaktanten mit derselben Kraft wie eine explizite Problematisierung lenken, wenn z.B. die Zuständigkeit eines Teilnehmers erkennbar aktualisiert wird. b) Relevanzstruktur: Thematische Fokussierungen können im Rahmen komplexer Fokussierungsprozeduren in eine von mehreren Foki gebildete Relevanzstruktur eingebettet werden. Eine Relevanzstruktur ergibt sich aus dem Vor- und Nacheinander einzelner fokustragender Elemente in einer Aktivität. Die Relevanzstruktur erlaubt die Rückbindung (Kontextualisierung) folgender Aktivitäten in bezug aufjede einzelne der geleisteten Fokussierungen. c) Relevanzabstufung: Aus einer Relevanzstruktur ergeben sich graduelle Unterschiede im Bearbeitungsbedarf einzelner Foki. In einer Vordergrund-Hintergrund-Gliederung der Gesprächsrelevanz von Einzelfokussierungen ist der relevanteste Fokus der mit dem höchsten Bearbeitungsbedarf. Bei Fokussierungen mit einem Problempotential kann die 172 Reden ist Chefsache Frage nach dem Verursacher von Problemen auftauchen; der ‘Zuständige’ (für einen Bereich) wird gewissermaßen zum mutmaßlichen ‘Verantwortlichen’ (für ein Problem). Als allgemeine Tendenz in den Mitarbeiterbesprechungen kann festgehalten werden, daß Interaktionspartner auf Fokussierungen, die mit einem imagebedrohenden Aspekt verknüpft sind, zuerst reagieren. Bei einer wie auch immer interpretierbaren Verantwortungsanlastung bei Defiziten liegt der höchste Bearbeitungsbedarf (Gesichtswahrung) vor. 5) Festlegen von Bearbeitungsschritten Die Initianten eines Themas signalisieren im Rahmen der themeneröffhenden Aktivität in mehr oder minder deutlicher Form, welche Schritte für die Bearbeitung des Themas in Frage kommen oder unternommen werden sollen. Eine Aktivität wie die des Bereichsleiters für Logistik: gibt ’s dazujetzt Fragen, Anregungen oder Bedenken\ (II/ 35/ 15), am Ende seiner Themeneröffhung zur ‘Inventur’ (vgl. TA 4.28) projiziert, daß die Interaktionspartner Beiträge bestimmter Klassen liefern sollen. Ferner ist aus dem Kontext ersichtlich, daß der jetzige Sprecher (LO) die erwarteten Beiträge kommentieren und die Themenbearbeitung weiterführen wird. Lexeme wie fragen, diskutieren, denken, meinen (in diversen syntaktischen Kategorien), die der Sprecher in die Gestaltung von Fragen, Aufforderungen oder indikativische Aussagen integriert, haben eine Platzhalter-Funktion für Handlungsschritte, deren Einlösung später die anderen Teilnehmer leisten müssen. Diese Steuerungsmittel gehen über ein Herstellen der Bearbeiterkonstellation (s.o.) hinaus. Nicht nur der präferierte Bearbeiter wird genannt, sondern der Initiant schränkt dessen Handlungsmöglichkeiten von vomeherein ein. Mit Hinweisen auf Leerstellen im Handlungsschema leisten die Sprecher gleichsam defmitorische Angaben (Verhaltensfestlegungen) für das in ihrem Sinne abzuarbeitende Interaktionsmuster. Z.T. sind diese Hinweise auch als Zuweisungen rollenspezifischer Beteiligungsaufgaben interpretierbar. Die Aufforderung zu Fragen ist eine an mehreren Stellen im Korpus belegte Form der Verhaltensfestlegung. Sie erfolgt nach Darstellungen komplexer Sachverhalte, zu denen Verständnisfragen erwartet werden (vgl. hierzu haben Sie dazu jetzt Fragen? , V/ l 14/ 19, eine Aufforderung seitens des Bereichsleiters für Arbeitswirtschaft im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ nach der Darstellung eines Sonderproblems im neuen Gruppenentlohnungsverfahren). Die an einen Interaktionspartner gerichtete Frage ist eine stringente Form der Verhaltensfestlegung. In bezug auf die Frage wird eine konditionelle Relevanz etabliert, deren Nicht-Einlösung zur Beanstandung führen kann: was halten sie von dem Ding, Frau Kiefer? (III/ 58/ 22) wer hatte schon reingeguckt, Sie, Herr Schmitt, nicht/ (1/ 2/ 4) Steuerung 173 wann geben sie bekannt, wer was aufzunehmen hat? (II/ 46/ 5) wen hatte ich bei Investitionen noch nicht? (1/ 26/ 1) Die Antwort auf solche Fragen kann als erste Leerstelle nach der Themeneröffnung gelten. Der Partner wird (in der Reihenfolge der gezeigten Fragen) festgelegt auf: die Formulierung seiner Einstellung, einen Kommentar, das Nennen einer Zeitangabe bzw. zum Auf-sich-aufmerksam-Machen. Von den bis zur Rederechtübergabe angezeigten Relevanzverhältnissen im Fokusbereich hängt ab, ob außer der Beantwortung der Frage noch weitere Handlungsschritte obligatorisch sind. So impliziert eine die Themeneröffnung abschließende Frage wie woran glauben Sie, daß es hängt? (III/ 66/ 25), daß ein Problem existiert, dessen Ursachen im Nachfolgenden vom Adressaten und dem Sprecher selbst analysiert werden (können). Im vorliegenden Fall aus dem Gespräch ‘Agentur’ geht es um ein Ungleichgewicht zwischen dem Anspruch an und der Ausführung von Gesprächskreisen mit potentiellen Kunden. Wenn die Themeneröffnung keine eindeutig erkennbaren Hinweise darauf enthält, ob es sich um eine Initiative für einen Informationsaustausch oder um eine Problematisierung handelt, enstehen für den Interaktionspartner komplexe Handlungsanforderungen. 176 Es bleibt ihm in seiner Antwort überlassen, ob er den fokussierten Sachverhalt als Problem einstuft, woraus sich dann weitere sequentielle Implikationen ergeben würden. So antwortet ein Vorgesetzter (in ‘Meister-2’) auf die Frage eines Meisters, wie eine Beteiligung an der Inventur in die Gehaltsabrechungen eingehe: ja da streifen sie einen wunden Punkt\ (11/ 42/ 13) Dadurch wird die ‘Abrechnung’ als Problem eingestuft und als solches weiterbehandelt, insbesondere durch die Klärung mehrerer Beteiligungsformen an der Inventur und von Lösungsmöglichkeiten des ‘Abfeiems’, ‘Gleitens’ etc. Die Angestellten manifestieren eine gewisse Präferenz für kurze, themenkonstitutive sprachliche Handlungen ohne Hinweise auf das problematische Potential eines Sachverhalts. Für sie ist typisch, daß sie ein Problempotential im Zuge zeitlich versetzter Beiträge signalisieren. (Ich hatte dies an einem Beispiel in Abschnitt 4.3.3.1 gezeigt.) Themeninitiativen, die frühzeitig ein Problempotential aufzeigen und zudem mit der Möglichkeit verknüpft sind, dem 176 Werden in der Themeneröffnung nur implizite Hinweise geliefert, wird der anvisierte Bearbeitungsanspruch in der Regel nach den ersten Reaktionen der Partner deutlich gemacht (vgl. Abschnitt 4.3.2.1). Themeneröffnungen mit einem Problematisierungspotential bieten aufgrund asymmetrischer Beteiligungsvoraussetzungen eine Reihe von Kontextualisierungsmöglichkeiten (z.B. wegen einer Divergenz von Problemsichtweisen, der Differenz von Problemwissen oder einer Diskrepanz in Betroffenheit (Nothdurft 1984, S. 66-69)). 174 Reden ist Chefsache Gegenüber die Verantwortung für das Problem anzulasten, können deshalb m.E. als ein Signal für die Inanspruchnahme eines höheren Beteiligtenstatus gelten. 177 Ein Sonderfall beim Festlegen von Bearbeitungsschritten sind rhetorische Fragen in der ThemeneröfFnung. Die rhetorische Frage kommt beispielsweise bei der Präsentation von Sachverhalten vor, die den Teilnehmern schon bekannt sind: daß der Betriebsausflug vorverlegt wird, wissen Sie schon\ VIII/ 206/ 18) Die Verwendung rhetorischer Fragen in der Themeneröffnung konnte ausschließlich in den Gesprächen in der Versicherungsdirektion und im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ belegt werden. Anders als die die Themeneröffnung abschließende Frage zur Übergabe des Rederechts, die durchgängig in allen Gesprächen des Korpus auftritt, scheinen mir rhetorische Fragen deshalb kennzeichnend für den individuellen Führungsstil eines Sprechers zu sein. Rhetorische Fragen sind Formen stringenter Verhaltensfestlegung. Sie zwingen den Interaktionspartner altemativenlos zu einer bestimmten Antwort. Der Handlungszwang wird dann als besonders scharf empfunden, wenn die Frage doppelbödig ist und wenn bei Beantwortung und Nichtbeantwortung ein Imageverlust droht (vgl. TA 4.33). In den Gesprächen der Versicherungsdirektion sind rhetorische Fragen als Teile von Vorlaufsequenzen nachweisbar und verleihen der Themeneröffnung den Charakter einer dominanzbeanspruchenden sprachlichen Handlung. 178 Mit rhetorischen Fragen können reziproke Wissensgrundlagen und Präsuppositionen aktualisiert werden, die strategische Aspekte der Folgeaktivitäten unterstützen. 6) Einführen von Bewertungsmaßstäben Bewertende Handlungszüge, die im Verlauf (nicht nur) von Themeneröffnungen geäußert werden, können für die Bearbeitung des Themas Folgen haben, die über Implikationen im Sinne der ‘Platzhalter-Funktion’ weit hinausgehen. 177 Man vergleiche hierzu die ThemeneröfFnung des Werksleiters in ‘Meister-2’: wer ist eigentlich für das Anbruchfaßlager in der drei zwoundzwanzich unten verantwortlich? (II/ 49/ 4, vgl. TA 3.06). Bei dieser ThemeneröfFnung wird die Verantwortungsanlastung explizit. 178 Bei diesen ThemeneröfFnungen kommt eine spürbare Überzeugtheit des Sprechers hinsichtlich seiner Einstellung zum Ausdruck. Der Handlungsschritt wirkt ‘assertativer’ als bspw. die hinsichtlich der Handlungsimplikationen undefiniteren themenkonstitutiven Verständnisfragen. Sozialpsychologische Studien (am Englischen) haben gezeigt, daß u.a. die Wahl des Sprechakts und der Grad von ‘assertiveness’ bei Sprechhandlungen Einfluß auf Glaubwürdigkeit und perzipierte, symptomatische Überzeugtheit und Statuseigenschaften des Sprechers hat (z.B. Miller et al. 1976, Holtgräves 1986, Holtgräves et al. 1989). Steuerung 175 Bewertungen gehören zu den wichtigsten Mitteln zur Steuerung interaktioneller Handlungsprozeduren. Sie können die Handlungsvoraussetzungen für den Interaktionspartner zusätzlich konkretisieren und erheblich verschärfen. Bewertungen treten zum einen als Metakommentare auf (vgl. Abschnitt 4.2.4). Sie beziehen sich auf Fokussierungen, die in der Regel im unmittelbaren Äußerungskontext unternommen werden oder unternommen worden sind. Bewertungen sind außerdem als ein Aspekt an Handlungszügen nachweisbar, die vorrangig andere Funktionen für das Gespräch innehaben (z.B. bei gliedernden Beiträgen wie den verschiedenen Formen von pre-closings). Die Grenzen zwischen einer evaluativen Handlung und dem evaluativen Aspekt einer Handlung sind fließend. Für die Identifizierung evaluativer Aspekte an sprachlichen Handlungen gibt es m.W. noch keine linguistische und allgemeingültige Darstellungsweise. Ich möchte bewertende Handlungszüge in ihrer Funktion für drei Ordnungsebenen der Interaktion unterscheiden, a) auf der bedeutungskonstitutiven Ebene, als ‘allgemeine Bewertungen des Themas’, b) auf der handlungskonstitutiven Ebene, als ‘Hervorhebungen des Bearbeitungsanspruchs’, und c) auf der beziehungskonstitutiven Ebene, als ‘beziehungsrelevante Bewertungen’. 179 a) Allgemeine Bewertungen des Themas. Hierzu zählen evaluative Aussagen über den thematischen Fokus oder über thematische Schwerpunkte (z.B. das war wirklich super\, III/ 66/ 9). Das Thema kann vorgreifend bewertet werden, z.B.: ein wichtiger Punkt erscheint mir auch ... (VIII/ 212/ 13) Allgemeine Bewertungen verstärken oder vermindern die interaktionelle Relevanz des thematischen Fokus oder fokussierter thematischer Schwerpunkte. Bewertungen sind an der Konstitution von Legitimierungen beteiligt. Insbesondere wenn das Thema defizitäre Aspekte mit einer besonderen Brisanz enthält (z.B. die ‘Akquisition im Gefängnis’), zeigen Sprecher die Wichtigkeit des Themas durch vorgreifende Evaluierungen auf. Wenn ein Thema andererseits keinen hohen informativen Stellenwert für das Unternehmen hat (z.B. im Fall von ‘Gerüchten’), können die Sprecher das Thema mit einer Bewertung von vorneherein als gewichtig genug einstufen, um es in der Besprechung bearbeiten zu müssen. 180 Die 179 Bei der Unterscheidung dieser Ebenen orientiere ich mich am Modell von Kallmeyer und Schütze (1976). Die Beziehungsebene im Gespräch ist in diesem Schema von anderen Ebenen getrennt. Es soll jedoch daran erinnert werden, daß der Beziehungsaspekt in vielfältiger Weise nachgewiesen und identifiziert werden kann (vgl. die Abschnitte 3.1 und 4.2.4.1). 180 Allgemeine Bewertungen können im Verlauf von Themenbearbeitungen auch gleichsam ‘nachgeschoben’ werden. So etwa bei einer vom Werksleiter in ‘Meister-1’ durchgespielten Überlegung, die Untemehmenswerkstätten an eine Fremdfirma abzugeben 176 Reden ist Chefsache Evaluation des Themas erfüllt in diesem Fall die Funktion eines Legitimierungsverfahrens. b) Hervorheben des Bearbeitungsanspruchs. Bewertungen erlangen steuernde Funktionen für die Handlungsebene im Gespräch, wenn sie für den Hörer erkennbare Implikationen für das Interaktionsmuster einführen. Hervorhebungen des Bearbeitungsanspruchs sind verstärkende Mittel zur Projektion von Leerstellen im Handlungsschema. Im Inspektorengespräch setzt ein Inspektor auf die Frage des Filialdirektors, wie es denn mit Terminabschlüssen beim Telefonieren stehe, an mit: bei mir klappt 's gar nicht, und da hab ich das große Problem\ (VI/ 159/ 1) Durch diese einleitende Aktivität, die der Inspektor im folgenden durch weitere Informationen ergänzt, etabliert er frühzeitig komplexe Anforderungen an seine Interaktionspartner. Es ist zu diesem Zeitpunkt aus dem Kontext erkennbar, daß der Sprecher eine Problembearbeitung ansteuert (vgl. Kap. 6.2). Hinzu kommt, daß er als erster Mitarbeiter der Runde auf die Fragen des Chefs keine positive Angabe zu machen imstande ist. 181 Er hebt den Bearbeitungsanspruch an seine Problematisierung mit einem Attribut (das große Problem) hervor. Wie ein Sprecher seinen subjektiven, vorgreifenden Anspruch an die Bearbeitung des Themas hervorhebt, wird oft implizit an Aktivitäten innerhalb der Themeneröffnung erkennbar, beispielsweise an Aussagen über die Bearbeitungsziele. Der Filialdirektor möchte (in ‘Bezirksleiter- 2’) über den Stand der Akquisition im Gefängnis informieren, damit auch Sie [die Bezirksleiter] korrekt Auskunft geben können (VIII/ 212/ 20) Das Ziel der Themenbearbeitung ist ein Abgleichen des Informationsstandes. Der Anspruch an die Themenbearbeitung ist allerdings nicht nur eine Weitergabe von Informationen, sondern auch eine Evaluation ‘angemessenen’ Informationsgehalts. Dieser Aspekt des Bearbeitungsanspruchs wird durch die adverbiale Form korrekt hervorgehoben. (vgl. Anhang II, die Diskussion um das Werk 1, Z. 199-230). Der Werksleiter will damit die Legitimität einer Kosten-Nutzen-Rechnung sozusagen vorführen, ruft aber laute Proteste bei dem Leiter der Werkstätten (einem der Meister) hervor. Schließlich sagt der Werksleiter: das ist doch gar nicht das Thema\... das istja Unsinn\ (1/ 21/ 25). Er sichert hiermit im Nachhinein ab, daß die Hörer die ‘Themenbearbeitung’ zu den Werkstätten als konstmiertes und vorexerziertes Fallbeispiel einstufen. 181 Es handelt sich im übrigen um die einzige Stelle im gesamten Korpus, wo ein Angestellter offen zugibt, bei der Erledigung seiner Arbeit ‘Probleme’ zu haben. Daß der Inspektor dies im folgenden noch mehrmals signalisiert, hat für ihn fatale Konsequenzen (vgl. Abschnitt 6.3). Steuerung 177 Mit welcher Deutlichkeit eine Evaluation des Bearbeitungsanspruchs erkennbar wird, hängt außer von Adverbien und Adjektiven von einer Summe der Einzelaktivitäten ab, die relevanzeinstufende Charakteristika tragen. Darunter fallen insbesondere prosodische Markierungen. Einzelfokussierungen mit einem evaluativen Aspekt können vom Sprecher durch Akzente, Segmentierungen und Schnelligkeitsveränderungen in den Vordergrund einer Relevanzstruktur gelegt werden. c) Beziehungsrelevante Bewertungen. Beziehungsrelevante Bewertungen sind Aktivitäten, die durch ihren Bedeutungsgehalt die Beziehung unter den sozialen Teilnehmeridentitäten in besonderem Maße in den Vordergrund des Geschehens rücken (s. Abschnitt 4.2.4.1). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Sprecher die Betroffenheit der Hörer (aus der betriebsorganisatorischen Perspektive) explizit einstuft {ich meine, es betrifft Sie jajetzt nicht besonders, VII/ 175/ 10), wenn er das Thema emotiv bewertet {das ist ein Punkt, der mich ärgert, VII/ 193/ 1) und wenn er (rhetorische) Verfahren zur sozialen Evaluierung des Interaktionspartners einsetzt {glauben Sie, wir machen das, weil wir samstags nichts Anderes zu tun haben, VI/ 152/ 29). Beziehungsrelevante Bewertungen konnten zum einen in Themeneröffnungen identifiziert werden, die einer konfliktiven Auseinandersetzung vorausgehen. Interessanterweise war die Tatsache, daß sich eine konfliktive Auseinandersetzung anschloß, unabhängig davon, ob es sich um negative oder positive Bewertungen gehandelt hatte (vgl. Abschnitt 4.2.4.4). Diese Kategorie von Bewertungen hat demnach eindeutige, steuernde Funktionen für das folgende Interaktionsmuster. Mit Holly (1979) hatte ich gezeigt, daß das Image eines Angesprochenen in besonderem Maße davon berührt wird, welche evaluativen Aspekte in einer Äußerung erkennbar sind. Beziehungsrelevante Bewertungen machen eine Imagebedrohung in der Folge erwartbar. Die oben genannten Beispiele für beziehungsrelevante Bewertungen werden im unmittelbaren Kontext von ‘Zwischenfallmarkierungen’ (Holly) geäußert. Dadurch wird ein Konfliktbearbeitungsmuster projiziert, bei dem der Partner als nächsten Schritt eine korrektive Aktivität leisten soll oder muß. Die Einlösungspflicht ist vom Status des Partners abhängig (s.u.). Beziehungsrelevante Bewertungen in der Themeneröfifnung haben ein großes Potential, vorgreifend auf die Modalitäten einzuwirken, die sowohl für den Sprecher als auch für den Partner bei der Konfliktaustragung wirken sollen (vgl. hierzu Spiegel 1995). Man führt gewissermaßen die Spielregeln ein, nach denen Aktivitäten, etwa zur Ausbalancierung von Images, auszurichten sein werden, bzw. man definiert die Rahmenbedingungen für die Durchführung ritueller Handlungsprozeduren. Partikuläre Unterschiede in der sprachlichen Realisierung existieren v.a. 178 Reden ist Chefsache im Hinblick darauf, welche Schritte der Sprecher unternimmt, um das Image des Interaktionspartners zu schützen (vgl. weiter unten). Beziehungsrelevante Bewertungen in Verbindung mit Zwischenfallmarkierungen stellen den größten Teil der Korpusbelege für diese Bewertungskategorie. Eine solche Verbindung gilt jedoch nicht für alle Fälle. Schon eine allgemeine Bewertung des Themas kann beziehungsrelevante Aspekte innehaben, wenn defizitäre Aspekte am Thema interpretierbar sind und das Thema eindeutig im Zuständigkeitsbereich eines Teilnehmers liegt. Sprachliche Realisierungen bewertender Aktivitäten reichen von metakommunikativen Sprechhandlungen bis hin zur andeutenden Setzung von Akzenten, die auf das Besondere, Brisante der folgenden Themenbearbeitung hinweisen (vgl. um von dem Thema nicht weiterzumachen, habe ich noch ein ga"nz anderes Thema jetzt hier\, 1/ 10/ 11-13). Bewertungen könnten als eine der möglichen Teilhandlungen des Handlungsschritts ‘Themeneröffnung’ angesehen werden (neben etwa: der Legitimierungsinitiative, der Fokussierungshandlung, dem Verdeutlichen der Bearbeitungsziele etc.). Mit bewertenden Aktivitäten setzen Sprecher gleichsam ‘Maßstäbe’, die in der folgenden Interaktion berücksichtigt werden müssen. So sagt der Betriebsratsvorsitzende (in ‘Meister-1’) am Ende der Eröffnung des Themenbereichs ‘Gerüchte’: also so langsam frag ich mich, ob das noch normal läuft\ (1/ 13/ 24) Der Werksleiter übernimmt das Rederecht (ohne explizit angesprochen zu sein), um seinerseits festzustellen: also ich muß auch sagen, ich habe das Gefühl/ ... (1/ 13/ 26) Der bewertende Ansatz des ersten Sprechers, Gerüchte entstünden auf eine ‘nicht normale’ Art und Weise, seine ‘Bewertungshaltung’, wird vom zweiten Sprecher übernommen. Auch dieser setzt zu einer (affektiven) Bewertung an. Statussuperiore Sprecher, wozu ich hier sowohl Vorgesetzte als auch Angestellte mit Sonderstatus rechnen will (beispielsweise den Betriebsratsvorsitzenden in ‘Meister-1’), verfügen über eine gewisse Macht, subjektive Bewertungsmaßstäbe über die anderer Gesprächsteilnehmer zur Durchsetzung konversationeller Ziele dominieren zu lassen. Währenddessen ist es für Statusinferiore ungleich risikoträchtiger, Bewertungen zu formulieren, die im institutioneilen Rahmen nicht objektivierbar sind (etwa ich fand das irgendwie ein bißchen blöd, VI/ 161/ 26, vgl. Abschnitt 6.3). Natürlich treten bewertende Aktivitäten nicht nur in Phasen auf, in denen neue Themen konstituiert werden. Bei Verhandlungsgegenständen, die divergente Sichtweisen und Bewertungen zulassen, kommt es in der Regel zu zeitlich versetzten Aushandlungsphasen, in denen Bewertungsmaßstäbe überprüft werden. Steuerung 179 7) Einbeziehen des Partnerimage Mit dem Einbeziehen des Partnerimage geht die stärkste Verhaltensfestlegung durch Themeneröffnungen einher. Mit ‘Einbeziehen’ des Partnerimage ist ein unglücklicher Terminus gewählt, der glauben machen könnte, daß das Partnerimage in bestimmten Fällen nicht von Bedeutung ist. Richtig ist eigentlich, daß die Imagebalance latent immer eine Rolle spielt. Vereinfachend kann allerdings festgehalten werden, daß die Imagebalance von Themeneröffnungen, die ein auf Sachverhaltsebene abzuhandelndes Thema initiieren, kaum berührt wird und im Hintergrund des Geschehens verbleibt (hierzu zählen etwa Themen wie ‘Fußballspiel’ und ‘Betriebsausflug’ in VI, VII und VIII, ‘Vorträge über Elektrotechnik’ in I und II, ‘Kehr- und Streudienst im Winter’ in I usw. 182 ). Solche Themen betreffen entweder nicht die Zuständigkeitsbereiche der Teilnehmer an der Mitarbeiterbesprechung, oder sie haben keine defizitären Aspekte inne, für die eine Verantwortungsanlastung in Frage käme, oder die Initianten verzichten auf beziehungsrelevante Bewertungen des Themas. Die Makrostrukturen von Themenbearbeitungen, die in einer ‘reinen’ Weitergabe von Informationen bestehen, ähneln Paarsequenz-Abfolgen (Frage - Antwort, Sachverhaltsdarstellung - Bestätigung des Erhalts) und werden in schneller Weise abgewickelt. 183 Das Einbeziehen des Partnerimage erfolgt durch Hinweise in der Themeneröffnung, die dem Hörer Aufschluß über ihre Werteinschätzung seitens des Themeninitianten geben können (vgl. Abschnitt 3.1.4). Der Initiant unternimmt Aktivitäten, die eine Darstellung des Fremdbilds mit evaluativen Aspekten verknüpft und in dieser Verbindung interpretierbar macht. Einer der erstaunlichsten Befunde bei der Analyse der Mitarbeiterbesprechungen war, daß Fremddarstellungen, die im Rahmen von Themeneröffnungen identifiziert werden konnten, fast ausnahmslos mit imagebedrohenden Qualitäten verbunden waren. 184 Ein typisches Beispiel: 182 Diese Themen konnten nur zu einem geringen Teil in die Analysen des Kapitels 4 eingehen. Es handelt sich ausnahmnslos um Themen der Klasse la (Abschnitt 4.3.1.4). 183 Damit sind nicht die komplexen Verhältnisse im Informationsgespräch ‘Bonusentlohnung’ angesprochen. In diesem Gespräch kommt es durch Problematisierungsinitiativen seitens der Arbeiterinnen zu Subthemenbearbeitungen mit vielseitigen Handlungsanforderungen an die Beteiligten. Bemühungen um Imagebalance bilden einen Teil der Bearbeitungen. Allerdings ist es charakteristisch für die Reaktionen der Gesprächsleiter, daß sie erhöhte Bearbeitungsansprüche zurückzustufen versuchen, um den informativen Stellenwert des Gesprächs beizubehalten bzw. zu reetablieren (vgl. Abschnitt 4.2.4.3). 184 Zwei Ausnahmen gibt es: Der Filialdirektor lobt die Bezirksleiter in ‘Bezirksleiter-2’ kurz vor Gesprächsende für herausragende Leistungen (VIII/ 220/ 23). Der Bereichsleiter für Logistik sagt zu den Meistern (in ‘Meister-2’) bei der Eröffnung des Themas ‘Inventur’: Sie sind die Verantwortlichen, und Sie können am ehesten auch solche schwierigen Fälle lösen und klären\ (II/ 34/ 9-11). Formulierungen dieses Typs haben eine motivierende Funktion. An anderer Stelle hatte ich darauf hingewiesen, daß von 180 Reden ist Chefsache Sie erinnern sich, ich hab ’s auch protokolliert, daß wir eigentlich in dieser Direktion kein Selbstbedienungsladen sein sollen, was Getränkeentnahme aus den Kühlschränken dahinten betrifft. (VIII/ 178/ 27 - 179/ 4) Der Filialdirektor fuhrt mit diesen Worten das Thema ‘Getränkeentnahme’ ein. In der Filiale der Versicherungsgesellschaft ist die Zahlungsmoral von Mitarbeitern zu bemängeln, da in die Kaffeekasse kaum Geld geworfen wird. Die Bezirksleiter sind von diesem Problem betroffen, weil sie gehalten waren, alle Mitarbeiter zur Einhaltung der Regeln anzuweisen (ich hab 's auch protokolliert kontextualisiert die monatliche Besprechung mit den Bezirksleitern). Außerdem vermittelt der Filialdirektor, daß auch die Zahlungsmoral der Bezirksleiter selbst Ziel der Beanstandung sein könnte. Die Bezirksleiter sehen sich gezwungen, ihre Einhaltung des damaligen Beschlusses zu beteuern und ferner dem Eindruck entgegenzuwirken, ihr eigenes Verantwortungsgefühl lasse zu wünschen übrig. Imagebedrohungen werden charakteristischerweise mit Vorwurfshandlungen etabliert. Vorwurfshandlungen sind eine spezifische Klasse problematisierender Aktivitäten in der Themeneröffnung. Die Identifizierung von Vorwurfshandlungen erfolgt anhand von Hinweisen auf explizite oder implizite Kritik oder eine Anlastung von Verantwortung für ein Problem. Die Klasse der Vorwurfshandlungen muß was die sprachlichen Mittel für ihre Realisierung betrifft offen gehalten werden. Vorwurfshandlungen stellen sich je spezifisch dar. Das Vorwissen der Gesprächsteilnehmer spielt eine wichtige Rolle. Bestimmte Aktivitäten können nur durch eine ethnographische und an den Sequenzeigenschaften interaktiven Handelns orientierte Analyse als Vorwurfshandlung identifiziert werden. 185 Aktivitäten des Typs ‘Vorwurfshandlung’ projizieren Interaktionsmuster einer Konfliktbearbeitung (Korrektive, Reparaturversuche, Prozesse zur Ausbalancierung der Images). Vorwurfshandlungen machen interaktionsmusterspezifische Folgeaktivitäten sowohl des ersten Sprechers als auch seiner Interaktionspartner in hohem Maße erwartbar. Die respondierende Aktivität muß selbstbildwahrend wirksam sein. Interessanterweise konnte in den Gesprächen der Versicherungsdirektion nachgewiesen werden, daß sich die Inspektoren zu weitaus mehr Zugeständnissen, Versprechungen, Entschuldigungen u.a. veraneiner Orientierung dieses Sprechers am Prinzip des ‘Management by objectives’ ausgegangen werden kann (Abschnitt 2.6). 185 Diesbezüglich sei die Äußerung des Filialdirektors wo war denn der Herr Holtmann, Herr Kaiser, am Freitag, zur Schulung\ genannt (VII/ 176/ 12, vgl. die Analyse von TA 4.17). Die unverfänglich scheinende Frage erwies sich im Kontext des vorangegangenen Ausdrucks von Ärger und aufgrund der deutlich erkennbaren Verlegenheitsreaktion mit anschließender Rechtfertigung des Bezirksleiters als eine klare Imagebedrohung. Steuerung 181 laßt sahen, als die Bezirksleiter in den beiden anderen Gesprächen. Letztere rechtfertigten sich eher durch Gegenargumente, Sachwissen und ‘kreative’ Lösungsvorschläge. Als Tendenz kann festgehalten werden, daß die betriebliche Gliederungstiefe (Distanz von Mitarbeiterpositionen im Organigramm), die sich in der Teilnehmerkonstellation spiegelt, einen Einfluß bei der Auswahl korrektiver Aktivitäten ausübt. Oder m.a.W.: Die Möglichkeiten zur Abwehr eines verbalen Angriffs sind abhängig vom Teilnehmerstatus. 186 Ein Aspekt, der die Identifizierung imagebedrohender Aktivitäten oftmals erschwert, ist der, daß die Sprecher unterschiedliche Mittel einsetzen, um die Gefahr für den Interaktionspartner zu relativieren. Eigenschaften dieser Aktivitäten mit einer relativierenden Funktion sind z.B. gehäufte Abbrüche und Formulierungsschwierigkeiten, Modalisierungen oder indirekte Sprechakte, positive emotionale Bewertungen des Themas oder die Vermeidung von namentlichen Adressierungen usw. Äußerungen wiejetzt wollt ich sie über etwas informieren können zum einen darauf hinweisen, daß der Sprecher (Vorgesetzte) eine Information darlegen will, bei der von seiner Seite keine Problemdefinition enthalten ist. Andererseits läßt sich für die Verwendung von informieren, mitteilen etc. bei einigen Fällen im Korpus eine ‘aufweichende’ Funktion nachweisen: Obwohl der Sprecher genau weiß, daß eine u.U. ‘heiße’ Diskussion um ein Problem bevorsteht, startet er das Thema mit Markierungen, die für einen ‘informativen’ Themenanspruch stehen oder ihn potentiell projizieren können. 187 Die Gründe für solche weichen Markierer stehen m.E. in Zusammenhang mit einer Präferenz der Sprecher, die Beziehung zu den Betroffenen nicht von vorneherein zu belasten, sondern über einen möglichst langen Zeitraum hinweg eine neutrale Beziehung (Imagebalance) zu wahren. Dafür spricht auch allgemein die Tatsache, daß die Lexeme ‘Problem’, ‘Kritik’, ‘Vorwurf, ‘Tadel’ und ‘Abmahnung’ in den Themeneröffnungen des Korpus mit einer Ausnahme nicht Vorkommen. Gerade für Angestellte läßt sich nachweisen, daß sie vor einer Problematisierung zunächst in typischer Weise eine ‘Beziehungsneutralität’ absichern. Dazu gehört, daß sie die Formulierung des Problemkems hinauszögern und bei Attacken gegen den Vorgesetzten den Gegenstand 186 Diese Tendenz kann man mit Abstrichen für die anderen Gespräche generalisieren. Der Vergleich zwischen Inspektoren und Bezirksleitern gilt analog für den Vergleich zwischen korrektiven Aktivitäten des Betriebsratsvorsitzenden (in ‘Meister-1’) und seiner Meisterkollegen und in einem weiteren Schritt zwischen Vorgesetzten und Angestellten. Statussuperiore Sprecher haben für ihr Image weniger zu ‘befürchten’ als die statusinferioren (Brown und Levinson 1987, S. 69). 187 Brown und Levinson (1987, S. 69) zufolge ist ein geringer Verschleierungsaufwand bei Imagebedrohungen für statussuperiore Sprecher typisch. Meine Korpusmaterialien zeigen hingegen, daß weder Vorgesetzte nur unverschleierte Angriffe starten, noch daß ‘scharf formulierte Angriffe für Angestellte tabu sind. 182 Reden ist Chefsache umschreiben (tabuisieren) und eine persönliche Adressierung ihrer Aktivität vermeiden. In der Auswahl konfliktvermeidender Mittel kommen neben der o.g. betriebsorganisatorischen Gliederungstiefe auch individualstilistische Faktoren zum Tragen. 188 Mit Thimm und Kruse (1993) könnten die individualstilistische Faktoren in kooperative und autoritative Führungseigenschaften unterschiedlicher Sprecher verzweigt werden. Wenn eine ‘Präferenz für Beziehungsneutralität’ in besonderer Weise für die Gespräche ‘Meister-1’, ‘Meister-2’, ‘Bonusentlohnung’ und ‘Agentur’ gelten kann, zeigen die Gespräche aus der Versicherungsdirektion deutlich andere Charakteristika. Der Filialdirektor unternimmt wenig Anstrengungen, das Image seiner Interaktionspartner vor Einbrüchen zu bewahren, sondern neigt im Gegenteil zu einer geringen Verschleierung seiner Angriffe (durch rhetorische Frageketten, stilistische Emphatisierung, negative emotionale Bewertungen, Polemik etc., vgl. die Abschnitte 4.2.4.4 und 4.3.3.2). Abschließend zeige ich einige der sprachlichen Mittel zur Etablierung von Handlungsimplikationen an einem konstruierten Beispiel. Die Darstellung folgt dem Schema: AktivitätlMiitQX (steuernde Funktion). Das Beispiel faßt die Eröffnungen des Themas ‘Tag der offenen Tür’ aus den drei Gesprächen der Versicherungsdirektion zusammen. Beim ‘Sprecher’ handelt es sich also um den Filialdirektor. Die Angabe ‘Subfokus’ ist daran orientiert, worauf die Inspektoren bzw. die Bezirksleiter in ihren Folgeaktivitäten Bezug nahmen. Okay. Jetzt Setzen des thematischen Umbruchs (Signal für SituationseröfFnung). wollte ich ihnen noch einiges mi"tteilen. Bezeichnen des Bearbeitungsanspruchs (Absichem von Beziehungsneutralität). Ein ziemlich wichtiger Punkt Allgemeine Themenaufwertung (Legitimieren des Themas). ist der Tag der offenen Tü "r. Thematische Fokussierung (Ausrichten der Aufmerksamkeitsorientierung, Aktualisieren hörerseitiger Wissensressourcen). Auch wenn dasjetzt etwas lä"nger dauert, Setzen des zeitlichen Rahmens, Themenaufwertung (Problematisierungsansatz). müssen wir Verschiedenes dazu genau"er besprechen. Anzeigen der Bearbeiterkonstellation und allgemeiner Handlungsverpflichtungen (Projizieren komplexer Relevanzverhältnisse). 188 Bestimmte Vorgesetzte demonstrieren bspw. ein vergleichsweise niedriges Interesse daran, sich am Schutz des Partnerimage im Vollzug von Korrektivsequenzen zu beteiligen, z.B. durch entgegenkommende Handlungszüge. Die Möglichkeit, solche Handlungszüge zu unterlassen, signalisiert allgemein, daß alltagsweltliche Regelungen für die konversationeile Ausbalancierung von Images in der Mitarbeiterbesprechung außer Kraft gesetzt werden können. Zugleich können solche Unterlassungen als stilistisches Merkmal (für ichzentrierten Partnerbezug, Sandig 1983, S. 170) gewertet werden. Steuerung 183 Ich habe erfahren, Wissenshintergrund (Aktualisieren innerbetrieblicher Grundlagen). daß sie seh"r we"nige Perso"nen eingeladen haben, Defizit und Problematisierung, Subfokus (indirekte Vorwurfshandlung). und dazu würde ich gerne ihre Grü"nde hören. Aufzeigen einer Leerstelle, Subfokus (Einfordem spezifischer Aktivitäten). Ich muß sagen, mich hat das sehr verärgert. Emotive, beziehungsrelevante Bewertung (Relevantsetzen des ‘Zwischenfalls’, Provozieren korrespondierender Gefuhlsarbeit). Sie wußten doch alle darüber Beschei "d, nicht wahr? Rhetorisches Absichem der Wissensgrundlagen (Festnageln des Partners). Trotzdem engagie"ren sie sich nicht. Verantwortung für Defizit (Vorwurf, Einfordem korrektiver Bemühungen). Da muß ich doch a"nnehmen, sie machten sich nicht genug Gedanken über den Si"nn der Veranstaltung. Beziehungsrelevante Bewertung und negative soziale Kategorisierung des Partners, Subfokus (Einklagen beruflicher Identifizierungspflichten). Ich kann ihnen nur raten, Ankündigen einer direktiven Weisung (Signal der Superiorität). noch sehne”listens Einladungen zu verschicken, Lösungsvorschlag, Subfokus (Anmahnen eines Arbeitsschritts). die Zeit würde noch reichen. Praktikabilitätsnachweis (Konkretisieren des Arbeitsschritts). Anders sehe ich kei"ne Möglichkeit, Markieren der Lösung als Diktat (Festlegen auf den Arbeitsschritt). daß wir nochmal so etwas anbieten. Anzeigen eines Superioren Bewertungsmaßstabs (Distanzierung vom Partner, Drohen mit Kooperationsentzug). Warum haben sie niemanden eingeladen, Herr Klein? Übergabe des Rederechts (Unmittelbarer Handlungszwang). 5. Kontrolle 5.1 Zum Gegenstand: Verfahren der Einstufung von Partnerbeiträgen zur Durchsetzung eigener Ziele Die in diesem Kapitel systematisierten ‘Kontrollverfahren’ sind Einsatzweisen von Sprache, mit denen Sprecher im interaktiven Austausch mit einem oder mehreren Partnern die Durchsetzung eigener Ziele ansteuem. Mit sprachlichen ‘Kontrollverfahren’ sind Handlungsweisen eines einzelnen als Reaktion auf Aktivitäten eines anderen im Hinblick auf ein Ziel gemeint. 189 Sie sind rhetorische Handlungsweisen mit persuasiver und manipulierender Zielrichtung. 190 Bei sprachlichen Kontrollverfahren unterscheide ich drei Dimensionen von Wirkrichtung und -fimktion. Es handelt sich um grundlegende analytische Dimensionen, die durch die sprachliche Äußerung i.a. gleichzeitig aktiviert werden und die sich z.T. überlagern. Die Kategorien bauen auf den in Kapitel 4 gewonnenen Einsichten in die sprachlichen Mittel der Steuerung auf: 1. Eine reaktive Dimension (R): Der ‘Umgang’ des Sprechers mit Handlungsimplikationen und -zwängen, die aus der Partneräußerung resultieren; die Form der Einlösung und Nicht-Einlösung konditioneller Relevanz und sequentieller Konditionierung; Formen der Ratifizierung und der Nicht-Ratifizierung von Partnerbeiträgen. 2. Eine evaluative Dimension (E): Die Einstufung oder Bewertung, die der Sprecher dem partnerseitigen Beitrag zukommen läßt; die Frage, ob sich die Realisierung des Kontrollverfahrens dominant derselben interaktionskonstitutiven ‘Ebene’ zuordnen läßt wie der partnerseitige Beitrag; die weitere Bearbeitung und die Manipulation der situativen Fokusrelevanz. 3. Eine prospektive Dimension (P): Die Handlungszwänge oder -implikationen, die sowohl für den Sprecher als auch für den Partner aus der Realisierung des Kontrollverfahrens entstehen; die Art und Weise der Modulierung der situativen Rahmenbedingungen des Handelns. In den folgenden Abschnitten wird jeweils ein Kontrollverfahren beschrieben. Zu den Verfahren werden Beispiele aus den Materialien des Korpus gegeben. Die Systematisierung ist das Ergebnis zweijähriger Arbeit. Aus einem Fundus von über 600 Belegen für rhetorische Handlungsweisen wurden Aktivitäten anhand diverser Merkmale zu Klassen gefugt. Jede dieser Klassen ergab ein ‘Verfahren’ mit in allen Realisierungsformen wiederkehrenden Charakteristika. Die Bezeichnung für ein einzelnes Kontrollverfahren hat den Stellenwert eines Typus, der sich im Vergleich rhetorischen Einsatzes von Sprache auf- 189 Sprachliche Kontrollverfahren sind in Abgrenzung von dem zu betrachten, was ich in Abschnitt 3.2.2 die kontrollierte Normalform der Kommunikation in Mitarbeiterbesprechungen genannt habe. Zur Einführung in die hier angewandte Betrachtungsweise vgl. Abschnitt 3.3. 190 Verwandtheit besteht zu den in der Schopenhauerschen Eristik beschriebenen Verfahren, zu den von Neuberger genannten Manipulationsverfahren (1987, vgl. auch Wahren 1987, S. 183), zu den Verfahren des Forcierens bei Kallmeyer und Schmitt (1996), zu den von Spiegel (1995) beschriebenen ‘Interaktionsblockaden’ beim Streiten u.a. Die Verwandtheitsgrade, Aspekte der Übereinstimmung und der Differenzierung kann ich aus Raumgründen nur bei einzelnen Kontrollverfahren ausführen. 186 Reden ist Chefsache grund übereinstimmender Eigenschaften von Aktivitäten herauskristallisierte. Die Bestimmung der Eigenschaften war qualitativ angelegt und richtete sich nach semantisch-pragmatischen Merkmalen im Hinblick auf die genannten analytischen Dimensionen (Reaktivität, Evaluativität, Prospektivität). Jeweils am Ende der Abschnitte wird eine Formulierung von ‘Merksätzen’ für die drei Dimensionen (R), (E) und (P) eines Kontrollverfahrens präsentiert. Die Bestimmung der Merkmale und die Klassifizierung der Kontrollverfahren sehe ich heute als verbesserungsfähig an. Mängel und Defizite weist meine Systematisierung vor allem im Hinblick darauf auf, wie Verfahrenskombinationen und Zweifelsfälle unterzubringen wären, deren Zahl in Gänze ungefähr zwanzig Prozent der Belege ausmachte. Für die Beschreibung einzelner Realisierungsformen von Kontrollverfahren (Beispielanalysen) werden sprachliche Mittel der Relationierung und Relevantsetzung von Fokussierungen, Bearbeitungsaufgaben im situativen Kontext und übergreifende Handlungsbedingungen (die Institutionsebene) von Interesse sein. Für die Gewichtungsverhältnisse, die durch Kontrollverfahren übernommen, verändert oder eingeführt werden, gelten die Betrachtungen, die weiter oben bereits zum Zustandekommen von Relevanzstrukturen angestellt wurden, insbesondere der Begriff der ‘situativen Fokusrelevanz’. Am Herstellen einer Fokusrelevanz und einer Relevanzstruktur können grundsätzlich alle Mittel beteiligt sein, die dem oder den Rezipienten als Interpretationshilfen zur Verfügung stehen. Bei Kallmeyer und Schmitt (1991, S. 160f.) findet sich eine überzeugende Auflistung solcher Mittel. Kallmeyer und Schmitt beziehen sich auf Ja-aber-Strukturen, deren Spezifik darin besteht, daß man im ersten Konnekt dem Partner (eingeschränkt) zustimmt, im zweiten Konnekt jedoch die Formulierung einer konträren Einstellung (eine oppositive Fokussierung) folgen läßt. 191 In Anlehnung an die Autoren, mit kleineren Erweiterungen, soll für die folgenden Mittel festgehalten werden, daß sie relevanzeinstufende Funktionen übernehmen können: extralinguistische Markierungen (Gestik, Mimik, auf den Tisch schlagen; demonstratives Wühlen in Papieren, während der andere spricht; Sich-Wegdrehen); paralinguistische Markierungen (Seufzen, lautes Ausatmen, Tonfall); prosodische Markierungen (Rhythmik, Akzente, Lautstärke, Tempo); 191 Vgl. die Beobachtungen von Kallmeyer und Schmitt (1991) zu dem, was sie das ‘NICHT-SONDERN Formativ’ nennen (Kallmeyer und Schmitt 1991, S. 90, 160-162). Allgemein handelt es sich um die in der Grammatik anerkannte Einsicht, daß in adversativen oder disjunktiven Satzverknüpfungsarten das zweite Konnekt eine höhere Gewichtung erfährt als das erste; die Gewichtung der Konnekte kann sowohl durch die entsprechenden Junktoren als auch durch Partikel unterschiedlicher syntaktischer Kategorien angezeigt werden, wie ‘zwar’, ‘schon’, ‘nur’, ‘aber’, ‘doch’ etc. (vgl. z.B. Engel 1988, S. 236f., Hoffmann 1991a und Eisenberg 1986 zu bestimmten Partikeln; Pasch 1994 zu Gewichtungen in einer Subklasse adversativer Verknüpfungen). Vgl. auch Kallmeyer (1978, S. 216) sowie Koerfer (1979). Kontrolle 187 - Adverbien und Partikeln (z.B. Indikatoren für die Modalität der Selbstverständlichkeit, Bewertungsausdrücke); - Substantive (Fachausdrücke, Vulgärvokabeln u.a.); syntaktische Konstruktionsverfahren (Konnexionen mit ungleicher Gewichtung der Konnekte); spezielle Fokussierungsverfahren (syntaktische Herausstellungen, sukzessive Fokussienmgsprozeduren); - Äußerungsumfang. Die situative Fokusrelevanz ist ein Resultat makro- und mikrostruktureller interaktiver Bedeutungskonstitution. Handlungsimplikationen, die durch Fokussierungen entstehen, werden von den Hörern interpretatorisch erfaßt; sie reagieren auf diese Implikationen mit Aktivitäten, die sie eigenen Interaktionszielen näherzubringen versprechen. Da die situativen Bearbeitungsaufgaben erheblich in ihrem sozial-interaktiven Stellenwert variieren können, sind die reaktiven Sprecherleistungen entsprechend von sehr unterschiedlichem Charakter. Häufig vorkommende ‘paarweise’ Aktivitäten sind solche, die hinsichtlich der dominant betroffenen Ordnungsebene der Interaktion auf gleichem Niveau einzuordnen sind, wie etwa Sachfrage/ Information, Proargument/ Contraargument, Vorwurf/ Rechtfertigung, Angriff/ Abwehr etc. Daneben konnten in den Materialien Ebenen- und Stilwechsel, Modifizierungen des Interaktionsmusters oder Serien von Angriffen, Kontern, Blockaden, Insistieren usw. in großer Zahl gefunden werden (vgl. hierzu Schwitalla 1987, Spiegel 1995). Ich beschränke mich in diesem Kapitel auf die Klassifizierung von Kontrollverfahren, in denen sich in irgendeiner Form ‘oppositive’ Einstellungen und Sichtweisen der Beteiligten manifestieren. Es existieren auch Interaktionsphasen, in denen ein kontinuierlicher Konsens vorherrscht und wo Realisierungsformen von Kontrollverfahren Vorkommen, die der Partneräußerung weniger korrigierend als vielmehr zustimmend antworten. Tatsächlich war es sogar die Meinung vieler meiner Informanten (insbesondere derer, die selbst Vorgesetzte sind), daß man durch Zuspruch, Bestätigung etc. den Gesprächspartner ‘motivieren’ und gleichzeitig den Fortgang des Gesprächs ‘kontrollieren’ und in die gewünschte Richtung ‘lenken’ könne. Ich muß die Überprüfung dieser Hypothese schuldig bleiben. 5.2 Systematisierung sprachlicher Kontrollverfahren in der Mitarbeiterbesprechung 5.2.1 Hervorheben der Position Die Positionen der Teilnehmer an der Mitarbeiterbesprechung - und damit zusammenhängend ihre jeweilige Weisungsbefugnis und Zuständigkeit spielen als elementare Handlungsgrundlage der Interaktion latent immer eine Rolle. Hinweise auf die Position können jedoch in unterschiedlicher Form an der 188 Reden ist Chefsache Oberfläche der Interaktion manifest werden. Eine der im Korpus häufig konstatierten Formen, auf Position und Befugnis zu referieren, sind verdeckte Formulierungen, die gerade denjenigen nicht bezeichnen, der die Befugnisse hat. Eine Arbeiterin spricht z.B. davon, daß sie Entscheidungen der Geschäftsleitung unterliegt. Dabei wird die eigene, inferiore Position angedeutet, bzw. sie ist durch den Kasus des erleidenden Agenten erkennbar: aber zum beispiel ka=ma=s morje passiern daß isch wieder niwwer kumm an den vierkammernstand/ (V/ \3%/ \\-\3). In einem solchen Fall sind konfliktvermeidende Funktionen der Verdecktheit erkennbar. Ein Beispiel für das Hervorheben der Positionen ist z.B. auch der Hinweis auf die Verteilung von Arbeitsaufgaben: die aufgaben haben im augenblick a"ndere\ (WL, 1/ 17/ 27). Der Sprecher versucht hier, eine brisante Diskussion zu vermeiden und die hohen Beteiligungsansprüche des Betriebsrats herunterzustufen. Bei einer Formulierung wie LACHEND: ei"stelle du=ma ke"ns mehr (Gl, III/ 62/ 17) fällt die Verwendung der Wir-Form auf (du=ma = ‘tun wir’, vgl. TA 5.43). Der Sprecher indiziert die hierarchische Ebene der Geschäftsleitung, um sich vorab gegen die Forderung nach einer neuen Bürokraft zu wappnen. 192 Das Hervorheben der Position erfolgt in den Materialien des Korpus als eine Einlösung der erforderlichen Legitimierung von Aktivitäten. Deren inhaltliche Dimension hat durch den Bezug auf das betriebsorganisatorische Programm gewissermaßen einen interaktionsrelevanten ‘Mehrwert’. Der Rückgriff auf die institutioneile Ebene des Gesprächs, auf der Positionen und Befugnisse in relativ fixen Organisationsprogrammen verortet sind, verspricht eine effektive Legitimierung. Bestimmte Fakten in der Organisation können vom Interaktionspartner nicht in Frage gestellt werden. Beim folgenden Beispiel handelt es sich um Ausschnitte der Themenbearbeitung ‘Inventur’ im Gespräch ‘Meister-2’. Der Bereichsleiter für Logistik (LO) sammelt Vorschläge und Anregungen für die Durchführung der Inventur kurz vor den Weihnachtsfeiertagen. Am Samstag, dem einundzwanzigsten Dezember, soll in Zusammenarbeit mit der EDV-Abteilung des Unternehmens die Kontrolle der Donnerstag und Freitag erfolgten Aufnahme stattfmden, und am Montag, dem dreiundzwanzigsten, eine gezielte Beseitigung von Einzeldifferenzen (Nachkontrolle). Für den Montag sind nur wenige Mitarbeiter vorgesehen. 193 Im Rahmen der Themeneröffnung verweist der Sprecher auf die 192 Es gibt also auf diesem Stand mindestens die folgenden Möglichkeiten, Positionen zu indizieren: a) explizite Zuweisungen von Befugnis, b) verdeckt verbalisierte Manifestationen disziplinarischer Verhältnisse und c) Prädikationen über positionengebundene Arbeitshandlungen. Diese Formen werden im vorliegenden Abschnitt weiter betrachtet, sofern sie sprachliche Kontrollverfahren konstituieren. 193 Dies hängt damit zusammen, daß LO aus betriebsrechtlichen Gründen den Personalbedarf für den 23.12. ‘auf dem Papier’, wie er selbst es ausdrückt, gering halten muß. Es hat wegen der Planung, und zwar v.a. wegen des Datums, Schwierigkeiten mit dem Betriebsrat gegeben. Kontrolle 189 Tischvorlage, auf der die für Samstag und Montag gewünschte Anzahl der Personen aus den einzelnen Kostenstellen aufgefuhrt ist. Kennzeichnend für den Einbezug der Tischvorlage sind mehrere deiktische Ausdrücke: hier [...] au'fgeschrieben (Z. 1, 3), diese notiz (Z. 4), wie ich geschrieben habe (Z. 7- 8): (5.01) 1 LO verteilerA * jetzt hab ich hier mal die a"nzahl 2 LO der personen die ich meine aus den ko"stenstellen 3 LO * zu benötigen au"fgeschrieben\ * und wenn sie 4 LO diese notiz lesendann sehen sie daß ich sie 5 LO darum bi”tte/ * das auf freiwilliger basis 6 LO zusa"mmen zu bekommen\ * diese ma"nnschaft\ * und 7 LO ich würde mir auch wü"nschen/ * wie ich geschrieben 8 LO habe/ * daß sich die mannschaft * aus * Vorarbeitern 9 LO und meistern ** äh rekrutiert- ** äh *2,3* meister-2/ 33 Dieser Ausschnitt wurde zitiert, um in die konzeptuelle Planung von LO zur Verfahrensweise bei der Inventur einzuführen. Drei Punkte sind wichtig: 1) LO hat die gewünschten (nicht namentlich genannten Mitarbeiter) nach Anzahl pro Kostenstelle sortiert, 2) die Mitwirkung soll auffreiwilliger basis erfolgen, 3) LO wünscht sich, daß Meister und Vorarbeiter teilnehmen. Nach der Themeneröffnung werden Aspekte der ‘Inventur’ in subordinierten Interaktionsschemata von den Anwesenden bearbeitet. Im einfachsten Fall handelt es sich um Verständnisfragen, die durch eine Erweiterung der Sachverhaltsdarstellung durch LO beantwortet bzw. geklärt werden. Der folgende Ausschnitt zeigt eine subordinierte Sequenz, die mit einer Verständnisfrage eines der Meister beginnt (ab Z. 3): (5.02) 1 GP gleitzeit hä"tten\ * ja/ 2 M8 mhm=m/ ** 3 M9 öh- * i hab da au no was/ sa”mschtags/ da steht 4 M9 vun uns' unsre koschtenstelle gar net drauf/ 5 M9 brauchen se da von uns nie"mand/ r nein/ * gut\ 6 LO L nein\ 7 LO nein\ * öh * da"s hab ich mir gedacht weil wir äh * 8 LO eigentlich da mehr in die a"nderen bereiche ein * 9 LO r äh gehen wollten/ * am montag zur na"chkontrolle 10 M9 L gut\ 11 LO vielleicht ja" das iss r auch net' 12 M9 L nä am mo"ntag kumm i net 13 M9 do\ #KURZES AUSATMEN, DANN SCHNIEFEN meister-2/ 43 190 Reden ist Chefsache Die ersten zwei Beiträge im Ausschnitt (GP und M8) zeigen das Ende der vorangegangenen Subthemenbearbeitung, bei der es um die Verrechnung der in die Inventur investierten Arbeitszeit ging. M9 startet nun mit öh- * i hat da au no was/ (Z. 3) eine Übernahme des Rederechts und markiert zugleich die Eröffnung eines neuen thematischen Abschnitts. Mit dem Lexem sa"mschtags/ (Z. 3) leistet er eine Fokussierung, die den zeitlichen Bezugsrahmen seiner folgenden Äußerung nennt. Zugleich referiert sa"mschtags/ im übergreifenden thematischen Kontext auf einen spezifischen außersprachlichen Sachverhalt (Kontrolle der Inventuraufnahme). Sowohl dieses syntaktisch abgegrenzte Element als auch der darauf folgende Äußerungsteil da steht vtm uns' unsre koschtenstelle gar net drauf/ (Z. 3-4) ist in bezug auf die Tischvorlage und konkret darauf kontextualisiert, was dort flir den Samstag an Personen aufgefuhrt ist. Schließlich richtet der Meister eine Frage an LO: brauchen se da von uns nie"mand/ (Z. 5). Nachdem LO die Frage mit ‘Nein’ beantwortet hat (Z. 6), ratifiziert der Meister die Antwort in einer Form, die deutlich eine relevanzrückstufende Funktion erkennbar werden läßt: nein/ * gut\ (Z. 5). Allgemein könnte gesagt werden, daß mit der Beantwortung der Frage der Bearbeitungsbedarf von M9’s Initiative erfüllt ist, was er mit der Bestätigung anzeigt. Die Auflösung des Fokus könnte unmittelbar im Anschluß erfolgen, indem man das Thema wechselt. 194 M9’s Beitrag kann jedoch auch als Verständnisfrage aufgefaßt werden, als regulärer Handlungsschritt im Rahmen einer Tnformationsweitergabe’. Solche Verständnisfragen können sehr umfangreiche Erweiterungen der Sachverhaltsdarstellung durch den Initianten des Themas provozieren. LO unternimmt eine solche Erweiterung. Zwei Teile können bei seinem Beitrag unterschieden werden: - LO formuliert zunächst eine Begründung, warum die Kostenstelle von M9 für den Samstag nicht auf der Tischvorlage aufgefuhrt ist: nein\ * öh * da"s hab ich mir gedacht weil wir äh * eigentlich da mehr in die a"nderen bereiche ein * äh gehen wollten/ (Z. 7- 9). Das Nennen dieses Grunds (M9’s Bereich ist am Samstag nicht speziell betroffen) bestätigt M9 erneut mit gut\ (Z. 10). Die Äußerung LO’s weist drei gefüllte Pausen und eine modalisierende Partikel (eigentlich, Z. 8) auf. Zusammen mit der Formulierung da "s hab ich mir gedacht können diese als Indizien dafür interpretiert werden, daß der Sprecher den Geltungsanspmch seiner Prädikation einschränken möchte. Insgesamt wird die laufende Planung zur Inventur als nicht abgeschlossen gekennzeichnet. Der Sprecher stuft seine Ausführungen gleichsam als ‘Gedankengang’, als ‘Inszenierung’ eines kognitiven Prozesses ein. 195 194 Die Form nein/ * gut\ markiert eine Fokusauflösung und Rückstufung (Kallmeyer 1978, S. 215f). Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2.1.1: Das themenorganisatorische Potential von gut\ wird beim Hören durch den fallenden Grenzton klar erkennbar. 195 Vgl. hierzu Klein et al. (1994): „Inszenierungen [nach Kallmeyer und Schmitt 1991a u.a.J verdeutlichen z.B. vielfach spezifische emotionale Zustände oder Vorgänge wie ‘außer sich sein’, ‘von Gefühlen überwältigt werden’ usw. Daneben gibt es eine Reihe unterschiedlicher Formen der Inszenierung des Gefangenseins in kognitiven Prozessen (z.B. ‘lautes Denken’ vs. ‘spontaner Einfall’)“ (Klein et al. 1994, S. 188). Kontrolle 191 - Im Anschluß daran führt LO seine Erläuterungen zur Planung mit am montag zur na"chkontrolle vielleicht ja" das iss auch net' (Z. 9, 11) fort. Auch hier verwendet LO wieder abschwächende Modalisierungen (vielleicht [...] das iss auch net'). Entscheidend ist an dieser Stelle, daß LO mit montag zur na"chkontrolle den etablierten zeitlichen Bezugsrahmen (‘Samstag’) verlagert und dadurch eine Veränderung der Aufmerksamkeitsorientierung provoziert. Auffällig ist auch, daß LO nicht die Bezeichnung des Wochentags, sondern der durchzuführenden Arbeitshandlung akzentuiert: na"chkontrolle. Damit wird ganz klar, welche Schwerpunkte in der laufenden Interaktion für ihn relevant sind: Die effiziente Durchführung der geplanten Arbeitsschritte hat Vorrang vor Zeit- und Personalfragen. An dieser Stelle startet der Meister einen überlappenden Beitrag, der LO zum Abbruch seiner Aktivität veranlaßt. M9’s Äußerung nä am mo"ntag kumm i net do\ (Z. 12-13) ist eine Reaktion auf die Fokusverlagerung und auf den planerischen Gedankengang LO’s, bei Bedarf einen Einsatz des Meisters (und evtl, seiner Mitarbeiter) für den Montag zu verlangen. Betrachtet man diese Äußerung in Zusammenhang mit der Themeneröffnung LO’s, dann könnte man davon ausgehen, daß M9 die Möglichkeit wahrnimmt, seine Teilnahme am Montag in Frage zu stellen. LO hatte ja davon gesprochen, die Mannschaft auffreiwilliger basis zusammenzustellen, und die Beteiligung der Meister als seinen ‘Wunsch’, nicht jedoch als definitive Aufgabenzuweisung behandelt (vgl. den anfangs zitierten Ausschnitt TA 5.01, Z. 5 bzw. 7). Die Äußerung des Meisters gibt Anlaß zu einer Reihe von Reaktionen, zunächst von seiten LO’s und dann WL’s. Diese Aktivitäten besitzen jede für sich die Funktion, den Meister umzustimmen. Seine Äußerung ist problematisch, und die Folgeaktivitäten seiner Partner beinhalten kontrollierendes Potential. (5.03) 11 LO 12 M9 13 M9 K 14 LO 15 M7 16 LO 17 LO 18 X 19 LO K 20 LO 21 LO 22 WL meister-2/ 44 vielleicht ja" das iss r auch net' L nä am mo"ntaq kumm i net do\ ##KURZES AUSATMEN, DANN SCHNIEFEN am montag hab ich nur gedacht daß wir r eben L mhm/ der glei"chbehandlung wegen auch * eben * zwei Leute von ih"nen |dazunehmen\ nich/ * denn L mhm\ kontrollieren können sie auch * laufend an anderen # abtei"lungen\ * wir werden es ja auch nicht so ganz schro' schroff r abteilungsbezogen machen\ L okay\ des Mit dem einleitenden Satz am montag hab ich nur gedacht (Z. 14) paraphrasiert LO die Kennzeichnung seiner Rede als planerischen Gedankengang (vgl. 192 Reden ist Chefsache Z. 7). Die Partikel nur signalisiert allerdings sehr früh, daß LO der Einstellung des Meisters nicht zustimmt und die Gewichtung der eigenen Einstellung hervorhebt (Engel 1988, S. 236f.). 196 Der Bereichsleiter gibt zu verstehen, daß er wegen der glef'chbehandlung (Z. 16) auch Mitarbeiter aus M9’s Bereich berücksichtigen will: daß wir * eben der glef'chbehandlung wegen auch * eben * zwei leide von ih"nen dazunehmen\ (Z. 14, 16-17). Auffällig ist, daß LO sich auf Mitarbeiter aus M9’s Bereich (von ih"nen) bezieht, während M9 nur von sich selbst gesprochen hatte (kumm i net, Z. 12). Durch die ‘Herausnahme des Adressaten’ aus seiner Äußerung (Schwitalla 1987) vermeidet der Bereichsleiter zunächst das Entstehen eines allzu scharfen Konters. Mit dem folgenden denn kontrollieren können sie auch * laufend an a"nderen abtei"lungen\ (Z. 17, 19-20) legitimiert LO seine konzeptuelle Planung nach organisatorischen Gesichtspunkten. Schließlich ordnet er die Beteiligung des Meisters in die globale Planung ein: wir werden es ja auch nicht so ganz schro' schroff abteilungsbezogen machen\ (Z. 20-21). Durch die personale Verweisform wir und die adverbiale Einheit nicht [...] schroff abteilungsbezogen zeigt LO an, daß er über eine übergeordnete betriebswirtschaftliche Sichtweise verfugt. Es summieren sich hier insgesamt retroaktive Anzeichen für einen problematischen Gehalt von M9’s Äußerung, am Montag nicht kommen zu wollen (Z. 12-13): die konfliktvermeidende Tendenz, das Einfuhren eines Modus der Selbstverständlichkeit, das Legitimieren der konzeptuellen Planung und der abschließende Wechsel zum gruppenspezifischen Sprecherstatus. 197 Die Erweiterung der Sachverhaltsdarstellung im Rahmen einer Frage-Antwort-Sequenz ist durch den Beitrag M9’s unterbrochen worden. M9 hat den nach der Fokusverlagerung relevanten Aspekt (‘Mitarbeit am Montag’) nicht ratifiziert. Für LO ist die explizit manifestierte Nichtakzeptanz des Meisters problematisch, weil sie seinem (idealen) Planungsziel entgegenwirkt. Zwei Kernpunkte der Planung sind von M9’s Äußerung betroffen: die Freiwilligkeit und der Wunsch nach Beteiligung von Meistern und Vorarbeitern am Montag. Implizit werden beide Aspekte auch in LO’s Reaktion erkennbar. Symptomatisch für die ambivalente Funktion des Beitrags ist die personale Verweisform sie in denn kontrollieren können sie auch [...], die sowohl auf M9 als auch auf dessen Mitarbeiter referieren kann. Insgesamt kann der Beitrag von LO nicht nur verstanden werden als eine an Solidarität (‘Gleichbehand- 196 Die zweimal verwendete - und zudem durch Segmentierungen hervorgehobene - Partikel eben (Z. 14, 16) zeigt ebenfalls, daß LO den Geltungsanspruch seiner Prädikation bestärkt (als Ausdruck von Selbstverständlichkeit; vgl. auch die Partikelja in Z. 20). 197 Diese Elemente tauchen in vielen Kontrollverfahren auf. Verallgemeinernde Stellungnahmen des Vorgesetzten sind gerade in Bearbeitungen nicht abgeschlossener Planungsprozesse relativ typisch. Sie können signalisieren, daß der Sprecher der Bearbeitung problematischer Aspekte seiner Planung ausweicht (vgl. etwa das Verfahren des Pauschalisierens, Abschnitt 5.2.11). Kontrolle 193 lung’) appellierende Sprechhandlung, sondern auch als eine verdeckte direktive Weisung: M9 wird hier zu einer Wahrnehmung von Pflichten ermahnt, die seine Position mit sich bringt. Der letztere Aspekt spielt nun in der folgenden Äußerung von WL eine schon erheblich wichtigere Rolle: (5.04) 21 LO ganz schro' schroff r abteilunqsbezogen machen\ 22 WL L okay\ des 23 WL wird * der herr Kühn in den nächsten tagen noch 24 WL genau fe"stlegen ob sie da am platz auch noch 25 WL gebrau"cht werden oder nich oder wenn jemand von 26 WL ihnen noch gebrau"cht wird (wenn ja hier) am 27 WL mo"ntag unn dann-' ** meister-2/ 44 WL leitet seinen Beitrag mit okay\ (Z. 22) ein. Das Element trägt typische Kennzeichen eines Gliederungssignals. Der Sprecher zeigt an, daß die laufende Interaktionsphase aus seiner Sicht an einem vorläufigen Abschluß angelangt ist. Mit dem Satz des wird * der herr Kühn in den nächsten tagen noch genau fe"stiegen (Z. 22-24, Herr Kühn = LO) wird deutlich, daß WL den Gegenstand (die fragliche Beteiligung M9’s) als derzeit nicht relevant einstuft, bzw. für die aktuelle Interaktion rückstuft. Die Beteiligung von M9 ist von zukünftigen Entscheidungen LO’s abhängig (worauf das Futur und die Angabe in den nächsten tagen verweisen). Mit der Formulierung des wird * der herr Kühn [...] noch genau fe"stiegen übernimmt WL die übergeordnete betriebswirtschaftliche Sichtweise. Er stellt den laufenden Entscheidungsprozeß im Arbeitsbereich von LO dar. Weiterhin referiert der Sprecher auf die Weisungsbefügnis von LO. Nicht die Frage, ob M9 sich beteiligen will oder nicht, sondern die ‘Festlegung’ des Bedarfs ist relevant. Dabei stehen sich die Möglichkeiten, entweder M9 selbst oder das Personal aus seinem Bereich zu benötigen, gleichgewichtet gegenüber: oh sie da am platz auch noch gebrau"cht werden oder nich oder wenn jemand von ihnen noch gebrau"cht wird (Z. 24- 26). Die Reaktion von WL gibt Aufschluß über die Gewichtungsverhältnisse einzelner Überlegungen und Eventualitäten im Zusammenhang mit der komplexen Arbeitshandlung ‘Inventur’. Der Personalbedarf für bestimmte Arbeitshandlungen hat Vorrang vor den Wünschen einzelner Mitarbeiter, und die Entscheidung des Bereichsleiters für Logistik ist maßgeblich für den Einsatz der Mitarbeiterkräfte. Die Formulierung des wird * der herr Kühn [...] noch genau fe"stiegen bringt diesen Zusammenhang zum Ausdruck. Die Äußerung wirkt im Vergleich zu denen LO’s die einleitende Modalisierungen bzw. Abschwächungen aufweisen {hab ich mir/ nur gedacht) um einiges affirmati- 194 Reden ist Chefsache ver. 198 Gleichwohl greift LO im folgenden ebenfalls auf die Möglichkeit zurück, auf seine Position hinzuweisen: (5.05) 27 WL mo"ntag unn dann-' ** 28 LO ja wir wollen das ja freiwillig 29 LO erstmal versuchen #unn >wenn=s freiwillig nich geht K #WIRD KONTINUIERLICH LEISER 30 LO und dann müssen wir halt jemandem was blasen das 31 LO iss ganz einfach\< ** mhm/ # 32 WL gell/ 33 M9 mhm\ 34 WL #do glotscht\# K #LACHEND meister-2/ 44 Da WL den laufenden Entscheidungsprozeß unter der Leitung von LO fokussiert hat, kann sich dieser unmittelbar darauf beziehen: ja wir wollen das ja freiwillig erstmal versuchen (Z. 28-29). Die erste Realisierung der Partikel ja, in initialer Position, könnte als ‘konjunktionaler Anschluß’ an die Äußerung von WL verstanden werden. In dieser Funktion würde deren Gewichtung durch LO’s angeschlossenen Beitrag noch erhöht (Engel 1988, S. 743). Die Formulierung wir wollen das [...] versuchen verweist auf die an der Planung beteiligten Personen, nämlich LO und WL, und knüpft so an die in den vorangegangenen Äußerungen manifeste globale Sichtweise an. Das Verweiswort das indiziert die konzeptuelle Planung der Inventur. Die zweite Verwendung der Partikel ja hat die Funktion, den inhaltlichen Aspekt von LO’s Äußerung als ‘allgemeinen Konsens’ zu unterstellen (Engel 1988, S. 235). Insgesamt kann diese Formulierung als Fazit zu LO’s Konzept verstanden werden. Das Lexem freiwillig kontextualisiert einen Schwerpunkt in der Planung, und das Verb versuchen deren Unabgeschlossenheit. Mit dem Element freiwillig erstmal wird schließlich impliziert, daß es neben der Mitarbeit auf freiwilliger Basis auch alternative Möglichkeiten gibt. Der Sprecher leistet so eine Projektion dessen, was er im folgenden formuliert. Er gibt zu verstehen, daß eine mangelnde Leistungsbereitschaft Konsequenzen nach sich ziehen kann: unn >wenn=sfreiwillig nich geht dann müssen wir haltjemandem was blasen das iss ganz einfach\< (Z. 29-31). Die Formulierung jemandem was blasen kann als metaphorischer Ausdruck für ein Mittel aufgefaßt werden, Druck auf den jeweiligen Mitarbeiter auszuüben (denkbare Konsequenzen wären z.B. Abmahnungen, Streichung von Betriebsprämien, Zitieren zu Beurteilungsgesprächen beim Ressortleiter etc.). 198 In diesem Zusammenhang kann daran erinnert werden, daß WL in einem engeren Arbeits- und Vertrautheitsverhältnis zu den Meistern steht als LO und daß er deshalb vielleicht schneller als dieser auf die Möglichkeit der Direktive rekurriert. Kontrolle 195 Auffällig ist, daß der Sprecher während der Formulierungsprozedur immer leiser wird, bis er schließlich fast im Flüsterton explizit die Selbstverständlichkeit des Gesagten markiert: das iss ganz einfach\. Das Leiserwerden, in Verbindung mit einem Wechsel zu schnellerem Sprechtempo (Z. 29), konstitutiert hier eine deutliche Emphatisierung des Geltungsanspruchs im rhetorischen Sinne. Daß sich der Meister M9 mit jemandem angesprochen fühlen soll oder kann, bestätigt er selbst, indem er nach dem Beitrag des Bereichsleiters und dem lakonischen gell/ (Z. 32) des Werksleiters wieder auf den Floor zurückkehrt. Er äußert eine Minimalreaktion, die lediglich die Rezeption des Gesagten ausdrückt (mhm\, Z. 33), offensichtlich ist er jedoch durch LO in die Defensive gedrängt worden. Er macht einen ‘betretenen’ Eindruck, was WL zu der lachend realisierten Äußerung do glotscht\ (Z. 34) veranlaßt. Zusammenfassend könnte gesagt werden, daß LO, nachdem der Werksleiter auf die Befugnis des Bereichsleiters aufmerksam machte und die Relevanzstrukturen in der Planung der Inventur verdeutlichte, selbst die Relevanz eines Kernpunkts seiner Planung, und zwar ‘Freiwilligkeit’, explizit an die Bedingung der effizienten Inventurdurchführung knüpft. Diese Bedingung existiert ohne Alternativen. Die Vorgesetzten kooperieren dahingehend, die Effizienz der Inventur nicht von dem Einsatzwillen M9’s abhängig machen zu wollen, sondern im Gegenteil, dessen Einsatz bei entsprechendem Bedarf voraus- und ggf. gegen seinen Willen durchzusetzen. Der Beitrag von M9 (nä am mo"ntag kumm i net do\) unterbricht eben nicht allein den Vollzug der von ihm eröffneten Frage-Antwort-Sequenz, sondern sie gefährdet u.U. die effiziente Durchführung einer komplexen Arbeitshandlung. Daß die Vorgesetzten auf die Äußerung des Meisters in dieser Form reagieren, könnte mit der Tatsache Zusammenhängen, daß der Meister keinerlei Initiative ergreift, um seine Einstellung im Hinblick auf institutioneile Zielsetzungen zu legitimieren. Ebenso versäumt er es, eine wenigstens eingeschränkte Zustimmung zu der konzeptuellen Planung LO’s zu formulieren, was konfliktreduzierend wirken könnte. Ein Hervorheben der Positionen wird von den Sprechern in der Mitarbeiterbesprechung vor allem dann realisiert, wenn auf sachlicher, inhaltlicher Ebene im argumentativen Austausch kein Konsens (mehr) herstellbar scheint. Charakteristischerweise konnten Vorkommensweisen dieses Verfahrenstypus bei fortgeschrittenem Bearbeitungsstand von Problembearbeitungsmustem und rituellen Konfliktbearbeitungen nachgewiesen werden. Das Hervorheben der Positionen erfolgt mit Rekurs auf eine asymmetrische soziale Relation, die mehr als interaktioneile Beteiligungsrechte auch die Dimension makrosozialer Machtverhältnisse umspannt. Makrosoziale Vorbedingungen des Interagierens rücken in den Vordergrund des situativen Rahmens. Daß das Anzeigen von Befugnissen im Beispiel erst in der Folge anderer Aktivitäten der Vorgesetzten steht, spiegelt seine soziale Brisanz. Fakten des Organisationsprogramms werden relevant gesetzt und müssen im folgenden berücksichtigt 196 Reden ist Chefsache werden. Das Hervorheben der Position in Themenbearbeitungen ist ein ultimatives Signal, das den ‘Schlußpunkt’ setzt, Argumentationsketten abbricht und thematische Schwerpunkte im Fokusvordergrund durch Verweise auf die Organisationsstruktur des Unternehmens sozusagen ausblendet oder substituiert (im Sinne von „Sie sollten das richtig finden, weil ich es von Ihnen verlangen kann“) (vgl. Abschnitt 6.3.3). Werden Positionen zu Beginn einer Themenbearbeitung hervorgehoben, muß davon ausgegangen werden, daß das Thema eine problemträchtige (mündliche und ggf. schriftliche) Vorgeschichte hat. Dies gilt etwa für die Vorgesetztenäußerung Sie" können [...] diese Bedarfsanmeldung nicht stellen (I/ 6/ 5-8) in einer Themeneröffnung (vgl. TA 3.01). In diesem Fall wird die Vorgeschichte der betreffenden Bedarfsanmeldung durch deren Fokussierung aktualisiert. Der Einsatz des Kontrollverfahrens gleich zu Beginn der Themenbearbeitung hat gleichwohl ein starkes steuerndes Potential: In der kommenden Themenbearbeitung können die Meister inhaltlich argumentieren; auf eine Entscheidungsteilhabe werden sie jedoch aufgrund der Eingeschränkheit ihrer Befugnisse nicht mehr zielen können. Bei fast allen Vorkommensweisen des Kontrollverfahrens handelt es sich um Aktivitäten des Vorgesetzten. Die Realisierungsformen des Kontrollverfahrens überschneiden sich mit Aktivitätstypen wie ‘Insistieren’ (auf Arbeitsschritten, deren Effizienz vom Interaktionspartner in Frage gestellt wurde), ‘Widersprechen’ (beim Entziehen einer Kompetenz, die vom Partner beansprucht wurde) oder ‘Drohen’ (Androhen von Konsequenzen aus einer wie auch immer ausgedrückten Leistungsverweigerung) u.a. Diese Realisierungsformen stehen in Zusammenhang mit der Aktualisierung einer globaleren Sichtweise bezüglich des Bearbeitungsgegenstands. Der Sprecher manifestiert eine Einsicht in umfassende Organisationsstrukturen. Damit hebt der Sprecher die Beteiligungsschwelle des Interaktionspartners an und markiert dessen Zugehörigkeit zu einer inferioren hierarchischen Ebene. Hervorheben der Position: (R): Der Sprecher begegnet der Partneräußerung mit einem Fakt der Untemehmensorganisation (personelle Kompetenzen und Befugnisse). Handlungsimplikationen können in sequentieller Hinsicht eingelöst werden; in ihrer Bedeutung für den außersprachlichen Handlungskontext werden sie jedoch nicht ratifiziert. Der Handlungszug des Partners kann in bestimmten Fällen als Verletzung institutioneller ‘Regeln’ dargestellt werden. (E): Die Konstitution thematischer Bearbeitungen wird weitergeführt. Das Kontrollverfahren hat jedoch einen informationeilen ‘Mehrwert’ in bezug auf die betriebliche Organisation. Die interaktionelle Relevanz des Partnerbeitrags wird im Verhältnis (Relevanzstruktur) zuruckgestuft. Kontrolle 197 (P): Durch das Hervorheben der Position gerät die institutionelle Ebene des Gesprächs zur dominant vorgelagerten, interaktionsrelevanten Handlungsgrundlage. Der Partner ist gefordert, die Distribution von Befugnissen anzuerkennen. 1 ® 9 5.2.2 Abwerten der Partneraktivität Abwertungen der Partneraktivität sind Aktivitäten, die nicht auf derselben interaktionellen Ebene das fortsetzen, was in den Aktivitäten des Partners im Vordergrund stand. Sie konstituieren eine Zäsur im Prozeß der Bedeutungsherstellung. Bei Abwertungen der Partneraktivität handelt es sich in der Regel um eine übergangslos vorgebrachte Kritik am Partnerbeitrag, eine explizite und negative Bewertung auf der Metaebene der Kommunikation, wie etwa herr Schmi"dt- * >äh äh< i weiß net ihre emssagen nehm ich meistens ne"gativ entgegen\ (DI, VI/ 162/ 3). Herr Schmidt hatte unmittelbar zuvor die Verkaufsschulungen in der Filialdirektion nach eigenen Kriterien bewertet (s. die Analyse von TA 6.06). Als Reaktion spricht der Filialdirektor dem Partner in einem gewissen Sinn ab, zielgerechte (Konversations-)Leistungen erbringen zu können. Ein anderes Beispiel ist die Äußerung BELEIDIGTER UNTERTON: s=war doch nur ne fra"ge\ (SV, IV/ 93/ 4). Sie bezieht sich auf die letzte Äußerung desselben Sprechers, des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden (SV). Auf eine Frage hatte sein Partner (der Betriebsratsvorsitzende) in gereiztem, belehrendem Ton geantwortet. Daß SV in der zitierten Form reagiert, zeigt gewissermaßen, daß er den Tonfall von BV in dessen Antwort als unangemessen bewertet. Beide hier genannten Beispiele zeigen negative Bewertungen von Beitragsqualität, die der partnerseitigen Prädikation nicht auf der Sachverhaltsebene begegnen. Der Sprecher verläßt vielmehr die Sachverhaltsebene und formuliert eine Bewertung, die vordergründig als Beitrag zur Definition der in der aktuellen Situation gegebenen, interpersonalen Beziehung verstanden werden kann; man ‘wird persönlich’. Als Folge dieses Ebenenwechsels ist der Interaktionspartner tendenziell davon abgehalten, mit der nächsten Aktivität auf der Sachverhaltsebene zu beharren. Er ist in einem gewissen Maß gezwungen, der beziehungsrelevanten Beurteilung seiner Aktivität zu begegnen. Der Ebenenwechsel, von der sachverhaltsbezogenen Aktivität zur ‘Beziehungshandlung’, kann unterschiedliche Erscheinungsformen zeigen. Typisch ist der Wechsel zur metakommunikativen Ebene. Dabei spielt der inhaltliche Gegenstand der Metakommunikation eine große Rolle. 200 Entscheidend scheint mir 199 Reaktionen der Partner auf ein Hervorheben der Position sind: Ausstieg aus der Beteiligung (III/ 62/ 18), Minimalreaktion (11/ 44/ 31), Rechtfertigungen (VI/ 164/ 20), Thematisieren von Befugnissen (1/ 6/ 9, V/ 138/ 18), Eröffnen von Nebenkommunikation (Ausgrenzen des ‘kontrollierenden’ Vorgesetzten, VII/ 180/ 18) u.a. 200 Schwitalla (1987, S. 145) nennt fünf einschlägig untersuchte Objekte interaktionsreflexiver Äußerungen: Sprechakte und deren Teilaspekte, Sprachverstehen, Konversati- 198 Reden ist Chefsache jedoch die pragmatische Funktion des Ebenenwechsels und des bewertenden Handlungszuges zu sein. Beide verfugen über ein außerordentlich hohes Potential, situative Rahmenbedingungen des Interagierens weitgreifend zu verändern. Negative Bewertungen des Partnerbeitrags können wie im folgenden Beispiel aus dem Betriebsratsgespräch auch in Ketten auftreten. Mehrere bewertende Aktivitäten folgen dann aufeinander. Der Ausschnitt zeigt eine Stelle vom Beginn des Gesprächs, als der Vorsitzende noch mit dem Verlesen des Protokolls der letzten Sitzung beschäftigt ist: (5.06) 1 BV daß der investitionsplan zurückgefahren wird- * hab 2 BV ich mitgeteilt\ ** unn daß ** des #werk eins ** K #LEISER WERDEND 3 BV eventuell geschlossen wird- ** unn des personal ** 4 BV trotzdem übernommen werden soll * hab ich 5 BV berichtet\# * 6 R2 waru"m' was soll des gschlosse wem/ *2,6* K #BV BLÄTTERT IN UNTERLAGEN 7 BV sigscht des is' weil=d net da" warscht\ K # 8 R3 eben\ betriebsrat/ 71 Der Beitrag des Betriebsratsvorsitzenden zu Beginn des Ausschnitts ist aus Äußerungsteilen konstituiert, die zwei deutlich differenzierbare Funktionen voneinander unterscheiden: Zum einen signalisieren die Hauptsätze hab ich mitgeteilt\ und hab ich berichtet (Z. 1-2 bzw. 4-5), daß es sich um eine Darstellung der Vorgänge aus der letzten Sitzung des Gremiums handelt; sie kennzeichnen seinen Beitrag gewissermaßen als ‘Protokolltext’. 201 Die subordinierten Satzstrukturen daß der investitionsplan zurückgefahren wird- [...] daß des werk eins ** eventuell geschlossen wird- ** unn des personal ** trotzdem übernommen werden soll (Z. 1-4) enthalten demgegenüber Kernpunkte seiner damaligen Sachverhaltsdarstellungen. onsmaximen, Gesprächsschritte, Geltungsweise von Äußerungen. Zur allgemeineren Einordnung vgl. auch seine Ausfuhningen zum Ebenen-, Stil- und Adressatenwechsel bei der Reduzierung von Beziehungskonflikten (Schwitalla 1987, S. 144ff.). 201 Allgemein kann gesagt werden, daß das Verlesen des Protokolls ein grundsätzlich anderes Interaktionsschema etabliert, als dies bspw. bei Problematisierungen der Fall ist. Ein Protokoll wird lediglich auf Richtigkeit überprüft; etwa anfallende Gegenstandsbearbeitungen aufgrund nicht abgeschlossener Problemlösungsprozesse müssen hingegen so verlangt es die Gremienordnung als Tagesordnungspunkte fiir die aktuelle Sitzung neu anberaumt werden. Es handelt sich also um einen Subtyp einer Tnformationsweitergabe’. Kontrolle 199 Man kann die in den Nebensätzen fokussierten Sachverhalte als Zusammenfassungen interpretieren, deren aktuelle interaktive Relevanz hinter der metakommunikativen Markierung des Beitrags als ‘Protokolltext’ in den Hintergrund tritt. Damit ist impliziert, daß die Subfokussierung thematischer Schwerpunkte, investitionsplan zurückgefahren [...] werk eins ** eventuell geschlossen [...] personal ** trotzdem übernommen, in dieser Interaktionsphase keine Wiederaufnahme und Bearbeitung notwendig macht. Hochgestufte Fokussierungen erfolgen vielmehr durch die jeweils rechts positionierten Hauptsätze, die den Text als Protokoll kennzeichnen: hab ich mitgeteilt\ [...] hob ich berichtet. Die syntaktisch-hierarchische Strukturierung des Beitrags von BV verhält sich so zu der Relevanz der in seinen Teilen geleisteten Fokussierungen proportional. Die Betriebsrätin, die nach einer kurzen Pause mit der Frage waru"m' was soll des gschlosse wem/ (Z. 6) anschließt, fokussiert den Punkt ‘Werk l’. 202 Der Fokus gerät damit in den Vordergrund des interaktiven Geschehens; er wird durch R2 hochgestuft, indem sie eine Bearbeitung des Gegenstands ansteuert: Sie fragt nach den Gründen der bevorstehenden Werksschließung (waru"m), bzw. ‘korrigiert’ ihre Frage kleinräumig zu einer allgemeinen Anfrage oder einer Bitte um Aufklärung (die Fragepartikel was könnte als Indiz dafür gesehen werden, daß R2 jegliche Information zu diesem Thema fehlt). Der von BV während des Verlesens subfokussierte Punkt erhält damit in der jetzigen Situation gleichsam einen thematischen Status. Die von R2 etablierte Fokusrelevanz ist mit Handlungsanforderungen an BV und in geringerem Maße an die anderen Teilnehmer verbunden, sofern sie an der letzten Sitzung teilgenommen haben. Der zu leistende Handlungsschritt würde die Darstellung des Sachverhalts enthalten, der R2’s Frage nach den Gründen klärt. BV reagiert erst nach einer deutlichen Pause (*2,6*, Z. 6) auf die Frage von R2: sigscht des is' weil=d net da" warscht\ (Z. 7). Die Äußerung ist dreiteilig konstruiert. Mit der Verbalform sigscht (= ‘siehst du’) fordert BV Zustimmung von R2 für den folgenden Äußerungsgehalt. Der Äußerungsteil des is' bezieht sich auf die vorangegangene Äußerung R2’s oder auf die jetzt entstandene Situation. Dieses elliptische Element kann als metakommunikativer Ansatz gelten, wenn auch eine z.B. adverbiale Ergänzung fehlt, die die Wertung der Situation explizit enthalten könnte (z.B. in der Form „siehst Du, das ist jetzt ungünstig“). Die Ergänzung des Prädikats der Hauptsatzkonstruktion wird jedoch durch die Formulierung des kausalen Nebensatzes weil=d net da" warscht\ in einem gewissen Sinn hinfällig: R2 konnte diese Frage nur stellen, weil sie an der vorangegangenen Sitzung nicht teilgenommen hat. BV expli- 202 Es sei hier daran erinnert, daß das Betriebsratsgespräch im selben Unternehmen aufgezeichnet wurde wie die Meistergespräche. Die Diskussion um das uneffizient arbeitende ‘Werk U spielt auch im Gespräch ‘Meister-! ’ eine wichtige Rolle (vgl. Anhang II). 200 Reden ist Chefsache ziert sozusagen eine Präsupposition oder eine fremdbezogene Definition von Prämissen, die der partnerseitigen Relevantsetzung des Fokus zugrundeliegen, ohne den Handlungsanforderungen inhaltlich in irgendeiner Weise nachzukommen. 203 R2’s Gesprächsschritt wird als Störung eines geregelten Ablaufs der Sitzung interpretiert. Die Zurückweisung seitens des Vorsitzenden manifestiert die ‘Unerwünschtheit’ von Unterbrechungen beim Verlesen des Protokolls. Darüber hinaus kann die von BV explizierte Präsupposition des is' weil=d net da" warscht\ von R2 als latente Kritik für ein Versäumnis interpretiert werden. Diese Feststellung führt die Nichtinformiertheit von R2 ja auf ein Verschulden von ihr zurück. Wie ich anfangs sagte, provoziert ein metakommunikatives Abwerten von Beitragsqualität, daß der Partner zunächst auf die beziehungsrelevanten Implikationen reagiert. Im nachfolgenden Kontext spielt die Bearbeitung der Vorwurfscharakteristik von BV’s Handlung dementsprechend eine vorrangige Rolle (in der weiteren Analyse beschränke ich mich auf einige wesentliche Punkte in der interaktiven Aushandlung der Fokusrelevanz; die Beiträge der übrigen Teilnehmer lasse ich aus Raumgründen unberücksichtigt): (5.07) 7 BV sigscht des is' weil=d net da" warscht\ K BV BLÄTTERT IN UNTERLAGEN # 8 R3 eben\ 9 R2 na unn/ r viele warn net do\ 10 BV L weil=s-' weil=s eben net 11 BV rentabel iss\ ja nur iss=es so/ r ich kann 12 R3 L weil- 13 BV da”nn net- * äh immer wieder des' * des ganze * 14 BV wiederho"len/ 15 R2 loß den vo"rwurf aus de stimm ja/ annre 16 R2 dürfen jo a" mol nochfroge\ r #bitte\# 17 BV L nurich kann K #RÄUSPERN VON 2 TN# #R2: MIT NACHDRUCK 18 BV net fu"ffzehnmol berichten\ betriebsrat/ 71 203 Der ‘Wunsch’ des Vorsitzenden, die Initiative der Betriebsrätin R2 nicht zu bearbeiten, kommt m.E. schon in der entstehenden Pause vor der Äußerung zum Vorschein und weiterhin darin, daß er in seinen Unterlagen blättert, ohne der Betriebsrätin die volle Aufmerksamkeit zu widmen (K-Zeile zu Z. 6 und 7). Dieses Aufmerksamkeitsdefizit indiziert, daß R2 beim Verlesen des Protokolls keinen primären Hörerstatus beanspruchen soll, der erhöhte Beteiligungs- und Initiativrechte beinhalten würde (vgl. Abschnitt 3.1.5). Beim Verlesen handelt es sich vielmehr um eine an das allgemeine Publikum gerichtete Aktivität. Das Blättern in Unterlagen und der damit verknüpfte Blick-Entzug kommen als begleitende, extralinguistische Bestandteile rückstufender Kontrollverfahren an mehreren Stellen des Korpus vor; es sind Zeichen dafür, daß man partnerseitige Relevantsetzungen inhaltlicher Punkte nicht (sofort) ratifizieren kann oder will. Kontrolle 201 Der Redewechsel von BV und R2 in diesem Ausschnitt zeigt interessanterweise, daß die expliziten Erläuterungen, warum BV die Bearbeitung des Themas ablehnt, sehr viel mehr Raum einnehmen als die geforderte Information selbst. Die Antwort auf R2’s Frage schiebt BV eher nebenbei ein: weites eben net rentabel iss\ (Z. 10-11). Anschließend folgt sofort ein Vorwurf auf metakommunikativer Ebene: ja nur iss=es so/ [...] ich kann da"nn net- * äh immer wieder des' * des ganze * wiederholen/ (Z. 10-11, 13-14). Seine Interaktionspartnerin reagiert hingegen zunächst auf die Feststellung, sie habe nicht teilgenommen {na unn/ [...] viele warn net do\, Z. 9) und nach BV’s Insistieren mit einem Gegenvorwurf, der wiederum auf metakommunikativer Ebene den Tonfall von BV kritisiert: loß den vo"rwurfaus de stimm ja/ annre dürfenjo a" mol nochfroge\ (Z. 15-16). Der von R2 angekreidete ‘Vorwurf in der Stimme’ ist für den Außenstehenden allerdings beim Hören nicht eindeutig nachvollziehbar. Es handelt sich hier m.E. eher um den Versuch, BV’s Abwehrhaltung in Reaktion auf die anfängliche Frage als unangemessen zu typisieren. Die Reaktion loß den vo"rwurf aus de stimm ja/ [...] kann ebenfalls als ein Abwerten des Partnerbeitrags interpretiert werden. R2 wechselt auf eine interaktionsreflexive Ebene, indem sie BV vorwirft, durch seinen Tonfall die Beziehung in ungerechtfertigter Weise zu belasten. Das nachfolgende, rechts herausgestellte bitte\ (Z. 16) kann als Versuch zur Entschärfung dieses Angriffs interpretiert werden. R2 zeigt ihr Bemühen, den entstandenen Konflikt wieder zu reduzieren. Insgesamt manifestiert die Betriebsrätin mit ihren Reaktionen erkennbar die Intention, der Beziehungsrelevanz von BV’s vorheriger Zurückweisung (sigscht des is weil=dnel da" warscht\) zu begegnen. Das Beispiel hat unterschiedliche Realisierungen von Handlungen gezeigt, mit denen Sprecher der Partneräußerung bewertend begegnen. Bei allen Realisierungsformen des Kontrollverfahrens kann dabei zunächst eine charakteristische Veränderung in den situativen Rahmenbedingungen des Handelns festgestellt werden; es handelt sich um einen Ebenenwechsel, der unmittelbare Auswirkungen auf den Prozeß gemeinsamer Beziehungskonstitution hat. Die Sprecher wechseln auf eine Ebene, auf der reflexive Kommentare zu der Partneräußerung möglich werden; Wechsel finden dabei nicht nur von der Sachverhaltszur Metaebene, sondern sogar von der metakommunikativen zur metasprachlichen Ebene statt, also sozusagen zur jeweils nächsthöheren Ebene. Diese Metahandlungen können als ‘Fremddefinition’ der Partnerhandlung verstanden werden; die Sprecher interpretieren sie als unkooperativ, irrelevant, verletzend usw. und zeigen diese Wertung explizit oder implizit an (vgl. hierzu Kallmeyer und Schmitt 1996). Bei den Bewertungshandlungen handelt es sich um potentiell imagebedrohende Handlungen, die ein rituelles Interaktions- 202 Reden ist Chefsache muster auslösen und zu Konflikten fuhren können. Der Partner ist gezwungen, den beziehungskonstitutiven Implikationen der Bewertungshandlungen zuerst zu begegnen. Metakommunikative Bewertungen des Partnerbeitrags etablieren demnach vorrangige Bearbeitungsanforderungen. Sie indizieren Bewertungsmaßstäbe, an denen die Sprecher sich in der Folge orientieren. Sprecher weichen mit der Abwertung der Partneraktivität Anforderungen des lokalen Kontextes aus, die sie nicht akzeptieren können (oder wollen). Sie stufen tendenziell die Relevanz partnerseitiger Fokussierungen auf beziehungskonstitutiver Ebene hoch, während sie einer erkennbaren sachverhaltsbezogenen Bearbeitungsanforderung ausweichen und sie zunächst aussetzen. Offensichtlich liegt der Realisierung von Abwertungen der Partneraktivität so etwas wie eine Divergenz subjektiver Situationsdefinitionen zugrunde oder unterschiedliche Vorstellungen davon, wie und wann eine bestimmte sprachliche Handlung im institutioneilen Kontext Sinnhaftigkeit erlangen kann. Abwerten der Partneraktivität (R): Der Sprecher weicht den Handlungsanforderungen, die durch die Partneraktivität etabliert wurden, aus. Der Prozeß thematischer Bearbeitung wird unterbrochen. Eine Nebensequenz wird eröffnet. (E): Der Sprecher formuliert eine metakommunikative Bewertung, die seine Interpretation der Partneraktivität verdeutlicht (negative Evaluation). Die Relevanz der Partneraktivität wird für die beziehungskonstitutive Ebene der Interaktion hochgestuft. Sachverhaltsbezogene Aspekte werden ausgeblendet. (P): Das Abwerten der Partneraktivität setzt ein Ritual der Imagebalancierung in Gang. Der Partner ist aus Gründen des Imageschutzes gezwungen, den beziehungsrelevanten Aspekten der Sprecheraktivität zu begegnen. 5.2.3 Verfahren interaktioneller Ausgrenzung An anderer Stelle hatte ich bereits von interaktioneller Ausgrenzung als einer Möglichkeit gesprochen, einem Teilnehmer den Status eines scheinbar Nicht- Beteiligten zukommen zu lassen, obschon er bislang aktiv beteiligt war (Abschnitt 3.1.5). Allgemeiner formuliert, kann interaktioneile Ausgrenzung als ein Anheben der Beteiligungsschwelle für einen von mindestens zwei Partnern umschrieben werden. Die Realisierungsformen des Verfahrens interaktioneller Ausgrenzung sind außerordentlich vielfältig und können hier kaum abschließend betrachtet werden. Im Vordergrund des Interesses liegen im folgenden die Mittel für sowie die soziale Bedeutung von Ausgrenzungsverfahren. Charakteristisch für Ausgrenzungsverfahren sind Handlungsweisen, die ‘unerwartete’ Veränderungen des etablierten Sprecher-Hörer-Verhältnisses bewirken. An ihrer Realisierung sind nonverbale Zeichen (Änderungen der Blickrichtung, Körperhaltung etc.) beteiligt, wie etwa ein Sich-Hinwenden an Dritte, wenn man gerade angesprochen wird. An expliziten sprachlichen Mit- Kontrolle 203 teln sind insbesondere bestimmte Adressierungen zu nennen. Weiterhin können sprachliche Mittel einen ‘impliziten Ausschluß’ (Schwitalla 1996) bewirken, etwa wenn bei einem Scherz nur bestimmte Mitarbeiter ‘mitlachen’ können oder wenn durch die Verwendung von Fachsprache die Beteiligungsschwelle einzelner angehoben wird. Schließlich können bestimmte prosodische Veränderungen im Sprechstil den Austausch des bisherigen Adressaten indizieren, wenn etwa ein in der Nähe sitzender Partner leise angesprochen wird, usw. In der Regel werden mehrere dieser Mittel bei der Realisierung von Ausgrenzungsverfahren kombiniert. Der sozialen Bedeutung einer Ausgrenzung liegt eine ‘ambivalente Gerichtetheit’ derjenigen Aktivitäten zugrunde, die die Veränderung der interaktioneilen Sprecher-Hörer-Relation bewirken. Mit ambivalenter Gerichtetheit ist eine Aufspaltung der illokutionären Bedeutung von Sprechhandlungen gemeint. Einige Untersuchungen haben gezeigt, daß die illokutionäre Bedeutung einer Aktivität in unmittelbarer Abhängigkeit vom Hörerstatus des jeweiligen Rezipienten interpretiert werden muß (z.B. Clark und Carlson 1982, S. 342-347, Schwitalla 1993a, S. 364). So kann ein ausgegrenzter Interaktionspartner einen anderen illokutionären Bedeutungsgehalt erschließen als der Angesprochene. 204 Im Einzelfall erreicht die an den Ausgegrenzten gerichtete Illokution die Charakteristik eines aggressiven Seitenhiebs, wenn z.B. demonstrativ darauf verzichtet wird, sich mit dem Partner noch weiter auseinanderzusetzen (vgl. TA 6.13). Die Bedeutung einer Ausgrenzung tendiert in vielen Fällen dahin, daß der ausgegrenzte Partner sozial ausgeschlossen wird (durch die Konstitution gruppenspezifischen Verhaltens). Der folgende Ausschnitt beginnt mit einer Äußerung des Werksleiters im Gespräch ‘Meister-1’. Es geht um die Spesenrechnung, die einige der anwesenden Meister nach einem auswärtigen Seminar bei der Firma eingereicht hatten. 205 Der Werksleiter reformuliert gegen Ende der Themenbearbeitung einen Tadel an der allzu überzogenen Rechnung und fordert deren zukünftiges Vermeiden. Es handelt sich um die zweite explizite Reformulierung. Auf die Themeneröffnung und die erste Reformulierung seiner Kritik waren bereits je spezifische Bearbeitungen gefolgt. Diese reichten vom strikten Leugnen über Schuldeingeständnisse bis hin zu einem Versuch, den Werksleiter zu diskreditieren, indem man ihm unterstellt, die Mitglieder der Geschäftsleitung wür- 204 Bei dem Phänomen der Nebenkommunikation hat die Kategorie des ‘Adressaten’ eine natürliche Grenze. Schon die einfachsten Formen von Nebenkommunikation können Manifestationen sozialer Ausschließung sein, wenn man z.B. dem Gesprächsleiter während der Kommunikation auf dem Nebenschauplatz signalisiert, daß man ihn nicht ernst nimmt. Obwohl man mit dem Nebenmann spricht, ist das Geschehen an den Gesprächsleiter ‘adressiert’; eine solche Form von Nebenkommunikation ist ‘subversiv’ (vgl. hierzu Kallmeyer und Schmitt 1996, Kap. 5.3.3). 205 Die Themeneröffnung wurde in Abschnitt 4.2.4.4, TA 4.19ff„ analysiert. 204 Reden ist Chefsache den mit Rechnungen von Arbeitsessen doch ganz genauso verfahren, wie die Meister dies getan haben (vgl. TA 5.12). (5.08) 1 WL 2 WL K 3 WL K 4 WL 5 WL 6 WL 7 WL 8 M4 K 9 M4 10 M4 11 WL 12 Ml K 13 Ml 14 M3 15 WL 16 M3 17 M3 13 WL 19 M4 K K 20 WL 21 BV 22 BV * also wie gesacht bitte meine herrn- ** äh ** äh ** Kegelbahn * äh squash * tennis * #GESPRÄCH IM HINTERGRUND tennisschlägemiete- * und wie gesacht solche # getränke wie henkel und metternich- * oder weiß ich was * wie flaschen whisky und so was möcht ich bitte in Zukunft nie wieder auf rechnung sehn\ r okay/ L #also ich finde ja solange da «BELUSTIGT privatclub mit massage und so nich da drauf steht geht=s ja noch nä/ # r LACHT L alles klar\ okay\ #we=mer=s nekschte mol de' de sekt vun de küch #M1 UND M3: MIT IRONISCHEM UNTERTON mitnemme\# r «miß mer mol mit de bedienung reddesoll zwe L kommt laßt (...) okay\ gut\ keschte bier uffschreibe anstatt e flasch metternich- * stimmt=s a: \« r «du hast ja rechtiss okay\« L «was warn wir doch so blöd\« «BEI ALLGEMEINEM GELACHTER AUSRUFEND; M4: LACHEND moment jetztherr Merkel/ um noch einmal zurückzukommen zu personal- * meister-1/ 12 Der Werksleiter fokussiert in seiner Äußerung in auflistender Form diverse Dinge, die auf der Rechnung stehen: kegelbahn [...] squash [...] tennis [...] tennisschlägermiete [...] getränke wie henkel und metternich (Z. 1-4). Mit undefiniten Pronomina in der Formulierung, weiß ich was * wie flaschen whisky und so was (Z. 5), erweitert der Werksleiter die Liste auf andere Luxuskonsumgüter. Mit der Partikel also zu Äußerungsbeginn (Z. 1) und den zweimal vorkommenden Partizipialformen wie gesacht (Z. 1, 3) kennzeichnet der Sprecher seinen Redevollzug als Reformulierung. Da es sich hier bereits um die zweite expansive Reformulierung der Kritik handelt, zeigt der Sprecher damit potentiell an, daß die Themenbearbeitung für ihn als abgeschlossen gilt (im Sinne einer Textherstellungshandlung, vgl. Abschnitt 4.2.2.1). Auch die Aufforderung, das Problem zukünftig zu vermeiden, die der Werksleiter mit zweimaligem bitte (Z. 1, 6) und der Form in zukunfl nie wieder (Z. 6) markiert, ist ein typisches Kennzeichen für die Endphase des Handlungsschemas. Kontrolle 205 Aus handlungslogischer Perspektive ist hier die partnerseitige Ratifizierung der Problemvermeidung erforderlich. Das nachgeschobene okay/ (Z. 7) zeigt entsprechend die Erwartung des Werksleiters, daß man seine Forderung akzeptiere. Die Reaktionen der Meister an dieser Stelle signalisieren weder ein explizites Eingeständnis von Schuld noch ein Akzeptieren der Erwartung des Werksleiters. Die Meister äußern vielmehr Scherze, mit denen sie die situativen Handlungsanforderungen umgehen: - Bei dem Witz von M4, also ich finde ja solange da nich privatclub mit massage da drauf steht geht=s ja noch nä / (Z. 8-10), findet sich beispielsweise das Stilmittel der Übertreibung, womit er WL’s Auflistung der Luxuskonsumgüter begegnet. Die interaktive Relevanz von ‘Miete für Sportgeräte’ und ‘Getränken’ (s.o.) wird durch den Kontrast mit privatclub mit massage zurückgestuft. Des weiteren vermeidet M4 das explizite Nennen des Lexems ‘Rechnung’ (da drauf) und des Adressaten. Das erstere kann als manifestes Indiz einer tabuisierenden Tendenz gelten, das zweite als konfliktvermeidendes Mittel. 206 - Ml modifiziert nun mit seinem Beitrag we=mer=s nekschte mol de' de seiet vun de küch mitnemme (Z. 12-13) die Sprecher-Hörer-Konstellation. Durch die Verwendung der auf die Meister bezogenen personalen Verweisform ‘Wir’ (we=mer = ‘werden wir’) wird WL als Adressat tendenziell ausgeschlossen. Auffällig ist auch die (imperativische) Verbalform, deren Funktion einen Appell an die Gruppe der Meister beinhaltet. Die Ausgrenzung wird weiterhin als Konsequenz des propositionalen Gehalts der Äußerung Ml’s verständlich: Im wörtlichen Sinne spricht hier der Meister den Gedanken aus, daß man eine Spesenrechnung umgehen kann, indem man sich vor einem Seminar in der firmenintemen Küche ‘bedient’. - Der Aspekt, daß man Kritik durch Schläue vermeiden kann, gewinnt an Bedeutung mit der Äußerung von M3: miß mer mol mit de bedienung reddesoll zwe keschte hier uffschreibe anstatt e flasch metternich- * stimmt=s a: \ (Z. 14, 16-17). Hier wird der Gedanke an ein Hintergehen firmenintemer Kontrollinstanzen explizit. Die Äußerung weist Parallelen zur vorherigen auf: Durch den Verbmodus, das Personalpronomen ‘Wir’ und die Proposition wird die Ausgrenzung des Werksleiters gefestigt. Gleichwohl signalisiert das jetzt einsetzende Gelächter, daß man die Äußerung ironisch interpretiert. - Der Beitrag von M4, was warn wir doch so blöd\ (Z. 19), ist schließlich eine Selbstkritik, die para- und extralinguistisch als stark ironischer Kommentar gekennzeichnet ist. Praktisch alle Anwesenden außer dem Werksleiter ‘feiern’ jetzt die Witze mit lautem Gelächter. Die Ebene der Ernsthaftigkeit, die bei der Kritik WL’s an der Spesenrechnung deutlich dominierte, wird spätestens hier für alle erkennbar aufgegeben. Die Meister lachen über ihren eigenen Streich. Die Meister substituieren insgesamt den geforderten Handlungsschritt mit Scherzen, die die Beteiligungsmöglichkeiten des Werksleiters in steigendem Maße reduzieren. Nicht nur, daß sie Problemsichtweisen formulieren, deren propositionaler Gehalt vom Werksleiter nicht ohne weiteres ratifiziert werden kann; die Meister starten ihre Beiträge ungeachtet der Beendigungssignale, die der Werksleiter aussendet (s.u.), und etablieren zunehmend eine Sprecher- 206 Brown und Levinson (1987, S. 203f.) zeigen, daß die Du/ Sie-Form vermieden werden kann, um einer (möglichen) Imageverletzung auszuweichen. 206 Reden ist Chefsache Hörer-Konstellation, an der der Werksleiter überhaupt nicht mehr teilhat. Sukzessive wird er zu einem scheinbar zufällig Anwesenden (overhearer), zu einem nicht-ratifizierten Beteiligten. Durch die Ausgrenzung wird dem Werksleiter signalisiert, daß man seiner Sichtweise nicht den von ihm beanspruchten Relevanzgrad zugesteht, sondern daß man die Sache unabhängig von seiner Sichtweise betrachtet. D.h., man berücksichtigt seine Einstellung nicht. Die Meister beteiligen sich nicht an der Entwicklung einer Sichtweise, die das Problem zukünftig vermeiden hilft, sondern sie blenden die Einstellung des Werksleiters aus. Sie demonstrieren, daß sie in der Lage wären, problematische Spesenrechnungen auf andere Weise zu umgehen. Schließlich zeigen die Scherze, daß sie die Situation nicht ernst nehmen. 207 Ihre Witze demonstrieren Geschlossenheit in ihrer Einstellung bezüglich des Bearbeitungsgegenstands (den sie tendenziell tabuisieren) und wirken konstitutiv und fördernd für die Gruppenidentität. Dafür spricht z.B. die Verwendung der Wir-Form, die die Kategorie der ‘Seminarteilnehmer’ indiziert, das gemeinsame Etablieren einer veränderten Interpretationsebene und auch die kontinuierliche Verwendung einer dem Dialekt recht nahen Sprachlage (v.a. von M3 und Ml), die mit dem fast in Hochsprache gehaltenen Duktus des Werksleiters kontrastiert. Außerdem liefern ihre Beiträge Hinweise darauf, wie im verbal-interaktiven Prozeß soziale Kategorisierungen vonstatten gehen. Z.B. ist der Gedanke, hier [...] anstatt eßasch metternich auf die Rechnung schreiben zu lassen, ein Zeichen dafür, welche Getränke die Meister als sozial angemessen betrachten. Durch ihre Beiträge solidarisieren sich die Meister untereinander und schließen ihre Gruppe in hermetischer Weise ab. Dem Werksleiter wird signalisiert, daß er von dieser Gruppe sozial ausgeschlossen ist. 208 207 In der z.T. populärwissenschaftlichen ‘Ratgeber-Literatur’ zur Mitarbeiterkommunikation in Unternehmen wird solches Verhalten auch in einer stark simplifizierenden Anwendung der Freudschen ‘Abwehr-Mechanismen’ als ‘Regression’ bezeichnet: „Kindliches oder kindisches Verhalten wird eingesetzt, um von Belastungen verschont zu werden“ (Kempe und Kramer 1991, S. 20). Dies ist m.E. eine unzulässige Reduktion des sozialen und pragmatischen Potentials solcher Handlungszüge. (Zu den Implikationen, die durch Scherze entstehen können, vgl. Abschnitt 5.2.15) Im übrigen gehört der Wechsel von der Ernsthaftigkeit zur Scherzhaftigkeit formal betrachtet zu den typischen Modulierungen des Interaktionsmodus am Ende thematischer Abschnitte. Bei einer nicht belasteten Imagebalance kann ein solcher Wechsel allgemeinen Konsens hinsichtlich einer zumindest vorläufigen Abgeschlossenheit des Themas signalisieren. 208 Aus den verschiedenen Kriterien, die den Status des Werksmeisters ausmachen (z.B. Dauer der Betriebszugehörigkeit, Ausbildungsniveau) ergibt sich auch bei Aufstiegschancen des Meisters kein Hinweis darauf, daft er sich in sozialer Hinsicht klassenfremd zu integrieren versucht. Der Meister neigt deshalb zur Solidarisierung mit (Fach- )Arbeitem und zur Abgrenzung ‘nach oben’ (vgl. Bourdieu 1987, S. 606-619). Kontrolle 207 Der Werksleiter akzeptiert schon die erste Reaktion von M4 erkennbar als einen Handlungsschritt, der das minimale erforderliche Einverständnis signalisiert. Die Elemente alles klar\ okay\ (Z. 11) sind dementsprechende Ratifizierungen. Zugleich handelt es sich um metadiskursive Steuerungssignale, die die Beendigung der Themenbearbeitung projizieren. Da der nächste Meister, Ml, trotz dieser Signale zu scherzen fortfährt, wiederholt WL den Versuch der Themenbeendigung zu Beginn des Beitrags von M3; auch diese Aktivität läßt die Rekonstruktion einer deutlich erkennbaren Steuerungsstrategie des Sprechers zu {kommt laßt [...] okay\ gut\, Z. 15). Auf M3’s ‘Witz’ reagiert WL schließlich mit ‘gespielter’ Zustimmung: du hast ja rechtiss okay\ (Z. 18). Mit dem ersten Äußerungsteil {du hast ja recht-) begegnet er dem Meister auf ironischer Ebene. Zum einen kann hier der Versuch gesehen werden, mit einer inhaltlichen, und zwar zustimmenden Reaktion die Meister vom weiteren Scherzen abzuhalten und das Themenende zu erzwingen; dasselbe Potential trägt auch das nächste, unmittelbar folgende Gliederungssignal: iss okay\. Zum anderen reagiert WL mit der Zustimmung du hast ja rechtauf eine zunehmend themendigressive Situation, denn die Beiträge der Meister sind insgesamt kontraproduktiv. Sie substituieren die Handlungsanforderung nach WL’s Reformulierung des Bearbeitungsziels {bitte in zuhaft nie wieder auf rechnung, s o ), und sie indizieren explizit bei aller Ironie ein firmenschädigendes Potential. Weiter kann WL’s Reaktion als Versuch gesehen werden, die Kontrolle über die Situation wieder an sich zu reißen, da sie ihm aus den Händen geglitten ist. Mehrere Versuche, das Thema zu beenden, sind ihm mißlungen; zudem hat man ihn zunehmend aus dem Sprecher-Hörer-Verhältnis ausgegrenzt. Indem WL auf der ironischen Ebene reagiert, klinkt er sich gleichsam wieder ein. Diese Annäherung kann als ein sozial-stilistisches Konvergenzsignal interpretiert werden; WL versucht gewissermaßen, das Potential seiner metadiskursiven Steuerungsversuche, mit denen er gescheitert ist, durch Signale sozialer Identifizierung zu unterstützen. Aus demselben Gespräch stammt auch das zweite Beispiel für Verfahren interaktioneller Ausgrenzung. Es geht um die möglicherweise bevorstehende Schließung eines Werksteils (Werk 1). Der Betriebsratsvorsitzende klagt eine mangelnde Berücksichtigung des drohenden Arbeitsplatzverlustes ein. Der Werksleiter möchte die Diskussion um die Arbeitsplätze jedoch ‘auf die Seite schieben’. Der Betriebsratsvorsitzende besteht auf der Thematisierung, weil man dies beim fuhrpark des Unternehmens auch getan habe, bis dieser schließlich an eine Fremdfirma gegeben worden sei (s.u., Z. 1, 3). Im folgenden Transkriptausschnitt vereitelt der Werksleiter, daß die Handlungsimplikationen dieser Problematisierung zur Etablierung eines komplexen Interaktionsmusters fuhren. Die Vereitelung trägt Charakteristika eines Ausgrenzungsverfahrens. 208 Reden ist Chefsache (5.09) 1 BV hamm 1 hartim=ma in' r in bezug uff fuhrpark auch lange 2 WL L hier steht das 1 3 BV uff die Seite geschoben bis es soweit war\ 4 WL das war eine völlich andere situation\ * das ist 5 WL ein' * ein fuhrpark ist eine * firmenfremde 6 WL Leistung im gründe genommen\ * s=ist eine echt 7 WL firmenfremde leistung\ die man geschlossen rausgeben 8 WL kann\ #man könnte heute geschlossen die K #SEHR AFFIRMATIV 9 WL Werkstätten rausgeben\# *1,5* 10 Ml das iss vorbei\ * demnekscht\ 11 WL wieso"- * s=is überhaupt kein problem\ meister-1/ 21 Der Werksleiter vereitelt eine Problematisierung des Gegenstands ‘Fuhrpark’, indem er die Prämissen der vorangegangenen Äußerung in Frage stellt {das war eine völlich andere situation\, Z. 4), indem er seine Einstellung betriebswirtschaftlich legitimiert {s=ist eine echtfirmenfremde leistung\, Z. 6-7) und indem er schließlich unvermittelt den Fokus wechselt: man könnte heute geschlossen die Werkstätten rausgeben\ (Z. 8-9). Mit letzterem provoziert er die Reaktion des Werkstättenleiters Ml, der natürlich (was WL voraussehen kann) gegen eine mögliche Übergabe der Werkstätten protestieren wird oder sich zumindest primär angesprochen fühlen muß. Das Fokussieren des Werksbereichs ‘Werkstätten’ verlagert den primären Hörerstatus von BV auf Ml. Der Betriebsratsvorsitzende wird vom Floor verdrängt. 209 Als Ausgrenzungsverfahren sind hier sprachliche Handlungsweisen beschrieben worden, die zunächst allgemein die Beteiligungsmöglichkeiten eines Interaktionspartners einschränken. Zu den formalen Kennzeichen ist folgendes festzuhalten: Ausgrenzungsverfahren werden mit Hilfe von Adressierungsformen realisiert, die das etablierte Sprecher-Hörer-Verhältnis verändern. Prinzipiell ist diese Veränderung des Sprecher-Hörer-Verhältnisses das entscheidende Indiz für das Ausgrenzungsverfahren. Typisch für die Ausgrenzung ist ein überraschendes Moment, eine unerwartete Veränderung der Aktantenrelationen. Bei Ausgrenzungen wird der durch Adressierungen (Du-, Sie- und äquivalente Formen) oder das Fokussieren spezifischer Wissensbestände zugewiesene primäre Hörerstatus vom bisher aktiven auf andere Interaktionspartner verlagert. Da der primäre Hörerstatus der Herstellung konditioneller Relevanz dient und Teil der Sprecher-Hörer-Konstellationen ist, verdrängt man so den bisherigen Partner (u.U. nur kurzzeitig) vom Floor. Er ist jetzt nicht mehr derjenige, der vorrangig für die Bearbeitung der Initiative in Frage kommt. 209 Tatsächlich kommen im gesamten Gespräch ‘Meister-1’ weder der Fuhrpark noch die Arbeitsplätze noch einmal zur Sprache. Kontrolle 209 Handelt es sich bei dem ausgegrenzten Partner um den Vorgesetzten, so ist dieser bemüht, so schnell als möglich die Kontrolle über den Floor und auch die Themenorganisation wiederzuerlangen, was er durch deutliche Signale (z.B. Ordnungsrufe, themenorganisatorische lexikalische Elemente, überlappende Versuche der Rederechtsübemahme) anzeigt. Ausgrenzungen scheinen für Vorgesetzte aufgrund ihrer Gesprächsleiterrolle schwerer zu wiegen als für Angestellte. Letztere wehren sich kaum gegen Ausgrenzungen. Mit Ausgrenzungsverfahren weicht man spezifischen Handlungsanforderungen einer Situation aus. 210 Gleichzeitig etablieren Ausgrenzungsverfahren vorrangige Bearbeitungsaufgaben, die für die Beziehungsregulierung in der Gruppe wichtig sind. Sie haben eine ambivalente mikrosoziale Signalwirkung. Dem ausgegrenzten Partner zeigt man, daß man die von ihm in Anspruch genommenen Beteiligungsrechte nicht akzeptiert, daß seine Handlungen als problematisch, als Regelverstoß oder Imagegefährdung empfunden worden sind. Die vorangegangenen Aktivitäten des ausgegrenzten Partners stehen als problematisch ‘im Raum’. Demgegenüber wird bei dem jetzt neuen Adressaten Zustimmung zur eigenen Einstellung oder Sichtweise gefordert. Der neue Adressat ratifiziert in der Regel nicht nur die formale Veränderung der Konstellation, sondern auch etwaige inhaltliche Einstufungen. Dadurch wird der ausgegrenzte Partner tendenziell zum Einlenken gezwungen. Ausgrenzungsverfahren können als ein relativ mächtiges Mittel für Angestellte aufgefaßt werden, sich gegen Impositionen ihrer Vorgesetzten zu wehren. Bei den von ihnen realisierten Ausgrenzungen ist deshalb ein sozialer Ausschluß des Benachteiligten aus einer unteren bis mittleren Mitarbeiterschicht interpretierbar. Dies hängt jedoch u.a. davon ab, wie stark sich ein Solidaritäts- Empfinden in der Gruppe, die sich gegenüber dem Ausgegrenzten formiert, auch in sprachlichen Mitteln bei der Realisierung von Ausgrenzungen niederschlägt. Grundsätzlich kann z.B. bei der Verwendung von Dialekt davon ausgegangen werden, daß ein sozialer Ausschluß bewirkt wird, wenn unmittelbar zuvor in Hochsprache kommuniziert wurde und der Vorgesetzte den Dialekt nicht beherrscht. Ähnliches gilt für umgangssprachliche Formen (etwa ein abfälliges Reden über Handlungsweisen des Vorgesetzten). Verfahren interaktioneller Ausgrenzung (R): Den aus den vorangegangenen Aktivitäten des Partners resultierenden Handlungsimplikationen wird ausgewichen. Ratifizierungen oder erkennbar geforderte, spezifische Handlungsschritte werden nicht geleistet. 210 Ausgrenzungsverfahren können im Hinblick auf die Handlungskonstitution des Gesprächs als ‘Ersatzaktivitäten’ (Spiegel 1995) gelten, als eine Form des Ausweichens: „Ausweichen bildet (im Unterschied zu Angriffen und Verweigerungen) alternative Aktivitäten, die aktuelle Handlungsschemata (vorläufig) dadurch blockieren, daß der Gesprächspartner die Ausweichaktivität in der Regel bearbeiten muß“ (Spiegel 1995, S. 202). 210 Reden ist Chefsache (E): Die Relevanz partnerseitig gesetzter Fokussierungen wird relativiert. Mit einer Veränderung der Sprecher-Hörer-Konstellation wird dem bisherigen Partner der primäre Hörerstatus entzogen. Die in der Teilnehmergruppe angelegte, dialogische Konstellation wird verlagert. (P): Der Partner ist zu ‘Mehraufwand’ gezwungen, wenn er sich wieder in die Reihe aktiver Beteiligter einschalten möchte. Dabei muß er die an ihn gerichtete illokutionäre Bedeutung berücksichtigen, an der ggf. eine Form sozialen Ausschlusses erkennbar war. 5.2.4 Diskreditierungsverfahren Als ‘Diskreditierungsverfahren’ bezeichne ich Aktivitäten, mit denen man dem Partner ‘unterstellt’, entweder für die faktische Beweisbarkeit seiner Äußerung die Verantwortung nicht übernehmen zu können oder daß er seiner Aussage nicht haltbare Prämissen zugrundelegt. Charakteristisch für Diskreditierungen ist außerdem ein impliziter Vorwurf, daß der Partner über eine zweifelhafte Glaubwürdigkeit seiner Beiträge mehr oder minder selbst Bescheid weiß. Ich verstehe unter einem ‘Diskreditieren’ also ein Unglaubwürdig-Machen des Interaktionspartners, ein Unterstellen ‘falscher’ Absichten des Handelns oder ein Verdächtigen der absichtlichen Vortäuschung. 211 Alle diese Spielarten setzen voraus, daß derjenige, der seinen Partner diskreditiert, aus dessen Äußerungen eine implizite zweite Bedeutung hat erschließen können. Diese zweite, oft unausgesprochene Bedeutung oder Präsupposition bildet die Grundlage für die diskreditierende Aktivität. Verfahren des Diskreditierens sind zu einem großen Teil über die illokutionäre Komponente der sprachlichen Handlung wirksam. Realisierungen wie „das ist gelogen“ kommen in den Mitarbeiterbesprechungen (wohl wegen ihrer Schärfe) nicht vor. Die Referenz auf den Wahrheitswert der Partneräußerung wird vermieden. Häufiger konnten Formen des Diskreditierens mit formelhaftem, umgangssprachlichem Charakter nachgewiesen werden, so etwa im Gespräch ‘Inspektoren’: Einer der Inspektoren behauptet, der Termin für den ‘Tag der offenen Tür’ sei wegen eines nahen Feiertags schlecht gewählt, es seien kaum Besucher zu erwarten. Hierauf antwortet der Filialdirektor: ah des glauben se doch selber net\ (VI/ 157/ 12, vgl. TA 6.01). Derartige Realisierungsformen setzen den Interaktionspartner unter einen gewissen Beweiszwang. Wenn der Diskreditierte nicht Gefahr laufen will, daß seine Unglaubwürdigkeit zu einer nachhaltigen Imageeinbuße führt, muß er die Gültigkeit seiner Behauptungen rechtfertigen können. Durch diskreditierende Verfahren wird eine sequentielle Struktur mit einer vorrangig mikrosozialen Bedeutsamkeit in Kraft gesetzt. 211 Allgemein handelt es sich um den Versuch, „einer Person schaden zu wollen“ (Duden, Bd. 5, 1982), in einer etwas konkreteren Definition um ein „Verdächtigen oder Verleumden“ (Mackensen 1986). Kontrolle 211 Bereits in einem anderen Zusammenhang hatte ich ein Beispiel für eine diskreditierende Reaktion gezeigt: Ein Meister ist der Ansicht, daß, damit die Inventurvorbereitung stattfinden kann, die Meister baldmöglichst über die endgültige Zuteilung zu Werksbereichen informiert werden müssen (vgl. Abschnitt 4.3.3.1). Es geht im folgenden Transkriptausschnitt darum, ob diese Vorbereitung überhaupt ein Problem für die Planung der Inventur darstellt: (5.10) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 LO M8 M8 M8 WL K K WL K LO WL WL WL die r vorhereitunqsarbeiten\# L eben\ * und deswegen äh äh äh find ich=s sinnvoll wenn jeder weiß was er vorher' was er p aufzuräumen hat\ ( ■ ..) L na ja- ( ■ .•) «DURCHEINANDER- REDEN MEHRERER TN# #das sind doch alles ausreden jetzt r was sie zu «GEREIZT L ich wollte 1 sagen haben >entschu"ldigen sie bitte< wenn sie in ihrem la"ger' * laden' also n' * drü"ben im lager' im rega"l das haben\# meister-2/ 47 Der Werksleiter unterstellt dem Meister, seine Ausführungen seien ein Vorwand: das sind doch alles ausreden jetzt was sie zu sagen haben (Z. 6, 8). Diese Formulierung kann als pauschale und pejorative Bewertung der konversationeilen Leistungen von M8 gesehen werden. Bis zu diesem Punkt gleicht das vom Werksleiter angewandte Kontrollverfahren einer metakommunikativen Abwertung (vgl. o ). Der Sprecher weicht einer Bearbeitung des problematisierten Fokus aus. Die etablierte Relevanz des Partnerfokus wird nicht bestätigt, sondern von der propositionalen Ebene auf eine beziehungsrelevante Ebene verlagert. Das Lexem ‘Ausreden’ signalisiert aber außerdem explizit, daß der Sprecher hinter dem vom Partner dargestellten Sachverhalt noch einen zweiten vermutet, der verborgen wird. Mit seiner nachfolgenden Feststellung, daß eventuell im Arbeitsbereich des Meisters selbst Unordnung herrschen könnte, expliziert er die von ihm interpretierte Bedeutung von M8’s Ausführungen: wenn sie in ihrem la"ger' * laden' also n' * drü"ben im lager' im rega"l das haben\ (Z. 8-10). Er unterstellt, daß die Interpretation des von M8 dargestellten Sachverhalts (mindestens) eine weitere Bedeutung zuläßt, der Meister wolle nämlich die eigenen, defizienten Arbeitsleistungen mit der Problematisierung des Aspekts ‘Vorbe- 212 Reden ist Chefsache reitung für die Inventur’ vertuschen. 212 Auffällig sind in dieser Formulierung die gehäuften Korrekturen der Ortsbestimmung (la"ger' * laden' [...] lager' im rega'T). Derartige Schwierigkeiten bei der Formulierung weisen darauf hin, daß hier eine imagegefährdende Aktivität schon während des Formulierungsprozesses abgemildert werden soll (Holly 1979, S. 157). Der Werksleiter wechselt die interaktionelle Ebene. Er fokussiert ein ‘persönliches Problem’ des Meisters, das für den übergreifenden Zusammenhang ‘Inventurvorbereitung’ von geringer Bedeutung ist. Der subthematische Bearbeitungsgegenstand wird damit insgesamt zurückgestuft. WL stuft hingegen einen ‘gemutmaßten’ Sachverhalt hoch: Er stellt die Arbeitseffizienz von M8 in Frage. Damit schränkt er die Handlungsmöglichkeiten des Meisters ein. Dieser ist vorrangig mit der Anforderung konfrontiert, dem Verdacht der Perfidität zu begegnen, um sich selbst vor einem Imageverlust zu bewahren. Gleichzeitig ist der Meister gezwungen, seine Initiative bezüglich des subthematischen Fokus (erneut) zu legitimieren, um die Relevanzrückstufung rückgängig zu machen: (5.11) 10 WL lager' im rega"l das haben\# K GEREIZT 11 M8 in mei"nem ni"cht\ 12 M8 des war' des' des war der Huber/ * der hat äh 13 M8 mit dem * äh dings werk drei" aufgenommen ja/ K #STUHLGERÄUSCH# 14 WL #ach so\# K «IRONISCH 15 M8 ein regal ja/ * und des war eine meister-2/ 47 M8 widerspricht dem Werksleiter: in mei"nem ni"cht\ (Z. 11). Damit weist er die latente Kritik an seiner Arbeitseffizienz zurück, bzw. er signalisiert die Nichtakzeptanz einer von WL gemutmaßten Vertuschung. Auch als der Meister eine Zusatzinformation folgen läßt (Z. 12-13), stellt der Werksleiter allerdings den Widerspruch des Partners im Gegenzug als unglaubwürdig dar: IRONISCH: ach so\ (Z. 14). WL drückt aus, daß er M8 nicht glaubt. Die entsprechende Verstehensleistung wird an dieser Stelle maßgeblich durch den Tonfall unterstützt. Diskreditierungsverfahren werden sowohl von Vorgesetzten als auch von Angestellten realisiert. Erhöhte Beteiligungsrechte wirken sich dabei auf die Interaktionsmodalität und insbesondere auf die sprachliche Variation von 212 M8 wird so die Verletzung einer kooperativen Maxime (Grice 1968) vorgeworfen, der Gesprächsteilnehmer durch wahrheitsgemäßes Sprechen nachzukommen verpflichtet sind. Kontrolle 213 imagebedrohenden Aktivitäten aus. Vorgesetzte neigen kaum dazu, ihre Angriffe zu verschleiern. Ein von statusinferioren Mitarbeitern produzierter Beitrag, der die Glaubwürdigkeit des Vorgesetzten angreift, zeigt hingegen tabuisierende Züge (s.u.). Das folgende Beispiel für eine diskreditierende Äußerung wird von einem Meister als Reaktion auf die Kritik des Werksleiters an einer überzogenen Spesenrechnung produziert (vgl. im vorangegangenen Abschnitt): (5.12) 1 M4 #auf wessen tisch korrant denn die K #LAUT, LEICHT BELUSTIGT 2 M4 rechnung wenn die hohen he'^ren irgendwo 3 M4 schlemmen gehen/ # meister-1/ 11 M4’s Beitrag kann insofern als Diskreditierung verstanden werden, als WL selbst zu den hohen he"rren (Z. 2) zu zählen ist (oder ihnen im Organigramm zumindest wesentlich näher steht als die Meister; er ist Mitglied der Geschäftsleitung). Der Beitrag des Meisters impliziert, die hohen he"rren würden bei Spesenabrechnungen genauso verfahren, wie die Meister es mit der ihnen angekreideten Rechnung versucht hatten. Seine Reaktion auf die ‘Rüge’ des Werksleiters könnte als ‘Gegenangriff aufgefaßt werden, der den Geltungsanspruch der Kritik an den Meistern mit einer Kritik am Vorbild der Vorgesetzten abschwächt, etwa in der Form: „warum werden wir für etwas kritisiert, was Sie und Ihre gleichgestellten Kollegen doch ganz genauso machen“ . M4 unterstellt WL gleichsam, daß er anders redet, als er handelt. Auffällig ist, daß die hohen he"rren und schlemmen gehen (Z. 3) lediglich ironische oder metaphorisierende Beschreibungen für das Verhalten der Vorgesetzten z.B. bei Arbeitsessen sind, 213 der Beitrag zudem mit einem belustigten Unterton formuliert wird und insgesamt Adressierungen und das explizite Nennen des Problemkerns (‘Preise’ oder ‘Rechnungen’) fehlen. Die Präsupposition der Äußerung, ‘Vorgesetzte machen es ganz genauso’, wird also vom Meister weit weniger explizit genannt, als dies im vorigen Beispiel zur Diskreditierung bei WL geschah (vgl. o.); der streitbare Gegenstand wird insgesamt tabuisiert. Gleichwohl leistet dies der rhetorischen Wirksamkeit des Verfahrens keinen Abbruch: der diskreditierenden Äußerung wird auch hier sofort der Wahrheitsgehalt abgesprochen: 213 Am Rande sei bemerkt, daß die Vokabel ‘schlemmen’ eine soziale Kategorie indiziert, ähnlich wie dies bei der Idee, ‘Bier statt Metternich’ auf die Rechnung schreiben zu lassen, erkennbar war (vgl. TA 5.10). 214 Reden ist Chefsache (5.13) M4 WL K M4 K WL M8 K WL K K meister-1/ 11 schlemmen gehen/ # #ähm die machen das au"ch nicht\ #SACHLICH #die machen das au"ch nichts# #LEISER UND FRAGEND, FAST VERBLÜFFT nein die ma"chen das nicht\# #wa: s/ # #LEISE, UNGLÄUBIG ##ich will ihnen auch sagen #waru"m herr Fettle\# #MIT LACHANSATZ L ##ALLG. LEICHTE BELUSTIGUNG Auffällig ist die Akzentuiemng von an"ch in der Reaktion von WL (Z. 4), die deutlich zeigt, daß er die im Konter M4’s implizierte Parallelität der Handlungsweisen (‘Vorgesetzte machen es doch auch') sehr wohl verstanden hat. Die Anzeichen von Verblüffung bzw. Ungläubigkeit in den Beiträgen von M4 bzw. M8 demonstrieren, daß man mit Zugeständnissen seitens des Werksleiters gerechnet hatte. Letzterer besteht jedoch auf seiner Behauptung und damit indirekt auch auf der Kritik an der Spesenrechnung der Meister. Er strebt gewissermaßen nach der Anerkennung einer Prämisse, die seine Glaubwürdigkeit untermauert. Ich fasse zusammen: Ein auffallendes Merkmal von Aktivitäten im Korpus, die den Partner als unglaubwürdig darstellen, ist das Operieren mit Präsuppositionen, die sich in der Partneräußerung nicht explizit manifestieren, sondern sich aus spezifischen Interpretationsleistungen der reagierenden Sprecher erschließen. Die Rekonstruktion der Präsupposition ist oft ein komplexer Prozeß, da es kaum mit Sicherheit möglich ist, aus der Implizitheit von Äußerungen objektivierte reziproke Handlungsgrundlagen abzuleiten. Man könnte allgemein sagen, die diskreditierende Aktivität impliziert eine Präsupposition, deren Geltungsanspruch mit dem der Partneraktivität unverträglich ist oder in Opposition zu ihm steht. Diese Opposition kann im Einzelfall durch einen Vergleich der expliziten Mittel erschlossen werden; häufiger muß die Präsupposition rekonstruiert werden. 214 Eine unausgesprochene Präsupposition kann z.B. enthalten, daß der Partner wissentlich Informationen verschweigt oder vertuscht, die mit ihrem Aufdecken den Wahrheitsgehalt oder auch wie das 214 Oppositive Relationen, die durch die Interpretation einer Präsupposition rekonstmierbar sind, gelten auch für adversative Formen der Verknüpfung als charakteristisches semantisches Merkmal (vgl. Lang 1977, S. 170). Beim Diskreditieren des Interaktionspartners könnte als Merkmal hinzugefügt werden, daß die Präsupposition typischerweise ein imagegefahrdendes Potential hat. Kontrolle 215 zweite Beispiel gezeigt hat einen moralisierenden Anspruch der Partneraktivität in Frage stellen. Was hier aus Raumgründen nicht gezeigt werden kann, ist die Tatsache, daß Diskreditierungen in der Regel erst nach der zweiten oder dritten insistierenden Aktivität von Teilnehmern erfolgen, die auf der Bearbeitung eines aus ihrer Sicht problematischen Fokus bestehen. Diskreditierungsverfahren werden von Partnern dann eingesetzt, weil sie unter immer stärkeren Zugzwang geraten. Ein spezifischer beziehungsrelevanter Aspekt von Diskreditierungsverfahren ist ein sich manifestierender Versuch, einer für die eigene Person nachteiligen Etablierung asymmetrischer Beteiligungsbedingungen auszuweichen. Der Sprecher strebt mit einer Diskreditierung des Partners danach, ‘Boden zu gewinnen’, bzw. Vorteile für sich selbst aus einer Situation zu ziehen, die in eine Einbuße am eigenen Image münden könnte. Die einzelnen Realisierungsformen des Diskreditierens zeigen Unterschiede v.a. in der Explizitheit imagebedrohender Aspekte; offene Angriffe indizieren hier erhöhte Beteiligungsrechte. Vorgesetzte setzen Diskreditierungsverfahren u.a. ein, um rollenspezifischen Handlungsanforderungen auszuweichen. Von statusinferioren Mitarbeitern konnten Diskreditierungsverfahren nur als Konter-Reaktionen auf imagebedrohende Aktivitäten der Vorgesetzten nachgewiesen werden. Diskreditierungsverfahren sind in hohem Maße beziehungskonstituierend; ihre Anwendung hat über individuelle Unterschiede in der Wahl der sprachlichen Mittel hinaus einen hohen Anteil an der Etablierung sozialer Strukturiertheit. Die Images von Angestellten sind im unmittelbaren Kontext von Diskreditierungsverfahren in klarem Maße stärker gefährdet als die der Vorgesetzten. Diskreditierungsverfahren (R): Der Sprecher setzt die Handlungsanforderungen des situativen Kontextes aus. Seine Aktivität hat den Charakter eines ‘Konters’, der innerhalb der Themenbearbeitung eine nebengelagerte Sequenz eröffnet. (E): Der Sprecher interpretiert die Aktivität des Partners als eine ambivalente Prädikation, die das Ableiten einer Präsupposition zuläßt. Diese Präsupposition wird direkt oder indirekt durch den Handlungszug des Diskreditierens ausgedrückt und steht zum propositionalen Gehalt der Partneräußerung in einem oppositiven Verhältnis. Durch die Mutmaßung von Perfidität rückt die Relevanz der Beziehungsregulierung in den interaktionellen Vordergrund. (P): Der Partner ist gezwungen, der imagegefährdenden Dimension des ‘Konters’ und dem Vorwurf der Perfidität zu begegnen. Aus Gründen der Gesichtswahrung ist er tendenziell zu negierenden Aktivitäten (zum ‘harten’ Widersprechen) gezwungen. 5.2.5 Degradieren des Partners Unter einer Degradation wird im allgemeinen Wortsinn die Herabsetzung einer Person auf einen niedereren Rang als der ihr eigentlich zustehende verstanden. Die Voraussetzung für ein Degradieren ist z.B., daß sich die Person 216 Reden ist Chefsache gemessen an einem bestimmten Kodex etwas zuschulden kommen läßt, was als Regelverstoß interpretiert wird; eine Degradation ist dann die Strafe für dieses Fehlverhalten. Im folgenden soll unter dem Begriff‘Degradieren’ eine spezifische Interaktionsfigur klassifiziert werden, die keine Herabsetzung im Sinne von „Sie sind ab sofort nur noch Lagerarbeiter und nicht mehr Prokurist“ darstellt. Grob gesagt, handelt es sich beim Degradieren des Partners in der Mitarbeiterbesprechung um oppositiv gesetzte Bewertungen, und zwar insbesondere von Leistungsdefizienzen. Beim Degradieren geht es v.a. darum festzustellen, wann was für welche Person als ausreichende Arbeitsleistung zu beurteilen ist. Ein Degradieren konnte in den Korpusmaterialien nur dann identifiziert werden, wenn bestimmte situative Rahmenbedingungen vorausgesetzt waren. Typischerweise stehen Sachverhalte im Fokusvordergrund, die divergente Sichtweisen und Bewertungen überhaupt erst zulassen. Insbesondere handelt es sich um Probleme im Arbeitsprozeß, die von einem der Teilnehmer mutmaßlich mitverursacht worden sind. 215 Im Rahmen einer Degradation erfährt eine vom Partner in irgendeiner Form wertgeschätzte Leistung eine negative Bewertung, eine Geringschätzung (z.B. in der Form „das halten Sie doch nicht etwa für ausreichend! “). Dadurch entsteht ein hoher Bearbeitungsbedarf, der interaktioneile Fokus wird hochgestuft und verpflichtet beide Interaktionspartner zu beziehungsregulativen Maßnahmen. Das Image des Angesprochenen ist gefährdet, denn mit einer solchen Geringschätzung wird klar erkennbar impliziert, daß der Teilnehmer in seinem Arbeitsbereich bestimmten Anforderungen oder Erwartungen nicht genügt, die er selbst in ausreichendem Maß zu erbringen glaubte. Im folgenden Beispielfall werden die Bezirksleiter (im Gespräch ‘Bezirksleiter-2’) nacheinander nach den Gründen dafür gefragt, warum sie so wenige Personen zum bevorstehenden ‘Tag der offenen Tür’ eingeladen haben. Was ich als ‘Degradieren’ beschreiben möchte, ist hier Teil einer komplexen Handlungsweise des Filialdirektors, der die Rechtfertigung des zuerst angesprochenen Bezirksleiters zurückweist. Der erste Ausschnitt zeigt das Ende der Ausführungen des Filialdirektors zu dieser Veranstaltung und die Übergabe des Rederechts an den Bezirksleiter: (5.14) 1 DI wir haben bi"orhythmus\ * wir haben äh * 2 DI Sicherungssysteme durch die firma Schlie"ßfest die 3 DI wer vorzeigen\ * auch en thema wo jeden 4 DI intressieren müßte/ * weil jeder ja * in ner 5 DI wohnung oder i=me haus wohnt\ * dire' und jetzt 215 Zu der Frage der Bewertung von Sachverhalten, des Bearbeitungsanspruchs und der individuellen Verantwortung vgl. die Abschnitte 3.1.4, 4.3.1.2 sowie 4.4. Kontrolle 217 6 DI kommt des was mich ä"rgert\ ** wei"ß net w' aber 7 DI ga"nz we"nig * einladungen ihrerseits * sind 8 DI vorgenommen worden\ * warum\ * warum\ * fang ich 9 DI mit ih"nen an herr Haas/ warum\ bezirksleiter-2/ 201 DFs Äußerung zeigt zu Beginn des Ausschnitts Elemente einer (längeren) Liste von Angeboten, die die Filialdirektion den Besuchern der Veranstaltung bietet (bi"orhylhmus [...] Sicherungssysteme, vgl. Z. 1-3). DI unterstreicht den öfFentlichkeitswirksamen Wert des letzteren mit: auch en thema wo jeden interessieren müßte/ (Z. 3-4). Allgemein kann gesagt werden, daß der Filialdirektor, indem er die Kundenorientiertheit der Veranstaltung durch die Vielseitigkeit des Angebots als hoch einstuft, die angesteuerte Kritik an den Bezirksleitern vorab legitimiert. Die folgende Äußerung und jetzt kommt des was mich ä"rgert\ (Z. 5-6) hat verschiedene Funktionen: Durch die Vorlaufeinheit und jetzt kommt des kündigt DI einen Fokuswechsel an, die vorangegangenen Turneinheiten können aus der Retrospektive gewissermaßen als Einleitung erfahren werden. Der relativ angeschlossenene Nebensatz was mich ä"rgert\ ist eine emotive Bewertung, mit der die Handlungsimplikationen der Themeneröffhung zusätzlich und vorgreifend verschärft werden. 216 DI kündigt die Fokussierung des Problemkerns an, die er mit ganz wenig * einladungen ihrerseits * sind vorgenommen worden\ (Z. 7-8) folgen läßt. Diese Aktivität prädiziert klar erkennbar ein Leistungsdefizit. Die bewertende Einheit ganz wenig impliziert, daß die Bezirksleiter dem Anspruch des Direktors nicht genügt haben. Die Partikel ihrerseits legt die Verantwortungsübernahme der Bezirksleiter nahe. Mit dieser Darstellung des Leistungsdefizits setzt DI einen Bewertungsmaßstab fest. Insgesamt handelt es sich um eine deutliche Vorwurfshandlung, die die Interaktionspartner zu beziehungsregulativen Folgeaktivitäten zwingt. Sie müssen sich für die wenigen Einladungen entschuldigen oder rechtfertigen. Dabei wird insbesondere eine Rolle spielen, welche Ursachen für den Einladungsverzicht mit dem vom Filialdirektor bestärkten Stellenwert der Veranstaltung konkurrieren könnten (i.S.v. „was ist wichtig genug, sich nicht um Einladungen zu kümmern? “). 216 Vgl. 4.2.4.4. Der Filialdirektor beginnt dieses erste Thema im Gespräch mit den Sätzen: äh: * ich fang mal- ** mit=m punkt an der mir- * nicht gefällt der mich auch * ärgert\ ** das isch der tag der offenen tür\ ** (VIII/ 200/ 1-3). Insofern wird mit der in TA 5.14 gezeigten Bewertung explizit ein ‘Bewertungsrahmen’ konstituiert. Auch diese Rahmung trägt zu dem Eindruck bei, daß es sich bei den Ausführungen DI’s um eine Einleitung handelt. (Die Eröffnung desselben Themas in ‘Bezirksleiter-l’ s. in TA 4.19, in ‘Inspektoren’ s. in TA 4.35.) 218 Reden ist Chefsache Im Anschluß daran erfolgt in relativ aufwendiger Form die Übergabe des Rederechts an Herrn Haas mit warum\ * warum\ * fang ich mit ih"nen an herr Haas/ warum\ (Z. 8-9). Zu dieser Aktivität kann festgehalten werden: - DI bekräftigt mit seiner ‘Frage’ sein Recht auf kritische Analysen der Arbeitsleistung der Bezirksleiter. - Durch das Fragepronomen warum\ ist der Partner zur Angabe von Gründen aufgefordert. Die Tatsache, daß es dreimalig geäußert wird, indiziert indirekt DI’s Unverständnis gegenüber einer gemutmaßten Einstellung aller Bezirksleiter: Offensichtlich hält er zum einen deren Auffassung von der Veranstaltung für nicht gerechtfertigt; zum anderen klagt er bei ihnen die vernachlässigte Pflicht ein, sich an der Veranstaltungsvorbereitung nach Kräften zu beteiligen. - Das Rederecht wird an Herrn Haas als ersten von mehreren Teilnehmern weitergegeben. Die Reihenfolge der Befragung scheint mit der Tatsache verknüpft zu sein, daß DI in unterschiedlichem Maße über die Gründe der Teilnehmer bereits informiert worden ist. Bei Herrn Haas ist diesbezüglich offenbar weniger Wissen vorhanden als beispielsweise bei Herrn Neugert (vgl. TA 3.08 und Abschnitt 5.2.14). Bei der Reaktion des Bezirksleiters beachte man zunächst, daß er trotz der Frage nach dem Warum keine Gründe nennt: (5.15) 9 DI mit ih"nen an herr Haas/ warum\ 10 B4 # # also ich hab K #KURZES RÄUSPERN 11 B4 zwei familie mit' mit kinder eiglade\ * s=waren 12 B4 meine * ku"nden\ * 13 DI #so we"nich/ # K #VORWURSVOLL 14 B4 # des sin- * acht# K #HÖRBAR ATMEND 15 B4 perso"ne\ bezirksleiter-2/ 201 Der Angesprochene beginnt seine Reaktion mit der Partikel also (Z. 10). Über diese Partikel sagt Engel (1988, S. 232), daß sie einen ‘Argumentationsabbruch’ signalisiere und mit einer „Relativierung, Zurückweisung oder Nichtbeachtung hervorgebrachter Argumente“ verknüpft sei. Zudem komme ihr die Funktion zu, einen ‘Neuansatz’ zu fordern. Diesen Beobachtungen folgend, könnte man sagen, daß der Bezirksleiter zunächst die Tatsache markiert, daß er keine Gründe nennen wird, zugleich aber auch, daß er die von DI vollzogene Wertung des Sachverhalts nicht in vollem Maße akzeptiert. Der Bezirksleiter rechtfertigt sich, bzw. er entzieht sich der Verantwortung für das Defizit, indem er seine Arbeitsleistung expliziert: also ich hab zwei familie mit' mit kinder eingladen\ (Z. 10-11). Um den Stellenwert dieser Leistung zu bekräftigen, ordnet er die Eingeladenen einer institutionell relevanten Kategorie zu: s=waren meine * ku"nden\ (Z. 11-12). Kontrolle 219 Die Reaktion des Bezirksleiters kann als korrektive Handlung angesehen werden, mit der er einer Imageeinbuße entgegenzuwirken versucht. Sein Handlungszug kann potentiell die Wertung des Filialdirektors rückgängig machen. Durch seinen Rechtfertigungsversuch entsteht die Anforderung an DI, die negative Wertung der Leistung zumindest dieses Bezirksleiters zu überprüfen und sie ggf. zu relativieren. Es wird sozusagen auszuhandeln sein, ob zwei Familien, die zudem Kunden sind, als ‘sehr wenige’ anzusehen sind oder nicht (vgl. Z. 7). Der Filialdirektor weist den Rechtfertigungsversuch des Bezirksleiters mit der Äußerung so we"nich\ (Z. 13) zurück. Die Akzentuierung von we"nich und der vorwurfsvolle Tonfall sind deutlich unterstützende Signale für den propositionalen Gehalt der Äußerung: Die Zahl der von B4 getätigten Einladungen bleibt weit hinter dem Anspruch von DI zurück. DI berücksichtigt die zuvor implizierte Anforderung nicht, einen Neuansatz bei der Wertung des Arbeitsverhaltens von B4 zu realisieren. Damit macht er die Modifizierung der Wertung wieder rückgängig. Das hörbare Atmen des Bezirksleiters ist ein Indiz dafür, daß er durch die Reaktion DFs unter Druck gerät (vgl. K-Zeile zu Z. 14). Der Versuch, die Imageeinbuße zu vereiteln, kann m.E. zu diesem Zeitpunkt bereits als gescheitert gelten. Mit seinem ‘Reparaturversuch’, des sin- * acht perso"ne\ (Z. 14-15), rekurriert B4 auf die Möglichkeit, die eingeladenen Personen zahlenmäßig zu erfassen. Die Zahl acht ist vorrangig in bezug auf die Wertung so we"nich\ kontextualisiert. Auch dieser Reaktion dieses Mal als Kontrast quantifikativer Ausdrucksformen liegt primär die Intention zugrunde, die Bewertung der Arbeitsleistung zu modifizieren. Erneut besteht die Möglichkeit für DI, seine Wertung zu relativieren. Er startet eine ‘Rückfrage’: fi"rmeninhaber- * sonstige dinge- (Z. 16). Dies kann als Angebot an B4 angesehen werden, die Legitimierung seiner Rechtfertigung voranzutreiben. Immerhin wären Firmeninhaber gern gesehene Gäste bei der Veranstaltung, da sie i.a. umfangreiche Versicherungsleistungen benötigen. Entsprechend bestätigt B4 sofort, daß es sich um Firmeninhaber handelt (Z. 17-18): (5.16) 15 B4 perso"ne\ 16 DI #fi"rmeninhaber- * sonstige dinge-# K #FRAGEND 17 B4 j a 18 B4 sin- * (i r qlab) zwei firmeninhaber\ 19 DI L ##>-ja/ acht _ K ##SEHR SCHNELL, MIT SCHÄRFE 20 DI zwohundertfuffzieh stück einge#laden\ so wahr K #KLOPFT AUF DEN des * i hab ich# TISCH 220 Reden ist Chefsache 21 DI hier sitze\< 22 B4 #zweihundertfuffzich\# K «UNGLÄUBIG bezirksleiter-2/ 201 Die Fokussierung ‘Firmeninhaber’ substituiert kurzfristig die ‘Anzahl’ der eingeladenen Personen im Fokusvordergrund. Die beiden Beteiligten arbeiten an dieser Stelle gewissermaßen an einer Überprüfung der Rechtfertigungs-Gültigkeit. D.h., wenn B4 bestätigt, daß seine Gäste Firmeninhaber sind, könnte der Filialdirektor Entgegenkommen zeigen, indem er die Relevanz seiner Kritik abschwächt, etwa in der Form „wenigstens haben Sie ein interessantes Publikum eingeladen“. 217 DI ratifiziert zunächst die partnerseitige Fokusübernahme bzw. die Beantwortung seiner Frage: ja/ (Z. 19). Danach formuliert er die folgende Assertion: acht- * i hob zwohundertfuffzich stück eingeladen so wahr ich hier sitze\ (Z. 19-21). Hierzu kann folgendes festgehalten werden: - Er wiederholt die von B4 geäußerte Anzahl (acht-) und kehrt somit zu dem vorherigen Fokus zurück. Die Fokussierung ‘Firmeninhaber’ wird wieder ausgeblendet. - Der Wechsel zu einem Sprechstil, der durch höheres Sprechtempo und Schärfe im Tonfall eindeutig emphatische Züge trägt, unterstützt die zugleich insistierende Funktion der Äußerung: „Acht Personen sind wenig, sogar wenn es Firmeninhaber wären“. - Die von DI genannte Anzahl (zwohundertfuffzich stück) kontrastiert stark mit der von B4 angegebenen. Die Akzeptanz von B4’s Rechtfertigung wird vereitelt. - Der Äußerungsteil so wahr ich hier sitze\ bestärkt den Geltungsanspruch (Wahrheitsgehalt) der Assertion. Die nonverbalen Signale (das Auf-den-Tisch-Klopfen) sowie der Wechsel zur Hochsprache bekräftigen die funktionale Relevanz der Äußerung. DI demonstriert mit seiner Aktivität, daß er auf seiner Einstellung beharren und keine Relativierung der Kritik zulassen will. Das scheinbare Entgegenkommen in der eingeschobenen Frage-Antwort-Sequenz, die die Qualität der eingeladenen Gäste behandelt, fuhrt nicht zu einer Reduzierung des Konflikts. Im Gegenteil: DI macht danach deutlich, welche Leistung er vorgibt, und damit indirekt auch, was er erwartet. Der Kontrast zwischen ‘zweihundertfunfzig’ und den von B4 genannten ‘acht Personen’ ist evident. Der zu Beginn relativ undefinite Bewertungsmaßstab wird mit den genannten Zahlen gefestigt: Nur wer viele Personen einlädt, genügt den institutioneilen Zielvorstellungen. Sich selbst als gutes Beispiel zu zeigen, hat daneben natürlich auch eine selbstdarstellerische Funktion. 218 217 Das ‘Entgegenkommen’ wäre im Vollzug der Korrektivsequenz der nächste, kooperative Schritt hin zur Auflösung des Konflikts (vgl. Holly 1979, S. 58.). 218 Der Filialdirektor verwendet die unterschiedlichsten selbstdarstellerischen Mittel, in allen mir vorliegenden Gesprächen aus der Filialdirektion. Ich gehe genauer auf die selbstdarstellerischen Verfahren anhand des Inspektorengesprächs in Abschnitt 6.3, insbesondere 6.3.2, ein. Kontrolle 221 Der Rechtfertigungsversuch von B4 ist damit entkräftet. Daß er an dieser Stelle, beim Wiederholen der von DI geäußerten Zahl, im Tonfall Ungläubigkeit signalisiert, kann m.E. zeigen, daß er Schwierigkeiten im Umgang mit den Ansprüchen des Filialdirektors hat. Er kann den (Rollen-)Erwartungen des Filialdirektors nicht gerecht werden. 219 (5.17) 21 DI hier sitze\< 22 B4 #zweihundertfuffzich\# K #UNGLÄUBIG 23 DI >zwei"hundertfü"nfzig hab ich ei"nglade s=isch kein 24 DI blödsinn\<## ** #acht-# ** herr Bau"mann- * K #LEISE bezirksleiter-2/ 201 Die Reaktion des Bezirksleiters, zweihundertfuffzich\ (Z. 22), fuhrt zu einer Reformulierung seitens DI: zwei"hundertfü"nfzig hab ich ei"nglade s=isch kein blödsinn\ (Z. 23-24). Man könnte davon ausgehen, daß DI die Reaktion des Bezirksleiters als Zweifel an seiner vorigen Aussage interpretiert hat oder daß er auf die Überraschung des Partners spekulierte, um die Zahl erneut zu nennen. Mit der Reformulierung bekräftigt er den Wahrheitsgehalt (vgl. so wahr ich hier sitze\ und s=isch kein blödsinn\, Z. 20-21 bzw. 23-24). Die Formulierung der Zahl zwei"hundertfü"nfzig in der Hochsprache und die Akzentuierung von zwei der fünf Silben sind kontrastierende sprachliche Mittel zum ersten Nennen der Zahl (Z. 20) und auch zur Wiederholung der Zahl seitens des Bezirksleiters (Z. 22). Diese Zahl wird für die Bearbeitung des Problems zu einer relevanten Randbedingung, an der sich die weitere Interaktion zusätzlich orientieren wird; sie wird als Bewertungsmaßstab bestätigt. Nach dieser Reformulierung wiederholt DI die Zahl acht- (Z. 24), was er in der Überleitung zu der Frage an den nächsten Bezirksleiter (B3: Herr Baumann) durch Segmentierungen deutlich vom umgebenden sprachlichen Kontext abhebt. Da im Anschluß durch die Adressierung herr Bau"mann (Z. 24) die Sprecher-Hörer-Konstellation wechselt, kann die Gegenstandsbearbeitung was B4 betrifft als abgeschlossen gelten. Die (zweite) Wiederholung der Zahl ‘Acht’ steht an einer Stelle in thematischen Problembearbeitungen, die in der Regel Fazits, Lösungsreformulierungen oder Forderungen zur zukünftigen 219 Nonverbale und suprasegmentale Signale mit ähnlicher Funktion sind Anzeichen von Verlegenheit, Zögern und ansatzweises Lachen. Diese sprechstilistischen Charakteristika sind in den allermeisten Fällen ihres Auftretens in thematischen Bearbeitungen Hinweise darauf, daß ein Sprecher problematische Situationen überspielt (s. z.B. die Abschnitte 5.2.7, 5.2.10 und 5.2.15). Der Wechsel von der Ebene der Ernsthaftigkeit zur Scherzhaftigkeit ist außerdem ein Charakteristikum der Bearbeitungsendphase (s. Abschnitt 5.2.3). 222 Reden ist Chefsache Vermeidung des Problems Vorbehalten ist. Mit der finalen Positionierung der Zahl zeigt der Sprecher, daß er die Bearbeitung des Vorwurfs definitiv nicht als Korrektiv anerkennt. Die Rechtfertigung von B4 war mit der Funktion verknüpft, die Bewertung seiner Arbeitsleistung in ein positives Licht zu rücken. Dieses Bearbeitungsziel wird mit der Zurückweisung durch DI vereitelt. B4 scheint seine eigene Arbeitsleistung als ausreichend zu beurteilen, da er sie gewissermaßen als Konterargument ins Spiel brachte. Die Arbeitsleistung des Bezirksleiters wird von DI aber als minderwertig dargestellt. Indirekt wird damit nicht nur die Arbeitsleistung, sondern auch der Anspruch von B4 an die eigene Arbeit in Mißkredit gezogen. In Relation zu den vom Direktor gesetzten Bewertungsmaßstäben muß der Gedanke, zwei Familien einzuladen, genüge den Anforderungen, defizient erscheinen. Damit wird in einem gewissen Sinn zusätzlich zu der kritisierten Leistungsdefizienz die Bewertungskompetenz des Partners angezweifelt. Dies impliziert einen ‘subjektiven Irrtum’ des Bezirksleiters; er hat sich darin geirrt, in bezug auf welche Maßstäbe Arbeitsleistungen zu bewerten seien. Das Beispiel in diesem Abschnitt hat eine verschachtelte Realisierungsform von ‘Degradieren’ gezeigt. Die Rechtfertigungen des Bezirksleiters werden zurückgewiesen. Die sequentielle Komplexität und der Zusammenhang mit der Vorwurfs- und Rechtfertigungscharakteristik der Handlungen sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch einfachere Realisierungsformen geben kann. Das Zurückweisen von Rechtfertigungen ist ein charakteristischer Fall, weil der Partner mit der Rechtfertigung versuchen kann, die negative Bewertung seiner Arbeitsleistung zu relativieren. Die Folge davon sind oppositive Leistungsbewertungen, mit einer deutlichen ‘Diskrepanz in Betroffenheit’ (Nothdurft 1984, S. 66). Leistungsbewertungen, die sich konträr gegenüberstehen, bleiben allerdings in der Mitarbeiterbesprechung kaum längerfristig als gleichrangige ‘Meinungen’ bestehen. Allgemein könnte man sagen, daß sich gerade bei interaktiven Aushandlungen von Arbeits- oder Leistungsqualität eine außerordentlich starke Konkurrenz unter den Teilnehmern und ein quasi gesprächsinhärenter Zwang zur Festlegung der gültigen Sichtweise manifestiert. In der Regel versucht jeder, die Richtigkeit der eigenen Bewertung in irgendeiner Form zu beweisen, d.h. vor dem Hintergrund institutioneller Rahmenbedingungen zu legitimieren. Beim Degradieren wird eine Bewertung auf Kosten des Partners in dominanter Weise durchgesetzt. Die reaktive Dimension des Degradierens besteht darin, vom Partner vorgenommene Bewertungen zu überprüfen und zu korrigieren. Zur Charakteristik dieses Kontrollverfahrens zählt ein gleichsam ‘meta-evaluativer’ Aspekt: Die Bewertungsmaßstäbe des Betroffenen werden annulliert oder substituiert. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der bei der interaktiven Beziehungsdefini- Kontrolle 223 tion eine wichtige Rolle spielt. Indem man dem anderen quasi unterstellt, die Tragweite eines Defizits überhaupt nicht erkannt zu haben, bescheinigt man ihm indirekt eine berufliche Inkompetenz. Nicht nur seine Bewertung, sondern auch seine Leistungsansprüche werden als unzureichend eingestuft. Die Bewertungsmaßstäbe, die im Vollzug dieses Verfahrens ‘kontrolliert’ werden, hängen mit dem außersprachlichen Handlungskontext und der makrosozialen Dimension des Handelns unmittelbar zusammen. Im Extremfall wird dem Partner klar und deutlich gesagt, daß ihm notwendige Voraussetzungen dafür fehlen, den Anforderungen seines Berufs zu genügen (vgl. TA 6.17). Dies ist gerade dann von höchster Brisanz, wenn der Partner in irgendeiner Form seinen Status im Rahmen des Gesprächs zu stärken oder zu wahren sucht. Kallmeyer und Schmitt (1996) bezeichnen die Degradation in einem solchen Fall als eine ‘Demontage’ der in Anspruch genommenen Rolle (Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 92). 220 Der Anspruch des Teilnehmers, etwas Bestimmtes gelten zu wollen oder zu können, wird nicht ratifiziert. 221 Degradieren des Partners (R): Das Degradieren setzt eine Interaktionsphase voraus, in der Problempotentiale, Verantwortlichkeit, ein Kodex der zu erbringenden Arbeitsleitung u.ä. debattiert und ausgehandelt werden. Eine Evaluationshandlung des Partners wird nicht ratifiziert. Dadurch stehen konkurrierende Bewertungsmaßstäbe im Raum. (E): Der vom Partner eingeführte Bewertungsmaßstab wird als unzureichend dargestellt (Meta-Evaluativität). Die vom Sprecher geleisteten Fokussierungen kontrastieren charakteristischerweise semantisch mit den vom Partner relevant gesetzten Foki. Ein mit dem Bewertungsmaßstab erhobener Statusanspruch wird zurückgewiesen. Im Zusammenhang mit der Berufsrolle des Betroffenen wirft der Sprecher implizit die Frage nach dessen Kompetenz auf. (P): Der Partner ist zu imagewahrenden Aktivitäten gezwungen. Um die Dominanz des partnerseitigen Bewertungsmaßstabs zu relativieren, sind beispielsweise mit viel Aufwand eingebrachte kompetitive Problematisierungen möglich. 222 220 Die Autoren unterscheiden bei ihrer Klassifizierung allerdings nicht streng zwischen Diskreditieren und Degradieren. In ihrem Beispiel signalisiert ein Sprecher dem ‘Experten’ in einer Femseh-Talkshow, daß er selbst ebenfalls über ausgezeichnete Kenntnisse (Hintergrundwissen) hinsichtlich der vom Experten vertretenen Einstellung und Argumente verfügt. Dadurch wird die fachliche Superiorität des Gegenüber relativiert (Kallmeyer und Schmitt 1996, Kap. 5.2). 221 Das Verfahren ist typisch bei einer vom Vorgesetzten vorgebrachten Kritik; Realisierungen dieses Verfahrens werden aber auch von einigen wenigen Angestellten geleistet, etwa wenn sie ihren Vorgesetzten Unfähigkeit vorwerfen (z.B. „Sie beweisen immer wieder, daß Sie aus Ihren alten Fehlem nichts gelernt haben“). Im Gegensatz zu Vorgesetzten setzen sie sich allerdings mit ihren Bewertungsmaßstäben nicht durch. D.h., ihre Bewertung in bezug auf Leistungen wird durch ‘Gegenmaßnahmen’ des Vorgesetzten sofort wieder relativiert. 222 Kompetitive Problematisierungen stellen ein anderes Kontrollverfahren dar, das ich weiter unten eingehender behandle. Ohne ein solches mit Aufwand betriebenes Kontern scheint mir eine Reparatur des Imageverlusts nur als ‘Schadensbegrenzung’ möglich. 224 Reden ist Chefsache 5.2.6 Deklassieren des Partners Beim Deklassieren handelt es sich um ein Verfahren, bei dem analog zu dem oben beschriebenen ein beanspruchter Status nicht zugestanden wird. Allerdings handelt es sich beim Deklassieren nicht um ein Herabsetzen gemessen an beruflicher Erwartung oder Leistung. Der Bewertungsmaßstab bei einer Degradation hängt ja stark davon ab, welches (berufliche) Aufgabenprofil sich aus der Position des Teilnehmers und den an ihn gestellten Erwartungen herleiten läßt. Deklassieren heißt nunmehr, sich vom Partner gesellschaftlich zu distanzieren, wobei sich diese Abgrenzung durch einen allgemeineren soziokulturellen Standard definiert (etwa als fehlende Allgemeinbildung, Intelligenz oder Artikulationsfähigkeit). Deklassierungen kontextualisieren einen allgemeinen, über das Kommunikationsnetzwerk des Unternehmens hinausreichenden Kodex an Verhaltensregelungen und aktualisieren ihn für die weitere Interaktion. Das Deklassieren des Interaktionspartners kann als eine spezifische Form sozialer Kategorisierung verstanden werden. Der Sprecher macht im Zuge dieses Verfahrens deutlich, daß er seinen Partner einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zuordnet, und er sichert in vielfacher Weise ab, daß der Partner diese Zuordnung interpretatorisch erfassen kann. 223 Beim Deklassieren handelt es sich um die Zuordnung des Partners zu einer in der bürgerlichen Werteskala niedrig angesiedelten Gruppe. Das folgende Beispiel zeigt eine deklassierende Aktivität innerhalb einer komplexen Äußerung des Werksleiters aus dem Gespräch ‘Meister-! ’. Um die beziehungsrelevante Tragweite der Aktivität nachzuzeichnen, wird es notwendig sein, den vorangegangenen Kontext in einer umfangreicheren Form zu präsentieren. Es handelt sich um den ersten Turn des Werksleiters nach der Eröffnung des Themenbereichs ‘Gerüchte’ durch den Betriebsratsvorsitzenden (vgl. TA4.10): 224 (5.18) 1 WL (...) moment jetztherr Merkel/ 2 BV um noch 223 In ihrem Vorspann zu einer Untersuchung zur Herstellung sozialer Kategorien in der Alltagskommunikation schätzen Keim und Schmitt (1993) den Stellenwert von Kategorisierung und Typisierung als grundlegend ein: „Unsere Orientierung in der Alltagswelt ist prinzipiell generalisierend und typisierend. [...] Diese grundsätzlich typisierende Orientierung zeigt sich vor allem in der thematischen und handlungsleitenden Relevanz sozialer Kategorien“ (Keim und Schmitt 1993, S. 143). Prinzipiell stimmt dies auch für die arbeitsweltliche Kommunikation. Allerdings muß das Vorwissen von Gesprächsteilnehmem hinsichtlich betrieblicher Rollenverteilungen immer auch ‘mitgedacht’ werden (s. Abschnitt 3.1.2). 224 Der zusammenhängende Transkriptausschnitt befindet sich im Anhang II. Kontrolle 225 3 BV einmal zurü"ckzukommen zu * personal- * 4 BV mich wundert=s immer wieder- * wir sind eben 5 BV hier beim * reinlaufen * der Gruber und isch * 6 BV vom * kollegen Hermann gefragt worden was 7 BV denn wohl dran sei- * daß der * Hu"ber ins 8 BV ta”nklager kommt\ ** wo * können so" gerüchte denn 9 BV herkommen\ * n' also so la"ngsam- ** frag ich mich ob 10 BV des dann noch normal läuft\ meister-1/ 13 Der Sprecher zeigt durch die Verwendung des Konjunktivs (was derm wohl dran sei-, Z. 6-7) an, daß er über die Äußerungen eines Dritten referiert, ohne über deren Wahrheitsgehalt entscheiden zu wollen. (Herr Hermann ist nicht anwesend.) Im Anschluß daran werden als Subfoki thematische Gegenstände eingefuhrt (z.B. Hu"ber [...] ta"nklager, Z. 7-8). Hinzu kommt, daß der Sprecher den dargestellten Sachverhalt als ‘Gerücht’ klassifiziert (wo * können so" gerüchte denn herkommen\, Z. 8-9) und allgemein gesagt seine Verwunderung darüber ausdrückt, daß es überhaupt zu solchen Gerüchten kommt. 225 Gerüchte sind Zeugnisse informeller Kommunikation, die auf nicht verifizierten Informationen beruht. In der vorliegenden Organisation ‘Unternehmen’ haben Gerüchte einen denkbar niedrigen Stellenwert. Der Sprecher scheint die Relevanz des Sachverhalts mit der Klassifizierung als ‘Gerücht’ insgesamt zurückstufen zu wollen; zugleich wird aber der Verlauf des Zustandekommens von Gerüchten (oh des dann noch normal läuft\, Z. 9-10) zum thematischen Fokus. Obwohl die Äußerung keine explizite Adressierung enthält, ist klar, daß WL reagieren muß. Zum einen liegt die Versetzung von Mitarbeitern in seinem Verantwortungsbereich. Zum anderen hatte der Werksleiter dem Betriebsratsvorsitzenden nach Handzeichen das Wort erteilt, und es besteht Blickkontakt. Die Adressierung der thematischen Initiative ist insofern eindeutig. (5.19) 10 BV des dann noch normal läuft\ 11 WL also ich muß au"ch sagen 12 WL ich habe das gefühl/ * also ich ziehe entweder aus aus 13 WL meinem schuppen/ und baue mir irgendwo mit zehn meter 14 WL ab"stand/ * freies gelände drumrum und 15 WL stacheldrahtzaun/ * n eigenes büro/ *2,3* 16 WL also ich hab manchmal das gefühl es lauft hier’ 17 WL ihr kennt alle das kinderspiel stille post\ ja/ * meister-1/ 13 225 Das Gerücht wird durch die Tatsache genährt, daß der Mitarbeiter (Herr Huber) seit einiger Zeit fehlt (vgl. wenn der halt net kommt * der iss schon drei woche weg vum fenster-; BV, 1/ 15/ 9, 12), was sowohl BV und WL bekannt ist. 226 Reden ist Chefsache WL übernimmt zu Beginn seiner Reaktion die fazitartige Formulierungsweise des Partners (vgl. BV: also so la"ngsam- **frag ich mich [...], Z. 9, und WL: also ich muß au"ch sagen [...], Z. 11). Schon zu Tumbeginn wird damit seine Zustimmung zu der Wertung von BV deutlich (BV: ob des dann noch normal läuft\, Z. 9-10). Im Anschluß daran begegnet der Werksleiter der Themeneröffnung mit einer Ankündigung möglicher Maßnahmen, die durch Gerüchte notwendig werden könnten (vgl. insgesamt Z. 12-15). Er expliziert, wie er sich der Weitergabe von Gerüchten entziehen könnte. Da die Meister auf eine gewisse Erreichbarkeit ihres Werksleiters bei Störungen im Produktionsprozeß angewiesen sind, kann die Möglichkeit der Abschottung mit Stacheldrahtzaun als eine Drohung mit Unerreichbarkeit und Kommunikationsentzug verstanden werden. Die ‘Drohung’ wird durch die zweimal realisierte Formulierung [also] ich hab[e] [manchmal] das gefühl eingerahmt (Z. 12 bzw. 16). Die Reformulierung hat die Funktion einer Textherstellungshandlung (s. auch die deutliche Segmentierung *2,3* in Z. 15); zudem könnte das jeweils verwendete also (Z. 11, 12, 16) als Markierung für eine Neuorientierung des Sprechers verstanden werden. D.h., der Sprecher produziert mehrfach Gliederungssignale, mit denen er die funktionale Diversifizierung von Äußerungsteilen für den Hörer erkennbar macht. Entsprechend leitet er nach der Reformulierung ich hab manchmal das gefühl (Z. 16) und es lauft hier' (Z. 16) mit dem Neuansatz ihr kennt alle das kinderspiel stille post\ ja/ (Z. 17) ein anderes Interaktionsmuster als das bisher etablierte ein. Er startet mit wir hatten hier mal einen fall (Z. 20) die Erzählung einer Anekdote, mit der er illustriert, wie Gerüchte z.B. durch Unaufmerksamkeit bei Besprechungen entstehen können. Der folgende Ausschnitt zeigt die Erzählung: (5.20) 17 WL ihr kennt alle das kinderspiel stille post\ ja/ * 18 WL wo so zehn kinder in der reihe sind- * der erste sagt 19 WL was- * und das gehörte sagt er dem nächsten 20 WL weiter\ ** und wir hatten hier mal einen fall da 21 WL saßen wir in=nem alte' äh mittags*zimmer' 22 WL gästezimmer da oben/ * und da sprachen an ei"nem 23 WL ende vom tisch welche über das #Hansen# flu"gzeuch/ * K #NAME DES UNTERNEHMENS 24 WL und am andern ende des tisches sprachen welche * übers 25 WL werk drei\ ** und der in der mi"tte der hatte wohl 26 WL gepennt/ und wachte auf und sachte ouh das werk' 27 WL flugzeug ist in werk drei abgestürzt\ ** und ich hab K #GELÄCHTER 28 WL manchmal das gefüh"l- * daß also grade solche parolen K # meister-1/ 14 Kontrolle 227 Die Erzählung enthält u.a. folgende interaktionsrelevanten Phänomene: Zum einen markiert der Sprecher eine beziehungsmäßige Annäherung an seine Gesprächspartner, indem er die Anredeform ihr (Z. 17) und umgangssprachliche Vokabeln {gepennt, Z. 26) einflicht. Die Distanz zwischen Werksleiter und Meistern wird tendenziell ausgeblendet, wobei diese Formen für den Duktus des Werksleiters ungewöhnlich sind; außer an dieser Stelle verwendet er im ganzen Gespräch nur noch einmal die Form ‘ihr’. Zum anderen wird Gerüchten durch die metaphorisierte Darstellung des Gerüchte-Entstehens als eines ‘Kinderspiels’ (Z. 17) jeglicher institutionelle Wert abgesprochen. Der Reiz des Kinderspiels ‘Stille Post’ wie auch die Pointe der Anekdote rühren von einer Unsinn-Aussage her. Beim Kinderspiel spricht das letzte Kind in der Reihe das, was man ihm in das Ohr gefüstert hat, laut aus und erntet das Gelächter der Mitspieler. Demgegenüber ist derjenige, der während einer Sitzung in der beschriebenen Form ‘aufwacht’ (Z. 26), in unfreiwilliger Weise der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Werksleiters signalisiert gleichsam, daß Gerüchte nicht nur der realen Grundlage entbehren, sondern daß sie außerdem bei demjenigen ‘Penner’, der sie verbreitet, zu einer Einbuße an Ansehen führen könnten. Bis zu dieser Stelle ist insgesamt eine deutliche Abwertung des Themenbereichs ‘Gerüchte’ erkennbar. Nachdem der Werksleiter das Gelächter der Anwesenden geerntet hat, reformuliert er erneut die ‘rahmende’ Phrase: und ich hab manchmal das gefüh"l- (Z. 27-28). Auch an dieser Stelle markiert er eine Modifizierung des Interaktionsmusters. Die Anekdote kann im Nachhinein als eingeschobene Turneinheit interpretiert werden. Im folgenden bezieht sich der Werksleiter auf die aktuelle Situation im Werk. (5.21) 27 WL flugzeug ist in werk drei abgestürzt\ ** und ich hab K #GELÄCHTER 28 WL manchmal das gefüh"l- * daß also grade solche parolen K # 29 WL hier u"nheimlich' ** äh auf diese parolen unheimlich 30 WL angesprungen wird\ * das gibt für mich zwei 31 WL gründe\ * ad eins/ #sie haben ein wahnsinniges * K #LANGSAM, SEHR PRONONCIERT 32 WL informationsbedürfnis/ # *2,1* >über alle möglichen 33 WL scheißhausparolen/ < *4,5* tja odermeister-1/ 14 Zu den in diesem Ausschnitt von WL unternommenen Aktivitäten möchte ich folgendes festhalten: 228 Reden ist Chefsache - Im links angeschlossenen Nebensatz daß also grade solche parolen hier u"nheimlich' ** äh auf diese parolen unheimlich angesprungen wird\ (Z. 28-30) bezeichnet WL erstmals den Bearbeitungsgegenstand ‘Gerüchte’, den BV in seiner ThemeneröfFnung fokussiert hatte. WL verwendet das Lexem parolen, womit er Gerüchte als agitatorische und für die vorliegende Institution deshalb indiskutable Form der Informationsweitergabe explizit abqualifiziert. Die Form unheimlich angesprungen referiert auf das Hörerverhalten gegenüber Gerüchten. Auch hier kann aufgrund lexikosemantischer Selektion von einer Abwertung gesprochen werden. - Die Formulierung das gibt für mich zwei gründe\ ad eins/ (Z. 30-31) ist eine Projizierung einer zweiteilig konstruierten Äußerung. Mit der Form ad eins/ Wird die Fokussierung des ersten ‘Grunds’ vorbereitet. - Beim Äußerungsteil sie haben ein wahnsinniges * informationsbedürfnis/ *2,1* (Z. 31-32) fällt zunächst auf, daß WL die Adressierung sie verwendet. Es handelt sich hier um die erste explizite Adressierung seiner Äußerung nach ihr kennt alle das kinderspiel [...] (s.o., Z. 17). Nachdem die soziale Distanz zwischen Werksleiter und Meistern durch das ihr kurzzeitig ausgeblendet war, wird sie jetzt mit der Form sie reetabliert. Mit dem Satz sie haben ein wahnsinniges * informationsbedürfnis/ nennt der Sprecher eine Ursache für das Hörerverhalten gegenüber Gerüchten. ‘Informationsbedürfnis’ kann durchaus als potentielle Entschuldigung dafür verstanden werden, daß man sich auf jegliche Form von Information stürzt. Insofern hätte diese Angabe die Funktion, das Image der Angesprochenen zu schützen. Nun entsteht eine relativ lange Pause (*2,7*). Beim Hören hat man den Eindruck, daß der Sprecher die Wirkung seiner Formulierung bewußt bekräftigen will. Zu dieser Interpretation trägt auch die auffällig langsame und prononcierte Sprechweise bei. Insgesamt könnte man hier von einer ansatzweisen Emphatisierung sprechen. - Mit der syntaktisch links angeschlossenen Präpositionalkonstruktion >über alle möglichen scheißhausparolen/ < (Z. 32-33) wird eine imagewahrende Wirkung des vorangegangenen Hauptsatzes wieder ‘rückgängig’ gemacht. Das ‘Informationsbedürfnis’ beschränkt sich aus der Sicht WL’s auf ‘Scheißhausparolen’. WL bezeichnet damit eine Form kommunikativen Austauschs, die ein denkbar niedriges gesellschaftlich Ansehen hat. Während man ein Informationsbedürfnis bei Meistern als (positives) Motivationssignal auffassen könnte, ist das Berücksichtigen und Ernstnehmen von scheißhausparolen ein Zeichen dafür, daß man sich sozial-gesellschaftlich ‘nach unten’ orientiert. Damit werden die Angesprochenen durch eine radikale Abwertung ihres kommunikativen Verhaltens deklassiert. Abgesehen von dem lexematisch realisierten Kontrast ‘Informationsbedürfnis’ vs. ‘Scheißhausparolen’ fällt im Zuge der Formulierung über alle möglichen scheißhausparolen/ ein Wechsel zu schnellerem Sprechtempo Kontrolle 229 auf. Dies weckt wiederum zusammen mit der jetzt prägnanten Pause (*4,5*, Z. 33) den Eindruck, daß der Sprecher die assertative Geltung seiner Formulierung bestärken will und daß er die imageverletzende Potenz seines Handlungszugs nicht zu vermindern sucht. Oben hatte ich beim Wechsel zum langsamen Sprechen von einer ansatzweisen Emphatisierung gesprochen; hier tritt nun m.E. mit dem Wechsel zum schnelleren Sprechtempo, der Kontrastierung lexiko-semantischen Materials und der Herbeiführung einer markanten Segmentierung eine deutlich erkennbare Emphatisierung auf. Die an dieser Stelle eintretende Pause ist nicht allein durch die Tatsache erklärbar, daß WL einen zweiteiligen Gesprächsschritt bzw. das Nennen zweier Gründe angekündigt hatte (vgl. o. ad eins/ , Z. 31). Das Schweigen der Angesprochenen ist auch eine Defensivreaktion; die Möglichkeit der Rederechtübernahme wird gleichsam aus Gründen des Selbstschutzes ausgelassen. Erst als WL fortfahrt mit tja oder- (Z. 33), ergreift einer der Meister das Wort: (5.22) 33 WL scheißhausparolen/ < *4,5* tja oder- 34 Ml telefon 35 Ml uffschraube unn gucke ob e wanze drin iss her\ 36 M4 mhm\ 37 WL tja oder- * äh *2,9* ja * ich weiß eigentlich 38 WL gar keinen anderen grund\ meister-1/ 14 Seine Reaktion telefon uffschraube unn gucke ob e wanze drin iss her\ (Z. 34- 35) übernimmt keine der von WL geleisteten Fokussierungen. Ml geht offenbar von der Annahme aus, daß WL andere Personen mit seiner Äußerung gemeint haben kann. Die Vorstellung, daß im Telefon ‘Wanzen’ versteckt sein könnten, mit deren Hilfe andere sich unrechtmäßig Informationen verschafften, blendet die Tatsache aus, daß WL explizit die Meister angesprochen hatte. 226 Im folgenden schließt WL seine als zweiteilig projizierten Äußerungen mit der Formulierung tja oder- * äh *2,9* ja * ich weiß eigentlich gar keinen anderen grutid\ (Z. 37-38). Daß Fazit aus der Reaktion des Werksleiters auf die Thematisierung der ‘Gerüchte’ ist zunächst, daß er dem Bearbeitungsgegenstand jegliche Relevanz abspricht. Das Lexem ‘Scheißhausparolen’ ist jedoch nicht allein eine Abwertung von ‘Gerüchten’ im allgemeinen, sondern es ist im situativen Kontext eingebunden in eine tendenziell beleidigende Aktivität. Die Meister 226 Die Psychologie würde in einem solchen Fall vielleicht von ‘Meidungsverhalten’ sprechen, das u.a. der „Beseitigung bedrohlich wirkender Kognitionen“ dient (Arnold et al. 1993, S. 1347.) 230 Reden ist Chefsache werden deklassiert, indem der Werksleiter ihnen explizit unterstellt, daß sie zu denjenigen gehören, die ein nachweisbares Interesse für Sprüche an Toilettenwänden haben. Das Lexem ‘Scheißhausparolen’ indiziert einen sozio-kulturellen Handlungskontext unterster Kategorie. Dabei wird den Meistern die Identifizierung mit einer entsprechenden Personenkategorie untergeschoben, während der Werksleiter sich gleichzeitig von dieser Art Information sozial distanziert. Man könnte hier einen Vergleich ziehen zwischen den Funktionen dieses Kontrollverfahrens und einigen Möglichkeiten sozialer Identitätsbildung in Gruppen. Schwitalla und Streeck (1993) zeigen beispielsweise, daß sich Jugendliche in einer Gruppe durch deklassierende Äußerungen über einen Sozialarbeiter in ihrer Identität zu stärken versuchen. Abgrenzung nach verschiedenen Seiten schafft einen gesellschaftlichen Raum für die Gruppe. Auch im vorliegenden Fall wird ein Identitätssignal ausgesandt: Wer sich mit bestimmten Rollenanforderungen im Unternehmen identifizieren will, tut gut daran, sich von Gerüchten zu distanzieren. So könnte man beim Deklassieren des Interaktionspartners in der Mitarbeiterbesprechung von einer gleichsam ultimativen Aufforderung zur Identitätsbekundung sprechen. Weiterhin zeigt das Beispiel, daß Teilnehmerleistungen, Gesprächsgegenstände, bestimmte Bewertungen usw. mit sozio-kulturellen Erwartungen der Sprecher Zusammenhängen. Durch ein Deklassieren des Interaktionspartners wird ihm nicht nur die Fähigkeit abgesprochen, im Rahmen seiner (beruflichen) Verantwortung zu handeln; darüber hinaus wird sein reales Handeln abqualifiziert. Im Zuge eines Deklassierens wird ein bürgerlicher oder moralischer Wertemaßstab relevant gesetzt. Deklassierungen sind sprachliche Sanktionsmittel, die die Einstellung des Partners auf eine nach diesen Werteskalen untragbare Motivation zurückfuhren. Deklassierende Aktivitäten können immer als eine bestimmte Form der sozialen Kategorisierung verstanden werden. Umgekehrt ist es jedoch nicht immer leicht zu entscheiden, welche soziale Kategorisierung deklassierende Züge hat. Eine Form des Deklassierens liegt z.B. auch im Inspektorengespräch vor. Der Filialdirektor fragt die Inspektoren, ob sie viele Personen zum ‘Tag der offenen Tür’ eingeladen hätten. Als sie schweigen, fährt er fort: ga"r keine gell/ [...] -warum ma"chen wir hier en tag der offenen tür\< * was denken sie\ ** weil wer samstags nix anderes zu tun haben ne/ * wenn=s langweilig ist zu hause (s. Abschnitt 4.3.3.2). Die vom Filialdirektor explizierten ‘Gründe’ besitzen keinerlei Relevanz für das Unternehmen. Er signalisiert, daß die Leistungen der Inspektoren hinter seinen Erwartungen Zurückbleiben. Zugleich spricht er ihnen indirekt die Urteilsfähigkeit über den Sinn und Zweck der Veranstaltung ab. ‘Langeweile’ ist allein kein Grund; es wird ihnen aber gewissermaßen unterstellt, daß diese Möglichkeit für sie in Frage käme. Die In- Kontrolle 231 teraktionspartner sind gezwungen, ein ihrer Position adäquates, verantwortungsbewußtes Handeln zu demonstrieren. Deklassieren des Partners (R): Der Sprecher begegnet der Partneraktivität mit einem Beitrag der weiteren Bearbeitung (eingeschränktes Zustimmen, Signale des Interpretierens). Mikrosequentiellen Handlungsverpflichtungen wird entsprochen (Einlösen konditioneller Relevanz / Selbstwahl des Rederechts). (E): Zur Weiterbearbeitung auf sachlicher Ebene tritt ein evaluativer Aspekt. Der Sprecher etabliert einen Bewertungsmaßstab allgemeiner, sozial-gesellschaftlicher und moralischer Natur. In bezug auf diesen Maßstab wird das reale Handeln des Partners (nicht notwendig seine verbalen Aktivitäten) abqualifiziert. An sprachlichen Mitteln kommen insbesondere eine pejorative, kulturell negativ besetzte Lexematik und eine unmittelbare Adressierung der Aktivität zum Tragen. (P): Der Partner ist zur Anbindung an Identifikationssignale einer bestimmten arbeitsweltlichen Gruppe gezwungen (Zeigen von Pflichtbewußtsein, Verantwortlichkeit u.a.), um seine sozial-moralische Ausgrenzung zu verhindern. 5.2.7 Einbinden von Vorwissen An anderer Stelle hatte ich gezeigt, daß durch sprachliche Fokussierungsleistungen Wissensbestände aktualisiert werden können, die als übergeordnete Orientierungslinien über längere Zeit erhalten bleiben, bis man sie durch andere Bearbeitungsgegenstände ablöst. An thematischen Umbruchstellen (Einfuhren eines thematischen Fokus) hat ein solches Aktualisieren von Wissensbeständen grundlegende formale und steuernde Funktionen für die thematische Organisation des Gesprächs. Ein als bekannt vorausgesetztes Vorwissen ermöglicht es, mittels eines einzigen Lexems ein Thema zu beenden und ein anderes zu eröffnen (vgl. Abschnitt 4.2.2.2). Das ‘Einbinden von Vorwissen’ wird als Kontrollverfahren eingesetzt, wenn jemand Wissensbestände (Informationen zum betrieblichen Handlungskontext) zur eigennützigen Manipulation des Geschehens in Reaktion auf vorangegangene Partnerbeiträge nutzt. Unter ‘Vorwissen’ ist ein grundsätzlich sowohl dem Sprecher als auch seinem Interaktionspartner zugänglicher Wissensbestand zu verstehen. Dieser spielte bisher in der Interaktion keine Rolle, wird jedoch durch die Realisierung des Kontrollverfahrens relevant gesetzt (z.B. als zusätzliche Randbedingung, eine bisher unbeachtete Problemdimension, ein Zeitfaktor u.a ). Da es sich um einen beiden Parteien zugänglichen Wissensbestand handelt, ist dieses Verfahren von anderen, und zwar denjenigen zu unterscheiden, bei denen ein ‘Expertenwissen’ zur Steuerung des Geschehens eingesetzt wird (vgl. im nächsten Abschnitt). 227 227 Wissensasymmetrie ist bei der Untersuchung fachlicher Kommunikation immer wieder als ein zentraler Gesichtspunkt genannt worden (z.B. Henne und Rehbock 1982, Selling 1983, Linell und Luckmann 1991, Drew und Heritage 1992, Beneke 1992, Reitemeier 1994 u.a.). Eine eingehendere Beschreibung dieses Phänomens steht noch aus. In ei- 232 Reden ist Chefsache Das Kontrollpotential beim Einbinden von Vorwissen fußt auf der steuernden Kraft sprachlicher Fokussierungsleistungen. Das Einbinden von Vorwissen kann eine radikale Veränderung situativer Rahmenbedingungen des Handelns bewirken. Im folgenden Beispiel ‘entschärft’ der Sprecher durch das Einbinden von Vorwissen die situativen Rahmenbedingungen. Es handelt sich um die Eröffnung des Themas ‘Herr Hollmann’ aus dem ersten Bezirksleitergespräch, das der Filialdirektor auf die Formulierung einer emotiven Bewertung folgen läßt: wo war dem der herr Ho"llmann Herr Kaiser am frei"tag zur schu"lung\ (Z. 5-6) (vgl. Abschnitt 4.2AA, TA 4.17). Markant ist bei der Formulierung der Frage die Emphatisierung durch sprechstilistische Mittel (Rhythmisierung). Die Frage impliziert Aspekte, die den Angesprochenen in erkennbarer Weise unter Druck setzen. 228 (5.23) 1 DI ich muß' äh äh ich möchte ihnen einige dinge 2 DI mi"tteilen/ * n=paar davon sind sehr angenehm 3 DI n=paar' * #hab i"ch mich * persö"nlich * geä"rgert/ # K #RHYTHMISCH 4 DI * äh * da spreche ma drüber\ ** zum einen/ ** äh: 5 DI ** wo war denn der #herr Ho"llmann herr Kaiser am K #RHYTHMISCH 6 DI frei"tag zur schu"lung\# *2,2* 7 B3 über der herr 8 B3 #Hollmann * dürfen se mich derzeit net# frache bis K «UNTERDRÜCKTER, VERLEGENER LACHANSATZ bezirksleiter-1/ 176 Die Frage wo war dem der herr Ho"llmam (Z. 5) konkretisiert den vorangegangenen, allgemeinen Hinweis auf Ärgernisse im ersten thematischen Fokus. Durch die namentliche Adressierung herr Kaiser (Z. 5) wird dem Bezirksleiter B3 das vorrangige Bearbeitungsrecht zugewiesen. Die akzentuiernem zusammenfassenden Beitrag unterscheidet Drew (1991) vier Formen von Wissensasymmetrie: Die Zugnfismöglichkeit eines Sprechers auf ein bestimmtes Wissen (‘Expertenstatus’), die autoritative Zugriffsberechtigung, d.i. die Frage, welche Bestandteile sozialer Identität mit der Fokussierung bestimmter Wissensbestände aktualisiert werden (Drew 1991, S. 27f), die Zugriffsverweigerung, als Strategie, den Partner in eine nachteilige Situation zu drängen (S. 30f). Als vierte Vorkommensweise nennt Drew Informationslücken als Ursache von Mißverständnissen (S. 24f.). Auch wenn seine Systematik Defizienzen aufweist - Drew gesteht dies selbst ein ist ein solcher Versuch der Diversifizierung in jedem Falle sinnvoll. 228 Zur Erinnerung sei angemerkt: Herr Hollmann ist Aspirant auf eine Verkäuferanstellung und wurde von B3 an die Versicherungsdirektion vermittelt. Dadurch sind B3 gewisse Betreuungspflichten entstanden, zu denen es u.a. zählt, den ‘Neuling’ zum Besuch von Schulungen zu veranlassen. Kontrolle 233 ten Lexemefrei"tag und schu"lung (Z. 6) subfokussieren jeweils Aspekte, die die institutionelle Relevanz des Themas und die Verantwortung B3’s in eine direkte Verbindung bringen. Die Aktivität des Filialdirektors ist nicht einfach als eine Frage nach einer Ortsangabe zu verstehen; Schulungen rangieren in den Pflichten neuer Versicherungsverkäufer mit an erster Stelle. Schulungen zu versäumen, kann deshalb bedeuten, daß man sich mit den Aufgaben eines Versicherungsagenten nicht ausreichend identifiziert. DI deckt also ein Defizit in der Arbeitsbeteiligung von Herrn Hollmann auf. Da B3 in einem gewissen Sinn für dieses Defizit verantwortlich gemacht werden kann, kann DFs Frage als ‘Zwischenfallmarkierung’ (Holly 1979, S. 55) aufgefaßt werden; sie zeigt einen Verstoß gegen eine institutioneile Norm (Schulungsbesuch) an. Implizit wirft DI dem Bezirksleiter mangelnde Kontrolle über den ihm Unterstellten oder Anvertrauten vor. Der illokutionäre Sprechhandlungstyp ‘Vorwurf stellt einen der eindeutigsten Fälle eines imagebedrohenden Sprechakts dar. Um sein Gesicht (Image) zu wahren, ist der Angesprochene gezwungen, einer wenn auch nur gemutmaßten - Schuldhaftigkeit von seiner Seite zu begegnen, und zwar mit einer komplementären Sprechhandlung, einem Korrektiv. Es fällt auf, daß die Antwort von B3 zögernd und mit Anzeichen von Verlegenheit oder Eingeschüchtertheit erfolgt. Sowohl die markante Pause vor dem Start der Reaktion (Z. 6) als auch die im Tonfall manifeste Verlegenheit (K- Zeile zu Z. 8) deuten daraufhin, daß B3 auf die persönliche Frage nicht vorbereitet war. Man könnte hier mit Gross und Stone (1976, S. 199) von einer „Unfähigkeit zum Handeln in Korrespondenz zu den Handlungsanforderungen“ nach der Frage sprechen. Es scheint, der Filialdirektor hätte mehr oder minder bewußt darauf spekuliert, bei B3 Verlegenheit auszulösen, insbesondere deshalb, weil sich B3 ja auch vor seinen anwesenden Kollegen mit Sicherheit keine Blöße geben will: „Wenn [...] der Untergebene seine Gelassenheit verliert, so mag der Vorgesetzte dies ganz in Ordnung finden und als korrekten Ausdruck des hier geforderten Verhaltensmusters gelten lassen“ (Goffman 1991a, S. 143). 229 (5.24) 6 DI frei"tag zur schu"lung\# *2,2* 2 B3 über der herr 8 B3 #Hollmann * dürfen se mich derzeit net# frache bis K «UNTERDRÜCKTER, VERLEGENER LACHANSATZ 229 „[...) bewußt ausgelöste Verlegenheit [kann] als negative Sanktion verwendet werden, zum Beispiel, wenn jemand, dessen Rollenspiel sich als unangemessen erweist, bloßgestellt wird“ (Gross und Stone 1976, S. 199). Ein anderes suprasegmentales Signal mit einer ähnlichen Funktion wie der Tonfall der Verlegenheit ist die Manifestation von Ungläubigkeit (vgl. TA 5.17). Beide weisen auf ein Überraschungsmoment hin. 234 Reden ist Chefsache 9 B3 10 DI 11 DI 12 DI 13 B3 14 B3 15 B3 [die prüfung beendet ist/ L ja ich qla: b scho"n\ ja dann sage se mer wo er ist/ s=isch doch keine prüfung\ isch doch |vorbereitungX ne/ L freitags-' * mittwoch und freitags haben gemeinsam in der hauptverwaltung prüfungsvorbereitungX bezirksleiter-1/ 176 doch ne die B3’s Reaktion, über der Herr Hollmann * dürfen se mich derzeit net frache bis die prüfung beendet ist/ (Z. 7-9), hat eine zweiteilige syntaktische Struktur mit Hauptsatz und temporalem Nebensatz. Der Hauptsatz beginnt mit der Präpositionalkonstruktion über der Herr Hollmann, womit der Bezirksleiter anzeigt, daß er die Fokussierung des Bearbeitungsgegenstands ratifiziert. Mit der Konstruktion dürfen se mich derzeit net frache drückt der Bezirksleiter aus, daß sein Partner mit der Frage eine Initiative gestartet hat, die zum jetzigen Zeitpunkt von ihm nicht bearbeitet werden kann. Zudem kann die modale Form ‘nicht dürfen’ das Fehlen einer erforderlichen Berechtigung denotieren. Damit würden durch die Äußerung des Bezirksleiters rollenspezifische Beteiligungsrechte des Filialdirektors kurzzeitig ausgesetzt. Letzteres wird von dem Filialdirektor mit der Reaktion ja ich gla: b scho"n\ (Z. 10) sofort gekontert. Er startet diese Reaktion, noch während der Bezirksleiter spricht, und zwar fast unmittelbar, nachdem der Hauptsatz über der herr Hollmann dürfen se mich derzeit net frache (Z. 7-8) vollständig formuliert ist. Die akzentuierte Modalpartikel scho"n hat hier die Funktion, die Gültigkeit von B3’s Assertion einzuschränken bzw. zu negieren. Sie ist in dieser Hinsicht einem Negator wie ‘doch’ äquivalent. Das bedeutet, daß der Filialdirektor die Reaktion von B3 bis hier als metakommunikativen Angriff auf die eigenen Initiativrechte bezüglich des Bearbeitungsgegenstands interpretiert hat. Mit der Reaktion ja ich gla: b scho"tt\ insistiert der Direktor auf seinem Recht, die Frage zu stellen. Er vereitelt damit eine potentielle Gefährdung seiner Befugnis, die Effizienz im Arbeitsverhalten der Bezirksleiter zu prüfen und ggf. zu kritisieren. Mit dem temporalen Nebensatz bis die prüfung beendet ist/ (Z. 8-9) signalisiert B3 eine Thematisierung nach erfolgter Prüfung als möglicherweise effizientere Gelegenheit zur Bearbeitung des Gegenstands. Zugleich leistet er - und das ist der entscheidende Punkt mit dem Lexem ‘Prüfung’ die Neu-Fokussierung eines Aspekts, der das Fehlen des Aspiranten bei der Schulung rechtfertigen kann: Herr Hollmann war mit Vorbereitungen für eine brancheninterne Prüfung beschäftigt, die alle Aspiranten absolvieren müssen. Die formelhafte Abwehr-Reaktion, die im vorangegangenen Hauptsatz vorliegt {dürfen se mich derzeit net frache), und das ‘Vertagen’ der Themenbearbeitung (obwohl der Bezirksleiter die Antwort auf DFs Frage weiß) stellen sich retrospektiv als korrektives Komplement zur Vorwurfshandlung des Filialdirektors heraus. Kontrolle 235 Nach einem erneut insistierenden Äußerungsteil (Ja dann sage se mer doch wo er ist/ , Z. 10-11) übernimmt DI die von B3 geleistete Fokussierung: s=isch doch keine priifung\ isch doch ne vorbereitung\ ne/ (Z. 11-12). Das Lexem prüfung wird von DI durch Vorbereitung substituiert; DI ‘korrigiert’ gleichsam den Bezirksleiter. Diese Korrektur ist in bezug auf seine Frage kontextualisiert; das Lexem Vorbereitung wäre die korrekte Antwort auf das wo (Z. 5) gewesen. Die Häufung von Elementen, die ein Abwägen der Gültigkeit signalisieren {doch keine [...] doch), indiziert, daß hier eine Form von Bewertungshandlung vorliegt, mit der die Gültigkeit von B3’s Fokussierung im Hinblick auf die vorangegangenen Handlungsimplikationen überprüft wird. Zugleich wird deutlich, daß DI die Anforderung an B3 stellt, weitere Erläuterungen folgen zu lassen. B3 begegnet diesen Anforderungen mit: mittwoch undfreitags haben die gemeinsam in der hauptverwaltung prüfungsvorbereitung\ (Z. 13-15). Der Satz enthält Angaben zu Zeit, Ort und den Beteiligten an der Veranstaltung (die gemeinsam referiert auf alle Prüfungsaspiranten in der Direktion). Weiterhin verwendet B3 das Kompositum prüfungsvorbereitung, mit dem er seine Fokussierung sowohl bezüglich des aktuellen Zeitpunkts präzisiert, als auch DFs Substitution von prüfung durch Vorbereitung übernimmt. Später wird sich heraussteilen, daß der Filialdirektor als einziger Anwesender nicht wußte, wo Herr Hollmann sich freitags aufhält. Offensichtlich weiß jedoch auch der Direktor von den Prüfungen; er gibt zu erkennen, daß er den durch die Neuorientierung auf die ‘Prüfung’ realisierten Fokuswechsel nachvollzieht. Insgesamt wird deutlich, daß das kritische Potential des Bearbeitungsgegenstands ‘Herr Hollmann’ von der Person B3’s abgelenkt worden ist. Es scheint primär nicht mehr darum zu gehen, daß es Mängel in seiner Betreuungsfunktion geben könnte, sondern darum, daß DI nicht ausreichend informiert worden war. Durch das Einbinden eines Wissensbestandes wird im vorliegenden Beispiel ein Mißverständnis aus dem Wege geräumt. B3 hat durch das Einbringen sachspezifischen Wissens den reziproken kommunikativen Bewertungsrahmen, innerhalb dessen sein Image unmittelbar gefährdet war, hin zu einer inhaltlichen Argumentationsbasis verändern können. Auffällig ist bei der Formulierung des Nebensatzes bis die prüfung beendet ist/ (Z. 8-9) ein Wechsel in der gewählten Sprachlage. Die Einführung des Fokus ‘Prüfung’ wird von B3 in der Hochsprache formuliert (im Gegensatz zum vorangegangenen, dialektal getönten Hauptsatz). Dadurch wird die Relevantsetzung der Neu-Fokussierung unterstützt, bzw. die Annäherung an institutionsspezifische Interessen signalisiert. Die sozial positive Konnotation der Hochsprache wird hier m.E. auch genutzt, um den beziehungsrelevanten Implikationen der Situation, die durch einen möglichen Imageverlust belastet ist, auszuweichen (i.S. einer mikrostrukturell angezeigten sozialen Konvergenz; auch bei der Frage des Direktors liegt ja Hochsprache vor, vgl. Z. 5-6). B3 236 Reden ist Chefsache wehrt also zum einen die Imagebedrohung ab, indem er Hollmann wegen der Teilnahme an der Prüfung indirekt ‘entschuldigt’; der Stilwechsel deutet aber zugleich darauf hin, daß er dem Eindruck sozialer Submissivität entgegenzuarbeiten intendiert. Wissensvorteile von Sprechern im institutioneilen Gespräch werden zu einem immer wieder beobachteten Steuerungsfaktor im Kommunikationsprozeß. 230 Auch in der Mitarbeiterbesprechung kann ein Sprecher mit Hilfe spezifischer Neu-Fokussierungen die Aufmerksamkeit des oder der anderen Beteiligten steuern. Die Aufmerksamkeitssteuerung ist umso effizienter, je einfacher der Sachverhalt vom Hörer wiedererkannt und aktualisiert wird. Indem man mit Hilfe von Neu-Fokussierungen einen interaktionsrelevanten Wissensbestand aktualisiert, kann man von spezifischen Handlungsanforderungen einer Problematisierung oder einer Kritik ablenken. In diesem Sinne hat ein solches Kontrollverfahren eine relevanzrückstufende Funktion. Die Rückstufung schwächt die vom Partner etablierten Bearbeitungsansprüche ab, und zwar insbesondere beziehungsrelevante Implikationen. Aus dieser Perspektive stellt dieses Kontrollverfahren ein Ausweichmanöver dar, durch das ‘die Karten neu gemischt werden’, d.h. die interpersonale Beziehung neu definiert oder reorganisiert werden kann. Man könnte auch von einem ‘EbenenwechseT mit konfliktreduzierender Funktion (Schwitalla 1987) sprechen, und zwar dort, wo situative Rahmenbedingungen imagegefährdende Aspekte innehaben. Mit dem Einbinden von Vorwissen als einer kontrollierenden Aktivität kann eine Entschärfung konfliktträchtiger Situationen verwirklicht werden. Durch das Einbinden von Vorwissen wird der vom Partner relevant gesetzte Fokus in einen Zusammenhang, in eine Relevanzstruktur eingebettet. Dadurch leitet der Sprecher eine Veränderung des reziproken kommunikativen Bewertungsrahmens in die Wege. Er initiiert in erkennbarer Form die Konstitution neuer Rahmenbedingungen des Interagierens. Durch ratifizierende Handlungszüge des Interaktionspartners wird diese Veränderung oder Neuorientierung gefestigt. Um die partnerseitige Ratifizierung der interaktioneilen Relevanz einer Information zu sichern, ist es typisch, daß sich Sprecher in ihrem Sprechstil an den Partner angleichen. An mehreren Stellen im Korpus konnte ein Wechsel des Angestellten zur Hochsprache konstatiert werden, wenn er ein betriebswirtschaftliches Argument oder eine Information aus dem innerbetrieblichen Handlungskontext einbrachte. Einbinden von Vorwissen (R): Der Sprecher löst sequentielle Handlungsverpflichtungen ein. Er übernimmt die von seinem Partner geleistete Fokussierung. Typisch für den Start des Verfahrens sind 230 Vgl. z.B. die Beobachtungen von Reitemeier (1994) zu Steuerungs- und Kontrollmechanismen in Beratungsgesprächen. Zu den Möglichkeiten, durch Fachterminologie Identifizierungssignale zu leisten, vgl. auch Beneke (1992). Kontrolle 237 Eröffnungen zweiteiliger (syntaktischer) Strukturen, die einen höher gewichteten zweiten Äußerungsteil erwartbar machen. 231 (E): Kern des Kontrollverfahrens bildet eine Neu-Fokussierung bisher nicht berücksichtigter Wissensbestände aus dem innerbetrieblichen Handlungskontext. Der Wissensbestand wurde auf Seiten des Partners vermutet oder konnte vorausgesetzt werden. Implikationen, die aus der Partneräußerung resultieren, werden dadurch in eine Relevanzstruktur eingebettet. Eine vorhandene, vorrangig gewichtete Beziehungsrelevanz partnerseitiger Foki kann relativiert werden (Umkehr zur Sachverhaltsebene). (P): Die situativen Handlungsbedingungen sind insofern modifiziert, als ein zusätzlicher Aspekt im folgenden berücksichtigt werden muß. Der Partner ist zu einer Reevaluierung gezwungen (Überprüfen der Sichtweise, Evaluieren der Komplexität). 5.2.8 Beanspruchen eines Expertenstatus Das gängigste Verfahren, um einer lästigen Diskussion aus dem Weg zu gehen, ist es, dem anderen zu demonstrieren, daß er weniger weiß als ich. H.B., Forschungsingenieur In einer allgemeinen Definition beruht die Rolle des ‘Experten’ in Gesprächen darauf, daß ein Teilnehmer über einen Wissens- und Informationsbestand verfugt, der dem oder den anderen nicht zugänglich ist oder von ihnen nicht erwartet werden kann (Spranz-Fogasy 1993). Der Wissensbestand des Experten ist hermetisch. In der Mitarbeiterbesprechung handelt es sich um partikuläres Fachwissen der einzelnen Teilnehmer in Abhängigkeit von ihrer (beruflichen und ggf. akademischen) Bildung und ihrer Einbindung in den realen Arbeitsprozeß (Prozeßabläufe, Maschinenbedienung, Kundenkontakt etc.). Expertenwissen kann aktualisiert, eingeklagt und angefordert werden. Die Aktualisierung erfolgt durch manifeste Hinweise in sprachlichen Aktivitäten (z.B. die Verwendung von Fachsprache, die Fokussierung ‘geheimer’ Planungsdetails, die Darstellung des eigenen Erfahrungsreichtums etc.). Eine strategische Verwendung von Expertenwissen ist dann gegeben, wenn der Sprecher auf Wissensbestände rekurriert, die dem anderen nicht zur Verfügung stehen können, um den Gesprächsverlauf zu manipulieren. Im Rahmen des strategischen Einsatzes solcher Wissensvorteile nimmt der Sprecher für sich einen Expertenstatus in Anspruch (vgl. hierzu Selling 1983). Der unglückliche Ausdruck ‘zur Verfügung stehen’ birgt ein wesentliches Merkmal dieses Kontrollverfahrens und grenzt seine Charakteristika von anderen ab, über die ebenfalls eine ‘Wissensasymmetrie’ als Folie der Analyse gelegt werden könnte (vgl. im vorigen Abschnitt). Die Möglichkeit des Verfü- 231 Die im Beispiel dieses Abschnitts manifeste ‘Verlegenheitsreaktion’ des Bezirksleiters (über der Herr Hollmann dürfe se mich derzeit netfrache) ist nicht durchgängig für alle Realisierungsformen des Kontrollverfahrens nachweisbar. Dieser Typus von Reaktionen ist von der Charakteristik der Partneraktivität hier eine indirekte und doch klar erkennbare Imagebedrohung provoziert. 238 Reden ist Chefsache gens allein macht die Spezifika des Kontrollverfahrens jedoch noch nicht aus. Bei der folgenden Beschreibung wird die durch das Beanspruchen eines Expertenstatus erzielte Modifizierung des Interaktionsmusters eine wichtige Rolle spielen. Bei der Systematisierung von Themeneröffnungen in der Mitarbeiterbesprechung (Abschnitt 4.3.1.4) hatte ich angesprochen, daß die Handlungsimplikationen einer Problematisierung abgeschwächt werden können, indem man den Partner im Gegenzug auf ein Wissensdefizit aufmerksam macht, das für die Bearbeitung des Gegenstands notwendigerweise ausgeglichen werden muß. Etwaige defizitäre Aspekte werden so nicht als interaktionsrelevante Probleme mit aktuellem Bearbeitungsbedarf anerkannt; vielmehr fuhrt man die partnerseitige Problematisierung auf ein Informationsgefälle zurück. Dadurch bringt man sich in Zugvorteil. Der Partner wird in eine passive Rolle (Hörerstatus) gezwungen. Das Verfahren soll exemplarisch an der Eröffnung des bereits mehrfach angesprochenen Themas ‘Werk 1’ im ersten Meistergespräch betrachtet werden. Es handelt sich um die erste Subthemeneröffnung im Rahmen des vom Betriebsratsvorsitzenden im Gespräch ‘Meister-1’ angeschnittenen Themenbereichs ‘Gerüchte’ (vgl. TA 4.10). Der Werksleiter beteuert innerhalb einer Diskussion um die Entstehung von Gerüchten, daß die Angst um Arbeitsplätze mit Sicherheit keinen Anlaß für Gerüchte zu bieten braucht. Der Betriebsratsvorsitzende kontert mit der Behauptung (einem manifesten Gerücht), das Werk 1 werde aber bald geschlossen. Die Aufmerksamkeitsorientierung der Teilnehmer richtet sich zu diesem Zeitpunkt ungefähr auf den folgenden Ebenen aus: Der Beginn des folgenden Ausschnitts zeigt eine Fazitäußerung des Werksleiters zu den Ängsten der Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze (vorläufiger Abschluß des Subthemas 1). Der Werksleiter bekräftigt die Grundlosigkeit der Ängste: Sogar wenn es Änderungen in den Betriebsstrukturen geben sollte, würden die Mitarbeiter in andere Bereiche übernommen (wird hier doch keiner auf die rei"se geschickt, Z. 2-3). Im Anschluß daran behauptet nun der Betriebsratsvorsitzende, die Schließung von Werk 1 stünde kurz- oder mittelfristig bevor (Z. 7-8): Kontrolle 239 (5.25) 1 WL wenn wir heute auf die idee" kommen wollten\ * und 2 WL wollen irgendwas ä"ndern\ * denn wird hier doch keiner 3 WL auf die rei"se geschickt\ * 4 BV gut ma sollt aber * vielleicht gerade weil=s hier' * 5 BV hier immer mit gerüchten gea"rbeitet wird\ 6 WL ja\ 7 BV sollt ma mol ganz klar sagen/ * daß=es 8 BV werk eins eben * ni"cht mehr lange existiert\ 9 BV und des kann ma glaub ich auch r lau"t sagen\ 10 WL L nein- * nein meister-1/ 15 Die von BV gemachte Behauptung hat angesichts des in diesem Moment aktuellen Themenkomplexes eine brisante Bedeutung. Mit dem Fokus ‘Schließung des Werks 1’ gibt BV ein ‘Beispiel’ für ein im Unternehmen kursierendes Gerücht, wobei er dessen Wahrheitswert durch expandierte Modalformen bekräftigt: sollt ma mol ganz klar sagen/ (Z. 7), kann ma glaub ich auch lau "t sagen\ (Z. 9). Die mögliche Schließung wird damit von BV bei der Bearbeitung des Subthemas ‘Angst um Arbeitsplätze’ als hochgestufte Problematisierung eines Subfokus eingebracht. Zum einen markiert der Sprecher das Thema ‘Werk 1’ als dem Themenbereich ‘Gerüchte’ zugehörig (Z. 5); zum anderen weist der adversative Anschluß an die vorangegangene Partneräußerung (gut ma sollt aber [...], Z. 4) auf unverträgliche Elemente zwischen WL’s Feststellung und BV’s folgender Behauptung hin. Der Werksleiter hatte zuvor den Geltungswert von Gerüchten heruntergestuft; würde er nun dem Gerücht ‘Schließung von Werk 1’ Wahrheitswert zugestehen, könnte man ihm Unaufrichtigkeit vorwerfen. BV geht es offensichtlich um eine öffentliche Thematisierung der Problematik. Seine Initiative enthält keine persönliche Adressierung, sondern zielt auf eine gesteigerte Aufmerksamkeit aller Zuhörer. BV realisiert einen Angriff" auf WL, indem er ihm indirekt vorwirft, wichtige Informationen zurückzuhalten, von denen alle Mitarbeiter im Werk 1 existenziell betroffen sind. Die Intention, die BV mit der Eröffnung verfolgt, ist provokativ. Der Werksleiter widerspricht sofort: (5.26) 9 BV 10 WL 11 WL 12 BV K 13 WL 14 WL 15 BV und des kann ma glaub ich auch r lau"t sagen\ L nein- * nein das is falsch\ doch ne des is' #WL UND BV WERDEN LAUTER r >das iss fa"lsch\< L des iss diese information die i"sch/ * von der nein herr Merkel okay\ 240 Reden ist Chefsache 16 BV r geschä"ftsleitunq hab\# 1 7 WL L moment\ dann muß ich die information meister-1/ 16 Die Gültigkeit der Assertion BV’s wird von WL negiert: nein- * nein das is falsch\ (Z. 10-11). Auch auf das Insistieren (doch ne des is', Z. 12) reagiert der Werksleiter negierend: nein herr Merkel >das iss fa"lsch\< (Z. 13-14). Die namentliche Anrede läßt hier tendenziell über ein Fordern von Aufmerksamkeit von BV hinaus die Funktion eines ‘Ordnungsrufs’ erkennen. Der Sprecher schränkt die Adressierung seiner Reaktion auf Herrn Merkel gewissermaßen ein, um dessen allgemeiner Aufmerksamkeitsprovokation zu begegnen und eine Entrüstung der Zuhörer zu vereiteln. Zudem akzentuiert WL das Lexem/ «"Ae/ ; bei seiner zweiten Verwendung, was im Kontrast zu seiner ersten (Z. 11) emphatisierend wirkt. Der Werksleiter markiert, daß für eine Bearbeitung der Problematisierung primär die Überprüfung von deren Wahrheitswert in Frage kommt. Durch das Negieren des Wahrheitswerts entsteht ein Legitimationszwang für den Interaktionspartner (vgl. hierzu Abschnitt 5.2.12). BV reagiert mit der Legitimierungsinitiative des iss diese information die i"sch/ * von der geschä'ftsleitimg hah\ (Z. 15-16). Mit dem Nennen der Geschäftsleitung beruft sich BV auf eine Autorität, der auch WL angehört und von der zumindest bei den Themen, die betriebsorganisatorische Fragestellungen wie eben Werksschließungen beinhalten, richtige Informationen erwartbar sind. Interessant ist nun, daß schon kurz nach dem Start der Legitimierungsinitiative (diese information die i"sch/ * [...] hah\), WL einlenkend reagiert (okay\, Z. 14), das Rederecht beansprucht (moment\, Z. 17) und die Rolle des Tnformierers’ übernimmt: (5.27) 14 WL r >das iss fa"lsch\< okay\ 15 BV L des iss diese information die i"sch/ * von der K (BEIDE SPRECHER LAUT) 16 BV (geschä"ftsleitunq hab\# 17 WL L moment\ dann muß ich die information 18 WL etwas ri"chtigstellen\# 19 BV j a \ * meister-1/ 16 Der Betriebsratsvorsitzende wechselt bei der Formulierung der Legitimierungsinitiative von der unpersönlichen Man-Form zur Ich-Form. Zugleich leistet er einen Hinweis darauf, daß er von der Verantwortung für die Geltung der Information über das Werk 1 zurücktritt, bzw. daß er sie der Geschäftsleitung gibt. In zunehmendem Maße kommt so der subjektive Grad an Infor- Kontrolle 241 miertheit ins Spiel. 232 Das ‘Problem Werk 1’ wird gewissermaßen als ein ‘Informationsbestand Werk 1’ typisiert. Bezeichnenderweise startet der Werksleiter einlenkende Aktivitäten schon nach dem Satz: des iss diese information (Z. 15). Informationsbestände scheinen grundsätzlich leichter transferierbar zu sein als Problemsichtweisen, die von der subjektiven Bewertung abhängig gemacht werden können. Der Werksleiter bietet sich sofort als derjenige an, der die aktive Rolle in diesem Transfer übernimmt: dann muß ich die information etwas ri"chtigstellen\ (Z. 17-18). Der Betriebsratsvorsitzende ratifiziert diese Initiative: ja\ (Z. 19). Die Charakteristik der Themenbearbeitung und der situativen Rahmenbedingungen werden von beiden Teilnehmern von einer tendenziell brisanten Problembearbeitung hin zu einer Tnformationsweitergabe’ reduziert. 233 Die Themenbearbeitung tritt in eine neue Phase; die Situation ist umdefmiert und der vorläufige ‘Kommunikationsmodus’ festgelegt worden (Quasthoff 1981, S. 310f). Die Sprecher zeigen diese Neudefmition auch prosodisch mit einem Senken der Lautstärke an. WL weicht einer Problemdefinition aus, indem er auf mangelhafte Information BV’s hinweist. Er wendet das Blatt, indem er dem anderen die Rolle desjenigen gibt, dessen Äußerungen Zweifel an der Glaubwürdigkeit aufkommen lassen könnten. WL zwingt den Partner zu einer Legitimierungsinitiative und bringt sich in eine Position, in der er die Möglichkeit erhalten wird, zu begründen, warum BV’s Behauptung falsch sei. Der Partner wird gewissermaßen als ein ‘Nicht-Wisser’ typisiert, den es im folgenden zu informieren gilt. Die Beteiligungsmöglichkeiten des Partners werden bis auf weiteres auf Zuhöreraktivitäten reduziert. Indem der Betriebsratsvorsitzende diesen Wechsel der Beteiligungsrollen ratifiziert, erhält sein Partner das Recht, den thematischen Gegenstand zunächst in der Form zu bearbeiten, wie er es für richtig hält. Das richtigstellen der Information bedeutet in diesem konkreten Fall, zusätzliche Informationen über den aktuellen Stand der Diskussion in der Geschäftsleitung zu geben. Zu den Diskussionen dieses Gremiums haben die Meister keinen unmittelbaren Kontakt. Im folgenden Kontext realisiert der Werksleiter umfangreiche Darstellungen zu der Kosten-Nutzen-Rechnung in bezug auf das 232 Es handelt sich hier um den interessanten Fall, wo der Sprecher mit der Ich-Form die Übernahme von Verantwortung für das augenblicklich Gesagte anzeigt, durch die Formulierung auf der Metaebene die Verantwortung für die Gültigkeit der Information jedoch abgibt. 233 Dieses Beispiel zeigt, daß die Teilnehmer von den Vorgaben eines makrostrukturellen Handlungskomplexes zu denen eines anderen relativ rasch wechseln können auch dann, wenn 'starke’ Handlungszwänge bestehen: Die Subfokussierung von 'Werk 1’ war mit einem hohen Grad an problematischem Potential verknüpft. Zudem steht WL’s Glaubwürdigkeit zur Debatte, der die Sicherheit der Arbeitsplätze beteuert hatte (Imagebedrohung). 242 Reden ist Chefsache Werk 1 (aus Raumgründen verzichte ich hier auf das vollständige Zitieren; vgl. aber Anhang II, ‘Werk 1’, Z. 79-159). Der Umfang seiner Darstellungen ist ein erstes, gleichsam quantifikatives Indiz für das Beanspruchen eines Expertenstatus. Der Werksleiter verwendet durchgängig die Wir-Form, ein Hinweis auf seine Mitgliedschaft in der Geschäftsleitungs-Gruppe. Er spricht über Entscheidungen, an denen die Meister nicht teilhaben (z.B.: wir haben [...] eine / ' wahnsinnig leistungsfähige fettfabrik\ * dazu gekauft\ ** die iss größer und schneller als a"lle fabriken die wir bisher habenV, s. Anhang II, ‘Werk 1’, Z. 141-144). Er schlägt ein Angebot des Betriebsratsvorsitzenden zu einer Beteiligung an der Diskussion aus {die aufgaben haben im augenblick a"ndere\\ ebd., Z. 116/ 7). Schließlich scheint er seine Sprachlage an die Modalitäten einer Sitzung des höheren Gremiums anzupassen. Indizien hierfür sind die Selektion im Bereich der Lexematik (z.B.: sehr viele hunderttausendmarkscheine, Wasserhaushaltsgesetze, kostenzusammenstellung, kapazitätsentlastung, fixkostenüberlagerung, programmteil, kombinationsgeschäfte etc.), ein komplex verschachtelter Satzbau (ebd., z.B. Z. 127-134) und die Einordnung des ‘Werk 1’ in die Konzernstruktur. Der Werksleiter entwirft insgesamt eine stellenweise ins Detail gehende Analyse ökonomischer Bedingungen, und er tut dies offensichtlich vor dem Hintergrund eines fundierten betriebswirtschaftlichen Fachwissens. Dadurch wird für die Bedeutung des Sachverhalts eine bestimmte Interpretationsweise durchgesetzt (vgl. Kallmeyer und Schmitt 1996). 234 Eine Realisierung des Kontrollverfahrens ‘Beanspruchen eines Expertenstatus’ erwirkt Modifizierungen auf diversen interaktionskonstitutiven Ebenen. Als vielleicht wichtigste Veränderung ist die Konstitution eines neuen Interaktionsmusters zu nennen. Beim ‘Beanspruchen eines Expertenstatus’ wird die Thematisierung eines als Problem eingestuften Sachverhalts als Bearbeitungsgegenstand anerkannt, jedoch nur ‘unter dem Vorzeichen’ des Informationstransfers. Der Sprecher typisiert die partnerseitige Problematisierung als das Resultat eines rekonstruierbaren Informationsgefälles, für dessen Ausbalancierung er allein die notwendigen Mittel hat. Durch die Präsentation von Wissensbeständen, die ausschließlich ihm zur Verfügung standen, gelingt es dem Sprecher, den bisher aktiven Partner in eine passive Hörerrolle zu drängen. Zur Abwicklung des Interaktionsmusters übernimmt der Sprecher eine domi- 234 Zum Vergleich sei verwiesen auf die Aktivität des Filialdirektors in ‘Bezirksleiter-2’, als er das brisante Thema ‘Akquisition in der Strafvollzugsanstalt’ eröffnet: a"lso ich * werd' möcht sie informieren daß auch sie wenn sie * damit konfrontiert werden ** korrekte auskunft geben kö"nnen was *1,1* akquisition im * Strafvollzug betriff\ (VIII/ 212/ 18-21; s. die Analyse von TA 4.25). Auch mit dieser Äußerung wird ein Expertenstatus beansprucht. Das Steuerungspotential dieser Aktivität bietet nach Abschließen des angekündigten Informationstransfers - Kontrollmöglichkeiten durch eine Rückbindung (etwa „ich sagte Ihnen anfangs schon, daß Sie defizient informiert waren“). Kontrolle 243 nante Rolle. Ein Expertenstatus wird deshalb in Kontrast zu den sonstigen Anwesenden beansprucht; der Expertenstatus wird durch die Abgrenzung von Nicht-Experten konstituiert. Das ‘Beanspruchen eines Expertenstatus’ markiert eine partikuläre soziale Struktur, in der die Rollen des ‘Experten’ und (komplementär dazu) des ‘Laien’ über längere Zeit relativ fixiert sind und zwischen ihnen soziale Distanz signalisiert wird. Das ‘Beanspruchen eines Expertenstatus’ markiert fachliche Asymmetrie durch nicht-reziprokes, berufsbezogenes Gesprächsverhalten. Ein gleichsam ‘hermetisches’ Sprechen indiziert einen dem Partner nicht zugänglichen Informationsbestand. Beanspruchen eines Expertenstatus (R): Die aus einer Problematisierung entstehenden Handlungsimplikationen werden auf die Weitergabe von Informationen reduziert. Individuelle Beteiligungsaufgaben werden neu definiert. (E): Die partnerseitige Problematisierung wird als manifestes Indiz für ein Informationsdefizit beim Partner behandelt. Der Partner wird als ‘Nicht-Wisser’ typisiert, dem wichtige Informationen fehlen (Nicht-Reziprozität der Wissensbestände). Der Sprecher signalisiert die Übernahme einer Expertenrolle (langer Tum, syntaktische Komplexität, Fachsprache). Insgesamt wird dadurch der Geltungsanspruch (Wahrheitsgehalt, Problemevaluation) der partnerseitigen Aktivität relativiert/ 35 Vor dem Hintergrund fachlicher Asymmetrie beansprucht der Sprecher einen Superioren Status. (P): Der Sprecher drängt seinen Partner in eine Hörerrolle, und er zwingt ihn tendenziell dazu, die Sichtweise des ‘Experten’ als die dominante anzuerkennen. 5.2.9 Zurückweisen von Problematisierungen Als ‘Problematisierungen’ bezeichnete ich im vorigen Kapitel Aktivitäten, die einen Sachverhalt erkennbar als interaktionsrelevantes Problem einstufen, z.B. vor dem Hintergrund eines planerischen Defizits. Mit Problematisierungen etablieren die Sprecher spezifische Beteiligungserwartungen an ihre Interaktionspartner, die im Rahmen einer Problembearbeitung eingelöst werden können. Das ‘Zurückweisen von Problematisierungen’ bedeutet, der Konstitution eines weiterführenden Interaktionsmusters auszuweichen. Für die Klassifizierung des Kontrollverfahrens waren Belegstellen in den Materialien entscheidend, an denen Sprecher auf die metakommunikative Ebene wechselten, den Äußerungsstart überlappend und mit klaren Signalen für das Beanspruchen des Rederechts unternahmen und darüber hinaus den Wunsch zum Abbruch der Themenbearbeitung deutlich erkennbar machten. Bis auf einen Fall er- 235 Das im vorangegangenen Abschnitt erläuterte ‘Einbinden von Vorwissen’ ist dem hier beschriebenen Kontrollverfahren insofern verwandt, als bei beiden Wissensbestände strategisch eingesetzt werden. Außerdem resultiert bei beiden Kontrollverfahren eine Neudefinition von Problemen, und Problemsichtweisen werden relevant gesetzt, die potentiell in der Lage sind, über die Sichtweisen des Partners zu dominieren. In dieser Hinsicht sind die Übergänge fließend. (Vgl. auch den nächsten Abschnitt). 244 Reden ist Chefsache folgte das Zurückweisen der Problematisierung als zweiter Schritt im Anschluß an eine (Sub-)Themeneröffnung. Hierzu ein typisches Beispiel aus dem Gespräch ‘Bonusentlohnung’: Der Produktionsleiter greift den Terminus Tst-Zeit’ aus der Beispielerläuterung des Bereichsleiters für Arbeitswirtschaft auf, um selbst einen Beitrag zu der Beispieldarstellung zu leisten. Dabei verkompliziert er das von BA gegebene Beispiel. Der Beginn des folgenden Textausschnitts zeigt den Einstieg von PL in die Beispieldarstellung von BA: (5.28) 1 PL ** weil die i"stzeit hier zu sehen ist\ * also der 2 PL eine ist zum beispiel jetz m' >sagen wer mal< 3 PL vierhundert*neu"nzich minuten dader andere is 4 PL vielleicht vierhundertsie"bzich p minuten da- 5 BA L na: lassen=se 6 BA des beispiel bitte so wie=s is/ r also es warn jeder 7 PL L vierhundertacht' K #BEIDE TN LAUTER 8 BA r * vierhunnert' * die i''stzeit\ er is 9 PL L >die i"stzeit\< 10 BA p vie"rhunnertachtziq minuten da\ * 11 PL L die i"stzeit\ bonusentlohnung/ 104 BA reagiert auf PL’s Initiative mit der Formulierung na: lassen=se des beispiel bitte so wie=s is/ (Z. 5-6). Damit weicht er der Anforderung aus, PL’s Beitrag bei der weiteren Darstellung seines Beispiels zu berücksichtigen. Das Beispiel würde aus der Sicht BA’s unnötig verkompliziert. PL insistiert im folgenden nicht auf seiner Problematisierung, sondern lenkt durch unterschiedliche Aktivitäten nach der Unterbrechung durch BA ein. Sprecher starten die Zurückweisung von Problematisierungen auf der metakommunikativen Ebene und typischerweise bei laufender Äußerungsproduktion des Partners. Das Signal für die Rederechtbeanspruchung wird in auffälliger Form mit Hilfe imperativischer Formen geleistet, z.B. halt, halt (BA, V/ 131/ 12), >aufpassen\ aufpassen\< (PL, V/ 131/ 13), >ne halt langt\< 126 (PL, V/ 13 8/ 15), oder auch mit Indikatoren stark eingeschränkter Zustimmung (vgl. o., das langgezogene na: des Sprecher in TA 5.28, Z. 5). Die illokutive Kraft solcher metakommunikativen Signale reicht von der Steuerung der Hö- 236 In dieser Aktivität von PL, >ne halt langt\<, sind drei Elemente enthalten, die jeweils unterschiedliche semantisch-pragmatische Aspekte seiner Intervention indizieren. Die Negationspartikel ne zeigt Nichtakzeptanz an, die Partikel halt hat vornehmlich appellative FunJaion, die den Partner am Fortfahren hindern soll, und mit langt gibt PL zu erkennen, daß er von weiteren Ausführungen seiner Partnerin keinen Gewinn für die laufende Interaktion mehr erwartet (vgl. Abschnitt 3.1.6). Kontrolle 245 reraufmerksamkeit bis hin zur Sanktionsandrohung. Nach diesen Signalen wird die metakommunikative Ebene von den Sprechern in der Regel beibehalten: >ne halt langt\< * dann muß ich unterbrechet und zwar unsrem einfachen grund\ (PL, V/ 138/ 15-18), oder: aufpasset * >dann nämlich-' * aus der< aus de"r thematik möcht ich sofort abbrechet (PL, V/ 136/ 5-6). Die hier zitierten Belege stammen alle aus dem Gespräch ‘Bonusentlohnung’, was m.E. zeigt, daß hier komplexe Vorbedingungen für die präferierte Anwendung dieses Kontrollverfahrens existieren. Allerdings konnten in anderen Gesprächen vergleichbare Formen gefunden werden. Im Gespräch ‘Meister-1’, wendet z.B. der Werksleiter eine etwas anders gelagerte Form des Kontrollverfahrens an. Um eine weitere Diskussion über Anschaffüngswünsche der Meister zu verhindern, sagt er: so\ ich wollt ihnen aber' ich wollt des gar nicht weiter jetz jetzt jetzt jetzt ausdehnen/ (1/ 9/ 13-16). An anderer Stelle reagiert er auf die Behauptung des Betriebsratsvorsitzenden, es seien Arbeitsplätze in Gefahr, mit: also ich glaube wir sollten das thema mit den arbeitsplätzen ein bißchen beiseite schiebet (WL, 1/ 20/ 21-24). 237 Die Zurückweisungen von Problematisierungen indizieren makrostrukturelle Bedingungen für die Gesprächsdurchführung. Die Bedingungen stehen in engem Zusammenhang mit der Frage, was in der Interaktionssituation zu einer Problemdefmition führen kann (oder soll) oder was zum jetzigen Zeitpunkt relevant für ein übergeordnetes Interaktionsschema ist. Das problematische Potential wird im Rahmen der hier gezeigten Zurückweisung nicht bestätigt. Um die Konstitution einer Problembearbeitung zu vereiteln, ‘entkräften’ die Sprecher den problematisierten Fokus hinsichtlich seiner interaktionsmusterkonstitutiven Eigenschaften. Die Zurückweisung ist eine Zurückstufung des Bearbeitungsbedarfs eines als Problem typisierten Gegenstands; sie zielt auf eine schnelle Beendigung des Themas. Mit der Zurückweisung kann allerdings ein weiterer Bearbeitungsbedarf für denselben Sprecher entstehen. Sie muß legitimiert sein, oder sie muß legitimiert werden. Der metakommunikativen Intervention können deshalb komplexe Aktivitäten nachgeschaltet werden. Der Produktionsleiter im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ läßt auf seine Zurückweisungen beispielsweise Aktivitäten folgen, die dem Sachverhalt den Bezug zum Thema absprechen oder die die Praktikabilität partnerseitiger Lösungsvorschläge abstreiten. Da der Interaktionspartner ebenfalls versucht hat, die Problematisierung zu legitimieren, geht das Zurückweisen der Problembearbeitung mit einer Überprüfung der Gültigkeit von Legitimierungen einher. Ob oder wie ein Sprecher Initiativen aufgreift und deren Bearbeitungsanspruch an- oder aberkennt, hängt nicht 237 Die metakommunikative Kontrollhandlung hindert den Betriebsratsvorsitzenden indes an dieser Stelle nicht daran, auf dem höchst problematischen Potential des Themas zu bestehen Der Werksleiter reagiert mit einer Ausgrenzung des Betriebsratsvorsitzenden (vgl. im Anhang II, ‘Werk 1’, Z. 193-204, sowie Abschnitt 5.2.3). 246 Reden ist Chefsache zuletzt davon ab, ob die legitimierenden Bemühungen des Partners in sinnhafter Weise für den übergreifenden institutioneilen Handlungskontext objektivierbar sind. Der weitere Bearbeitungsbedarf seitens des Interaktionspartners wird beim ‘Zurückweisen’ nahezu obsolet, wenn hinsichtlich des Problempotentials des zur Debatte stehenden Sachverhalts Konsens ermöglicht wird. Das Herstellen von Konsens durch Aktivitäten des Interaktionspartners (Ratifizierung, Akzeptanz) leitet die folgende Auflösung des Fokus ein. 238 Daß nicht nur die Problematisierungen Angestellter zurückgewiesen werden, zeigt das am Anfang des Abschnitts zitierte Beispiel aus dem Gespräch ‘Bonusentlohnung’. Für Realisierungen seitens Angestellter, die eine vom Vorgesetzten eingebrachte Problematisierung zurückweisen und eine partnerseitige Ratifizierung erhalten würden, konnte allerdings im gesamten Gesprächsmaterial kein Beleg gefunden werden. Vorgesetzte beharren regelmäßig auf der problematischen Dimension der von ihnen eingebrachten thematischen Bearbeitungsgegenstände. Droht der Gegenstand durch entsprechende Argumente, Informationen etc. des Interaktionspartners sein problematisches Potential zu verlieren, dann demonstrieren Vorgesetzte häufig eine dominante Bewertungshaltung: Sie verzichten darauf, Konsens zu signalisieren, sondern fokussieren im unmittelbaren Anschluß an die Partneräußerung subordinierte oder nebengelagerte Aspekte, die wiederum einen hohen Grad an problematischem Potential haben (etwa in der Form „mag ja sein, daß Sie mit x recht haben, aber wegen y geht es trotzdem nicht“, vgl. Abschnitt 5.2.14). Salopp könnte man sagen, daß Angestellte, auch wenn sie betriebswirtschaftliche Argumente zur Plausibilisierung ihrer Sichtweisen anfuhren, die Kompetenz nicht zugestanden bekommen, gültige Bewertungen des Problempotentials von Bearbeitungsgegenständen zu leisten, wenn der Vorgesetzte von vorneherein anderer Meinung war. Zurückweisen von Problematisierungen (R): Der Sprecher übernimmt den Bearbeitungsgegenstand (Fokus). Die beanspruchte Interaktionsrelevanz wird jedoch nicht anerkannt, sondern zurückgewiesen. Die Übernahme des Rederechts erfolgt mit Indizien für eine ‘harte’ Intervention (konkurrierendes Unterbrechen). 238 Wenn Konsens im Anschluß an die Zurückweisung nicht erreicht wird, kommt es regelmäßig zu mehreren Runden alternierender (initiativer) Problematisierungen und (reaktiver) Zurückweisungen. Z.T. handelt es sich um interaktive Aushandlungen der Problemdefmition. Die Aushandlung beinhaltet i.a. komplexe Handlungszüge, die dem Handlungsschema der Problembearbeitung zugehören (wie etwa Bewertungshandlungen bezüglich der Verantwortung, Entwickeln und Überprüfen von Problemsichtweisen etc.; Kallmeyer 1985). Stellenweise kann auch von einem ‘Austausch von Argumenten’ (Kallmeyer und Schmitt 1996) gesprochen werden: Man läßt das erste Argument, dem widersprochen wurde, fallen und ersetzt es durch ein neues. Kontrolle 247 (E): Der Sprecher stuft den Bearbeitungsbedarf des partnerseitig eingebrachten Fokus zurück. Charakteristischenveise wechselt er hierzu auf die metakonununikative Ebene, um die Auflösung des Fokus einzufordern. Die weitere thematische Bearbeitung wird verhindert oder auf eine Relevanzüberprüfung reduziert. (P): Der Sprecher fordert von seinem Partner ein Akzeptanzsignal ein. Um die Schwelle hierfür zu senken, leistet er u.U. eine potentiell konsensstiftende Expansion seiner Intervention. Weitere Handlungsschritte einer ‘Problembearbeitung’ werden ausgesetzt. 5.2.10 Ignorieren von Initiativen Das Verfahren des ‘Ignorierens’ ist nicht auf Eigenschaften einer Aktivität zu reduzieren, sondern es kristallisierte sich als das Resultat einer Analyse der situativen Rahmenbedingungen des Handelns und der daraufhin geleisteten Aktivitäten heraus, die mit den Rahmenbedingungen nicht in Zusammenhang stehen. Beim ‘Ignorieren von Initiativen’ entsteht eine Diskrepanz zwischen den mit einer Aktivität hersgestellten Bearbeitungsanforderungen und den Eigenschaften der im Gegenzug geleisteten Handlung. Diese hat nicht das Potential, die Bearbeitungsanforderungen einlösen zu können. Mit dem ‘Ignorieren’ wird eine Zäsur im Kontext einer etablierten oder noch zu entwickelnden Sachverhaltsdimension im Gespräch markiert. Das ‘Ignorieren von Initiativen’ beschreibe ich als a) das Etablieren interaktioneilen Bearbeitungsbedarfs, den b) der Partner in jedem Fall interpretatorisch zu erfassen imstande ist, dem er c) aber in keiner Weise nachkommt. Das Verhältnis der beiden Aktivitäten ist pragmatisch zu betrachten: Auch nonverbale Aktivitäten (Kopfnicken) können Einlösungen eines geforderten Bearbeitungsschritts sein. Die folgenden Ausschnitte stammen aus der (fortgeschrittenen) Bearbeitung des Themas ‘Liste’ aus dem ersten Meistergespräch; der Werksleiter hatte von den Kostenstellen und dem Personal eine Liste angefertigt, die er den Meistern zur Einsichtnahme ausgehändigte (vgl. TA 4.22fT.). Der Ausschnittbeginn zeigt das Ende eines Beitrags vom Werksleiter, der eine Rückfrage beantwortet hatte (Z. 1). Der Realisierung des Kontrollverfahrens geht nun die Frage eines Meisters an den Werksleiter voraus, wie viele Arbeitstage das Jahr habe. Der Meister (Ml) deutet dabei zunächst keine Problematisierung an, sondern einigt sich gemeinsam mit WL nur auf eine ungefähre Zahl der Arbeitstage. (5.29) 1 WL ich wei"ß es auch nicht so genau\ ** ja/ 2 Ml L wie viele 3 Ml arbeitstage ham=man/ * ich hab e=mol 4 Ml f nochgezählt- * zwe' 5 WL L ich glaub zwohundertvierundvierzieh 6 WL ham wer\ oder zwohundertvierzich oder 7 WL [zwohundertvierundvierzich\ 8 Ml L zwehunnerte: nevierzich\ 9 WL gut kann sein\ * ja so um die dreh rum\ ** ja/ meister-1/ 5 248 Reden ist Chefsache Mit der abschließenden Bemerkung gut kann sein\ (Z. 9) stuft der Werksleiter die Relevanz des Gegenstands zurück. Die ungefähre Festlegung auf die Zahl der Arbeitstage scheint den aus der Frage des Meisters (Z. 2-3) resultierenden Bearbeitungsanforderungen aus seiner Sicht zu genügen. Die Frage des Meisters wird auch von ihm selbst beantwortet: zwehunnerte: nevierzich\ (Z. 8). Dabei zeigt sich, daß er die Zahl besser kennt als der Werksleiter. Man könnte hier insofern von einer rhetorischen Vorlaufsequenz (pre-sequence) sprechen, mit der der Meister die folgende Fokussierung des Problemikems vorbereitet (vgl. 4.35), bzw. mit der er sich hinsichtlich einer Wissensgrundlage absichert. (5.30) 9 WL gut kann sein\ * ja so um die dreh rum\ ** ja/ 10 Ml also * do kann ich jetz zwehunnertachtzich 11 Ml tage dagegesetze\ 12 WL LACHT KURZ okay\ >also ich wollt 13 WL ihnen das nur sa"genich hab also auch die ganzen 14 WL li"sten da für die' * ich hab also auch die' meister-1/ 5 Mit seinem Beitrag also * do kann ich jetz zwehunnertachtzich tage dagegesetze\ (Z. 10-11) gibt Ml die um einiges höhere Summe der von ihm geleisteten Arbeitsstunden in Tagen an. Diese Behauptung kann als eine in hohem Maße problematisierende Initiative gewertet werden. In der Summe seiner Überstunden hat der Meister etwa vierzig Tage mehr gearbeitet, als das Kalenderjahr Arbeitstage hat. Obwohl die Äußerung von Ml keine persönliche Adressierung enthält, ist der Partnerbezug hier sowohl aus der laufenden Partnerkonstellation auf dem Floor als auch aus betriebsorganisatorischen Gründen offensichtlich. WL ist von dieser Problematisierung unmittelbar betroffen, weil er durch seine Leitungsfunktionen auch an der Arbeitszeitenregelung teilhat. 239 Die verbale Form kann ich [...] dagegesetze\, die den Kontrast der Arbeitstage im Jahr mit den von Ml geleisteten Tagen hervorhebt, könnte als implizite Anforderung an WL gesehen werden, eine Stellungnahme zu den Überstunden des Meisters zu liefern. 239 Geleistete Überstunden werden im Rahmen von Regelungen abgegolten, die durch Betriebsvereinbarungen getroffen werden. Das heute weitgehend etablierte Konzept sieht vor, daß Überstunden ‘abgefeiert’ werden, sofern es die Auftragslage zuläßt. Das Auszahlen von Überstunden wird von Finnenleitungen wegen des hohen prozentualen Zuschusses vermieden, kann aber in Absprache mit dem Betroffenen von der Geschäfts- oder Betriebsleitung zumindest für einen Teil der Überstunden angeordnet werden. Dafür ist i.d.R. wiederum die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Wenn die Aushandlung von Vereinbarungen verzögert oder versäumt wird, kann der Anspruch auf das Abgelten von Überstunden verfallen. Für die entsprechenden Gespräche bleibt es ist bereits Oktober wenig Zeit. Kontrolle 249 Das kurze Lachen von WL bei der Übernahme des Rederechts (für das es im vorangegangenen Kontext keinen erkennbaren Grund gibt) weist darauf hin, daß WL den Handlungsanforderungen ausweicht bzw. daß er sich mit einer impliziten ‘Verpflichtung zum Engagement’ (GofFmann 1991a, S. 125) konfrontiert sieht, auf die er momentan nicht reagieren kann (oder will). Das Lachen ist ein minimales Indiz dafür, daß ein Verstoß gegen diese Verpflichtung stattfindet und daß WL rollenspezifische Anforderungen übergeht. WL’s anschließende Äußerung okay >also ich wollt ihnen das mir sa"gen- (Z. 12-13) ist nicht auf die Problematisierung der Überstunden von Ml bezogen. Er reetabliert vielmehr den vor der Zwischenfrage von Ml zu den Arbeitstagen bearbeiteten Fokus. WL reformuliert in expliziter Form den Bearbeitungsanspruch, der mit der Präsentation einer Auflistung von Kostenstellen verknüpft ist (vgl. Abschnitt 4.3.2.1) und beendet die Bearbeitung des Themas ‘Liste’ noch im selben Turn. Man beachte insbesondere die Häufung der fazitanzeigenden Partikel also (Z. 12, 13, 14, 16): (5.31) 12 WL LACHT KURZ okay\ >also ich wollt 13 WL ihnen das nur sa"genich hab also auch die ganzen 14 WL li"sten da für die' * ich hab also auch die' die 15 WL e.” gruppen' also das persona"! eingeteilt daß 16 WL jeder das also' das nachgucken kannich hatt ihnen 17 WL das ja eines der letzten male gesacht\< * 18 WL so\ jetzt wollt ich sie über etwas 19 WL informieren/ ** der herr Klein gab mir * 20 WL eine bedarfsanmeldung rein- * äh die meister-1/ 5 WL weicht, indem er die Initiative des Meisters ignoriert, einem Handlungsschritt aus, der etwa im Reformulieren des Problems, im Redefmieren von Bearbeitungsbedarf etc. Einlösungen finden könnte. Er vereitelt das Konstituieren eines subordinierten Interaktionsschemas, das Handlungsschritte zur weiteren Bearbeitung und (eventuell) zur Lösung des Problems beinhalten könnte. Er dominiert in der aktuellen Interaktionsphase, weil er den Abschluß des übergreifenden Fokus ansteuert, ohne daß Ml insistierende Aktivitäten im Subfokusbereich startet. Das Ignorieren subthematischer Initiativen ist ein deutliches Zeichen dafür, daß man in der Mitarbeiterbesprechung auf prinzipiell andere Normalformerwartungen des Interagierens rekurrieren kann als in der Alltagskommunikation. Fokuswechsel dieser Art können als Manifestationen eines EingrifTsrechts gelten, bei dem die Sprecher auf asymmetrisch distribuierte Beteiligungsvoraussetzungen zurückgreifen. Bezeichnend ist hierbei, daß der Vorgesetzte dieses Verfahren anwenden kann, ohne daß er sich erkennbar zu einem 250 Reden ist Chefsache Legitimieren seiner ausweichenden Handlung veranlaßt zu sehen braucht. Das Ignorieren von Problematisierungen ist somit eine Erscheinungsform, die auf makrostrukturelle Steuerungsmechanismen und auch teilnehmerspezifische Steuerungsmacht hinweist. Das Ignorieren der Initiative indiziert klar erkennbar ein dichotomisches Verhältnis in der sozialen Struktur der Teilnehmerkonstellation. Die Realisierung dieses Kontrollverfahrens seitens eines Angestellten konnte nicht mit der Eindeutigkeit identifiziert werden, wie sie im Beispiel dieses Abschnitts zu Tage tritt. Gleichwohl reagieren statusinferiore Sprecher auf bestimmte Initiativen mit Ersatzaktivitäten, deren kontextueller Anschluß als ‘weiches’ Ignorieren bezeichnet werden könnte. Mit einem ‘weichen’ Ignorieren sind Reaktionen gemeint, die die aus der Partneräußerung resultierenden Implikationen tendenziell ausblenden. Solche Aktivitäten markieren den Übergangsbereich des Ignorierens zu anderen Kontrollverfahren mit Charakteristika des Ausblendens. 240 Belege für ein ‘weiches’ und ‘hartes’ Ignorieren konnten vor allem in fortgeschrittenen Bearbeitungsphasen oder Themenbeendigungsphasen gefunden werden. Die Beobachtungen von Lenz (1989) haben gezeigt, daß Themenbeendigungen in einer Arbeitsbesprechung ein Resultat gemeinsamen Rückzugs vom Thema, die Herleitung ‘gemeinsamen Schweigens’ sind. Das Ignorieren von Initiativen hat ein Potential zur Segmentierung des Diskurses inne, weil man ein abnehmendes Interesse an weiteren Beiträgen zum Thema signalisiert. Neben der Häufung von pre-closings (okay\, alles klar\, gut\ etc.), abschließenden Bewertungen, Fazits u.ä. ist das Ignorieren von Initiativen ein typischer Bestandteil der Themenendphase. 241 Ignorieren von Initiativen (R): Der Sprecher berücksichtigt nicht die durch die Partneraktivität etablierten Handlungsanforderungen. Zwischen seinem Beitrag und dem des Partners besteht auf der Sachverhaltsebene kein unmittelbarer Zusammenhang. (E): Der Bearbeitungsbedarf wird nicht eingelöst. Das Fehlen einer Berücksichtigung signalisiert eine extreme Hemnterstufung des Partnerfokus. Charakteristischerweise wird der Partnerfokus indirekt durch eine Beendigung übergeordneter Themenbearbeitungsstrukturen mit aufgelöst. Das Ignorieren von Initiativen indiziert superiore Beteiligungsrechte. (P): Ein themenorganisatorischer Fokuswechsel zwingt den Partner zur Neuorientierung seiner Aufmerksamkeit. Er ist ggf. gezwungen, den Eigenfokus zu reetablieren. (Dies war in keinem Fall im unmittelbaren Anschluß nachweisbar.) 240 Als ein solcher Fall wären die Scherze der Meister in ‘Meister-l’ zu bezeichnen, die ihren Vorgesetzten ausgrenzen und kein explizites Akzeptanzsignal für die ihnen gegenüber vorgebrachte Kritik leisten (vgl. Abschnitt 5.2.3). 241 Vgl. hierzu den Abschluß des Themas ‘Getränkekasse' in TA 4.02. Der letzte Beitrag des Direktionsbeauftragten (also ich hab=s der frau Dienst gegebe die halt gsagt die' die schmei'ße nix nei/ ) wird vom Filialdirektor ignoriert; anstelle einer Erwiderang erfolgt die Markierung des Themenendes (>alles klar\< okay\ ende\). Kontrolle 251 5.2.11 Pauschalisieren des Gegenstands Pauschalisierende Aktivitäten gehören einer spezifischen Klasse von Handlungszügen an, die u.a. unter dem Stichwort ‘Generalisieren’ bereits gesprächsanalytisch erfaßt und beschrieben worden sind. 242 Pauschalisieren im Sinne von Generalisieren bedeutet, bestimmte Sachverhalte oder Sachverhaltsaspekte einem größeren Zusammenhang einzuordnen, von der Spezifik des Aspekts auf einen allgemeineren Zusammenhang zu schließen. Pauschalisierende Aktivitäten konnten im Korpus als Turneinheiten oder Turns identifiziert werden, die in der Regel in Kombination mit anderen Kontrollverfahren verkommen. Ihre gesonderte Betrachtung erscheint mir sinnvoll, weil sie die spezifische Eigenschaft haben, eine ‘Distanz’ des Sprechers zum Geschehen zu indizieren. Mit Pauschalisierungen wird eine Distanzierung vom Anliegen des Interaktionspartners und von den situativen Rahmenbedingungen des Handelns signalisiert. 243 Mit Pauschalisierungen werden die Bearbeitungsanforderungen eines Fokus zurückgestuft oder in den Hintergrund gedrängt. Weicht der Sprecher rollenspezifischen Anforderungen aus, so kann durch ein Pauschalisieren der Eindruck entstehen, er ziehe sich von seiner Verantwortung für bestimmte innerbetriebliche Sachverhalte zurück (etwa in der Form „ist doch alles gar nicht so schlimm, finde ich“ ). Pauschalisierende Reaktionen treten entsprechend häufig im Kontext imagebedrohender Situationen auf. Pauschalisierungen sind ein typisches Verfahren zur Relevanzrückstufung (Kallmeyer 1978). Die auffälligsten Realisierungen des Verfahrens enthalten modale oder konjunktivische Formen, gewissermaßen in einer Zustimmung ‘pro forma’: könnt ma mal machen ja\ (WL, 1/ 9/ 5) oder okay kann sein ja\ (WL, 1/ 9/ 13). Der Sprecher stimmt zwar zu; die prädominante Funktion seines Handlungszuges ist aber die, weiterfuhrenden Handlungsanforderungen auszuweichen. Pauschalen Zustimmungen können u.U. hochgestufte Formulierungen der eigenen Einstellung folgen: völlich richtich\ aber das ist die zwei"te stelle\ (WL, 1/ 9/ 28-30). Alle diese Äußerungen sind mit der Intention des Werksleiters im Gespräch ‘Meister-1’ verknüpft, eine aus seiner Sicht abgeschlossene Themenbearbeitung zu beenden. 244 Der Werksleiter stuft pau- 242 Kallmeyer und Schmitt (1991, Kap. 5.3) sprechen bei bestimmten adversativen Satzverknüpfungen von einer ‘generalisierenden’ Zustimmung. Vgl. hierzu weiter unten, Abschnitt 5.2.14. 243 Es ist aufgrund dieser Eigenschaften denjenigen forcierenden Verfahren bei Kallmeyer und Schmitt (1996, S. 95ff.) verwandt, die als ‘Selbstbestimmung von Handlungen’ gelten, etwa dem ‘distanzierenden Bearbeiten von Aufgaben’, dem ‘Ausweichen’ und dem ‘Immunisieren einer (inhaltlichen) Position’ (vgl. auch Spiegel 1995, S. 202). 244 Pauschalisierungen sind wie das Ignorieren von Initiativen in Bearbeitungsendphasen typisch. Sie werden zur Markierung des Themenendes verwendet, weil sich ihre verallgemeinernd wertende Charakteristik dafür geradezu anbietet. Umgekehrt haben Gliederungssignale wie alles klar\, okay\ usw. einen pauschalisierenden Nebensinn. 252 Reden ist Chefsache schalisierend die Relevanz von Lösungsvorschlägen zurück, weil sie nicht mehr bearbeitet werden sollen. Der folgende Transkriptausschnitt stammt aus dem ersten Meistergespräch. Wieder handelt es sich um eine Stelle aus der Diskussion um das Werk 1. Der Ausschnittbeginn zeigt das Ende eines längeren Turns des Werksleiters. Er hat sehr ausführlich seine Denkweise bezüglich des unrentablen Werks erläutert. Der Betriebsratsvorsitzende übernimmt das Rederecht und startet einen Kommentar zu den Ausführungen des Werksleiters. Die Realisierung des Kontrollverfahrens erfolgt im Anschluß an diesen Ausschnitt. (5.32) 1 WL einfach gezwu"ngen weiter zu denken\ ** ich 2 WL kann doch nicht sagen hab ich heute fertig\ 3 WL ja/ 4 BV grade' grade des is aber der punkt\ 5 BV grade de"s is der punkt wenn ich jetzt nemm * 6 BV werk eins ja/ * unn des hab ich jo * em Säbel 7 BV unn em Gerrmann auch gesagtX * wenn man * vor 8 BV zeh"n jahren schon uff Merkel uff Gruber unn so 9 BV weiter gehört hätte unn hätte da"mals schon 10 BV investie"rt unn den' * unn wär den fo"rderungen 11 BV na"chgegangen * die wir gestellt hätten- * 12 BV dann müßt ma * di"e Überlegung vielleicht 13 BV heu"te net anstellen dann wär des nämlich ne"t 14 BV so=n großer brocken wie=s heu"te e”ben i"ss\ * meister-1/ 19 Der Werksleiter stellt am Ende seines Turns die unternehmerische Denkweise eher global - und nicht mehr unmittelbar auf das Werk 1 bezogen als Instrument für innovative Prozesse dar (vgl. Z. 1-3). Mit der abschließenden Ratifizierungsaufforderung ja/ (Z. 3) wird die Formulierungsgestalt geschlossen und BV eine Möglichkeit zur Übernahme geboten. BV beginnt seinen Turn mit dem metakommunikativen Äußerungsteil: grade' grade des is aber der punkt\ grade de"s is der punkt (Z. 4-5). Da man sich in einer Phase argumentativen Austauschs befindet, kann der Werksleiter diesen Äußerungsteil als Projektion eines im folgenden zu erwartenden, hochgestuften Gegenarguments verstehen, nicht zuletzt auch wegen des adversativen Anschlusses {aber). Die Formulierung grade de"s is der punkt signalisiert Bearbeitungsbedarf für den vom Partner fokussierten Gegenstand, auch wenn die Referenz der Verweispartikel de"s vage bleibt (vgl. im Abschnitt 5.2.13). Danach konkretisiert BV den für seine folgenden Ausführungen geltenden Fokus: wem ich jetzt nemm * werk eins ja/ (Z. 5-6). Mit der Fokussierung von werk eins reetabliert BV den thematischen Fokus, den er bei der Eröffnung des Themas Kontrolle 253 eingefuhrt hatte und der durch die Ausführungen des Werksleiters in den Hintergrund geraten war. Nun bringt BV zwei Namen ins Spiel: mm des hab ich jo * em Säbel mm em Gerrmann auch gesagt\ (Z. 6-7). Die Herren Säbel und Gerrmann sind dem Werksleiter hierarchisch gleichgestellt bzw. ihm sogar vorgesetzt. 245 Dadurch modifiziert BV den Hörerstatus seines Interaktionspartners. Der Werksleiter wird tendenziell als Repräsentant der Geschäftsleitung im Gespräch typisiert. Gleichzeitig indiziert der Betriebsratsvorsitzende auch seinen ‘Sonderstatus’ in der vorliegenden Meisterbesprechung, weil er auf seine Kontakte zur Unternehmensleitung verweist (vgl. Kapitel 8). Dieser selbstdarstellerische Aspekt spielt auch im folgenden eine Rolle. BV wendet ein schrittweises Fokussierungsverfahren an: - Mit der Eröffnung des konditionalen Konnekts wenn man vor zeh"n Jahren schon uff Merkel uffGruber unn so weiter gehört hätte (Z. 7-9) startet BV die Beschreibung eines für die jetzige Darstellung relevanten Ereignisses aus der Finnengeschichte. In Zusammenhang mit der angesprochenen Modifizierung von WL’s Hörerstatus fällt dabei das indefinite Pronomen man auf. Zu dem damit designierten Personenkreis sind die zu rechnen, die BV zuvor namentlich genannt hat. Entscheidend ist auch, daß er selbst (Herr Merkel = BV) schon zum genannten Zeitpunkt über Aspekte dieses Themas verhandelte. Da außerdem erkennbar ist, daß BV die Genese eines Problems schildert, ist klar, daß das Problem hätte vermieden können, wenn man auf ihn gehört hätte. - Mit ijem Äußerungsteil unn hätte da"mals schon investie"rt (Z. 9-10) expandiert er den konditionalen Teil seiner Satzkonstruktion. Die Fokussierung hätte [...] investie"rt konkretisiert, was infolge damaliger Forderungen hätte geschehen können (oder müssen). Der starke Akzent auf dem Adverb da"mals verweist auf den Zusammenhang zwischen den Ausführungen zur Vergangenheit und dem jetzt aktuellen, vergleichsweise brisanten Fokus ‘Werk 1’. Indirekt ist aus der Feststellung da"mals schon investie"rt ein von BV erkanntes Versäumnis der Geschäftsleitung rekonstruierbar. - Die weitere Expansion, unn wär den fo"rderungen na"chgegangen * die wir gestellt hätten- (Z. 10-11), paraphrasiert die Tatsache, daß man „auf Merkel und Gruber nicht gehört hat“ und drückt wie schon zuvor das Verb ‘hören auf aus, daß fo"rderungen des Betriebsrats existierten. Der Modus von hätten am Ende des Äußerungsteils entkräftet allerdings den assertativen Charakter von ‘hören auf. Es ist an dieser Stelle nicht klar, ob Wünsche in Gesprächen mit der Firmenleitung tatsächlich ausgesprochen worden sind. In der dreiteiligen Apodosis fokussiert BV die aktuellen Überlegungen der Firmenleitung: dann müßt man die" Überlegung vielleicht heu"te net anstellen (Z. 12-13). Parallel zu dem ‘Umbruch’ in der syntaktischen Konstruktion startet BV die Formulierung seiner aktuellen Einstellung; mit dem akzentuierten deiktischen Element heu"te wird der Wechsel des Referenten (die beiden zeitlich getrennten Zustände) angezeigt. Im zweiten Ansatz bewertet der 245 Die Herren Säbel und Gerrmann sind Mitglieder der Geschäftsleitung bzw. des Firmenvorstands: Herr Säbel leitet den Bereich Personalwesen, Herr Gerrmann leitet das Ressort Produktion. Diese Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden sowie die folgenden sind auch unter dem Gesichtspunkt zu sehen, daß der Werksleiter erst ein paar Jahre im Unternehmen tätig ist. 254 Reden ist Chefsache Sprecher die Tragweite des Problems: dann wär des nämlich ne"t so=n großer brocken (Z. 13-14). Daß BV die Verneinungspartikel akzentuiert, hat die Funktion, den Wahrheitsgehalt seiner Äußerung zu bekräftigen. Genauer, mit dieser Akzentuierung bekräftigt BV die Gültigkeit der zuvor manifestierten Ursachen für das jetzige Problem. 246 Die abschließende Erweiterung wie=s heu"te e"ben i"ss\ (Z. 14) stuft die Einstellung von BV mit der Folge von zwei akzentuierten Lexemen und dem ebenfalls akzentuierten Grenzton hoch. Die Akzentuierungen haben Anteil an der Konstitution eines stark emphatisierenden Sprechens. Hinzu kommt der Wechsel zum Indikativ, als kontrastives Indiz für reale Umstände wegen versäumter Leistungen (vgl. gehört hätte [...] hätte [...] wär [...] gestellt hätten [...] dann müßt [...] dann wär [...] wie=s heu"te e"ben i"ss\). Ich fasse zusammen: Der Sprecher stuft seinen Interaktionspartner, den Werksleiter, als Repräsentanten der Unternehmensleitung ein, wodurch Verantwortung und Zuständigkeit als Aspekte seiner sozialen Identität hervorgehoben werden. Weiter etabliert er mit Hilfe eines Vergleichs Anforderungen an WL, die über die sachverhaltsbezogene Bearbeitung seines Beitrags hinausgehen. Der Sprecher erhebt den Vorwurf an die Geschäftsleitung, das jetzige Problem verschuldet zu haben. Schließlich ist der Wunsch von BV erkennbar, daß man Forderungen des Betriebsrats stärker berücksichtigen sollte. WL sieht sich also mit einer komplexen lokalen Anforderung konfrontiert, die ihn u.a. zu einer positionenspezifischen Verantwortung zieht. Die vorliegenden situativen Rahmenbedingungen berühren mikro- und makrosoziale Bereiche der Beziehung. BV zwingt den Werksleiter, zu diesem Vorwurf Stellung zu beziehen, sich und seine Kollegen zu rechtfertigen. 247 Im folgenden nun die Reaktion des Werksleiters. (5.33) 14 BV 15 WL 16 BV K 17 BV 18 WL 19 WL 20 WL so=n großer brocken wie=s heu"te e"ben i"ss\ * herr p Merkel völlig klarhätte hätte\ L 2_a/ #aber ihr lernt doch #LAUT r daraus nix\# L hätte hä"tte\ das problem ist doch immer im gründe genommenman entscheidet im moment nach bestem wissen 246 Zusammen mit dem Konjunktiv II haben „Negatoren [in Konditionalsätzen] die Aufgabe, die Faktizität der Bedingung festzustellen“ (Engel 1988, S. 273). 247 Gerade die starke Emphatisierung im Sprechstil des Betriebsratsvorsitzenden gegen Ende seines Beitrags und die Vonvurfscharakteristik seines Handlungszuges lassen die Bezeichnung ‘Handlungszwang’ hier sehr legitim erscheinen. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, daß man sich insgesamt in einer konfliktiven Auseinandersetzung befindet und daß insofern verschärfte Interaktionsmodalitäten gelten. Kontrolle 255 21 WL und |qewissenX 22 BV L nä was i"ch heute erreichen * willmeister-1/ 19 Die Reaktion des Werksleiters, herr Merkel völlig klarhätte hätte\ (Z. 15), beginnt mit namentlicher Adressierung (herr Merkel) und mit einer pauschalen Zustimmung zu BV’s Ausführungen (völlig klar-). Mit der Form hätte hätte\ ‘zitiert’ WL die Darstellungsweise BV’s. Das gedoppelte Nennen des konjunktivischen Hilfsverbs, das fast alle von BV verwendeten, handlungstragenden Verben im Partizip auf sich folgen lassen könnte („hätte man gehört, investiert, Forderungen gestellt“ bzw. „wäre man diesen nachgegangen“), indiziert den irrealen Modus nahezu sämtlicher Argumentationsschritte von BV. Der Sprecher legt die Irrealität der Behauptungen bloß. Dadurch wird deren Relevanz insgesamt und pauschal zurückgestuft. Dies betrifft etwa den Vergleich, das implizierte Versäumnis der Geschäftsleitung etc. Es fällt weiter auf, daß der Sprecher keine Personalpronomina oder andere Verweisformen verwendet, die auf das Subjekt der Handlung hinweisen würden. Die pauschale Zustimmung ist vielmehr elliptisch konstruiert und enthält keine Markierung, die eine Ich- oder Wir-Bezogenheit der korrektiven Handlung indizieren. 248 Dies ist typisch für Pauschalisierungen (vgl. u.). Der Werksleiter distanziert sich von den Handlungsimplikationen der Situation. BV sieht sich zu einer Reformulierung des Vorwurfs veranlaßt: aber ihr lernt doch daraus nix\ (Z. 16-17). Mit ‘lernen aus etwas’ stellt BV erneut einen Zusammenhang zwischen zwei Zuständen her, wobei der zweite mit der Anforderung verknüpft ist, bereits gemachte Erfahrungen in eine verbesserte Planung einzubringen. BV warnt die Geschäftsleitung konkret vor der Gefahr, bei wichtigen Entscheidungen erneut Versäumnisse zu begehen. Auffällig ist die Adressierung ihr, mit der BV den Statusunterschied von ihm zur Firmenleitung tendenziell aussetzt. Zudem hebt BV die Lautstärke seiner Stimme deutlich an, was einen Kontrast zum ‘sachlichen’ Sprechstil WL’s darstellt. Der Werksleiter so hat man den Eindruck läßt sich nicht aus der Reserve locken. Der Betriebsratsvorsitzende emphatisiert deshalb seinen Vorwurf. Mit der Reformulierung des Vorwurfs insistiert er auf seiner Problembewertung und auf den Rahmenbedingungen des Handelns für WL. WL antwortet auf diesen offenen Angriff auf die Lernfähigkeit der Firmenleitung mit einer Wiederholung: hätte hä"tte\ (Z. 18). Erneut wird erkennbar, 248 Ein Beginn seiner Aktivität mit pronominalen, selbstbezogenen Formen (‘ich’ oder ‘wir’) wäre als Einleitung zu rechtfertigenden oder entschuldigenden Reaktionen auf die imagebedrohende Charakteristik interpretierbar. Tatsächlich wehren v.a. statusinferiore Mitarbeiter Vorwürfe mit selbstbezogenen Turns ab, z.B. aufgebracht: des hab ich se"lber bezahlt^ als Reaktion auf eine getadelte Spesenabrechnung (Ml, 1/ 11/ 1), vgl. TA 4.20. 256 Reden ist Chefsache daß er den Handlungsimplikationen des Vorwurfs ausweicht. Mit der Wiederholung des Hilfsverbs verweigert er eine Weiterbearbeitung. Die folgende Äußerungseinheit, das problem ist doch immer im gründe genommen- (Z. 18- 19), leitet die Darstellung von WL’s Einstellung ein. Mit dem Temporaladverb immer überbrückt WL die beiden verglichenen Zustände und deutet an, daß für deren Beurteilung etwa gleiche Maßstäbe gelten. Seine folgende Aktivität kann nun (mit Abstrichen) als Zugeständnis an den Partner, als korrektive Handlung verstanden werden: man entscheidet im moment nach bestem wissen und gewissen\ (Z. 19-21). Obwohl WL mit der Entpersonifizierung des Subjekts (man) auch hier einen Hinweis darauf liefert, daß er sich von den lokalen Anforderungen des Vorwurfs distanziert, kann diese Aktivität als Sprechakt mit Entschuldigungscharakter aufgefaßt werden. 249 Die Form man entscheidet weist auf eine Verantwortungsübernahme und auf einen Konsens bei der Bewertung des Sachverhalts hin. Insgesamt handelt es sich hier um eine Initiative zur Konfliktreduzierung mit dem Ziel, die Situation für das eigene Image zu entschärfen und die Fokusrelevanz zurückzustufen. Der Beitrag kann als pauschalisierende Aktivität gelten: man, immer, im gründe genommen und nach bestem wissen und gewissen sind je für sich Verallgemeinerungen spezifischer Art. Keine dieser lexikalischen bzw. idiomatischen Formen ist im Hinblick auf den konkreten vorgeworfenen Sachverhalt kontextualisiert. Das Pauschalisieren des Gegenstands ist eine Form von Verweigerung (vgl. Spiegel 1995, S. 198f). Mit dem Pauschalisieren leistet der Sprecher in einem gewissen Sinne ein Signal des Desinteresses. Indirekt wird die ‘Überflüssigkeit’ des partnerseitigen Beitrags indiziert. Das Pauschalisieren stuft die Relevanz des situativen Fokus zurück. U.U. faßt die Pauschalisierung mehrere nacheinander erfolgte Fokussierungen in einem allgemeinen Bedeutungshorizont zusammen. Eine durch den Partnerbeitrag etablierte Relevanzstruktur wird dadurch aufgeweicht. Ein konkretes Refokussieren und Bearbeiten seitens des reagierenden Sprechers findet nicht statt. Damit wird auch situativen Handlungsimplikationen ausgewichen; die Etablierung eines etwa angesteuerten Interaktionsmusters wird abgeblockt. Der Partner wird zu einer Neuorientierung gezwungen. Die Pauschalisierung ist eine Technik, mit der der Sprecher insbesondere Einbußen am eigenen Image verhindern kann. Wer pauschalisierend reagiert („so ist das halt“), ‘spart’ sich explizite Eingeständnisse, Rechtfertigungen oder Entschuldigungen, die über ihre konfliktreduzierende Funktion hinaus inhaltliche Erläuterungen oder Ergänzungen zum strittigen Sachverhalt enthalten könnten. Pauschalisierungen signalisieren Distanz des Sprechers zum Ge- 249 Ygl. Schwitalla (1987, S. 130f.), der den Charakter von Entschuldigungen u.a. dann bestätigt sieht, wenn der propositionale Gehalt oder die illokutionäre Bedeutung des Sprechakts böswillige Absichten bei der vorgeworfenen Handlung verneint. Kontrolle 257 genstand und eine Verweigerung persönlicher Betroffenheit oder Verantwortung („das kann jedem passieren“). Partikuläre sprachliche Mittel zur Herstellung von Distanz sind die Verwendung von Gemeinplätzen, Truismen und anderen Verallgemeinerungen. Pronomina, die reflexiv auf den Sprecher verweisen, werden typischerweise vermieden (Entpersonifizierung des Subjekts). Pauschalisierungen sind ein vornehmlich von Vorgesetzten eingesetztes sprachliches Verfahren, mit dem die Beteiligungsweisen von angestellten Mitarbeitern ‘kontrolliert’ werden. Insbesondere Fokussierungen von betriebsorganisatorisch relevanten Sachverhalten fuhren bisweilen nah an die Fachkompetenzen von Vorgesetzten heran. Durch pauschalisierende Aktivitäten weist der Sprecher solche erhöhten Partizipationsansprüche zurück. Handlungszüge mit pauschalisierender Charakteristik seitens der Angestellten treten z.B. als ein ‘Rückzug vom Geschehen’ auf {steig ma mol de buckel nuß\ Ml, 1/ 21/ 22-24). Allerdings haben solche Aktivitäten nicht die Potenz inne, den Interaktionspartner zu einer Neuorientierung zu zwingen, sondern lassen ihm ‘freie Bahn’. Wenn Angestellte ihre Teilnahme aufkündigen, sehen sich Vorgesetzte meist bestätigt und fahren ohne signifikante Zäsur in ihren Äußerungen fort. Insgesamt können pauschalisierende Einstufungen des Partnerfokus sehr unterschiedliche sozial-interaktive Tragweiten haben, die im Extremfall bis hin zu ironischen, diskreditierenden Bewertungen des Partners reichen. 250 Pauschalisieren des Gegenstands (R): Die in der Situation zu Tage tretenden Handlungsimplikationen werden durch den Sprecher nicht eingelöst, weil er generalisierend reagiert und Spezifika der konditionellen Relevanz außer acht läßt. Der Sprecher verweigert sich komplexen Handlungsanforderungen. (E): Der Sprecher reagiert mit einer verallgemeinernden, bewertenden und häufig zustimmenden Aktivität (z.B. völlich richtich\), gefolgt von der Formulierung von Gemeinplätzen. Stärker als die Zustimmung an der ‘Oberfläche’ wiegt das rückstufende Potential dieser Aktivität. Die situative Relevanz oder Relevanzstruktur wird entkräftet bzw. aufgeweicht. Der Beitrag ist entpersonifiziert. Der Sprecher enthebt sich subjektiver Verantwortung, signalisiert eine Distanz zum Geschehen und ein Desinteresse an der weiteren Bearbeitung des Gegenstands. (P): Der Partner wird zu einer Neuorientierung gezwungen, um die Globalisierung der Sachverhaltsdimension rückgängig machen zu können. 250 Bspw. handelt es sich um eine Art polemisierender Abwehr-Reaktion, mit der man einer Imageeinbuße entgegenwirkt. Ein Beispiel: Der Filialdirektor formuliert in ‘Bezirksleiter-2’ eine ‘Liste’ alles dessen, was die Inspektoren morgens nicht gewußt hatten (im Anschluß an TA 4.15) und stellt so eine prekäre Situation für die Bezirksleiter her, die für die Informiertheit der Inspektoren verantwortlich sind. Ein Bezirksleiter antwortet: habe se au was gwußt/ (VIII/ 208/ 7-9). Dadurch signalisiert er, daß die Liste eine zu starke Verallgemeinerung darstellt. Es handelt sich um eine pauschalisierende Aktivität, mit der die Relevanz (und die Gültigkeit) der Liste relativiert wird. Zugleich deutet sich an, daß der Bezirksleiter Zweifel an den Aussagen der Inspektoren hat. 258 Reden ist Chefsache 5.2.12 Relativieren der Gültigkeit Beim ‘Relativieren der Gültigkeit’ stellt der Sprecher den Wahrheitswert der vorangegangenen Partneraktivität in Frage. Typische Realisierungsformen sind das Verweigern von Akzeptanz, stark eingeschränktes Zustimmen oder auch ein explizites Negieren (wie z.B. „das ist falsch“). 251 Das Relativieren der Gültigkeit geht mit einer Relevanzrückstufung einher. Oder genauer: Die Relevanz des Partnerbeitrags wird in Relation zu dem zurückgestuft, was beim Negieren/ Relativieren als Folgeäußerung des Sprechers erwartbar wird. Wenn ein Beteiligter die Prädikation seines Partners negiert, dann ist erwartbar, daß er den Sachverhalt richtigstellt, anders darstellt etc. Eine Hochstufimg des tendenziell projizierten, zweiten Äußerungsteils ist erwartbar (Kallmeyer und Schmitt 1991). Als Beispiel wurde ein Transkriptausschnitt aus dem Betriebsratsgespräch gewählt, in dem relativ wenige Kontrollverfahren mit oppositiven oder korrektiven Qualitäten verkommen. Die Teilnehmer diskutieren eine schriftliche Stellungnahme des Vorsitzenden gegenüber der Geschäftsleitung. In dem Schreiben hatte dieser auf Verletzungen von Betriebsvereinbarungen seitens eines Gruppenleiters hingewiesen. Mit gewissen Aktivitäten hatte der Gruppenleiter das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats mißachtet, insbesondere mit einer Verletzung der Gleitzeitbestimmungen. 252 Dem Ausschnitt gehen Konsensbekundungen verschiedener Teilnehmer hinsichtlich der Bewertung der Arbeitszeitverletzung voraus. Zwei Mitglieder des Betriebsrats machten deutlich, daß das häufige Zuspätkommen des Gruppenleiters nicht nur eine Regelverletzung darstelle, sondern auch eine Gefährdung des Mitbestimmungsrechts sei, das durch nicht genehmigte Arbeitszeitveränderungen ständig übergangen werde. Man stimmt überein, daß die Arbeitszeitverletzung auf jeden Fall angezeigt werden muß. Der Ausschnitt beginnt mit der Manifestation der Einstellung des Betriebsratsmitglieds B3: (5.34) 1 R3 ich mein mit seiner 2 R3 arbeitszeitverletzung des is seine sa"che- 3 R3 aber wenn er eben ohne' ohne genehmichung ohne 251 Vgl. hierzu die Reaktion des Werksleiters in TA 5.26: nein- * nein das isfalsch\ (Z. 10- 11). In dem vom Werksleiter verwendeten Kontrollverfahren, das ich als ‘Beanspruchen von Expertenstatus’ bezeichnet habe, kommt das ‘Negieren der Gültigkeit’ gewissermaßen als Teilverfahren vor. Dies macht die die Schwierigkeiten bei der Klassifizierung von Verfahrenstypen deutlich. Hinsichtlich der Kombinationsmöglichkeiten kontrollierender Verfahren und Teilverfahren wären weiterfuhrende Analysen notwendig. 252 Zu Änderungen sowohl der Arbeitszeiten als auch des Personals hat der Betriebsrat laut Betriebsvereinbarung Mitbestimmungsrecht und kann dieses, wenn nötig, auch einklagen. Kontrolle 259 R3 R3 R3 BV SV R2 a"nhörung * von' äh leasingkräfte weiter beschäfticht dene ihre arbeitszeit abgelaufe iss ' ne Karl des iss net seine ( ■■ .\) bischt verkehrt des iss net sei sachedes iss net sei sach\ betriebsrat/ 77 In seiner Äußerung nennt R3 beide Aspekte, die man im Schreiben kritisiert hatte: arbeitszeitverletzung und ohne a"nhörung [...] leasingkräfte weiter beschäfticht (Z. 2 bzw. 3-5). R3 vertritt hier den Standpunkt, daß der erste der beiden Punkte den Betriebsrat nicht unbedingt betrifft: ich mein mit der arbeitszeitverletzung des is seine sa"che- (Z. 1-2). Er schließt damit an den Fokus der Vorgängeräußerungen an, reformuliert jedoch nicht die dort gemachten Bewertungen. Mit der Präpositionaleinheit mit der arbeitszeitverletzung kontextualisiert R3 den zu diesem Zeitpunkt etablierten Fokus, womit er die Kontiguität der Themenbearbeitung anzeigt. Der folgende Hauptsatz des is seine sa"chemacht nun deutlich, daß nach Ansicht von R3 die Zuständigkeit für die Bewertung oder Verurteilung des Fehlverhaltens beim Gruppenleiter selbst liegt. Die Verletzung der Arbeitszeiten ist für R3 kein entscheidender, kritikwürdiger Punkt, der vom Betriebsrat geahndet werden müßte. Das zuvor von den anderen unmißverständlich formulierte Ziel, die Arbeitszeitverletzung anzuzeigen, wird von R3 nicht ratifiziert. Zur Formulierung des zweiten Äußerungsteils verwendet R3 einen adversativen Anschluß: aber wenn er eben ohne' ohne genehmichung ohne a"nhörung * von' äh leasingkräfte weiterbeschäfticht dene ihre arbeitszeit abgelaufe iss'- (Z. 3-6). Die Partikel eben (Z. 3) drückt eine Alternativenlosigkeit in diesem Punkt aus (Engel 1988, S. 233f). Im selben Äußerungsteil realisiert R3 eine Selbstkorrektur, wobei er das substituierende Lexem akzentuiert: ohne genehmichung ohne a"nhörung (Z. 3-4). Das Lexem ‘Anhörung’ gehört zu dem bei der Sitzung verwendeten Fachvokabular. Zum einen bestärkt R3 damit die Richtigkeit der Entscheidung, die Maßnahme des Gruppenleiters anzuzeigen, denn über Anhörungen werden die Rechte des Betriebsrats gewährleistet. Zum anderen ist der Fachterminus ‘Anhörung’ ein Identifikationssignal: Indem R3 das Lexem verwendet, gibt er zu verstehen, daß er sich mit den Zielen des Betriebsrats bezüglich dieses Punkts identifiziert. 253 Die Akzentuierung des Lexems a"nhörung trägt weiterhin zu einer Hochstufüng des zweiten Äuße- 253 Der Betriebsrat kann auf einer Anhörung bestehen, weil vor dem Einsatz finnenfremder Mitarbeiter (leasingkräfte) i.a. eine Überprüfung firmeneigener Kapazitäten stattfindet, zu der der Betriebsrat zur Wahrung der Angestellteninteressen hinzugezogen werden muß. Findet die Anhörung nicht statt, ist die Autorität des Betriebsrats in Frage gestellt und eine Reaktion seitens des Gremiums notwendig. Der Sprecher indiziert schließlich durch die Fachvokabel auch sein Expertenwissen (ohne daß hier auf das ‘Beanspruchen eines Expertenstatus’ geschlossen zu werden brauchte). 260 Reden ist Chefsache rungsteils bei. R3 hebt die Fokussierung genau desjenigen Arbeitsschritts hervor, den der Gruppenleiter versäumt hat. Die adversative Konstruktion von R3’s Beitrag trägt dazu bei, daß die Relevanz der Arbeitszeitverletzung rückgestuft und die fehlende Anhörung hochgestuft wird. Auffällig ist, daß R3 den von ihm rückgestuften Aspekt in relativ kurzer Form behandelt und die Verteilung der Zuständigkeit mit einem semantisch neutralen Begriff (seine sa"che) formuliert, während er in seinem zweiten Äußerungsteil den von ihm hochgestuften Aspekt leasingkräfte expandiert darstellt, indem er mehrere Aspekte des Sachverhalts subfokussiert: ohne a"nhörung, weiter beschäfticht und arbeitszeit abgelaufe. Insgesamt setzt der Sprecher durch lexematische und syntaktische Mittel sowie durch expansivere Darstellung einen Punkt als relevant dar, von dem er weiß, daß dazu kaum Widerspruch zu erwarten sein wird. Mit dem Erreichen allgemeinen Konsenses hinsichtlich der leasingkräfte ist der Bearbeitungsbedarf gewissermaßen gedeckt. Die im Kontrast hierzu relativ pauschale Beurteilung der arbeitszeitverletzung löst jedoch eine längere Diskussion aus. Der Sprecher konnte dies voraussehen, weil die Meinungen diesbezüglich zuvor expliziert worden waren. Den eigentlich strittigen Punkt verbirgt der Sprecher also gleichsam hinter der im zweiten Teil seiner Äußerung realisierten Hinwendung an seine Gesprächspartner, was als konfliktvermeidender strategischer Zug gelten könnte oder als Signal, mit dem B3 die Zugehörigkeit zur Gruppenidentität zu markieren intendiert. (5.35) 5 R3 beschäfticht dene ihre arbeitszeit abgelaufe 6 R3 f iss 1 - 7 BV I ne Karl des iss net seine ( ■ ■ ■ \) 8 SV I bischt verkehrt des iss net sei sache- 9 R2 L des iss net sei sach\ 10 R3 f nä nä\ 11 SV L der kommt zu spä”t\ * richtich zu spä"t\ * unn K #ALLGEMEIN LAUTER 12 SV wenn ich zu spät kumm drei vier fünf mol 13 SV krieg ich e r abmahnung\ 14 R3 L ja moment du kriegst wieder' betriebsrat/ 77 Drei Teilnehmer antworten auf R3 in geringem zeitlichem Abstand (Z. 7-9). Auffällig ist dabei, daß die drei Reaktionen parallele und z.T. identische Konstruktionen des Hauptsatzes aus R3’s erstem Äußerungsteil aufweisen: des iss net sei[ne] sach[e]\ (bei BV ist der für ‘Sache’ eingesetzte Begriff leider nicht verständlich). Die Gültigkeit der Prädikation bezüglich der Arbeits- Kontrolle 261 Zeitverletzung wird von allen dreien negiert. Zu den Reaktionen läßt sich im einzelnen folgendes festhalten: - BV reagiert mit einer Negationspartikel und mit dem Vornamen von R3, bevor er dessen Einstellung Gültigkeit abspricht (Z. 7). Mit dem Nennen des Vornamens leistet BV ein Signal für das Vertrautheitsverhältnis zwischen den Teilnehmern. BV vermindert tendenziell die Gefahr für einen Konsens hinsichtlich des Sachverhalts und auch für die Beziehung unter den Partnern. Die Gefahr droht aus einer Unvereinbarkeit von Einstellungen, die die Identität der Gruppe beeinträchtigen könnten. - Die von SV verwendete, umgangssprachliche Form: bischt verkehrt (Z. 8), wertet zunächst die Einstellung von R3, bevor dessen Aussage negiert wird. Das Lexem ‘verkehrt’ impliziert, daß R3 die Situation falsch einschätzt, bzw. daß sich seine Einstellung mit den Zielen der Gruppe nicht deckt. Auch hier liegt in der Morphologie der Verbform ein Hinweis auf das Vertrautheitsverhältnis vor. - Die Reaktion von R2 schließlich negiert ebenfalls R3’s Aussage; allerdings verzichtet R2 auf die Markierung ihrer Äußerung mit Hinweisen auf die Bezugsperson. R2’s Beitrag ist m.E. als eine Äußerung zu interpretieren, die einen Konsens unter den Teilnehmern stabilisieren hilft, der R3’s Meinung konträr gegenübersteht. Die Reaktionen machen deutlich, daß man die Einstellung von R3 nicht dulden möchte. Durch die fast gleichzeitig gestarteten widersprechenden Aktivitäten etablieren die Sprecher eine gemeinsame Einstellung, die dem Gremium die Zuständigkeit bei Arbeitszeitverletzungen zugesteht. Daß man R3 ‘zitiert’ und gleichzeitig negiert, hat die Funktion, die aus Sicht der Reagierenden zu pauschale Bezeichnung seine sa"che in einer kontrastiven Konstruktion als unadäquat zu disqualifizieren. Damit weist man die Art und Weise seiner Formulierung zurück: Der Tatbestand ‘Arbeitszeitverletzung’ ist nicht neutral zu bewerten, sondern als in diesem Fall ständiges Zuspätkommen, und die Folge davon muß aus Sicht des Gremiums ein Tadel am Arbeitsverhalten des Gruppenleiters sein. 254 Indem SV in seiner Äußerung fortfährt, formuliert er den Tatbestand und die Folge aus seiner Sicht. Er ‘übersetzt’ den Fachterminus arbeitszeitverletzung: der kommt zu spä"t\ * richtich zu spä"t\ (Z. 11). Der Fachterminus wird gleichsam revitalisiert; das Zuspätkommen besitzt in der Arbeitswelt ganz allgemein negative Konnotationen. SV schließt einen Vergleich an, der die von ihm gemachte Erfahrung in solchen Fällen darstellt: und wenn ich zu spät 254 Das Relativieren der Gültigkeit ist dem Aktivitätstyp ‘Widersprechen’ verwandt (vgl. Spiegel, 1995, S. 197-203; Spranz-Fogasy 1986). Mit ‘Widersprechen’ kann die Einstellung des Partners auf Sachverhaltsebene disqualifiziert werden. Spiegel (1995) sagt über das ‘Widersprechen’: „Widersprüche können verbalisiert werden in Form von Bestreitungen (‘es gibt überhaupt kein x’), Rechtfertigungen, Gegenbehauptungen, [...] Ungläubigkeitsmarkierungen, Umbewertungen, z.B. mit Relativierungen“ (S. 198). Weiter sagt sie, daß mit diesen Handlungen ein Widersprechen aber auch nur ‘verbunden’ sein kann. Schließlich rühren Schwierigkeiten bei der Klassifizierung solcher Handlungszüge auch daher, daß je diverse interaktioneile Ebenen betroffen sind. Auch ‘Provokationen’ und ‘Vorwürfe’ können Formen von ‘Widersprechen’ sein (ebd.). Widersprechen, oder wie im Beispiel das Signalisieren von Nicht-Akzeptanz, macht weitere Bearbeitungen erwartbar (Spranz-Fogasy 1986, S. 115f.). 262 Reden ist Chefsache ktitnm drei vierfünf mol krieg ich e abmahmng\ (Z. 11-13). Mit abmahnung\ kehrt er zur Fachsprache des Betriebsrats zurück, und leistet ein Identifizierungsangebot für die Mitglieder des Gremiums. Die Abmahnung ist das mit dem Schreiben an die Geschäftsleitung angestrebte Ziel. SV’s Vergleich kann als Plausibilisierung des Konsenses gelten, der unter den Mitgliedern des Betriebsrats herrscht. Was beim Zuspätkommen für alle gilt, muß auch für den Gruppenleiter gelten. Zu den Gewichtungsverhältnissen an dieser Stelle kann folgendes festgehalten werden: Der Fokus ‘Leasingkräfte’, zu dessen Wertung R3 Zustimmung signalisiert hatte, wird zurückgestuft (fallengelassen), weil eine weitere Bearbeitung nicht erforderlich ist (tatsächlich kommt er auch später nicht mehr zur Sprache). Währenddessen wird der Fokus ‘Arbeitszeitverletzung’ für die Bearbeitung hochgestuft, weil die Konsensbildung noch aussteht. Rückgestuft wird jedoch außerdem R3’s Einstellung bezüglich des Tatbestands. Die Einstellung des Betriebsrats erweist sich als Gefährdung für die integre Identität der Gruppe, deren Ziel die Abmahnung des Gruppenleiters ist; die Einstellung wird disqualifiziert. R3’s Einstellung ist zum einen hinsichtlich des Bestrebens des Betriebsrats problematisch, eine gemeinsame Definition des Tatbestandes zu erlangen, an der man sich im Verhalten gegenüber der Geschäftsleitung orientieren kann. Zum anderen weist man R3’s Einstellung zurück, weil er die Zuständigkeit des Betriebsrats anzweifelt. Das Relativieren der Gültigkeit von R3’s erstem Äußerungsteil kann demnach interpretiert werden als ein Kontrollverfahren, das sowohl die sachlichen Bearbeitungsziele gewährleisten, als auch die Gruppenidentität aufrecht erhalten und fordern soll. Die Plausibilisierung seitens SV macht deutlich, daß es nicht zu einer Frage werden darf, wer die Arbeitszeitverletzung begangen hat. Die Teilnehmer klagen vielmehr bei R3 die globale Relevanz der Arbeitszeitverletzung für die Betriebsratsarbeit ein und machen die Rückstufüng des Fokus, die R3 angedeutet hatte, rückgängig. Als Folge des Relativierens sind zwei Bearbeitungsschritte mindestens erwartbar: Zum einen wird der Sprecher, dessen Äußerung negiert wurde, gezwungen, seine vorangegangene Äußerung zu korrigieren oder seine Einstellung gruppen- oder institutionsspezifisch zu legitimieren. 255 R3 kommt diesen Handlungsanforderungen im folgenden nach (ab Z. 14), indem er auf das Zusammenhalten der Gruppenleitermit der Geschäftsleitungsebene hinweist und die Effizienz des Schreibens bezweifelt, weil diese unner e.ner decke stecken 255 Schon das Negieren der Gültigkeit („das ist falsch“) reicht aus, um den Partner zu einer Legitimierung seiner Behauptung zu veranlassen (vgl. o.). Fortgesetztes gegenseitiges Negieren der Gültigkeit von Behauptungen kann zu ‘negativen Reaktionszyklen’ (Nein-Doch-Folgen; Spranz-Fogasy et al. 1993) führen. Negative Reaktionszyklen sind im Korpus nur als kurze Phasen mit drei bis vier Beiträgen nachweisbar. Kontrolle 263 in der hinsicht\ (IV/ 78/ 9-10). Der Legitimationszwang für den Teilnehmer nach dem Relativieren seiner Prädikation besteht weiterhin im Interesse, sein Image zu wahren. Würde er seine Einstellung nicht ausreichend erläutern, könnten ihm die Interaktionspartner seine Kritik als mutwillige Störung auslegen. Auch für den reagierenden Sprecher, der das Kontrollverfahren einsetzt, besteht in der Folge des Relativierens eine Handlungsverpflichtung: Er muß seinen Widerspruch zu rechtfertigen wissen. Relativierungen der Gültigkeit können nicht ohne folgende Begründung oder Substitution durch distinktive Assertionen bleiben, schon weil man den Partner der Gefahr eines Imageverlustes ausgesetzt hat. Relativieren der Gültigkeit (R): Der Partnerfokus wird aufgegriffen. Der Wahrheitswert der partnerseitigen Prädikation wird in Frage gestellt. Insofern wird ein erhöhter Bearbeitungsbedarf signalisiert. (E): Durch das Negieren oder das Relativieren der Gültigkeit projiziert der Sprecher eine hochgestufte Darstellung kontrastiver Aspekte. Der Partnerfokus wird in eine polarisierte Gültigkeitsabwägung (‘richtig’ oder ‘falsch’) einbezogen. Die durch die Partneräußerung manifestierte Einstellung wird disqualifiziert. (P): Der Partner wird zu einer Legitimierung oder Rechtfertigung seiner Aussage gezwungen, der Sprecher selbst zu einer Plausibilisierung seines Widerspruchs. 5.2.13 Umdeuten des Partnerbeitrags Wissen sie nicht, was Meinungsaustausch bedeutet? Der Mitarbeiter kommt mit seiner Meinung rein und geht mit meiner raus! Ha ha ha ... H.W., Werksleiter Unter einem ‘Umdeuten des Partnerbeitrags’ soll folgende rhetorische Figur verstanden werden: Der Sprecher signalisiert eine Zustimmung zur Partneräußerung, kommt aber nach einer mehr oder weniger expliziten ‘Uminterpretation’ von deren Bedeutungsgehalt zu einer Schlußfolgerung, die seinen eigenen Zielen entspricht. Anhand der eigennützigen Uminterpretation ist erkennbar, daß sich in den Einstellungen der Partner divergierende oder gar unvereinbare Aspekte gegenüberstehen. Die Divergenz betrifft etwa Bearbeitungsziele im laufenden Gespräch, Zielvorstellungen im außersprachlichen Arbeitskontext, Sichtweisen bezüglich eines Problems, Bewertungen einer individuellen Verantwortung usw. Typischerweise tritt das Verfahren an Stellen in der Mitarbeiterbesprechung auf, an denen das problematische Potential eines Gegenstands evaluiert wird oder Bearbeitungsaufgaben ausgehandelt werden. Ein Umdeuten des Partnerbeitrags weist hier oft darauf hin, daß man von unterschiedlichen und nicht ausreichend ausgehandelten oder objektivierten Problemdefmitionen ausgegangen war. 264 Reden ist Chefsache Das Kontrollverfahren wird vom Sprecher in der Regel mit metakommunikativen Phrasen eingeleitet, die signalisieren, daß der Partner einen Gegenstand fokussiert hat, der aus eigener Sicht einen zentralen Stellenwert für weitere Bearbeitungsinitiativen haben soll (etwa in der Form „das ist genau, worauf ich hinaus will“ ). Diese Vorgehensweise erweckt den Anschein konkreter Zustimmung. Im unmittelbaren Anschluß bringt der Sprecher jedoch die vom Partner geleistete Sachverhaltsdarstellung, Wertung, Lösungsinitiative etc. in einen Zusammenhang mit anderen Bearbeitungsansprüchen. Die folgenden Transkriptausschnitte stammen aus dem Gespräch ‘Bonusentlohnung’. Im vorangegangenen Gesprächskontext war es darum gegangen, daß das neue Gruppenentlohnungsverfahren den Sinn habe, daß die \probleme] in der gruppe versttcht werden zu beseitiget^ (PL, V/ 131/ 23-24). Die Arbeiterin Al setzt nun an, ihrem Vorgesetzten zu erklären, daß die Ausschußproduktion nicht alleine von ihr abhängt, sondern auch davon, wie die Maschine vom Einrichter (= Vorarbeiter) beschickt wird. (5.36) 1 Al gestern also\ * haben wir desselbe material(..) 2 Al gestartet\ * un da haben wir * zuvie”! >material 3 Al ghat< also is der eirichter hergange/ * bei mir 4 Al scho"n\ * un hat etwas material vom (..) wieder 5 Al r zurückgenommeV * ja/ 6 PL L ja (si"cher\) natürlich\ * genau ja des 7 PL wollen wer\ 8 Al jetz war=er heut morge vom material do/ bonusentlohnung/ 13 2 Die Arbeiterin schildert die Genese eines Problems. Bei demselben Material wie am Vortag war plötzlich der Materialdruck an der Maschine zu hoch (was zu Ausschuß führen kann): zuvie'l >material ghat< (Z. 2-3). Die Reaktion des Einrichters {etwas material [...] wieder zurückgenomme\, Z. 4-5) beschreibt Al im Rahmen der Darstellung der Problemgenese ohne Wertung und in sachlichem Stil. 256 An dieser Stelle schaltet sich der Produktionsleiter ein. Sein Kommentar ja (si"cher\) natürlich * genau ja des wollen wer\ (Z. 6-7) ratifiziert die Ausführungen von Al und beurteilt die Arbeitshandlung des Einrichters als gültig und korrekt. Diese Aktivität indiziert als relevanten thematischen Schwerpunkt den Aspekt der ‘Gruppenarbeit’. 256 Der eingeschobene Äußerungsteil bei mir scho"n\ (Z. 3-4) scheint eine Reaktion auf den nonverbalen Ausdruck von Zweifel oder Unverständnis eines anderen Teilnehmers zu sein, wahrscheinlich von einem der beiden Einrichter, die neben dem Produktionsleiter sitzen (vgl. Anhang I). Genau ließ sich dies weder während der Besprechung noch im Nachhinein feststellen. Kontrolle 265 Al behält an dieser Stelle das Rederecht, das sie mit der oben zitierten Äußerung gerade erst übernommen hatte. Auf die Darstellung der Problemgenese folgt nun der aktuelle Problemstand: Das bisherige Rohmaterial ist von einem anderen Mitarbeiter aus der Qualitätssicherung (er heut morge vom material, Z. 8) gegen neues ausgetauscht worden, worauf der Materialdruck unvorhergesehenerweise fiel und Ausschuß produziert wurde. (5.37) 8 Al jetz war=er heut morge vom material do/ 9 Al loß mer wech/ des ganze r material\ #jetz hab ich 10 A8 L war all\ K #WIRD KONTINUIER- 11 Al fri''sches material krie: t\ * n=sa"ck war=s zu K LICH LAUTER 12 Al wenichN * die ganze zeit gu"t gewesen/ * von obe 13 Al wird=s immer we"nicher\ un da hab ich au"sschuß\# 14 Al #ja was kann i"ch do dezu\ K #LAUT AUSGERUFEN 15 PL mome"nt\ * genau >des is 16 PL der< punktN jetz muß ich wie de"r r mich' 17 Al L un des passiert 18 Al halt jemol\# 19 PL L ja ja\ * r genau des is der punkt\ * genau 20 El L genau wie ich-' mhm- 21 PL da: / * is die aufgabe der gruppe\ * und die gruppe 22 PL is nu mal der einrichter un der qualitätsprüfer\ * bonusentlohnung/ 13 2 Al wird während der Explizierung der aktuellen Situation kontinuierlich lauter. Es ist deutlich zu hören, daß sie in ihrer Äußerung auf einen Höhepunkt, d.h. auf den Problemkern hinsteuert. 257 Die zunehmende Lautstärke signalisiert emotive Involviertheit und kann als progressive Emphatisierung aufgefaßt werden. Zu dieser Interpretation trägt auch die syntaktische Gestaltungsweise bei: Mit einer Reihe kurz gehaltener Hauptsätze (davon ist nur einer elliptisch: die ganze zeit gu"t gewesen/ , Z. 12) beschreibt sie eine Verkomplizierung der Situation bis hin zur Produktionsstörung: jetz hab ich fri"sches material krie: t\ [...] un da hab ich au"sschuß\ (Z. 9, 11-13). Als manifesten Problemkern kann man die zuletzt laut ausgerufene Frage ja was kann i"ch do dezu\ (Z. 14) auffassen, mit der die Arbeiterin den Teil ihrer Eigenschuld an der Ausschußproduktion fokussiert und zugleich als fragwürdig bewertet. Indirekt gibt sie die Schuld an der Ausschußproduktion den Mitarbeitern, die den Materialdruck beeinflußt haben. 257 Im Anschluß an Selling (1989) betrachte ich prosodische Mittel als potentielle Kontextualisierungshinweise für makrostrukturelle Gesprächssegmentierungen. 266 Reden ist Chefsache Der Produktionsleiter reagiert mit einer metakommunikativen Aktivität: mome"nt\ * genau >des is der< punkt\ (Z. 15-16). Mit dem Element mome"nt\ fordert PL Aufmerksamkeit, mit der Formulierung genau >des is der< punkt\ signalisiert er (wie schon zuvor, Z. 6-7) weiteren Bearbeitungsbedarf. 258 Im folgenden setzt er zur Formulierung seiner Einstellung oder einer Lösungsinitiative an, jetz muß ich wie de"r mich' (Z. 16), wird jedoch von Al unterbrochen, die einen Hinweis auf die Alltäglichkeit des Problems ‘nachschiebt’: un des passiert halt emol\ (Z. 17-18). PL wiederholt dann die metakommunikative, allgemeine Ratifizierung der Ausführungen von Al: ja ja\ * genau des is der punkt\ (Z. 19). 259 PL leitet eine Explizierung seiner Zielvorstellungen ein, wie man nämlich auftretende Störungen im Arbeitsprozeß in kooperativer Form lösen soll. Es ist bezeichnend, daß er seine Reaktion im Anschluß an das von Al ausgerufene ja was kamt i"ch do dezu\ (Z. 14) startet. Die Ausführungen der Arbeiterin bis zu dieser Stelle hatten eine Situation im Arbeitsprozeß beschrieben, die für jeden der Gesprächsteilnehmer als eine alltäglich auftretende Störung eingeschätzt werden kann. Indem die Arbeiterin jedoch die Schuldfrage stellt, wird in den situativen Rahmenbedingungen des Agierens eine andere, die Imagebalance gefährdende Dimension relevant. Entsprechend startet ein Einrichter (El) an dieser Stelle eine Reaktion auf den Beitrag von Al, mit der er wahrscheinlich Eingriffe in den Arbeitsprozeß zu legitimieren versuchen würde (vgl. Z. 20). PL setzt sich jedoch mit dem Rederecht durch: (5.38) 18 Al halt emol\ 19 PL L ja ja\ * r genau des is der punkt\ * genau 20 El L genau wie ich-' mhm- 21 PL da: / * is die aufgabe der gruppe\ * und die gruppe 22 PL is nu mal der einrichter un der qualitätsprüfer\ * 23 Al ah ja- 24 PL früh"zeitiges erkennen\ * sofo"rtiges 25 PL reagieren\ * sofo"rt wieder einstellen auf einen 26 PL proze"ß der prozeßsi"cher ist\ * wir wollen/ * 27 PL in richtung/ * null * feh"ler\ * das heißt/ * 28 PL wir müssen/ * diese probleme die wir haben/ * 29 PL sofort/ * auf=en tisch legen/ * sofort 30 PL beseitigen\ * dafür haben wir ei"nrichter\ * bonusentlohnung/ 132 258 Vgl. hierzu auch die Äußerungen des Betriebsratsvorsitzenden, die zu der Pauschalisierung durch den Werksleiter geführt hatten (Abschnitt 5.2.11, TA 5.36). 259 Innerhalb der Darstellung der Problemgenese erkennt PL Aspekte, die sich mit seinen Vorstellungen von den praktischen Zielen des Mitarbeitergruppengesprächs vollständig decken: Das rasche Einschreiten des Einrichters bei Materialüberschuß ist eine Konsequenz aus einer effizienten Gruppenarbeit, auf der das System der Bonusentlohnung basiert. Kontrolle 267 PL’s metakommunikative Bestätigung genau des is der punkt\ (Z. 19) ist eine generalisierende Anerkennung der Relevanz von Al’s Ausführungen und die Signalisierung weiteren Bearbeitungsbedarfs. Seine Formulierung kann als globale Ratifizierung dessen, was Al als problematische Arbeitssituation, als Produktionsstörung dargestellt hat, angesehen werden. Das von Al geschilderte Problem und seine Entstehung ist für den Produktionsleiter jedoch nur eine von vielen Situationen im Arbeitsprozeß. Das Lexem ‘Punkt’ referiert gewissermaßen auf eine bestimmte Situationsdefinition, die für PL den Anspruch hat, daß man ihr kooperativ und im Willen zur Verbesserung der Arbeitsleistung begegnet: genau da: / * is die aufgabe der gruppe\ (Z. 19, 21). 260 Die Arbeiterinnen sollen ja gerade durch das neue Entlohnungssystem zu selbstverantwortlichem Arbeiten veranlaßt werden; sie erhalten jedoch keine Entscheidungsbefügnis, was das Einrichten und Beschicken der Maschine betrifft (Einheizzeiten und -temperaturen, Prozeßgeschwindigkeiten, Materialselektion etc.). Die Befügnis verbleibt bei den Einrichtern und Qualitätsprüfern. Diese sind deshalb jedoch nicht automatisch schuld an Störungen (vgl. den im Ansatz insistierenden Kommentar von Al ah ja-, Z. 23); in der Gruppenarbeit sollen sich vielmehr alle verantwortlich zeigen. Es stehen sich hier divergente Problemsichtweisen gegenüber. Die Arbeiterin kritisiert implizit, daß andere die Ausschußproduktion an ‘ihrer’ Maschine provozieren, während der Produktionsleiter verstärkte Kooperativität in der Gruppe fordert. Nicht die Schuld des einzelnen, sondern ein Mangel an Kooperativität verursacht Produktionsstörungen. Die Schuldfrage wird von PL tendenziell ausgeblendet. 261 Weiterhin weicht der Produktionsleiter einer Kritik am Einrichter aus, der den Materialdruck zu früh gesenkt, bzw. den Austausch des Materials und die Konsequenzen daraus nicht ausreichend überwacht haben könnte (vgl. auch Z. 29-30). 260 Zu der Gmppe gehören auch diejenigen Mitarbeiter, die im Störungsfall dazu befugt sind, Entscheidungen zu treffen: unn die gruppe is nu mal der einrichter un der quatitätsprüfer (Z. 21-22). Da der Begriff der ‘Gruppe’ in diesem Gespräch per definitionem alle die Mitarbeiter umfaßt, die von dem neuen Entlohnungssystem betroffen sind, also auch die Arbeiterinnen, scheint die Formulierung die gruppe is [...] sachlich falsch zu sein (richtig wäre „zu der Gmppe gehören auch“). Dieser ‘vermeintliche Versprecher' indiziert m.E., daß die von der Arbeiterin aufgeworfene Schuldfrage vom Produktionsleiter nicht unmittelbar beantwortet werden kann. 261 Der Arbeiterin ist v.a. an einer Klärung der Schuldfrage gelegen, was an mehreren Problematisierungsinitiativen deutlich wird. Außer daß sie implizit den Vorarbeitern Schuld zuweist, bezichtigt sie schon vor und auch nach dem hier gezeigten Gesprächsausschnitt die Maschine der Schuld. Z.B.: sage mer mol es is der presser schuld\ (V/ 130/ 8-9); es geht schun um de presser is schuld\ (135/ 14-17); daß ofach der presser die schuld trächt (135/ 21-23); es geht allo" um die presserschuld\ (135/ 34). Das Ausblenden der Schuldfrage fuhrt später zu einer turbulenten Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterin und ihren Vorgesetzten. (Zum Ausklammem, Ausblenden von Problemen bzw. zur Abschottung von Perspektiven vgl. Schwitalla 1987, S. 142, bzw. Keim 1996.) 268 Reden ist Chefsache Mit drei in infiniter Form konstruierten Verbsyntagmen formuliert der Produktionsleiter im folgenden ein ‘Lösungsverfahren’ bei Störungen: früh''zeitiges erkermen\ * sofortiges reagieret * sofo"rt wieder eimtellen auf einen prozeß der prozeßsi"eher ist\ (Z. 24-26). Danach expliziert er das Arbeitsziel: wir wollen/ * in richtung * null *feh"ler\ (Z. 26-27). Diese Äußerungsgestaltungen zeigen eine deutliche Tendenz hin zum emphatisierenden Sprechen. Insbesondere die von PL verwendeten Segmentierungen fuhren zu einer rhythmisierten Sprechweise, die eine Bestärkung des Äußerungsgehalts bewirkt. 262 Insgesamt wird das konkrete Beispiel der Arbeiterin vom Produktionsleiter umgedeutet. Dabei kommt das entsprechende Vorwissen zum Tragen, wie die beschriebene Situation eingeordnet werden kann. Das Beispiel wird zu einer Handlungsressource, auf der der Produktionsleiter aufbaut, um seine Ziele zu explizieren. Was die Arbeiterin in ihrer Initiative als problematische Aspekte dargestellt hatte, nämlich zum einen das Alltägliche an der Produktionsstörung (Z. 17-18) und zum anderen die individuelle Verantwortlichkeit einzelner Gruppenmitglieder (Z. 14), bettet der Produktionsleiter in globalere Relevanzstrukturen ein. Auffälliges Kennzeichen dieses Umdeutens und Einbettens ist z.B., daß PL die Wir-Form gebraucht (Z. 26, 28, 30) und den Terminus ‘Gruppe’ verwendet, um das Publikum tendenziell in den primären Hörerstatus mit einzubeziehen (Z. 21). Das rhetorische Verfahren, dessen Realisierung in diesem Abschnitt nachgezeichnet wurde, besticht äußerlich v.a. durch die expansiven Formen der Zustimmung am Beginn der Äußerungen. Die Zustimmung wirkt, als hätte der Sprecher in der partnerseitigen Äußerung den Ausdruck seiner eigenen Einstellung oder Sichtweise identifiziert. Die Partneraktivitäten werden ratifiziert und stehen als ‘Wissensgrundlage’ für Weiterentwicklungen zur Verfügung. Die Gültigkeit eines Sachverhalts bleibt unangefochten bestehen; was sich ändert, bzw. durch das Kontrollverfahren manipuliert wird, sind Bearbeitungsansprüche und die Zielrichtungen des interaktiven Handelns. 263 Aufbauend auf der explizit abgesicherten Wissensgrundlage werden andere als die erkennbaren Zielvorstellungen mehr oder minder explizit entwickelt: Die Bearbeitungsziele werden ausgetauscht. Die eigene Einstellung wird auch 262 Als expliziertes Arbeitsziel deutet die Aussage, sich in richtung * null * fehler bewegen zu wollen, auch auf Mängel in der Arbeitsleistung der im Gespräch anwesenden Belegschaft hin. Hier kündigt sich ein primäres Ziel dieser Besprechung an, daß darin bestehen wird, die Arbeiterinnen über den defizitären Stand ihrer Arbeitsleistungen genauestens zu informieren, ein Ziel, daß für den Außenstehenden erst gegen Ende des Gesprächs erkennbar wird. Der ‘formelle’ Zweck des Gesprächs ist ja die Vorstellung des Entlohnungssystems durch BA (vgl. Abschnitt 2.3). 263 In diese Klasse von Kontrollverfahren gehören also nicht Formen ironisierenden Umdeutens, mit denen ich dem Partner signalisiere, daß ich einen anderen, verdeckten Bedeutungsgehalt rekonstruiere (etwa ,ja, ja, das sagst Du jetzt bloß, damit ich Dir recht gebe“). Hierbei handelt es sich um Formen des Diskreditierens. Kontrolle 269 und vor allem wegen der aufwendigen Zustimmung zum Partner zu einer gleichsam logischen Konsequenz aus der partnerseitigen Darstellung. Dem Partner werden Implikationen seiner eigenen Beiträge untergeschoben. 264 Dadurch gerät der Partner unter ‘kontrollierten’ Zugzwang. Das Umdeuten seiner Äußerungen auf der Basis gemeinsamen Wissens vermindert seine Möglichkeiten, die Uminterpretation zu korrigieren. Er kann nicht abschlägig reagieren. Tendenziell könnte ihm ja im Gegenzug vorgehalten werden, daß er sich widerspricht („aber Sie haben doch selbst gesagt, daß x“). Mit diesem Kontrollverfahren stuft der Sprecher die Relevanz partnerseitiger Fokussierungen in bezug auf die eigenen Bearbeitungsziele hoch. Uminterpretationen setzen allerdings voraus, daß der Sprecher seine Einstellung mit situativen und übergreifenden institutioneilen Handlungsanforderungen in Einklang bringen kann. Charakteristisch ist, daß die eigenen Bearbeitungsziele als globale Ziele des Unternehmens definiert werden. Die Relevanz partnerseitiger Fokussierungen verblaßt vor dem Hintergrund institutioneller Normen (vgl. Abschnitt 5.2.1). Umdeuten des Partnerbeitrags (R): Der Sprecher ratifiziert den partnerseitigen Fokus in aufwendiger Art und Weise. Charakteristischerweise erweckt er durch emphatisiertes Sprechen und konkretes Zustimmen den Anschein, in völliger Übereinstimmung mit dem Partner zu stehen. 265 Die Folgeaktivitäten machen die Ratifizierung allerdings (partiell) wieder rückgängig. Handlungsimplikationen werden im eigenen Sinne ausgenutzt. (E): Der Bearbeitungsbedarf hinsichtlich des Partnerfokus wird hochgestuft. Auf dessen Grundlage wird die eigene Sichtweise, Bewertung, Problemdefinition etc. entwickelt. Der Partnerbeitrag wird uminterpretiert. Die Charakteristika der Relevanzstruktur werden in Richtung eigener Bearbeitungsziele verändert. (P): Dem Partner werden Implikationen seiner eigenen Beiträge untergeschoben. Der Sprecher vereitelt tendenziell die Möglichkeit zu insistieren. 5.2.14 Kompetitive Problematisierungen Viele der bereits vorgestellten, Opposition ausdrückenden Verfahren lassen sich im Korpus in einer ‘Position des zweiten Zuges’ nachweisen. Damit sind 264 Ein solches Verfahren, Äußerungsimplikationen zu ‘unterstellen’, zeigen auch Kallmeyer und Schmitt (1996, S. 90). Auf der Ebene gegenseitiger Handlungsanforderungen könnte darin ein Versuch gesehen werden, „Handlungsbereitschaft oder -angebote des anderen zu verwandeln in eine an ihn gestellte Anforderung, so als würde er von sich aus die Handlung nicht ausfuhren“ (Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 91). 265 Diese Formen des Zustimmens sind völlig verschieden von denen des Pauschalisierens. Einer Uminterpretation des Partnerbeitrags geht keine generalisierende, sondern eine konkrete Zustimmung zu einer Bewertung, einer Sichtweise, einer Problemdefmition u.a. voraus, z.B. in der Form grade des is aber der punkt\ (BV, s. Anhang II, ‘Werk 1 ’, Z. 161), jade"s is der punkt\ (ebd., Z. 184), genau des will ich- (ebd., Z. 252). Die letzte dieser Aktivitäten bildet den Abschluß einer argumentativen Phase. Sie geht keiner Uminterpretation des Partnerbeitrags mehr voraus. Aber sie ist in bezug auf die vorherigen Kontrollverfahren desselben Sprechers kontextualisiert und indiziert klar erkennbar seine, von der seines Partners divergierende Einstellung. 270 Reden ist Chefsache Reaktionen, sofortige Gegeninitiativen gemeint, die Nicht-Akzeptanz signalisieren. Bei einer Verfahrensklasse erkennt der Sprecher das vom Partner aufgezeigte Problem nicht als interaktionsrelevant an, sondern drängt es durch eine zweite, hochgestufte Problematisierung in den Hintergrund (etwa in der Form „Sie haben etwas viel Wichtigeres vergessen“ ). Bei dieser Problematisierungsform könnte man von einer ‘kompetitiven’ Problematisierung sprechen. Charakteristisch flir kompetitive Problematisierungen ist, daß sie Neu- Fokussierungen mit vorrangigem Bearbeitungsbedarf enthalten, wodurch der Stellenwert partnerseitiger Fokussierungen zurückgestuft wird. Die folgenden Transkriptausschnitte stammen aus derjenigen Phase des Gesprächs ‘Bezirksleiter-2’, in der der Filialdirektor die einzelnen Bezirksleiter nach den Gründen fragt, weshalb sie so wenige Personen zum ‘Tag der offenen Tür’ eingeladen haben. Er verleiht schon bei der Themeneröffhung seinem Ärger Ausdruck und bekräftigt im folgenden die optimale Vorbereitung und Kundenorientiertheit des ‘Tags der offenen Tür’. Für die Beteiligten entsteht ein hoher Rechtfertigungszwang, da sie kaum jemanden eingeladen haben. Bereits der erste muß schwere Einbußen bei dem Versuch hinnehmen, sich zu rechtfertigen. 266 Die nächsten beiden haben jeweils gar niemanden eingeladen, was bei dem Filialdirektor auf Unverständnis stößt: ja und warum/ ** herr Baumann waru"m null/ *(...) ** ich kann nur sa"ge meine herrn\ * ich' ich bin da wirklich verä"rgert drüber\ (DI, VIII/ 202/ 1-3). Im folgenden wird die ‘Befragung’ des Bezirksleiters Bl untersucht; er ist der vierte, an den die Frage geht. Im vorangehenden Kontext macht der Filialdirektor darauf aufmerksam, daß es bei solchen Veranstaltungen hervorragende Gelegenheiten gäbe, „bei einem Glas Sekt zurückgezogen auch ein paar Gespräche zu fuhren, die wichtig wären“. Mit dem während der Formulierung abgebrochenen Satz solche di"nge- * die sind doch-' (Z. 1) verweist DI auf eben diesen Zweck der Veranstaltung: Nicht nur, daß man Kontakte zu Kunden knüpfen oder vertiefen kann, man kann auch die Kontakte zu den (höhergestellten) Leuten aus der eigenen Branche verbessern. (5.39) 1 DI * solche di"nge- * die sind doch-' * hier springen 2 DI * äh äh prokuri"sten * vo"rstände * und alles 3 DI mögliche auch von der * äh äh #FI"RMENNAME# drüben 4 DI rum also wir werden intressante leute hier haben\ 5 DI ** da hab i einige zusagen\ * sie haben- * herr 6 DI Neugert-' 7 Bl ich ha"b äh * ne" ich sa"g ihnen auch-' * bezirksleiter-2/ 204 266 Ygj (jjg Analyse der Befragung des ersten Bezirksleiters in Abschnitt 5.2.5. Siehe außerdem zu diesem Thema in den anderen Gesprächen aus der Filialdirektion die TA 3.08, 4.06, 4.19 und 4.35ff. Kontrolle 271 Neben der Gradpartikel doch-' signalisiert die nach dem Abbruch entstehende Leerstelle (Z. 1), daß der Filialdirektor von einem gleichsam selbstverständlichen Interesse der Bezirksleiter ausgeht. Auch die umgangssprachliche Form hier springen [...] rum (Z. 1 bzw. 4) indiziert diese Erwartung: Die Bezirksleiter sollen sich die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen. Die Auflistung der voraussichtlich Anwesenden, prokuri"sten * vo"rstände * und alles mögliche (Z. 2-3), macht die Attraktivität des Angebots nur umso deutlicher. Die Genannten stellen natürlich, aufgrund ihres Status und der damit verbundenen Zahlungsfähigkeit, ganz exzellente (potentielle) Kunden dar, die einem Bezirksleiter hohe Gewinne bringen können. In der angeschlossenen Erweiterung auch von der * äh äh UFI"RMENNAME# drüben (Z. 3) nennt DI den Namen einer Firma, die mit der Versicherungsgesellschaft in engem Arbeitskontakt steht. Zudem deckt diese Firma den Kundenbedarf in einer der Gesellschaft sehr nahestehenden Branche. Dadurch wird klar erkennbar, was mit ‘dem Gespräch beim Glas Sekt’ schon angedeutet war, daß nämlich die Anwesenheit der Bezirksleiter beim ‘Tag der offenen Tür’ ihnen nicht nur einen sehr erfreulichen Kundenzuwachs ermöglicht, sondern sich mittelfristig auch positiv auf vertragliche Verhältnisse auswirken kann. 267 DI beendet diesen Teil seiner Äußerung mit einer fazitartigen Bewertung des voraussichtlichen Publikums, also wir werden intressante leute hier haben\ (Z. 4), und fügt da hab i einige zusagen\ (Z. 5) hinzu, um die Gültigkeit seiner Aussagen zu bekräftigen. Zwischen den Dialogen mit den einzelnen Bezirksleitern, die der folgenden Frage an Herrn Neugert (Bl) vorausgehen, fugt DI jeweils Darstellungen spezifischer Aspekte der Veranstaltung ein. Die Aspekte sind für ihn wie das besprochene Beispiel des erwarteten Publikums exemplarisch zeigen kann alle äußerst positiv zu bewerten. Insofern reetabliert er nach den Rechtfertigungsversuchen der Bezirksleiter ständig dieselben situativen Rahmenbedingungen: Die positiven und zielgruppengerechten Qualitäten der Veranstaltung machen es für die Mitarbeiter zu einem gewissen Risiko, die Effizienz der Veranstaltung hinsichtlich ihrer institutioneilen Ziele (wie etwa das Wecken von Öffentlichkeitsinteresse und Profitsteigerung) anzuzweifeln. Außerdem sind sie gezwungen, sich zu entschuldigen oder zu rechtfertigen, da sie kaum jemanden eingeladen haben. Die kundenorientierte Arbeit gehört zum Alltag des Bezirksleiters, und für diesbezügliche Defizite können sie verantwortlich gemacht werden. Die Rahmenbedingungen haben insofern potentiell konfliktstiftende (imagebedrohende) Charakteristika: Man muß sich entschuldigen, ohne gleichzeitig zuwenig eigene Verantwortlichkeit interpretierbar zu machen. 267 Der Kontakt zu der Finnenspitze von Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen kann zum Schaffen eines Vertrauensverhältnisses fuhren, dem sich Verträge über Rechte bei der Vertretung dieser Firmen anschließen. Damit erweitern Bezirksleiter ihr eigenes Angebot und erhalten ggf. gleichzeitig Adressen aus dem Kundenstamm dieser Firmen (Bestandsübemahme). 272 Reden ist Chefsache Mit der Formulierung sie haben- * Herr Neugert-' (Z. 5-6) wird dem Bezirksleiter Bl das Rederecht erteilt. Durch die namentliche Adressierung wird das Sprecher-Hörer-Verhältnis modifiziert; der Filialdirektor setzt seine ‘Befragung’ fort und etabliert damit Handlungsanforderungen an Bl, Gründe für das nicht erfolgte Einladen zu nennen. Es ist vielleicht wichtig zu wissen, daß DI Herrn Neugert schon an anderer Stelle gefragt hatte und er im Grunde schon weiß, was B1 antworten wird. Die Formulierung sie haben- * herr Neugertmag insofern wie ein Angebot wirken, den Satz zu Ende zu sprechen, die Formulierungsgestalt aufzugreifen etc. 268 Bl startet unmittelbar im Anschluß an die Adressierung. Der Beginn seiner Antwort ist von manifesten Zeichen der Formulierungssuche (Abbrüchen) geprägt: ich ha"b' äh * ne" ich sa"g ihnen auch-' (Z. 7). (5.40) 6 DI Neugert-' 7 Bl ich ha"b' äh * ne" ich sa"g ihnen auch-' * 8 Bl ich hab ihnen ja schon' * schon zwei"mal gsagt 9 Bl warum/ * ne ich begrüß des 1 diesen tag der offenen 10 Bl tür seh"r/ * ich * mhm * bedau"er aber ich bin in 11 Bl u"rlaub/ und p >da hab ich des qfühl/ < doch- 12 DI L das ma''cht doch nix/ >a"ch bezirksleiter-2/ 204 Tatsächlich greift Bl die Formulierungsgestalt der ‘Frage’ des Filialdirektors auf, indem er seine Reaktion mit ich ha"b' beginnt (vgl. sie haben-, Z. 5). Er bricht jedoch sofort ab und antwortet negierend: ne" (Z. 7). Dann startet er eine neue Formulierung, ich sa"g ihnen auch- (Z. 7), die er erneut abbricht und mit dem zweiten Neustart gewissermaßen korrigiert: ich hab ihnen ja schon' * schon zwei"mal gsagt warum/ (Z. 8-9). Er setzt das zuvor akzentuierte Verb in eine Vergangenheitsform und akzentuiert jetzt das Lexem zwei "mal. Der Bezirksleiter setzt hier relevant, daß er zum drittenmal im Begriffist, seine Einstellung darzulegen. Insgesamt ist u.a. durch die mit steigendem Grenzton schließende Formulierungsgestalt und die Partikel warum/ eine Ankündigung erkennbar: Bl wird seine Gründe nennen, weshalb er niemanden eingeladen hat. Schon nach dem zweiten abgebrochenen Satzfragment ich sa"g ihnen auch-' (Z. 1), bei dem Bl das verbum dicendi akzentuierte (sa"g), und außerdem 268 Die Tatsache, daß DI über die Gründe von Bl schon informiert ist, könnte auch die Ursache dafür sein, daß er ihn als letzten der Bezirksleiter anspricht; der Filialdirektor hatte sich sozusagen die Möglichkeit Vorbehalten, erst die anderen zu kritisieren, bevor er die von ihm erwartete Diskussion mit Herrn Neugert eröffnet. In jedem Fall ist davon auszugehen, daß Bl mit der Zuweisung des Rederechts grundsätzlich gerechnet hat. Kontrolle 273 durch seine entschlossen wirkende Sprechweise bei der Übernahme des Rederechts sind längere Ausführungen mit über Entschuldigungsversuche hinausgehenden - Gründen zu erwarten. Im Vergleich zu den Rechtfertigungsinitiativen seiner Bezirksleiterkollegen wirkt dieser Sprecher geradezu resolut. Die Formulierung ich hat ihnen ja schon' * schon zwei"mal gsagt warum/ verstärkt diesen Eindruck. Allgemein könnte man sagen, daß der Sprecher einen Wechsel in den Interaktionsmodalitäten bei der Abarbeitung des Handlungsschemas konstitutiert. Er projiziert eine Neubewertung des Sachverhalts, bzw. er signalisiert, daß er die bisher gültige Problemdefinition nicht ohne weiteres anerkennt; diese impliziert ja eine versäumte Verantwortungspflicht der Bezirksleiter. Nach dieser ‘Einleitung’ in seinen Turn bestätigt Bl die Wichtigkeit der bevorstehenden Veranstaltung aus seiner Sicht: ich begrüß des' diesen tag der offenen tür seh'W (Z. Z. 9-10). Er stimmt der von DI gemachten Bewertung der Veranstaltung zu. Die Zustimmung wirkt in einem hohen Maße vorausweisend auf eine im folgenden zu formulierende konträre inhaltliche Einstellung des Sprechers. 269 Daß Bl die Zustimmung vor der Explizierung seiner Einstellung ‘einschiebt’, kann als beziehungsregulative Komponente seiner Aktivität verstanden werden. Die Handlungsanforderung fur B1 besteht nicht in der Frage, wie oder ob er die Veranstaltung für gut befindet oder nicht, sondern in der Frage, warum er niemanden eingeladen hat. Die Zustimmung entlastet die Situation, in der zu diesem Zeitpunkt schon deutlich ist, daß B1 den Erwartungen des Filialdirektors nicht entspricht. Bl läßt die Angabe des Grunds folgen: ich * mhm * bedau"er aber ich bin in u"rlaub/ (Z. 10-11). Die gefüllte Pause (ich * mhm * bedau"er) ist ebenfalls ein Signal dafür, daß eine situationsverschärfende Formulierung vermieden werden soll. Das von Bl ausgedrückte ‘Bedauern’ verstärkt zudem den Eindruck, daß er sich mit globalen Zielsetzungen der Veranstaltung identifiziert. Seine Äußerung beinhaltet einen konfliktvermeidenden Partnerbezug (etwa mit der Bedeutung „ich finde es schade, daß ich nicht kommen und Ihren Erwartungen entsprechen kann“). Im zweiten Äußerungsteil nennt Bl seinen Hinderungsgrund: aber ich bin in u"rlaub/ . Mit u"rlaub fokussiert Bl einen 269 Typisches Kennzeichen für die Projektion einer oppositiven Einstellung ist die ‘sekundäre Hochstufiing’ (die Partikel seh"r/ ) in einer insgesamt rückgestuften Berücksichtigung der Partneraktivität. Kallmeyer und Schmitt (1991) weisen anhand verschiedener Verfahren von Projektion in adversativen Verknüpfungen nach, daß der Partner auf sehr unterschiedliche Weise auf die Formulierung einer oppositiven Einstellung ‘vorbereitet’ wird. Zu den Formen der Projektion gehören z.B. Generalisierungen der partnerseitigen Einstellung, aspektualisierende Zustimmungen, Partikularisierungen (Reduzieren des Partnerfokus auf Sonderfallstatus) etc. Die sekundäre Hochstufiing ist typisch v.a. für Aspektualisierungen, bei denen man dem Partner nur in einem Punkt recht gibt („es ist schon richtig, daß x, aber y“) (Kallmeyer und Schmitt 1991, Kap. 5.3). 274 Reden ist Chefsache Sachverhalt, der mit wenigstens einem Aspekt zu dem thematischen Fokus ‘Tag der offenen Tür’ in einer oppositiven Relation steht: Wer sich im Urlaub befindet, geht i.a. nicht zu solchen Veranstaltungen. Die adversative syntaktische Konstruktion, die generalisierende und akzentuierte Zustimmung und schließlich die Akzentuierung des Lexems u"rlaub bewirken insgesamt eine interaktionsrelevante Hochstufung des Hinderungsgrunds. Die Fokussierung des ‘Urlaubs’, in einer Reaktion auf eine außerordentlich beziehungsrelevante Problematisierung, fasse ich als Kern einer kompetitiven Problematisierung auf. Die Problematisierung fuhrt zu einer in mehrfacher Hinsicht interessanten Bearbeitung von den Partnern: Die Fokussierung des ‘Urlaubs’ leitet eine kurze Phase ein, in der überprüft wird, ob man keine Kunden einzuladen braucht, wenn man selbst in Urlaub ist. Mit der Aussage aber ich bin in u"rlaub/ hat Bl eine Rechtfertigungsinitiative gestartet, die vom Partner abgelehnt oder z.B. in Form eines Entgegenkommens anerkannt werden muß. DI reagiert allerdings, noch während Bl mit und >da hab ich des gfiihl/ < (Z. 11) fortfährt, mit einer pauschalisierenden Relevanzrückstufung: das ma"cht doch nix/ (Z. 12). DI erhält so seinen Anspruch aufrecht, Bl hätte, obwohl er in Urlaub geht, Einladungen aussprechen müssen. (5.41) 11 Bl u"rlaub/ und r >da hab ich des qfühl/ < doch- 12 DI L das ma"cht doch nix/ >a"ch 13 DI wa"s\ * der muß (..\)< r ^ ^ 14 Bl L ne" ich mach eigentlich' * K #KURZES RÄUSPERN# 15 Bl wenn ich * äh * künde von mir ei"nlade/ * dann 16 Bl möcht ich die auch r persö"nlich be(treuen\) 17 DI L ah dann müßten sie ja au"ch von 18 DI morgens * bis abends da (sein\ ja 19 Bl L war ich hie"r\ ja/ * 20 DI >wenn des aber jeder mitarbeiter machen wü"rde bezirksleiter-2/ 204 Beide Teilnehmer insistieren auf ihren Einstellungen: Bl, indem er die Gültigkeit von DI’s Zwischenruf mit dochnegiert; DI, indem er das Beharren des Partners mit >a"ch wa"s\ * der muß (../ )< erneut in pauschalisierter Form zurückweist; und wiederum Bl, der diese Äußerung DI’s mit ne" negiert (vgl. insgesamt Z. 11-14). Der schnelle Redewechsel mit rasch aufeinander folgenden Beiträgen, die sich teilweise überlappen, zeugt von der Etablierung einer Gegnerschaft, bei der der eine dem andern durch das Streitig-Machen des Rederechts die Gelegenheit nehmen will, weitere argumentative Schritte zur Untermauerung seiner Einstellung zu leisten (vgl. auch Z. 15-19). Der Filialdi- Kontrolle 275 rektor unternimmt vornehmlich pauschalisierende Aktivitäten, die darauf abzielen, die Rechtfertigung seines Gegenüber zu entkräften; er aberkennt eine objektivierbare Relevanz des ‘Urlaubs’. Indirekt wird so der Vorwurf an den Bezirksleiter aufrechterhalten, daß er das seiner Pflicht gerechte Aussprechen von Einladungen versäumt hat. Die Tatsache, daß sich Bl am Tag der Veranstaltung in Urlaub befindet, ist als Hinderungsgrund noch nicht akzeptiert. Sein Insistieren auf Anerkennung manifestiert sich in negierenden Zurückweisungen der pauschalen Antworten des Partners. Daß B1 in Urlaub sein wird, ist eben nicht allein ein Entschuldigungsgrund, sondern erlaubt eine Neubewertung des von DI eingeklagten Versäumnisses: Wenn der Urlaub als triftiger Grund anerkannt wird, kann DI bei Bl keine Vernachlässigung von Pflichten mehr kritisieren. An der Oberfläche scheint es sich hier um konkurrierende Einstellungen der Interaktionspartner zu handeln; auf beziehungsrelevanter Ebene geht es aber auch um die Frage, ob DI mit seiner Bewertung des Sachverhalts recht behält. 270 Insgesamt ist durch die kompetitive Problematisierung ein komplexer Bearbeitungsbedarf entstanden, der das vorgeworfene Versäumnis in den Hintergrund drängt. Schließlich startet Bl eine relativ expansive Plausibilisierung seiner Einstellung: ich mach eigentlich' * wenn ich * äh * künde von mir ei"nlade/ * dann möcht ich die auch persö"nlich be(treuen\) (Z. 14-16). Der Bezirksleiter macht die Einladungen zu der Veranstaltung von der Bedingung abhängig, seine Kundenpersö"nlich be(treuen\) zu können. Auffällig sind die Akzentuierungen auf dem Verb ei"nlade und auf dem Adverb persö"nlich. Zum erstenmal wird mit ‘Kunden einladen’ der Problemkern bezeichnet, der DI’s Problematisierungen zugrundeliegt. Bl nennt mit ‘persönlicher Betreuung’ ein Argument, das einen in der Branche absolut anerkannten Faktor für Akquisitionserfolg darstellt. 271 Da dieser Faktor wegen des Urlaubs ausgeschlossen ist, konnten Einladungen nicht ausgesprochen werden. Daß diese Problematisierung über die Wichtigkeit einzelner Aktionen in der Öffentlichkeitsarbeit der Versicherungsgesellschaft dominieren kann, zeigt sich an der folgenden Reaktion des Filialdirektors. Die Gültigkeit der Problem- 270 Wenn der Filialdirektor mit seiner Einstellung und Bewertung recht behielte und sich durchsetzte, würden Bl’s Rechtfertigungsinitiativen vereitelt und seine Einstellung abqualifiziert; ein Degradieren könnte die Folge sein. Vgl. Abschnitt 5.2.5 und die dort analysierten Aktivitäten des Bezirksleiters in Reaktion auf den gleichen Vorwurf und die Aktivitäten des Filialdirektors. 271 Die 'persönliche Betreuung’ ist Teil einer Akquisitionstechnik, die auf einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis zwischen Agent und Klient basiert. Die Fokussierung gibt damit einer anerkannten untemehmensphilosophischen Richtlinie Ausdruck, zu der Bl sich explizit bekennt. Als Selbständiger verfügt Bl durchaus über die fachliche Kompetenz, derartige Richtlinien zu entwerfen. 276 Reden ist Chefsache definition wird jetzt nicht mehr pauschalisierend zurückgestuft, sondern eine naheliegende Konsequenz überprüft: ah dann müßten sie ja au"ch von morgens * bis abends da sein\ (Z. 17-18). Der Stellenwert dieser Frage ist tendenziell rhetorisch, da die Antwort vorauszusehen ist. Bl entkräftet sofort einen angedeuteten Zweifel: war ich hier\ ja/ (Z. 19). Durch die Vorhersehbarkeit dieser Antwort kann der Filialdirektor nachhaken: >wenn das aberjeder [...] keinen platz mehr für die gä"ste\< (Z. 20-21). Er versucht, Bl’s Einstellung zu entkräften, weil sie tendenziell die Veranstaltungseffizienz gefährdet. Bl wechselt jetzt auf die metakommunikative Ebene, indem er eine klare Aussage über die Divergenz der beiden konkurrierenden Einstellungen macht. Bei der Aussage >sie' sie können=s jo nur akzeptieret (Z. 23-24) handelt es sich um eine typische metakommunikative Kontrollhandlung, mit der deutlich gemacht wird, daß eine weitere Aushandlung der Sachverhaltsbewertung auf der bisherigen diskursiven Basis, mit den bisherigen Modalitäten etc. keine weitere Effizienz verspricht. (5.42) 18 DI morgens * bis abends da r sein\ ja 19 Bl L war ich hie"r\ ja/ * 20 DI >wenn des aber jeder mitarbeiter machen wü"rde 21 DI haben wir keinen platz mehr für die gä"ste\< * 22 DI daß-' r #RÄUSPERN# 23 Bl ne" aber ich mein * 1 >sie' sie können=s jo nur 24 Bl akzeptieret des isch meine persönliche mei"nung/ 25 Bl ich begrüße es seh"r/ ich' ich hätt au sofort 26 Bl jemand ei”nglade/ #**# äh des isch für mich en sehr K #DI HUSTET KURZ# 27 Bl triftiger gru"nd/ * wenn isch im u"rlaub bin/ bezirksleiter-2/ 204 Insgesamt reagiert der Bezirksleiter auf die Handlungsanforderung, ‘Gründe für fehlende Einladungen’ zu nennen, in einer Form, die eine Imageeinbuße zu vereiteln vermag. Der wesentliche inhaltliche Aspekt der kompetitiven Problematisierung von Bl ist zunächst der ‘Urlaub’ und dann die Unmöglichkeit einer ‘persönlichen Betreuung’. Bl verleiht dem Faktor ‘Urlaub’ ein eigenes Gewicht und besteht auf dessen Anerkennung. Dadurch entsteht ein argumentativer oder evaluativer Bearbeitungsbedarf; der asymmetrische Charakter der Handlungsanforderungen an die Beteiligten hat sich relativiert, es herrschen neue interaktioneile Rahmenbedingungen. 272 272 Es besteht ein Verwandtheitsgrad dieses Verfahrens u.a. zu dem in Abschnitt 5.2.7 beschriebenen Verfahren ‘Einbinden von Vorwissen’. In Urlaub zu sein, ist jedoch allein noch kein Grund, niemanden zum ‘Tag der offenen Tür’ einzuladen. Genau dieser Aspekt verursacht die diskutierte Diskrepanz der Problemsichtweisen der Interaktionspartner. Die Diskussion konnte von beiden vorausgesehen werden. Die Unterscheidung Kontrolle 277 Nicht zuletzt, weil der Bezirksleiter einen hohen Grad an Identifizierung mit institutionsspezifischen Vorgaben beweist, kann die von ihm geleistete Problematisierung die Relevanz des von DI unterstellten Defizits zurückstufen oder in den Hintergrund drängen. Die von ihm relevant gesetzte ‘persönliche Betreuung’ wird gewissermaßen zum Legitimierungsfaktor. Allgemein treten kompetitive Problematisierungen in Verbindung mit solchen Legitimierungsversuchen auf. Bei unzureichender Legitimierung der eigenen Zielvorstellung fuhrt die Problematisierung allerdings im Regelfall nicht zu weitreichenden Bearbeitungen; sie wird dann z.B. durch Pauschalisierungen sofort abgewiesen. Eben dies versucht mehrfach auch der Filialdirektor. Daß der Bezirksleiter dies vereiteln kann, hängt ganz entschieden mit seiner Argumentationsstrategie zusammen. Allgemein könnte man sagen, daß der inferiore Mitarbeiter hier durch kommunikatives ‘Geschick’ (Müllerovä 1987) Vorteile für sich geschaffen hat. Dieses Geschick ist die Form seines kommunikativen Auftretens; hierzu gehören beispielsweise der Hinweis darauf, daß er sich wiederholen muß (Z. 8-9), die generelle Zustimmung zur Bewertung der Veranstaltung (Z. 9-10), das explizite Bedauern (Z. 10), sein stringentes Insistieren (Z. 11, 14, 19, 23), das Aktualisieren einer institutionellen Richtlinie (Z. 15-16) und der Wechsel auf die Metaebene, als er in die Enge gedrängt werden soll (Z. 23-24). Sein persönlicher Sprechstil zeigt zwar einige derjenigen Kennzeichen, die man traditionell als Signale eines submissiven Stils gewertet hat, also z.B. Modalisierungen, Abbrüche, gefüllte und ungefüllte Pausen; gleichwohl wird alleine mit diesem Stil die asymmetrische Relation der Beteiligungsrechte nicht bestätigt. Kompetitive Problematisierungen erfolgen typischerweise als Reaktion auf eine vom Partner untergeschobene Problemdefmition. Ein vom Partner als Defizit erkanntes und als interaktionsrelevant signalisiertes Problem wird nicht als solches anerkannt. Vielmehr versucht man, einen Konsens hinsichtlich der unterstellten Problemdefmition zu verhindern. Der Sprecher kann außerdem eine einseitig festgelegte Bewertung der eigenen Verantwortung oder Schuld relativieren. An die Stelle von Vorschlägen, wie ein Problem zu bewältigen sei, treten Randbedingungen, Praktikabilitätserörterungen oder oppositive Bewertungen, die als neuer, ebenfalls problematischer Zusammenhang neue Bearbeitungsbedingungen schaffen. Kompetitive Problematisierungen (R): Der kompetitiven Problematisierung geht eine partnerseitige Problemstellung voraus. Der Sprecher stimmt deren interaktioneller Bearbeitungsrelevanz zu, deutet aber zugleich an, daß er die eigene Problemsichtweise in bezug auf einen anderen Sachverder beiden Verfahren kann daran festgemacht werden, daß Problematisierungen in jedem Fall einen Bearbeitungsbedarf etablieren, während ‘aktualisiertes Wissen’ einen Bearbeitungsbedarf auch vollständig decken kann. 278 Reden ist Chefsache halt entwickeln, das Problem verlagern wird (z.B. durch Formen eingeschränkten Zustimmens). (E): Das vom Partner präsentierte Problem wird vom Sprecher in Relation zu einer von ihm gestarteten Problematisierung zurückgestuft. Zwischen den Sachverhalten kann ein mittelbarer Zusammenhang bestehen. Die ‘neue’ Problematisierung wird durch Legitimierungsinitiativen untermauert. (P): Die kompetitive Problematisierung etabliert einen ‘konkurrierenden’ Bearbeitungsbedarf, den die Sprecher zunächst durch interaktioneile Formen des Abwägens von Gültigkeit, Relevanz, Legitimation u.a. einlösen. Weitere Handlungsschritte zur Abarbeitung des in Konkurrenz durchgesetzten Interaktionsmusters folgen. 5.2.15 Scherzhaftes Überspielen von Handlungsanforderungen Eine Vielzahl der Realisierungsformen von Kontrollverfahren haben die Funktion, situative Handlungsanforderungen zu umgehen oder was ihre beziehungsrelevanten Implikationen betrifft zu entschärfen. Ein Verfahren, lokale Handlungsanforderungen zu umgehen, bilden im Korpus scherzende Aktivitäten. Durch ‘Witze’ kann die Zweckorientiertheit oder die stringente Themenfixiertheit der Gespräche kurzzeitig ausgeblendet werden. Oftmals wirkt dies wie eine Zäsur im bedeutungskonstitutiven Prozeß. 273 An solchen Stellen im Korpus findet sich eine in der Interaktionsforschung weit verbreitete Vorstellung bestätigt, die besagt, daß durch Scherze die Ernsthaftigkeit eines drohenden Konflikts reduziert wird. Geforderte Handlungsschritte werden durch Scherze nicht eingelöst, sondern nur ersatzweise substituiert, z.B. Scherze statt eines Eingeständnisses (als Reaktion auf einen berechtigten Vorwurf) oder statt eines Beitrags zur Problemdefinition (als Reaktion auf ein manifestiertes Defizit in einem Planungsprozeß; s.u., die Diskussion des Beispiels). Der Scherz ist in diesem Fall kein Äquivalent für den zu leistenden Handlungsschritt. Man kann vielmehr davon ausgehen, daß der Sprecher der Situation ausweicht, sie ‘umdefiniert’ (Schütte 1987, S. 261). 274 Grundsätzlich kann man andererseits mit Schütte (1987) davon ausgehen, daß das Gespräch in eine spezifische Interaktionsphase tritt, wenn sich mehrere 273 H. Plessner (1970) geht zur Definition des Witzes von der Einsicht aus, „daß die Essenz des Witzes in der Kürze, im Einfall, [...] in der plötzlichen Verbindung einander fremder Elemente liege“ (Plessner 1970, S. 106). Kennzeichen für das Entstehen eines Witzes kann in der verbalen Interaktion eine Zäsur auf der Ebene des thematischen Referenzstranges sein, also die unerwartete Fokussierung eines ‘fremden’ Objekts. 274 Was nach Goffmann bis hin zum ‘Verleugnen der Realität’ reichen kann (Goffmann 1991a, S. 122, Anm.). Vgl. z.B.: ganz so schlecht geht^s der firma Sommerfeld net/ ich hab noch vier farbestiße kriegt/ (BA, V/ l 10/ 25-26). Diese Bemerkung des Bereichsleiters für Arbeitswirtschaft im Gespräch ‘Bonusentlohnung’ ist in bezug auf ein aktuelles Problem in dem Teilwerk kontextualisiert, in dem das Gespräch stattfindet. Der Firma geht es tatsächlich ‘nicht so gut’, und gerade dieses Teilwerk ist nicht das produktivste. BA’s Bemerkung spielt (kurzzeitig) das Problem der Unrentabilität herunter. In der Psychologie spricht man hier auch von einer Abwehr-Haltung, mit der man der reellen Dimension des Problems ausweicht (Arnold et al. 1993, S. 15). Kontrolle 279 Sprecher am ‘spielerischen’ Umgang mit dem Bearbeitungsgegenstand beteiligen. 275 In einem solchen Fall erfolgt die Umdefinition der Situation in kooperativer Form. ‘Spielerische’ Situationen setzen allerdings voraus, daß je geforderte Handlungsschritte innerhalb der Interaktionsphase klar erkannt werden können. Bei einer ironischen Bemerkung kann sich der Sprecher dann sicher sein, daß der Interaktionspartner die illokutive Bedeutung der Äußerung als Äquivalent für den erwartbaren Handlungsschritt identifiziert. Insofern kann mit Scherzen den Handlungsanforderungen einer Situation auch nachgekommen werden. Bei einer kontrollierten Normalform der Kooperation, wie sie in der Mitarbeiterbesprechung vorliegt (Abschnitt 3.2.2), gilt tendenziell, daß alle Beteiligten wissen, wann und in welcher Weise gescherzt werden kann. Typische Stellen sind Endphasen von Interaktionsmustern, wo gemeinsame Wechsel zur scherzhaften Ebene dem unmittelbaren Bearbeitungsende vorausgehen. Metakommunikative Bewertungen können zusätzlich absichern, daß das Voraufgegangene als scherzhafte Phase verstanden wird: des is ein übertriebenes bei"spiel\ soll die sache aber * bei ihnen aber mal langsam * zum le"ben erwecket^ (BA, V/ 101/ 4-7). Mit diesem Beitrag stuft der Sprecher sein vorangegangenes Beispiel als ‘übertrieben’ ein, fordert somit eine Uminterpretation von dessen Gehalt und hebt seine Relevanz hervor, weil es etwas ‘zum Leben erwecken soll’. Zum folgenden Beispiel: Die Versicherungsagentur (Gespräch ‘Agentur’) versucht, ihren Adressenbestand zu systematisieren, und zwar in drei Schritten: zunächst mit dem Einfuhren eines Recherchefragebogens, den die Außendienst-Mitarbeiter für jede recherchierte Adresse aufnehmen sollen; des weiteren mit der Erfassung aller Bögen im PC-Netz des Sekretariats und schließlich mit der Auswertung der erfaßten Adressen in periodischen Abständen, was zu systematischem Terminieren und zur Angebotserstellung führen soll. Gesondert wird von den Teilnehmern das Thema ‘Software’ behandelt. Es geht es um die Frage, ob das PC-Programm des Büros überhaupt in der Lage sei, systematische Aufgaben einer Datenbank zu erledigen. Der folgende Ausschnitt setzt in einer fortgeschrittenen Phase des Themas nach einem Beitrag des Schulungsleiters (SL) ein. Dieser stellte fest, daß man im PC des Sekreta- 275 Der Autor spricht davon, daß dann „in spezifischer Art und Weise die normalen Prozesse der Bedeutungsaushandlung und -Zuschreibung suspendiert sind“ (Schütte 1987, S. 239). Dem kann man insofern zustimmen, als sich der Prozeß der Bedeutungskonstitution auf eine andere Interpretationsebene verlagert: „Die Beteiligten geben sich gegenseitig zu erkennen, daß sie in gleicher Weise davon ausgehen, daß der folgende Gesprächsabschnitt in spezifischer Weise anders zu interpretieren ist und daß sie als Beteiligte in der Lage sind, diese Uminterpretation zu leisten“ (S. 261). Schütte verwendet den Terminus ‘Spiel’ als Parameter für die Beschreibung aller Aktivitäten, durch die sich eine Kontroverse ‘ernsthaft vs. scherzhaft’ interaktiv manifestiert (S 239). 280 Reden ist Chefsache riats die Bearbeitung der Adressen durch die Außendienstler kontinuierlich kontrollieren müsse, damit, wenn zwischenzeitlich ein Kundenantrag kommt, die Angebotserstellung durch den Innendienst erfolgen kann. (5.43) 1 Gl der muß dann do r no"chqequckt werre ja\ 2 SL L muß a"bqeho: kt werre\ 3 G2 p mhm=m/ 4 Gl L mhm=m/ ja\ des iss r mö"qlich\ 5 SL L dann * viel arbeit ne/ 6 G2 ja\ 7 Gl ja desweqe war des halt de ttinnedienscht vun dere K #LACHEND 8 Gl viele arbeit\ * weil ei"stelle du=ma ke"ns mehr\# 9 Gl *2,6* so iss=es\ *2,8* K SLACKEN VON Gl UND G2# agentur/ 62 Gl, der für den Innendienst verantwortlich ist, bestätigt die Feststellung von SL: der muß dann do no"chgeguckt werre ja\ (Z. 1); die Verweisform der bezieht sich hierbei auf den zuvor von SL fokussierten Kundenantrag. Der Schulungsleiter formuliert nun in einem überlappend gestarteten Beitrag die weiterfuhrende Möglichkeit, den Kundenauftrag nach erfolgter Bearbeitung im Innendienst zu kennzeichnen, muß a"bgeho: kt werre\ (Z. 2), was beide Geschäftsleiter mit Zustimmung ratifizieren: mhm=m/ (Z. 3 bzw. 4). Im Rahmen des subordinierten Handlungsschemas ist damit die Frage geklärt, ob die Software den Leistungsansprüchen der Agentur genügt. Außerdem haben die Teilnehmer einen Lösungsvorschlag hinsichtlich des (sub)themenübergreifenden Zusammenhangs erarbeitet, wie nämlich die Auswertung der erfaßten Adressen und die Kontrolle über den Bearbeitungsprozeß vonstatten gehen könnte. Das ‘Abhaken’ von Kundenaufträgen setzt ja bereits voraus, daß sowohl der Außendienst der Arbeit mit den Adressen nachgekommen ist, als auch, daß der Innendienst ein Angebot erstellt hat. Gl bestätigt (ja des iss mö"glich\, Z. 4), daß der Lösungsvorschlag praktisch umgesetzt werden kann. Zugleich klingt die Praktikabilität der konzeptuellen Überlegungen der Geschäftsleitung an: Die Geschäftsleiter sehen die totale Umstellung der Innendienstarbeit auf das Datenverarbeitungsprogramm vor. Die Arbeit mit Bestandskunden und neu eingehenden Kundenaufträgen soll nur über die EDV systematisiert werden. Die Voraussetzungen dafür sind vielfältige Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten auf die Adressen und die dazugehörigen Bearbeitungsdaten. Bei der folgenden Äußerung des Schulungsleiters, dann * viel arbeit ne/ (Z. 5), muß man diesen konkreten Planungs- und Arbeitszusammenhang be- Kontrolle 281 rücksichtigen. Der Schulungsleiter evaluiert den für den Innendienst insgesamt entstehenden Arbeitsaufwand. G2 stimmt der Bewertung sofort zu: ja\ (Z. 6). Die Partikel viel ist durchaus signifikant. Neben der alltäglichen Büroarbeit müssen von der Sekretärin und einer Halbtagskraft außerordentlich umfangreiche Datenmengen überhaupt erst noch eingegeben und mit Kennzeichnungen für ihren Bearbeitungsstand bzw. -bedarf versehen werden. 276 Der Schulungsleiter hat insofern einen Aspekt genannt, der die mittelfristige Effizienz des Konzepts von Gl und G2 ernsthaft gefährdet. Der Beitrag dann * viel arbeit ne/ problematisiert einen Aspekt dieser Planung. Da der Geschäftsleiter Gl derjenige ist, der für die Innendienstarbeit und auch für die Umsetzung des Konzepts zuständig ist, wird mit der Initiative v.a. ihm ein Bearbeitungsbedarf signalisiert. Der Geschäftsleiter Gl startet seine Reaktion,y'a deswege war des halt de innedienscht vun dere viele arbeit\ * weil erstelle du=ma ke"ns mehr\ (Z. 7-8), wobei er noch im ersten Äußerungsteil in eine mit Lachen versetzte Sprechhaltung wechselt. Sein Lachen setzt er nach dem Ende der Äußerung fort, G2 stimmt in das Lachen mit ein. Im ersten Äußerungsteil, ja deswege war des halt de innedienscht vun dere viele arbeit\, stellt Gl v.a. durch die Verwendung des Konjunktionaladverbs deswege den Partnerfokus, die ‘viele Arbeit’, gleichsam als Motiv oder Verursacher des ‘Innendienstes’ dar. Indem er den Partnerfokus als ‘Ursache’ in die kausale Konstruktion übernimmt, stimmt Gl der Gültigkeit von SL’s Aussage uneingeschränkt zu. Durch diese Zustimmung stuft Gl den Aspekt der ‘vielen Arbeit’ für die aktuelle Interaktion zurück. Auch indem Gl den Äußerungsteil vun dere viele arbeit\ bereits lachend formuliert, signalisiert er, daß er die Relevanz des Partnerfokus zurückstuft. Er distanziert sich von der Sachverhaltsebene, indem er seine Reaktion als Scherz markiert. Der Äußerungsteil ja deswege war des halt de innedienscht hebt die aktuelle, institutionelle Relevanz der Innendienstarbeit hervor, die drei der insgesamt fünf Teilnehmer unmittelbar betrifft. Die Innendienstarbeit ist einer der in dem Gespräch maßgeblichen Themenbereiche. Insofern impliziert Gl hier eine Legitimation verschiedener Bearbeitungsgegenstände. Gl strebt nicht allein nach einer aktuellen Bearbeitung von Innendienstproblemen, weil er die ‘viele Arbeit’ als Schwachstelle seines Konzepts erkannt hat, sondern weil die Effizienz des Innendienstes zum Kernproblem werden könnte. Salopp gesagt: Nicht die Menge der Arbeit ist der zu problematisierende Aspekt, sondern die Qualität der zu leistenden Arbeit. Obwohl er die Gültigkeit von SL’s Problematisierungsinitiative nicht negiert, erkennt er einen möglichen Bearbeitungsbedarf 276 Es handelt sich um mehrere tausend Adressen von Bestandskunden und potentiellen Kunden, mit z.T. umfassenden Angaben zu deren finanziellen und gesellschaftlichen Verhältnissen; letztere Daten strebt die Agentur v.a. an, um sich über die Recherchefragebögen auch Voraussetzungen für Finanzierungsangebote zu schaffen. 282 Reden ist Chefsache der Problematisierung nicht an. Er weicht vielmehr aus und aktualisiert die Innendienstarbeit als den für die Interaktion relevanten Fokus. Mit der Formulierung des Äußerungsteils weil ei"stelle du=ma ke"ns mehr\ (Z. 8) vereitelt Gl im Vorfeld den möglichen und naheliegenden Lösungsvorschlag, eine zusätzliche Arbeitskraft mit der Adresseneingabe und -überprüftmg zu betrauen. Mit ei"stelle du ma ke"m mehr\ wird klar, warum Gl die problematische Dimension des Arbeitsaufwands rückgestuft hatte: Für die einfachste Lösung ist kein Geld vorhanden. Der Sprecher indiziert die Befugnisse von ihm und G2 (du=ma = ‘tun wir’). Dadurch schränkt er die Beteiligungsmöglichkeiten der anderen Interaktionsteilnehmer ein, sie werden tendenziell ausgegrenzt. Die Entscheidung, niemanden mehr einzustellen, bedeutet für den Innendienst den weiter oben angesprochenen Arbeitsaufwand. Die mit der ‘Personalentscheidung’ markierte soziale Distanz wird durch den Wechsel auf die scherzhafte Ebene m.E. noch verschärft. Nur G2 stimmt in das Lachen von Gl ein und bestätigt so den Wechsel auf eine scherzhafte Ebene. Mit dem Kommentar so iss=es\ (Z. 9) wird von Gl ein potentieller Abschluß dieses scherzhaften ‘Intermezzo’ angezeigt. Ebenso indiziert die danach entstehende Pause von 2,8 Sek. eine Neuorientierung der Teilnehmer. Abschließend seien hier die ersten Reaktionen der Gesprächspartner zitiert. Es wird deutlich, daß das scherzhafte Überspielen der Handlungsanforderungen den Bearbeitungsbedarf bezüglich des Fokus ‘Arbeitsaufwand’ nicht auszublenden vermag, sondern daß man daran anknüpft. Allerdings präsentieren alle Teilnehmer Aktivitäten, die diesen Fokus rückstufen. (5.44) 8 Gl 9 Gl K 10 SE 11 SE 12 SE 13 SE 14 SE 15 SL 16 SE 17 Gl 18 HA 19 SE agentur/ 62 viele arbeit\ * weil ei"stelle du=ma ke"ns mehr\# *2,6* so iss=es\ *2,8* #LACHEN VON Gl UND G2# na ja ich seh ja dann' * die Hauptarbeit ist ja dann am computer drüben/ * und ich meine wenn das mal alles eingegeben i"ss/ und man ha"tt das druff\ * do iss das nich so schlimm * mehr\ * r wenn ich das a"brufe' und das Programm iss L des harn se' des iss jo mit Sicherheit qlei" drin\ ziemlich * r übersichtlich- L >des geht schnell\< is gut\ ja\ ja\ Das Beispiel zeigt, daß ein Wechsel von der Ernsthaftigkeit zur Scherzhaftigkeit mit einer Fokusverlagerung und allgemein mit weitgreifenden Veränderungen der Handlungsbedingungen verknüpft sein kann. In der Regel finden Kontrolle 283 beim scherzhaften Überspielen situativer Handlungsanforderungen Zäsuren auf mehreren interaktionskonstitutiven Ebenen statt. 277 Zum einen stellt dieses Verfahren eine Interaktionsblockade (Spiegel 1995) dar, weil bestimmte Aufgaben des Handelns zunächst unerledigt bleiben. Auf beziehungskonstitutiver Ebene kann außerdem je nach Qualität des Scherzes - Distanzierung oder Annäherung ausgedrückt werden. 278 Scherzhaftes Überspielen kommt im Korpus kaum ohne Charakteristika vor, die nicht auch als Merkmale anderer Kontrollverfahren beschrieben worden sind. Die folgenden Gesichtspunkte, die in vielerlei Hinsicht repräsentativ für ‘Scherze’ im Korpus sind, können als interaktive Merkmale des Kontrollverfahrens zusammengefaßt werden: Scherzhaftes Überspielen von Handlungsanforderungen (R): Durch die Fokussierung ‘fremder Elemente’ zeigt der Sprecher eine Veränderung im bedeutungskonstitutiven Prozeß an. Der Sprecher weicht Handlungsanforderungen aus, die durch eine Problematisierung etabliert werden (Distanzieren von Verantwortung und ggf. rollenspezifischen Pflichten). In Reaktion auf einen imagebedrohenden Kontext kann die Imagebedrohung unterschwellig heruntergespielt werden. (E): Die handlungslogische Bearbeitung des Sachverhalts (Problembearbeitung) wird ausgesetzt bzw. zurückgestuft. Einzelne Realisierungsformen zeigen eine Modifizierung des Sprecher-Hörer-Verhältnisses, ein Anheben der Beteiligungsschwelle für die Interaktionspartner und ggf. deren sozialen Ausschluß. Charakteristisch sind extralinguistische Signale, z.B. Lachen, Ironie, Sarkasmus oder Polemik im Tonfall, sowohl vom Sprecher selbst, als auch retrospektiv bei der Bestätigung des Ebenenwechsels durch den Partner. (P): Der Sprecher zwingt den Partner zur Um- oder Neuorientierung. Alle Belegstellen im Korpus zeigen eine vom Partner akzeptierte Rückstufung des Fokus. 5.3 Zusammenfassung In den vorangegangenen Abschnitten wurden sprachliche Kontrollverfahren systematisiert. Das einzelne Verfahren, seine Beschreibung und abschließende Charakterisierung hat den Status eines Verfahrenstyps für rekurrente rhetorische Einsatzweisen sprachlicher Äußerungen in der Mitarbeiterbesprechung. Im allgemeinen Sinne ist Kontrolle eine von den Teilnehmern an der Arbeits- 277 Gerade an dieser schwer eingrenzbaren oder systematisierbaren Funktionalität von Witzen und Scherzen scheint es zu liegen, daß man sie in gesprächsanalytischen Arbeiten kaum als kategoriale Verfahren definiert findet (vgl. aber Schütte 1987 sowie Schwitalla 1987, S. 147). So greifen z.B. weder Kallmeyer und Schmitt (1996, S. 88ff.) bei der Beschreibung ihrer ‘forcierenden Verfahren’, noch Spiegel (1995, S. 198ff.) bei der Auflistung von Tnteraktionsblockaden’ auf den Scherz zurück. 278 Im Extremfall kann ein Scherz auf Kosten anderer gemacht werden und aggressive, imagebedrohende Qualitäten haben. So antwortet ein Bereichsleiter auf die Frage einer Arbeiterin, wie eine bestimmte Leistungskennzahl zu errechnen sei: LAUT, GEREIZT: der tei"lmonatsdurchschnitt setzt sich au"ch * aus ta"gesergebnisse zusamme\ [...] wie die Unendlichkeit setzt sich a: aus augeblicke zusamme\ so\ (BA, V/ l 19/ 21-26). Durch den übertriebenen Vergleich des ‘Teilmonatsdurchschnitts’ mit der ‘Unendlichkeit’ wird die Frage der Arbeiterin im Nachhinein trivialisiert. Da der Sprecher zudem Gereiztheit manifestiert, kann die Arbeiterin sich angegriffen fühlen. 284 Reden ist Chefsache besprechung gemeinsam geleistete Form verbalen Verhaltens, das sich entsprechend den Bedürfnissen des lokalen Kontextes differenziert manifestiert. Kontrollmechanismen (z.B. die makrosoziale Hierarchie, die Verteilung der Gesprächsleitungsrechte, die metakommunikative Ebene etc.) werden von den Sprechern dort strategisch eingesetzt, wo der laufende interaktive Prozeß ihren jeweiligen Vorstellungen vom Interaktionsziel nicht gerecht zu werden scheint. Kontrollverfahren sind reaktive Handlungen, die zugleich ein steuerndes Potential haben. Die Auswahl und generell die Möglichkeiten, die die Sprecher haben, um die Interaktionsbedingungen zu modifizieren, sind in hohem Maße von Faktoren institutionellen Charakters beeinflußt (z.B. von der Sprecherposition im Unternehmen). Gleichzeitig generieren Kontrollverfahren in nuce soziale Strukturen, indem sie Statusbeanspruchungen, soziale Distanz oder Nähe indizieren. Die beschriebenen Kontrollverfahren können zur Übersicht in fünf Gruppen zusammengefaßt werden. Die Gruppen resultieren aus gemeinsamen oder auch partikulären interaktioneilen Eigenschaften von Kontrollverfahren. Es ist einigermaßen schwierig, diese Gruppen treffend zu benennen. Dennoch sei mit den folgenden Termini der durch die Kontrollverfahren jeweils vorrangig betroffene Aspekt in der Interaktion bezeichnet: 1) ad institutionem: die unternehmerische Organisation, 2) adpersomnr. die Beziehungsarbeit (im mikrosozialen Sinne), 3) ad sapientiam. die Differenz im Wissen, 4) ad stmcturam: die Interaktionsstruktur, 5) ad relationem: das Verhältnis der Relevanz von Sachverhalten. 1) ad institutionem. Hervorheben der Position. Kontrollverfahren, bei denen der Sprecher elementare institutioneile Handlungsgrundlagen indiziert, insbesondere hierarchische Befugnisse, etwa in der Form „wenn Sie auf dieser Ansicht beharren, werden Sie mit mir gehörigen Ärger bekommen“. Höhere Befugnisse werden hier als Mittel zur Durchsetzung interaktioneller Ziele eingesetzt. Sie sind als elementare Grundlagen latent immer vorhanden, brauchen sich aber nicht im Vordergrund des interaktionellen Geschehens zu befinden. Sie treten nur dann in den Vordergrund einer Gegenstandsbearbeitung, wenn sie im Zuge von Verbalisierungsprozeduren an Einfluß auf die Interaktion gewinnen. Makrosoziale Vorbedingungen des Interagierens werden als Folie über augenblickliche interaktioneile Beziehungsparameter gelegt. 2) ad personam : Abwerten der Partneraktivität, Ausgrenzungs-, Diskreditierungs-, Degradierungs- und Deklassierungsverfahren. Hierbei handelt es sich um Kontrollverfahren, bei denen die (hier mikrosozial verstandene) Beziehungsarbeit in den Vordergrund des interaktiven Geschehens tritt oder eine vordergründige Rolle bei der Durchsetzung interaktioneller Ziele spielt, z.B. in der Form „was Sie sagen, zeugt von Ihrer Unfähigkeit“. Im einzelnen sind Verfahren, bei denen die Beziehungsarbeit im Vordergrund steht von solchen, Kontrolle 285 durch die sie in den Vordergrund gerät, zu unterscheiden. Im letzteren Fall bleibt der Partnerbeitrag auf Sachverhaltsebene unberücksichtigt, wird aber retrospektiv für die Beziehungsarbeit hochgestuft. Typischerweise treten diese Kontrollverfahren im Kontext konfliktiver Phasen der Interaktion auf. 3) ad sapientiam. Einbinden von Vorwissen, Beanspruchen eines Expertenstatus. Die Manifestation von Wissensdifferenz bewirkt unterschiedliche Modifizierungen des interaktionellen Geschehens. Wesentliche Veränderungen sind die Etablierung eines veränderten Kommunikationsmodus (das Eröffnen eines Informationstransfers) und eine Manipulation der Sprecher-Hörer-Konstellation („ich rede jetzt über wichtige Dinge, die nur ich weiß, und deshalb müssen Sie zuhören“). Ähnlich wie bei dem unter 1) genannten Verfahren liegt hier eine Aktualisierung latenter Ressourcen und Grundlagen vor: „asymmetries of knowledge are important only when they are made communicatively salient“ (Linell und Luckmann 1991, S. 5). 4) ad structuram. Ignorieren von Initiativen, Zurückweisen von Problematisierungen, Pauschalisieren des Gegenstands. Kontrollverfahren, bei denen der ‘reguläre’ sequentielle Ablauf im Rahmen von Interaktionsmustern blockiert wird, z.B. „das wollen wir doch jetzt nicht diskutieren“. Die Kontrolle manifestiert sich in auffälliger Weise als Manipulation eines erkennbar angesteuerten Handlungsschemas. Das Kontrollpotential wirkt sich als sequentielle ‘Behinderung’ aus (inhibiting oder framing moves; Linell 1990). Der ‘logische’ Aufbau eines Interaktionsmusters wird verhindert; die Rahmenbedingungen für das weitere Interagieren werden manipuliert. 279 5) ad relationem: Relativieren der Gültigkeit, Umdeuten des Partnerbeitrags, kompetitive Problematisierungen, scherzhaftes Überspielen. Hierbei handelt es sich um Kontrollverfahren, bei denen der vom Partner relevant gesetzte Fokus in globalere Relevanzstrukturen eingebettet wird, etwa „ich geb Ihnen natürlich recht, Sie müssen das aber im Zusammenhang mit anderen Dingen sehen“. Diese Formen ‘relationaler Einstufungen’ stufen die Relevanz einer lokalen Fokussierung im Vergleich zu anderen, neu geleisteten Fokussierungen einbzw. zurück. Dabei wird grundsätzlich eine Relevanzstruktur etabliert und ein erhöhter Bearbeitungsbedarf signalisiert. Relationale Einstufungen werden i.a. ohne auffällige Ebenenwechsel realisiert. Die Sprecher akzeptieren 279 Nicht berücksichtigt sind hier Auflösungen von Interaktionsmustem, die als ‘regulär’ bezeichnet werden können. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit mehrerer Sprecher an Veränderungen der Handlungs- und Interpretationsbedingungen, an fließenden Übergängen zu ‘gemeinsamem Schweigen’ (Lenz 1989) usw. Besonderen Einfluß auf die Einleitung solcher Endphasen haben Beendigungssignale des Gesprächsleiters (wie alles klar\, gut\), insbesondere dann, wenn er außer solchen Signalen oder funktional äquivalenten Aktivitäten keine weiteren Beiträge mehr beisteuert. Man könnte hier von einer ‘distanzierenden Bearbeitung von Handlungsaufgaben’ (Kallmeyer und Schmitt 1996) sprechen, mit der der Sprecher erkennbar eine Beendigung des Interaktionsmusters einleitet. 286 Reden ist Chefsache vielmehr die am Partnerbeitrag vordergründig erkennbare Handlungsdimension. Ein Sonderfall ist allerdings das Verfahren des ‘scherzhaften Überspielens’; hierbei kommt es zu Veränderungen oder Verschiebungen der gegenseitig anerkannten Interpretationsbedingungen. Zu dieser Systematisierung muß gesagt werden, daß die Grenzen zwischen den Verfahrensgruppen fließend verlaufen und daß es Realisierungen einzelner Kontrollverfahren gibt, die problemlos mehreren Gruppen zugeordnet werden könnten. D.h., viele der kontrollierend und steuernd eingesetzten Aktivitäten sind was die verschiedenen Aspekte der Gesprächskonstitution betrifft polyfunktional. Die meisten Realisierungen von Kontrollverfahren gehen z.B. mit einer Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Interaktionspartners auf der Ebene sequentieller Gesprächsorganisation einher. Auch die Balance der Teilnehmerimages ist in der Regel von den Kontrollverfahren betroffen. Die Imagearbeit manifestiert sich aber unterschiedlich stark und steht nicht immer im Vordergrund. Genauso verhält es sich mit der Position eines Sprechers. In langen Diskussionsphasen ist häufig ein hintergründiges Durchscheinen, jedoch keine Thematisierung von Zuständigkeiten, Befugnissen o.ä. erkennbar. Eine weitere Grenze der Systematisierung besteht darin, daß komplexe Realisierungsformen von Kontrollverfahren mehrere sprachliche Aktivitäten umfassen können, die in sich wieder sehr unterschiedliche Manifestationen sozialinteraktiven Geschehens sind. Dazu zählen prosodisch in besonderer Weise markierte Assertionen, die den Wahrheitswerts eines Sachverhalts betonen, metakommunikative Aktivitäten, Elemente mit themenorganisatorischer Funktion oder Beiträge mit dominant beziehungsrelevanter Funktion (z.B. Beleidigungen). Solche Aktivitäten liegen bei der Realisierung von Kontrollverfahren in unterschiedlicher Kombinatorik vor. Zum einen kann es so zu Ausweitungen derjenigen Funktionen kommen, die eine Zuordnung komplexer Handlungsweisen zu einer der o.g. Gruppen erlauben würden. Zum anderen als Konsequenz aus der Diversität situativer Kontexte und Modalitäten sind Aktivitäten, die an einer Stelle klar erkennbare Kontrollmaßnahmen darstellen, an anderer Stelle als ‘normal’ empfundene Handlungsweisen. 5.4 Zu den Realisierungsformen sprachlicher Kontrollverfahren im Korpus Die folgende Darstellung versucht, die Realisierungsformen der Kontrollverfahren, die im vorliegenden Kapitel als Beispiele angeführt wurden, noch einmal in kurzer Form zu präsentieren, zusammen mit einigen anderen Beispielen, die nicht gezeigt werden konnten. Die Verfahrensklassen der Systematisierung werden in der nachfolgenden Betrachtung beibehalten. Belegbeispiele werden jeweils angegeben. Manche Belegbeispiele ähneln sich derart, daß auf ein Kontrolle 287 mehrmaliges Nennen verzichtet wurde (z.B. das Argument der Wirtschaftlichkeit unter der Klasse ‘Einbinden von Vorwissen’, die expansive Präsentation betriebswirtschaftlichen Hintergrundwissens unter ‘Beanspruchen eines Expertenstatus’). Bei Beispielen, die nicht in diesem Kapitel betrachtet wurden, sind Zeilenangaben wenn notwendig mit hinzugefiigt; weitere Beispiele, die zwar im Korpus nachgewiesen wurden, in die vorliegende Arbeit aber nicht als Transkriptausschnitt aufgenommen werden konnten, sind nur mit der Seitenangabe des Materials belegt. Mehrfachnennungen sind möglich; d.h., ein Transkriptausschnitt kann, bei entsprechenden Verbalisierungsformen, auch für unterschiedliche Kontrollverfahren als Beispiel dienen. Bei mehrfach nachgewiesenen Kontrollverfahren wurde auf ein Nennen aller Belegstellen verzichtet. Hervorheben der Position - Explizites Entziehen von Arbeitsaufgaben („das müssen andere erledigen“; WL, 1/ 17) - Thematisieren der eigenen Weisungsbefugnisse (TA 6.10) - Androhen von Sanktionen aufgrund einer Verweigerungshaltung (TA 5.05) - Prädikationen über Entscheidungen auf einer bestimmten hierarchischen Ebene (TA 5.43) - Implizites Aktualisieren der Position durch das Relevantsetzen von Zielvorstellungen (TA 5.04) Abwerten der Partneraktivität - Qualifizieren des Partnerbeitrags als im gegebenen Moment unpassend (TA 5.06) - Qualifizieren des Partnerbeitrags als Ausrede (TA 5.10) - Qualifizieren des Partnerbeitrags als ‘negativ’ und insofern beziehungsbelastend (TA 6.06) - Vorwerfen einer durch den Tonfall verursachten Beziehungsbelastung (TA 5.07) Verfahren interaktioneller Ausgrenzung - Sprechen über den bisher aktiven Partner (Jetzt redet er genau so wie vor einem Jahr“; B5, VII/ 180) - Explizites Adressieren an andere als den bisher aktiven Partner (TA 5.08) - Ändern der Gerichtetheit durch stilistisch kontrastive Markierungen (TA 5.08) - Verlagern des primären Hörerstatus durch das Fokussieren fremder Zuständigkeitsbereiche (TA 5.09) - Ignorieren partnerseitiger Initiativen bei zugleich dominanten Handlungszügen, z.B. themenorganisatorischer Art (TA 5.30) Diskreditierungsverfahren - Negieren des Partnerbeitrags mit Tendenz zur Unterstellung von Bewußtheit („Du weißt es doch selbst viel besser“) (TA 5.34) - Einer perfiden Absicht (z.B. des Vertuschen-Wollens) verdächtigen (TA 5.10) - Unterstellen moralischer Falschheit des Redens (TA 5.12) Degradieren des Partners - Durchsetzen oppositiver Bewertungsmaßstäbe des außersprachlichen Handelns (TA 5.05) - Bloßstellen einer defizienten Zielvorstellung des Partners (TA 5.16) - Bloßstellen einer defizienten Arbeitsleistung (TA 6.11) 288 Reden ist Chefsache Deklassieren des Partners - Den Partner expressis verbis für dumm erklären (BV, IV/ 82) - Dem Partner mangelnde gesellschaftliche Ambition vorwerfen (TA 4.36) - Markieren sozialer Distanz aufgrund von Wissensasymmetrie („ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Sie wissen es nicht besser“; WL, 1/ 11) - Unterstellen ‘niederer Beweggründe’ des Handelns (TA 5.21) Einbinden von Vorwissen - Argumentieren mit wirtschaftlicher Rentabilität (M4,1/ 9) - Relevantsetzen von Richtlinien der Kundenbetreuung (TA 5.41) - Relevantsetzen von Richtlinien des Arbeitsprozesses (PL, V/ 138) - Aufdecken eines zugrundeliegenden Mißverständnisses (TA 5.24) Beanspruchen eines Expertenstatus - Thematisieren des eigenen beruflichen Bildungsniveaus (DI, TA 6.10) - Expansive Präsentation betriebswirtschaftlichen Hintergrundwissens (WL, 1/ 15) Ignorieren von Initiativen - Minimales extralinguistisches Berücksichtigen und markanter Fokuswechsel (TA 5.30) Zurückweisen von Problematisierungen - Metakommunikatives Rückstufen der Problemrelevanz für den übergreifenden Fokus (WL, 1/ 20) - Metakommunikatives, dominantes Schließen des neuen Fokus (TA 5.30) - Metakommunikative Themenabbrüche (PL, V/ 136) - Vorgreifendes Negieren der Praktikabilität alternativenloser Lösungen oder früh angezeigter Lösungsvorschläge (PL, V/ 131) - Substituieren des Fokus durch sachverwandte thematische Schwerpunkte in der übergreifenden Bearbeitung (PL, V/ 13 2) Pauschalisieren des Gegenstands - Partnerprämissen konjunktivisch als irreal bloßstellen (TA 5.33) - Generalisierende Bestätigungen zum Vortäuschen von Konsens („Sie haben ja völlig recht“; vgl. TA 4.03) - Trivialisierende Rückstufimgen („das weiß doch jeder“) (TA 4.32, 27-28) - Metakommunikatives, generalisierendes Einordnen des Bearbeitungsgegenstands („das ist halt so“; DI, VII/ 183) Relativieren der Gültigkeit - Negieren des Geltungsanspruchs aufgrund faktischer Falschheit (TA 5.25) - Oppositive Gegenbehauptungen mit höherem Geltungsanspruch (TA 6.07, 78-79) - Verweigern von Akzeptanz aufgrund einer Unverträglichkeit mit finnenspezifischen Zielvorstellungen (PL, V/ 131) - Verweigern von Akzeptanz aufgrund einer Unverträglichkeit mit gruppenspezifischen Zielvorstellungen (TA 5.35) Umdeuten des Partnerbeitrags - Umdeuten der unternehmerischen Bedeutung der Vorgängeräußerung (PL, V/ 13 2) - Unterschieben anderer und ggf. konträrer Interaktionsansprüche (TA 4.21) - Unterschieben einer Bedeutung für das Gemeinwohl („genau deshalb müssen wir jetzt an unsere Arbeitsplätze denken“; BV, 1/ 20) Kompetitive Problematisierungen - Konkurrierende Probleme in die Interaktion einfiihren (TA 5.40) - Fokussieren komplexer Randbedingungen, die den ursprünglichen Bearbeitungsbedarf vollständig ausblenden (5.43) Kontrolle 289 - Eine oppositive Problemsichtweise als gleichgewichtete Argumentationsgrundlage durchsetzen (TA 5.41) Scherzhaftes Überspielen - Unvermitteltes Fokussieren ‘fremder Elemente’ (TA 5.43) - Überzogenes Ironisieren (BA, V/ l 19) - Polemisierende Konter als Abwehr-Reaktion (TA 6.01, 28-29) - Zuspitzen auf irreale Extremvorstellungen (TA 5.08) In den Kapiteln 4 und 5 dieser Arbeit wurde auf eine Analyse der transkribierten Ausschnitte aus dem Inspektorengespräch weitgehend verzichtet. Da das Inspektorengespräch vergleichsweise reich ist an den von den Sprechern eingesetzten Mitteln zur Steuerung und Kontrolle, wird die Analyse eines Transkriptausschnitts im folgenden, dem Kapitel 6, als Verlaufsanalyse und gleichsam als Resümee der vorangegangenen Kapitel ‘nachgeholt’. 6. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß: Analyse einer komplexen Problembearbeitung 6.1 Zur Methodik Im folgenden werden prozessuale Vorgänge an einem zusammenhängenden Gesprächskontext betrachtet, dessen Umfang über den der bisher zitierten Textstellen weit hinausgeht. Die Fallanalyse beschreibt die komplexe Bearbeitung eines Problems, das innerhalb einer übergreifenden thematischen Struktur von einem der Angestellten im Gespräch ‘Inspektoren’ eingebracht wird. Die Problematisierung seitens des Inspektors ist u.a. deshalb auffällig, weil sie einige Charakteristika von ‘Problempräsentationen’ trägt, wie sie für andere institutionelle Gesprächstypen (v.a. das Beratungsgespräch) einen zentralen Handlungsschritt darstellen. Auch das in der Nachfolge gemeinsam konstituierte Handlungsschema im Rahmen der ‘Problembearbeitung’ bestätigt gewisse Analogien zu einer ‘Beratung’, so beispielsweise die frühe Bearbeitung bzw. Zurückweisung von Lösungsvorschlägen (Jefferson und Lee 1981), das Expandieren der Problempräsentation in mehreren Schüben (Kallmeyer 1985) und die spätere Refokussierung von ‘Stücken’ (Nothdurft 1984) aus der ersten Problempräsentation. Die Verlaufsanalyse wird sich dementsprechend mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen haben (6.3.1). Methodisch wird hier zum anderen auf die im vorigen Kapitel beschriebenen Kontrollverfahren zurückgegriffen, z.B. auf die Verfahren interaktioneller Ausgrenzung. Insgesamt soll in diesem Kapitel gezeigt werden, wie sich Kontrollverfahren in einem weitreichenden Handlungszusammenhang auswirken und wie sich ihr jeweiliges Zustandekommen begründen läßt. Schließlich ist auch die Gelegenheit geboten, in der Analyse mehr als bisher auf die Auswirkungen und Funktionalität individueller Beteiligungsweisen einzugehen. Dies erfolgt im Rahmen einer Analyse der von den Sprechern verwendeten Mittel der ‘Selbst- und Fremddarstellung’ (Schwitalla 1996). Es läßt sich z.B. zeigen, daß Ausgrenzungen und deren Bewältigung (Rückeroberung des Floor) eng mit diversen Verfahren der Selbst- und Fremddarstellung Zusammenhängen können. Dies stellt (nur) eine Möglichkeit dar, um zu verstehen, wie sich statusinferiore Mitarbeiter um eine Wahrung ihres Gesichts bemühen, wenn z.B. ihre Lösungsvorschläge als unplausibel, ihre Problemsichtweise als irrelevant und ihre Fachkompetenzen als unzureichende Basis für globale Evaluierungen institutioneilen Geschehens dargestellt werden (6.3.2). Die in der Verlaufsanalyse betrachteten Ausschnitte zeigen in einem zunehmenden Maße die Manifestation asymmetrischer Beteiligungsrechte. Dies gilt insbesondere (aber nicht nur) für die Länge der Beiträge, wobei kurze, initiative Gesprächsschritte des Angestellten mit langen, monologischen Turns des Vorgesetzten kontrastieren. Die initiative Charakteristik der Angestelltenbeiträge ist nichtsdestotrotz von entscheidender Bedeutung für den Verlauf der 292 Reden ist Chefsache Bearbeitung. Fortwährendes Insistieren auf einer Problematisierung, der der Vorgesetzte bereits mit einem ‘Lösungsdiktat’ begegnet ist, bzw. das Starten von alternativen Lösungsvorschlägen (die aber zugleich institutionsspezifisch außerordentlich problematisch sind), indizieren einen Anspruch, globale Verhältnisse in der Institution richtig einschätzen zu können und den eigenen Einfluß zu erhöhen. Aufbauend auf den Ergebnissen aus der Betrachtung der Handlungskonstitution und der Selbst- und Fremddarstellung erhält man Hinweise darauf, wie sich Machtverhältnisse im Ansatz aufbauen und wie diesbezügliche Ansprüche niedergeschmettert werden. Zugleich ist zu beobachten, daß der relevante Kontext von Äußerungen u.U. sehr weit anzusetzen ist und daß ein Sprecher bei der Realisierung einzelner Kontrollverfahren sich dieses Kontextes mit z.T. außerordentlicher rhetorischer Raffinesse bedient, um z.B. den Partner in Widersprüche zu verwickeln und seine Machtansprüche als Ding der Unmöglichkeit bloßzustellen (6.3.3). Insgesamt handelt es sich bei der im folgenden dargestellten Interaktionsphase um ein an Phänomenen beziehungsrelevanter Vorgänge verhältnismäßig reiches Geschehen. Im gesamten Korpus lassen sich solche Phasen nur an drei Stellen finden. 280 Da die Beschreibung eines Prozesses immer sehr viel Raum beansprucht, wird sich die Analyse auf das wesentliche beschränken müssen. 6.2 Angaben zur Interaktionsgeschichte Es handelt sich bei der für die Verlaufsanalyse ausgewählten Phase um einen Teil einer komplexen Themenbearbeitung aus dem Gespräch ‘Inspektoren’. Beteiligt sind an der Interaktion v.a. die Sprecher DI (Herr Graf) und der Inspektor 17 (Herr Schmidt). Der Inspektor ist erst seit etwa neun Monaten bei der Versicherungsgesellschaft tätig. Zuvor war er Mitarbeiter in einer Firma, die Produkte (Geräte) vertreibt; auch dort war seine Aufgabe wesentlich durch die Kontaktaufnahme mit potentiellen Kunden und den Verkauf definiert. Das Gespräch ist zu diesem Zeitpunkt schon relativ fortgeschritten; man befindet sich etwa im letzten Drittel. Im vorangegangenen Verlauf sind die beiden Interaktionspartner schon mehrmals ‘aufeinandergestoßen’. Der Inspektor startet immer wieder Aktivitäten oder Initiativen, die der Filialdirektor nicht akzeptieren will oder kann und auf die er entsprechend mit den unterschiedlichsten Verfahren von Ablehnung reagiert. Auffällig ist dies v.a. in der Bearbeitung des Themas ‘Tag der offenen Tür’. Der Inspektor entschuldigt 280 Außer der im folgenden dargestellten Auseinandersetzung zwischen 17 und DI gehören hierzu: die Diskussion um Gerüchte und insbesondere um das Werk 1 zwischen BV und WL im Gespräch ‘Meister-1’ sowie eine außerordentlich zerfahrene Diskussion um die Schuld an der Ausschußproduktion zwischen Al (bzw. A5) und PL im Gespräch ‘Bonusentlohnung’. Ein vollständiger Transkriptausschnitt der im folgenden untersuchten Gesprächsphase findet sich im Anhang II (‘Das Problem von Herrn Schmidt’). Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 293 zunächst die Tatsache, daß er niemanden eingeladen hat, mit der Feststellung, daß er nicht ausreichend informiert worden sei, was von dem Filialdirektor auch mehr oder weniger anerkannt wird. Danach kritisiert 17 jedoch den für die Veranstaltung ausgewählten Termin. Er behauptet, daß sowieso niemand kommen würde, weil der Tag danach ein Feiertag sei, und alle die Gelegenheit für ein verlängertes Wochenende nutzen würden (die Veranstaltung findet an einem Donnerstag statt, am Freitag ist Feiertag). Trotz des Widerspruchs von DI insistiert 17 nachhaltig; er wird lauter und spricht sehr eindringlich und langsam. DI stellt schließlich den Geltungswert dieser Behauptung insgesamt durch Diskreditierungen {ah des glauben se doch selber net\, Z. 23) und ironische Übertreibungen {nach der aussage müßte baden Württemberg lee"r sein am samstag\, Z. 28-29) in Frage: (6.01) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 17 17 DI DI 17 17 DI 17 DI DB 17 K K 17 K 17 DI 17 DI II DI 17 K 17 17 17 DI 15 15 DI K 15 DI K DI K äu"ßerst ungünstich der termin\ * muß ich ihne [ehrlich saqen\ *ja wenn sie selbst net da sein können isch=s ja net tr"agisch\ r dann schreib ich sie net auf\ weil das is r ja äh wissen sie/ L und äh' ungünstige termine |- L L ne: auch für die ku"nden\ * ja der donnerstag mit dem feiertag * äh es gibt nur aus' äußerst dieser termin' herr Schmidt\ ungünstich-' ##ne: \ es gibt ##I7 LAUT; #LACHEN EINER TN kei"nen ungünstichen termin\ denn die woch drauf # wär schon wieder gü"nschtiger\ aber r wenn ein *die woche da si=mer auf der jah"restagung\ r donner/ ' I drauf\ L (••••) ja\ r da ham=mer ke zeit\ da si=mer auf der jah"restagung\ L #wenn ein donnerstag sich anbietet #EINDRINGLICH, LANGSAM als feiertag\# dann isch doch in baden Württemberg klar daß am freitag und samschtag gar keiner mehr zeit hat\## ah des glauben se doch selber net\ des wem mer am mittwoch a"bend feschtstellen T wenn das' wenn die L herr Schmidt\ meldungen vom radio r #GESPRÄCH IM HINTERGRUND drin sind\ L #herr Schmi"dt nach der aussage # «SCHERZEND müßte baden Württemberg lee"r sein am samstag\# «LACHEN, MEHRERE UNVERST. BEITRAGE« inspektoren/ 156 294 Reden ist Chefsache Dieser Ausschnitt ist beispielhaft für den (bis zur Aggression tendierenden) verbalen Austausch der beiden Beteiligten im gesamten Gespräch. Beide neigen dazu, ihre Äußerungen bei etabliertem Rederecht des anderen zu starten; Gegenargumente werden häufig in pauschalisierender (polemischer) Form zurückgewiesen. Der Inspektor geht zudem oft das Risiko ein, mit seinen Äußerungen gesteigerte Partizipationsansprüche an Entscheidungsprozesse der Filialdirektion zu demonstrieren (hierzu gehört auch das Festlegen von bestimmten Terminen). Abgesehen davon, daß er mit solcherlei Aktivitäten seine Kompetenzen als ‘Verkäufer’ überschreitet, läßt der Geltungsanspruch des Gesprächs, in dem es darum geht, die Inspektoren über alle möglichen Entscheidungen zu informieren, eine Partizipation dieses Grades nicht zu. Weiter erhält man den Eindruck, daß der Inspektor durch die Beiträge unterschiedlicher Gesprächspartner als ‘Mäkelfritze’, als Nörgler, typisiert würde, der an allem etwas auszusetzen hat, und zwar insbesondere dann, wenn seine eigenen Leistungen nicht gerade überzeugen. Dafür spricht auch, daß das ‘Publikum’ sich zuweilen ebenfalls veranlaßt sieht, I7’s Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen (vgl. den Beitrag von 15 im Ausschnitt, Z. 24-25, 27). Hinzu kommt, daß 17 genau an solchen Stellen zu nörgeln beginnt, an denen ganz bestimmte kontextspezifische Handlungsanforderungen bestehen. Die Kritik an dem gewählten Termin (s.o., am Anfang des Ausschnitts) folgt beispielsweise unmittelbar auf die Formulierung eines Angebots des Filialdirektors, daß eine Sekretärin aus dem Innendienst den Inspektoren das Schreiben der Einladungen abnehmen (! ) könnte. 17 wechselt den Fokus unvermittelt, ohne eine wenigstens minimale Bestätigung des Angebots. Der Austausch zwischen DI und 17 zeugt von einer ständig vorhandenen Belastung ihrer Beziehung. Die Perzeptions- und Interpretationsleistungen des Hörenden hinsichtlich der vom anderen jeweils produzierten Äußerungen werden deshalb mit einer außergewöhnlich scharfen Beobachtung verknüpft sein, um die Äußerungen richtig einzuordnen. Dies ist nicht nur eine Folge aus der laufenden Interaktion bis zu der Stelle, an der die Fallanalyse im folgenden starten wird. Man kann vielmehr davon ausgehen, daß DI entsprechende Erfahrungen mit dem Inspektor auch schon vorher gemacht hat; die Leistungen (und zwar sowohl die konversationellen als auch die Ertragsleistungen) des Inspektors überzeugen ihn keinesfalls. Dies wird auch in einem der Bezirksleitergespräche deutlich, in dem eben der Bezirksleiter teilnimmt, der für die Betreuung I7’s verantwortlich ist. Der Bezirksleiter (B3) sagt aus, daß 17 (Herr Schmidt) von allen ihm unterstellten Inspektoren die geringste Akquisitionsleistung erreicht, worauf DI seinen Eindruck aus dem Inspektorengespräch wiedergibt, das etwa zwei Stunden zuvor stattgefünden hat: Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 295 (6.02) 1 B3 der herr 2 B3 Schmidt hat amm * wenigschte * von r allesamt\> 3 DI L ja gut aber des 4 DI isch ja auch nix neues\ * muß ich sage\ * der 5 DI herr' äh er isch=s' ich hab die besprechung äußerst 6 DI se"lten mach ich die ja-< * nur ich stelle fest daß 7 DI der herr Schmidt * schon negativ ra"ngeht * an die 8 DI besprechung\ r wir haben des net 9 DB L egal wie\ 10 DI eskalie"ren lasse heut mor 1 um gottes wi"llen aber- 11 DI * öh ** ich muß mit' * mit ihnen natürlich bezirksleiter-2/ 210 DI evaluiert an dieser Stelle die mutmaßliche Haltung des Inspektors, mit der dieser in die Besprechung ‘hineingeht’ (Z. 6-8). Dabei wird er von DB, der auch am Inspektorengespräch teilgenommen hat, bestätigt (Z. 9). Es lassen sich in DFs Äußerung auch Hinweise darauf finden, wie er sein eigenes Verhalten im Inspektorengespräch im Nachhinein einschätzt: wir haben des net eskalie"ren lasse heut mor' (Z. 8, 10). Im folgenden beginnt nun die Verlaufsanalyse. 6.3 Verlaufsanalyse 6.3.1 Problempräsentation, Zurückweisen eines Lösungsvorschlags und die Behandlung gesteigerter Partizipationsansprüche Dem ersten Ausschnitt geht eine Anfrage von DI voraus, wie effizient bei den einzelnen Inspektoren das von der Direktion konzipierte System für den Verkauf (incl. telefonisches Terminieren, Kundenbesuch und Angebot) funktioniert. Das System sieht täglich mehrere Anrufe bei potentiellen Kunden vor, nach Möglichkeit auch mehrere Besuche. Die Inspektoren 3, 4, 5, 6, 8, und 9 melden mehr oder weniger gute Ergebnisse. Der Ausschnitt startet mit der Antwort von 17 auf die Anfrage von DI. (6.03) 1 17 ja- * bei mir klappt=s von=nem telefon her gar net\ 2 17 da hab ich eigentlich s=große proble''m/ äh dieses 3 17 au"ftaktgespräch/ und da kommt dann immer so eine 4 17 art verhe''dderung wie wenn also fünf kabel sich 5 17 überkreuze würde\ * un ich komm einfach * ni"ch 6 17 druff irgendwas für=n fehler daß ich mache un wenn 7 17 ich zurü"ckblicke- * auf meine da"malige tätigkeit 8 17 wo ich was in der ha"nd hatte/ en produ"kt 9 17 mitgebracht hatte hat des * terminieren so: fort 10 17 geklapptich hab den angrufe und >hab gsagt< horch 296 Reden ist Chefsache 11 17 ich hab e neues gerä"t ich muß der=s vo"rstelle/ * 12 17 ich kann gar nix zu sa"gen/ des soll ne 13 17 überra"schung werde/ * und dann hat er sofort 14 17 gsacht ou"h ja komm mal gleichN * un jetz wenn ich 15 17 dann also anrufe viele wissen des ja noch gar 16 17 net- * mittlerweile kriege=s viele mit daß ich jetz 17 17 bei der Liebenberger bin/ * ou: "h da wolle mer nix 18 17 damit zu due hawwe un seil un wissen=se/ dieses' un 19 17 da/ * i"rgendwo: r und 1 20 DI L wie präsentie"ren sie denn das/ 21 17 und ich me: rke/ * ich möcht jetz da net grad so in 22 17 der Öffentlichkeit also >des' des< sollt ma mal des 23 17 allei"n des gespräch mal füh"re/ * aber ich merk=s 24 17 daß mei kollege auch da scheinbar mit probleme 25 17 habe\ wir habe ja auch schon äh * äh ein zweimal 26 17 gsagt/ mir hätten mal gern so ne art seminar/ äh äh 27 17 * wo man den künden * von der Wählscheibe an 28 17 bedient\ * daß ma do vielleicht den fehler irgendwo 29 17 rauskriegt\ ich fi'^d den nicht und r ka=ma so was 30 DI L malmal 31 17 r ähnliches-' 32 DI L fragen\ die-' * innerhalb des ver-' herr von inspektoren/ 159 Die Präsentation eines Problems, das 17 beim Terminieren hat, weist einige Aspekte auf, die Nothdurft (1984, S. 46) als ‘Stücke’ einer Problempräsentation in Beratungsgesprächen beschreibt, so z.B. die ‘Problem-Richtung’ (klappt=s von=nem telefon her gar net, Z. 1), die ‘Empfindlichkeit’ des Ratsuchenden {so eine art verhe"dderung, Z. 3-4), die ‘Problem-Stellung’ (ich komm einfach * ni"ch druff irgendwas für=n fehler daß ich mache, Z. 5-6) und den ‘Import einer Randbedingung’ (ou: "h da wolle mer nix damit zu due hawwe, Z. 17-18). Ein wesentlicher Punkt in der Problempräsentation, der auch I7’s Neulingsstatus in der Firma deutlich macht, ist die Tatsache, daß er in einer relativ expandierten Form einen Vergleich zu seiner früheren Tätigkeit zieht (un wenn ich zurü"ckblicke [...], vgl. Z. 6-14). Mit neun Monaten Beschäftigungsdauer ist er zwar in der Firma kein frisch Eingestellter mehr, zeigt aber hier, daß er der früheren Arbeit und den dort gemachten Erfahrungen noch stark verhaftet ist. Die Reaktion des damaligen Kunden am Telefon (ou"h ja komm mal gleich, Z. 14) steht dabei in scharfem Kontrast zu der ‘Randbedingung’, die das Terminieren als Versicherungsverkäufer erschwert (der semantisch-funktionale Kontrast wird v.a. durch die parallele Realisierung der akzentuierten Interjektion konstitutiert: ou: "h da wolle mer nix damit zu due hawwe, Z. 17- 18). Am Ende formuliert 17 eine Initiative, die als früher Lösungsvorschlag gelten kann: wir hätten gern mal so ne art seminar [...] (Z. 26-29). Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 297 Auffällig ist in der Äußerung des Inspektors, daß er auf metakommunikativer Ebene noch innerhalb seiner Problempräsentation - Bedenken signalisiert, sein Problem in der ‘Öffentlichkeit’ zu besprechen: sollt ma mal des allei"n des gespräch malführe (Z. 22-23). Nach einem adversativen Anschluß fugt er jedoch hinzu, daß seine kollege auch da scheinbar mit probleme habe (Z. 24- 25) (vgl. auch das Pronomen in wir hätten gern mal [...], Z. 26). Damit entsteht eine gewisse Ambivalenz: Zum einen legitimiert 17 mit dem Hinweis auf seine Kollegen seine Initiative (da es sich seiner Meinung nach um ein allgemeineres Problem handelt; er integriert diesen Hinweis im hochgestuften aber- Konnekt). Zum anderen wird jedoch deutlich, daß er hier ein ganz persönliches Problem von ihm aufzeigt, weil nämlich seine Kollegen zuvor ausnahmslos Erfolge beim Terminieren gemeldet hatten. Insgesamt expliziert der Inspektor mehr als es die Frage nach dem Funktionieren des Systems der Direktion erforderlich gemacht hätte sehr diverse Rahmenbedingungen seines Problems. Hierdurch werden komplexe Bearbeitungsaufgaben an den Filialdirektor gestellt, z.B. die, hinsichtlich des Problems von 17 eine Sichtweise zu entwickeln, die weiterfuhrende Lösungsinitiativen erlauben könnte. In diesem Sinne kann DI’s erste Reaktion als Beitrag zur Problemdefinition oder als Reformulierung der ‘Problem-Stellung’ verstanden werden: wie präsentie"ren sie denn das/ (Z. 20). Die Frage referiert auf die verbale Vorgehensweise I7’s am Telefon. Es wird sich später zeigen, daß der Filialdirektor darin eine Ursache des Problems vermutet und daß diese Vermutung an der Entwicklung seiner Problemsichtweise von hier an entscheidenden Anteil hat. Es ist nun typisch für den Inspektor, daß er die Frage des Filialdirektors ignoriert und in seiner Äußerung fortfährt (Z. 19, 21). Sein metakommunikativer ‘Einschub’, der den Gedanken an ein Gespräch unter vier Augen prädiziert, ist m.E. auch eine Reaktion auf die Reformulierung seiner Problem- Stellung seitens des Filialdirektors. Der Inspektor indiziert zum einen die subjektive Dimension seines Problems, scheint aber andererseits die Übernahme von Verantwortung für sein persönliches Problem vermeiden zu wollen. Er versucht vielmehr, die Problematik unternehmerisch zu objektivieren, indem er das Problem verallgemeinert und ein Seminar (für alle) zur Abhilfe fordert. An dieser Stelle reagiert der Filialdirektor nicht mehr in einer Form, bei der die Suche nach einem Fehler des Partners am Telefon erkennbar wäre. Er startet vielmehr eine Reihe von Rückfragen, um festzustellen, ob die von der Gesellschaft angebotenen Verkaufstrainings dem Wunsch des Inspektors nach Abhilfe entsprechen könnten, bzw. wie häufig solche Trainings stattfinden. Indem er seine Fragen an andere Teilnehmer adressiert, wird der Inspektor zunächst vom Floor verdrängt. 298 Reden ist Chefsache (6.04) 29 17 rauskriegt\ ich fi"nd den nicht und r ka=ma so was 30 DI 31 17 32 DI mal L mal- |ähnliches- ' L fragen\ die- 1 * innerhalb des ver-' herr von 33 DI E”rden\ innerhalb des r verkaufstrai"ninqs\ * #werden 34 DB K L mhm- #DI: STOCKEND 35 DI da- * kunden*orientierte * Situationen * geübt * 36 DI trainiert\# 37 DB äh- * des Verkaufstraining macht der 38 DB herr Kunz/ ich * weiß net' war bei der Schulung 39 DB nich- 40 DI L oder frag ich #sie"-# * wie sieht=s aus mit den K #ZU 16 41 DI verkaufstrainings\ 42 16 K 43 16 ganz zu anfangne/ K # 44 DI 45 DI 46 16 zweimal am tag telefo"ntraining\ * #17 IM NEBENGESPRÄCH MIT 18 wie schaut=s mit Verkaufstraining in dieser direktio''n aus\ * p wie häu"fich haben sie L (...) 47 DI Verkaufstrainings hier\ * 48 12 tja: - 49 15 also in der 50 15 einführungswoche und dann * einmal * zum anfang\ ** 51 15 zweimal bis jetz\ 52 12 des war schun öfters\ * des dritte 53 12 mal jetz\ 54 II L schun öfter\ gell/ ich r hab=s a schun oft gehabt\ 55 X L warte=molinspektoren/ 159 Während der erste der Befragten (DB) deutlich macht, daß er selbst an den Trainings nicht teilnimmt (Z. 37-38), bestätigt die Inspektorin 16, daß Telefontrainings durchgefuhrt werden (Z. 42). Auffällig ist, daß DI seine Fragen mit unvermitteltem bzw. überlappendem Anschluß weitergibt. Während 17 bei der Frage an 16 ein Nebengespräch mit 18 startet und sich gleichsam auf einen Nebenschauplatz des Geschehens begibt, kontrolliert DI so die rasche Durchführung von zwei Frage-Antwort-Sequenzen, bei denen 17 nicht mit angesprochen ist. Das Fazit dieser Befragung ist sowohl, daß Verkaufstrainings in periodischen Abständen durchgefuhrt werden, als auch, daß Telefontrainings darin zumindest in den Einführungswochen eine wichtige Rolle spielen. Auf die zweite Frage DFs (wie häu"fich haben sie Verkaufstrainings hier\, Z. 45-47) reagieren mehrere Teilnehmer, wobei sie auf Aufbauseminare zu sprechen kommen (s.u.). (Diese werden nicht in der Filialdirektion, sondern im Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 299 ausgelagerten Schulungszentrum durchgefuhrt.) DI reformuliert deshalb seine Frage (Z. 59-60): (6.05) 53 12 r mal jetz\ 54 II L schun öfter\ gell/ ich r hab=s a schun oft gehabt\ 55 X L warte=mol- 56 II * un im a.s. hat ma=s doch-' haben #sie=s# da noch K #A.S. = AUFBAU SEMINAR# #ZU 12 57 II nie gehabt/ 58 12 mhm=m/ 59 DI L gut is schon richtich\ aber hier 60 DI Verkaufstraining direktion/ 61 II des is alle vierteljahr\ ** alle Vierteljahr war des K ##MEHRERE TN REDEN GLEICHZEITIG, Z.T. UNVERSTÄNDLICH 62 II bei mir auch\ ja: \ * viermal im jahr\ (...) bei mir K #17 IM NEBENGESPRÄCH 63 II auch\ viermal im jahr\ inspektoren/ 161 Die ‘Befragung’ fuhrt insgesamt dazu, daß die Forderung des Inspektors 17 nach einem Seminar, das ihm bei der Fehlersuche behilflich sein könnte, im Grunde hinfällig wird. Bezeichnend ist beispielsweise, daß von DI nicht die Frage nach dem Ob, sondern die Frage nach dem ‘Wie häufig’ gestellt worden ist (Z. 45 bzw. 59). Durch die (erwartete) positive Beantwortung seiner Fragen wird die Verallgemeinerung von I7’s Problem zurückgewiesen. Praktisch alle Teilnehmer bestätigen mit relativ großer Engagiertheit, daß ausreichend Seminare stattfinden. Durch das Einbinden dieses Wissensbestands wird jedem implizit keimenden Mißverständnis ausgewichen, es könne an Seminaren in der Direktion mangeln. Man entzieht der Forderung des Inspektors 17 nach Seminaren die Grundlage. Da die anderen Inspektoren das Vorhandensein von Seminaren ratifizieren, wird zudem die Legitimation von 17, der sich auf seine ‘Kollegen’ berufen hatte, annulliert. Neben einem Einbinden reziproken Vorwissens mit Hilfe anderer Teilnehmer könnte bei der Vorgehensweise des Filialdirektors auch von einem Ausgrenzungsverfahren gesprochen werden. Direkt nach der Forderung des Inspektors hatte sich der Filialdirektor ja an einen anderen gewandt und 17 aus der Sprecher-Hörer-Konstellation ausgegrenzt. Die Aufnahme von Nebengesprächen unter Mitwirkung des Inspektors 17 (K-Zeilen zu Z. 42 und Z. 62) zeigt, daß sich der Inspektor in gewisser Weise gegen die Ausgrenzung wehrt, indem er sich an einem ‘Nebenschauplatz’ beteiligt. 281 281 Man könnte hier mit Kallmeyer und Schmitt (1996) von einer ‘subversiven Nebenkommunikation’ sprechen, bei der der Inspektor Unterstützung bei anderen Teilnehmern einholt. Es handelt sich hierbei nicht unbedingt um Versuche, das primäre Rede- 300 Reden ist Chefsache Der Beginn des folgenden Ausschnitts zeigt das Ende einer Äußerung von 17, die dieser im Nebengespräch mit einem anderen Inspektor begonnen hatte, von der aber nur der Schluß verständlich ist, weil zu diesem Zeitpunkt die Beiträge der anderen Teilnehmer enden. 17 spricht sozusagen in eine allmählich entstehende Stille hinein. Schließlich weist ihm der Filialdirektor das primäre Rederecht mit einer Frage wieder zu {gut un wie isch=s * im' im Schulungszentrum/ [...], Z. 67-69). (6.06) 64 17 ( ) isch net in ordnung\ nei"n K ## 65 17 nei"n verkaufstraining\ * und da muß ich sagen es 66 17 stimmt was herr Tretter sagt\# * 67 DI gut un wie isch=s * 68 DI im' im Schulungszentrum/ da waren sie auch schon 69 DI zweimal/ r wurd=s da auch geübt/ 70 17 L >ja-< da wurde des 71 17 einga' s=isch ei"nmal gemacht worden\ aber da fand 72 17 isch=s dann irgendwie en bissei blöd is dann so=n 73 17 gegenseitiges ausschlachten teilweise\ s=find i net 74 17 so gut\ [ja\ 75 16 L #ja das fand ich da manchmal auch\# K #LEISER WERDEND 76 DI herr Schmi"dt- * >äh äh< i weiß net ihre aussagen K #GESPRÄCH IM HINTERGRUND 77 DI nehm ich meistens ne"gativ entgegen\ * wenn sie-' * K # inspektoren/ 161 Bei der Frage des Filialdirektors läßt sich festhalten, daß er den Punkt ‘Verkaufstrainings in der Direktion’ offensichtlich für ausreichend bearbeitet hält (gut un wie isch=s im' im Schulungszentrum/ , Z. 67-68), daß er die Tatsache expliziert, daß 17 selbst an Trainings regelmäßig teilnimmt (da waren sie auch schon zweimal/ , Z. 68-69), und daß die Prämisse, daß kundenorientierte Situationen (am Telefon) in der Direktion geübt werden (wurd=s da auch geübt/ , Z. 69), jetzt als Argumentationsgrundlage gewissermaßen schon feststeht. Was bei der Befragung der anderen Teilnehmer zuvor angeklungen ist, wird hier (insbesondere durch die Partikel auch) explizit: Die von 17 geforderten Trainingseinheiten gehören zum Alltag der Versicherungsagenten; die Forderung I7’s ist ungerechtfertigt. Die Frage des Direktors ist ‘doppelbödig’ (Kallmeyer und Schmitt 1996) und insofern in spezieller Weise forcierend: Fällt I7’s Antwort negativ aus, so kann recht zurückzuerobem, wohl aber um Signale für Distanzierung vom Geschehen. Der Inspektor merkt natürlich, daß der Plausibilität seiner Forderung der Boden entzogen wird. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 301 er wiederum gefragt werden, warum er nicht an den Seminaren in der Direktion teilnimmt, oder der Direktor kann erneut beim Publikum nachhaken; antwortet er hingegen bestätigend, so kann er gefragt werden, warum er überhaupt Seminare fordert. Der Inspektor bestätigt zunächst, daß er im Schulungszentrum war: >ja-< (Z. 70), und danach, daß er ein solches Telefontraining mitgemacht hat: da wurde des einga' s=isch ei"mal gmacht worde\ (Z. 70-71). Gleichzeitig schränkt er im Rahmen einer Selbstkorrektur die Häufigkeit auf ein einziges Mal ein. Im folgenden, adversativ angeschlossenen Äußerungsteil formuliert er eine affektive Bewertung dieses Trainings, die sich an alltagsweltlichen Standards orientiert: aber da fand isch=s dann irgendwie e bissei blöd [...] s=find i net so gut\ (Z. 71-74). Eine in dieser Form realisierte Bewertung seitens eines Angestellten ohne das gleichzeitige Herstellen eines Bedeutungszusammenhangs, der den institutionellen Stellenwert des Gegenstands berücksichtigt oder relational einstuft (‘Lokalisierung’), hat allerdings in der Mitarbeiterbesprechung nur ein geringes Steuerungspotential (vgl. Abschnitt 4.4). Mit der umgangssprachlich formulierten Bewertung überstrapaziert der Inspektor in gewisser Weise seine Beteiligungsmöglichkeiten. Erstens hatte der Filialdirektor nach einer Bewertung der Trainings gar nicht gefragt. Zweitens übt 17, indem er die Qualität der Seminare in Frage stellt, indirekt Kritik an ihnen. Dies birgt für 17 ein hohes Risiko. Man könnte sagen, daß seine Beteiligungsrolle das Starten bewertender Handlungen dieser Form nicht einschließt. 282 Zudem greift er an dieser Stelle implizit DI, den Verantwortlichen für die Trainings an. Entsprechend greift der Direktor in seiner Reaktion zu einem Verfahren, das die Beziehungsarbeit in den Vordergrund rückt: Obwohl eine Inspektorin 17 zustimmt {ja dasfand ich manchmal auch\, Z. 75), wertet er 17’s Äußerungen auf metakommunikativer Ebene ab: herr Schmi"dt- * >äh äh< i weiß net ihre aussagen nehm ich meistens ne"gativ entgegen\ (Z. 76- 77). DI’s Abwertung der Beiträge seines Interaktionspartners kann als Ordnungsruf oder als Warnung an 17 verstanden werden, seine Möglichkeiten nicht zu überstrapazieren. Es hätte für DI hier auch die Möglichkeit bestanden, den Inspektor zu fragen, warum er für sein anfangs geäußertes Problem ein Seminar als Lösung fordert, wenn er von den Seminaren sowieso wenig hält (implizit macht er dies im Anschluß, s.u.). Im folgenden formuliert der Filialdirektor die Einstellung, daß auch ein in der Direktion gehaltenes Seminar den (Ideal-)Wünschen des Inspektors nicht gerecht würde: auch hie"r wird en Verkaufstraining nicht a"nders sein\ (Z. 78- 282 Insbesondere betrifft dies eine affektive Evaluierung, wie der Inspektor sie formuliert hat. Solche Handlungen setzen tendenziell uneingeschränkte handlungsspezifische Aspekte in der Beteiligungsrolle voraus, wenn sie nicht sanktioniert werden sollen. Man muß hier auch berücksichtigen, welchen Verlauf das Gespräch bis zu dieser Stelle genommen hat (vgl. Abschnitt 6.2). 302 Reden ist Chefsache 79). Er legitimiert diese Einstellung mit einer Darstellung der Diskrepanz Theorie vs. Praxis und damit, daß ‘Raum’, ‘Kollege’ (d.i. Rollenspiele) und ‘Kamera’ die Praxis nur imitieren, aber nie authentischen Charakter haben können (vgl. Z. 79-86). Dabei fällt auf, daß 17 zweimal eine konkurrierende Selbstwahl des Rederechts startet, bis er sich schließlich durchsetzt (Z. 82, 85 und 87-88): (6.07) 77 DI K 78 DI 7 9 DI 80 17 81 DI 82 17 83 DI 84 DI 85 17 86 DI 87 17 88 17 89 DI 90 17 K 91 17 92 17 93 17 94 DI K 95 DI 96 17 97 DI 98 17 99 DI 100 17 101 DI 102 17 103 17 104 17 105 DI nehm ich meistens ne"gativ entgegen\ * wenn sie-' * # auch hie"r wird en verkaufstraining nicht a"nders sein\ |man kann ein Verkaufstraining in der L mhm=m/ * the"orie\ * r nur einigermaßen L na gut ich seh=s 1 praxisgerecht da"rstellen\ praxis ist dieser raum nie"\ praxis ist ihr kolle"ge nie\ r praxis ist L herr-' auch die ka"mera nie\ r aber- L herr Gra"f\ * es is vielleicht r de"swege negativ weil isch=s a: L >die dinge sollen kommen\< halt annersch gewoh"nt war\ un wissen se wenn heut #GESPRÄCH IM HINTERGRUND bei uns was weiß ich so e ding gema"cht worden isch im verkau"f/ dann war des ein wahnsinnstolles trai"ning\ ** r wissen=se L #aber herr Schmi"dt aber * jetz muß # #LAUT i 1 * jetz muß i total degege spreche\ aber des im r wenn sie to"lle trainings# erlebt haben- * sie L schulungsZentrum-' meinen die (...) [in ihrer ehemaligen * L ja: "\ (. . .) da": / C firma\ L wo eben so en semina"rsleiter kam/ ne/ so=n training gemacht wird da is * immer von unte rauf angefange r worde des is- 1 ne/ L ja i mein dafür is doch hier en inspektoren/ 162 Nachdem 17 sich mit der Selbstwahl des Rederechts durchgesetzt hat, rechtfertigt er die negative Evaluierung der Schulungen durch einen Vergleich mit denen in seiner früheren Firma: herr Gra"f\ * es is vielleicht de"swege negativ weil isch=s halt a: annersch gewoh"nt war\ [...] (Z. 87-88, 90-93). Zum einen aktualisiert er hier eine Erfahrungsressource, die ihm den Vergleich der Schulungen in den beiden Firmen erlaubt, über die der Partner jedoch nicht verfugt. Zum anderen insistiert er auf der negativen Bewertung der Schulungen in der Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 303 Versicherungsgesellschaft, indem er kontrastiv die früher erlebten lobt: dann war des ein wahnsinnstolles trai"ning\ (Z. 92-93). Insgesamt weicht der Inspektor trotz der metakommunikativen Maßnahme (Herr Schmi"dt [...] ne"gativ entgegen\, Z. 76-77) und der Darstellung der Trainingsproblematik durch den Direktor nicht von seinem Standpunkt ab. Seine Rechtfertigung könnte sogar als manifester Zweifel an der Berechtigung des Vorwurfs aufgefaßt werden, daß seine Beiträge negativ sind (vgl. Abschnitt 3.1.4). Der Filialdirektor sieht sich erneut zu einer metakommunikativen Handlung veranlaßt: aber Herr Schmi"dt aber * jetz muß / ' * jetzt muß i total degege spreche\ (Z. 94-95). 283 Zusammenfassend soll folgendes festgehalten werden: Der Direktor versucht, durch eine Befragung der anderen Teilnehmer nachzuweisen, daß Seminare in der Filialdirektion stattfinden und daß diese Seminare auch über die von 17 gewünschte Kundenorientiertheit verfugen. Zudem werden solche Trainings auch im Schulungszentrum der Versicherungsgesellschaft angeboten. Allgemein könnte man sagen, daß sich der Filialdirektor als Reaktion auf I7’s Forderung sofort darum bemüht, das Aus- und Weiterbildungsangebot der Gesellschaft vor Kritik zu schützen. Zur Durchführung der ‘Befragung’ wird der Inspektor 17 kurzzeitig aus dem primären Geschehen ausgegrenzt. Man könnte diese Phase als eine interaktive Überprüfung der Plausibilität von I7’s früh gestartetem Lösungsvorschlag ansehen. Das Resultat läßt Zweifel an der Rechtmäßigkeit von I7’s Forderung aufkommen. Neben der Ausgrenzung von 17, die gewissermaßen die formelle Komponente von DFs Verfahren bildet, wird mit der Befragung der Kollegen ein reziproker Wissensbestand aktualisiert, dessen Geltung in einem oppositiven Verhältnis zu I7’s Forderung besteht: Es gibt bereits ausreichend Seminare. Entscheidend ist zum einen, daß diejenigen, die 17 als Zeugen angerufen hatte (meine kollegen) ihn jetzt widerlegen. So ist das Verfahren der interaktionellen Ausgrenzung tendenziell auch mit einem sozialen Ausschluß verbunden. Zum anderen ist damit auch eine Objektivierbarkeit seines Problems ausgeschlossen, mit der 17 seine Forderung nach Seminaren zu legitimieren versucht hatte. Ex contrario wurde gezeigt, daß es sich um ein persönliches Problem von 17 handelt, das einer globalen institutionellen Dimension entbehrt. An dieser Stelle weicht der Inspektor von einer expliziten Forderung nach Seminaren ab. Er evaluiert jetzt die von ihm (im Schulungszentrum) erlebten Seminare; er bewertet sie negativ, wobei er allerdings keine institutionell in besonderer Form gewichteten Gründe anführt, sondern eine eher umgangs- 283 Hier wird deutlich, daß die Einstellungen der Interaktionspartner bezüglich der Schulungen bis hin zur Unvereinbarkeit divergieren. Der Anschluß an die Vorgängeräußerung erfolgt ohne Zeichen von (eingeschränkter) Zustimmung, mit einem adversativen Konjunktor in initialer Position. 304 Reden ist Chefsache sprachlich getönte Formulierung verwendet, die affektive Involviertheit signalisiert. Weiter rekurriert er auf eine für die anderen Teilnehmer nicht objektivierbaren Problemsichtweise, indem er einen kontrastiven Vergleich zu seiner früheren Firma zieht. In Ansätzen macht er den Anspruch auf ein dort erworbenes Expertenwissen deutlich, wovon er sich würde dies vom Partner ratifiziert einen Statusgewinn versprechen kann. So stehen sich am Ende institutionelle Interessen seitens des Vorgesetzten und persönliche Entscheidungskriterien seitens des Angestellten konträr gegenüber. Daß der Inspektor nach der Wiedereingliederung in die Sprecher-Hörer-Konstellation, nachdem die Plausibilität seines Lösungsvorschlags widerlegt worden ist, und trotz der ersten metakommunikativen Reaktion, der ‘Warnung’ des Filialdirektors, auf seinem Standpunkt beharrt, ist markant und zugleich in hohem Maße riskant. An anderer Stelle war bereits gezeigt worden, daß Bewertungen (insbesondere emotiver Art) von Arbeitsprozessen nur aufgrund einer entsprechend hohen Position des Sprechers Aussicht auf Berücksichtigung haben (Abschnitt 4.2.4.4). Ausnahmen scheinen bei Evaluierungen ausschließlich dann möglich zu sein, wenn der Sprecher die Bewertung zugleich durch innerinstitutionell relevante Aspekte z.B. durch das Einbinden reziproker Wissensbestände legitimieren kann (vgl. TA 5.32). Beides kann der Inspektor nicht vorweisen. Die zweite metakommunikative Äußerung des Filialdirektors (total degege spreche) kann insofern als Sanktionierung einer Grenzüberschreitung und einer Verletzung institutioneller Gesprächsorganisationsregeln verstanden werden. Als Markierung einer ‘Regelverletzung’ (Holly 1979) besitzt diese Äußerung imagebedrohende Qualitäten und etabliert Handlungsimplikationen für den nachfolgenden Handlungskontext. Der Inspektor wird zu einer defensiven Haltung, d.h. zu korrektiven oder weiteren legitimierenden Maßnahmen gezwungen. 6.3.2 Selbst- und Fremddarstellung und die Instruktion als Lösungsdiktat Es kommt im nachfolgenden Kontext zu einer Frage an den Inspektor mit etwa derselben Doppelbödigkeit wie schon kurz zuvor (s.o.). Der Filialdirektor fragt ihn, ob er ‘überhaupt’ schon einmal ein Seminar in der Filialdirektion besucht habe (Z. 106). Eine positive Antwort auf diese Frage wird vom Inspektor nur angedeutet; unmittelbar darauf verlagert er den Fokus mit ja ich kann' ich bin en guter' ich bin * en produ"kteverkäufer\ (Z. 107-108). Diese Äußerung hat nachhaltige Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Interaktion (DI wird sich noch mehrfach auf sie beziehen). (6.08) 104 17 rauf angefange (worde des is-' ne/ 105 DI L ja i mein dafür is doch hier en Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 305 106 DI 107 17 108 17 109 17 110 DI 111 17 112 DI 113 II 114 DI 115 17 116 II 117 DI 118 DI 119 17 120 DI K 121 DI 122 DI 123 DI 124 DI 125 DI 126 DI 127 DI seminar haben se=s schon gemacht r überhaupt/ L ja ich kann' ich bin en guter' ich bin * en produ"kteverkäufer\ also geben sie mir ein produkt in r (ganzhaft)/ * dann L wi 1 wir sind halt C verkauf ich ihnen eins\ L kein produktunternehmenN nein wir sind r kein L ( r produktunternehmenN ja entweder ide' de' ja\ identifizie"ren wir uns/ und des bitte Oktober jetz haben werr * ju"ni/ äh mit der tatsache- * L ja\ # # wir ha"ben * keine hunderttausend mark #HAUT AUF DEN TISCH vorzuzeigen die wir da einstecken/ ** wir haben ganz einfach * mit einer * überzeu''gungsdarstellung fraglicher natur zu arbeiten\ * und dazu gehören gewisse verkäuferische * fä"higkeiten/ die völlich * seriö: s und legal sind/ * die ganz einfach das verkau"fen leichter machen/ * aber ich muß natürlich an mei"nem produ"kt/ und wenn sie es net inspektoren/ 163 Die Reaktion von 17 auf die Frage DFs, ob er überhaupt schon einmal ein Seminar (in der Direktion) besucht habe, deutet zwar mit dem initialen ja ich kann' (Z. 107) eine Bestätigung an; mit den nachfolgenden Äußerungsteilen wird jedoch ein Fokuswechsel vollzogen. Der Inspektor verweist explizit darauf, daß er ein produkteverkäufer sei, wobei trotz des Abbruchs nach dem Attribut guter' eine positive Hervorhebung seiner Qualitäten im Produkteverkauf interpretierbar ist (Z. 108). 284 I7’s Sprechhandlung kann als ‘explizite Selbstaussage’ verstanden werden (Schwitalla 1996, S. 331). 285 Der Inspektor war zuletzt unter Legitimationsdruck geraten, weil die Frage des Direktors nahelegt, daß er womöglich überhaupt noch keines der in der Direktion angebotenen Seminare besucht hat, obwohl er diese fordert. Mit der Bekräftigung seiner Qualitäten als ‘Produkteverkäufer’ weicht er dem Legitimationsdruck aus. I7’s Äußerung kann so als Versuch gesehen werden, einem drohenden Imageverlust durch eine positive Selbstdarstellung, verbunden mit einem Fo- 284 Hoffmann (1991) weist daraufhin, daß bei einer Selbstreparatur die exteriorisierten Bestandteile der Formulierung nicht unbedingt aus der Fokusgliederung getilgt zu werden brauchen, auch wenn sie das Objekt der Reparatur sind. D.h., auch wenn beim Neuansatz der Formulierung das Attribut fehlt (ich bin * en produ"kteverkäufer\, Z. 108), so kann im weiteren Verlauf die Formulierung ‘ich bin ein guter Produkteverkäufer’ kontextuellen Anschlüssen (z.B. Refokussierungen seitens der Partner) dienen. 285 Schwitalla (1996) nennt außer der ‘expliziten Selbstaussage’ noch „Eigenschaften, die aus sprachlichen Handlungen erschlossen werden können“ (z.B. aus Lob oder Tadel), und „Eigenschaften, die aus dem aktuellen Verhalten in der Interaktion geschlossen werden können“ (vgl. Schwitalla 1996, S. 331). 306 Reden ist Chefsache kuswechsel, zu begegnen. Er signalisiert den Status, den er für sich in Anspruch nimmt; gleichzeitig gibt er aber indirekt zu verstehen, daß er Schwierigkeiten im Umgang mit den Verkaufsobjekten der Versicherungsgesellschaft hat: also sehen sie mir ein produkt in (sanzhaß)/ * dann verkauf ich ihnen eins\(Z. 108-109, 111). Schon zu Beginn der Problembearbeitung hatte 17 auf die Vorteile verwiesen, beim Verkauf M>as in der ha"nd (TA 6.03, Z. 8) zu haben. Genau dieser Punkt, der als Randbedingung bei seinem Problem mit dem Terminieren eine Rolle gespielt hatte, wird jetzt zum vordergründigen Bearbeitungsgegenstand. Man könnte die Aktivität somit als zweiten Schub der Problempräsentation des Inspektors auffassen. Es ist an dieser Stelle wichtig zu sehen, daß die Aktivität des Inspektors eine Präsupposition des außersprachlichen Handelns interpretierbar macht, etwa der Form „wenn sie ein (handfestes) Produkt für mich hätten, dann wäre ich auch hier ein guter Verkäufer“. Der Inspektor konditioniert so seine eigenen Qualitäten an Leistungen, die von der Filialdirektion zu erbringen wären, oder m.a.W., er verlagert die Verantwortung für sein Problem. Sein Handlungszug trägt Charakteristika einer kompetitiven Problematisierung. Die Reaktion des Filialdirektors signalisiert zunächst, daß der Forderung geben sie mir ein produkt aufgrund allgemeiner institutioneller Rahmenbedingungen nicht entsprochen werden kann: wir sind halt kein produktunternehmen\ (Z. 110, 112). Die Partikel halt signalisiert eine pauschalisierende, trivialisierende und rückstufende Funktion (vgl. Engel 1988, S. 234f). Der Filialdirektor erkennt keinen aktuellen Bearbeitungsbedarf bei der Forderung nach Produkten an. Anders jedoch bei einer kontextübergreifenden Betrachtung: Der Inspektor stand ja unter einem gewissen Legitimations- oder Rechtfertigungszwang, was die negative Bewertung der Seminare betraf. Durch die Reaktion wir sind halt kein produktunternehmen\ signalisiert der Filialdirektor, daß er die Gültigkeit von 17’s Problemsichtweise aberkennt und zugleich, daß mit I7’s Handlungszug die Beilegung der potentiell konfliktträchtigen Situation noch nicht erfolgt ist. Im Gegenteil, DI reformuliert gewissermaßen den zweiten Schub von I7’s Problempräsentation aus seiner Sicht und deckt eine mangelnde (berufliche) Identifizierungsleistung des Inspektors auf: Mit den nachfolgenden Äußerungsteilen expliziert DI sodann, daß er die Schwierigkeiten des Partners mit den Verkaufsobjekten als Zeichen mangelnder Identifizierung mit institutioneilen Vorgaben versteht: ja entweder [...] identifizieren wir uns/ (Z. 114, 117). Durch das Aufdecken eines Defizits an Identifizierungsleistungen wird 17 die Verantwortung für das Problem wieder zugewiesen; es handelt sich um eine Vorwurfshandlung mit klar erkennbaren imagebedrohenden Charakteristika. Dieser Vorwurf wird mit der neunmonatigen Beschäftigungsdauer I7’s legitimiert (vgl. Z. 117-118). Auffällig ist, daß Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 307 DI mit entweder zwar eine zweiteilige Konstruktion öffnet, den oder-Teil jedoch im unmittelbar nachfolgenden Kontext nicht folgen läßt. Dieser oder-Teil könnte zu einer Drohung geraten (vgl. den nächsten Abschnitt). Weiterhin kann hier darauf hingewiesen werden, daß DI in der ersten Person Plural spricht, seinen Beitrag jedoch nicht explizit an 17 adressiert. Im vorangegangenen Kontext hatte er dies ständig und häufig zudem namentlich getan. Die Wir-Form schließt hier alle Mitarbeiter des Unternehmens ein, insbesondere die mit verkäuferischen Aufgaben (s. z.B. in wir haben ganz einfach * mit einer * überzeu"gungsdarStellungfraglicher natur zu arbeiten\ * und dazu gehören gewisse verkäuferische * fäh"igkeiten/ die völlig * seriöts und legal sind/ , Z. 121-125). Das Pronomen kann als ein konstitutives Signal für eine Gruppenidentität gelten, zu der sich der Inspektor aufgrund seiner Position bekennen muß. Da DI explizit Schwierigkeiten bei der Identifizierung aufgedeckt hat, wird 17 von der Gruppe potentiell ausgeschlossen. Der Filialdirektor hat an dieser Stelle mit der Wir-Form begonnen, elementare Rahmenbedingungen des Handelns in der Institution hervorzuheben. Auch als er nun zu der Ich-Form wechselt, dominiert eine Stellvertreterfünktion des Pronomens für bestimmte Mitarbeiterpositionen; der Singular signalisiert aber gleichsam einen Einzelfallstatus: (6.09) 126 DI verkau"fen leichter machen/ * aber ich muß 127 DI natürlich an mei"nem produ"kt/ und wenn sie es net 128 DI als produkt nennen wollen dann nennen sie es halt 129 DI idee"- * an der muß ich a"rbeiten auch autodida"kt\ * 130 DI ich kann net sagen ich bin se"lbständich/ * 131 DI und was da drin i"n der direktion abläuft das isch 132 DI ja eh" quatsch/ * aber ich bilde mich * se"lbst 133 DI nicht weiter/ * dann hab ich ne anforderung an mich * 134 DI persö"nlich gestellt die nicht funktioniert\ * inspektoren/ 163 DI stellt hier gewissermaßen ex contrario - Anforderungen an die verkäuferisch tätigen Mitarbeiter dar. Dazu gehören das autodidaktische Arbeiten am Produkt, das selbständige Wahrnehmen von Pflichten, der ernsthafte Kontakt zur Direktion und die richtige Einschätzung von Selbstanforderungen (vgl. insgesamt Z. 127-134). Es ist bezeichnend, daß sein Diskurs lexiko-semantische Elemente enthält, die auf Äußerungseinheiten von 17 im lokalen und fernen Gesprächskontext verweisen, so z.B. an mei"nem produ"kt (Z. 127) und ischja eh" quatsch (Z. 131-132). 286 Zudem bietet er 17 eine alternative Voka- 286 Ygj hierzu eine der Reaktionen von 17 auf den Vorwurf des Filialdirektors, daß die Inspektoren viel zu wenige Personen zum Tag der offenen Tür eingeladen hätten: isch hör=s jetz heut zum erschien malde' isch hab=s gle"sen\ * aber hab denkt «MIT GE- 308 Reden ist Chefsache bei für ‘Produkt’ an: dann nennen sie es halt idee"- (Z. 128-129). Auch hier zeigt die Partikel halt tendenziell eine Trivialisierung des Sachverhalts an. Zwei Dinge können bezüglich dieses Ausschnitts festgehalten werden, die zusammen konstitutiv für die Gruppenidentität wirken und I7’s Teilhabe an der Gruppe erkennen lassen: Zum einen stellt DI Anforderungen an (alle) Verkäufer dar, die über die Frage, ob es sich bei den Verkaufsobjekten um Produkte oder abstraktere Gegenstände handelt, hinausgehen. Zum anderen liefert der Sprecher mehr oder weniger verdeckte Hinweise dafür, daß es sich bei dem Negativbeispiel eines Verkäufers (auch) um 17 handeln könnte, weil er die Anforderungen eventuell gar nicht erfüllt. Im folgenden Äußerungsteil verwendet DI wieder eine namentliche Adressierung: was glau"hen sie herr Schmidt (Z. 135). Damit sichert der Sprecher ab, daß die Gerichtetheit seiner nachfolgenden Darstellungen an einen bestimmten Adressaten von allen erkannt wird, nachdem die Ichbzw. Wir-Form tendenziell auch stellvertretend für Personengruppen verstanden werden konnten. (Auch die anderen anwesenden Verkäufer konnten sich von dem Problem der Identifizierung und den ‘Anforderungen’ angesprochen fühlen.) (6.10) 134 DI persö"nlich gestellt die nicht funktioniert\ * 135 DI was glau"ben sie herr Schmidt wie oft ich zu hause 136 DI sitze\ * und literatur * fachliteratur lese\ * und 137 DI ich * würde mich * wenn nicht mal fachlich mit 138 DI ihnen messen können\ ** ich le"rne * immer weiter K «MEHRERE TN, AUCH 17, LACHEN 139 DI für mich na"ch\ * und ich habe einen se"hr 140 DI ausgefüllten a"rbeitstag\ * und trotzdem werde ich' K # 141 DI ich' ich 1 ich geh ja in de"fizite wenn ich nicht 142 DI sage so ich les jetzt das neue * steuergesetz\ die 143 DI änderungsgesetze ich les die neue * rentenreform 144 DI zwei”undneunzich intensiv\ >und und und\< * nur ich 145 DI brauche es >glauben se mer des< weniger als sie"\ * 146 DI meine eigentliche aufgabe i"st es im gründe genommen 147 DI gar nicht mich fachlich aktuell zu haltenX 148 17 aber' * 149 DI >da"für hab ich den herrn Kunz- * dafür hab ich den 150 DI herrn r von Erden ( \<) 151 17 L aber wir haben ja nun diese große aktion inspektoren/ 164 SPIELTER VERWUNDERUNG was soll des was machen die denn da\# (VI/ 154/ 20-23). Der schlechte Kontakt zur Direktion, der zu einer Desinformiertheit der Inspektoren führt, wird danach allgemein von DI kritisiert. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 309 Der Sprecher behauptet, sich über den seh"r ausgefüllten a"rbeitstag (Z. 139- 140) hinaus mit Fachliteratur zu beschäftigen, wodurch er sich selbst als außerordentlich engagierten Mitarbeiter darstellt. Diese Selbstdarstellung hat die Funktion, das eigene Image anzuheben; in demselben Zusammenhang ist jedoch erkennbar, daß er dies explizit auf Kosten von I7’s vorheriger Selbstdarstellung realisiert: und ich * würde mich * wenn nicht malfachlich mit ihnen messen können\ (Z. 136-138). Der Sprecher manifestiert gewissermaßen die Absicht, mit 17, der sich als ‘guten Produkteverkäufer’ bezeichnet hatte, in fachlicher Kompetenz zu konkurrieren. Damit würde der Versuch des Inspektors, seine Schwierigkeiten mit dem Produkt der Versicherungen zu erläutern und dabei gleichzeitig eine Imageeinbuße zu verhindern, endgültig vereitelt. Nicht das Produkt allein, sondern auch das detaillierte Fachwissen über das Produkt und das ‘Weiterlernen’ sind Grundbestandteile der verkäuferischen Qualitäten. Implizit werden 17 diese Qualitäten abgesprochen (woher kämen sonst seine Schwierigkeiten beim Verkauf? ): Er wird degradiert. Das Lachen der Teilnehmer an dieser Stelle kann als Verlegenheitsreaktion (im Fall von 17) oder als Signal dafür gelten, daß sich DI am Rande gesellschaftlicher Angemessenheit (Angeberei und Spott) bewegt. Daß DI über überdurchschnittliche Fachkompetenz verfugt, würde niemand der Teilnehmer anzweifeln können; er legitimiert seine Behauptung aber darüber hinaus, indem er notwendiges Verkäuferwissen in der Folge auflistet. Der zu berücksichtigende Kontext bei der interaktiven Aushandlung einer Problemdefmition wird dadurch erweitert; wenn 17 auf der Problematisierung seiner Verkaufstätigkeit beharren will, so ist jetzt von ihm ein Neuansatz bei der Reformulierung seiner Sichtweise gefordert (ganz abgesehen davon, daß er durch die persönliche Adressierung das Rederecht zugewiesen bekommt; Schwitalla 1993a, S. 363). Die Ausführungen DI’s enthalten einen Hinweis darauf, daß er andere anweisen könnte, verkäuferischen Anforderungen für ihn nachzukommen, die er aber selbst zu erledigen vorzieht: meine eigentliche aufgabe i"st es im gründe genommen gar nicht [...] >da"für hab ich den herrn Kunz- * [...] (Z. 146- 150). Dadurch wird die Position des Sprechers klar hervorgehoben. Befugnisrelationen werden aktualisiert, der Sprecher leistet ein manifestes Indiz für seine soziale Rolle. Mit Blick auf die Selbstdarstellungsverfahren könnte man sagen, daß der Filialdirektor ein von ihm selbst positiv eingeschätztes Maß an Identifizierung mit beruflichen Aufgaben ausdrückt; auch ein gewisses Selbstlob ist interpretierbar. 287 287 Bei dem von mir zuletzt angesprochenen Aspekt geht es weniger darum, daß Dl seine soziale Rolle aktualisiert, sondern wie er das Wie der Ausfüllung dieser Rolle beschreibt. 310 Reden ist Chefsache 17 reagiert an dieser Stelle mit der Darstellung eines Beispiels, das seine Schwierigkeiten bei der Anpassung an die Tätigkeit als Versicherungsvermittler illustrieren soll. Er sichert bei seinem Gesprächspartner zunächst die Bestätigung des Fokuswechsels ab {über die sie ja bescheid wissen, Z. 152) und beschreibt die Effizienz der thematisierten Veranstaltung (diese große äktion, Z. 151) als unverhältnismäßig gering im Verhältnis zu dem dort betriebenen Aufwand, nämlich als null komma null\ (Z. 154-155). 288 Der adversative initiale Anschluß (aber, Z. 151) markiert ein zumindest aspektualisiertes Nichteinverstandensein mit DFs Ausführungen. (6.11) 150 DI 151 17 152 17 153 DI 154 17 155 17 156 18 K 157 DI 158 18 K 159 17 160 18 161 17 162 18 163 17 164 17 165 DI herrn r von Erden ( \<) L aber wir haben ja nun diese große aktion gestartet über die sie ja r bescheid wissen\ und L >ja-< jadie reaktionen von de' dem ganzen saal waren null komma null\ r des is e bissel-' L na na na na\ #MEHRERE UNVERST. BEITRÄGE IN ZWEIFELNDEM TONFALL weswegen kommen Widersprüche aus ihrem kollegium/ ne ne des weiß er net deswege sag ich=s ihm\ # ja gut also\ * äh dann war=s aber von r letschtem L ±T fjahr/ des is auch qsagt worde/ bitte und so äh- * L des stimmt des stimmt des stimmt\ und des isch halt irgendwo dann e bissei so * bedrü"ckend- * mal so sagen\ ne/ also i muß sagen Inspektoren/ 164 Auffällig ist, daß nach der Äußerung I7’s bezüglich der ersten von ihm genannten Veranstaltung sofort negierende (bzw. zweifelnde) Reaktionen aus den Reihen der Hörer kommen, auf die DI in metakommunikativer Form eingeht: weswegen kommen Widersprüche aus ihrem kollegium/ (Z. 157). I7’s Äußerung bezüglich der ‘großen Aktion’ wird tendenziell eine Präsupposition untergeschoben, die sie hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts abwertet, etwa „wenn die anderen widersprechen, kann Herr Schmidt nicht recht haben“: 17 wird diskreditiert. Der folgende Beitrag von 18 (ne ne des weiß er net [...], Z. 158) kann zum einen als Versuch gesehen werden, 17 bei der Wahrung seines Image zu Hilfe zu 288 Eine ‘große’ Aktion bedeutet, daß man mehr Personen als im normalen Versicherungsbetrieb üblich auf ihre Versorgungslücken anspricht und hinweist. Daß ein saal dafür in Anspruch genommen werden muß, ist bezeichnend; allerdings konnte das hier thematisierte Geschehen im Detail nachträglich nicht mehr erfragt werden. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 311 kommen; gleichzeitig zeigt sich (in der Proform er) eine Tendenz, die zu einer kurzzeitigen Ausgrenzung 17’s fuhrt. Außerdem kann diese Äußerung als explizite Fremddarstellung aufgefaßt werden: 17 ist nicht ausreichend informiert. Der Inspektor beruft sich deshalb unmittelbar auf eine andere Veranstaltung {von letschtem Jahr, Z. 159, 161), bei der er auf Zeugenaussagen rekurrieren kann (des is auch gsagt worde, Z. 161). Derselbe Sprecher, der zuerst negierend reagiert hatte, bestätigt jetzt die Angaben I7’s: ja des stimmt des stimmt des stimmt\ (Z. 162). Damit gewinnt 17 an Boden; er unternimmt jetzt die Formulierung eines Fazits. Die mit aber (Z. 151) gestartete Reaktion des Inspektors auf die Ausführungen DFs mündet am Ende in einen Hinweis auf seine innere Befindlichkeit, die aus der mangelnden (obwohl erwarteten) Effizienz solcher Veranstaltungen heraus entsteht: des isch dann halt irgendwo dann so e bissei so * bedrü"ckend- (Z. 163-164). Die Explizierung der eigenen Frustration könnte mit Nothdurft (1984, S. 32f.) als ein Aufgreifen eines der frühen ‘Stücke’ der Problempräsentation aufgefaßt werden, als Erläuterung zu seiner ‘Empfindlichkeit’ (vgl. TA 6.03). Außerdem kann I7’s Darstellung als eine korrektive Handlung verstanden werden, die den zuvor durch den Vorwurf mangelnder Identifizierung entstandenen imagebedrohenden Rahmenbedingungen begegnet. Seine Handlung trägt Charakteristika einer Entschuldigung, insofern als ‘widrige Umstände’ (Holly 1979, S. 72) den Inspektor von seiner Verantwortung entlasten können. Man beachte im folgenden, daß der Filialdirektor an dieser Stelle keine insistierenden oder als erneute Vorwurfshandlungen interpretierbare Aktivitäten unternimmt. Ich werte dies als Beleg für den schon mehrfach angesprochenen, für die Mitarbeiterbesprechung typischen Verlauf von Korrektivsequenzen: Entschuldigungen führen tendenziell zu einem Entgegenkommen, Rechtfertigungen (oppositive Evaluierungen) zu einem Insistieren (vgl. 3.1.4, 4.3.3.2, 5.2.5 etc.). Ebenfalls zeigt es sich erneut, daß eine innere ‘Befindlichkeit’ von Angestellten im vorliegenden institutionellen Rahmen wenig Chancen hat, zu einem längerfristigen Bearbeitungsgegenstand zu werden. Für DI besteht in der jetzigen Situation z.B. die Anforderung anzuerkennen, daß gewisse ‘widrige’ Umstände die Vermittlertätigkeit behindern können. Er antwortet mit einer längeren Darstellung dessen, wie er sich eine Analyse von Problemen in der Vermittlertätigkeit vorstellt. DI übernimmt allerdings weder das ‘Bedrückende’ noch die ‘Aktionen’ als Foki, sondern stellt (verbal und visuell) eine komplexe Arbeitshandlung ‘Analyse der Gründe für Defizienzen’ vor. Der nachfolgende Ausschnitt bietet einen Einblick nicht nur in die Beteiligungsweise dieses Sprechers und den aktuellen Bezug auf bzw. die Konsequenzen für die situativ konstituierte Beziehung der beiden Interaktanten DI und 17, sondern er gewährt auch einen Eindruck davon, welche (subordinierten) Interaktionsmuster in der Arbeitsbesprechung abgearbeitet werden können. Der Diskurs des Sprechers in diesem Turn konstituiert mehr eine 312 Reden ist Chefsache Schulungseinheit (Instruktionselement, Brünner 1987, S. 35f.) denn eine konfliktreduzierende Maßnahme, in der kooperative Imagearbeit (im Sinne eines Entgegenkommens) erkennbar wäre. Die von DI explizit dargestellte Arbeitshandlung umfaßt vier Teilhandlungen: 1. die Analyse des ‘Status quo’, 2. die Feststellung von unbefriedigenden Aspekten, 3. die Reanalyse des Status quo und 4. das Ergreifen von Maßnahmen (‘Entscheidung’) (vgl. Z. 167-171). DI bekräftigt zuvor die Effizienz dieser Handlung, des mach ich heute noch wie vor fu'ffzehn jahren\ (Z. 166- 167), und dann die uneingeschränkte Anwendungsmöglichkeit: das denke ich kannje"der- (Z. 172). Danach fuhrt er die Analyse auch visuell (an der Wandtafel), und zwar exemplarisch am Fall des Inspektors 17 vor: in ih"rem * fall herr Schmidt- (Z. 177-178). (6.12) 164 17 165 DI 166 DI 167 DI 168 DI 169 DI 170 DI 171 DI 172 DI 173 DI 174 DI K 175 DI K 176 DI K 177 DI 178 DI K K 179 DI 180 DI K 181 DI 182 DI 183 DI 184 DI K 185 DI 186 DI K 187 DI 188 DI 189 DI 190 DI bedrü"ckend- * mal so sagen\ ne/ also i muß sagen * äh äh ich persö"nlich würde-' ** und des mach ich heute noch wie vor * fu"ffzehn jahren\ ich analysiere immer * den * status quo\ * wenn der status quo für mich u"nbefriedigend ist dann muß ich analysieren\ * und wenn ich ihn analysiert ha"be-* dann muß ich zu ner entscheidung kommen\ * und äh * das denke ich kann je"derzunächst mal analy"se betreiben was ist gemacht wo"rden/ * vielleicht sollte man des auch mal * da"rstellen i #DI STEHT AUF, GEHT ZUR weiß net ob sie des schon je mal gemacht haben- ** WANDTAFEL# tu"n sie=s- * für sich se"lbst- *2,2* da tragen se #DI MALT KREIS# ein was liegt genau vor\ ** in ih"rem * fall herr Schmidt- * keine termine\ ne/ *2,2* so\ * und da"nn #DI SCHREIBT 'KEINE TERMINE' IN KREIS # mache ich-' * woran lie''gt es eigentlich daß ich keine termine beko"mme\ *2,1* ich mach mir also #DI MALT STRAHLEN UM KREIS# meine gedanken in form einer sonne\ * und schreibe jetzt auf jeden strahl drauf * woran lie"gt eigentlich daß ich keine termine bekomme\ * viellei"cht auch/ ** äh- * flei"ß\ * daß sie nicht #DI SCHREIBT 'FLEISS’ AN EINEN STRAHL# flei”ßich genug sind termine zu bekommen\ * vielleicht * a"nsprache * am te"lefon\ * #DI SCHREIBT 'ANSPRACHE' AN EINEN STRAHL# undsoweiterN * wenn sie des gema''cht haben gewichten sie\ * vie"r fünf punkte\ * was für sie das wi"chtigste überhaupt sein würde woran es liegt daß sie kei"nen termin kriegen\ * und die"se vier Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 313 191 DI fünf pu"nkte- * die verbessern se dann\ ** das is K #DI KEHRT LANGSAM ZUM STUHL ZURÜCK 192 DI schon die entscheidung daß se sagen die" punkte 193 DI such ich mir raus da werd ich etwas ä"ndern\ aber 194 DI des muß man natürlich schon tu"n man kann net immer 195 DI nur sagen das klappt net/ * wie geh"t=s\ * da haben K # #DI SETZT SICH # 196 DI se=s hler\ ** ich denke daß doch was isch dabei\ ** 197 17 ja ich hab r eins- 1 * ja ich hab grade-' 198 DI L und produ"ktewenn ich heute inspektoren/ 165 Der Sprecher verwendet bei der Darstellung seines Analysebeispiels eine Bezeichnung für 17’s Problem, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht genannt wurde. Bei der Formulierung was liegt genau vor\ ** in ih"rem *fall herr Schmidt- * keine termine\ ne/ *2,2* so\ (Z. 177-178) wird deutlich, wo der Filialdirektor den Problemkern (der auch visuell durch den Kreismittelpunkt repräsentiert wird) ansetzt: keine termine\. Dieser wird sozusagen durch die schriftliche Eintragung als Fakt bestätigt, der keiner weiteren Bearbeitung oder Ratifizierung bedarf (auch der fallende Grenzton der Partikel so\ trägt zu dem Fazitcharakter der Handlung bei). Obwohl durch die Adressierung {herr Schmidt), die Aufforderung zur Bestätigung {ne/ ) und die Pause {*2,2*) eine Überprüfung der Problemdefinition seitens 17 erwartbar sein könnte, verzichtet dieser auf eine Stellungnahme. Dies kann auf folgende Gründe zurückgeführt werden: Zum einen ist die Tatsache, ‘keine Termine’ zu bekommen, ein geradezu existenzielles Problem eines Versicherungsvermittlers, mit dessen institutioneller Relevanz andere Problemdefmitionen kaum konkurrieren können. Daneben würde 17 mit einem Einschreiten den Filialdirektor am Schreiben hindern können, d.h., er würde eine außersprachliche Aktivität stören, die verbal projiziert worden ist und sich bereits im Vollzug befindet. Weiterhin kehrt der Direktor den Teilnehmern den Rücken zu; der Inspektor kann sich also des Zugeständnisses eines Äußerungsstarts über Blickkontakte nicht versichern. Nachfolgend benennt der Direktor zwei mögliche Ursachen für das von ihm definierte Problem: viellei"cht auch/ ** äh- * flei"ß\ * daß sie nicht flei'ßich genug sind termine zu bekommet * vielleicht * Ansprache * am te"lefon\ (Z. 184-186). Mit der ersten (gemutmaßten) Ursache unterstellt er dem Inspektor, daß dessen Arbeitswillen nur eingeschränkt den Voraussetzungen für erfolgreiches Arbeiten genügt. Dieser Aspekt war bereits angeklungen, als DI indirekt (über ein Negativbeispiel, s.o.) die Anforderungen an Versicherungsvermittler dargestellt hatte. Mit der zweiten Ursache benennt er einen Aspekt, den er schon in seiner ersten Reaktion auf die anfangs formulierte Problempräsentation I7’s angedeutet hatte (vgl. wie präsentie"ren sie denn das/ , TA 6.03). Es zeigt sich hier, daß sich die Problemsichtweise des Vorgesetzten 314 Reden ist Chefsache schon sehr früh, und zwar bereits während des ersten Schubs der Problematisierung angekündigt hatte, daß durch nebengelagerte, von 17 initiierte Bearbeitungen (‘Trainings’ bzw. ‘Produkte’) deren Formulierung aber quasi verzögert worden ist. Mit der Vorstellung der komplexen Arbeitshandlung ‘Analyse der Ursachen von Defizienzen’ hat der Vorgesetzte einen Vorschlag geleistet, wie 17 die Bewältigung seines Problems angehen kann. Die Darstellung, die den Charakter einer innerbetrieblichen Instruktion besitzt, vollzieht der Vorgesetzte mit Hilfe einer rollenspezifischen ‘Definitionsmacht’ (Fiehler 1983) in bezug auf das Problem, die der Veranschaulichung seines Beispiels dient, gleichzeitig aber in hohem Maße das Image seines Gegenüber belastet. Insofern kommt er zwar den handlungslogischen Erfordernissen einer Problemlösungssuche nach, erkennt jedoch die Initiativen des Partners nicht an, mit denen dieser versucht hatte, eine wie auch immer erkennbare Defizienz in seiner Arbeitsleistung zu entschuldigen und zu rechtfertigen. Am Ende der Instruktionseinheit konstituiert der Filialdirektor mit fazitartigen Äußerungsteilen (wie geh"t=s\ * da haben se=s hier\ und ich denke daß doch was isch dabei\, Z. 195-196) den Abschluß seines (monologischen) Textmusters, was zum Entstehen einer Übergabestelle des Rederechts fuhrt. 17 versucht eine Übernahme, ja ich hab eins' (Z. 197), wird jedoch von DI sofort wieder unterbrochen. DI refokussiert einen Aspekt, der von 17 zur Wahrung von Vorteilen eingebracht worden war: und produ"kte- (Z. 198). Auch nach dem zweiten Start von 17 fährt DI in der Produktion seiner Äußerung fort, wobei er durch den ‘längeren Atem’ 17 erneut zum Abbruch zwingt (vgl. Z. 196-199). Dies ist ein typisches Beispiel dafür, wie Sprecher auf ihrem superioren Rederecht beharren können und es ggf. zur Wahrung subjektiver Bearbeitungsziele strapazieren. 289 Die Ausfüllung von Gesprächsleitungsfunktionen kann so zur Markierung sozialer Divergenz und zum Ausgrenzen des Interaktionspartners genutzt werden. (6.13) 196 DI 197 17 198 DI 199 DI 200 17 201 II K se=s hier\ ** ich denke daß doch was isch dabei\ ** ja ich hab r eins- 1 * ja ich hab grade-' L und produ"ktewenn ich heute damenkonfektionär wäre- * mhm=m/ #i würd graue #LACHEND 289 Beim Strapazieren des Rederechts oder der Redegelegenheit handelt es sich um eines der von Kallmeyer und Schmitt (1996) beschriebenen forcierenden Verfahren. Den längeren Atem zu haben, bringt allerdings „die Gefahr mit sich, daß der Sprecher die Rezeptionsbereitschaft der anderen verliert“ (Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 76). Letzteres verhindert der Sprecher im vorliegenden Fall durch den kontextuellen Anschluß an die vom Partner selbst ins Gespräch eingefuhrten produ"kte. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 315 202 II haar kriege\# LACHT 203 DI ich glaub ich tat- 1 * ja ne ich tat 204 DI viel verkau"fe\ * frau-' r * ich glaube ja\ * 205 II L j a / 206 DI (weil des sehr einfach ist/ * sehr einfach ist 207 II L wann=s halt sei müßt/ 208 DI einer frau" * ein schickes kleid zu verkaufen\ * 209 DI den mei"sten zumindest\ * denn jede dame * läßt 210 DI sich gern schmeicheln\ inspektoren/ 165 DI’s Äußerungen in dieser kurzen Sequenz können in bezug auf dominant selbstdarstellerische Funktionen betrachtet werden. DI bekräftigt seine Fachkompetenz, indem er behauptet, daß es fiir ihn ein Leichtes wäre, Damenbekleidung zu verkaufen. Durch die Fokussierung am Äußerungsbeginn (und produ"kte-, Z. 198) ist erkennbar, daß es sich hier um eine zweite Bearbeitung der Selbstdarstellung I7’s handelt, der sich als ‘guten Produkteverkäufer’ bezeichnet hatte. Gleichzeitig wird der Inspektor 17 wegen des Einstiegs der Inspektorin II in das Zwiegespräch mit DI vom Floor verdrängt. Hierbei handelt es sich um eine interaktioneile Ausgrenzung, bei der das Lexem damenkonfektionär (Z. 199) und der Blickkontakt zwischen DI und II (die ihm am nächsten und genau gegenüber sitzt 290 ) eine zentrale Rolle spielen. Der Filialdirektor expliziert, daß er Damenkonfektion (d.i. ‘Produkte’) problemlos verkaufen könnte (Z. 198-199, 203-204). Die Bedeutungen dieser Äußerungen können als gespaltene Illokution fur II bzw. 17 beschrieben werden (vgl. Abschnitt 5.2.3). Zum einen haben die Äußerungen DI’s die Charakteristik eines ‘Seitenhiebs’ auf 17. DI stellt sich als effizienten Verkäufer dar, wodurch er erneut eine gewisse fachliche Konkurrenz zu 17 etabliert. Anders die Bedeutung der Äußerungen fur II: Sie realisiert zunächst lachend einen Kommentar, i würd graue haar kriege\ (Z. 201-202), womit sie eine Verlagerung der bedeutungskonstitutiven Ebene einführt. Sie interpretiert die vorherige Äußerung des Filialdirektors als Scherz bzw. als Anlaß für einen Scherz. Der Direktor vereitelt jedoch die Konstitution einer Scherzhaftigkeit, indem er insistiert: ja ne ich tat viel verkau"fe\ (Z. 203-204). Hier ratifiziert II das Verkaufen von Damenkonfektion zumindest als Möglichkeit: wann=s halt sei müßt/ (Z. 207). Man könnte sagen, daß sich DI und II gemeinsam an einer Präsupposition etwa der Form „ein guter Versicherungsverkäufer ist potentiell auch ein guter Produkteverkäufer“ orientieren. Da II den Geltungsanspruch von DI’s Behauptung bestätigt, wird diese gewissermaßen zu einer reziprok anerkannten Darstellungsmöglichkeit für die Fähigkeiten von Versicherungsverkäufern. Nun wird aber durch die Bestätigung der Möglichkeiten oder Kompetenz des 290 Vgl. die Sitzordnung im Inspektorengespräch im Anhang I. 316 Reden ist Chefsache Versicherungsverkäufers im Produktbereich I7’s Leistungsfähigkeit als Produktverkäufer im Versicherungsbereich fragwürdig. Das selbstdarstellerische Verfahren des Direktors wirkt als ‘Bloßstellung’, insbesondere auch durch das Insistieren auf Sachlichkeit beim Formulieren einer (für 17) degradierenden Behauptung. DI begründet am Ende des oben gezeigten Ausschnitts seine Behauptung, daß Damenbekleidung leicht an Frauen zu verkaufen sei, mit der Feststellung denn jede dame läßt sich gern schmeicheln\ (Z. 209-210). Der Sprecher nimmt hier eine alltagsweltliche ‘Erfahrenheit’ für sich in Anspruch, die ihm angeblich im Verkauf besondere Vorteile verschaffen würde. Die Funktion seiner Selbstdarstellung geht an dieser Stelle über das Anzeigen einer mit seiner Berufsrolle gepaarten Fachkompetenz hinaus. Der Wechsel der lexiko-semantischen Einheit, von einerfrau" (Z. 208) zu jede dame (Z. 209), ist bezeichnend; u.a. wird damit der Eindruck eines allzu offensichtlichen Macho-Gehabes vermieden. Er verwendet ein Klischee (daß Damen bei Schmeicheleien schwach werden), um sich selbst als ‘Kavalier’ darzustellen, der die (emotionalen) Bedürfnisse von Frauen einzuschätzen weiß. Die Beziehungsdynamik in den in diesem Abschnitt dargestellten Ausschnitten läßt sich auf unterschiedlichen Ebenen beschreiben. Dazu gehören beispielsweise die Diskrepanz in der Beitragslänge, das Strapazieren der Redegelegenheit bei gleichzeitiger Ausgrenzung des bisherigen Adressaten, das Bestücken der Beiträge mit Fachvokabular (vs. die Thematisierung innerer Befindlichkeit), das Diskreditieren und Degradieren des Partners, der Rekurs auf Definitionsmacht und die Verwendung (monologischer) Interaktionsmuster der Instruktion, die die Beteiligungsmöglichkeiten des Partners einschränken. Selbst- und Fremddarstellung können in diesem Zusammenhang als komplementäres, dialektisches Begriflfspaar verstanden werden (vgl. Kallmeyer 1994, S. 25, Schwitalla 1996). D.h., daß an Äußerungen, an denen eine selbstdarstellerische Funktion als dominierend erkannt wird, immer auch gleichzeitig Kontraste zu der Person des Partners interpretierbar sind und viceversa. Dies gilt umso mehr für die Plazierung von Selbst- und Fremddarstellungen in konfliktiven Kontexten, in denen es darum geht, das eigene Gesicht zu wahren, obwohl man Defizite eingestehen muß. Genau dies ist bei 17 der Fall, da er seine explizite, positive Selbstaussage dort realisiert, wo ein von ihm selbst eingebrachter Lösungsvorschlag als unplausibel abgeschlagen wurde. Durch die Assertion, ein guter Produkteverkäufer zu sein, wird erstmals ansatzweise ein Anspruch auf Fachkompetenz konstituiert, der dann durch umfangreiche Selbstdarstellungen DI’s eine beziehungsrelevante Aufwertung bis hin zur Bloßstellung des Inspektors erfährt. Der Filialdirektor setzt gleichsam in Konkurrenz zum Inspektor einen höheren Expertenstatus durch. Die Erhöhung des Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 317 eigenen Image ist mit.einer Schädigung des Partnerimage verknüpft (Schwitalla 1996, Holly 1979, S. 82). Der Filialdirektor konterte zunächst mit einer ‘konkurrierenden’ Selbstaussage; er weicht der ‘Gefahr’ aus, eingestehen zu müssen, daß sein Partner im Verkauf etwas besser kann als er selbst. Hier kommt 17 auf seine persönliche Frustration zu sprechen, also auf einen Aspekt, der (nicht nur im Inspektorengespräch) von denkbar geringer institutioneller Relevanz ist. Die Explizierung subjektiver Sichtweisen entspricht im vorliegenden institutionellen Kontext kaum jemals den situativen Anforderungen an die Beteiligungsrolle. So ist die innere Befindlichkeit nur in ganz bestimmten Fällen ein von den Interaktionspartnem berücksichtigtes Faktum. Währenddessen operiert der Filialdirektor mit außerordentlich diversen Mitteln der Selbst- und Fremddarstellung: Er weist auf seine Befugnisse hin (Zitate vereinfacht: dafür hab ich den Herrn Kunz) und auf die Anforderungen seiner Position (ich habe einen sehr ausgefüllten Arbeitstag), er bekräftigt sein überdurschnittliches Engagement (was glauben Sie, wie oft ich zu Hause sitze und Fachliteratur lese), er stellt sich als erfahrenen Manager (heute wie vor fünfzehn Jahren analysiere ich den Status quo) und als hervorragenden Verkäufer dar (ich würde viel verkaufen), und schließlich auch als gesellschaftsfähigen Kavalier (jede Dame läßt sich gern schmeicheln). Funktionen der Fremddarstellung lassen sich in denjenigen Äußerungen DI’s interpretieren, mit denen er Anforderungen an die Inspektoren formuliert, und bei der Realisierung seiner ‘Schulungseinheit’. Dabei besteht eine gewisse Ambivalenz: Zum einen sind Inspektoren allgemein angesprochen, zum anderen jedoch (nur z.T. explizit) der Inspektor 17. Die Ambivalenz wird im wesentlichen durch die Pronominalisierungen Ich, Wir und Man erzeugt (z.B. ich kann nicht sagen, ich bin selbständig, und was in der Direktion läuft, ist eh Quatsch, wir haben mit einer Überzeugungsdarstellung fraglicher Natur zu arbeiten und man kann nicht immer nur sagen, das klappt nicht). Mit der Wir-Form referiert der Sprecher auf alle Beteiligten; Ich und Man hingegen wirken als Pro-Formen für Personengruppen distanzierend: Die ‘Adressaten’ dieser Formen können erschlossen werden, der Sprecher selbst ist jedoch nicht betroffen. Als primärer Beteiligter auf dem Floor kann 17 alle Äußerungen DI’s als Reaktionen auf seine eigenen Beiträge verstehen. Daß eine solche personenspezifische Rezeption aufrechterhalten bleibt, sichert DI stellenweise mit namentlichen Adressierungen ab (in Ihrem Fall, Herr Schmidt: keine Termine). In diesen Fällen wird die ambivalente Gerichtetheit seiner Beiträge zugunsten einer personenspezifischen Adressierung verschoben. Eine Konsequenz aus dieser Verlagerung ist, daß aus allgemeinen Anforderungen an Inspektoren eine Beurteilung von 17 wird. Er wird als Beispiel für unzureichende Bemü- 318 Reden ist Chefsache hungen auf dem Inspektorenposten dargestellt. Zu dieser Beurteilung des Inspektors tragen auch die Beiträge seiner Kollegen bei, die explizit oder implizit auf sein Nichtwissen bzw. auf seine mangelnde Identifikation verweisen (vgl. neben der Äußerung DFs entweder identifizieren wir uns ... auch die Beiträge ne ne, das weiß er nicht und wenn 's halt sein muß...). Insgesamt fuhren diese Fremddarstellungen zu einer Abwertung des verkäuferischen Könnens von 17, daß dieser im Hinblick auf handfeste Produkte aufzuwerten versucht hatte. 17 wird aus der Gruppenidentität hinausgedrängt, er wird sozial ausgeschlossen. An dieser Stelle kann man mit Blick auf das Gesamtkorpus feststellen, daß DI und 17 bereits eine relativ lange Zeit ein vorwiegend dialogisches Gespräch geführt haben, das jetzt jederzeit abgebrochen werden kann. Die Ausgrenzungsverfahren, Seitenhiebe und konkurrierenden Selbstdarstellungen DFs weisen deutlich daraufhin, daß 17’s Beteiligungsweise problematisch ist. Andere Sprecher in ähnlichen Situationen ziehen sich entweder vom Floor zurück oder starten einen unverfänglichen Themenwechsel, um einer weiteren Verschärfung des Konflikts bzw. einem Gesichtsverlust auszuweichen (z.B. Al, in ‘Bonusentlohnung’, und WL, in ‘Meister-1’). D.h., sie kündigen entweder ihre aktive Beteiligung auf, oder sie realisieren ein gesprächsorganisatorisches Kontrollverfahren, das die Etablierung eines neuen Gesprächsgegenstandes und eines anderen Handlungsschemas bewirken kann. Auch 17 steht vor dieser Option, wenn man DFs Instruktionen als expansives Lösungsdiktat versteht, mit dem die Bearbeitung der Problematisierung I7’s abgeschlossen werden soll. 6.3.3 Überstrapazieren der Problembearbeitung, Machtansprüche und Impositionen 17 startet seinen nächsten Beitrag an der ersten möglichen Übernahmestelle nach dem Zwiegespräch zwischen DI und II. Er hatte den Einstieg zweimal zu Beginn des Dialogs angesteuert (Z. 197), war jedoch von DI daran gehindert worden. Mit seinem jetzigen Beitrag provoziert er tatsächlich einen Wechsel der Aufmerksamkeitsausrichtung; allerdings stellt er eine nicht unproblematische Forderung. (6.14) 210 DI sich gern schmeicheln\ 211 17 dann hab ich vor drei woche 212 17 a"ngeregt bei herrn Ku"nz/ >äh äh äh< wo ma au des 213 17 gespräch gführt haben gell un da hab ich gsagt 214 17 mensch ich war eigentlich dankbar wenn ich so e 215 17 bissei so auch en besta"nd kriegen würde wo ich Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 319 216 17 drin was machen kann/ * #die sind dann ku"nden die K #EINDRINGLICH 217 17 berei"ts Liebenberger si"nd und die fe"schtstellung 218 17 un da auch geht kei"n weg dran vorbei die is die"# 219 17 wenn sie schon mal künden si"nd bei ner firma haben 220 17 se=s lei"chter wie wenn er noch ga”r kein künde is\ 221 17 ** LAUTES RÄUSPERN K #GEMURMEL UNTER DEN TN 222 DI das is ja sicherlich ri"chtich\ * Inspektoren/ 167 Ausgehend von dem Verweis auf ein anderes Gespräch (mit einem hier nicht anwesenden Mitglied der Direktionsleitung) fordert der Inspektor in mehr oder weniger verdeckter Form, daß man ihm Bestand übertragen solle. Dieser Beitrag des Inspektors kann im übergreifenden Kontext der von ihm selbst initiierten Problembearbeitung als eine weitere Lösungsinitiative verstanden werden. Der kontextuelle Anschluß an die Problembearbeitung wird durch die explizite Bewertung geleistet, welche Arbeit die ‘leichtere’ sei {haben se=s leichter wie wenn er noch ga"r kein künde is\, Z. 219-220). Zu der Initiative des Inspektors kann folgendes festgehalten werden: - Die Instruktionen DI’s bleiben bei der Äußerung I7’s unberücksichtigt; sie werden als Lösungsvorschlag nicht aufgegriffen, sondern es steht ihnen jetzt ein Lösungsvorschlag gegenüber, der hinsichtlich seiner Plausibilität überprüft werden kann. Geht man davon aus, daß DI einen Abschluß des Handlungsschemas anvisiert hatte, so insistiert 17 in beharrlicher Weise auf der Bearbeitung des Problems. Er überstrapaziert dessen Relevanz für die laufende Interaktion. - Wie im ersten Fall einer Lösungsinitiative, als er Seminare gefordert hatte, verallgemeinert er auch hier im Rahmen seiner Legitimierung sein Problem (u.a. durch die Pronominalisierung in haben se=s leichter, Z. 219-220). Im Unterschied zur Bewertung der Seminare bemüht sich der Sprecher hier offensichtlich darum, sachlich zu erscheinen. Zu den Legitimierungsmitteln zählen insbesondere die fachsprachlichen Vokabeln ‘Bestand’, ‘Kunde’ und ‘Firma’ und das Nennen des Firmennamens ‘Liebenberger’ als soziales Identifizierungssignal. - Die Übertragung von Bestand an einen Inspektor setzt die unbedingte Loyalität des Inspektors voraus (denn wenn er die Gesellschaft verlassen sollte, besteht für diese das Risiko, mit ihm einige ihrer Bestandskunden zu verlieren). 17 fordert also eine Leistung (ein Vertrauen) seitens der Gesellschaft, die angesichts der Tatsache, daß im voraufgegangenen Kontext sein Leistungs- und Identifizierungsdefizit explizit angeklungen ist, unangemessen erscheinen kann und muß. 291 291 Diese Forderung ist u.a. problematisch, weil es ja gerade für einen ‘Neuling’ in diesem Gewerbe eine gleichsam existenzielle Aufgabe ist, sich einen Bestand selbst zu erarbei- 320 Reden ist Chefsache - Der Inspektor konstituiert durch markante Akzentuierungen, eindringlichen Tonfall und ein leichtes Anheben seines Standards einen emphatischen Sprechstil («EINDRINGLICH die sind dann ku"nden die berei"ts Liebenberger si"nd und die fe"schtstellung un da auch geht kei"n weg dran vorbei die is die"« [...], Z. 216-218). Er bekräftigt mit einer selbstdarstellerisch wirksamen Funktion, die Arbeit mit unterschiedlichen Kundengruppen einschätzen zu können. Allgemein könnte gesagt werden, daß der Inspektor die Verantwortung für sein Problem erneut auf unzureichende Voraussetzungen für seine Arbeit verlagert, ähnlich wie er dies mit der Kritik an den Schulungen gemacht hatte. Die aus der Initiative des Inspektors resultierenden Handlungsimplikationen für den Filialdirektor sind von außerordentlich komplexer Art. Neben der Überprüfung der Plausibilität der Lösungsinitiative (z.B. ein Nachfragen bei den Kollegen, vgl. TA 6.04) könnte auch eine Überprüfung der Legitimität der Forderung erwartet werden, eine Darstellung organisatorischer Modalitäten etc. Auf die Initiative von 17 folgt ein expansiver Turn von DI, in dem er sowohl darauf eingeht, welche Voraussetzungen und Konsequenzen mit dem Übertragen von Bestand Zusammenhängen, als auch darauf, wie er die Beurteilung da haben se=s leichter einschätzt. Zunächst richtet er seine Reaktion an alle Inspektoren, was eine Übernahme der Fokussierung mit der (von 17 gemutmaßten) verallgemeinerten Betroffenheit erkennbar werden läßt, bzw. wodurch erneut eine Ambivalenz bei der Adressierung entsteht (je"der von ihnen je"der\, Z. 224). Sein Beitrag beginnt mit einer Zustimmung: das is ja sicherlich ri"chtich\ (Z. 222). Es handelt sich hier um eine typisch pauschalisierende Zustimmung, die einen adversativen Anschluß projiziert und zugleich eine Distanzierung von den Bearbeitungsaufgaben in dieser Situation signalisiert (vgl. Abschnitt 5.2.11). (6.15) 221 17 K 222 DI 223 DI 224 DI K 225 DI 226 DI 227 DI ** LAUTES RÄUSPERN #GEMURMEL UNTER DEN TN das is ja sicherlich ri"chtich\ * also nummer eins muß man sagen sie' * das is aber auch glaub ich bekannt\ ** je"der von ihnen je"der\ # * darf zu mir oder zu herrn Kunz * ko"mmen/ * und sagen ich hätte gerne-' * besta"nd kriegen se kei"nen übertragen des sag ich ihnen jetz schon\ * ten. Nicht zuletzt ist der Beitrag, den die Inspektoren für die Gesellschaft leisten, indem sie Bestand aufbauen, von größter Wichtigkeit für ihr Ansehen, ihr Einkommen und ihre Karriere. Ein eigener, großer Bestand kann zur Übertragung von regionalen Rechten fuhren, wie sie beispielsweise die Bezirksleiter besitzen. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 321 228 DI aber sie kö"nnen kommen und können zu mir sagen ich 229 DI hätte gerne zeh: n bestandskunden oder zwa"nzich 230 DI bestandskunden pro wo"che\ * die kriegen sie\ 231 17 >mhm-< 232 DI dann machen sie mir von je”dem bestandskunden einen 233 DI * besu"chsbericht natürlich\ * weil ich ja sehen 234 DI will daß sie auch do"rt waren\ * wenn ich ihnen so 235 DI nen künden geb\ * und wenn des erfo"lgt isch 236 DI bekommen se den künden sogar in ihren bestand 237 DI übertra: gen\ * auch das is kein problem nur gehen 238 DI se davon aus/ * dieser künde hat viellei"cht * 239 DI bedarf/ ** aber er hat schon etwas bei uns * 240 DI plaziert\ ** aber das können sie haben\ nur werd K #GESPRÄCH IM HINTERGRUND 241 DI ich sie dann aber ga"nz * konkret * in die K # 242 DI Verpflichtung nehmen/ * bei zehn oder zwanzich 243 DI künden daß sie mir dann montags die entsprechenden 244 DI berichte liefern wie es so gelaufen is\ * kein Inspektoren/ 167 In diesen Äußerungsteilen fallen einige ja-aber-Konstruktionen auf, mit denen DI der Forderung von 17 zwar entgegenkommt, diese jedoch an bestimmte Konditionen knüpft. Bei einer dieser Konstruktionen wird z.B. im aber-Konnekt die Anzahl der zu erhaltenden Bestandskunden und der relevante Zeitraum eingegrenzt (vgl. Z. 224-230). Interessant ist innerhalb dieser Konstruktion der Abbruch nach und sagen ich hätte gerne-' (Z. 226) und die unmißverständliche Zurückweisung von I7’s Forderung im folgenden: besta"nd kriegen se kei"nen übertragen des sag ich ihnen jetz schon\ (Z. 226-227). Der Sprecher realisiert hier offensichtlich einen Neuansatz seiner Konstruktion, um die Nachvollziehbarkeit seiner höher gewichteten Einschränkung (ze.hn bestandskunden oder zwa"nzich bestandskunden pro wo"che\, Z. 229-230) abzusichern. (Die Stärke des Akzents auf wo"che wird im Transkript nur angedeutet. Tatsächlich handelt es sich hier um einen sehr starken Akzent, der die Relevanz der Einschränkung umso deutlicher macht.) Eine andere wichtige ja-aber-Konstruktion ist auch das ist kein problem nur gehen se davon aus/ * dieser künde hat viellei"cht bedarf/ ** aber er hat schon etwas bei uns plaziert (Z. 237-240). Mit der Formulierung das ist kein problem nur wird bereits projiziert, daß die Arbeit im Bestand eben doch problematisch sein kann. Dieselbe bedeutungskonstitutive Funktion ist mit dem Akzent auf viellei "cht und mit der Feststellung verknüpft, daß diese Kunden zumindest einen Teil ihres Bedarfs längst gedeckt haben. Insgesamt kann man festhalten, daß DI zum einen eine Übertragung von Bestand grundsätzlich für möglich hält, aber an ‘starke’ Bedingungen bindet (besu"chsbericht, Z. 233; ga"nz konkret * in die Verpflichtung nehmen, Z. 241-242; montags die entsprechenden berichte liefern, Z. 243-244). Diese 322 Reden ist Chefsache Bedingungen haben klar erkennbar den Charakter eines Risikos für den Inspektor, scharfe Kritik bei Nichterfolg einstecken zu müssen. Zum anderen wird deutlich, daß DI die Plausibilität des ‘Lösungsvorschlags’ von 17 nicht anerkennt. Arbeit im Bestand könnte sogar schwieriger sein, weil DI sie noch kritischer als die Akquisition im Nichtbestand beurteilt. Im folgenden Äußerungsteil verlagert DI den Fokus seiner Ausführungen und listet Sachverhalte auf, die Gegenstand der von ihm so bezeichneten ‘Überzeugungsarbeit’ sein können (vgl. TA 6.08). Er wechselt zum Pronomen Wir, was die Darstellung (hier) als allgemeine Charakterisierung akquisitorischer Tätigkeit und als identitätskonstituierenden Beitrag kennzeichnet. Mit den folgenden Gegenständen nennt DI zentrale Bereiche der Produktpalette der Versicherung: Krankenversicherung, vorzeitiges Ruherisiko (Arbeitsunfähigkeits-Versicherung), Versorgung der Kinder, Baufinanzierung und Altersversorgung: (6.16) 244 DI 245 DI 246 DI 247 DI 248 DI 249 DI 250 DI 251 DI 252 DI 253 DI 254 DI 255 DI 256 DI 257 DI 258 DI 259 DI 260 DI K 261 DI K inspektoren/ 168 berichte liefern wie es so gelaufen is\ * kein proble"m\ * unsere aufgabe ist eben * äh: * leute zu überzeugen *1,8* da"ß sie * im krankenversicherungsbereich * sicherlich Versorgungslücken haben\ daß sie * im alters * hinterbliebenen * und vorzeitigen renten ruhe * risiko *1,5* gro"ße probleme haben\ * daß vielleicht ihre kinder ne vernünftige ** äh: * Versorgung bekommen/ * zur hochzeit hin zur ausbildung hin/ * da”ß ** eventuell * wenn bau"gedanken da sind oder der bauwu"nsch gehegt wird die * richtung für die baufinanzie"rung gestellt wird da"ß in betrieblichen altersversorgungs*bereichen en Standbein durch die fi"rma plaziert wird- * alle diese dinge\ * und das ist sehr viel schwe"rer da geb ich ihnen recht herr Schmidt/ * als wenn ich ihnen diesen Stuhl #DI STEHT AUF; ZEIGT AUF SEINEN verkaufen müßte\ * da laß ich se drau"fsetzen\ den STUHL; FÜHRT IHN VOR Mit der Auflistung dieser Versicherungsbereiche konkretisiert der Sprecher, worin der Bedarf von Kunden besteht. Er spricht jedoch hier nicht mehr ausschließlich von der Arbeit im Bestand, sondern von der verbalen Akquisitionstätigkeit im allgemeinen: unsere aufgabe ist eben * äh: * leute zu überzeugen (Z. 245-246). Am Ende des Ausschnitts ist mit der zusammenfassenden Formulierung alle diese dinge\ (Z. 258) erkennbar, daß DI diesen Teil seiner Sachverhaltsdarstellung abschließt. Er läßt einen jetzt namentlich an 17 adressierten - Vergleich folgen, der u.a. eine Bewertung der dargestellten Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 323 Akquisitionstätigkeit enthält: und das ist sehr viel schwerer da geh ich ihnen recht herr Schmidt/ * als wenn ich ihnen diesen Stuhl verkaufen müßte\ (Z. 258-261). Der Vergleich besteht darin, daß es leichter sei, einen Stuhl zu verkaufen als die Produkte der Versicherung. Der Sprecher nimmt hier also nicht unmittelbar bezug darauf, daß es leichter sei, im Bestand zu arbeiten, sondern auf die Charakteristik firmenspezifischer Produkte. Hatte er zuvor die Fokussierung von den Modalitäten der Bestandsübertragung hin zu den Gegenständen von Verkaufsgesprächen verlagert, so geht er hier noch einen Schritt weiter, indem er seine Prädikation indirekt in bezug auf 17’s Probleme mit Produkten kontextualisiert - Probleme, die im voraufgegangenen Makrokontext explizit genannt wurden. Das Verfahren, die Aussagen des Interaktionspartners zu ratifizieren (da geh ich ihnen recht, Z. 259), ist hier ein rhetorisches Steuerungsmittel, mit dem der Sprecher einem frühzeitigen Einspruch des anderen entgegenwirkt, indem er ihn zunächst bestätigt, dann aber die partnerseitigen Aussagen zur Darstellung der eigenen Ziele uminterpretiert. Es handelt sich um das klassische Verfahren, den anderen beim Wort zu nehmen, um sein Argument gegen ihn selbst zu richten (vgl. Abschnitt 5.2.13; vgl. hierzu auch Kallmeyer und Schmitt 1996, S. 64f). (6.17) 258 DI 259 DI 260 DI K 261 DI K 262 DI 263 DI K 264 DI 265 DI 266 DI 267 DI 268 DI 269 DI 270 DI 271 DI 272 DI 273 DI 274 II 275 DI K 276 DI 277 DI 278 DI 279 DI fi"rma plaziert wird- * alle diese dinge\ * und das ist sehr viel schwe"rer da geb ich ihnen recht herr Schmidt/ * als wenn ich ihnen diesen Stuhl #DI STEHT AUF; ZEIGT AUF SEINEN verkaufen müßte\ * da laß ich se drau"fsetzen\ den STUHL; FÜHRT IHN VOR laß ich se beta"sten\ * besi"tzen\ * >im wahrsten sinne des wortes/ < und dann haben se=s seh"r viel SETZT SICH WIEDER# leichter * das zu verkau"fen\ * das wird nur wesentlich schlechter bezahlt\ des muß ich ihnen auch dazu sagen\ * nämlich das was wir tu"n * ist ja keine * tätigkeit die wie ich meine jeder mann machen kann\ * die fordert den ganzen ma"nn/ * oder die ganze frau"/ * und wenn das eben * auf dau”er * nicht hinhaut/ * dann stellt man fest/ * das ist aber au"ch kein beinbruch/ * daß man einfach nicht zunander paßt\ * jede dritte ehe wird geschieden\ r ** (>hin und wieder-<) gut und so L jede zweite heute\ wird man' * #so scheidet man sich au"ch mitunter #LAUT mal geschä"ftlich\# wenn derjenige feststellt halt die Liebenberger die pa"ßt ja gar net zu mir/ was die da * be"treibt/ ve"rtreibt/ in welcher form sie vo"rgeht * ist nicht meine weit/ * steig ich aus/ 324 Reden ist Chefsache 280 DI #oder wi"r stellen fest\ * der mi"tarbeiter paßt K #3EHR LAUT 281 DI ja gar net zu uns\ * kein beinbruch steigen wer 282 DI au"s\# * des ist doch * äh * a"lltag\ * des is 283 DI alltag\ ** und mi"r wäre es-' * >oder mir is'< 284 DI mir i"s=es ganz angenehm wenn u"nsere fluktuation * 285 DI illusorisch auf null komma null wäre\ inspektoren/ 169 DI führt den Hörem seinen Stuhl vor, indem er Details anspricht, die in Gesprächen mit dem Ziel des Stuhlverkaufs benutzt werden könnten (drau "/ setzen, beta"sten, besetzen, Z. 261 bzw. 262). Dadurch wird die weiträumige Kontextualisierung in bezug auf I7’s explizit ausgedrücktes Verlangen weitergefuhrt, beim Verkauf was in der ha"nd zu haben (vgl. TA 6.03). Durch die Produktspezifik wird außerdem ein relevanter Kontrast zu den Gegenständen des Akquisitionsgesprächs hergestellt, die der Filialdirektor zuvor genannt hatte. Indem DI die Konstitution dieses Kontrastes einer für die Gruppenidentität förderlichen Darstellung folgen läßt, wird 17 erneut aus der Gruppe ausgeschlossen. Gleichzeitig leistet DI durch verbale wie nonverbale Handlungen einen selbstdarstellerischen Beitrag, indem er verkäuferische Fähigkeiten signalisiert, die er durch eine aufwendige Körpersprache unterstützt. Im folgenden paraphrasiert der Sprecher abschließend den evaluativen Vergleich der beiden je produktspezifischen Verkaufstätigkeiten (und dann haben se=s seh"r viel leichter * das zu verkau"fen\, Z. 263-264), schränkt den Nutzen der zweiten jedoch unmittelbar anhand eines existenziellen Kriteriums ein (das wird nur wesentlich schlechter bezahlt\, Z. 264-265). Er formuliert den Anspruch der Vermittlertätigkeit in prägnanter Form (die fordert den ganzen ma"nn/ , Z. 268) und signalisiert schließlich, was die letzte Konsequenz von mangelnder Identifizierungs- und Arbeitsleistung ist: und wenn das eben * auf dau"er * nicht hinhaut/ * dann stellt man fest/ * das ist aber au"ch kein beinbruch/ * daß man einfach nicht zunander paßt\ * jede dritte ehe wird geschieden\ (Z. 269-272). Der Gedanke, daß man nicht ‘zueinander passen’ könnte, wird in der Folge sowohl aus der Sicht des Angestellten, als auch aus der Sicht der Direktionsleitung reformuliert. Während des gesamten Äußerungsteils (vgl. ab nämlich das was wir tu"n [...], Z. 266) nimmt der Sprecher den Adressaten aus seiner Formulierung heraus; dennoch ist der primäre Hörerstatus des Inspektors 17 gewährleistet, etwa durch die Vorführung des Stuhls als handfestes ‘Produkt’ und die zuletzt geleistete Adressierung (haben se=s seh"r viel leichter, Z. 263-264). Die expliziten Darstellungen der geschäftlichen Scheidung (Z. 272), des Nicht-zueinander-Passens (Z. 280-281), des Ausstiegs (Z. 281-282), sind Metaphorisierungen oder tabuisierende Formen für die Kündigung, die DI dem Inspektor 17 hier unmißverständlich nahelegt, bzw. auf deren Ausspre- Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 325 eben er sich gefaßt machen soli. Die Vermeidung der persönlichen Adressierung sowie der Vokabel ‘Kündigung’ könnten bei aller Brisanz dieser Handlungen die Funktion haben, die Schärfe dieses offenen Angriffs zu mildem. Andererseits verleihen die verwendeten Metaphern der Drohung den Charakter einer alltäglichen Begebenheit. Dieselbe Funktion wird durch trivialisierende Partikeln und bestimmte Floskeln bestärkt {eben, Z. 269; einfach, Z. 271; ja, Z. 277 und 281; kein beinbruch, Z. 271 und 281; mitunter mal, Z. 275-276; des is alltag, Z. 282-283). Mit der Trivialisierung der eventuell notwendig werdenden Kündigung signalisiert der Sprecher nicht nur seine hierarchische Befugnis und quasi die letztmögliche Konsequenz aus seiner Macht gegenüber unfähigen Mitarbeitern, sondern er verweist implizit auch auf seine sofortige diesbezügliche Handlungsbereitschaft. Im letzten Ausschnitt, der in diesem Kapitel betrachtet werden soll, meldet sich DB zu Wort, der sich insgesamt nur selten am Gespräch beteiligt, der als Innendienstmitarbeiter aber durchaus über einige Erfahrungen mit den Inspektoren verfugt. Er erfragt bei 14 (Herrn Braun) dessen Erfahrungen mit der Arbeit mit Bestandskunden: herr Braun- * ist des einfacher im besta"nd zu arbeiten oder * mit gleichbleibenden kunden\ (Z. 292-293). Das, was in der Reaktion DFs auf I7’s Forderung nur angedeutet worden war (vgl. Z. 237-240), wird von 14 nun expliziert: Die Arbeit im Bestand kann genau entgegen der Meinung von 17 auch schwer sein: also ich persönlich find=s * ziemlich schwer im bestand zu arbeiten\ (Z. 294-295). Wie im Zwiegespräch zwischen DI und II wird die Charakteristik eines Seitenhiebs auf 17 deutlich (vgl. Z. 198-204). (6.1 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 DI illusorisch auf null komma null wäre\ K #11 LACHT LEICHT# DI des werden wer nie scha"ffen aber wir sind glaube DI ich von der fluktuationszahl sehr * gut\ * wir DI schauen gu"t aus\ wir haben * ni"cht so=n DI großartigen Wechsel bezogen * vielleicht auf andere DI gesellschaften oder direktionen\ bei uns K #DB HEBT DIE DI funktioniert des recht gut\ * #herr von Erden/ # K HAND # #LEISE DB #herr Braun-# * ist des einfacher im besta"nd zu K #ZU 14 DB arbeiten oder * mit gleichbleibenden kunden\ * 14 also ich persönlich find=s * ziemlich schwer im 14 bestand zu arbeiten\ r dann II L ich tat des net\ 14 bleibt=s einfach' gut weil die leute schon auf 14 ihren' * auf ihren * früheren * betreuet fixiert 14 sind/ * und in dem gewissen sinn auch ziemlich 14 verschlossen sind\ ** und ich persönlich hab wirklich 326 Reden ist Chefsache 301 14 302 14 303 14 304 14 305 DB 306 14 307 14 308 II K 309 14 310 14 311 14 312 14 313 DI 314 X 315 DI 316 II 317 17 318 DI 319 DI 320 DI 321 DI meh"r schwierichkeiten oder * ich brauch viel viel mehr zeit bei * besta"ndskunden/ * es kommt im endeffekt relativ wenich bei raus als wenn ich zu nem neuen künden geh\ r * weil da kann ich nach ner L mhm\ halben stunde Sachen okay ich hab=s vertrauen oder ich hab=s net\ r und bei dem L #kann ich au verstehe\# #SEHR LEISE bestandskunden muß ich=s im prinzip muß i halt über diesen-' * >er is en (...)< künde und brau"ch sein ansprechpartner\ und da hab ich=s * bedeutend schwerer\ ** Schmidt- r laß mer=s da mal stehn\ ** herr L und der neue künde/ * weil i-' * soll ma nix sagen\ * ( ) ne: \ kann nur ei"ns sagen dazu ich' ich' * grad bei ih"nen\ * grad bei ihnen\ es is so so äh' ** man kann' sie haben einen i"rrsinnich großen * bekanntenkreis\ inspektoren/ 170 Die Antwort des Inspektors 14 auf die Frage von DB enthält bezeichnenderweise einige lexiko-semantische Einheiten, die im vorliegenden institutioneilen Rahmen eine hohe Relevanz besitzen, z.B. die Vokabel betreuer (Z. 298, vgl. auch sein ansprechpartner, Z. 311), die Feststellung, viel viel mehr zeit zu brauchen, obwohl am Ende wenich bei rcms[kommi] (Z. 301-302), und v.a. die Tatsache, bei neuen Kunden relativ schnell zu wissen, okay ich hab=s vertrauen oder ich hab=s net\ (Z. 306-307). 292 Die Arbeit im Bestand ist, so die abschließende Evaluierung von 14, bedeutend schwerer\ (Z. 312-313). Das Präsentieren von Wissensvorräten, die zwar aus dem eigenen Arbeitsbereich stammen, für die Institution aber einen globalen Stellenwert besitzen, ist ein typisches Kennzeichen von Legitimierungen. In diesem Falle handelt es sich um eine Legitimierung einer Begründung der von 14 vollzogenen, vergleichenden Bewertung der Arbeit mit zwei unterschiedlichen Kundenkategorien. Das Fazit der Befragung von 14 ist, daß die Legitimierung der Forderung nach Bestandskunden seitens 17 hinsichtlich ihrer Gültigkeit in starken Zweifel gezogen ist und daß dessen Vorschlag zur Lösung seines Problems einer Überprüfung der Plausibilität nicht standhält. 17 wird nachträglich in starkem Maße diskreditiert, zumal die Inspektorin II sich den Ausführungen I4’s zweimal be- 292 Vgl. zu der Relevanz dieser Subfokussierungen im außersprachlichen Handlungskontext von Versicherungen auch die Diskussion des Beispiels in Abschnit 5.2.14. Dort hatte ein Bezirksleiter den Wunsch, Kunden ‘persönlich zu betreuen’, als Rechtfertigung durchsetzen können. Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 327 stätigend anschließt (ich tat des net\ und kann ich au verstehe\, Z. 296 bzw. 308). Betrachtet man I4’s Antwort im Vergleich mit den Äußerungen I7’s, so fällt auf, daß letzterer bei der Legitimierung seiner Initiativen auf dieses fachsprachliche Vokabular nicht oder nur eingeschränkt zurückgegriffen hat. Dies ist ein entscheidender Aspekt, der u.a. die Nichtakzeptanz seiner Beiträge seitens DI erklären kann. 17 bringt den verkäuferischen Erfahrungshorizont nicht ein, so wie 14 dies tut. Er startet zwar Bewertungen, kann diese aber im institutionellen Rahmen nicht legitimieren. Der von DI geäußerte Satz laß mer=s da mal stehn\ (Z. 313) läßt 14 in der Formulierung einhalten. DI markiert mit einer metakommunikativen Formulierung das Ende der Bewertung der Arbeit mit unterschiedlichen Kundengruppen und gibt gleichzeitig zu verstehen, daß 17’s Lösungsvorschlag endgültig zurückgewiesen ist. Zu der in diesem Abschnitt betrachteten Äußerung I7’s und der darauf folgenden Reaktion DFs, die in einer Drohung mit der Kündigung endet, kann zusammenfassend folgendes festgehalten werden: 17 plaziert seine Initiative nach einer ausführlichen Darlegung seitens DI, wie der Inspektor sein Problem angehen und lösen könne. Darin war auch eine Definition des Problems enthalten, die die Sichtweise des Filialdirektors unmißverständlich wiedergibt. Nach diesem Lösungsdiktat hätte 17 ein Zeichen guten Willens äußern können, um einer weiteren Verschärfung des Beziehungskonflikts aus dem Wege zu gehen, bzw. er hätte den Lösungsvorschlag von DI ratifizieren müssen. Er startet jedoch einen (subordinierten) Themenwechsel, indem er den Wunsch nach Bestandsübertragung ausdrückt und diese Initiative gleichzeitig damit legitimiert, daß sie einen alternativen Vorschlag zur Lösung seines Problems darstellen könnte. Man kann dies zunächst als eine Überstrapazierung der Problembearbeitung ansehen. Vorgesetzte neigen dazu, solche Initiativen (nach einem von ihnen formulierten Lösungsdiktat) pauschal zurückzuweisen oder ggf. ganz zu ignorieren. Auch bei DI sind Anzeichen einer Pauschalisierung festzustellen. Hinzu kommt jedoch, daß die Bestandsübertragung auf einem ungetrübten Vertrauensverhältnis basiert und daß sie für den solchermaßen geforderten Mitarbeiter einen Zugewinn an Macht bedeuten würde. Diese Tatsache führt letztendlich dazu, daß I7’s Forderung eine Demonstration hierarchischer Macht provoziert, als Konsequenz ungenügender Identifizierung I7’s mit der Firma und ihrem Produkt, wegen mangelnder Leistungen und schließlich aufgrund eines als vermessen interpretierten Anspruchs: Der Inspektor ist für eine solche Machtübertragung nicht geeignet. DI greift bei der Realisierung seines Turn auf einige Foki aus dem voraufgegangenen Kontext zurück, so z.B. die Gegenstände des Akquisitionsgesprächs in Versicherungen und in industriellen Unternehmen, die ‘Empfindlichkeit’ des Inspektoren (die Lie"benberger paßt ja gar net zu mir/ was die da be"treibt/ 328 Reden ist Chefsache ve"rtreibt/ [...] ist nicht meine weit/ * steig ich aus/ , Z. 277-279), die Anforderungen der Vermittlertätigkeit (die fordert den ganzen ma"nn/ , Z. 268) und die Defizienz in der Akquisition (wenn das eben * auf da"uer * nicht hinhaut/ , Z. 269-270). Sein Beitrag erhält dadurch den Charakter einer komplexen, zusammenfassenden Evaluierung der bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Problembearbeitung. 6.4 Zusammenfassung Die Verlaufsanalyse hat gezeigt, daß sich die Problemsichtweise seitens des Vorgesetzten außerordentlich früh ankündigt und in unterschiedlicher Form im gesamten Verlauf der Interaktionsphase erkennbar wird. Die Problemsichtweise erfährt dabei keine wesentliche inhaltliche Veränderung. Gleichwohl wird sie durch andere Aspekte ergänzt. Darunter sind die defizienten Ertrags- und Identifizierungsleistungen des Inspektors die wichtigsten Gesichtspunkte. Die Verlaufsanalyse bestätigt die Einsicht von Nothdurft (1984), daß „kein ‘Stück’ des präsentierten Problems von Aushandlungsprozessen unberührt bleibt und daß es aufgrund der asymmetrischen Relation der Beteiligten zu einer Vielfalt an Turbulenzen [...] und konfliktären Verläufen kommt“ (Nothdurft 1984, S. 117). Bei den Mitteln der Selbst- und Fremddarstellung verfugt der Vorgesetzte über ein weitaus größeres Repertoire als sein Gegenüber. Der Inspektor stellt sich selbst als ‘guten Produkteverkäufer’ dar und indirekt als Neuling, dem es an Schulung, geeigneten Verkaufsobjekten und Adressenmaterial mangelt. Er umgeht damit ein Eingeständnis von Schuld an seiner mangelnden Ertragsleistung und versucht gewissermaßen, den Status aus seiner früheren Tätigkeit als Produkteverkäufer uneingeschränkt und zu seinem eigenen Vorteil in den vorliegenden institutionellen Kontext zu übertragen. DI erkennt die Kategorie ‘Neuling’ mit Verweis auf die Beschäftigungsdauer des Inspektors nicht an. Dessen Statusanspruch weist er zurück, indem er sich selbst als (mindestens) ebenso effizienten Produkteverkäufer wie 17 darstellt und damit auf eine Präsupposition rekurriert, die I7’s Versagen als Versicherungsverkäufer bloßstellt. Hinzu kommt, daß I7’s Problem als ‘Fall’ behandelt wird, der in krassem Gegensatz zur idealen Verkaufskompetenz steht. 17 wird damit (nicht nur durch die Beiträge von DI) zum Einzelfall am Rand der Gruppenidentität, zum Negativbeispiel. Der Zusammenhang von interaktioneller Ausgrenzung und den Mitteln der Selbst- und Fremddarstellung, der anfangs angesprochen wurde, kann so verstanden werden, daß dem vom Floor verdrängten Sprecher die Möglichkeit genommen wird, im Publikum nach Bestätigung zu suchen: Es wird ‘über seinen Kopf entschieden; die Ausgrenzung kann so mit einer Gefährdung des Image, mit einer Einschränkung der Beteiligungs- und Iden- Beziehungsdynamik im interaktiven Prozeß 329 tifizierungsmöglichkeiten und insgesamt mit einem sozialen Ausschluß einhergehen. Von den Äußerungen I7’s können vier als Eröffnungen subordinierter Sequenzen verstanden werden: das Verlangen nach Seminaren, das Thematisieren der Produktspezifik, das Refokussieren seiner ‘Empfindlichkeit’ und der Wunsch nach Bestandsübertragung. Die Konstitution eines subordinierten sequenziellen Verlaufs geschieht dabei regelmäßig im Zusammenwirken mit DI. Ist die erste der vier Initiativen noch mit einem gesteigerten Partizipationsanspruch verbunden (Evaluierung der firmeneigenen Seminare), so steht bei der zweiten und dritten der Versuch der Imagewahrung (positive Selbstdarstellung bzw. Entschuldigung) im Vordergrund, und bei der vierten ist schließlich der Versuch einer Steigerung der positionenspezifischen Macht (Bestandsübertragung) interpretierbar. Alle vier Handlungsschritte können als Ansätze zur Problemdefinition bzw. zur Lösungssuche und somit als Bestandteile eines übergeordneten Handlungskomplexes ‘Problembearbeitung’ gesehen werden. Da sie aber z.T. in hohem Maße relevante Aspekte des Versicherungsunternehmens als Fokussierungen einbringen (v.a. ‘Seminare’ und ‘Bestand’), ist der Vorgesetzte gezwungen, auf die mit ihnen verknüpften Forderungen einzugehen, bevor er sie als Problemlösungsinitiativen behandelt. Kennzeichnend für die Beteiligungsweise des Inspektors ist diese fordernde Charakteristik seiner Initiativen und ferner auch deren Plazierung. Er neigt dazu, Fragen zu überhören oder nur andeutungsweise zu beantworten, auf explizite Ratifizierungen zu verzichten und mit Fokuswechseln Bearbeitungsgegenstände in den Hintergrund zu drängen, die mit imagebedrohenden Aspekten verknüpft sind (z.B. nach Diskreditierungen, Metakommentaren und Seitenhieben). DI stimmt den Beiträgen des Inspektors günstigstenfalls pauschalisierend zu. Sehr häufig reagiert er mit Verfahren, die ihre Relevanz für die Bearbeitung von I7’s Problem zurückstufen. Gleichzeitig stellt er sicher, daß die Glaubwürdigkeit einer wie auch immer interpretierbaren Kritik am Unternehmen in Frage gestellt wird. Insgesamt wird es deshalb für 17 sehr schwierig, sein Gesicht zu wahren. Die von DI angewandten Verfahren rhetorischer Steuerung und Kontrolle sind außerordentlich vielfältig: Er deutet Äußerungen des Inspektors um und tauscht Bearbeitungsziele aus; er wertet Äußerungen auf der metakommunikativen Ebene ab; er drängt den Inspektor vom Floor, wenn es darum geht, den Nachweis fehlender Plausibilität von Lösungsvorschlägen zu erbringen; er degradiert ihn tendenziell aufgrund einer Darstellung von Verkäuferanforderungen und -qualitäten, die der Inspektor nicht besitzt; er ignoriert Fokussierungen seiner inneren Befindlichkeit; er diskreditiert ihn durch ein Zurückstufen der Geltungswerts seiner Assertionen, und schließlich rekurriert er explizit auf seine hierarchische Befügnis, um Machtansprüche zurückzuweisen. Die Zuspitzung des Konflikts bis hin zur Kündigungsandrohung 330 Reden ist Chefsache erklärt sich allgemein aus einer fast naiven Beharrlichkeit des Inspektors, der die Problemlösungsinitiativen des Direktors kaum berücksichtigt und den Anspruch erkennen läßt, den Stellenwert seines Problems und die institutioneilen Rahmenbedingungen, die eine Lösung ermöglichen, besser als dieser beurteilen zu können. 7. Fazit: die Verwendbarkeit des methodischen Apparats Mitarbeiterbesprechungen sind Formen des kommunikativen gesellschaftlichen Verkehrs in unternehmerischen Organisationen. In Mitarbeiterbesprechungen finden sich institutionell und sozial-historisch sedimentierte Normalformerwartungen durch die Produktions- und Interpretationsleistungen von Beteiligten an der Oberfläche des Diskurses kristallisiert. Soziale Strukturiertheit kann hier anhand indexikalischer Phänomene im Diskurs zum einen als vorgegebene, zum anderen als im Entstehen begriffene Konstellationen sozialer Teilnehmeridentitäten beschrieben werden. Hierarchie, Zielorientiertheit und die kontrollierte Koordination der Kommunikation bilden Grundbestandteile des reziproken Bezugsrahmens, auf den hin die Teilnehmer an Mitarbeiterbesprechungen ihre Beteiligung orientieren. Diese und viele weitere Handlungs- und Wissensgrundlagen für die Beteiligung an Arbeitsgesprächen sind entscheidend von Asymmetrien unterschiedlicher Charakteristik geprägt. Die Asymmetrien sind vielschichtig und miteinander verwoben. Möchte man die soziale Tragweite partikulärer Ereignisse in einem Arbeitsgespräch verstehen, so kommt man nicht umhin, das sich situativ herausbildende Gefüge asymmetrischer Beteiligungsbedingungen im Detail zu untersuchen. Nur auf solche Weise gelangt man zu einer Interpretation, die die Indikatoren für gesellschaftliche Formation im Gespräch zu erklären imstande ist. Die Indikatoren für gesellschaftliche Formation (für die ‘gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit’) sind ebenso vielgestaltig wie die Asymmetrien, auf die sie verweisen. Die Methodik der Gesprächsanalyse muß sich in der Auswahl ihrer Mittel einem entsprechend diversifizierten Bedarf anpassen. Um z.B. die Gesprächsleitungsfünktionen eines Teilnehmers zu erklären, reichen die Grundregeln des Turn-taking (Sacks et al. 1974) nicht hin; die Soziolinguistik ist für das Verständnis betriebsorganisatorischer Koordination im Unternehmen auf das Konsultieren von Bezugswissenschaften angewiesen. Die Methodik der Gesprächsanalyse besitzt ein grundlegendes Merkmal darin, daß sie sich an rekurrenten Phänomenen im Gesprächsdiskurs ausrichtet (Kallmeyer 1988). Die Analyse dieser Daten mit Blick auf gesellschaftliche Formation kann mit Hilfe soziolinguistischer Mittel erfolgen. Diese benötigen aber schon z.B. bezüglich eines strukturellen oder formalen Aspekts der Gespräche im Korpus (z.B. das Turn-taking) interpretationsleitendes Kontextwissen, gerade wenn die Teilnehmer sich gut kennen, wenn ihr Zusammentreffen einer Institutionalisiertheit unterworfen ist und wenn die Gestaltung ihrer Lebenswelt stark von dem beeinflußt werden kann, was sie im Gespräch tun oder nicht tun. Die Analysen in der vorliegenden Arbeit waren semantisch-pragmatischer Natur. Sie orientierten sich an Redeinhalten, der Form und Gestaltung von 332 Reden ist Chefsache Aktivitäten, deren kontextuellem Anschluß und Plazierung im Diskurs sowie partikulären sprechstilistischen Besonderheiten. Ziel der Analysen war es, an situationseröffhenden bzw. -verändernden Stellen im Arbeitsgespräch die sprachlichen Mittel zu identifizieren und zu systematisieren, die die manipulative Charakteristik der Eröffnung und Veränderung ausmachen. In das für die Interpretation benötigte Kontextwissen gingen ethnographische Details zur Arbeitswelt, der makrosoziale und organisationstheoretische Hintergrund, Erfahrungen zu Wirkungsweisen von Sprache aus sozialpsychologischer Quelle und mikrosoziologischer Imagetheorie ein. Zum Zusammenschluß dieser Analyseinstrumente und Wissensquellen erwies sich der vorab eingefuhrte Kontrollbegriff als durchaus geeignet, insofern als er über eine Basiskomponente (die Normalform der Arbeitskommunikation) und eine situative Komponente (die sprachlichen Steuerungs- und Kontrollmittel) verfügt. Bei der Analyse des situativen Geschehens in den Arbeitsgesprächen kam die Arbeit immer wieder auf die Aufmerksamkeitsorientierung der Teilnehmer zu sprechen. Die Lenkung der Aufmerksamkeitsausrichtung stellt einen zentralen Bestandteil steuernder und kontrollierender Handlungsweisen in den Arbeitsgesprächen dar. Ich habe den Fokusbegriff im Zusammenhang mit dem je graduellen Bearbeitungsbedarf bestimmter im lokalen Fokusbereich liegenden Aspekte anzuwenden versucht. Unter diese Aspekte fallen inhaltliche Größen (thematische Gegenstände und Schwerpunkte), illokutive Bedeutungen (Angriffe, Vorwürfe, Bewertungen etc.) und gesprächsinterne Kontextualisierungen (Diskursoperatoren, thematische Querverbindungen). Unter dem Fokusbegriff können auch die Ausformungen situativer Sprecher-Hörer-Rollen und sogar die Dimension der betrieblichen Organisationsstruktur erfaßt werden, wenn sie im Gespräch thematisiert werden oder ihre Relevanz implizit hervorgehoben wird. Der Fokusbegriff ist bei weitem noch nicht erschöpfend ausgearbeitet und angewandt und bedarf einer empirisch angemessenen weiteren Beschreibung. Aus meiner Sicht wären insbesondere eine Untersuchung der Aufmerksamkeitslenkung durch indirektes sprachliches Agieren, eine Verbindung zu phonologischen Analysen bzw. eine Verknüpfung mit dem grammatischen Verständnis des Begriffs (Jacobs 1988) lohnenswert. Ein weiterer Bedarf nach dieser Arbeit besteht mit Sicherheit darin, das Zusammenspiel aller Faktoren im Arbeitsgespräch genauer zu beschreiben, als es hier möglich war. Interessant wäre etwa ein Vergleich des Begriffs der ‘Strategie’ mit dem des ‘Kontrollverfahrens’; die methodische Vorgehensweise wäre mit dem Entwurf zielgerechter Linien für die Identifizierung und Beschreibung solcher Handlungsweisen auch theoretisch weiter zu untermauern. Für die weitere Arbeit im Gegenstandsbereich der internen Unternehmenskommunikation ist aber vor allem das Erheben größerer Korpora unabdingbare Voraussetzung. 8. Macht, Situation und sprachliches Handeln Die Untersuchung von Steuerung und Kontrolle hat gezeigt, daß jeder Teilnehmer an der Mitarbeiterbesprechung, und zwar unabhängig von Status oder Position, auf sprachliche Mittel zurückgreift, die ein Steuerungs- oder Kontrollpotential haben. Einige der rhetorischen Verfahren können sowohl von Angestellten als auch von Vorgesetzten verwendet werden, z.B. um das Gesprächsverhalten des anderen zu bewerten, um problematische Potentiale von Sachverhalten zu relativieren, um den anderen von der eigenen inhaltlichen Einstellung zu überzeugen usw. Die konkreten sprachlichen Realisierungen dieser Verfahren und Mittel können allerdings generell nicht unabhängig von der Position des Teilnehmers verglichen werden. Es hat sich gezeigt, daß die Position des Sprechers die Wahl der Mittel beeinflußt, daß z.B. Angestellte beim Diskreditieren des Vorgesetzten ungleich behutsamer vorgehen als im umgekehrten Fall, daß sie eine Reihe von Verschleierungstechniken gebrauchen. Die interaktioneilen Funktionen oder die pragmatischen Potentiale der Realisierungen solcher Verfahren sind tendenziell äquivalent; nicht äquivalent sind die möglichen sozio-strukturellen Wirkungen ihres Einsatzes. Der Vorgesetzte bewirkt durch ein Diskreditieren ein Behaupten seines Status und ein Aufrechterhalten distanzierter Interaktionsbeziehungen, während der Angestellte die Distanz u.U. zu verringern vermag. Wenn man einen Strich zieht zwischen Angestellten und Vorgesetzten, zwischen statusinferioren und -superioren Unternehmensmitarbeitern und Teilnehmern am Gespräch, so handelt es sich dabei um eine vereinfachende und polarisierende Unterscheidung. Sie kann nur ein Hilfsmittel sein und muß ein solches bleiben. Der Einsatz sprachlicher Mittel der Steuerung und Kontrolle hat sehr viel sensiblere Veränderungen der Interaktionsbeziehungen zur Folge, als sie eine idealisierte, dichotomische Paarbeziehung zum Ausdruck bringt. Als Beispiel fiir die Komplexität der Relationen mag der Betriebsratsvorsitzende im Gespräch ‘Meister-1’ dienen. Während der Diskussion um eine Stillegung vom Werk 1 (s. Anhang II) enthalten viele seiner Aktivitäten ein weitaus forcierenderes Potential als die aller seiner Meisterkollegen im Gespräch ‘Meister-1’ und auch ‘Meister-2’ (auch wenn er dort gar nicht anwesend ist). Dazu gehört z.B., daß er den Werksleiter unterbricht, eine ganze Reihe subthematischer Initiativen startet, die Plausibilität seiner Forderungen mit Beispielen aus der Unternehmensgeschichte untermauert, daß er Informationen aus der Ebene der leitenden Angestellten einbringt, über die die anderen Meister nicht verfugen können, und daß er schließlich den Werksleiter und dessen gleichgestellte Kollegen auch sehr explizit kritisiert. Diese Aktivitäten verweisen zurück auf den spezifischen Status des Betriebsratsvorsitzenden. Seine Beteiligungsrolle ist ‘geteilt’. Bei brisanten Themen geht er mit seinem Vorgesetzten hart ins Gericht, bei Behandlungen von Rou- 334 Reden ist Chefsache tinearbeitsprozessen unterscheidet sich sein Gesprächsverhalten nur wenig von dem anderer Meister. Durch Nachhaken, Beharren, Hinterfragen, Nicht-aufsich-Beruhen-Lassen und durch ständig neue thematische Initiativen erarbeitet sich der Betriebsratsvorsitzende einen ‘positiven’ Sonderstatus. Er zeigt diesen Sonderstatus gewissermaßen kontinuierlich an, bzw. er bekräftigt ihn immer wieder durch sein kommunikatives Auftreten. Wesentlich ist dabei, daß er a) Problematisierungen startet, für deren Bearbeitung außer den Meistern noch sehr viel höher in der Hierarchie angesiedelte Gesprächsgruppen in Frage kommen, daß er b) seine Aktivitäten ständig mit institutionell relevanten Fokussierungen legitimiert und daß er c) ausgiebig auf die Möglichkeit prosodischer Emphatisierung zurückgreift. Der Betriebsratsvorsitzende nimmt eine superiore Beteiligungsrolle (Zuständigkeit) für sich in Anspruch, und er verteidigt diesen Anspruch, indem er einen hohen Grad an Arbeitserfahrung, Identifizierung mit Unternehmenszielen und gleichzeitig an kommunikativer Kompetenz beweist. 293 Das Beharren auf eigenen Zielvorstellungen reicht allein nicht aus, um einen positiven Sonderstatus zu erlangen. Dies zeigt sich beispielsweise im Gespräch ‘Bezirksleiter-2’, in dem selbständig arbeitende Bezirksleiter auf einen Filialdirektor treffen, der ihnen fachlich nur gering übergeordnet ist. Einige von ihnen erleiden erhebliche Imageverluste, während andere ihre persönlichen Zielvorstellungen ausreichend legitimieren können und ihr Gesicht zu wahren vermögen (vgl. die Abschnitte 5.2.5 und 5.2.14). Auch diese letzteren erarbeiten sich einen positiven Sonderstatus; sie sind im folgenden aufgrund der identitätsstärkenden Wirksamkeit ihrer Handlungen privilegiert. Schließlich sei noch der Inspektor Herr Schmidt genannt, dessen Auseinandersetzung mit dem Filialdirektor in den Eklat, die Kündigungsandrohung mündet. Wie in der Analyse gezeigt werden konnte (Kap. 6), entbehren viele seiner Initiativen der erforderlichen Legitimation. In seinem Fall wäre am Ende von einem ‘negativen’ Sonderstatus zu sprechen, da er über die Distanziertheit zu seinem Vorgesetzten hinaus auch von seiner Kollegengruppe ausgegrenzt wird. Das Erlangen eines positiven Sonderstatus steht in Zusammenhang mit der Auswahl an Mitteln für die Gesprächssteuerung, insbesondere dem der erfolgreich legitimierten Fokussierung. Gleichen sich die von Vorgesetzten und Angestellten verwendeten Mittel an (z.B. Charakteristika der Intervention, der Emphatisierung, des unternehmerischen Argumentierens, der Legitimierung), gleitet die Kooperationsform in eine kompetitive Auseinandersetzung über. Distanzen in der sozio-strukturellen Konstellation werden verringert. Gleich- 293 Sein Erfolg hierbei mag zum einen eine Folge davon sein, daß er sich durch einen jahrelangen Umgang mit Höhergestellten rhetorische Kompetenz angeeignet hat. Die Präferenz für bestimmte Kontrollverfahren (z.B. eine gewisse Vorliebe für provozierend formulierte, imagegefährdende Anschuldigungen als Gegenargumente) ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil in konfliktreichen Verhandlungen. Macht, Situation und sprachliches Handeln 335 wohl ist dem eine Grenze gesetzt: Obwohl es z.B. dem Betriebsrat in ‘Meister-1’ gelingt, seinen Vorgesetzten in die Enge zu treiben, entspricht dieser nicht dem Wunsch, den Betriebsrat an bestimmten Entscheidungen teilhaben zu lassen. Das gegenseitige Forcieren reicht nicht dazu hin, bestimmte fixe Aspekte des Rollengefüges zu relativieren. Außerhalb der Pole ‘Vorgesetzter’ vs. ‘Angestellter’ existieren deshalb gewissermaßen Zonen mit Rollentypen, deren Besetzung Teilnehmer durch strategisches Handeln vollziehen. Die Besetzung der Typen oder Sonderstatus durch Teilnehmer kann der Analytiker situativ bestimmen; ihren Wandel bzw. den Wechsel von Teilnehmern von einem Typ zum anderen kann er am Prozeß des Gesprächs nachvollziehen. Solche partikulären Typen machen den Übergangsbereich zwischen den Begriffen ‘Status’ und ‘Image’ erklärbar (vgl. Abschnitt 3.1.4). In idealisierender Sprechweise wäre Image die situativ zu evaluierende Größe, Status die mit der fixen Position des Teilnehmers im Unternehmen zu umschreibende Eigenschaft, und dazwischen wäre ein gesprächs- oder phasenweiser ‘Gesprächsstatus’ des Teilnehmers einzugliedern. Gesprächsstatus sind Ausformungen der sozialen Identität der Gesprächsteilnehmer, sie sind sprecherindividuell und zugleich im Übergangsbereich zu gruppenidentifikatorischen Merkmalen zu rekonstruieren. Soziale Strukturen sind dynamische Größen, die im lokalen Kontext und durch den Einsatz ganz bestimmter sprachlicher Mittel als eine Konstellation sozialer Identitäten konstituiert werden. Die Komplexität der interaktiv hergestellten sozialen Strukturiertheit in der Mitarbeiterbesprechung läßt sich vereinfachend reduzieren auf einen Zusammenhang zwischen der Position eines Teilnehmers, den situativen Rahmenbedingungen für verbales Interagieren und den aktuell produzierten Aktivitäten, also gewissermaßen auf eine Dreiheit von a) Position, b) Situation und c) sprachlicher Aktivität. Ich nenne diese Dreiheit ein Konstitutionsmodell sozialer Strukturiertheit. Innerhalb dieses Modells ist jedes sprachliche Handeln ein soziales Handeln. Nicht zufällig bilden die drei Eckpunkte des Konstitutionsmodells zu jenen Dimensionen der Kontrollmechanismen in innerbetrieblichen Arbeitsgesprächen, die in der Einleitung zu dieser Arbeit bereits angesprochen worden waren, eine gewisse Analogie. Die betrieblichen Positionen der Gesprächsteilnehmer, die im lokalen Kontext aktuellen Makro-Konstituenten des Gesprächs und die je unternommenen Aktivitäten der Teilnehmer bestimmen als eine Trias die sich in nuce herauskristallisierende Interaktionsbeziehung. Es wird nicht vorausgesetzt, daß diese Parameter die einzigen wären, die an der Konstitution sozialer Strukturiertheit teilhaben; gleichwohl können sie als Oberbegriffe alle Faktoren unter sich vereinen. 336 Reden ist Chefsache Konstitutionsmodell sozialer Strukturiertheit in arbeitsweltlichen Gruppengesprächen POSITION/ MACHT - Weisungsbefugnis - Zuständigkeit V - Verantwortung N x - Elementare Beteiiigungsrechte SITUATION AKTIVITÄT/ KONTROLLPOTENTIAL - Aktuelle Verteilung der Redegelegenheiten - Aktivitätstyp - Aufmerksamkeitslenkung - Emphase - Aufmerksamkeitsorientierung - Aktuelles Interaktionsmuster ster - Legitimation (Typ, Stand, Bearbeiterrolle) - Imagebalance a) Position/ Macht: Hohe Positionen im Organigramm sind der bedeutendste Machtfaktor im Mitarbeitergespräch. Der mögliche Rückgriff auf Vorteile aus einem hierarchisch asymmetrischen Verhältnis spielt eine latente, nie gänzlich auszublendende Rolle. Letztlich sind hiervon ganz grundsätzliche Regelungen wie das Turn-taking und die Gesprächsorganisation betroffen. Die betriebsorganisatorische Folie zur Beschreibung einer Teilnehmerkonstellation ist gewissermaßen ein Layout zur Erfassung ihrer Vorstrukturiertheit. Dennoch sind betriebliche Organisationsformen auch dynamisch. Arbeitsaufgaben, Zuständigkeiten, Verantwortlichkeit usw. können in Mitarbeiterbesprechungen auch delegiert, erkämpft, zurückgewiesen oder erweitert werden. ‘Echte’ Zuständigkeitserweiterungen (in einer Form wie „Ab sofort kümmern Sie sich darum“ ) waren im Korpus allerdings nicht feststellbar. Dominant waren vielmehr Einschränkungen einer vom Partner beanspruchten Zuständigkeitserweiterung und ein Einklagen betriebsorganisatorisch festgelegter Verantwortung (i.S.v. „Was ist eigentlich in Ihrem Bereich los? “). Einzelne Teilnehmer an den Arbeitsgesprächen erlangen durch ihr kommunikatives Auftreten Sonderstatus, die vor dem Hintergrund der betriebsorganisatorischen Folie ein differenzierteres Bild davon liefern, wie sich die sozio-strukturelle Dynamik entfaltet. Ein solcher Sonderstatus wird gesprächsweise erreicht; ob der Teilnehmer ihn festigen kann, wird von weiteren Gesprächen abhängen. Die Bemerkungen des Filialdirektors über den Inspektor Schmidt, und zwar im Gespräch mit den Bezirksleitem (s. TA 6.02), zeigen deutlich, daß ein von außen beurteilter Gesprächsstatus auch in der Gesamtorganisation des Unternehmens ein Macht, Situation und sprachliches Handeln 337 Echo finden kann. Was im Gespräch geschieht, ist Teil sozialer Wirklichkeit. Wer hier autoritär, kollegial, subversiv, sachlich, unterstützend, fordernd usw. auftritt, wird von seinen Partnern über Verfahren sozialer Typisierung entsprechend eingestuft. Dies wird mittel- und langfristig zu Veränderungen des Organigramms (Machtgewinn oder -Verlust), zu ‘natürlichen’ Prozessen der Anpassung zwischen der Organisation und ihren Mitgliedern fuhren. b) Ich verbinde den Begriff der ‘Situation’ maßgeblich mit den Faktoren Aufmerksamkeitsorientierung (Fokus), Redegelegenheiten (darin einfließend die Sprecher-Hörer-Konstellation), Interaktionsmuster und Imagebalance. Somit werden organisatorische, bedeutungskonstitutive, textuelle und sozio-emotionale Komponenten lokalen Geschehens unter dem Oberbegriff‘Situation’ subsumiert. Situationen sind für alle Beteiligten mit bestimmten (passiven oder aktiven) Handlungsanforderungen verknüpft. Die Aufmerksamkeitsorientierung gilt derjenigen Anforderung mit dem dringendsten Bearbeitungsbedarf. Die Analyse reaktiver Verfahren angesichts situativer Handlungsanforderungen zeigte eine Abstufung von ‘Dringlichkeitsstufen’ der Form: 1) die Vermeidung von Identitäts- oder Gesichtsverlust, 2) die Notwendigkeit, Probleme im Arbeitsprozeß zu lösen, und 3) die Weitergabe von Wissen. Diese zugegebenerweise sehr grobe Auflistung muß im Zusammenhang mit dem situativ aktuellen Interaktionsmuster und mit der Selbst- und Fremdbestimmtheit von Aktivitäten am Einzelfall überprüft werden. Reale reaktive Ausnahmen von dieser Abstufung weisen aber immer auf markante sequentielle Prozesse hin, die im Arbeitsgespräch gewissermaßen Routine-Charakter haben. Ein Beispiel hierfür ist das mit ‘Beanspruchen eines Expertenstatus’ bezeichnete Kontrollverfahren, mit dem der Sprecher eine Imageeinbuße verhindert, indem er das Handeln des Partners als Zeichen für Informationsdefizite interpretiert. c) Die Möglichkeiten zur Bewältigung situativer Handlungsanforderungen sind durch gesprächstyp-, themen- und teilnehmerspezifische Vorgaben vordeterminiert. Die Diskussion zum Begriff der ‘Beteiligungsrolle’ (Abschnitte 3.1.6, 4.2.4.3) zeigte, daß diese Vorgaben im Einzelfall sehr konkrete Gestalt annehmen. Beim Thema ‘Inventur’ im Gespräch ‘Meister-2’ werden z.B. solche Aktivitäten der Meister als die präferierten genannt, die von Seiten der Vorgesetzten als ‘Anregungen’ interpretierbar sind (s. TA 4.28). In unserem Gespräch ‘Bonusentlohnung’ (Mitarbeitergruppen-, Informationsgespräch) werden die Selektionsmöglichkeiten der Arbeiterinnen sehr früh im Gespräch auf Aktivitäten des Typs ‘Verständnisfrage’ reduziert (s. TA 4.16). Die Selektionsmöglichkeit ist ein Anknüpfüngspunkt für posteriore Sanktionen. Von Partnerseite nicht präferierte Aktionen sind in einem höheren Maße regreß- 338 Reden ist Chefsache pflichtig als solche, die eine allgemein erwartbare Konformität spiegeln. Salopp ausgedrückt: Wer das tut, was er nicht soll, wird dafür bestraft, es sei denn, er hat triftige Gründe für sein Handeln vorzuweisen. Gleichwohl sind die Vordeterminiertheit der Selektionsmöglichkeit (in bezug auf den Aktivitätstyp) und der Begriff der ‘Konformität’ Konzepte, die das lokale Gesprächsgeschehen nur unzureichend und mit Ausblendung z.B. der mikrosequentiellen Gegebenheiten erklären können. Insbesondere die sensiblen Veränderungen in der Konstellation sozialer Identitäten durch das verbale Agieren fallen unter den Tisch. Die gleichwohl gültigen und bestandhaften Konzepte wie das der Beteiligungsrolle müssen deshalb komplementär ergänzt werden durch ein an der realen Aktivität operierendes Analyseinstrument. Hierfür habe ich den analytischen Begriff ‘Kontrollpotential’ eingeführt. Der Aktivitätstyp, als Kriterium für das Kontrollpotential sprachlichen Handelns, schließt zum einen die genannten Determiniertheitsfaktoren (Gesprächs-, Themenspezifik u.a.) ein. Zum anderen gibt der Aktivitätstyp Aufschluß über die initiative und/ oder reaktive Charakteristik der Sprechhandlung. Bestimmte Handlungszwänge als Sprecher zu etablieren (und aus der Sicht des Analytikers zu rekonstruieren), ist gleichbedeutend mit der Frage, welcher Sprecher mit welcher Schärfe oder Vehemenz welche Dringlichkeitsstufen des Handelns für seinen Partner aktiviert (Abschnitt 4.4). Die Steuerung der Aufmerksamkeit des und der Interaktionspartner ist sprachlichen Fokussierungsleistungen inhärent. Alle Fokussierungsleistungen haben ein steuerndes Potential, auch wenn sie im Gesprächsprozeß nur geringfügige Spuren hinterlassen. Die Fokussierung mit der höchsten Relevanz ist allerdings diejenige, deren Steuerungspotential sich zuerst anhand reaktiver Aktivitäten bestätigt. Dies gilt insbesondere für Fokussierungen mit problematisierenden Tendenzen. Fokussierungen von Arbeitsprozessen, Arbeitshandlungen, Unternehmensteilen u.a., die mit defizitären Aspekten behaftet sind, sind in der Mitarbeiterbesprechung immer von einer gewissen Brisanz. Defizienzen können unmittelbar oder über eine interaktive Analyse von Verantwortung dem jeweils zuständigen Mitarbeiter angelastet werden. Bei der Untersuchung der Themeneröffnungen konnte festgestellt werden, daß statusinferiore Teilnehmer häufiger als Vorgesetzte auf Ankündigungsfokussierungen zurückgreifen, die (noch) keinen detaillierten interpretatorischen Aufschluß darüber zulassen, wie problematisch dasjenige ist, worauf sie im Kern hinauswollen (Abschnitt 4.3.3.1). Vorgesetzte referieren demgegenüber in der Regel explizit auf den problematischen Gegenstand, auch wenn die Person des Angesprochenen zur Verantwortung gezogen wird. Macht, Situation und sprachliches Handeln 339 Das Steuerungspotential von Fokussierungen ist maßgeblich mit der Legitimierung des Fokus für den innerbetrieblichen Handlungskontext verknüpft, wenn es darum geht, die eigene Einstellung durchzusetzen. Gerade bei Steuerungen der Aufmerksamkeit hin zu Bereichen, die das Arbeitsgebiet eines anderen Mitarbeiters betreffen, konnten expansive sprachliche Bemühungen um die Legitimierung einer Problematisierung festgestellt werden (s. z.B. TA 3.06, 4.30, 5.32). Umgekehrt laufen unzureichend legitimierte Meinungsäußerungen regelmäßig Gefahr, zu eigenen Ungunsten auslegt zu werden (s. TA 5.05, 6.06). Das steuernde Potential von Fokussierungen ist demnach nicht von Lokalisierungen abhängig, sondern von der Relevanz des indizierten Aufmerksamkeitsbereichs für den unternehmerischen Arbeitskontext. Die Effizienz der Legitimierung steuert hingegen die Dominanz von Meinungen, Perspektiven und Einstellungen hinsichtlich eines Gegenstands. Schließlich zählen zu den Mitteln, die das Kontrollpotential sprachlicher Aktivitäten zu steigern vermögen, auch ganz wesentlich die Mittel der Emphase. Unter diesen Begriff subsumiere ich parasprachliche, sprechstilistische und rhetorische Eigenschaften von Aktivitäten. Emphase ist maßgeblich an der Etablierung und Veränderung situativer Interaktionsmodalitäten beteiligt (vgl. hierzu Spiegel 1995, S. 237f). Im einzelnen können Segmentierungen (als Hervorhebungspausen), markante Grenztöne (z.B. bei pre-closings), Lautstärke- und Tempowechsel und Akzente (bei Fokussierungen), eine auffällige Rhythmik (Akzentreihen) und signifikante Wechsel zwischen Hochsprache und dialektaler Sprachlage als Möglichkeiten der Emphatisierung gelten. Weitere Möglichkeiten stellen bestimmte lexiko-semantische Selektionen (Fachvokabular, Vulgarismen) und der Einsatz rhetorischer Fragen (z.B. in pre-sequences) dar. Die Diversität dieser Liste, deren Bestandteile eine Summe von Beobachtungen an den Materialien ausmachen, zeigt, daß in bezug auf Emphatisierung die systematische Arbeit zum Kontrollpotential sprachlicher Aktivitäten längst nicht abgeschlossen ist. Die von mir eingangs der Arbeit vorgeschlagene dialektische Perspektive hat in diesem Konstitutionsmodell ihren Niederschlag gefünden. In der Form ist die Dialektik einer dreiteiligen Perspektive gewichen, in der neben die Vorstrukturiertheit der Unternehmenskommunikation und die realiter vollzogene sprachliche Aktivität mit der ihr inhärenten Macht der Faktor ‘Situation’ als gleichgewichtete Blickrichtung getreten ist. Die drei Faktoren zusammen bilden nach meinem Dafürhalten das Mindestmaß für die Analyse sozialen Handelns im Unternehmen: Die Macht eines Sprecher ist definiert durch das, was er ist, was er tut und wann er es tut, und sie ist definiert in Relation zu der eo ipso definierten Macht seiner Gesprächspartner. Die Macht des Sprechers wird manifest im Kontrollpotential seiner sprachlichen Aktivitäten. 9. Literatur Akinnaso, F. Niyi/ Seabrook Ajirotutu, Cheryl (1982): Performance and ethnic style in job interviews. In: Gumperz, John J. (Hg.): Language and social identity. Cambridge. S. 119-144. Anderson, R.J./ Hughes, J.A./ Sharrock, W.W. (1987): Executive Problem Finding. 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EI 2) Sitzordnung in ‘Meister-2’ Gespräch II: ‘Meister-2’ TUR LO = Bereichsleiter Logistik WL = Werksleiter GP = Gruppenleiter Produktion GL = Gruppenleiter Lager Ml - Mn = Meister TB = Tonbandgerät BEOB. = Teilnehmender Beobachter “ LO WL M2 M3 M9 MIO M4 MS Ml i ir MIKR. TB GL BEOB. 356 Reden ist Chefsache 3) Sitzordnung in ‘Agentur’ (2 Schreibtische) Gespräch III: ‘Agentur’ Gl = Geschäftsleiter für den Innendienst G2 = Geschäftsleiter für den Außendienst SE = Sekretärin HA = Halbtagskraft im Innendienst SL = Schulungsleiter für den Außendienst KAM. = Videokamera 4) Sitzordnung in ‘Betriebsrat’ (Kleinere Büromöbel) TB BEOB. Gespräch IV: ‘Betriebsrat’ BV = Betriebsratsvorsitzender SV = Stellvertretender Vorsitzender RI - Rn = Betriebsräte TB = Tonbandgerät BEOB. = Teilnehmender Beobachter Anhang 357 5) Sitzordnung in ‘Bonusentlohnung’ Tür BEOB. MIKR. Gespräch V: ‘Bonusentlohnung’ BA = Bereichsleiter Arbeitswirtschaft (aus Stammwerk) WL = Werksleiter PL = Produktionsleiter SA = Sachbearbeiter Arbeitswirtschaft El - E2 = Einrichter Al - An “Arbeiterin BEOB. = Teilnehmender Beobachter 6) Sitzordnung in ‘Inspektoren’ BEOB. Gespräch VI: ‘Inspektoren’ DI = Filialdirektor DB = Direktionsbeauftragter für Sachversicherungen 11 - In = Inspektorin TB = Tonbandgerät BEOB. = Teilnehmender Beobachter 358 Reden ist Chefsache 7) Sitzordnung in ‘Bezirksleiter-1’ Gespräch VII: ‘Bezirksleiter-1’ DI = Filialdirektor DB = Direktionsbeauftragter für Sachversicherungen Bl - Bn = Bezirksleiter (ohne angestellte Mitarbeiter) TB = Tonbandgerät BEOB. = Teilnehmender Beobachter 8) Sitzordnung in ‘Bezirksleiter-2’ Gespräch VIII: ‘Bezirksleiter-2’ DI = Filialdirektor DB = Direktionsbeauftragter für Sachversicherungen Bl - Bn = Bezirksleiter (mit angestellten Mitarbeitern) TB = Tonbandgerät BEOB. = Teilnehmender Beobachter Anhang 359 ANHANG II: Transkripte (in Auswahl) Transkript 1: Die Diskussion um das Werk 1 (aus: 'Meister-1') 1 WL 2 BV 3 BV 4 BV 5 BV 6 BV 7 BV 8 BV 9 BV 10 BV 11 WL 12 WL 13 WL 14 WL 15 WL 16 WL 17 WL 18 WL 19 WL 2 0 WL 21 WL 22 WL 23 WL 24 WL 25 WL 26 WL 27 WL K 28 WL K 29 WL 30 WL 31 WL K 32 WL 33 WL 34 Ml 35 Ml 36 M4 37 WL 38 WL 39 M5 40 WL 41 WL 42 WL 43 M5 44 BV 45 BV 46 WL 47 WL (...) moment jetztherr Merkel/ um noch einmal zurü"ckzukommen zu * personal- * mich wundert=s immer wieder- * wir sind eben hier beim * reinlaufen * der Gruber und isch * vom * kollegen Hermann gefragt worden was denn wohl dran sei- * daß der * Hu"ber ins ta"nklager kommt\ ** wo * können so" gerüchte denn herkommen\ * n' also so la"ngsam- ** frag ich mich ob des dann noch normal läuft\ also ich muß au"ch sagen ich habe das gefühl/ * also ich ziehe entweder aus aus meinem schuppen/ und baue mir irgendwo mit zehn meter ab"stand/ * freies gelände drumrum und stacheldrahtzaun/ * n eigenes büro/ *2,3* also ich hab manchmal das gefühl es lauft hier' ihr kennt alle das kinderspiel stille post\ ja/ * wo so zehn kinder in der reihe sind- * der erste sagt was- * und das gehörte sagt er dem nächsten weiter\ ** und wir hatten hier mal einen fall da saßen wir in=nem alte' äh mittags*zimmer' gästezimmer da oben/ * und da sprachen an ei"nem ende vom tisch welche über das Hansen flu"gzeuch/ * und am andern ende des tisches sprachen welche * übers werk drei\ ** und der in der mi"tte der hatte wohl gepennt/ und wachte auf und sachte ouh das werk' flugzeug ist in werk drei abgestürzt\ ** und ich #GELÄCHTER hab manchmal das gefüh"l- * daß also grade solche # parolen hier u"nheimlich' ** äh auf diese parolen unheimlich angesprungen wird\ * das gibt für mich zwei gründe\ * ad eins/ #sie haben ein wahnsinniges * #LANGSAM, SEHR PRONONCIERT informationsbedürfnis/ # *2,1* >über alle möglichen scheißhausparolen/ < *4,5* tja odertelefon uffschraube unn gucke ob e wanze drin iss her\ mhm\ tja oder- * äh *2,9* ja * ich weiß eigentlich gar keinen anderen grund\ oder angst oder einzige was ich oder sonst was\ oder a"ngscht vielleichtsonst irgendwas\ * ja das iss das sagen könnte\ angst um arbeitsplätze ich glaube das thema hat' na gut ( ■ ..\) L wenn (wenn der) halt net kommt * der iss schon drei woche weg vum p fenster- L also ich muß mal eins dazu sagen! ** äh- *2,6* es geht * ★ 360 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 Reden ist Chefsache WL mir einfach e=mal darum klarzumachen daß hier WL wirklich niemand angst haben muß\ *1,8* ich war WL neulich selber in einem seminar/ ** äh * wo auch ich WL beurteilt wurde\ *2,3* worauf jemand zu mir grinsend WL sagte/ ** ich weiß gar nicht was sie wollen\ sie sind WL schon so lange in der firma wenn wir sie WL rausschmeißen wollten würde das so" irrsinnig teuer WL das könnten wir uns gar nicht leisten\ *1,4* äh * WL nehmen sie bitte diesen Spruch auch für sich an\ # # K # LACHAN SAT Z # WL es ist ein schlechter Spruch aber- * #das steht K #BETEUERND WL einfach nicht zur diskussion\# * WL wenn wir heute auf die idee" kommen wollten\ * und WL wollen irgendwas ä"ndern\ * denn wird hier doch WL keiner auf die rei"se geschicktX * BV gut ma sollt aber * vielleicht gerade weil=s hier' * BV hier immer mit gerüchten gearbeitet wird\ WL ja\ BV sollt ma mol ganz klar sagen/ * daß=es BV werk eins eben * ni"cht mehr lange existiert\ BV und des kann ma glaub ich auch r lau”t saqen\ WL L nein- * nein WL #das is falsch\ BV # doch ne des is' K #WL UND BV WERDEN LAUTER WL nein herr Merkel WL r >das iss fa"lsch\< okay\ BV L des iss diese information die i''sch/ * von der BV |qeschä''ftsleitunq hab\# WL L moment\ dann muß ich die information WL etwas ri"chtigstellen\# BV ja\ * WL daß wir im augenblick überle"gen was mit dem werk WL eins in Zukunft passie"ren ka"nn- * äh bei der fü"lle WL von auflagenX sie wissen selber daß wir WL bodenlu"ftabsaugung laufen haben\ wir werden in kürze WL einen großen pu"mpversuch machen\ wir werden dort WL sehr sehr viele hunderttausendmarkscheine WL rei"nstecken mü"ssen\ * um dieses werk nach' WL auf heutigen * äh äh stand * äh * der gese"tze' WL wasserhau"shaltsgesetze solche WL dinge i' instand zu bringen\ * daß wir da WL natürlich prü"fen- * paralle"! dazu- * kö"nnen wir WL die Produktion verla"gern- * oder können wir sie WL ei"nstelleneinfach nicht mehr verkaufen- * o"der- * WL haben wir andere ideendas ist nur legitim\ ** und WL das * das ist das einzige was wi"rklich im WL augenblick zur diskussion steht\ ** i"ch weiß ni"cht WL ob wir nicht nächstes jahr sagen/ * und die rechnung WL wird im augenblick noch gemacht/ die' wir müssen WL meinetwegen die fünftausend tonnen- * äh äh WL >lösungsmittelhaltigen fettverbindungen< die kei"n WL anderer he"rstellen kann- * soweit wir bisher gesehen Anhang 361 99 WL 100 BV 101 WL 102 WL 103 WL 104 WL 105 WL 106 WL 107 WL 108 BV 109 BV 110 BV 111 BV 112 BV 113 BV 114 WL 115 WL 116 WL 117 WL 118 WL 119 WL 120 WL 121 WL 122 WL 123 WL 124 WL 125 WL 126 BV 127 WL 128 WL 129 WL 130 WL 131 WL 132 WL 133 WL 134 WL 135 WL 136 WL 137 WL 138 WL 139 WL 140 WL 141 WL 142 WL 143 WL 144 WL 145 WL 146 WL 147 WL 14 8 WL 14 9 WL 150 WL 151 WL 152 WL haben in der gruppe ka"nn=s kei"nerr * keine L nee\ Winteroil/ * keine franzö' franzosen * auch die neuländer unseres Wissens nach nur begrenzt\ * also die Heaven\ ** wenn wir das feststellen daß es keiner kann- * dann muß die entscheidung kommen wir stellen das programm ein oder nicht- und dann wird ganz primitiv gegengerechnet\ * was bri"ngt uns das- * und was ko"stet uns das\ p und das iss=es\ *ja wolln ma do net 1 * wolln ma do net gerne! "nsam dran arbeitennämlich * die substa"nz im werk eins ja/ * wir haben hier in den ganzen anderen werken kä bessere substanz\ * bis uff die * die die äußerlichkeiten ja/ |die hätten früher mol (...-) L herr Merkeldas ist einfach im gründe genommen viel zu früh\ * im augenblick ist die frage ganz primitiv\ * und die aufgaben haben im augenblick a"ndere\ * gi"bt es eine zweite po' äh stelle die sowas machen kann\ * und parallel dazu- * wa"s * fällt an ko"sten * weg/ * was fällt an erträ"gen weg/ * wenn wir diesen programmteil einstellen\ * da"s wird im augenblick gerechnet\ ** und * es sind etwa fünftausend tonnen im jahr\ die etwa von dem' * von dem' * echt lösungsmittelhaltigen produkt gemacht werden\ * und das ist ja nun nicht mal grade ne mark fu"ffzich die wir da dran verdienen\ des wollt ich a r sage\ L und/ * die Schwierigkeit ist die' * diese kombinationsgeschäfte\ ** wo einer sacht- * ich kaufe m' dir zehn tonnen lösungsmittelhaltige fettverbindungen/ * und außerdem noch fünf oder zehn tonnen was normales! * und dann würde er weder noch * mehr beziehen! * das macht die ganze sache sehr schwierig! * aber da" sind wir im augenblick dran! * und meh"r ni"ch! ** wir haben die kostenzusammenstellung was es kostet das werk in die rei"he zu bringen- * und im augenblick wird das andere betrachtet! * das ist aber eine betrachtung die könnt ich' * zulässig iss/ das kann jedem' * jedem werk morgen passieren! * ja/ * im gründe genommen muß ich auch sagen/ * bei herrn Müller in der fettfabrik/ * äh wir haben über Heaven in (...) bei Halbersdorf * eine 1' * wahnsinnig leistungsfähige fettfabrik! * dazu gekauft! ** die iss größer und schneller als a"lle fabriken die wir bisher haben! ** nu"r * viele dinge kann sie nich! * sie kann kein komplex(...) kochen! das kann auch noch nicht mal Hinterdorf! ** ja/ * und trotzdem * denken wir natürlich auch nach * was macht es aus wenn wir heute siebenhundert tonnen' * jahrestonnen m.o. ** nach * Altdorf geben! ** was bedeu''tet das! * nicht nur kapazitäts*entlastung bei herrn Müller/ * wobei das also mit Vorsicht zu genießen ist/ diese 362 153 WL 154 WL 155 WL 156 WL 157 WL 158 WL 159 WL 160 WL 161 BV 162 BV 163 BV 164 BV 165 BV 166 BV 167 BV 168 BV 169 BV 170 BV 171 BV 172 WL 173 BV K 17 4 BV 175 WL 176 WL 177 WL 178 WL 179 BV 180 BV 181 BV 182 BV 183 WL 184 BV 185 WL 186 BV 187 BV 188 BV 189 BV 190 BV 191 BV 192 BV 193 WL 194 WL 195 WL 196 BV 197 WL 198 BV 199 WL 200 WL 201 WL 202 WL 203 WL K 204 WL Reden ist Chefsache entlastungaber auch was bedeutet das an * fi”xkostenüberlagerung auf a"ndere produkte >und so weiter und so fort-< * aber so was steht permane"nt irgendwo zur diskussion\ * das ist doch nichts beso"ndereswir mü"ssen doch' wir sind doch einfach gezwu"ngen weiter zu denken\ ** ich kann doch nicht sagen hab ich heute fertig\ ja/ grade' grade des is aber der punkt\ grade de"s is der punkt wenn ich jetzt nemm * werk eins ja/ * unn des hab ich jo * em Säbel unn em Gerrmann auch gesagt\ * wenn man * vor zeh"n jahren schon uff Merkel uff Gruber unn so weiter gehört hätte unn hätte da"mals schon investie"rt unn den' * unn wär den fo"rderungen na"chgegangen * die wir gestellt hätten- * dann müßt ma * di"e Überlegung vielleicht heu"te net anstellen dann wär des nämlich ne"t so=n großer brocken wie=s heu"te e"ben i"ss\ * herr r Merkel völlig klarhätte hätte\ L ja/ #aber ihr lernt doch #LAUT C daraus nix\# L hätte hä"tte\ das problem ist doch immer im gründe genommenman entscheidet im moment nach bestem wissen und (gewisserA L nä was i"ch heute erreichen * williss daß ma eben draus lernt- * und net fünf vor zwölf * von unserm chef hochgerufen wem- * so und jetzt legen wir mol die investitio"nsplanung vor\ ich weiß es doch se"lber\ r >brauchen sie mir *jade"s ist der punkt\ nicht zu sagen-< das weiß ich auch\ und da möcht ich gern mi"treden net nur als betrie"bsrat sondern auch als mei"ster- * nämlich ne"t daß ich da"nn mol den vorwurf gemacht krieg- * hättescht du" hier * immer druff gedrängt daß de"s oder des gemacht wird dann könnten wir * heut unsere arbeitsplätze noch ha"ben\ also ich glaube wir sollten das thema mit den arbeitsplätzen ein bißchen beiseite schieben\ * hamm' r hamm=ma in' in bezug uff fuhrpark auch lange L das 1 das' hier steht das 1 uff die Seite geschoben bis es soweit war\ das war eine völlich andere situations * das ist ein' * ein fuhrpark ist eine * firmenfremde leistung im gründe genommenX * s=ist eine echt firmenfremde leistungS die man geschlossen rausgeben kann\ #man könnte heute geschlossen die #SEHR AFFIRMATIV Werkstätten rausgeben\# *1,5* Anhang 363 205 Ml 206 WL 207 Ml 208 WL 209 WL 210 Ml 211 Ml 212 Ml 213 WL 214 WL 215 Ml 216 WL 217 Ml K 218 Ml 219 WL 220 WL 221 WL 222 Ml 223 WL 224 WL 225 WL 226 WL 227 WL 228 WL 229 WL 230 Ml 231 WL 232 M2 233 WL 234 WL 235 WL K 236 BV 237 BV 238 BV 239 WL 240 BV 241 BV 242 BV 243 BV 244 WL 245 BV 246 BV 247 BV 248 BV 249 WL 250 WL 251 WL 252 BV 253 WL 254 BV 255 BV 256 WL das iss vorbei\ * demnekscht\ wieso"- * s=is überhaupt kein problem\ elektricher müssen=se jo hawwe\ r oder net/ L muß ich überhau"pt nix * ich kann [vertrage machen unn fertig\ ich' L doch des sind 1 (ich wei"ß doch) daß sie enner * fescht eigstellt hawwe misse\ ich brau"ch das nicht\ * ich muß mich nich ab' ich hab doch nichts größeres\ * p aber iss ja L aber 1 #total' |ich steh doch nich' # L es problem iss jo de"s * die arbeit iss jo #BEIDE TN LAUTER immer noch diese"lbe\# mome"nt- * herr Bietemann jetzt faß' fühlen=se sich bitte nich angefaßt\ das iss doch gar nicht das thema\# * ochsteig ma mol de buckel nuf\ das L jss doch gar nicht das thema\ ich sag ihnen nur- * so kann ich permanent betrachtenX * das ist kein the"ma\ * nur * wenn ich des mal laut denke/ * und wie gesagt jetzt hab ich=s gesagt auch noch/ * jetzt geht das garantiert rund/ * wie * lauffeuer * und dannr * leute- * >morgen sind wer alle *des geht' draußen\< * r das ist ja unsinn\ * wir sind L des iss ' doch hier bitte alle füh"rungspersonal und wir mü"ssen doch in der läge sein solche gedanken du"rchzuspielen\ * #PAPIERRASCHELN # des is doch grad des warum ich sie hier a"nschneid/ weil die gerüchte geh"n jo um\ * dann r sollt L bitte\ ma=s aber auch besprechen- * und sollt=s gra"de rücken unn net bei den gerüchten la"ssen\ * ja/ *1,4* des iss doch des was ich hier erreichen will\ * des |muß ich doch vun=m meschter L gut\ verlangen können daß ich mit den=n * über so Sachen re"de- * vielleicht ho"tt er noch=ne idee- * daß ma=s vielleicht doch a"ndersrum machen kann\ *2,2* ja natü"rlich- * des iss völlich richtich- oder ga"r nicht machen kann oder überhaupt-' * wir r müssen doch 1 * wir L genau des will ichmüssen mal Ideen haben\ mehr will ich gar net C haben\ L j_a\ ** ich hab schon immer laut gesagt 364 257 WL 258 WL K 259 WL 260 WL 261 WL 262 WL 263 WL 264 WL 2 65 WL 266 WL 267 WL K 268 WL K 2 69 BV 270 WL 271 BV 272 BV 273 WL 274 WL 275 BV 276 WL 277 WL 278 WL 279 WL 280 WL 281 WL 282 WL 283 WL 284 WL 285 WL 286 WL 287 WL 288 WL 289 WL 290 M3 291 M3 2 92 M3 293 M3 294 M3 295 M3 296 M3 297 WL 298 M3 299 WL 300 WL 301 WL 302 WL 303 WL 304 M3 305 WL 306 WL Reden ist Chefsache wenn ich mich selber we: grationalisierehab ich meine höchste Leistung geschafft\ # # #GEZWUNGENES LACHEN aber * gut * also das wie gesagt bitte zu den gerüchten- * äh es iss schli”mm/ * daß wir uns gedanken machen mü"ssen/ permanent was morgen oder übermorgen iss- * iss gar keine frage- ** äh * nur wir können nicht alle gedanken gleich im allgemeinen besprechen weil wir neunzig bis fünfundneunzig bis achtundneunzig prozent unserer ideen we"gschmeißen- * und die restlichen zwei bis fünf prozent der (herde) hinterher so lange ändern * bis völlig was anderes #GESPRÄCH IM HINTERGRUND rauskommt\ ja/ ** also bitte' * das' das ** # unn an dem' p an dem daß der Huber ins L ganze problem' ta"nklager kommt iss * ga: r nix/ * hökschtens er würde sich bewerbenN p ja/ L natü''rlich\ p iss nix dran\ ne\ ** also bitte L ansonsten iss nix dran\ wie gesacht- *2,1* es muß diese gerüchterede' * diese rederei aufhören/ * dieses papa ich weiß was im keller brennt licht\ das iss manchmal so das gefühl was ich da habe\ ** denn wie gesacht die alternative heißt hinterher daß ich meine türen zumache\ *1,5* unn wie gesacht mir da draußen irgendwo n=container baue mit stacheldraht drumrum\ ** unn dann * bleibt einer * zehn meter vorher weg/ * in der schleuse/ * und dann frag ich=ihn was kommt * und dann geh ich in=nen extraraum \ * das kö=mer au”ch machen\ * das ist mit Sicherheit der fa"lsche weg\ ** denn ich glaub so wie wir bis jetzt arbeiten auf arbeiten wir ganz gut\ ** so des also dazu noch\ herr Mayer der informationsstand der hot jo eigentlich noch nie so richtig gestimmt\ * unn deswege haben sie" auch Wahrscheins * des hier angfange\ * friher war immer der' die rede/ * mir habben=s vun de butzfra: erfahre\ unn do war immer was dra man hot nie was richtiges erfahre\ P unn jetzt si=mer jo do beisamme/ unn do kä=mer=s L herr Tannen' bespreche\ natürlichN * herr Tannen nur- ** der informationsfluß * die beschwerde * die e"wige beschwerde die' der informationsfluß\ * is ja im gründe genommen das permanente gefühl- * man wei"ß nicht genug\ ja richtich\ ich kann informieren soviel ichwill und es hat i"mmer noch jemand das Anhang 365 307 WL 308 M3 309 WL 310 WL 311 WL 312 WL 313 BV gefühl er weiß nicht genuch\ r *1,5* j_a/ ** das L mhm=m=mgefühl ist i"mmer da\ *1,2* äh * daß wir heute alle immer mit Informationen vo"llgeschmissen werden bis zum ge"ht nicht mehr- *1,5* ist no"ch ne andere sache\ s=trifft doch aber bei uns meisten net zu\ ** Transkript 2: Das Problem von Herrn Schmidt (aus: 'Inspektoren') 1 17 2 17 3 17 4 17 5 17 6 17 7 17 8 17 9 17 10 17 11 17 12 17 13 17 14 17 15 17 16 17 17 17 18 17 19 17 20 DI 21 17 22 17 23 17 24 17 25 17 26 17 27 17 28 17 29 17 30 DI 31 17 32 DI 33 DI 34 DB K 35 DI 36 DI 37 DB 38 DB 39 DB 40 DI K ja- * bei mir klappt=s von=nem telefon her gar net\ da hab ich eigentlich s=große proble'W äh dieses au"ftaktgespräch/ und da kommt dann immer so eine art verhe"dderung wie wenn also fünf kabel sich überkreuze würde\ * un ich komm einfach * ni"ch druff irgendwas für=n fehler daß ich mache un wenn ich zurü”ckblicke- * auf meine da"malige tätigkeit wo ich was in der ha”nd hatte/ en produ"kt mitgebracht hatte hat des * terminieren so: fort geklapptich hab den angrufe und >hab gsagt< horch ich hab e neues gerä"t ich muß der=s vo"rstelle/ * ich kann gar nix zu sa"gen/ des soll ne überra"schung werde/ * und dann hat er sofort gsacht ou"h ja komm mal gleich\ * un jetz wenn ich dann also anrufe viele wissen des ja noch gar net- * mittlerweile kriege=s viele mit daß ich jetz bei der Liebenberger bin/ * ou: "h da wolle mer nix damit zu due hawwe un seil un wissen=se/ dieses' un da/ * i"rgendwo: r und 1 L wie präsentie"ren sie denn das/ und ich me: rke/ * ich möcht jetz da net grad so in der Öffentlichkeit also >des' des< sollt ma mal des allei"n des gespräch mal füh"re/ * aber ich merk=s daß mei kollege auch da scheinbar mit Probleme habe\ wir habe ja auch schon äh * äh ein zweimal gsagt/ mir hätten mal gern so ne art seminar/ äh äh * wo man den künden * von der Wählscheibe an bedient\ * daß ma do vielleicht den fehler irgendwo rauskriegt\ ich fi"nd den nicht und r ka=ma so was L malmal r ähnliches- 1 L fragen\ die-' * innerhalb des ver-' herr von E"rden\ innerhalb des r verkaufstrai"nings\ * #werden L mhm- #DI: STOCKEND da- * kunden*orientierte * Situationen * geübt * trainiert\# äh- * des Verkaufstraining macht der herr Kunz/ ich * weiß net' war bei der Schulung |nich- *- oder frag ich #sie"-# * wie sieht=s aus mit den #ZU 16 366 41 DI 42 16 K 43 16 K 44 DI 45 DI 46 16 47 DI 48 12 49 15 50 15 51 15 52 12 53 12 54 II 55 X 56 II K 57 II 58 12 59 DI 60 DI 61 II K 62 II K 63 II 64 17 K 65 17 66 17 67 DI 68 DI 69 DI 70 17 71 17 72 17 73 17 74 17 75 16 K 76 DI K 77 DI K 78 DI 79 DI 80 17 81 DI 82 17 83 DI 84 DI 85 17 Reden ist Chefsache verkaufstrainings\ ** zweimal am tag telefo"ntraining\ * #17 IM NEBENGESPRÄCH MIT 18 ganz zu anfangne/ # wie schaut=s mit Verkaufstraining in dieser direktio"n aus\ * p wie häu"fich haben sie L (...) Verkaufstrainings hier\ * tja: also in der einführungswoche und dann * einmal * zum anfang\ ** zweimal bis jetz\ des war schun öfters\ * des dritte r mal jetz\ L schun öfter\ gell/ ich r hab=s a schun oft gehabt\ L warte=mol- * un im a.s. hat ma=s doch-' haben #sie=s# da noch #A.S. = AUFBAUSEMINAR# #ZU 12 nie gehabt/ r mhm=m/ L gut is schon richtich\ aber hier Verkaufstraining direktion/ des is alle vierteljahr\ ** alle Vierteljahr war des ##MEHERE TN REDEN GLEICHZEITIG, Z.T. UNVERSTÄNDLICH bei mir auch\ ja: \ * viermal im jahr\ (...) bei mir #17 IM NEBENGESPRÄCH auch\ viermal im jahr\ ( ) isch net in ordnung\ ne^'n ## nei"n verkaufstraining\ * und da muß ich sagen es stimmt was herr Tretter sagt\# * gut un wie isch=s * im' im schulungsZentrum/ da waren sie auch schon zweimal/ r wurd=s da auch geübt/ 1 >ja-< da wurde des einga 1 s=isch ei"nmal gemacht worden\ aber da fand isch=s dann irgendwie en bissei blöd is dann so=n gegenseitiges ausschlachten teilweise\ s=find i net so gut\ p ja\ L #ja das fand ich da manchmal auch\# #LEISER WERDEND herr Schmi"dt- * >äh äh< i weiß net ihre aussagen #GESPRÄCH IM HINTERGRUND nehm ich meistens ne"gativ entgegen\ * wenn sie-' * # auch hie"r wird en verkaufstraining nicht a''nders sein\ p man kann ein Verkaufstraining in der L mhm=m/ * the"orie\ * p nur einigermaßen L na gut ich seh=s' praxisgerecht da"rstellen\ praxis ist dieser raum nie''\ praxis ist ihr kolle"ge nie\ p praxis ist L herr-' Anhang 86 DI 87 17 88 17 8 9 DI 90 17 K 91 17 92 17 93 17 94 DI K 95 DI 96 17 97 DI 98 17 99 DI 100 17 101 DI 102 17 103 17 104 17 105 DI 106 DI 107 17 108 17 109 17 110 DI 111 17 112 DI 113 II 114 DI 115 17 116 II 117 DI 118 DI 119 17 120 DI K 121 DI 122 DI 123 DI 124 DI 125 DI 126 DI 127 DI 128 DI 129 DI 130 DI 131 DI 132 DI 133 DI 134 DI 135 DI 136 DI auch die ka"mera nie\ r aber- 1 herr Gra"f\ * es is vielleicht r de"sweqe negativ weil isch=s a: L >die dinge sollen kommen\< halt annersch gewoh"nt war\ un wissen se wenn heut #GESPRÄCH IM HINTERGRUND bei uns was weiß ich so e ding gema"cht worden isch im verkau"f/ dann war des ein wahnsinnstolles trai"ning\ ** r wissen=se L #aber herr Schmi"dt aber * jetz muß # #LAUT i' * jetz muß i total degege spreche\ aber des im C wenn sie to"lle trainings# erlebt haben- * sie L schulungsZentrum-' meinen die (...) r in ihrer ehemaligen * L ja: "\ (...) da": / r firma\ L wo eben so en semina"rsleiter kam/ ne/ so=n training gemacht wird da is * immer von unte rauf angefange |worde des is-' ne/ L ja i mein dafür is doch hier en seminar haben se=s schon gemacht p überhaupt/ L ja ich kann' ich bin en guter' ich bin * en produ"kteverkäufer\ also geben sie mir ein produkt in p (ganzhaft)/ * dann L wi 1 wir sind halt p verkauf ich ihnen eins\ L kein produktunternehmen\ nein wir sind p kein L (. . . . p produktunternehmen\ ja entweder ide' de' ja\ L ) identifizie"ren wir uns/ und des bitte Oktober jetz haben werp * ju"ni/ äh mit der tatsache- L ja\ # # wir ha''ben * keine hunderttausend mark #HAUT AUF DEN TISCH# * vorzuzeigen die wir da einstecken/ ** wir haben ganz einfach * mit einer * überzeu''gungsdarstellung fraglicher natur zu arbeiten\ * und dazu gehören gewisse verkäuferische * fä"higkeiten/ die völlich * seriö: s und legal sind/ * die ganz einfach das verkau''fen leichter machen/ * aber ich muß natürlich an mei"nem produ''kt/ und wenn sie es net als produkt nennen wollen dann nennen sie es halt idee"- * an der muß ich a"rbeiten auch autodida"kt\ ich kann net sagen ich bin se''lbständich/ * und was da drin i"n der direktion abläuft das isch ja eh" quatsch/ * aber ich bilde mich * se"lbst nicht weiter/ * dann hab ich ne anforderung an mich persö"nlich gestellt die nicht funktioniert * was glau”ben sie herr Schmidt wie oft ich zu hause sitze\ * und literatur * fachliteratur lese\ * und 368 137 DI 138 DI K 139 DI 140 DI K 141 DI 142 DI 143 DI 144 DI 145 DI 146 DI 147 DI 148 17 149 DI 150 DI 151 17 152 17 153 DI 154 17 155 17 156 18 K 157 DI 158 18 K 159 17 160 18 161 17 162 18 163 17 164 17 165 DI 166 DI 167 DI 168 DI 169 DI 170 DI 171 DI 172 DI 173 DI 174 DI K 175 DI K 176 DI K 177 DI 178 DI K K 179 DI 180 DI K Reden ist Chefsache ich * würde mich * wenn nicht mal fachlich mit ihnen messen können\ ** ich le"rne * immer weiter #MEHERE TN, AUCH 17, LACHEN für mich na"ch\ * und ich habe einen se"hr ausgefüllten a"rbeitstag\ * und trotzdem werde ich' # ich' ich' ich geh ja in de"fizite wenn ich nicht sage so ich les jetzt das neue * steuergesetz\ die änderungsgesetze ich les die neue * rentenreform zwei"undneunzich intensiv\ >und und und\< * nur ich brauche es »glauben se mer des< weniger als sie"\ * meine eigentliche aufgabe i"st es im gründe genommen gar nicht mich fachlich aktuell zu halten\ aber' * >da''für hab ich den herrn Kunz- * dafür hab ich den herrn r von Erden ( \<) L aber wir haben ja nun diese große aktion gestartet über die sie ja r bescheid wissen\ und L >ja-< jadie reaktionen von de' dem ganzen saal waren null komma null\ r des is e bissei-' L na na na na\ «MEHRERE UNVERST. BEITRAGE IN ZWEIFELNDEM TONFALL weswegen kommen Widersprüche aus ihrem kollegium/ ne ne des weiß er net deswege sag ich=s ihm\ # ja gut also\ * äh dann war=s aber von r letschtem L la C jahr/ des is auch gsagt worde/ bitte und so äh- * L des stimmt des stimmt des stimmt\ und des isch halt irgendwo dann e bissei so * bedrü"ckend- * mal so sagen\ ne/ also i muß sagen * äh äh ich persö''nlich würde-' ** und des mach ich heute noch wie vor * fu"ffzehn jahren\ ich analysiere immer * den * status quo\ * wenn der status quo für mich u"nbefriedigend ist dann muß ich analysieren\ * und wenn ich ihn analysiert ha"be-* dann muß ich zu ner entscheidung kommen\ * und äh * das denke ich kann je"derzunächst mal analy''se betreiben was ist gemacht wo''rden/ * vielleicht sollte man des auch mal * da"rstellen i #DI STEHT AUF, GEHT ZUR weiß net ob sie des schon je mal gemacht haben- ** WANDTAFEL# tu"n sie=s- * für sich se''lbst- *2,2* da tragen se #DI MALT KREIS# ein was liegt genau vor\ ** in ih"rem * fall herr Schmidt- * keine termine\ ne/ *2,2* so\ * und da"nn #DI SCHREIBT "KEINE TERMINE" IN KREIS # mache ich-' * woran lie"gt es eigentlich daß ich keine termine beko"mme\ *2,1* ich mach mir also #DI MALT STRAHLEN UM KREIS# Anhang 369 181 DI 182 DI 183 DI 184 DI K 185 DI 186 DI K 187 DI 188 DI 189 DI 190 DI 191 DI K 192 DI 193 DI 194 DI 195 DI K 196 DI 197 17 198 DI 199 DI 200 17 201 II K 202 II 203 DI 204 DI 205 II 206 DI 207 II 208 DI 209 DI 210 DI 211 17 212 17 213 17 214 17 215 17 216 17 K 217 17 218 17 219 17 220 17 221 17 K 222 DI 223 DI 224 DI K 225 DI 226 DI meine gedanken in form einer sonne\ * und schreibe jetzt auf jeden strahl drauf * woran lie"gt eigentlich daß ich keine termine bekomme\ * viellei"cht auch/ ** äh- * flei"ß\ * daß sie nicht #DI SCHREIBT "FLEISS" AN EINEN STRAHL# flei"ßich genug sind termine zu bekommen\ * vielleicht * a"nsprache * am te"lefon\ * #DI SCHREIBT "ANSPRACHE" AN EINEN STRAHL# undsoweiter\ * wenn sie des gema"cht haben gewichten sie\ * vie"r fünf punkte\ * was für sie das wi"chtigste überhaupt sein würde woran es liegt daß sie kei"nen termin kriegen\ * und die"se vier fünf pu"nkte- * die verbessern se dann\ ** das is #DI KEHRT LANGSAM ZUM STUHL ZURÜCK schon die entscheidung daß se sagen die" punkte such ich mir raus da werd ich etwas ä"ndern\ aber des muß man natürlich schon tu"n man kann net immer nur sagen das klappt net/ * wie geh"t=s\ * da haben # #DI SETZT SICH # se=s hier\ ** ich denke daß doch was isch dabei\ ** ja ich hab r eins- 1 * ja ich hab grade- 1 L und produ"ktewenn ich heute damenkonfektionär wäre- * mhm=m/ #i würd graue #LACHEND haar kriegeN# LACHT ich glaub ich tät-' * ja ne ich tät viel verkau"fe\ * frau-' r * ich glaube ja\ * L ja/ [weil des sehr einfach ist/ * sehr einfach ist L wann=s halt sei müßt/ einer frau" * ein schickes kleid zu verkaufen\ * den mei"sten zumindest\ * denn jede dame * läßt sich gern schmeichelnN dann hab ich vor drei woche a"ngeregt bei herrn Ku"nz/ >äh äh äh< wo ma au des gespräch gführt haben gell un da hab ich gsagt mensch ich wär eigentlich dankbar wenn ich so e bissei so auch en besta"nd kriegen würde wo ich drin was machen kann/ * #die sind dann ku"nden die «EINDRINGLICH berei"ts Liebenberger si"nd und die fe"schtstellung un da auch geht kei"n weg dran vorbei die is die"# wenn sie schon mal künden si"nd bei ner firma haben se=s lei"chter wie wenn er noch ga"r kein künde is\ ** LAUTES RÄUSPERN «GEMURMEL UNTER DEN TN das is ja sicherlich ri"chtich\ * also nummer eins muß man sagen sie' * das is aber auch glaub ich bekannt\ ** je"der von ihnen je"der\ # * darf zu mir oder zu herrn Kunz * ko”mmen/ * und sagen ich hätte gerne-' * besta"nd kriegen se 370 227 DI 228 DI 229 DI 230 DI 231 17 232 DI 233 DI 234 DI 235 DI 236 DI 237 DI 238 DI 239 DI 240 DI K 241 DI K 242 DI 243 DI 244 DI 245 DI 246 DI 247 DI 248 DI 249 DI 250 DI 251 DI 252 DI 253 DI 254 DI 255 DI 256 DI 257 DI 258 DI 259 DI 260 DI K 261 DI K 262 DI 263 DI K 264 DI 265 DI 266 DI 267 DI 268 DI 269 DI 270 DI 271 DI 272 DI 273 DI 274 II Reden ist Chefsache kei"nen übertragen des sag ich ihnen jetz schon\ * aber sie kö"nnen kommen und können zu mir sagen ich hätte gerne zeh: n bestandskunden oder zwa"nzich bestandskunden pro wo"che\ * die kriegen sie\ >mhm-< dann machen sie mir von je"dem bestandskunden einen * besu"chsbericht natürlich\ * weil ich ja sehen will daß sie auch do"rt waren\ * wenn ich ihnen so nen künden geb\ * und wenn des erfo"lgt isch bekommen se den künden sogar in ihren bestand übertra: gen\ * auch das is kein problem nur gehen se davon aus/ * dieser künde hat viellei"cht * bedarf/ ** aber er hat schon etwas bei uns * plaziert\ ** aber das können sie haben\ nur werd #GESPRÄCH IM HINTERGRUND ich sie dann aber ga"nz * konkret * in die # Verpflichtung nehmen/ * bei zehn oder zwanzich künden daß sie mir dann montags die entsprechenden berichte liefern wie es so gelaufen is\ * kein proble"m\ * unsere aufgabe ist eben * äh: * leute zu überzeugen *1,8* da"ß sie * im krankenversicherungsbereich * sicherlich Versorgungslücken haben\ daß sie * im alters * hinterbliebenen * und vorzeitigen renten ruhe * risiko *1,5* gro''ße probleme haben\ * daß vielleicht ihre kinder ne vernünftige ** äh: * Versorgung bekommen/ * zur hochzeit hin zur ausbildung hin/ * da"ß ** eventuell * wenn bau"gedanken da sind oder der bauwu"nsch gehegt wird die * richtung für die baufinanzie"rung gestellt wird da"ß in betrieblichen altersversorgungs*bereichen en Standbein durch die fi"rma plaziert wird - * alle diese dinge\ * und das ist sehr viel schwe"rer da geb ich ihnen recht herr Schmidt/ * als wenn ich ihnen diesen Stuhl #DI STEHT AUF; ZEIGT AUF SEINEN verkaufen müßte\ * da laß ich se drau"fsetzen\ den STUHL; FÜHRT IHN VOR ... laß ich se beta"sten\ * besi"tzen\ * >im wahrsten sinne des wortes/ < und dann haben se=s seh"r viel SETZT SICH WIEDER# leichter * das zu verkau"fen\ * das wird nur wesentlich schlechter bezahlt\ des muß ich ihnen auch dazu sagen\ * nämlich das was wir tu"n * ist ja keine * tätigkeit die wie ich meine jeder mann machen kann\ * die fordert den ganzen ma"nn/ * oder die ganze frau"/ * und wenn das eben * auf dau"er * nicht hinhaut/ * dann stellt man fest/ * das ist aber au"ch kein beinbruch/ * daß man einfach nicht zunander paßt\ * jede dritte ehe wird geschieden\ T ** (>hin und wieder-<) gut und so L jede zweite heute\ Anhang 371 275 DI K 276 DI 277 DI 278 DI 279 DI 280 DI K 281 DI 282 DI 283 DI 284 DI 285 DI 286 DI 287 DI 288 DI 289 DI 290 DI K 291 DI K 292 DB K 293 DB 294 14 295 14 296 II 297 14 298 14 299 14 300 14 301 14 302 14 303 14 304 14 305 DB 306 14 ich 307 14 308 II K 309 14 310 14 311 14 312 14 313 DI 314 X 315 DI 316 II 317 17 318 DI 319 DI 320 DI 321 DI wird man' * #so scheidet man sich au”ch mitunter #LAUT mal geschä"ftlich\# wenn derjenige feststellt halt die Liebenberger die pa"ßt ja gar net zu mir/ was die da * be"treibt/ ve"rtreibt/ in welcher form sie vo"rgeht * ist nicht meine weit/ * steig ich aus/ #oder wi"r stellen fest\ * der mi"tarbeiter paßt #SEHR LAUT ja gar net zu uns\ * kein beinbruch steigen wer au"s\# * des ist doch * äh * a"lltag\ * des is alltagN ** und mi"r wäre es-' * >oder mir is'< mir i"s=es ganz angenehm wenn u"nsere fluktuation * illusorisch auf null komma null wäre\ des werden wer nie scha"ffen aber wir sind glaube ich von der fluktuationszahl sehr * gut\ * wir schauen gu''t aus\ wir haben * ni"cht so=n großartigen Wechsel bezogen * vielleicht auf andere gesellschaften oder direktionen\ bei uns #DB HEBT DIE funktioniert des recht gut\ * #herr von Erden/ # HAND # #LEISE #herr Braun-# * ist des einfacher im besta"nd zu #ZU 14 arbeiten oder * mit gleichbleibenden kunden\ * also ich persönlich find=s * ziemlich schwer im bestand zu arbeiten\ r dann L ich tät des net\ bleibt=s einfach' gut weil die leute schon auf ihren' * auf ihren * früheren * betreuen fixiert sind/ * und in dem gewissen sinn auch ziemlich verschlossen sind\ ** und ich persönlich hab wirklich meh"r schwierichkeiten oder * ich brauch viel viel mehr zeit bei * besta"ndskunden/ * es kommt im endeffekt relativ wenich bei raus als wenn ich zu nem neuen künden geh\ p * weil da kann ich nach ner L mhm\ halben stunde Sachen okay ich hab=s vertrauen oder hab=s net\ r und bei dem L #kann ich au verstehe\# #SEHR LEISE bestandskunden muß ich=s im prinzip muß i halt über diesen-' * >er is en {...)< künde und brau"ch sein ansprechpartner\ und da hab ich=s * bedeutend schwerer\ ** Schmidtlaß mer=s da mal stehn\ ** herr L und der neue künde/ * weil i-' * soll ma nix sagen\ * ( ) ne: \ kann nur ei"ns sagen dazu ich' ich' * grad bei ih''nen\ *grad bei ihnen\ es is so so äh' ** man kann' sie haben einen i"rrsinnich großen * bekanntenkreis\ Studien zur deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Die nächsten Bände: Kathrin Steyer Reformulierungen Sprachliche Relationen zwischen Äußerungen und Texten im öffentlichen Diskurs Reinhold Schmitt / Gerhard Stickel (Hrsg.) Polen und Deutsche im Gespräch Franz-Josef Berens / Rainer Wimmer (Hrsg.) Wortbildung und Phraseologie Gabriele Hoppe Das Lehnpräfix ex- Mit einer Einleitung zu grundsätzlichen Fragen der Lehnwortbildung. Beiträge zur Lehnwortbildung I Isolde Nortmeyer Die Lehnpräfixe inter- und trans- Beiträge zur Lehnwortbildung II Michael Kinne Die Lehnpräfixe prä- und post- Beiträge zur Lehnwortbildung III Daniel Bresson / Jacqueline Kubczak (Hrsg.) Abstrakte Nomina Untersuchungen zu ihrer syntagmatischen Erfassung in Wörterbüchern Authentische Arbeitsbesprechungen aus Unternehmen bilden die Basis für eine detaillierte linguistische Analyse. Von Mikrosignalen bis hin zu rhetorischen Verfahren werden sprachliche Mittel im Hinblick auf steuernde und manipulative Funktionen beschrieben. Aus dem Gesprächsverhalten der Teilnehmer entfaltet sich in actu ein Spektrum sozialer Strukturen in unternehmerischen Organisationen. Der vorliegende Band ist insbesondere von Interesse für Linguisten, die anwendungsorientiert arbeiten wollen, die sich mit ‘Sprache und Beziehung’ und ‘Sprache in Institutionen’ beschäftigen. Sie ist ferner ein Kompendium rhetorischer Einsatzweisen von Sprache in Unternehmen und kommt so für alle diejenigen als Ratgeber in Betracht, die sich mit interner Untemehmenskommunikation beschäftigen. ISBN 3-8233-5136-2