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Eigenschaften gesprochener Sprache

2004
978-3-8233-7027-7
Gunter Narr Verlag 
Reinhard Fiehler
Birgit Barden
Mechthild Elstermann
Barbara Kraft

Das Buch reflektiert die Entwicklung der Erforschung gesprochener Sprache in den letzten 30 Jahren und erarbeitet auf dieser Grundlage eine eigene theoretische Konzeptualisierung des Gegenstandes. Zunächst wird die Spezifik mündlicher Kommunikation und gesprochener Sprache charakterisiert. Dazu werden die Grundbedingungen mündlicher Verständigung herausgearbeitet und in ihrem Einfluss auf die Ausbildung kommunikativer Verfahren und sprachlicher Mittel beschrieben. Der zweite Teil behandelt die methodologische Frage, ob und inwieweit die Untersuchungen gesprochener Sprache spezifische Analyse- und Beschreibungskategorien erfordert. Dabei wird insbesondere das Problem der einheiten in gesprochener Sprache diskutiert. Die empirische Untersuchung und theoretische Modellierung einer bestimmten grammatischen Konstruktion, der Operator-Skopos-Struktur, die in den letzten Jahren der gesprochenen Sprache stark expandiert, stehen im Zentrum der exemplarischen Analysen des Schlussteils.

Reinhard Fiehler / Birgit Barden / Mechthild Elstermann / Barbara Kraft Eigenschaften gesprochener Sprache Gunter Narr Verlag Tübingen Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E S T U D I E N Z U R D E U T S C H E N S P R A C H E 3 0 Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E Herausgegeben von Ulrike Haß-Zumkehr, Werner Kallmeyer und Ulrich Waßner Band 30 · 2004 Reinhard Fiehler / Birgit Barden / Mechthild Elstermann / Barbara Kraft Eigenschaften gesprochener Sprache Gunter Narr Verlag Tübingen Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. © 2004 · Gunter Narr Verlag Tübingen Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 3-8233-6027-2 Reinhard Fiehler / Birgit Barden / Mechthild Elstermann / Barbara Kraft Eigenschaften gesprochener Sprache Theoretische und empirische Untersuchungen zur Spezifik mündlicher Kommunikation Inhalt Vorwort ........................................................................................................ 7 I. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation ..... 11 1. Thesen zu unserem Verständnis gesprochener Sprache ................ 11 2. Linien der Erforschung gesprochener Sprache - Linien der Gegenstandskonstitution ........................................................................ 28 2.1 Zugänge zur Erforschung des Sprechens ................................................ 29 2.1.1 Systemlinguistische Differenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ....................................................................... 36 2.1.2 Unterschiede in den Kommunikationsbedingungen bei Mündlichkeit und Schriftlichkeit ................................................................ 39 2.1.3 Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie die Interdependenz ihrer Entwicklung im gesellschaftlichen Rahmen ...................................... 42 2.1.4 Gesprächsförmigkeit mündlicher Kommunikation............................ 43 2.2 Rahmenbedingungen für die Erforschung mündlicher Kommunikation .................................................................................................. 45 2.2.1 Die Veränderung des Gegenstandes .................................................. 45 2.2.2 Die Verfügbarkeit des Gegenstandes................................................. 46 2.2.3 Das Schriftlichkeitsbias ..................................................................... 49 2.2.4 Der wissenschaftliche Zuschnitt des Gegenstandes........................... 50 3. Grundbedingungen mündlicher Kommunikation ........................... 52 3.1 Die Grundbedingungen ............................................................................. 53 3.2 Gewinnung und Status der Grundbedingungen ..................................... 72 3.3 Grundbedingungen in der Literatur ......................................................... 74 4. Auswirkungen der Grundbedingungen auf die Eigenschaften gesprochener Sprache ............................................................................. 81 Eigenschaften gesprochener Sprache 4 5. Kommunikative Praktiken und die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit / gesprochener und geschriebener Sprache ............................................................................ 99 5.1 Das Konzept der kommunikativen Praktiken ........................................ 99 5.2 Die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit auf dem Hintergrund des Konzepts der kommunikativen Praktiken ....... 104 5.3 Zentrale Themen im Kontext der Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Literatur ................................................ 110 5.3.1 Ermittlung von Unterschieden durch Vergleich .............................. 110 5.3.2 Medium............................................................................................ 117 5.3.3 Sprachsystem ................................................................................... 118 5.3.4 Interdependenzen............................................................................. 125 5.4 Alternative Ausschnittbildungen ........................................................... 126 6. Die Vielfältigkeit gesprochener Sprache .......................................... 129 6.1 Vielfalt und Varianz gesprochener Sprache ......................................... 130 6.2 Das Bemerken von Varianz .................................................................... 133 6.3 Die Konstitution von Varianten ............................................................. 136 6.4 Wissenschaftliche Modelle zur Erfassung und Beschreibung von Varianz ............................................................................................... 139 6.5 Problematik und Funktionalität von Varianz ....................................... 153 II. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache ..................................................................................................... 157 1. Reflexion und Kritik der Analyse- und Beschreibungskategorien ............................................................................................................. 159 2. Grundlegende Einheiten mündlicher Kommunikation ................ 173 2.1 Positionen zu grundlegenden Einheiten gesprochener Sprache ........ 175 2.2 Der Beitrag und das Problem seiner ‘Untereinheiten’ ........................ 200 2.3 Funktionale Einheiten ............................................................................. 204 Inhalt 5 III. Die Operator-Skopus-Struktur - Analyse und exemplarische Beschreibung einer grammatischen Konstruktion ........................ 239 1. Allgemeine Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur ......... 239 1.1 Annäherung an das Phänomen ............................................................... 239 1.2 Bestimmungsmerkmale der Operator-Skopus-Struktur ..................... 241 1.3 Der Operator - Begriffsbestimmung und Erscheinungsformen ........ 250 1.4 Die Behandlung der Operatoren in der Literatur ................................. 253 2. Systematische Fragestellungen ........................................................... 261 2.1 Klassifikation der Verstehensanweisungen von Operatoren ............. 261 2.2 Stellungseigenschaften von Operatoren ................................................ 271 2.2.1 Die Position des Operators .............................................................. 271 2.2.2 Die Gelenkfunktion des Operators .................................................. 278 2.3 Formale Eigenschaften von Operator und Skopus .............................. 283 2.3.1 Formale Eigenschaften von Operatoren........................................... 283 2.3.2 Mögliche Füllungen des Skopus und Probleme der Abgrenzung des Bezugsbereichs.......................................................................... 296 2.4 Prosodische Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur ................ 310 2.4.1 Die analysierten Parameter .............................................................. 311 2.4.2 Mögliche prosodische Markierungsformen ..................................... 315 2.4.3 Stellungseigenschaften und prosodische Markierung...................... 340 2.4.4 Weitere Besonderheiten................................................................... 343 2.4.5 Zusammenfassung ........................................................................... 346 3. Analyse des Transkripts „Gegen Gotteslohn“ ................................ 349 3.1 Diskutierte Strukturen ............................................................................. 352 3.2 Analyse der Operator-Skopus-Strukturen ............................................ 353 3.3 Funktion und Platzierung der Operator-Skopus-Strukturen im Schlichtungsgespräch .............................................................................. 378 Eigenschaften gesprochener Sprache 6 4. Analysen zu ausgewählten Klassen von Operatoren ..................... 383 4.1 Geltungsoperatoren .................................................................................. 383 4.1.1 Bemerkungen zur (standard-)grammatischen Einordnung von Geltungsoperatoren.......................................................................... 384 4.1.2 Literaturübersicht............................................................................. 385 4.1.3 Anlage und Datengrundlage der Untersuchung der Geltungsoperatoren ........................................................................................ 390 4.1.4 Ergebnisse (I): Vorkommenshäufigkeiten ....................................... 393 4.1.5 Ergebnisse (II): Diskursfunktionen von Geltungsoperatoren .......... 398 4.1.6 Zusammenfassung ........................................................................... 422 4.2 Gegensatzoperatoren ............................................................................... 424 4.2.1 Auswahl und Einordnung ................................................................ 424 4.2.2 Einzelanalysen ausgewählter Gegensatzoperatoren......................... 426 4.2.3 Andere Gegensatzoperatoren........................................................... 451 4.2.4 Einige quantitative Betrachtungen................................................... 455 5. Abschließende Bemerkungen .............................................................. 457 5.1 Die verschiedenen Bildungsmöglichkeiten von Operator-Skopus- Strukturen: eine Übersicht ...................................................................... 458 5.2 Operator-Skopus-Strukturen in gesprochener und geschriebener Sprache ...................................................................................................... 461 Literatur ................................................................................................... 469 Anhang I: Operatoren-Liste ................................................................ 489 Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ ................................... 503 Anhang III: Verwendete Korpora und Transkriptionskonventionen ........................................................................................... 535 Sachregister ............................................................................................. 543 Vorwort Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Hauptteile. Ziel des ersten Teils ist eine Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation und gesprochener Sprache. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie klar sich der Untersuchungsgegenstand ‘gesprochene Sprache’ konturieren lässt, wie er theoretisch zu konzeptualisieren ist und welche Eigenschaften ihn ausmachen. Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht zu leisten, ohne die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache in ihren Voraussetzungen und Implikationen zu reflektieren und sie zu problematisieren. In der Literatur der letzten 30 Jahre wurde ein breites Spektrum von spezifischen Eigenschaften gesprochener Sprache herausgearbeitet. Es reicht von der Flüchtigkeit gesprochener Sprache über Rückmeldepartikel bis hin zu speziellen syntaktischen Konstruktionen (weil mit Verbzweitstellung, Apokoinukonstruktionen etc.). Diese Phänomene sind zum einen von der Gesprächsforschung und zum anderen von der Gesprochene-Sprache- Forschung behandelt worden. Zu fragen ist dabei, wie diese Aussagen über spezifische Eigenschaften methodisch gewonnen wurden und welche Möglichkeiten es generell gibt, solche Aussagen zu gewinnen. Will man Besonderheiten gesprochener Sprache nicht nur konstatieren, so stellt sich weiter die Frage, welche Ansätze zur Erklärung von spezifischen Eigenschaften gesprochener Sprache existieren und wie tragfähig sie sind (z.B. Ableitung der Eigenschaften aus den Grundbedingungen). Die Rekonstruktion der Aussagen über spezifische Eigenschaften gesprochener Sprache einerseits und die eigene empirische Arbeit am Phänomen der Operator-Skopus-Strukturen andererseits ließen schnell deutlich werden, dass es notwendig ist, das vorhandene Kategorieninstrumentarium zur Beschreibung gesprochener Sprache in den Reflexionsprozess mit einzubeziehen und zu hinterfragen. Dies geschieht im zweiten Teil des Buches. Die empirische Untersuchung und theoretische Modellierung einer bestimmten grammatischen Konstruktion, der Operator-Skopus-Struktur, stehen im Zentrum der exemplarischen Analysen des dritten Teils. Die intensive Auseinandersetzung mit empirischen Daten hat dabei zu der Notwen- Eigenschaften gesprochener Sprache 8 digkeit geführt, diese neue Kategorie einzuführen, in die sowohl formale wie auch funktionale Bestimmungselemente eingehen und die auf einer allgemeineren Ebene bisherige kategoriale (Teil-)Bestimmungen der betreffenden Phänomene zusammenfasst. Das vorliegende Buch ist aus der Arbeit der Projektgruppe ‘Eigenschaften gesprochener Sprache’ hervorgegangen, die am Institut für Deutsche Sprache in der damaligen Abteilung „Gesprochene Sprache: Analyse und Dokumentation“ diese Thematik im Zeitraum von 1995-99 bearbeitet hat. Zur Projektgruppe gehörten Birgit Barden (ab Januar 1996), Mechthild Elstermann, Reinhard Fiehler, Barbara Kraft und Peter Schröder (bis Dezember 1995). Die Projektarbeit verfolgte drei Hauptziele: 1. Charakterisierung der Spezifik des Verständigungssystems ‘Gesprochene Sprache’ 2. Entwicklung von Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 3. Analyse und exemplarische Beschreibung von speziellen Eigenschaften der gesprochenen deutschen Sprache (Arbeitsplan 1995) Die drei Hauptteile des Buchs sind die Einlösung dieser Zielsetzungen. Allerdings ist sie in vieler Hinsicht stärker theoretisch und methodologisch-reflexiv ausgefallen als geplant, weil in der Arbeit der Projektgruppe die Reflexion des Zustandekommens, der Reichweite und der Probleme des theoretischen Konzepts ‘gesprochene Sprache’ breiten Raum eingenommen hat. Obwohl alle Teile des Buchs aus gemeinsamen Diskussionen hervorgegangen sind, ist die Zuständigkeit für die einzelnen Abschnitte der schriftlichen Fassung wie folgt verteilt: Reinhard Fiehler: I.1. - I.6., II.1. - II.2., III.2.1 Birgit Barden: III.2.4, III.3. Mechthild Elstermann: III.1., III.2.2, III.4.2, Anhang I Barbara Kraft: III.2.3, III.4.1, III.5. Vorwort 9 Wir danken insbesondere Peter Auer, Elisabeth Couper-Kuhlen, Elisabeth Gülich, Renate Pasch, Margret Selting und Gisela Zifonun, die in verschiedenen Phasen des Projekts intensiv mit uns diskutiert haben, sowie Peter Schröder, der auch nach seinem Ausscheiden das Projekt engagiert begleitet und das Manuskript ausführlich kommentiert hat. Gesine Damijan und Andrea Scheinert danken wir für die technische Betreuung der verschiedenen Manuskriptversionen. I. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation Ziel des ersten Teils des Buches ist, die Spezifik mündlicher Kommunikation und gesprochener Sprache zu verdeutlichen. Im ersten Abschnitt stellen wir elf Thesen vor, die unser Verständnis von gesprochener Sprache komprimiert skizzieren. Der Abschnitt 2. gibt einen Überblick über verschiedene Stränge der Erforschung der gesprochenen Sprache und zeichnet nach, wie dabei der Untersuchungsgegenstand gesprochene Sprache jeweils konstituiert wird. Elf Grundbedingungen mündlicher Kommunikation werden in Abschnitt 3. vorgestellt und diskutiert, während Abschnitt 4. dann zeigt, wie sich diese Grundbedingungen in spezifischen Eigenschaften der gesprochenen Sprache niederschlagen. Abschnitt 5. thematisiert mit dem Konzept der kommunikativen Praktiken die Frage nach verschiedenen Formen mündlicher Verständigung und versucht, ausgehend von diesem Konzept, das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. gesprochener und geschriebener Sprache zu überdenken. Abschließend wird in Abschnitt 6. die Vielfalt der Erscheinungsformen gesprochener Sprache umrissen, und es werden verschiedene Modelle diskutiert, wie diese Varianz theoretisch erfasst werden kann. 1. Thesen zu unserem Verständnis gesprochener Sprache Die Projektgruppe ‘Eigenschaften gesprochener Sprache’ hat im Laufe ihrer Arbeit eine spezifische Sichtweise auf mündliche Kommunikation und gesprochene Sprache entwickelt. Die Kernbestandteile dieses Verständnisses sollen im Folgenden in Form von elf Thesen vorgestellt werden. (1) Obwohl „gesprochene Sprache“ ein weit verbreiteter und geläufiger Begriff ist, sind sein Status als linguistische Kategorie und seine theoretischen Implikationen nicht hinreichend reflektiert. Zu bestimmen, was gesprochene Sprache ist, scheint auf den ersten Blick unproblematisch. Eine Möglichkeit z.B. ist, sie extensional zu bestimmen: Eigenschaften gesprochener Sprache 12 Gesprochene Sprache ist alles das, was durch Sprechen hervorgebracht wird. Oder anders formuliert: Bei allen Formen der Verständigung, die auf dem Sprechen basieren, handelt es sich um gesprochene Sprache. Zugleich wird durch den spezifizierenden adjektivischen Zusatz „gesprochen“ zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine spezielle Form von Sprache handelt. Und in der Tat ist es, wenn nicht Sprache im Allgemeinen interessiert, alltagsweltlich wie wissenschaftlich die erste grundlegende Unterscheidung, Sprache in gesprochene und geschriebene Sprache zu differenzieren. Terminologisch gibt es viele Varianten, die auf diese Unterscheidung zielen: gesprochene und geschriebene Sprache, Mündlichkeit und Schriftlichkeit, gesprochensprachliche und geschriebensprachliche Kommunikation, mündliche und schriftliche Verständigung, Diskurs und Text, Rede und Schrift, Sprechen und Schreiben etc. Damit wird deutlich, dass „gesprochene Sprache“ ein Oppositionsbegriff ist, der nicht unabhängig vom kontrastierenden zu bestimmen ist. Die Sprechweise von „gesprochener Sprache“ setzt als Kontrast die geschriebene voraus, die Reflexion gesprochener Sprache impliziert den Vergleich mit geschriebener. Dies nun hat weitreichende Konsequenzen: Die Vergleichsperspektive birgt das grundsätzliche Problem, sowohl gesprochene wie auch geschriebene Sprache der Tendenz nach (um der Vergleichbarkeit willen) zu homogenisieren (vgl. Abschnitt I.5.2). Auf jeden Fall lenkt der Begriff „gesprochene Sprache“ durch seine implizite oder explizite Vergleichsperspektive den Blick nicht auf die interne Differenzierung gesprochener Sprache (vgl. Abschnitt I.6.) und bietet keinen Anhalt für ihre Erfassung. Im Gegenteil: Er verdeckt diese eher. Um diese interne Differenzierung erfassen zu können, sind ein anderer Ansatz und andere Kategorien erforderlich. Dies ist für uns der Anlass, das Konzept der kommunikativen Praktiken einzuführen (vgl. These (2) und Abschnitt I.5.1). Schwierigkeiten mit dem Begriff „gesprochene Sprache“ erwachsen ferner daraus, dass er nicht eindeutig ist. Wie viele grundlegende wissenschaftliche Begriffe hat auch er verschiedene Lesarten und wird in verschiedenen Bedeutungen verwendet. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 13 - Zum einen bezeichnet er die Gesamtheit des Sprechens und der mündlicher Verständigung (im Gegensatz zu anderen Formen der Verständigung, insbesondere der schriftlichen). Die Qualität der Sprache als gesprochen (im Gegensatz zu anderen Qualitäten) steht dabei im Vordergrund. (Beispiele für diese Verwendung sind: Gesprochene Sprache erfüllt ganz andere Funktionen als geschriebene. Gesprochene und geschriebene Sprache haben unterschiedliche Domänen.) - Zum anderen wird mit dem Begriff „gesprochene Sprache“ die sprechsprachliche Realisierung einer als medienunabhängig existierend gedachten Sprache gemeint (im Gegensatz zu anderen Formen der Realisierung). 1 (Beispiel für diese Bedeutung: Gesprochene Sprache unterliegt anderen Produktionsbedingungen als geschriebene.) - Zum dritten kann der Begriff „gesprochene Sprache“ auf das (Sprach-/ Regel-)System verweisen, das der mündlichen Sprachproduktion zugrunde liegt. (Das folgende Beispiel verdeutlicht diese Bedeutungsvariante: In der gesprochenen Sprache gibt es spezifische syntaktische Konstruktionen.) - Letztlich können die Produkte mündlicher Sprachproduktion gemeint sein. (Beispiel für diese Bedeutung: Gesprochene Sprache ist nicht vollständig in Sätze segmentierbar.) 2 1 Diese Auffassung findet sich z.B. sehr klar bei Lyons, der in dem Abschnitt über ‘Gesprochene und geschriebene Sprache’ schreibt: „Soweit Sprache in diesem Sinne unabhängig von dem Medium ist, in dem die sprachlichen Signale realisiert werden, behaupten wir, daß Sprache die Eigenschaft hat, nicht an ein Medium gebunden zu sein.“ (1983, S. 20). 2 Entsprechend der beiden letztgenannten Bedeutungen ist der Begriff „gesprochene Sprache“ in der Sprachwissenschaft häufig in Kontexten verwendet worden, in denen es um die Systemhaftigkeit gesprochener Sprache und um die Untersuchung ihrer grammatischen und lexikalischen Besonderheiten geht. So ist die Karriere des Begriffs „gesprochene Sprache“ in der Bundesrepublik untrennbar mit dem Freiburger Projekt ‘Grundstrukturen der deutschen Sprache’ verbunden (vgl. Engel/ Vogel 1975), dessen Ziel genau darin bestand, grammatische und lexikalische Besonderheiten der gesprochenen Sprache gegenüber der geschriebenen herauszuarbeiten. Dieses Projekt war zugleich einer der Ausgangspunkte für die so genannte Gesprochene-Sprache-Forschung in der Bundesrepublik, für die eben nicht der Prozess des Sprechens und die Interaktion des Gesprächs im Vordergrund steht, sondern die grammatisch-lexikalische Analyse von Produkten mündlicher Sprachproduktion. Eigenschaften gesprochener Sprache 14 Neben den verschiedenen genannten Bedeutungen kann der Begriff „gesprochene Sprache“ aber auch auf verschiedene ‘Anteile’ aus dem Gesamtprozess mündlicher Verständigung bezogen sein: - Das geläufigste Verständnis scheint uns zu sein, dass unter gesprochener Sprache das verstanden wird, was man mit dem Tonband erfasst, wenn man ein Gespräch aufzeichnet (also die lautsprachlichen Anteile der Verständigung einschließlich Prosodie). Die gängigen Transkriptionssysteme operationalisieren dieses Verständnis. - Eine engere Auffassung ist, unter gesprochener Sprache nur den verbalsprachlichen Anteil zu verstehen (also das, was man in der einfachen literarischen Umschrift von Gesprächen (ohne Sonderzeichen) erfasst). - Das weiteste Verständnis ist, gesprochene Sprache mit dem gesamten mündlichen Verständigungsprozess auf den verschiedenen Ebenen (also einschließlich aller anderen Sinnesmodalitäten) zu identifizieren. Ein weiteres Problem ist, in welchem Verhältnis der Begriff „gesprochene Sprache“ zu Ausdrücken wie „mündliche Kommunikation“, „mündliche Verständigung“ oder „Mündlichkeit“ steht. Nimmt man die oben genannte extensionale Bestimmung von gesprochener Sprache und die grundlegende Differenzierung von Sprache in gesprochene und geschriebene ernst, so muss man zu dem Schluss kommen, dass die genannten Begriffe zwar Aspektunterschiede enthalten mögen, im Kern aber das Gleiche bezeichnen und damit synonym sind. In diesem Sinne verwenden wir die Begriffe „gesprochene Sprache“ und „mündliche Kommunikation“ (bzw. „mündliche Verständigung“, „Mündlichkeit“) bedeutungsgleich - so auch schon im Titel dieses Buchs. 3 Allerdings bergen die Zusätze „gesprochen“ und „mündlich“ die Gefahr einer Verengung des Blickwinkels: Sie fokussieren zu sehr auf das, was ‘aus dem Mund’ kommt, also auf die lautsprachlichen Elemente der Verständigung. Auch wenn dies im Regelfall wohl die wichtigste Komponente der ‘mündlichen’ Verständigung ist, muss klar bleiben, dass Verständigung ein multimodaler Prozess ist (vgl. Abschnitt I.3.1 (6)). Wenn wir von „gespro- 3 Für einen anderen Versuch, das Begriffsfeld zu systematisieren, vgl. exemplarisch Nussbaumer (1991, S. 270-282). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 15 chener Sprache“ und „mündlicher Kommunikation“ sprechen, meinen wir - im Sinne des oben genannten weiten Verständnisses - die Gesamtheit des multimodalen Verständigungsprozesses, nicht nur seine lautsprachlichen Anteile. Dass die Begriffe, die zur Bezeichnung des Gesamtprozesses zur Verfügung stehen, in beschriebener Weise die lautsprachliche Komponente betonen, ist für uns Ausdruck davon, dass das Sprachbewusstsein schriftsprachlich dominiert ist (vgl. These (9), Abschnitt I.2.2.3 und Abschnitt II.1.): Da Schriftlichkeit weitgehend in der verbalsprachlichen Komponente aufgeht, rückt diese auch bei der Betrachtung von ‘Mündlichkeit’ - bis in die Begriffsbildung hinein - in den Vordergrund. Einen Begriff, der den Gesamtprozess der ‘mündlichen’ Verständigung bezeichnet, gibt es nicht. (2) Mündliche Verständigung erfolgt in einer Vielzahl unterschiedlicher Grundformen, den kommunikativen Praktiken. Führt man sich dies vor Augen, so wird deutlich, dass das generalisierende Konzept der gesprochenen Sprache und die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache spezifische Abstraktionen darstellen, die in ihrem Status und ihrer Funktion geklärt werden müssen. Gesprochen und geschrieben wird nicht schlechthin, sondern jedes Sprechen und Schreiben geschieht in und ist Bestandteil von kommunikativen Praktiken (vgl. die Abschnitte I.5.1 und I.5.2). Gesprochen wird im Rahmen eines Kaffeeklatsches, einer Dienstbesprechung, einer telefonischen Vereinbarung eines Arzttermins, einer Rede, einer Theaterrolle etc.; geschrieben wird ein Brief, ein Aufsatz, ein Protokoll, ein Einkaufszettel etc. Jede Verständigung besteht in der Realisierung eines konkreten, singulären Exemplars einer solchen kommunikativen Praktik. Verständigung erfolgt nicht ‘frei’, sondern immer nur im Rahmen der uns verfügbaren kommunikativen Praktiken, indem wir ein Exemplar einer solchen Praktik intendieren und realisieren - und dadurch die Praktik zugleich auch fortschreiben und weiterentwickeln. Alltagsweltlich wird ein sehr breites Spektrum solcher Praktiken unterschieden, und zum großen Teil gibt es für die unterschiedenen Formen auch spezifische Benennungen. Die Übergänge zwischen kommunikativen Praktiken sind mitunter fließend, und es sind Mischungen zwischen ihnen möglich. Eigenschaften gesprochener Sprache 16 Wissenschaftlich werden diese kommunikativen Praktiken als verschiedene Diskurstypen oder Textsorten bzw. als kommunikative Gattungen etc. thematisiert und rekonstruiert. Kommunikative Praktiken sind soziale Praktiken, Formen sozialer Praxis. Es handelt sich um gesellschaftlich herausgebildete konventionalisierte Verfahren zur Bearbeitung rekurrenter kommunikativer Zwecke. Jede Gesellschaft verfügt als Repertoire für die Verständigung über einen spezifischen Satz solcher kommunikativen Praktiken, der sich historisch herausgebildet hat. Als soziale Phänomene sind kommunikative Praktiken geregelt. Das Ausführen einer kommunikativen Praktik bedeutet die Berücksichtigung eines spezifischen (zum größten Teil nicht bewussten) Satzes von sozialen Regeln bzw. Konventionen, von denen ein Teil auch sprachlich-kommunikative Regeln/ Konventionen sind. Ein solcher Satz von Regeln bzw. Konventionen ist konstitutiv für eine kommunikative Praktik, wobei die einzelnen Regeln durchaus unterschiedlich zentral sein können. Werden die Regeln (zumindest die zentralen) nicht befolgt, so wird nicht die betreffende kommunikative Praktik realisiert, vielleicht jedoch eine andere. Um eine Praktik zu beschreiben, ist es notwendig, die Gesamtheit ihrer Regeln zu explizieren. Manche der kommunikativen Praktiken werden (im Rahmen unserer Kultur) nur mündlich ausgeführt (ein Schiff taufen), andere nur schriftlich (ein Protokoll verfassen), manche mündlich oder schriftlich (Klatsch) und manche sind spezifische Mischungen aus beiden Elementen. 4 In zunehmend mehr kommunikative Praktiken sind (mit einem breiten Spektrum von Funktionen) technische Geräte eingebunden. Geht man von kommunikativen Praktiken als den Grundformen der Verständigung aus, wird deutlich, dass die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache eine Abstraktion darstellt, die von den verschiedenen 4 So wird z.B. bei der Praktik ‘ein Urteil sprechen’ dieses auf der Grundlage eines mehr oder minder ausformulierten schriftlichen Textes zunächst mündlich verkündet und dann endgültig schriftlich niedergelegt. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 17 Formen der sozialen Einbettung des Sprechens und Schreibens absieht. 5 Entscheidend für diese Abstraktion ist ein bestimmter Aspekt - die Art der Produktion: Erfolgt die Verständigung in einer Praktik primär durch Sprechen oder durch Schreiben? Unter Absehung von allen anderen Aspekten der Praktiken wird - nur diesen Faktor beachtend und relevant setzend - entsprechend gruppiert. 6 Die beschriebene Vorgehensweise konstituiert systematisch die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache. (3) Zu konstatieren, dass es gesprochene Sprache - und als Gegenstück dazu: geschriebene Sprache - gibt, birgt die Gefahr der Verdinglichung. Um dieser Gefahr zu entgehen, muss die Tatsache bewusst gehalten werden, dass es sich um eine spezifische Abstraktion handelt. Die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache sitzt fest in den Köpfen. Alltagsweltlich ist sie als Unterscheidung von Sprechen und Schreiben präsent. In der Wissenschaft ist sie Ausgangspunkt für vielfältige theoretische Bemühungen um diese Differenz wie auch für zahlreiche Versuche - mal mehr, mal weniger empirisch gestützt - die Unterschiede zu explizieren. Sie ist auch die Basis für wesentliche Grenzziehungen in der Sprachwissenschaft. 7 5 Dies konstatiert auch Hartung (1993, S. 158): „Ich glaube, es ist ein großer Fehler, mindestens eine bestimmte Einschränkung und Vorbelastung unseres Denkens, wenn wir Mündlichkeit und Schriftlichkeit von vornherein als gegebene Systeme betrachten und sie miteinander vergleichen, wenn wir also gewissermaßen Mündlichkeit und Schriftlichkeit verdinglichen. Für besser hielte ich ein ‘historisches’ Herangehen: Der Mensch wächst in bestimmte Kommunikationssphären hinein, eignet sich Mittel an und gestaltet Bedingungen, unter denen kommuniziert wird, um. [...] Teile dieses Prozesses zu rekonstruieren, erschiene mir auf jeden Fall interessanter als die Bedingungen der schriftlichen und mündlichen Kommunikation nur miteinander zu vergleichen.“ 6 Natürlich sind über der Vielfalt der kommunikativen Praktiken auch gänzlich andere Abstraktionen möglich, z.B. hinsichtlich der Zahl der Beteiligten oder hinsichtlich der Vorgeplantheit der Kommunikation. Sie führen zu ganz anderen Klassenbildungen, die sich nicht mit der Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache decken. 7 Auch die Existenz einer Abteilung ‘Gesprochene Sprache: Analyse und Dokumentation’, in der das Projekt ‘Eigenschaften gesprochener Sprache’ zur Vergewisserung über den eigenen Gegenstand und seine Reichweite begonnen wurde, verdankte sich dieser Unterscheidung. Eigenschaften gesprochener Sprache 18 Die Grenze, die sie zieht, ist die zwischen verschiedenen Weisen, wie Verständigung angestrebt wird bzw. erfolgt: auf mündlichem oder auf schriftlichem Weg. 8 Thematisiert wird damit - wie gesagt - die Art der Produktion von Entäußerungen, die der Verständigung dienen. Was motiviert nun die Prominenz gerade der Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache? Sie reflektiert zunächst einmal die alltagsweltliche Erfahrung, dass es ein gravierender Unterschied ist, ob ich spreche oder ob ich schreibe: Gesprochen wird mit dem Mund, geschrieben mit der Hand; Sprechen geht leicht von der Hand (besser: aus dem Mund), Schreiben ist schwierig und bedarf hoher Aufmerksamkeit; das gesprochene Wort verfliegt (im wahrsten Sinne des Wortes), das geschriebene ist dauerhaft; Sprechen lernt man gewissermaßen automatisch - es ist eine condition humaine wie Quasthoff (1996, S. 9) es nennt - und man lernt es auf jeden Fall auch früher als das Schreiben. Schreiben lernen hingegen bedarf einer ausführlichen Anleitung. Schon diese kurzen Bemerkungen machen erneut deutlich: Konstitutiv für die Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ist der Vergleich: Gesprochene Sprache wird immer im Kontrast zur geschriebenen gesehen (und umgekehrt) und kann in ihrer Besonderheit nur auf der Folie der anderen Form deutlich werden. Gesprochene und geschriebene Sprache konstituieren sich wechselseitig. Weniger deutlich wird dabei allerdings eine Annahme, die diesem Vergleich zugrunde liegt, nämlich die, dass das, was mündlich produziert wird, bzw. das, was schriftlich produziert wird, in sich jeweils gleichartig oder gleichförmig ist. Weil sich die Produktionsweise für gesprochene Sprache von der für geschriebene Sprache unterscheidet, wird angenommen, dass das, was auf diese unterschiedlichen Weisen produziert wird, sich voneinander unterscheidet, untereinander aber sich jeweils ähnelt. Die Unterscheidung von 8 Ehlichs (1994) Unterscheidung von Diskurs und Text z.B. zieht eine andere Grenze. Für sie ist der funktionale Aspekt konstitutiv, ob Kommunikation - egal ob mündlich oder schriftlich - auf Überlieferung angelegt ist (Texte) oder nicht (Diskurse). Auch Koch/ Oesterreichers (1985, 1994) Unterscheidung von konzeptioneller Mündlichkeit (Sprache der Nähe) und konzeptioneller Schriftlichkeit (Sprache der Distanz) zieht eine andere Grenze, deren Differenzierungskriterien allerdings weniger klar auf den Begriff zu bringen sind. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 19 gesprochener und geschriebener Sprache suggeriert so die Vorstellung, dass es sich um zwei verschiedene Sprachformen handelt, die in sich relativ homogen sind oder deren interne Unterschiede zumindest geringer sind als die zu der anderen Form. Wir möchten dies die Homogenitätsannahme für Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit nennen und werden versuchen, diese Annahme zu relativieren. Sie unterschlägt die Vielfalt sowohl des Mündlichen wie auch des Schriftlichen (vgl. Abschnitt I.6.). Eine Konsequenz dieser Homogenitätsannahme ist dann, dass die so geschiedenen Bereiche - u.a. wegen ihrer vermeintlichen Einheitlichkeit, aber auch weil es eine starke Tendenz gibt, dem, wofür es Bezeichnungen gibt, Existenz zuzuschreiben und zu verleihen - zu real existierenden ‘Gegenständen’ hypostasiert werden. Was seinem Status nach eine spezifische Abstraktion über kommunikativen Praktiken ist, erhält so den Status einer Unterscheidung von substanziellen Gegenständen. In der Folge wird dann die Abstraktion als materiale Unterscheidung in die Realität rückprojiziert und bestimmt deren Wahrnehmung und Strukturierung. Ist die Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache erst einmal institutionalisiert, so verändert dies auch den Blick auf die kommunikativen Praktiken. Sie sind nicht mehr alle als zweckvolle Formen der Verständigung gleichrangig, sondern sie lassen sich unter dem Gesichtspunkt betrachten, welche der Praktiken die primäre, dominierende, ‘reinere’ oder prototypische Form der gesprochenen bzw. geschriebenen Sprache sei. Nach verschiedenen Kriterien werden die Praktiken hinsichtlich ihrer ‘Repräsentativität’ für gesprochene bzw. geschriebene Sprache gewichtet. So scheint das Zwiegespräch von Angesicht zu Angesicht besser die Vorstellung von gesprochener Sprache zu treffen als ein Telefongespräch oder gar das Besprechen eines Anrufbeantworters. In einem nächsten Schritt kann dann die Vorstellung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit primär mit diesen prototypischen Formen assoziiert (und u.U. darauf beschränkt) werden. Kurz: Der Vielfalt der kommunikativen Praktiken wird eine Einschätzung hinsichtlich ihrer Prototypik für gesprochene bzw. geschriebene Sprache aufgeprägt. Diese Überlegungen machen deutlich, auf welchen Voraussetzungen die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache beruht und welche Konsequenzen sie hat. Ihre wesentliche Basis ist die alltagsweltliche Eigenschaften gesprochener Sprache 20 Unterscheidung von Sprechen und Schreiben. Im wissenschaftlichen Bereich unterliegt sie einer Tendenz zur Verdinglichung. Gleichwohl ist sie als Abstraktion zu bestimmten Zwecken durchaus sinnvoll. Auch wir werden im Folgenden von ihr ausgehen. Bewusst zu halten ist aber, dass und wie sie von den zugrunde liegenden kommunikativen Praktiken abstrahiert. (4) Gesprochene Sprache und geschriebene Sprache sind distributionell wie funktional differenzierte Verständigungsformen. Die Sichtweise, dass sie zwei Formen bzw. Ausprägungen einer Sprache seien, verdunkelt diesen Status. Gesprochene und geschriebene Sprache, oder genauer: die mündlichen und die schriftlichen kommunikativen Praktiken, haben weitgehend unterschiedliche Domänen und Funktionen. Zum einen sind sie unterschiedlich distribuiert und stehen nur in relativ wenigen Fällen in einer Relation der freien Wählbarkeit. In weiten Bereichen bestimmen sachliche Notwendigkeiten und Konventionen, ob die Verständigung mündlich oder schriftlich erfolgt. So ist es unter sachlichen Gesichtspunkten unsinnig, Dienst‘besprechungen’ schriftlich durchzuführen, wiewohl es aus anderen Gründen sinnvoll ist, sie schriftlich zu protokollieren. Eine konventionelle Präferenz in unserer Kultur hingegen ist es, Heiratsanträge mündlich zu stellen. Auch wenn es in diesem Sinn deutlich unterschiedliche Domänen für Mündlichkeit und Schriftlichkeit gibt, schließt dies nicht aus, dass sich in einzelnen Praktiken mündliche und schriftliche Elemente mischen können und dass zu bestimmten Zwecken von mündlichen zu schriftlichen Praktiken oder umgekehrt von schriftlichen zu mündlichen Praktiken übergegangen werden kann: So kann z.B. einer mündlichen Beschwerde ein Beschwerdebrief folgen bzw. schriftlich begonnene Verhandlungen können mündlich fortgeführt werden. Zum anderen bestehen deutlich unterschiedliche Funktionen. Gesprochene Sprache hat ihre zentrale Funktionalität im Bereich der interaktiven Bewältigung aktueller Situationen. Geschriebene Sprache hingegen als das Verfahren, sprachliche Handlungen der Flüchtigkeit zu entheben, hat ihre spezifische Funktion in der raum-zeitlichen Distribution und Tradierung von Äußerungen und Texten. Die unterschiedlichen Funktionen hängen weit- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 21 gehend mit dem Umstand zusammen, dass gesprochene Sprache hochgradig situationsverwoben und kontextsensitiv ist, während geschriebene Sprache in bestimmten Graden dekontextualisiert ist (und zur Erfüllung ihrer Funktionen auch sein muss). Die Funktion der raum-zeitlichen Distribution und Tradierung erfordert die Dekontextualisierung der sprachlichen Handlungen. Die Aufgaben, auf die gesprochene bzw. geschriebene Sprache, mündliche bzw. schriftliche kommunikative Praktiken Antworten sind, sind also deutlich unterschiedlich. Die Sichtweise, dass gesprochene und geschriebene Sprache zwei Erscheinungsformen bzw. Ausprägungen einer zugrunde liegenden, medial nicht spezifizierten Sprache seien, verdeckt eher den Blick auf diese distributionellen und funktionalen Unterschiede und damit auf die relative Eigenständigkeit von gesprochener und geschriebener Sprache. (5) Ein medial-extensionales Verständnis von gesprochener Sprache und Mündlichkeit ist erforderlich, um Verkürzungen und Verzerrungen zu vermeiden und das Spektrum kommunikativer Praktiken entlang grundlegender Unterschiede differenzieren zu können. Wenn gesagt wurde, dass zur gesprochenen Sprache alles das gehört, was durch Sprechen hervorgebracht wird, so kommt darin ein extensionales Verständnis zum Ausdruck, das alle Formen mündlicher Kommunikation umfasst: Ausschließlich das, was Koch/ Oesterreicher (1985, 1994) Medium nennen, ist entscheidend dafür, was zur Mündlichkeit gehört und was nicht. Dies ist aber durchaus nicht die übliche Form der Konstitution des Gegenstandsbereichs gesprochene Sprache. Mit dem medial-extensionalen Zuschnitt von Mündlichkeit konkurriert ein prototypisch-graduierender. Bei diesem Zugang sind nicht alle Formen von Mündlichkeit gleichwertig, sondern bestimmte Formen sind deutlichere oder bessere Fälle von gesprochener Sprache als andere (vgl. These (3)). Koch/ Oesterreichers Unterscheidung einer Sprache der Nähe von einer Sprache der Distanz ist ein Beispiel für eine solche graduierend-prototypische Konzeption. Sie stehen mit dieser Form der Gegenstandskonstitution aber durchaus nicht alleine (vgl. Abschnitt I.2.2.4). Eigenschaften gesprochener Sprache 22 U.E. birgt ein graduierend-prototypischer Zuschnitt des Gegenstandsbereichs der gesprochenen Sprache die Gefahr, dass prototypische Formen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, während randständige Formen außer Betracht bleiben. So entsteht ein verzerrtes Bild von Mündlichkeit. Um dieser Gefahr zu entgehen, halten wir eine medial-extensionale Konzeption von gesprochener Sprache für erforderlich, die alle Formen der Verständigung, bei denen gesprochene Sprache eine Rolle spielt, gleichgewichtig in den Blick nimmt. Nur durch einen möglichst vollständigen Überblick über die unterschiedlichen Formen von Mündlichkeit lässt sich die Spezifik der einzelnen detailliert herausarbeiten. (6) Gesprochene Sprache ist gekennzeichnet durch eine große Vielfalt und Varianz. Dies hat zur Folge, dass gesprochene Sprache wegen ihrer Uneinheitlichkeit nicht als Ganzes beschrieben werden kann. Beschrieben werden können einerseits die allgemeinen Eigenschaften, die sich aus den Grundbedingungen mündlicher Verständigung ergeben, und andererseits die Spezifik einzelner kommunikativer Praktiken. Es gibt - wie gesagt - nicht ‘die’ gesprochene Sprache schlechthin, sondern immer nur gesprochene Sprache im Kontext bestimmter kommunikativer Praktiken. Die Verschiedenartigkeit der kommunikativen Praktiken wirft nun die Frage auf, wie weit die ‘Sprache’ in ihnen homogen ist. Die Form gesprochener Sprache ist zum einen das Resultat allgemeiner Grundbedingungen der Mündlichkeit (vgl. Abschnitt I.3.) und zum anderen der konkreten Anforderungen spezifischer kommunikativer Praktiken. Entgegen der oben angesprochenen Homogenitätsannahme weist gesprochene Sprache also eine große Varianz und Vielfalt auf. Sie variiert bis zu einem bestimmten Grad von Praktik zu Praktik und auch innerhalb einer Praktik von Exemplar zu Exemplar. Der Satz der Regeln (zum Teil auch die im engeren Sinne sprachlichen Regeln) unterscheidet sich mehr oder minder stark von dem, der für eine andere kommunikative Praktik konstitutiv ist. Das, was praktikenübergreifend gemeinsam ist, verdankt sich der Übereinstimmung der Grundbedingungen (so weit diese bei den verschiedenen Praktiken reicht). So sind Kurzlebigkeit und Zeitlichkeit grundlegende Kennzei- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 23 chen aller mündlichen Verständigung, während die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung oder die Interaktivität nur für einen Teil der kommunikativen Praktiken gelten. Aus dem Gesagten folgt, dass das Beschreibungsziel der Beschäftigung mit gesprochener Sprache zum einen jene allgemeinen Eigenschaften sein sollten, die sich aus den Grundbedingungen mündlicher Verständigung ergeben (vgl. Abschnitt I.4.), und zum anderen die Charakterisierung der Spezifik der einzelnen kommunikativen Praktiken. Um dieser Variabilität und Varianz gesprochener Sprache Rechnung zu tragen, bedarf es aus methodologischer Sicht statt der gängigen Modelle, die interne Homogenität zur Voraussetzung haben (z.B. Varietäten, Stile), eines anderen Modelltyps, der kontinuierliche Übergänge zu erfassen vermag (vgl. Abschnitt I.6.4). (7) Um spezifische Eigenschaften gesprochener Sprache bestimmen zu können, ist es zunächst erforderlich, die Grundbedingungen mündlicher Verständigung herauszuarbeiten. Alle wesentlichen Eigenschaften gesprochener Sprache lassen sich aus diesen Grundbedingungen herleiten. Die Bedingungen, unter denen gesprochene und geschriebene Sprache produziert und rezipiert werden, unterscheiden sich grundlegend. Desgleichen unterscheiden sich die Produkte, die unter diesen Bedingungen produziert werden. Die je spezifischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen ‘formen’ dabei die Verständigungsmittel und die konkreten Produkte. Und umgekehrt: Die jeweiligen Verständigungsmittel und Produkte sind ihren Produktions- und Rezeptionsbedingungen funktional angepasst. Die wesentlichen Faktoren der Produktions- und Rezeptionsbedingungen werden als Grundbedingungen expliziert (vgl. Abschnitt I.3.) und ihre Auswirkungen auf die Ausbildung von Verständigungsmitteln und auf die Gestaltung der konkreten Produkte nachgezeichnet (vgl. Abschnitt I.4.). Dies wird auch als Herleitung der Eigenschaften gesprochener Sprache aus ihren Grundbedingungen angesprochen. Eigenschaften gesprochener Sprache 24 Die in These (4) erläuterte Auffassung, gesprochene Sprache als funktional wie distributionell relativ eigenständige Verständigungsform zu betrachten, bedeutet, dass die Mittel der mündlichen Verständigung zwar anders sind als schriftliche, dass sie aber keinesfalls defizitär, sondern den spezifischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen von gesprochener Sprache angepasst sind. 9 Das schriftsprachlich dominierte Sprachbewusstsein führt jedoch dazu, Besonderheiten der gesprochenen Sprache zunächst einmal als Abweichungen von den in der geschriebenen Sprache vorgefundenen Verhältnissen wahrzunehmen und zu beschreiben: z.B. Elision, Verschleifung, Ellipse, größere Häufigkeit von Anakoluthen in gesprochener Sprache etc. Darüber hinaus wird dies häufig nicht nur als Abweichung konstatiert, sondern zugleich implizit oder explizit negativ bewertet (vgl. Abschnitt II.1.). (8) Die Bestimmung spezifischer Eigenschaften gesprochener Sprache ist nicht möglich ohne einen Vergleich. Der Vergleichsgegenstand wie die Operation des Vergleichens bedürfen genauerer methodologischer Reflexion. Jede Bestimmung von spezifischen Eigenschaften setzt unumgänglich - implizit oder explizit - einen Vergleich voraus. Im Kontext von gesprochener und geschriebener Sprache ist jeweils die andere Seite Vergleichsgegenstand: Vorgeblich wird gesprochene mit geschriebener Sprache verglichen. Zu fragen ist dabei jedoch zum einen, welche Entitäten denn nun wirklich miteinander verglichen werden (meistens sind es nicht gesprochene und geschriebene Sprache, sondern bestimmte mündliche und schriftliche Gesprächs-/ Textformen bzw. konkrete Exemplare dieser Formen), und zum anderen, auf welchen der verschiedenen möglichen Ebenen welche Phänomene miteinander verglichen werden (vgl. Abschnitt I.5.3.1). Die in These (4) angesprochenen Unterschiede in den Funktionen und Domänen bedeuten darüber hinaus, dass gesprochene und geschriebene Sprache nicht so ohne weiteres miteinander vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit muss immer erst konstruiert werden. Mithilfe solcher Konstruktionen zur 9 „What looks like mistakes or flaws in natural language use [aus der Perspektive der geschriebenen Sprache; R.F.] can, on closer inspection, turn out to provide elegant ways of coping with the manifold complexities and contradictory constraints that speakers have to meet in the specific context of an utterance.“ (Franck 1985, S. 244). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 25 Herstellung von Vergleichbarkeit gelingt es dann häufig - wie Rath (1985, S. 1661) es ausdrückt - „an den wesentlichen Charakteristiken des Dialogs vorbei[zu]vergleichen“. Nach unserem Eindruck werden diese vorgängigen Konstruktionsprozesse bei Vergleichen zu selten explizit reflektiert. (9) Das schriftsprachlich dominierte Sprachbewusstsein und am Schriftlichen entwickelte Analyse- und Beschreibungskategorien behindern gravierend eine angemessene Erfassung gesprochener Sprache. Die geschriebene Sprache prägt dominant das Sprachbewusstsein. Dies gilt in literalen Gesellschaften ganz generell; in besonderem Ausmaß gilt es für gesellschaftliche Gruppen, deren Arbeit im Wesentlichen in der Produktion und Rezeption schriftlicher Texte besteht, so auch für Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler. 10 Diese schriftsprachliche Prägung führt in der Sprachwissenschaft zu einem ‘written language bias’ (Linell 1982), das in drei Tendenzen zum Ausdruck kommt: Zum einen waren ganz dominant schriftliche Texte bzw. Sätze und sehr viel weniger gesprochene Sprache der Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft. Zum anderen sind die Analyse- und Beschreibungskategorien der Sprachwissenschaft an schriftsprachlichen Sätzen bzw. Texten entwickelt worden und auf sie funktional zugeschnitten. Für die Analyse gesprochener Sprache sind sie hingegen nur bedingt tauglich. Zum dritten führt die dominante Beschäftigung mit Texten, in denen die Verständigung verbalsprachlich erfolgt, dazu, auch von der mündlichen Verständigung vorrangig nur den verbalsprachlichen Anteil zu beachten. So wird der multimodale Charakter mündlicher Verständigung systematisch verfehlt (vgl. Abschnitt I.2.2.3 und Abschnitt II.1.). Der in These (9) angesprochene unumgängliche Vergleich von gesprochener und geschriebener Sprache ist so mit einer weiteren Problematik belastet: Verglichen werden kann nicht von einem neutralen, unparteiischen Standpunkt aus, sondern der Vergleich findet statt unter den Bedingungen eines 10 „Den meisten Sprachwissenschaftlern ist überhaupt nicht bewußt, wie sehr ihr Bild von der Sprache durch ihren Niederschlag in schriftlichen Texten geprägt ist“ (Klein 1985, S. 13). „Vielmehr ist die Art und Weise, wie sie [die Sprachwissenschaftler; d. Verf.] sprachliche Erscheinungen untersuchen, stark von Vorstellungen geprägt, die sich aus der Betrachtung geschriebener Texte herleiten.“ (Klein 1985, S. 12). Eigenschaften gesprochener Sprache 26 schriftsprachlich geprägten Sprachbewusstseins und einer ebenso geprägten Sprachwissenschaft sowie mittels Kategorien, die in der und für die Analyse von Schriftsprache entwickelt worden sind. Dadurch wird der Vergleich systematisch verzerrt. Er erfolgt zwangsläufig vom Standpunkt und aus der Perspektive der geschriebenen Sprache. Die Anwendung des schriftsprachlich ausgerichteten Kategoriensystems in der Analyse gesprochener Sprache führt zwangsläufig zu Schieflagen und Defiziten. Die Analyse- und Beschreibungskategorien der geschriebenen Sprache erweisen sich als Behinderung oder gar als Missweisung (vgl. Abschnitt II.1.). In letzter Konsequenz behindern sie auch die Erkenntnis der gesprochenen Sprache in ihrer Eigenart und Eigenständigkeit. (10) Für eine angemessene Analyse gesprochener Sprache bedarf es anstelle einer Produktorientierung einer Prozessorientierung. Das Interesse an der Analyse von Texten und das Interesse an der Analyse von mündlicher Verständigung implizieren jeweils unterschiedliche Perspektiven: im ersten Fall eine Produktorientierung, im zweiten eine Produktionsorientierung. So geringfügig der Unterschied zunächst scheint, sind damit letztlich doch zwei fundamental unterschiedliche Paradigmen angesprochen. Zentral für die Verständigung mittels geschriebener Sprache ist ein fertig vorliegendes Produkt, der Text; 11 Sprechen hingegen ist wesentlich die kooperative Organisation eines Prozesses, der mündlichen Verständigung. 12 Die Zeitlichkeit des Interaktionsprozesses ist konstitutiv für mündliche Verständigung, während sie dies für die Produktherstellung beim Schreiben 11 Natürlich ist auch der Text in einem Prozess erstellt worden und wird in einem Prozess rezipiert bzw. analysiert. Im Prozess der schriftlichen Verständigung liegt er aber als fertiges Produkt vor und kommt mit seinen Produktqualitäten zum Tragen. So ist er z.B. weder vom Schreiber noch vom Leser veränderbar, und der Leser hat ihn als Ganzes vor sich und ist bei der Rezeption nicht an seine interne Reihenfolge gebunden. 12 Schon Behaghel (1899, S. 15) formuliert diese Differenz, wenn er bemerkt, „daß die Rede in hohem Maße als das Ergebnis zweier Größen erscheint: nicht lediglich aus dem Haupte des Redenden entsprungen, sondern gemeinsames Erzeugnis des Sprechers und des Hörers.“ Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 27 nicht ist. Entsprechend sind die Analyse- und Beschreibungskategorien für geschriebene Texte vorrangig produktorientiert. Kategorien, die die Prozessualität, Zeitlichkeit, Interaktivität und Dynamik erfassen können, wie sie für gesprochene Sprache charakteristisch sind, fehlen hingegen weitgehend. 13 Für die Analyse gesprochener Sprache gilt deshalb das methodologische Postulat, die Produktion von Äußerungen bzw. die Entwicklung eines Gesprächs in ihrer zeitlichen Abfolge nachzuvollziehen. Nur so wird deutlich, welche Funktion einzelne Elemente im Prozess der mündlichen Verständigung haben, und erst auf dieser Grundlage können strukturbezogene Kategorien sinnvoll gebildet werden (vgl. Abschnitt II.1. und II.2. sowie den Hauptteil III.). (11) Die Kategorie Operator-Skopus-Struktur ermöglicht es, ein Phänomen der gesprochenen Sprache gegenstandsangemessen und übergreifend zu beschreiben. Sie fasst Ausdrucksklassen und Konstruktionen unter einem gemeinsamen Dach zusammen, zwischen denen bisher keine Beziehungen gesehen wurden. Operator-Skopus-Strukturen, die exemplarisch im Hauptteil III. untersucht werden, sind - formal betrachtet - spezifische zweigliedrige Einheiten, deren einer Bestandteil, der Operator, aus einem Wort oder einer kurzen Formel besteht, und deren anderer Bestandteil, der Skopus, eine potenziell selbstständige Äußerung darstellt. Inhaltlich qualifiziert der Operator den Skopus in spezifischer Weise. Er gibt - funktional betrachtet - dem Hörer eine Verstehensanleitung oder -anweisung, wie die Äußerung in seinem Skopus aufzufassen ist. In dem Beispiel: kurz und gutwir können uns das * a"benteuer nicht leisten (4050.241) 13 „The dimension of time should be reintroduced, (or rather, no longer abstracted from) in dealing with our linguistic data. This will allow us to deal with formulational and perceptual strategies of communication in a more realistic and more explanatory way.“ (Franck 1985, S. 243). „For a long time linguistic, and even text-linguistic studies of spoken language concentrated on the result, i.e., on utterances or on texts, and largely neglected the process which brings them about.“ (Gülich/ Kotschi 1995, S. 30). Eigenschaften gesprochener Sprache 28 gibt der Operator kurz und gutdem Hörer den Verstehenshinweis, dass die Äußerung in seinem Skopus wir können uns das * a"benteuer nicht leisten ein Resümee ist. Operator-Skopus-Strukturen scheinen in den letzten Jahren stark zu expandieren und zunehmend aus dem Bereich des Mündlichen auch in schriftliche Texte einzudringen. Sie sind damit zwar kein rein mündliches Phänomen mehr, aber der Motor für ihre Expansion liegt in den spezifischen Bedingungen der mündlichen Kommunikation. Teilmengen der Operator-Skopus-Strukturen sind in der Literatur unter sehr unterschiedlichen Kategorien behandelt worden (äußerungskommentierende Gesprächsformeln, Adverbiale/ Adverbials, Brackets, Konnektoren, Vor- Vorfeldbesetzungen etc.). Das Konzept der Operator-Skopus-Struktur stellt dagegen den Versuch dar, für verschiedene Phänomene auf einer allgemeineren Ebene einen gemeinsamen Beschreibungsrahmen zu finden, wobei die übergreifende Gemeinsamkeit im Konstruktionsprinzip von Operator und Skopus gesehen wird. 2. Linien der Erforschung gesprochener Sprache - Linien der Gegenstandskonstitution Die Erforschung von mündlicher Kommunikation und gesprochener Sprache ist in der Geschichte der (Sprach-)Wissenschaft kein kontinuierlicher, systematisch fortschreitender Prozess, sondern sie erfolgte und erfolgt aus einer Reihe verschiedener Perspektiven, die an diesem ‘Gegenstand’ sehr unterschiedliche Seiten hervorheben - wenn sie nicht sogar eigenständige, sich nur teilweise deckende Gegenstände konstituieren. Zugleich ist in der Geschichte aber auch der Phänomenbereich - die Mündlichkeit - nicht konstant, sondern er verändert sich stetig - sowohl als solcher wie auch in seiner Relation zur Schriftlichkeit. Im Folgenden sollen in aller Kürze die vier u.E. wichtigsten Forschungslinien und -traditionen der Untersuchung von Mündlichkeit dargestellt werden. Dabei kann es - auch nicht ansatzweise - um eine Geschichte der wissenschaftlichen Reflexion von Mündlichkeit und Schriftlichkeit gehen. Dies Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 29 ist an dieser Stelle weder im Gesamtüberblick noch auch nur für die Entwicklung in der Bundesrepublik nach 1960 zu leisten. 14 Behandelt werden sollen hier lediglich vier zentrale Entwicklungslinien, in die sich viele der einschlägigen Arbeiten einordnen lassen. 2.1 Zugänge zur Erforschung des Sprechens Die unterschiedliche Art der Hervorbringung und die Andersartigkeit der Kommunikationsprozesse hat Sprechen und Schreiben als unterschiedliche Formen der Kommunikation schon früh zum Thema alltagsweltlicher wie auch philosophisch-wissenschaftlicher Reflexion gemacht. Dies ist jedoch - wie im Folgenden deutlich werden wird - nicht gleichbedeutend damit, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit auch als analytische Kategorien ausgebildet werden. Voraussetzung für die Ausbildung als analytische Kategorien (und damit für die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache) ist auf der Gegenstandsseite zunächst einmal die Etablierung von Schriftlichkeit als eigenständiger Kommunikationsform, d.h. ihre Loslösung aus Zusammenhängen, in denen sie vorwiegend als (konservierendes) Hilfsmittel für Mündlichkeit genutzt wird (wie zum Beispiel, wenn sie als Grundlage für das Vorlesen dient, oder bei der Konzeption und der nachträglichen Verschriftlichung von Reden). Erst nach einer solchen Entflechtung und nach einer Etablierung von Sprechen/ Hören und Schreiben/ Lesen als auch getrennt auftretenden Aktivitäten (wie sie z.B. mit der Entwicklung des 14 Zu verweisen ist hier auf eine Reihe von historisch orientierten und einführenden Arbeiten. Eine Darstellung der historischen Entwicklung der Reflexion von Mündlichkeit geben Schlieben-Lange (1983) und Geißner (2001). Einführungen und Überblicksartikel zur mündlichen Kommunikation und gesprochenen Sprache liegen u.a. vor von Schank/ Schoenthal (1976), Ludwig (1980), Schank/ Schwitalla (1980), Rath (1985), Nerius (1987), Schwitalla (1994) und Schwitalla (1997). Einen Überblick über die Entwicklung der Gesprochenen-Sprache-Forschung in der Bundesrepublik ab 1960 geben Betten (1977/ 78) und Rath (1994). Ein kurzer Überblick über die Geschichte der Reflexion von Schrift und Schriftlichkeit findet sich in Schlieben-Lange (1994). Für den Bereich der Schriftlichkeit sei generell auf das Handbuch ‘Schrift und Schriftlichkeit’ (Günther/ Ludwig 1994) und die Schriftbibliografie von Ehlich/ Coulmas/ Graefen (1996) verwiesen. Eigenschaften gesprochener Sprache 30 ‘stillen’ Schreibens und Lesens erreicht ist) werden Mündlichkeit und Schriftlichkeit als eigenständige Bereiche erkennbar. Notwendig ist hierfür auch, dass schriftliche Kommunikation gesellschaftlich ein bestimmtes Ausmaß, eine gewisse Vielfalt und eigenständige Funktionsbereiche gewonnen hat. 15 Auf der wissenschaftlich-analytischen Seite sind Voraussetzungen für eine solche Unterscheidung zum einen eine vergleichende, auf die Erfassung der Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit gerichtete Perspektive und zum anderen ein Interesse an der Systematisierung von Kommunikationsformen. Eine systematische Differenzierung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in diesem Sinne etabliert sich erst gegen Ende des 19. Jahrhundert. Behaghels berühmten Festvortrag von 1899 (s.u.) kann man hier als einen ersten Kulminationspunkt verstehen. Zwar sind die materiellen Voraussetzungen auf der Gegenstandsseite schon lange vorher gegeben (Existenz eigenständiger, voneinander unabhängiger mündlicher wie schriftlicher Praktiken), aber erst mit der Loslösung von der Fixierung auf „die vornehme, würdevolle, streng abgemessene Sprache der Schrift, des Buches“ (Behaghel 1899, S. 11) und dem wissenschaftlichen Gewahrwerden der Vielfalt sprachlicher Varietäten und kommunikativer Praktiken entwickelt sich ein entsprechendes vergleichendes und systematisierendes Interesse, auf dessen Hintergrund die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit analytisch relevant wird. Im deutschsprachigen Raum ist ab 1960 eine starke Expansion der Beschäftigung mit Mündlichkeit und gesprochener Sprache zu beobachten. Sie werden zum Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher (Teil-)Disziplinen. Diese Bestrebungen wurzeln z.T. in der Dialektologie, die für ihre Untersuchungen auf gesprochensprachliche Daten angewiesen ist. Einen deutlichen Neuansatz stellt die Gesprochene-Sprache-Forschung dar (verbunden mit Namen wie Leska, Zimmermann, Rupp, Wackernagel-Jolles, Steger, Lindgren, Rath u.a.), die ihre Aufmerksamkeit vor allem auf strukturelle und grammatische Eigenschaften richtet. In diesem Zusammenhang ist insbeson- 15 Weiter geht hier noch Ong (1982, S. 3), der diese Unterscheidung an das Aufkommen elektronischer Kommunikationsformen bindet: “Our understanding of the differences between orality and literacy developed only in the electronic age, not earlier.“ Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 31 dere das Projekt ‘Grundstrukturen der deutschen Sprache’ hervorzuheben, das in der Forschungsstelle Freiburg des IDS durchgeführt und in dessen Rahmen das erste größere deutschsprachige Korpus erstellt wurde (Freiburger Korpus; vgl. Texte gesprochener deutscher Standardsprache I - IV; auch recherchierbar als Korpus FR in der Datenbank gesprochenes Deutsch ( DGD ) unter: http: / / dsav-wiss.ids-mannheim.de/ DSAv/ ). Parallel dazu etabliert sich die Linguistische Pragmatik, die vorrangig an mündlicher Kommunikation interessiert ist, in ihren Anfängen aber kaum mit authentischen Daten arbeitet. Dies wird das Credo der Gesprächsforschung, die die linguistische Pragmatik ablöst. Auf der Basis authentischer Gesprächsaufzeichnungen ist sie zunächst weniger an grammatischen als vielmehr an gesprächsstrukturellen Organisationsprinzipien und Regularitäten interessiert. Durch die Untersuchung mündlicher Varietäten und Register trägt auch die Soziolinguistik zur Erforschung gesprochener Sprache bei. Wesentliche neue Impulse erhält die Analyse mündlicher Kommunikation durch den Sonderforschungsbereich 321 ‘Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit’, der von 1985 bis 1996 in Freiburg arbeitet. Auch der Bereich der Schrift- und Schriftlichkeitsforschung trägt durch seine implizite oder explizite Vergleichsperspektive zur Charakterisierung von Mündlichkeit bei. Im Rahmen der Psycholinguistik ist Mündlichkeit Gegenstand experimenteller Untersuchungen, die sich z.B. mit medienspezifischer Textverarbeitung oder mit den Prozessen der mündlichen Sprachproduktion und -rezeption befassen. Im Rahmen von Deutsch als Fremdsprache wird Mündlichkeit und gesprochene Sprache thematisch, sofern nicht nur die schriftsprachliche Variante des Deutschen vermittelt werden soll. Insbesondere geht es darum, Lerner im Fremdsprachenunterricht und in Lehrwerken mit authentischer gesprochener deutscher Sprache vertraut zu machen. Last but not least ist Mündlichkeit und gesprochene Sprache auch Gegenstand der Sprecherziehung/ Sprechwissenschaft. Mündlichkeit bzw. gesprochene Sprache wird in diesen Disziplinen zum Forschungsgegenstand entweder durch eine Entscheidung, die sich bewusst auf diesen Gegenstand beschränkt, um spezifische Aspekte an ihm zu untersuchen - so z.B. bei der Gesprochenen-Sprache-Forschung und in der Gesprächsforschung -, oder durch die Tatsache, dass der Gegenstandsbereich, für den man sich interessiert, primär mündlich organisiert ist. Gesprochene Sprache gerät dort zwangsläufig ins Blickfeld, wo im Gegenstandsbereich Eigenschaften gesprochener Sprache 32 viel gesprochen, aber kaum geschrieben wird, wie es im Bereich der Dialekte und Regionalsprachen, bei der Kommunikation in peer groups oder in aliteraten Gesellschaften der Fall ist. Gesprochene Sprache stellt hier den Zugang zum Forschungsfeld dar und wird zugleich zum Untersuchungsgegenstand. Im Folgenden wollen wir unter systematischen Gesichtspunkten vier Forschungslinien und -traditionen in der Erforschung gesprochener Sprache unterscheiden: (1) Systemlinguistische Differenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache; (2) Unterschiede in den Kommunikationsbedingungen bei Mündlichkeit und Schriftlichkeit; (3) Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Rahmen von Gesellschaften; (4) Gesprächsförmigkeit mündlicher Kommunikation. Zwischen diesen Sichtweisen auf gesprochene Sprache und Mündlichkeit gibt es vielfältige Übergänge und Positionsmischungen, gleichwohl sollen sie in den folgenden Abschnitten 2.1.1 bis 2.1.4 zunächst einzeln charakterisiert werden, um ihre gegenstandskonstitutive Kraft deutlicher herausarbeiten zu können. Vorab soll aber in einem Exkurs an der historischen Rhetorik und an der Unterscheidung von Lautsprache und Schrift, wie sie z.B. für die Junggrammatiker wichtig ist, gezeigt werden, dass hier die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit noch keine konstitutive Rolle spielt. Exkurs: Rede und Rhetorik Seit der Antike ist Sprechen vor allem in Form und am Beispiel der Rede reflektiert und thematisiert worden. Die Rede ist, solange Entscheidungsstrukturen bestehen, die durch Reden effektiv beeinflusst werden können, eine kommunikative Praktik von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Die Analyse und Konzeptualisierung der Rede schlägt sich in einer unabsehbaren Reihe von Rhetoriken nieder und konstituiert - bis zu ihrem Niedergang und ihrer Neuausrichtung im 19. Jahrhundert - die Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 33 Disziplin Rhetorik (vgl. Ueding/ Steinbrink 1986). Ihr geht es um die Beschreibung und Optimierung dieser Praktik. Es dominiert eine anwendungsbezogene Perspektive, die eine analytische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand erfordert und voraussetzt. Neben der Rede kommen mit nachrangiger Bedeutung auch andere Praktiken ins Blickfeld: z.B. die philosophische Unterredung (Disputation), das Lehrgespräch und die geistliche Beredsamkeit, die als Dialektik, Mäeutik und Homiletik behandelt werden. Zentraler Gegenstand der Rhetorik aber bleibt auf dem Hintergrund der von Cicero getroffenen Unterscheidung von öffentlicher Rede, contentio oder oratio, und privatem Gespräch, sermo, bis ins 15./ 16. Jahrhundert die Rede: Die Rede fällt in den Zuständigkeitsbereich der Rhetorik, das Gespräch nicht. Diese Unterscheidung wird bis zur italienischen Renaissance aufrechterhalten. Erst im Zeitalter Castigliones weitet die Rhetorik ihre Einflußsphäre auf die bislang nicht rhetorisch geregelte Konversation aus. (Bader 1994, S. 12). 16 In der Rhetorik spielt die Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache keine bedeutsame Rolle. Überhaupt findet eine systematische Auseinandersetzung mit der Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit nicht statt (Bader 1994, S. 10). Ein Grund hierfür ist, dass Schriftlichkeit als eigenständiger Bereich noch nicht klar genug ausgeprägt ist. Sie wird noch zu stark in ihrer Hilfsfunktion für die ‘eigentliche’ Mündlichkeit der Rede gesehen. Ein weiterer Grund ist, dass die Rhetorik keine Systematik der Kommunikationsformen anstrebt: Ihr Ziel ist die inhaltliche Beschäftigung mit wenigen relevanten kommunikativen Praktiken, allen voran der Rede. Die historische Beschäftigung mit Kommunikationsformen bezieht sich also in erster Linie auf einzelne Praktiken und ist zweckgebunden. Ihren systematischen Stellenwert erhalten die Kategorien Schriftlichkeit und Mündlichkeit aber erst dann, wenn darüber hinaus eine Systematik der Kommunikationsformen ins Blickfeld rückt, was die Explikation der jeweiligen Unterschiede einschließt, und wenn die Erfassung von Unterschieden von Schriftlichkeit und Mündlichkeit nicht punktuell oder auf einzelne Bereiche beschränkt ist (Buchstabe - Laut), sondern wenn eine umfassende Beschreibung dieser Differenzen auf allen Ebenen angestrebt wird. 16 Bader (1994, S. 12) sieht hierin - nach der Erschließung des Bereichs der Literatur - „die zweite große - und gleichzeitig letzte - Ausweitung der Rhetorik“. Eigenschaften gesprochener Sprache 34 Ein dritter Grund liegt in der ‘Natur’ des Hauptgegenstandes der Rhetorik: Die Rede ist, bezogen auf die Unterscheidung gesprochen vs. geschrieben, keine ‘reine’ Form, sondern in den meisten Fällen eine Mischform. Mit Koch/ Oesterreicher (1985) muss man sie als medial mündlich, konzeptionell aber eher als schriftlich charakterisieren. Die antike Rhetorik gewann - wie wir gesehen haben - als Kunstrhetorik überhaupt erst Profil, weil Redner und Redelehrer seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert eine andere Kunst, die Kunst des Schreibens, systematisch und mit durchschlagendem Erfolg zur Perfektionierung der eigenen Kunst in ihre Dienste nahmen, weil sie es verstanden, die im neuen Medium ‘Schrift’ geborgenen konzeptionellen Möglichkeiten für ihre Zwecke optimal zu nutzen. Reden ließen sich mit Hilfe von Schrift (...) besser planen und effektvoller gestalten (Bader 1994, S. 66). The ‘art’ of rhetoric, though concerned with oral speech, was, like other ‘arts’ the product of writing. (Ong 1987, S. 109). Betrachtet man die Medialität in den verschiedenen Phasen der Produktion und Rezeption von Reden, ist sie darüber hinaus auch eine Kombinationsform: die Ausarbeitung der Rede erfolgt in der Regel schriftlich, ihr Vortrag ist mündlich, die „Fixierung der Rede post festum im Hinblick auf eine zweite, nichtöffentliche Rezeption“ (Bader 1994, S. 48) wiederum schriftlich. 17 Charakterisiert man den konzeptionellen Charakter von Reden genauer, so komplizieren sich die Verhältnisse dadurch, dass die schriftliche Ausarbeitung in Hinblick auf den mündlichen Vortrag erfolgt (es wird - in einigen Aspekten - so geschrieben, wie man meint zu reden bzw. wie später geredet werden soll) und dass dann im mündlichen Vortrag der schriftliche Text verlautbart wird (es wird - natürlich auch mit Abweichungen - so geredet, wie geschrieben worden ist). Die medialen und konzeptionellen Verhältnisse bei der Rede sind also komplex und nicht einfach auf den Gegensatz von gesprochen und geschrieben abzubilden. Dies ist - wie oben schon bemerkt - einer der Hauptgründe, warum die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit für die Rhetorik nicht zentral ist. Lautsprache und Schrift Die Auffassung, dass gesprochene Sprache vornehmlich ein lautliches Phänomen - ein Phänomen aus Lauten - sei, hat in der Geschichte der Sprachwissenschaft eine erhebliche Rolle gespielt. Sie findet sich in aller Deutlichkeit bei den Junggramma- 17 Für eine genauere Darstellung vgl. Bader (1994, S. 48-50). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 35 tikern, sie ist bei de Saussure gängig und sie setzt sich in der Dialektologie und Phonetik/ Phonologie fort. In kontrastierender Perspektive ist sie häufig mit Vorstellungen des Primats der Lautlichkeit gegenüber der Schrift (den Buchstaben) verbunden: In der genannten Periode [der zweiten Hälfte des 19. und den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts; d. Verf.] dominiert in der Sprachwissenschaft die Vorstellung vom absoluten Primat (man könnte sagen von ‘der linguistischen Legitimität’) der gesprochenen Sprache und des akustischen Charakters gesprochener Äußerungen. (Vachek 1976b, S. 241). 18 So schreibt Hermann Paul z.B. im 21. Kapitel ‘Sprache und Schrift’ seiner Prinzipien der Sprachgeschichte: Es ist wichtig für jeden Sprachforscher niemals aus den Augen zu verlieren, daß das Geschriebene nicht die Sprache selbst ist, daß die in Schrift umgesetzte Sprache immer erst einer Rückübersetzung bedarf, ehe man mit ihr rechnen kann. (Paul 8 1968, S. 373). Die Schrift verhält sich zur Sprache etwa wie eine Skizze zu einem mit der größten Sorgfalt in Farben ausgeführten Gemälde. (Paul 8 1968, S. 376-377). Vergleichbare Aussagen finden sich auch bei de Saussure: Sprache und Schrift sind zwei verschiedene Systeme von Zeichen; das letztere besteht nur zu dem Zweck, um das erstere darzustellen. Nicht die Verknüpfung von geschriebenem und gesprochenem Wort ist Gegenstand der Sprachwissenschaft, sondern nur das letztere, das gesprochene Wort allein ist ihr Objekt. (Saussure 2 1967, S. 28). In der Gegenüberstellung von Lautsprache und Schrift werden gesprochene Sprache und geschriebene Sprache also keineswegs gleichrangig oder -wertig gesehen, sondern die Schrift wird als ‘armer Verwandter’, als abgeleitete Form (mit anderer Funktionalität) betrachtet. Paul setzt sogar Lautsprache mit Sprache („die Sprache selbst“ s.o.) gleich. Diese Fixierung auf die Lautlichkeit als dem wesentlichen Merkmal von Sprache bringt so zwangsläufig die Sichtweise von Ungleichgewichtigkeit, vom Primat der gesprochenen Sprache mit sich. Auch wenn hier systematisch zwischen gesprochener und geschriebener Sprache unterschieden wird, so erfolgt die Gegenüberstellung doch nicht in neutral vergleichender, sondern in dequalifizierender Absicht. Die zwischen Lautsprache und Schrift konstatierten Differenzen dienen nicht primär einem systematischen Vergleich, sondern der Legitimation einer bestimmten Gegenstandsfestlegung, die zudem ideologischer Natur ist, insofern die 18 Vgl. Vacheks (1976b, S. 241-243) Exemplifizierung dieser These an Saussure, Sapir, Bloomfield und Hockett. Eigenschaften gesprochener Sprache 36 Forschungspraxis nur zum Teil dieser Festlegung entspricht (s.u.). Lautsprache und Schrift werden im Rahmen dieser Position holistisch, d.h. ohne innere Differenzierung, gesehen und so einander gegenübergestellt. Auch hier hat also die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache keinen systematischen Stellenwert. 2.1.1 Systemlinguistische Differenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache Die Motivation, sich mit Unterschieden zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu befassen, ist deutlich anders gelagert, als in den 60er Jahren die Reflexion gesprochener Sprache in der Sprachwissenschaft der Bundesrepublik einsetzt: Mündlichkeit und Schriftlichkeit werden als gleichrangige Funktionsbereiche verstanden. Zentral ist die Perspektive des Vergleichs von gesprochener und geschriebener Sprache (nicht die der Bewertung), um Abweichungen und jeweilige Spezifika feststellen zu können. Diese Vergleichsperspektive (wie auch das Interesse an grammatischen und lexikalischen Phänomenen) bewirkt, dass der verbale Anteil mündlicher Kommunikation im Vordergrund der Aufmerksamkeit steht und prosodische und nonverbale Elemente mündlicher Verständigung wenig Beachtung finden. Eine Differenz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache wird jetzt nicht mehr nur hinsichtlich der Lautlichkeit konstatiert, sondern die Suche nach Unterschieden wird auf den gesamten systemlinguistischen Bereich erweitert. Ins Blickfeld treten grammatische und lexikalische Differenzen. Das Ziel ist, diese Unterschiede in den Produkten des Sprechens und Schreibens - also in Transkripten und Texten - möglichst genau zu erfassen. So beziehen sich die Untersuchungen des Projekts ‘Grundstrukturen der deutschen Sprache’, das hier wegbereitend ist, z.B. auf Unterschiede im Hinblick auf Konjunktiv/ Modus, Vergangenheitstempora, Futur, Satzbaupläne, Passiv und Wortstellung (vgl. Schröder 1975). Es werden aber auch (in anderen Zusammenhängen) ‘Gesprächswörter’ konstatiert, die bevorzugt in der gesprochenen Sprache verwendet werden (Brinkmann 1962, Henne 1978, Burkhardt 1982; vgl. auch die Arbeiten zur Partikelforschung). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 37 Die Auffassung von gesprochener Sprache schwankt dabei zwischen einer rein medialen Konzeption: Die Freiburger Forschungsstelle enthält sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt irgendwelcher präjudizierender Annahmen und beschränkt sich auf eine rein medienspezifische Abgrenzung, und zwar auf eine eindeutige und weitgehend absicherbare Trennung der Bereiche nach den Bedingungen der Textproduktion und -rezeption. (Schröder 1975, S. 9). und einer kriteriengesteuerten Eingrenzung auf prototypische Fälle von Mündlichkeit, wie sie in einer Definition von Steger zum Ausdruck kommt: Als gesprochene Sprache kann [...] nur akzeptiert [sic! ] werden 1. was gesprochen wird, ohne vorher aufgezeichnet worden zu sein; 2. was gesprochen wird, ohne länger für einen bestimmten Vortragszweck bedacht worden zu sein. Schließlich sollte vorerst praktischerweise nur Sprache akzeptiert werden, die 3. gesprochen wird, ohne in Vers, Reim, Melodie oder vergleichbar fester Bindung zu stehen; auch wenn es sich um immer unschriftliche Formen und Formeln handelt. Das heißt, es scheint gegenwärtig nützlich, nur gesprochene Sprache zuzulassen, die mit Prosamustern kodiert wird. (Steger 1967, S. 262). Es darf [...] wohl nur akzeptiert werden, was 4. gesprochen wird und im Rahmen des jeweils gesprochenen Sprachtyps als [...] richtig anzusehen ist. (ebd., S. 264). Nicht angesprochen ist in der Definition eine weitere Beschränkung auf Standardsprache. Sie ist konstitutiv für die Zusammenstellung des Freiburger Korpus (vgl. die Transkriptbände: Texte gesprochener deutscher Standardsprache I-IV). 19 Das Verhältnis zur geschriebenen Sprache wird theoretisiert als das zweier unterschiedlicher Realisierungen eines medienunabhängigen Phänomens Sprache. Es wird also postuliert, dass beiden das gleiche Sprachsystem zugrunde liegt, aus dem lediglich unterschiedliche Abwahlen vorgenommen werden (Steger 1987). 19 Der Begriff ‘Standardsprache’ erscheint nur im Titel der Bände. In den Beiträgen ist durchgehend von ‘Hochsprache’ die Rede. Vgl. den erläuternden Hinweis in: Texte gesprochener deutscher Standardsprache I, S. 4. Eigenschaften gesprochener Sprache 38 Gesprochene Sprache wird nach verschiedenen Verwendungszusammenhängen differenziert, indem Redekonstellationen unterschieden werden, die sich durch unterschiedliche Ausprägungen eines Satzes von Merkmalen beschreiben und differenzieren lassen. Dieses Redekonstellationsmodell (Steger et al. 1974) ist Ausdruck einer typologisch-systematisierenden Differenzierung von Kommunikationsformen bzw. -praktiken. Das Problem aber, ob und inwieweit gesprochene Sprache in und mit diesen verschiedenen Redekonstellationen variiert und partiell anderen Regeln unterliegt, wird schwankend behandelt. Zum einen werden solche Unterschiede konzediert und ansatzweise untersucht: Die These der Forschungsstelle Freiburg würde also lauten, daß spezifische Redekonstellationstypen, mit denen kommunikative Situationen außersprachlich beschrieben werden können, qualitative wie frequentielle Konsequenzen auf der sprachlichen Seite haben, d.h. daß ihnen jeweils auch eindeutig klassifizierbare Textsorten entsprechen. [...]. DEUTRICH konnte nachweisen, daß den mit diesen Kombinationen außersprachlicher Merkmalsausprägungen beschriebenen Redekonstellationen jeweils auch oberflächenstrukturell spezifisch klassifizierbare sprachliche Produktionen entsprechen. Und zwar ließen sich die Textexemplare gegeneinander abgrenzen nach relativem Anteil an Hauptsätzen, Gefügesätzen, konjunktionellen Nebensätzen, nach relativer Häufigkeit von Substantiven, nach charakteristischer Satzlänge usw. (Schröder 1975, S. 26-27). Zum anderen verliert sich diese Differenzierung aber auch, wenn von generellen Eigenschaften gesprochener Sprache gesprochen wird. Dies lässt sich z.B. sehr deutlich bei Engel (1974) zeigen. Er gibt zwar die „Verteilung der Gesprächsarten“ (S. 203) in seinem Corpus I (gesprochene Sprache) explizit an - sie reichen von der Plauderei bis zum Verhör -, bei der vergleichenden Analyse von Satzbauplänen und Wortstellung spielt diese Differenzierung dann aber keine Rolle mehr. Alle dreizehn Gespräche werden als „deutsche Alltagssprache“ (ebd., S. 199) dem schriftsprachlichen Corpus II gegenübergestellt. Implizit wird damit unterstellt, dass die Differenzen zwischen den Gesprächsarten nicht vorhanden oder klein sind und gegenüber den Unterschieden zur geschriebenen Sprache nicht ins Gewicht fallen. Wesentlich für diesen Ansatz ist seine empirische Orientierung, d.h. seine konsequent korpusbasierte Arbeitsweise. Die Kategorien für die konkreten grammatischen Analysen werden aber nicht an diesem Material entwickelt, sondern - entgegen Forderungen, gegenstandsangemessene Kategorien erst Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 39 auszuarbeiten - der traditionellen Grammatik entnommen. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der grundlegenden Einheiten der gesprochenen Sprache. Hier wird zunächst unreflektiert die Kategorie ‘Satz’ übernommen. Eine grundsätzliche Problematisierung oder Infragestellung der gängigen Kategorien erfolgt nicht (vgl. Bausch 1971). 2.1.2 Unterschiede in den Kommunikationsbedingungen bei Mündlichkeit und Schriftlichkeit Ein zweiter Strang der Erfassung von Unterschieden zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit setzt nicht bei systemlinguistischen Differenzen in den Produkten an, sondern reflektiert Unterschiede in den Kommunikationsbedingungen. Ausbuchstabiert werden hier Unterschiede in der Kommunikationssituation, Unterschiede in der Medialität (einschließlich des Kommunikationskanals) und Unterschiede in den Funktionen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, die sich daraus ergeben. Diese Gesichtspunkte werden in der Regel nicht isoliert, sondern - mit unterschiedlicher Gewichtung - kombiniert betrachtet. Thematisch werden hier Aspekte wie die bei mündlicher Kommunikation häufig bestehende gemeinsame Wahrnehmungssituation bzw. die Zerdehnung der Sprechsituation bei schriftlicher Kommunikation (vgl. Ehlich 1994, S. 19), die akustisch-optischen Kanäle, über die mündliche Verständigung erfolgt, vs. der nur optische Kommunikationskanal bei schriftlicher Kommunikation und Funktionen wie die Externalisierung und die zeitlich-räumliche Tradierbarkeit, die für schriftliche Kommunikation charakteristisch ist. Dieser Strang hat als Reflexion fundamentaler Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit eine lange Tradition und kann hier in seiner Entwicklung nicht dargestellt werden. Exemplarisch soll an dieser Stelle nur auf Behaghel (1899) eingegangen werden, der in der neueren Geschichte der Sprachwissenschaft zu einem erstaunlich frühen Zeitpunkt wesentliche Unterschiede systematisiert hat. 20 20 Weitere wichtige Arbeiten im Rahmen dieses Stranges sind u.a. Klein (1985), Koch/ Oesterreicher (1985), Quasthoff (1995). Eigenschaften gesprochener Sprache 40 Vor etwas mehr als 100 Jahren - am 1. Oktober 1899 - hält Otto Behaghel auf der Hauptversammlung des Deutschen Sprachvereins seinen Festvortrag „Geschriebenes Deutsch und gesprochenes Deutsch“. Der Vortrag mutet in seinen Grundpositionen ausgesprochen modern an, so dass sich der Eindruck aufdrängt, dass seitdem theoretische Fortschritte bei der Analyse von gesprochener Sprache nur im Detail erreicht wurden. Behaghel unterscheidet geschriebenes und gesprochenes Deutsch (terminologisch wird variiert zwischen ‘gesprochenem und geschriebenem Wort’, ‘gesprochener/ mündlicher und geschriebener Rede’, Schriftsprache und lebendige Sprache etc.), wobei er im Bereich des Gesprochenen zusätzlich zwischen ‘Umgangssprache’ und ‘Mundart’ differenziert. Wohl konstatiert er die regionale Varianz von Umgangssprache und Mundart, aber im Wesentlichen sind für ihn geschriebene und gesprochene Sprache homogen und werden als in sich einheitliche Formen gegenübergestellt. Interne funktionale Varianz kommt weder als Textsorten-, noch als Diskurstypendifferenzierung in den Blick. Behaghel macht diese Aussagen zu einer Zeit, in der es keine Möglichkeiten zur Aufzeichnung und Reproduktion von gesprochener Sprache gibt und man alle die technisch vermittelten und massenmedialen Formen der Mündlichkeit noch nicht kennt. Beides dürfte zur Vernachlässigung der internen Differenzierung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit beigetragen haben. Behaghel konstatiert, „daß zwischen den Voraussetzungen für das geschriebene Wort und denen für das gesprochene Wort tiefgreifende Unterschiede bestehen“ (S. 13). In diesem Zusammenhang hebt er besonders die Multidimensionalität der mündlichen Verständigung (S. 14), die Situationsverwobenheit und die „Gemeinsamkeit der Voraussetzungen“ beim Sprechen (S. 15) sowie die Interaktivität und die Gemeinsamkeit des Produzierens (S. 14-15) hervor: Diese Gemeinsamkeit der Voraussetzungen, im Verein mit der Einwirkung, die der Redner durch den Angeredeten erfährt, bedingt es, daß die Rede in hohem Maße als das Ergebnis z w e i e r Größen erscheint: nicht lediglich aus dem Haupte des Redenden entsprungen, sondern gemeinsames Erzeugnis des Sprechers u n d des Hörers. (Behaghel 1899, S. 15). Das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache bestimmt Behaghel in verschiedener Hinsicht. Zum einen hebt er hervor, dass in der ge- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 41 sprochenen Sprache „das eigentliche volle Leben der Sprache sich entfaltet, während in der Schriftsprache nur ein abgeblaßter Schein des Lebens sich zeigt.“ (S. 12). Er sieht also - ganz im Sinne seiner Zeit (s.o.) - in dieser Hinsicht ein Primat der gesprochenen Sprache. Zum anderen betont er ihre starke Differenz und Eigenständigkeit: Angesichts so tiefgreifender Unterschiede in den äußeren und inneren Voraussetzungen ist es gar nicht anders möglich, als daß das Gepräge der Schriftsprache sehr stark abweicht von dem des gesprochenen Wortes. [Im Text ‘geschriebenen Wortes’, was u.E. ein Druckfehler sein muss; d. Verf.] (Behaghel 1899, S. 21). So tiefgreifend sind die Unterschiede in den Bedingungen, in den Mitteln und Zwecken, in der gesamten Gestaltung, die zwischen geschriebenem und gesprochenem Worte bestehen. Wer all das unbefangen ins Auge faßt, wird nicht daran denken können, das eine als Maßstab für das andere zu betrachten. (ebd., S. 23). Zum dritten stellt er die Dialektik von verschiedenen Funktionsbereichen und gleichzeitiger Interdependenz und wechselseitiger Beeinflussung von geschriebener und gesprochener Sprache heraus: Was wir beweisen wollten und, so hoffe ich, bewiesen haben, war die T a ts a c h e des Unterschiedes, die Unmöglichkeit, die Unterschiede aufzuheben. (Behaghel 1899, S. 24). So sind beständig zweierlei Mächte an der Arbeit: die einen arbeiten an der S c h e i d u n g des geschriebenen und des gesprochenen Wortes, die anderen drängen auf Aufhebung des Unterschiedes hin. Keine von beiden Parteien kann jemals vollen Sieg erringen. (ebd., S. 25). Dabei ist es allerdings weitaus häufiger, „daß Eigenart des gesprochenen Wortes im geschriebenen sich geltend macht, als daß das Umgekehrte geschieht.“ (ebd.). Insgesamt gilt für diesen Forschungsstrang (und so auch für Behaghel), dass Unterschiede in den Kommunikationsbedingungen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Das Herausarbeiten dieser Unterschiede lenkt die Aufmerksamkeit in Richtung auf eine Typologie der Kommunikationsformen (was bei Behaghel allerdings nicht der Fall ist). Unterschiede auf der sprachlichen Ebene werden als Funktion der Unterschiede in den Kommunikationsbedingungen gesehen, wobei die sprachlichen Unterschiede eher exemplarisch betrachtet als systematisch bearbeitet werden. Eigenschaften gesprochener Sprache 42 2.1.3 Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie die Interdependenz ihrer Entwicklung im gesellschaftlichen Rahmen Dieser Strang unterscheidet sich von den beiden vorgenannten dadurch, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit und ihre wechselseitigen Abhängigkeiten von einer hohen Ebene der Allgemeinheit aus betrachtet werden. Während die beiden zuvor behandelten Positionen implizit oder explizit den Vergleich einzelner - mündlicher bzw. schriftlicher - Kommunikationsakte als Grundperspektive haben, geht es hier um die Funktionalität von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Gesellschaften. Die Perspektive reicht von der kommunikativen Situation in schriftlosen Gesellschaften, über Probleme der Entstehung und Einführung von Schriften, bis hin zur Situation der Koexistenz und vielfältigen Interdependenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (als intern vielfältig differenzierten Verständigungsformen) in entwickelten Gesellschaften. Die Entwicklung und Etablierung von Schriftlichkeit in Gesellschaften, die schrittweise Ausdifferenzierung dieser Schriftlichkeit (im Sinne der Entwicklung immer neuer Texttypen), die Modifizierung von Schriftlichkeit durch immer neue technische Präsentations- und Reproduktionsformen für Texte und die Generalisierung von Literalität in Gesellschaften sind beständiger Anlass für die Reflexion von Schriftlichkeit und für Bestimmungen des Verhältnisses zwischen Schreiben und Sprechen. In diesem Reflexionsprozess konturieren sich Schriftlichkeit und Mündlichkeit wechselseitig. Die Besonderheiten der Mündlichkeit können nur vor dem Hindergrund der Schriftlichkeit und im Vergleich miteinander deutlich werden. Diesem Strang sind große Teile der Schriftlichkeitsforschung zuzurechnen. Als komplementäre Ergänzung zu den Ansätzen, die sich hauptsächlich mit der Analyse von Mündlichkeit beschäftigen (Gesprochene-Sprache-Forschung, Gesprächsanalyse), entwickelt sich in der Bundesrepublik (als Folge der Rezeption der im anthropologisch-ethnografischen Kontext entstandenen Konzepte von ‘Oralität’ und ‘Literalität’, für die die Perspektive auf gesellschaftliche Prozesse konstitutiv ist; vgl. exemplarisch die Arbeiten von Goody (u.a. 1981 u. 1987) und Ong (u.a. 1987)), eine kontinuierlich erstarkende Schriftlichkeitsforschung, die mit dem Handbuch ‘Schrift und Schriftlichkeit’ (Günther/ Ludwig 1994) und mit der Schriftbibliografie (Ehlich/ Coulmas/ Graefen 1996) eine beeindruckende Zwischenbilanz zieht. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 43 Nach einer phase, in der die gesprochene sprache und deren erforschung absoluten vorrang hatte, setzt gegenwärtig in den sprachwissenschaften eine umorientierung ein: Schrift und schriftlichkeit sind [...] nicht mehr länger nur sekundär oder nachgeordnet, sondern werden zum gegenstand intensiven forschens. (Baurmann/ Gier/ Meyer 1987, S. 81, zitiert nach Rath 1994, S. 379). ... seit Mitte der 80er Jahre [steht] Schriftlichkeit im Fokus der Sprachwissenschaft. (Rath 1994, S. 388). In dieser Schriftlichkeitsforschung überwiegt - notwendigerweise - die Perspektive der geschriebenen Sprache, sie ist aber gleichwohl im Sinne der dialektischen Interdependenz von Schriftlichkeit und Mündlichkeit auf gesprochene Sprache als Vergleichs- und Abgrenzungsgegenstand bezogen. Dieses ‘written language bias’ der Schriftlichkeitsforschung und die Tatsache, dass Kategorien, die im Kontext der Analyse von Schriftlichkeit entwickelt wurden, die Basis für einen analytischen Zugriff auf Mündlichkeit sind, wird dabei aber durchaus reflektiert (vgl. Günther 1995). 2.1.4 Gesprächsförmigkeit mündlicher Kommunikation Einen ganz anderen Zugang zur Mündlichkeit bzw. gesprochenen Sprache nimmt die Gesprächsforschung, die sich in einer Reihe von Spielarten und unter verschiedenen Bezeichnungen seit Beginn der 70er Jahre entwickelt. In der Bundesrepublik bezieht sie wichtige Impulse aus der Gesprochenen- Sprache-Forschung, der Sprechakttheorie und der linguistischen Pragmatik. Konstitutiv für die Gesprächsforschung ist, dass sie den dialogischen oder interaktiven Charakter von Mündlichkeit zum Ausgangspunkt nimmt. Zugleich betont sie den Handlungs- und Tätigkeitsaspekt des Sprechens sowie die Konstitutionsleistungen, die durch die verbale Interaktion erbracht werden. Methodisch ist sie durch ihre strikte empirische Orientierung, das Ausgehen von authentischen Gesprächsaufzeichnungen und -transkriptionen, und ihre korpusbasierte Arbeitsweise gekennzeichnet. Ihr Erkenntnisinteresse ist vorrangig auf Organisationsprinzipien und Regularitäten des Gesprächsprozesses gerichtet. Die analytische Arbeit zielt ab auf die Herausarbeitung von Strukturen, Mustern, Schemata und Regeln. Dabei hat sie sich Eigenschaften gesprochener Sprache 44 zunächst auf Phänomene konzentriert, die für das Miteinandersprechen spezifisch sind und die nur in der mündlichen Kommunikation vorkommen (Turn-taking, Reparaturen, Rückmelde- und Gliederungssignale, Handlungsschemata von Gesprächen etc.). Im Mittelpunkt der Arbeit stehen also die Eigenheiten und Spezifika von Mündlichkeit. Dies bedeutet zum einen, dass der Vergleich mit den Verhältnissen im Bereich des Schriftlichen nur eine untergeordnete Rolle spielt, und zum anderen, dass zur Erfassung dieser spezifisch mündlichen Phänomene neue Kategorien erarbeitet werden mussten. Eine Typologie der Gesprächsformen ist zwar kein explizites Ziel der Gesprächsanalyse; da aber die entsprechenden Strukturen etc. gesprächstypspezifisch sind, ergibt sich aus dem Arbeitsprozess zwangsläufig eine gesprächstypdifferenzierende und -vergleichende Perspektive, die auf eine implizite Systematik hinausläuft. In dieser Differenzierung der Mündlichkeit, die im Wesentlichen der gesprächsanalytischen Untersuchung der verschiedensten Diskurstypen geschuldet ist, sehen wir den wesentlichen Fortschritt gegenüber Behaghel. War die Gesprächsforschung zunächst an der Herausarbeitung spezifischer Phänomene interessiert, die sich aus der Interaktivität von Mündlichkeit ergeben, sind aktuell Entwicklungen zu beobachten, die Konsequenzen des interaktiv-sequenziellen Charakters von Mündlichkeit einerseits in Hinblick auf die lautliche Gestaltung (Prosodie) und andererseits in Hinblick auf die grammatisch-syntaktische Strukturiertheit gesprochener Sprache (Interaktion und Grammatik/ Syntax) herauszuarbeiten. Aus diesen beiden Quellen bezieht die Gesprächsforschung gegenwärtig eine neue Dynamik. 21 Insbesondere die Beschäftigung mit den Konsequenzen des interaktivsequenziellen Charakters von Mündlichkeit für die grammatisch-syntaktische Strukturiertheit von Gesprächsbeiträgen 22 erfordert und erbringt dabei eine Problematisierung und Infragestellung herkömmlicher grammatisch- 21 „Im Augenblick stehen wir in einer Phase, in der das Interesse an Mündlichkeit auf einer neuen Basis wieder auflebt, nachdem ein Nachholbedarf an Schriftlichkeitsforschung in den 80er Jahren teilweise erfüllt wurde.“ (Quasthoff 1996, S. 9). 22 Vgl. z.B. Ochs/ Schegloff/ Thompson (1996) und für den deutschsprachigen Bereich die einschlägigen Arbeiten von Auer, Couper-Kuhlen, Günthner, Selting, Uhmann u.a. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 45 syntaktischer Beschreibungskategorien. In dieser Entwicklungslinie sind auch die Untersuchungen des Projekts ‘Eigenschaften gesprochener Sprache’ situiert. 2.2 Rahmenbedingungen für die Erforschung mündlicher Kommunikation Die Erforschung von Mündlichkeit ist gekennzeichnet durch vier wesentliche Rahmenbedingungen, die in ihren Auswirkungen auf die Untersuchbarkeit und Untersuchung von gesprochener Sprache reflektiert werden müssen. Zum einen ist der ‘Gegenstand’ mündliche Kommunikation nicht konstant, sondern er unterliegt historisch einer sich beschleunigenden Veränderung (2.2.1). Zum anderen handelt es sich um einen höchst flüchtigen Gegenstand, dessen Untersuchung wegen dieser Flüchtigkeit mit besonderen Problemen verbunden ist und für den es erst seit kurzer Zeit technische Geräte gibt, die ihn einer genaueren ‘Betrachtung’ zugänglich machen (2.2.2). Zum dritten ist in Rechnung zu stellen, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Sprachbewusstsein nicht gleichermaßen repräsentiert und ‘gleichrangig’ sind, sondern dass das Sprachbewusstsein durch ein Schriftlichkeitsbias geprägt ist, das die Erkennbarkeit des Gegenstands Mündlichkeit in spezifischer Weise erschwert und beeinträchtigt (2.2.3). Darüber hinaus muss beachtet werden, dass der wissenschaftliche Zuschnitt dessen, was zur Mündlichkeit bzw. gesprochenen Sprache zu rechnen ist, durchaus sehr unterschiedlich erfolgen kann (2.2.4). 2.2.1 Die Veränderung des Gegenstandes Mündlichkeit, verstanden als Summe der kommunikativen Praktiken, in denen Verständigung ganz oder zu Teilen mündlich erfolgt, ist in stetiger Veränderung begriffen. Existierende Praktiken verändern sich sowohl in den sie konstituierenden Regeln als auch in ihrem Stellenwert bzw. ihrer Bedeutung. So verliert z.B. die Beichte an Bedeutung, und die Beratung steigt in ihrem Stellenwert und differenziert sich in verschiedene Formen aus (Kastner/ Maasen 1995). Es entwickeln sich aber auch ganz neue kommunikative Praktiken, z.B. das Besprechen eines Anrufbeantworters. Solche neuen Praktiken treten vor allem im Zusammenhang mit der zunehmenden Technisie- Eigenschaften gesprochener Sprache 46 rung der mündlichen Kommunikation auf. Hier sind auch alle Formen massenmedialer Mündlichkeit zu nennen, für die die technische Vermittlung konstitutiv ist (Stichwort: sekundäre Mündlichkeit). 23 Eine weitere Veränderung besteht darin, dass institutionengebundene kommunikative Praktiken zunehmend an Umfang und Bedeutung gewinnen. Es wandelt sich aber nicht nur die Mündlichkeit an sich, sondern auch ihr Verhältnis zur Schriftlichkeit. So gibt es z.B. Verschiebungen in den Domänen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Es verändern sich die Auffassungen darüber, welche Anlässe und Inhalte mündlich oder schriftlich bearbeitet werden müssen. Beispielsweise werden Kaufverträge zunehmend schriftlich getätigt. Ferner ist ein Zurückgehen der Verschränkung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu beobachten: Immer weniger Texte werden dazu verfasst, dass sie laut (vor-)gelesen werden, immer weniger hat Lesen den Charakter der hörbaren Verbalisierung, d.h.: es erfolgt leise. Betrachtet man also im Jahre 2000 mündliche Kommunikation im Überblick, so ergibt sich ein ganz anderes Bild, als wenn man dies 1899 zum Zeitpunkt von Behaghels Rede, 1960 nach der Verbreitung von Rundfunk und Fernsehen oder 1980 nach der flächendeckenden Einführung des Telefons tut. Dies ist zum einen bei der Einschätzung von Aussagen zu Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus der Wissenschaftsgeschichte zu beachten, andererseits macht dieses Faktum noch einmal deutlich, dass Mündlichkeit und gesprochene Sprache weder homogene noch konstante Untersuchungsgegenstände sind. 2.2.2 Die Verfügbarkeit des Gegenstandes Mündlichkeit ist zudem ein flüchtiger Gegenstand, was seine Untersuchbarkeit einschränkt und seine Untersuchung in besonderer Weise schwierig gestaltet. Man ist entweder auf die Erinnerung angewiesen, oder aber es bedarf technischer Möglichkeiten der Konservierung von Äußerungen und Gesprächen. Die Erinnerung ist dabei ein bekanntermaßen unzuverlässiges Mittel. Die Verarbeitung und Speicherung von Gesprochenem ist im nor- 23 „The electronic age is also an age of ‘secondary orality’, the orality of telephones, radio, and television, which depends on writing and print for its existence.“ (Ong 1982, S. 3). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 47 malen Kommunikationsprozess inhaltlich-thematisch ausgerichtet. Bestimmte Phänomene werden - ohne entsprechende Schulung - gar nicht wahrgenommen oder treten nicht in den Fokus der Aufmerksamkeit. Äußerungen und Gespräche können schon nach kurzer Zeit nicht mehr im Wortlaut wiedergegeben werden, sondern sind nur noch inhaltlich zusammengefasst präsent. Diese Mechanismen der Verarbeitung und Speicherung sind auf das alltägliche Kommunizieren zugeschnitten und dafür auch funktional, sie sind aber kontraproduktiv für eine wissenschaftliche Analyse von Mündlichkeit. Eine erste Form der Konservierung mündlicher Kommunikation ist die Stenografie. Sie ist darauf ausgerichtet, den Wortlaut möglichst genau zu erfassen. Andere Phänomene werden dagegen außer Acht gelassen. Ihre Anwendung ist auf Situationen beschränkt, die als besonders wichtig eingeschätzt werden (z.B. Gerichts- oder Parlamentsstenografie) oder wo eine Umsetzung des Gesprochenen in schriftliche Texte intendiert ist, also diktiert wird. Einen qualitativen Sprung für die Verfügbarkeit gesprochener Sprache stellt die Entwicklung von Möglichkeiten zur akustischen und audiovisuellen Aufzeichnung von Interaktionen und Gesprächen dar. Die Entwicklung und Verbreitung entsprechender technischer Geräte zur Konservierung und Reproduktion (Plattenspieler, Tonbandgeräte, Kassettenrekorder, Videokameras) ist eine wesentliche Voraussetzung für eine detaillierte wissenschaftliche Untersuchung von mündlicher Kommunikation. Die Möglichkeit zu solchen Untersuchungen besteht damit noch keine hundert Jahre. Setzt man eine bestimmte Ausgereiftheit und Verbreitung der Geräte voraus, kann man sagen, dass sie seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gegeben ist. Eine zweite wesentliche Voraussetzung ist die Entwicklung von Verfahren zur Verschriftlichung (Transkription) konservierter Gespräche. Transkriptionen ermöglichen eine Vergegenwärtigung und ‘Betrachtung’ der Äußerungen und Gespräche, wie sie allein durch das Abhören der Aufzeichnung nicht zu erreichen ist. Die Entwicklung der Transkriptionssysteme erfolgte Hand in Hand mit dem Einsatz der genannten Geräte für sprachwissen- Eigenschaften gesprochener Sprache 48 schaftliche Zwecke (vgl. Ehlich/ Switalla 1976). 24 Die gesprochene Sprache wird mithilfe von Transkriptionen in einem bisher nicht gekannten Detaillierungsgrad untersuchbar. Mit der Flüchtigkeit des Gegenstandes und mit der Tatsache, dass konservierende Geräte erst seit relativ kurzer Zeit existieren, hängt auch zusammen, dass die Erforschung gesprochener Sprache im Wesentlichen nur an der Gegenwartssprache oder an der Sprache der jüngsten Vergangenheit betrieben werden kann. Dies ist ganz einfach eine Folge der fehlenden empirischen Materialbasis für die Zeit vor der Erfindung von Schallwalzen, -platten und Tonbändern. Das nicht aufgezeichnete Wort ist ein für alle Mal verflogen 25 und kann aus der Erinnerung oder aus Texten nur in geringem Umfang und sehr ungenau rekonstruiert werden: Die Sprachgeschichtsschreibung hat zum einen versucht, aus Form und Inhalt der schriftlichen Quellen auf Aspekte der mündlichen Kommunikation zu der betreffenden Zeit rückzuschließen und sie so zu rekonstruieren. Dies wird unter dem Stichwort ‘Reflexe gesprochener Sprache in schriftlichen Texten’ u.a. in einer Reihe von Artikeln (Sonderegger 1985, Grosse 1985, Bremer 1985) im Handbuch Sprachgeschichte (Besch/ Reichmann/ Sonderegger 1985) für die verschiedenen Sprachstufen getan. Dabei ist von den verschiedenen Beschreibungsebenen insbesondere der lautliche Bereich untersucht worden, also die Rekonstruktion von historischen Lautwerten (vgl. Bremer 1985, S. 1379-1380). Darüber hinaus sind auch schriftliche Berichte und Sprachreflexionen über Phänomene der mündlichen Kommunikation ausgewertet worden (vgl. Weithase 1961, S. 7). Beide Erschließungsweisen mündlicher Kommunikationsverhältnisse sind aber mit großen methodischen Problemen verbunden. Sprachgeschichte ist so fast ausschließlich eine Geschichte der schriftlichen Sprache, wie sie sich in der Vielzahl und Vielfalt der tradierten Texte zeigt. 26 24 Die Ausarbeitung von Lautschriften ist ein eigenständiger Entwicklungsstrang im Zuge der Erfassung der Lautlichkeit von Sprache. Sie erfolgte z.T. auch schon vor der Entwicklung technischer Aufzeichnungsgeräte, weil die Abbildung der interessierenden Phänomene nicht zwangsläufig an eine technische Reproduzierbarkeit gebunden ist. 25 Was würde man geben für eine Tonaufzeichnung von Luthers Tischgesprächen oder vom Kauf einer Kuh auf einem mittelalterlichen Markt ... 26 Die Sammlung, Dokumentation, Archivierung und Tradierung mündlicher Kommunikation und gesprochener Sprache hat dabei auch bei weitem noch nicht den Stand und die Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 49 Nicht zuletzt trägt auch diese Tatsache, nämlich dass die Vergangenheit der Sprache bis zum heutigen Tag fast ausschließlich aus schriftlichen Texten besteht, zur Dominanz der Schriftsprache im Sprachbewusstsein bei. 27 2.2.3 Das Schriftlichkeitsbias Die Untersuchung und Erkenntnis gesprochener Sprache wird noch durch einen dritten Punkt erschwert: Das alltagsweltliche wie das wissenschaftliche Sprachbewusstsein als auch die wissenschaftliche Untersuchungspraxis sind schriftsprachlich geprägt. Inwieweit das schriftsprachlich dominierte Sprachbewusstsein die Erkenntnis der Eigenheiten mündlicher Kommunikation und gesprochener Sprache erschwert, ist oben im Zusammenhang mit These (9) schon ausgeführt worden. An dieser Stelle sollen lediglich die Auswirkungen des Bias auf die Forschungspraxis thematisiert werden. Zentraler empirischer Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft waren in ihrer Geschichte (außer wenn es um die Lautlichkeit der Sprache ging) bisher fast ausschließlich schriftliche Texte oder ad hoc konstruierte Beispielsätze, die aufgrund der schriftsprachlichen Prägung des Sprachbewusstseins schriftnah formuliert werden. Nur sie waren (als Texte) dauerhaft gegeben und so der Analyse zugänglich. Im Kontext dieser Analysen ist auch das sprachwissenschaftliche Kategorieninventar entwickelt worden. Es ist funktional auf schriftsprachliche Sätze bzw. Texte zugeschnitten, wobei diese Kategorien - erst einmal etabliert - dann ihrerseits das Verständnis von Mündlichkeit prägen und kanalisieren (vgl. ausführlicher hierzu Abschnitt II.1.). Darüber hinaus wurde in diesen Analysen eine bestimmte Perspektive Standards erreicht, die für schriftliche Texte z.B. in Archiven oder Bibliotheken üblich sind. 27 „Aber es bleibt dabei: Solche Rückschlüsse auf frühere sprachgeschichtliche Ereignisse innerhalb der Sprache des kleinen Alltags sind nur selten möglich und bleiben immer lückenhaft. Anders steht es um die Schriftsprache. [...] Die ältesten bewahrt gebliebenen Handschriften in deutscher Sprache wurden z.B. um das Jahr 750 geschrieben, und seitdem ist die schriftliche Überlieferung niemals ganz abgerissen. Man kann also heute zwölf Jahrhunderte der deutschen Sprachgeschichte an Hand von schriftlichen Unterlagen studieren. Selten, wie gesagt, erfaßt man dabei den Alltag des Volkes.“ (Eggers 1986, S. 18) Eigenschaften gesprochener Sprache 50 etabliert, die auf das sprachliche Produkt orientiert ist, und erst in zweiter Linie am Prozess seiner Entstehung. Die Reflexion von Mündlichkeit geschieht also nicht von einem ‘neutralen’ Standort aus, sondern sie erfolgt aus der Perspektive und durch die Brille der Schriftlichkeit. Im Widerspruch zu dieser Analysepraxis hat in der Geschichte der Sprachwissenschaft die Auffassung, dass die gesprochene Sprache gegenüber der geschriebenen das Primat besitzt, eine wichtige Rolle gespielt (s.o.). Dieses Primat ist als historisches, strukturelles, funktionales und biologisches formuliert worden (vgl. Lyons 1983 und Günther 1995). Das Widersprüchliche dieser Auffassung besteht darin, dass, auch wenn erklärt wird, dass gesprochene Sprache (in ihrer Lautlichkeit) der primäre und zentrale Gegenstand der Sprachwissenschaft ist, die konkrete sprachwissenschaftliche Arbeit ihre Resultate weitgehend aus der Analyse von Texten bezieht (vgl. Ludwig 1980 und in enger Anlehnung daran Nerius 1987): Die mangelnde Beachtung der Verschiedenartigkeit von GSCHS und GSPS in der sprachtheoretischen Erörterung indes war in der Praxis Voraussetzung für eine naive Gleichsetzung der Sprache schlechthin mit der GSCHS. Wie selbstverständlich wurden Sprachuntersuchungen auf der Grundlage ausschließlich von geschriebenen Äußerungen (Texten) vorgenommen, zumal die Dokumentation mündlicher Rede damals technisch kaum möglich war. Letztlich sind Sprachuntersuchungen aus dieser Zeit Untersuchungen von GSCHS. (Ludwig 1980, S. 324). 2.2.4 Der wissenschaftliche Zuschnitt des Gegenstandes Über die Frage, was zur Mündlichkeit bzw. gesprochenen Sprache zu rechnen ist und was nicht, mithin über ihre Grenzen, besteht keineswegs Konsens. Der Gegenstand wird wissenschaftlich durchaus unterschiedlich zugeschnitten. Im Grundsatz konkurrieren dabei zwei Sichtweisen: eine medialextensionale und eine prototypisch-graduierende. Die medial-extensionale Sichtweise versteht alle die Formen als Mündlichkeit, bei denen Verständigung in irgendeiner Weise mittels gesprochener Sprache erfolgt. Demnach gehört das Verlesen von Nachrichten oder das Besprechen eines Anrufbeantworters ebenso dazu wie kommunikative Ko- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 51 ordination von Tätigkeiten oder der Kaffeeklatsch. Die Medialität ist das alleinige Kriterium dafür, was zur Mündlichkeit gerechnet wird. Ein häufiges Interesse in diesem Zusammenhang ist, verschiedene Formen mündlicher Kommunikation zu differenzieren. Beim prototypisch-graduierenden Zugang wird den verschiedenen Formen mündlicher Verständigung eine Gewichtung aufgeprägt: bestimmte Formen sind deutlicher, besser, genuiner etc. mündlich als andere. Dies beinhaltet die Möglichkeit, ‘schlechtere’ Fälle, die - als wesentlich definierte - Merkmale nicht aufweisen, aus der Betrachtung oder - weitergehend - als keine ‘echten’ Fälle von Mündlichkeit aus dem Gegenstandsbereich auszuschließen. Sowohl das Freiburger Projekt ‘Grundstrukturen der deutschen Sprache’ wie auch Koch und Oesterreicher, die aus unserer Sicht die wesentlichen Impulse im Bereich der Gesprochenen-Sprache-Forschung in der Bundesrepublik darstellen, sind - auf unterschiedliche Weise - der prototypisch-graduierenden Sichtweise verpflichtet. Das Freiburger Projekt verfährt dabei, wie das oben stehende Zitat von Steger belegt, ausschließend. Durch die genannten Kriterien werden bestimmte medial mündliche Formen der Verständigung ausgegrenzt und damit so etwas wie prototypische Mündlichkeit inthronisiert. Der Zweck dieser Ausgrenzung ist klar: Man möchte, da mit Schriftlichkeit verglichen werden soll, vorwiegend nur die Formen der Mündlichkeit berücksichtigen, die in einem möglichst deutlichen Kontrast zur Schriftlichkeit stehen. Durch diese Ausgrenzungen wird ein partikuläres Bild von Mündlichkeit erzeugt - zunächst nur im Projekt, über die Wirkung der Korpora dann aber auch im Bewusstsein vieler Linguisten. Innerhalb der in beschriebener Weise begrenzten Mündlichkeit findet dann eine Differenzierung von Kommunikationsformen im Rahmen des Redekonstellationsmodells statt. Auch Koch/ Oesterreicher (1985, 1994) strukturieren Mündlichkeit prototypisch-graduierend, wenn sie im konzeptionellen Bereich ein Kontinuum der Kommunikationsformen zwischen den Polen ‘gesprochen’ und ‘geschrieben’ annehmen (1985, S. 21) und indem sie von extremer Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit (1985, S. 19) sprechen. Je näher Kommunikationsformen am Pol konzeptioneller Mündlichkeit liegen, desto ‘klarere’, ‘deutlichere’ Fälle sind es. Dieses Vorgehen ist nicht ausgrenzend, es etabliert aber eine Anord- Eigenschaften gesprochener Sprache 52 nung relativ zum Kriterium Nähe vs. Distanz. Koch/ Oesterreicher betonen allerdings ausdrücklich, dass es sich nicht um eine lineare Anordnung handelt, sondern dass sie zwischen den Polen einen mehrdimensionalen Raum als kontinuierlichen Übergang annehmen (1985, S. 21), wobei uns diese Modellvorstellung nicht sonderlich anschaulich erscheint. Zudem ist u.E. nicht sehr deutlich, was mit ‘Konzeption’ genau gemeint ist: Sind es bestimmte Kommunikationsbedingungen bzw. -parameter, die einen bestimmten Grad von Nähe definieren, und ist Kommunikation unter diesen Bedingungen dann per se von dieser Nähe? Oder bezieht sich ‘Konzeption’ auf den Grad von Nähe oder Distanz, den Sprecher/ Schreiber intendieren bzw. konzipieren und dem dann verschiedenartige Versprachlichungsbzw. Vertextungsstrategien entsprechen? Die Definition „zum anderen meinen die beiden Termini [mündlich/ schriftlich; d. Verf.] oft den Duktus, die Modalität der Äußerungen sowie die verwendeten Varietäten, kurz: die Konzeption, die die Äußerungen prägt“ (1994, S. 587) gibt hier keine klare Auskunft. Um solche Begrenzungen und Gewichtungen durch eine prototypische Struktur zu vermeiden, gehen wir von einer rein medial bestimmten Auffassung von Mündlichkeit aus. Alle Formen der Verständigung, bei denen gesprochene Sprache eine Rolle spielt, müssen ausnahmslos und gleichwertig berücksichtigt werden, wenn die Grenzen des Gegenstands ‘Mündlichkeit’ bestimmt werden. 3. Grundbedingungen mündlicher Kommunikation Die Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation erfolgt im Wesentlichen durch die Herausarbeitung von Grundbedingungen mündlicher Verständigung (in diesem Abschnitt) und durch die Bestimmung der Auswirkungen dieser Grundbedingungen auf die konkrete Ausprägung gesprochener Sprache (im folgenden Abschnitt 4.). In einem ersten Schritt sind also diese Grundbedingungen darzustellen und zu erörtern (Abschnitt 3.1), ihre Gewinnung und ihr Status sind methodisch zu reflektieren (Abschnitt 3.2) und letztlich sind sie mit den in der Literatur genannten Bedingungen abzugleichen (Abschnitt 3.3). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 53 3.1 Die Grundbedingungen Betrachtet man mündliche Kommunikation medial-extensional, so ist das Spektrum der mündlichen kommunikativen Praktiken so breit und vielfältig, dass sich nur wenige Merkmale ausmachen lassen, die allen mündlichen Praktiken gemeinsam sind. Allen gemeinsam ist jedoch, dass die Verständigung in ihnen durch bedeutungstragende leibliche Aktivitäten, d.h. mittels kurzlebiger Hervorbringungen wie z.B. bedeutungstragenden Lauten und körperlichen Bewegungen, in zeitlicher Sukzession erfolgt. Darüber hinaus lassen sich eine Reihe von Merkmalen benennen, die zwar nicht für alle Praktiken gelten, die aber konstitutiv sind für Klassen von mündlichen kommunikativen Praktiken und die durch unterschiedliche Ausprägungen dieser Merkmale Praktiken bzw. Klassen von Praktiken differenzieren. Dass das Spektrum mündlicher Praktiken so breit ist, ist u.a. Resultat der Tatsache, dass die ursprüngliche Form der mündlichen Verständigung von Angesicht zu Angesicht im Laufe der Zeit durch neue mündliche kommunikative Praktiken erweitert worden ist. Betrachtet man die ursprüngliche Form mündlicher Verständigung, so ist sie durch folgende Grundbedingungen bzw. Merkmale gekennzeichnet: (1) Mindestens zwei Parteien verständigen sich (zur Realisierung spezifischer Zwecke) 28 (2) in gemeinsamer Situation füreinander präsent (3) in wechselseitiger sinnlicher Wahrnehmung (4) parallel und gleichzeitig auf verschiedenen kommunikativen Ebenen (5) in ständiger wechselseitiger Beeinflussung (6) mit kurzlebigen leiblichen Hervorbringungen (lautlichen Äußerungen, Körperbewegungen) (7) in zeitlicher Sukzession. 28 Die Zweckhaftigkeit und Zielgerichtetheit von Verständigung ist ein Merkmal, das für alle kommunikativen Praktiken, sowohl für mündliche wie auch für schriftliche, zutrifft. Es ist also kein spezifisches Merkmal mündlicher Praktiken. Gleichwohl sind aber die konkreten Zwecke und Ziele, die mit bestimmten Praktiken verfolgt werden, unterschiedlich und spezifisch. Auch der Handlungscharakter von Verständigung ist eine generelle Eigenschaft von Kommunikation, die nicht allein mündliche Praktiken betrifft. Eigenschaften gesprochener Sprache 54 Die Merkmale (2) Kopräsenz der Parteien und Gemeinsamkeit der Situation, (3) wechselseitige Wahrnehmung, (4) Multimodalität der Verständigung, (5) Interaktivität, (6) Flüchtigkeit und (7) Zeitlichkeit sind auch heute noch für eine große Klasse von kommunikativen Praktiken konstitutive Bedingungen. Aber weder die historische Ursprünglichkeit noch der große Anteil der Praktiken, die diese Bedingungen aufweisen, können bei einem beschreibend-systematisierenden Interesse ein Grund sein, diese Erscheinungsform von Verständigung als prototypische Mündlichkeit auszuzeichnen oder Mündlichkeit auf sie zu beschränken. Wichtig scheint uns statt dessen, das gesamte Spektrum mündlicher kommunikativer Praktiken in den Blick zu nehmen, alle Praktiken als gleichwertig zu verstehen und die Übereinstimmungen und Differenzen zwischen den Praktiken zu thematisieren. Die ursprüngliche Form mündlicher Verständigung wurde - wie schon gesagt - im Laufe der geschichtlichen Entwicklung durch verschiedene Einflussfaktoren sowohl differenziert wie variiert. Drei wichtige Etappen auf diesem Weg sind (a) die Ausbildung reproduktiver mündlicher Praktiken, (b) die Entstehung institutioneller kommunikativer Praktiken und (c) die Entwicklung neuer Praktiken unter Zuhilfenahme technischer Geräte: (a) Neben die Praktiken, in denen im Wesentlichen aus der Situation heraus, d.h. nicht vorproduziert kommuniziert wird, treten Praktiken, in denen vorformulierte Texte mündlich reproduziert werden. Dies reicht von der mündlichen Überlieferung (zeitlich wie räumlich (z.B. durch Boten)) über das Memorieren bis zum Vortragen und Rezipieren vorgefertigter schriftlicher Texte (Gedichtvortrag, wissenschaftlicher Vortrag, Aufführung von Theaterstücken, Produktion und Rezeption von Filmen, Verlesen von Nachrichten). Für reproduktive mündliche Praktiken entsteht mit der Einführung von Schriftlichkeit eine qualitativ neue Grundlage. Die Schriftlichkeit ist in vielen Fällen Voraussetzung für eine wachsende Bedeutung bestimmter mündlicher kommunikativer Praktiken oder das Entstehen neuer. (b) Die Herausbildung einer immer größeren Zahl von gesellschaftlichen Institutionen (Institutionalisierung) führt zu spezifischen kommunikativen Praktiken, den verschiedenen Formen institutioneller Kommunikation. Sie entstehen, wenn im Rahmen der Bedingung (1) eine der Parteien nicht mehr nur individuelle oder Gruppenziele vertritt, sondern als Agent einer Instituti- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 55 on in Interaktion mit einer anderen Partei, die dadurch als Klient konstituiert wird, die spezifischen Zwecke dieser Institution realisiert (z.B. in Form von Unterrichtsdiskurs oder einer Gerichtsverhandlung). (c) Die größte Differenzierung und Erweiterung von kommunikativen Praktiken ist aber technischen Geräten geschuldet (vgl. auch Abschnitt I.4.4). Sie tangieren die Bedingungen (1) bis (6). Die drei wesentlichen Funktionen technischer Geräte im Kommunikationsprozess sind die der Konservierung, der Ausweitung der (gemeinsamen) Situation und der Ermöglichung größerer Parteien: − Die abbildende Konservierung (z.B. durch akustische und akustisch-optische Aufzeichnungsgeräte wie Tonbandgeräte, Kassettenrekorder, Videokameras und Anrufbeantworter) relativiert durch die Reproduzierbarkeit der kommunikativen Ereignisse deren Flüchtigkeit (6) und ermöglicht das Auseinanderfallen von Produktion und Rezeption, womit die Bedingungen (2) bis (4) nicht mehr gegeben sind. − Bei der Ausweitung der Situation ist zu unterscheiden, ob die Situation (wie reduziert auch immer) eine gemeinsame bleibt (Telefon, 29 Videokonferenzen) oder ob in Form der Übertragung die Situation nur für eine Partei, also einseitig, ausgeweitet wird (Radio-/ Fernsehübertragungen/ -reportagen). Nur im ersten Fall bleibt die Kopräsenz der Personen (2) und die wechselseitige Wahrnehmung und Beeinflussung (3 und 4) erhalten. − Die Ermöglichung größerer Parteien kann bei gemeinsamer Situation durch Verstärkung/ Amplifikation erfolgen (mithilfe von Mikrophonen, Verstärkern etc.) oder im Falle der Übertragung in einer Vergrößerung der erreichten dispersen Menge bestehen, sei sie direkt adressiert (Nachrichten, Ansprachen in Rundfunk und Fernsehen) oder primär als zuhörende Dritte konzipiert (Talkshows, Unterhaltungssendungen etc.). Hierbei besteht für die Parteien keine gemeinsame Situation (2). 29 Im Falle des Telefons geschieht die Ausweitung der gemeinsamen Situation um den Preis der Einschränkung der Multimodalität (4) der Verständigung. Ausweitungen der gemeinsamen Situation sind hinsichtlich anderer Bedingungen in der Regel zugleich auch Reduktionen. Eigenschaften gesprochener Sprache 56 Die technischen Geräte modifizieren also - mehr oder weniger stark - bestehende kommunikative Praktiken (Verstärkung der Stimme bei Rede oder Vortrag; Amalgamierung von Elementen des Briefs und des mündlichen Erzählens und Berichtens im Kassettenbrief; Formulierung des Anliegens auf dem Anrufbeantworter; anonyme Beratung am Telefon; doppelte Adressierung bei Gesprächen in Medien etc.). Diese Modifikationen können so weitreichend sein, dass sie als ‘neue’ kommunikative Praktiken klassifiziert werden (ein Telefongespräch führen; sich die Nachrichten/ eine Sendung im Fernsehen ansehen). Diese Prozesse der Differenzierung und Ausweitung des Spektrums der mündlichen kommunikativen Praktiken haben zu einer erheblichen Vielfalt der Erscheinungsformen mündlicher Kommunikation geführt. Sie stimmen nur in wenigen Merkmalen überein, während es viele Bedingungen gibt, die nur für bestimmte Klassen von kommunikativen Praktiken gelten, für andere aber nicht. Einige Merkmale sind also konstitutiv, andere unterscheiden Praktiken. Zur Charakterisierung und Differenzierung mündlicher kommunikativer Praktiken erachten wir folgende Bedingungen als wesentlich: (1) Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit (2) Zeitlichkeit (3) Anzahl und Größe der Parteien (4) Kopräsenz der Parteien und Gemeinsamkeit der Situation (5) Wechselseitigkeit der Wahrnehmung (6) Multimodalität der Verständigung (7) Interaktivität (8) Bezugspunkt der Kommunikation (9) Institutionalität (10) Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte (11) Vorformuliertheit von Beiträgen Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 57 Die Bedingungen (1) und (2) gelten für alle mündlichen kommunikativen Praktiken. Die Bedingungen (3) bis (7) gehen auf die Charakterisierung ursprünglicher mündlicher Verständigung zurück, gelten jetzt aber nicht mehr für alle mündlichen Praktiken, sondern nur noch für bestimmte Klassen. Ihr Status hat sich also von allgemeingültigen Bedingungen zu Differenzierungsdimensionen verändert. Sie besitzen jetzt unterschiedliche Ausprägungen, die Klassen von kommunikativen Praktiken differenzieren. Neu hinzugekommen sind die Bedingungen (8) bis (11), die u.E. ebenfalls wesentliche Klassen von kommunikativen Praktiken differenzieren. Indem alle mündlichen kommunikativen Praktiken die Bedingungen (1) und (2) erfüllen, sich aber hinsichtlich der Bedingungen (3) bis (11) mehr oder minder stark voneinander unterscheiden, sind sie über ein Konzept von Familienähnlichkeit (im Sinne von Wittgenstein) miteinander verbunden. Die vorgestellte Liste ist prinzipiell offen. Sie kann in Abhängigkeit davon, wie fein differenziert werden soll, erweitert, aber auch verkürzt werden. Die konkreten Ausprägungen der Bedingungen (3) bis (11) stellen - einzeln und in je spezifischen Ensembles - Rahmen für mündliche Kommunikation dar, die die Beteiligten berücksichtigen bzw. in Rechnung stellen. Sie berücksichtigen beispielsweise, dass sie zu mehreren Parteien sprechen (3), dass die Verständigung multimodal erfolgt (6) und dass sie im Rahmen einer Institution stattfindet (9) - so z.B. bei einer Gerichtsverhandlung. Unterschiedliche Rahmen implizieren je verschiedene kommunikative Anforderungen an die Kommunizierenden und erfordern eine Adaption des Kommunikationsverhaltens an diese unterschiedlichen Bedingungen. Dies betrifft sowohl kommunikationsbezogene wie sprachstrukturelle Aspekte. Die Bedingungen mit ihren konkreten Ausprägungen sind als Rahmen z.T. ‘objektiv’ gegeben (so besteht in einer konkreten Situation die Möglichkeit zu wechselseitiger Wahrnehmung oder sie besteht nicht), z.T. konstituieren die Beteiligten diese Bedingungen aber erst im Vollzug des Gesprächs, setzen sie relevant und verdeutlichen sie sich wechselseitig als relevant (z.B. Institutionalität). Die genannten Bedingungen (Merkmale, Parameter, Faktoren), die mündliche kommunikative Praktiken charakterisieren und differenzieren und die die Gestaltung der konkreten Äußerungen im Verlauf des Gesprächs sowie darüber die Ausformung mündlicher Verständigungsmittel bestimmen, sollen nun einzeln genauer dargestellt werden: Eigenschaften gesprochener Sprache 58 (1) Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit In allen mündlichen Praktiken erfolgt die Verständigung mittels kurzlebiger leiblicher Hervorbringungen (Laute, Körperbewegungen). Ihre Existenz dauert im Regelfall nur wenige Sekunden. Während Laute sich vom Körper lösen 30 und verschallen (Flüchtigkeit), bleiben Bewegungen körpergebunden und dauern, solange sie ausgeführt werden (d.h. so lange, wie sie im Fluss der Körperbewegungen im Kontrast zu einem vorausgehenden und folgenden Zustand als Ausführung einer bedeutungstragenden Bewegung (Geste, Mimik etc.) verstanden werden). Körperbewegungen sind damit nicht flüchtig, aber in der Regel kurzlebig. Entsprechend muss die Rezeption darauf eingerichtet sein, dass die Wahrnehmungsgegenstände sofort wieder vergehen. Die Kurzlebigkeit bzw. Flüchtigkeit bringt es so mit sich, dass die Produktion und die Rezeption dieser Hervorbringungen zeitlich praktisch zusammenfallen (müssen). Über die Dauer ihrer physikalischen Existenz hinaus haben diese Hervorbringungen - wie transformiert und reduziert auch immer - lediglich als Repräsentationen im Gedächtnis bzw. in der Erinnerung derjenigen Personen Bestand, die sie produziert bzw. wahrgenommen haben. Kurz- und dann Langzeitgedächtnis sind so der Ort, wo die Hervorbringungen, die in der Zeit einander ablösen und spätestens aufhören zu existieren, wenn die nächste erscheint, kopräsent sind und in ihrer zeitlichen Abfolge ‘überschaut’ werden können. Konsequenz der Kurzlebigkeit und Flüchtigkeit ist, dass die Mitteilung, damit die Verständigung möglichst ungestört und effektiv erfolgen kann, deutlich (funktional und strukturell transparent), eindeutig (mit möglichst wenig Ambiguitäten behaftet) und redundant (zur Verständnissicherung) sein sollte. Kurzlebigkeit und Flüchtigkeit von Äußerungen sind für die Verständigung ein erhebliches Problem, insbesondere dann, wenn es auf Genauigkeit ankommt (was genau wurde gesagt? ). Deshalb wurden historisch verschiedene Formen der Verdauerung (Ehlich 1994) mündlicher Äußerungen entwickelt (mündliche Tradierung, Botenwesen, die Verschriftlichung mündlicher Äußerungen von der Mitschrift bis zum stenografischen Protokoll). 30 Nur als Echo kehren sie zum Ausgangspunkt zurück. Die Attraktivität des Echos verdeutlicht, wie außergewöhnlich dieser Fall ist. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 59 Von diesen Formen der Verdauerung, die auf der Gedächtnisleistung bzw. der Verschriftlichung basieren, ist die Konservierung mündlicher Verständigung zu unterscheiden. Dabei werden akustische und optische Phänomene mittels technischer Geräte in elektromagnetische Wellen oder Datensätze umgesetzt und auf einem Trägermedium unter Wahrung zeitlicher Relationen gespeichert. Erst die Konservierung macht Äußerungen als akustische bzw. akustisch-optische Phänomene reproduzierbar. Die Konservierung in Form von (analogen oder digitalen) Aufzeichnungen ermöglicht die Ablösung von Äußerungen, Gesprächen und Interaktionen aus der konkreten Situation, in der sie stattfanden. Sie können in anderen Situationen - an anderen Orten, zu anderen Zeitpunkten, vor anderen Augen und Ohren - dem Original sehr ähnlich und beliebig häufig reproduziert werden. 31 Konserviert werden können zum einen Interaktionen, die ohnehin stattfinden, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass sie durch die Tatsache der Aufzeichnung beeinflusst werden. Zum anderen können Äußerungen, Gespräche und Interaktionen zum Zweck der Aufzeichnung und ihrer Reproduktion in einem anderen Zusammenhang konserviert werden (Kassettenbrief, Fernsehansprache). Die Möglichkeit der Konservierung ist so Grundlage für das Entstehen einer Reihe neuer mündlicher kommunikativer Praktiken. (2) Zeitlichkeit Mündliche Verständigung erfolgt, indem zeitlich nacheinander bedeutungstragende Einheiten (auf verschiedenen Ebenen) produziert und in eben dieser zeitlichen Abfolge rezipiert werden. 32 Diese zeitliche Sukzession der Einheiten, bei der immer nur Bruchteile aktuell präsent sind, ist ein Merkmal, das allen mündlichen Praktiken gemeinsam ist. Der Ort, wo diese Bruchstücke zu Einheiten zusammengefügt und überschaubar werden, ist - wie gesagt - das Gedächtnis. Der Prozess der mündlichen Verständigung hinterlässt keine anderen (dauerhaften) Produkte als diese Spuren im Gedächtnis 31 Die große Detailtreue und die beliebig häufige Reproduzierbarkeit solcher Aufzeichnungen sind auch Voraussetzung für genauere Formen der Verschriftlichung von Gesprächen, z.B. in Gestalt von Transkriptionen für gesprächsanalytische Zwecke. 32 Auer (2000) entwickelt ein weiter gespanntes Konzept von „Zeitlichkeit als Merkmal mündlicher Sprache“ (S. 44), bei dem er Flüchtigkeit, Irreversibilität und Synchronisierung als wesentliche Aspekte der Zeitlichkeit unterscheidet. Eigenschaften gesprochener Sprache 60 der jeweils Beteiligten. Die Spuren existieren nicht unabhängig von den beteiligten Personen, und sie sind (zum gegenwärtigen Stand) niemand anderem zugänglich als den betreffenden Personen. Es ist evident, dass diese Produkte in den Köpfen zunächst Repräsentationen des gesamten Prozesses mit all seinen Fehlern, Korrekturen, Bearbeitungen und Neuansätzen (also nicht nur der ‘fertigen’ Äußerungen) sind, 33 und es ist auch klar, dass diese Spuren einer starken Bearbeitung durch gedächtnisphysiologische und -psychologische Prozesse (Filterung, Aspektualisierung, Umarbeitung, Kondensierung, Integration in Wissensbestände, Vergessen etc.) unterliegen. Die so überformten und zu Gedächtnisinhalten transformierten Spuren können ggf. von den Personen zu bestimmten Zwecken (freiwillig oder unfreiwillig) reproduziert werden. In der mündlichen Verständigung wird zunächst also wechselseitig der gesamte Prozess der Äußerungsproduktion in seiner zeitlichen Sukzession wahrgenommen und mental repräsentiert. Da es zudem keine externen, dauerhaften materiellen Produkte gibt, lässt dies beides mündliche Verständigung wesentlich als zeitlichen Prozess erscheinen. Dies unterscheidet sie deutlich von schriftlicher Verständigung. Auch die Produktion eines schriftlichen Textes erfolgt, indem zeitlich nacheinander Einheiten produziert werden. Dieses Nacheinander wird jedoch im schriftlichen Produkt in ein räumliches Nebeneinander transformiert. Das Nacheinander wird durch die Auszeichnung einer bestimmten räumlichen Richtung, in der die Einheiten nebeneinander zu stellen sind, symbolisiert: Das Nacheinander wird in einem Nebeneinander ‘aufgehoben’. Folge dieser Transformation ist, dass alle Einheiten in der schriftlichen Mitteilung kopräsent sind, die damit nicht mehr als Prozess erscheint, sondern den Charakter eines abgeschlossenen Produkts annimmt. Der Text ist primär ein räumliches, kein zeitliches Gebilde. Verschriftlichung ist so die Transformation eines Prozesses, der wesentlich durch zeitliche Aufeinanderfolge charakterisiert ist, in ein externes, dauerhaftes gegenständliches Produkt, in dem die Zeitlichkeit nur noch symbolisiert erscheint. 33 Vgl. z.B. Gülich (1994) und Gülich/ Kotschi (1995). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 61 In der Rezeption wird dieses Nebeneinander dann wieder in ein zeitliches Nacheinander aufgelöst. Dies aber nur im Regelfall, denn die Kopräsenz der Einheiten ermöglicht auch andere Formen der Rezeption (Diagonallesen, mit dem Ende anfangen), die als Folge der rein zeitlichen Strukturierung in mündlicher Kommunikation nicht möglich sind. Schriftliche Verständigung ist also wesentlich die Herstellung und dann die Rezeption eines externen gegenständlichen Produkts, des Textes, der als solcher dauerhaft und zeitlich konstant ist. In der schriftlichen Verständigung steht das Produkt ‘Text’ im Vordergrund, nicht der Prozess, in dem er entsteht oder rezipiert wird. 34 Ein vergleichbares Produkt gibt es im Prozess der mündlichen Verständigung nicht. Die Dauerhaftigkeit wie die Gegenständlichkeit des Produkts sind für schriftliche Verständigung konstitutive Aspekte. Dass der schriftliche Text dauerhafter ist, gilt zunächst in materialer Hinsicht (Kurzlebigkeit der Schallwellen, der Körperbewegungen vs. Dauerhaftigkeit der Tontafel, des Papiers, der elektromagnetischen Speicherung etc.), dann aber auch in Hinblick auf die Möglichkeit der ‘Auffrischung’ der mentalen Repräsentation des Kommunikats. Die Spuren mündlicher Verständigung im Gedächtnis sind einer permanenten Veränderung in der Zeit ausgesetzt. Die o.g. gedächtnisphysiologischen Prozesse sind auch nach der Rezeption eines schriftlichen Textes wirksam, sie können aber durch erneute Rezeption des Textes konterkariert bzw. revidiert werden. (3) Anzahl und Größe der Parteien Mündliche kommunikative Praktiken weisen hinsichtlich der Anzahl und der Größe der beteiligten Parteien eine große Spannweite auf. Sieht man von Selbstgesprächen ab, so kommunizieren im Minimalfall mündlicher Verständigung zwei Parteien, die jeweils aus einer Person bestehen. Zwar erfolgt Kommunikation der Erscheinung nach zwischen Personen; um aber die Beteiligungsrollen der Personen adäquat erfassen zu können, erscheint es sinnvoller, mündliche Verständigung als Prozess zwischen Parteien aufzufassen. Zudem wird auf diese Weise das gängige Verständnis, dass Kommu- 34 Gleichwohl können Schreiber(innen) und Leser(innen) im Prozess des Formulierens oder Lesens diese Prozesshaftigkeit deutlich erfahren. Eigenschaften gesprochener Sprache 62 nikation zwischen einzelnen Individuen erfolgt, relativiert. So ist z.B. eine mündliche Gerichtsverhandlung eine Kommunikation zwischen mindestens vier Parteien: Richter, Angeklagtem, Staatsanwalt und Verteidigung; ggf. sind als fünfte Partei Zuhörer beteiligt. Jede dieser Parteien kann aus mehreren Personen bestehen. Parteien können Koalitionen bilden oder (zu bestimmten Zwecken vorübergehend oder dauerhaft) miteinander verschmelzen. So treten im Gerichtsverfahren der Angeklagte und die Verteidigung häufig als eine Partei auf. Unterrichtskommunikation (in der Form des Frontalunterrichts) ist, um ein weiteres Beispiel zu nennen, eine Zweiparteienkommunikation. Auch hier können Lehrerwie Schülerpartei aus einer oder aus mehreren Personen bestehen (Einzelunterricht, Team-Teaching). Das Beispiel der Unterrichtskommunikation macht insbesondere klar, dass Mehrpersonengespräche nicht notwendig auch Mehrparteiengespräche (im Sinne von mehr als zwei Parteien) sein müssen. Nicht immer sind Parteien so klar vorgegeben wie bei diesen Formen institutioneller Kommunikation. Sie sind - ebenso wie die Parteienstruktur eines Gesprächs - auch keineswegs immer feste Größen, sondern können in der Interaktion verändert werden: Personen können Parteien wechseln oder neue einführen. Die Aushandlung der Parteien und der Parteienstruktur einer Kommunikation ist eine konstitutive Aufgabe mündlicher Interaktion. Parteien können aus einzelnen Personen oder aus einer Menge von Personen bestehen. In einfachsten Fall handelt es sich um eine differenzierte Menge von Personen, die als Individuen erscheinen und einzeln zur Kommunikation beitragen. Die Schüler einer Klasse bilden beispielsweise eine solche differenzierte Menge. Zu unterscheiden davon ist die Partei als anonyme Menge, wie z.B. die Teilnehmer bei einer Massenkundgebung. Hier gibt es in der Regel keine identifizierbaren Einzelbeiträge. Im Fall der differenzierten und der anonymen Menge sind die Mengen adressierte Parteien einer Kommunikation. Daneben gibt es das Institut der Menge als reiner Zuhörerschaft (Auditorium), vor deren (Augen und) Ohren ein Gespräch mehrerer anderer Parteien abläuft (die Zuhörerschaft bei einer Gerichtsverhandlung, das Publikum bei Theater- oder Filmaufführungen, das Studiopublikum bei einer Talkshow). Das Auditorium hat damit eine spezifische Beteiligungsrolle: Es ist nicht der primäre Adressat der Äußerungen, und es wird von ihm eine lediglich rezeptive, keine aktive Teilnahme am Gespräch erwartet. Eine Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 63 vierte Form der Partei stellt die disperse Menge dar, wie sie z.B. bei Rundfunk- oder Fernsehübertragungen angesprochen wird. Die disperse Menge ist anders als die drei anderen Parteien nicht in der Kommunikationssituation gegenwärtig und hat von daher keine Möglichkeit, aktive Beiträge zur Interaktion leisten. 35 Wesentlich zur Differenzierung von Mengen als Parteien sind damit die Kriterien ‘Anwesenheit in der Situation’, ‘Differenzierbarkeit der Personen’, ‘Beitrag zur Interaktion’ und ‘Adressierung’. Es ist deutlich, dass bestimmte Formen von Parteien (disperse Menge, große anonyme Mengen) nur durch den Einsatz technischer Geräte ‘erreichbar’ sind, also die betreffenden kommunikativen Praktiken nur auf der Grundlage solcher Geräte möglich sind. Bestehen Parteien einer Kommunikation aus mehreren Personen bzw. einer Menge, so kann dies zu Problemen bei der Abstimmung der Beiträge führen. In bestimmten Zusammenhängen wird dem durch das Institut des Sprechers einer Partei entgegengewirkt (z.B. in Gestalt des Vorsitzenden Richters). Es liegt auf der Hand, dass die Anzahl und die Größe der an einer Kommunikation beteiligten Parteien einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung dieser Kommunikation haben. Nur zwei Beispiele seien genannt: Bestehen die am Gespräch beteiligten Parteien aus mehreren Personen, so werden ganz andere Regeln (und Einrichtungen: Sprecher, Moderator etc.) für die Organisation des Rederechts erforderlich als im Zweipersonengespräch. Auf der anderen Seite kann der Adressatenzuschnitt von Äußerungen umso spezifischer sein, je weniger Personen am Gespräch beteiligt sind. (4) Kopräsenz der Parteien und Gemeinsamkeit der Situation Dass bei mündlicher Verständigung die Parteien in gemeinsamer Situation 36 füreinander präsent sind, war bis zur Entwicklung Raum überwindender, aber Gleichzeitigkeit bewahrender technischer Übertragungsmöglichkeiten eine Bedingung, die allen mündlichen Praktiken gemeinsam war. Sie trifft auch heute noch auf die weitaus meisten Akte mündlicher Verständigung zu. 35 In massenmedialen Sendungen wird vielfach versucht, diese Absenz durch den Einbau von phone-ins, Ted-Abfragen etc. aufzulockern. 36 Zur Vielfältigkeit, zur linguistischen Bedeutung, aber auch zur Problematik des Situationsbegriffs vgl. Deppermann/ Spranz-Fogasy (2001). Eigenschaften gesprochener Sprache 64 Zudem ist sie die Voraussetzung für eine Reihe anderer Bedingungen, so die Bedingungen (5) Wechselseitigkeit der Wahrnehmung, (6) Multimodalität der Verständigung und (7) Interaktivität. Kopräsenz der Parteien ist die Voraussetzung dafür, dass sie miteinander in Kontakt treten, Gemeinsamkeit der Situation herstellen und ein Gespräch führen können. Kopräsenz bedeutet, dass die beteiligten Parteien wissen, mit ‘wem sie es zu tun haben’ und dass sie sich aufeinander einstellen können. Gemeinsamkeit der Situation heißt, dass die Parteien ihre Umgebung als geteilte verstehen und sie als gemeinsamen Bezugsraum für ihre Wahrnehmungen und Handlungen konstituieren. Trotz der Gemeinsamkeit existiert für die Parteien dabei zugleich auch eine unterschiedliche Perspektive auf die Situation. Sie resultiert aus den unterschiedlichen räumlichen wie auch mentalen Standpunkten. Die mentalen Standpunkte ergeben sich aus unterschiedlichen Wissenshintergründen, Einstellungen, Motiven etc., die die Parteien in die Interaktion einbringen und vor deren Hintergrund sie das Gegenüber, die Situation und das Geschehen deuten. Besteht keine Kopräsenz, so kann eine Gemeinsamkeit der Situation auch mithilfe technischer Geräte, die den Raum überbrücken, hergestellt werden. Dies ist z.B. der Fall bei kommunikativen Praktiken wie Telefongesprächen oder Videokonferenzen. Die Gemeinsamkeit der Situation ist dabei aber gegenüber der face-to-face-Situation in verschiedenen Dimensionen reduziert. Um diese Reduktionen auszugleichen, ist ein jeweils spezifischer kommunikativer Mehraufwand erforderlich. Abzugrenzen sind hiervon Fälle technisch vermittelter massenmedialer Übertragungen. Bei ihnen wird für eine Partei die aktuelle Situation quasi ausgeweitet, die Gemeinsamkeit der Situation besteht aber nicht wechselseitig. (5) Wechselseitigkeit der Wahrnehmung Die Gemeinsamkeit der Situation wird u.a. konstituiert durch die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung und die Gleichzeitigkeit der Wahrnehmungen. Die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung umfasst nicht nur die gleichzeitige, wechselseitige sinnliche Wahrnehmung des jeweils anderen, sondern auch die jeweiligen Selbstwahrnehmungen und die jeweiligen Wahrnehmungen Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 65 der Umgebung, wobei hier die Wechselseitigkeit in der Unterstellung besteht, dass auch der jeweils andere entsprechende Wahrnehmungen hat. Dabei geht es nicht nur um ‘bloße’ Wahrnehmung als sinnliches Registrieren und Deuten, sondern zugleich auch immer um Kontrollprozesse im Sinne eines Monitoring: Die wahrgenommenen eigenen wie die fremden Handlungen werden ebenso wie die wahrgenommenen eigenen inneren Prozesse und die Umgebungsprozesse daraufhin überprüft, ob sie den Erwartungen entsprechen (Personen/ Handlungs-, Selbst- und Umgebungsmonitoring). Kommunikative Praktiken, die unter den Bedingungen solcher Wechselseitigkeit stattfinden, sind also in komplexe mentale Wahrnehmungs-, Deutungs- und Abgleichsprozesse eingelagert. Die räumlichen und mentalen Standpunkte der Parteien etablieren Perspektiven, die mehr oder minder unterschiedlich sind. In Bezug auf die Wahrnehmung des jeweils anderen sind diese Perspektiven reziprok. Es stellt eine besondere Fähigkeit und Leistung der Beteiligten dar, sich selbst und die Dinge aus der Sicht des anderen zu sehen. In Hinblick auf Dinge im gemeinsamen Wahrnehmungsfeld konvergieren die Perspektiven, bis hin zu der (idealisierenden) Unterstellung, dass der andere sie genauso sieht wie man selbst. Die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung ist eine wichtige Wissensquelle. Die Beteiligten gewinnen qua Wahrnehmung Wissen über die Situation, die andere(n) Partei(en), ihre Tätigkeiten und - vermittelt über die Beiträge der anderen - Wissen über deren innere Befindlichkeiten, speziell deren Wissen. Relevant für die Kommunikation ist aber nicht nur das Wissen, das in der aktuellen Situation erworben wird, sondern auch bei anderer Gelegenheit erworbenes Wissen, speziell Wissen über - den Verlauf des aktuellen Gesprächs, - den übergeordneten Tätigkeitszusammenhang, in den die aktuelle Interaktion eingelagert ist, - die andere(n) beteiligte(n) Partei(en) bzw. Person(en) und ggf. die gemeinsame Interaktionsgeschichte und - die sonstige Welt. Eigenschaften gesprochener Sprache 66 Die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung ist in vielen kommunikativen Praktiken gegeben. In einigen Praktiken - vor allem in solchen, in denen die Beteiligten sich technischer Geräte bedienen - ist sie eingeschränkt: Bei Telefonkommunikation ist sie auf akustische Wahrnehmung begrenzt; bei Videokonferenzen gibt es sehr wohl die wechselseitige Wahrnehmung des jeweils anderen, aber kein gemeinsames Wahrnehmungsfeld. Bei vielen weiteren technisch vermittelten kommunikativen Praktiken ist die Gleichzeitigkeit und/ oder Wechselseitigkeit der Wahrnehmung nicht gegeben. Bei einer massenmedial übertragenen Ansprache ist die Wahrnehmung einseitig, selbst wenn Produktion und Rezeption gleichzeitig erfolgen (was aber - im Fall von Aufzeichnungen - nicht der Fall sein muss). Der Sprecher hat keine Wahrnehmung seines Publikums, sondern kann es lediglich imaginieren. (6) Multimodalität der Verständigung Unter den Bedingungen wechselseitiger Wahrnehmung kann Verständigung parallel und gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen erfolgen. D.h., sie ist weitaus mehr als verbalsprachliche Kommunikation. 37 Sie umfasst darüber hinaus zunächst einmal alle Formen nonverbaler Kommunikation (Prosodie, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Proxemik etc.), wobei zwischen diesen For- 37 Die Gleichsetzung von Mündlichkeit mit lautsprachlicher Verständigung ist eine ebenso häufige wie verkürzende Sichtweise, die wesentliche Charakteristika mündlicher Verständigung nicht erkennbar werden lässt. Da Verständigung bei einer Vielzahl von mündlichen kommunikativen Praktiken multimodal erfolgt, lässt sie sich auch nicht monomedial erfassen. Die Identifizierung von Mündlichkeit mit dem akustischen Medium ist ein Trugschluss. Die Dichotomie von ‘Sprechen’ und ‘Schreiben’ evoziert diesen Trugschluss, weil sie die Identifikation von ‘Sprechen’ mit Mündlichkeit nahelegt. Die Gleichsetzung von Mündlichkeit mit lautsprachlicher Verständigung wird aber auch durch die Verwendung der Kategorien ‘Mündlichkeit’ oder ‘gesprochene Sprache’ zur Bezeichnung multimodaler Kommunikation befördert. Diese Verwendungsweise ist so gängig, dass ihr partikulärer Charakter kaum auffällt und sie auch kaum zu vermeiden ist (auch nicht im Rahmen dieses Buches). Bei der Reduktion von mündlicher Verständigung auf lautsprachliche Kommunikation (‘miteinander sprechen’) dürfte es sich um eine Übertragung des Primats des Verbalen in der schriftlichen Kommunikation auf den Bereich der Mündlichkeit handeln: „Die Interaktion von sprachlichen und parasprachlichen Mitteln ist das für mündliches Sprachverhalten Normale. Dennoch wird davon in linguistischen Analysen meist abgesehen; Sprache wird als autonome Sprache behandelt, eben so, wie sie in schriftlicher Form verwendet wird.“ (Coulmas 1985, S. 105). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 67 men komplexe Wechselwirkungen bestehen, zugleich aber zwischen ihnen auch - entlang der Unterscheidung Stimmgebundenheit (akustische Wahrnehmung) vs. Leibgebundenheit (optische Wahrnehmung) - eine deutliche Trennungslinie verläuft. 38 Um die Multimodalität mündlicher Verständigung zu erfassen, ist von Scollon/ Scollon (1995) und im Anschluss daran auch von Quasthoff (1996) als Alternative zum Begriff Mündlichkeit 39 das Konzept somatischer Kommunikation vorgeschlagen worden: By using the word somatic we want to emphasize the multimodal or multisensory nature of communication between bodies, the inherent redundancy or resonance among these multiple modalities, the real-time rhythmic synchronies involved in such communication, and the essential co-presence of all participants to the communication. (Scollon/ Scollon 1995, S. 27). Aber weder das Konzept nonverbaler Kommunikation noch auch das somatischer Kommunikation erfassen die verschiedenen Formen wahrnehmungs- und inferenzgestützter Verständigung, die bei Kopräsenz der Parteien und wechselseitiger Wahrnehmung möglich sind und eine wichtige Rolle spielen (vgl. Fiehler 1993). Im Rahmen eines gemeinsamen Handlungszusammenhangs können die beteiligten Parteien die Aktivitäten der jeweils anderen Seite beobachten und interpretieren, ihre Funktionalität erschließen, erforderliche Folgetätigkeiten inferieren und dann ausführen. Die Aktivitäten können so allein gestützt auf Wahrnehmungen und Inferenzen aufeinander aufbauen. Das Konzept der Multimodalität erfasst auch diese Formen der Verständigung. 38 Dass diese Unterscheidung in ihrem systematischen Stellenwert nicht hinreichend berücksichtigt wird, liegt u.a. daran, dass nonverbale Kommunikation für die verbalsprachlich fixierte Sprachwissenschaft eine undifferenzierte Sammel- und Ausschlusskategorie ist. Symptomatisch ist hier die Definition von nonverbaler Kommunikation bei Bußmann: „Gesamtheit der in zwischenmenschlichen Kommunikationsprozessen auftretenden nichtsprachlichen Phänomene, deren Untersuchung Aufgabe ist von Psychologie (Psychiatrie), Soziologie, Ethnologie und - insofern gesprochene Sprache nur unter Berücksichtigung nichtsprachlicher Mittel vollständig verstanden und beschrieben werden kann - von Sprachwissenschaft.“ (Bußmann 1983, S. 351-352). Zum einen wird hier Sprache mit Verbalsprache identifiziert, zum anderen nonverbale Kommunikation hauptsächlich zum Untersuchungsgegenstand anderer Disziplinen erklärt. 39 Scollon/ Scollon (1995, S. 19-27) legen ausführlich dar, inwieweit „the term orality is insufficient, negative, obsolescent, phonocentric, logocentric, and uniformitarian.“ (ebd., S. 27). Eigenschaften gesprochener Sprache 68 Die Rolle verbalsprachlicher mündlicher Kommunikation ist nur im Rahmen dieser Multimodalität angemessen zu bestimmen. D.h., Multimodalität ist primär und konstitutiv für einen Großteil der Praktiken mündlicher Verständigung. Die nichtverbalen Ebenen der Verständigung sind keineswegs nur ein peripheres Anhängsel, das nur so weit berücksichtigt werden muss, wie es zum Verständnis der Phänomene notwendig ist. Die Multimodalität der Verständigung ist in dem Maße eingeschränkt, wie es Beschränkungen für die wechselseitige Wahrnehmbarkeit und für die Möglichkeit zu Inferenzen gibt. (7) Interaktivität Die Kopräsenz der Parteien, die Gemeinsamkeit der Situation und die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung ermöglichen eine unmittelbare und wechselseitige Beeinflussung der jeweiligen Aktivitäten und mentalen Zustände; sie ermöglichen Interaktion. Als Folge dieser ständigen, nie aussetzenden wechselseitigen Beeinflussung müssen alle Hervorbringungen der einzelnen Parteien als gemeinsames Produkt betrachtet werden; sie können nicht nur der ‘Autorenschaft’ einer Partei zugeschrieben werden. So ist es auch eine unzureichende Modellierung, davon auszugehen, dass zunächst eine Partei (unbeeinflusst und eigenverantwortlich) einen Beitrag formuliert und die andere im Anschluss daran mit einem eigenen reagiert. Die wechselseitige Beeinflussung besteht zu jedem Zeitpunkt bei der Produktion eines Beitrags: Jeder Beitrag ist so eine gemeinsame Hervorbringung. Diese Interaktivität ist aber - wie gesagt - nur bei Kopräsenz der Personen, Gemeinsamkeit der Situation und Wechselseitigkeit der Wahrnehmung gegeben. Bei mündlichen kommunikativen Praktiken, für die diese Bedingungen nicht gelten, wie z.B. bei Aufzeichnungen (Kassettenbrief, Anrufbeantworter) oder massenmedial übertragenen Reportagen, Ansprachen und Gesprächen, gelten für die Produktion von Beiträgen qualitativ andere Bedingungen: Ist die andere Partei nicht unmittelbar anwesend, kann sie in ihren Aktivitäten zwar antizipiert werden (was nicht ohne Auswirkungen auf die Produktion des Beitrags bleibt); dies ist jedoch ein deutlich anderer Fall als das Einwirken einer anderen Partei zu jedem Moment. Bei fehlender Kopräsenz liegt die Gestaltung und die ‘Verantwortung’ für den Beitrag Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 69 weitaus stärker bei einer Partei. 40 Zwischen mündlichen kommunikativen Praktiken, bei denen Interaktivität gegeben ist, und solchen, wo dies nicht der Fall ist, verläuft eine relativ deutliche und in ihren Konsequenzen gravierende Grenze. (8) Bezugspunkt der Kommunikation Eine weitere differenzierende Bedingung für mündliche kommunikative Praktiken ist, worauf sich die Kommunikation bezieht, was ihr Thema ist. Zunächst ist zu unterscheiden, ob sich die Kommunikation auf Elemente der gemeinsamen Situation bezieht oder ob situationsexterne Aspekte Thema der Kommunikation sind. Gegenstand situationsbezogener Kommunikation können alle Elemente der aktuellen gemeinsamen Situation sein: Personen, ihre Handlungen, Gegenstände etc. Eine Form situationsbezogener Kommunikation besteht in der Besprechung (Kommentierung, Bewertung, Frage etc.) dieser Elemente. Bei einer weiteren Form bezieht sich die Kommunikation auf die Prozessierung (praktischer) Tätigkeiten der beteiligten Parteien in der aktuellen Situation (Planung, Koordination von Tätigkeiten, Organisation der Tätigkeitsverteilung etc.). Hier handelt es sich um kommunikative Praktiken, die man als Arbeitskommunikation im Rahmen praktisch dominierter Tätigkeitszusammenhänge bezeichnen kann (vgl. Fiehler 1980). Dies ist eine Kommunikationsform sui generis, die sich - gegenüber kommunikativ dominierten Tätigkeitszusammenhängen - durch spezifische Organisationsprinzipien und Merkmale auszeichnet (vgl. Fiehler 1993). Die Situationseingebundenheit dieser kommunikativen Praktiken ermöglicht und erfordert die zeigende Identifizierung von Elementen der Situation (mittels Gesten und/ oder verbalen deiktischen Ausdrücken), die gegenüber der benennenden Identifizierung deutlich ökonomischer ist. Bezieht sich die Kommunikation auf situationsexterne Aspekte, die für die Parteien situativ nicht präsent sind, so ist zu differenzieren, ob es um Elemente aus dem gemeinsamen Wissens- und Vorstellungsraum geht oder ob individuelle Erfahrungen thematisch werden. Im ersten Fall ist gemeinsam 40 Die fehlende Kopräsenz ist im Übrigen die Grundlage für das Institut der (individuellen) Autorenschaft, wie sie im Kontext schriftlicher Praktiken ausbuchstabiert wird. Eigenschaften gesprochener Sprache 70 Bekanntes, aber aktuell nicht Gegenwärtiges bzw. nur mental Präsentes das Thema (Personen, Ereignisse, Örtlichkeiten; Projekte, imaginierte Welten etc.). Einschlägige kommunikative Praktiken sind z.B. Klatsch, Arbeitsbesprechungen, Schwärmereien etc. Im anderen Fall werden individuelle Erlebnisse und Erfahrungen qua Erinnerung und Versprachlichung in die aktuelle Situation ‘importiert’. Die zentralen kommunikativen Praktiken sind hier die Erzählung und der Bericht. Eine zweite Form des Imports liegt vor, wenn innere Zustände und Gegebenheiten (Gedanken, Wissensbestände, Pläne, Vorstellungen, Fiktionen, inneres Erleben, Gefühle, Wünsche etc.) versprachlicht und so exothetisiert werden. Z.B. das Erzählen von (erfundenen) Geschichten, Erlebens- und Gefühlsthematisierungen (vgl. Fiehler 1990a) und die Beichte (zu bestimmten Anteilen) 41 sind kommunikative Praktiken dieses Typs. Generell ist anzumerken, dass der Bezugspunkt der Kommunikation in faktischen Gesprächen häufig nicht über einen längeren Zeitraum konstant ist, sondern relativ kleinschrittig wechseln kann; so ist es beispielsweise möglich, dass in Arbeitskommunikation Erlebens- und Emotionsthematisierungen, Klatsch oder Erzählungen eingelagert sind. Dennoch ist es erforderlich, die unterschiedlichen Bezugspunkte analytisch zu unterscheiden, weil sie unterschiedliche kommunikative Anforderungen an die Gesprächspartner stellen, die jeweils zur Ausbildung geeigneter sprachlicher Mittel geführt haben. (9) Institutionalität Wie schon beschrieben hat die Zunahme und Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Institutionen zur Herausbildung einer Vielzahl neuartiger kommunikativer Praktiken bzw. zu einer mehr oder minder starken Adaption bestehender Praktiken geführt (ein Urteil sprechen; beraten, schlichten, eine Besprechung durchführen etc.). Die Veränderungen bestehen darin, dass eine der Parteien nicht mehr nur sich selbst vertritt, sondern als Agent der Institution handelt (Auseinanderfallen von Person und Rolle), und dass die Kommunikation bei diesen Praktiken in höherem Maße formellen Regelungen unterliegt. Dies betrifft sowohl die Gesprächsorganisation wie auch die zu- 41 Vgl. Kastner/ Maasen 1995. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 71 lässigen Themen und die Art und Organisation ihrer Bearbeitung. Ein generelles Kennzeichen institutioneller Kommunikation besteht darin, dass sie stark musterhaft strukturiert ist. Mündliche kommunikative Praktiken differieren also hinsichtlich der Frage, ob sie institutionsgebunden sind oder nicht, also hinsichtlich ihrer Institutionalität (Gottesdienst, Unterrichtskommunikation, (genetische) Beratung etc. vs. Klatsch, Diskussion) wie auch ihrer Institutionsspezifik: Während Beratungsgespräche, Vereidigungen und Arbeitsbesprechungen in verschiedenen Institutionen möglich sind, sind Predigten, Urteilsverkündungen und Visitengespräche an eine einzelne Institution gebunden. (10) Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte Während sich eine Reihe von mündlichen kommunikativen Praktiken dadurch auszeichnet, dass die Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte der Parteien nicht vorstrukturiert sind, sondern situativ ausgehandelt werden müssen (Wer spricht als nächster? Was ist das nächste Thema? ), gibt es bei anderen mehr oder minder deutliche Vorgaben für die Beteiligungsrollen der Parteien. Dies gilt insbesondere für institutionelle kommunikative Praktiken, aber auch für nicht-institutionengebundene Praktiken wie Erzählungen, Reden oder Vorträge. Hier sind die entsprechenden Rechte im Regelfall nicht symmetrisch. Sie sind funktional an die Beteiligungsrollen gebunden und damit häufig ungleichgewichtig. Starken Einfluss auf die Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte hat auch die soziale Position der Beteiligten. Sozial Höherstehende verfügen hier in der Regel über größere Rechte. Im Kontext von Institutionen sind soziale Position und institutionelle Rolle häufig amalgamiert. Bei einer Reihe von Praktiken gehört die Verteilung und Überwachung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte zu den Aufgaben einer der beteiligten Parteien (z.B. der Lehrerpartei im Rahmen von Unterrichtskommunikation) - bis hin zu dem Punkt, dass die Gesprächssteuerung die hauptsächliche Aufgabe einer Partei ist (Institut des Moderators; so z.B. bei moderierten Diskussionen). Unterschiedliche Ausprägungen der Verteilung von Verbalisierungs- und Thematisierungsrechten differenzieren eine Vielfalt kommunikativer Praktiken. Eigenschaften gesprochener Sprache 72 (11) Vorformuliertheit von Beiträgen Ebenso wesentlich für die Differenzierung von kommunikativen Praktiken ist der Aspekt, ob Beiträge aus der Situation heraus ‘frei’ formuliert werden oder ob mehr oder minder weit vorformulierte Beiträge reproduziert werden. Die Reproduktion kann in der Exothese mental vorgefertigter Formulierungen, in einer erneuten Anwendung von Formulierungsroutinen, in der Reproduktion auswendig gelernter Texte (Memorieren, Rezitieren, alle Formen von Schauspielerei) oder im mündlichen Verlesen schriftlicher Texte (Vorträge, Ansprachen, Sprechen von Nachrichten) bestehen. Da Vorformulierungen häufig in schriftlicher Form festgehalten werden (vom Stichwortzettel bis zum ausformulierten Text), lassen solche Beiträge oft wesentliche Merkmale von Mündlichkeit vermissen oder weisen sie nur in inszenierter Form auf. Diese Bedingung differenziert im Wesentlichen zwei große Klassen von kommunikativen Praktiken, die sich deutlich unterscheiden. 3.2 Gewinnung und Status der Grundbedingungen Die angeführten elf Grundbedingungen mündlicher Kommunikation wurden auf zwei Wegen gewonnen: zum einen durch den Vergleich möglichst unterschiedlicher mündlicher kommunikativer Praktiken. Bei solchen Vergleichen lassen sich Unterschiede in einer Vielzahl von Dimensionen ermitteln. Durch weitere Vergleiche werden dann Dimensionen erkennbar, die häufig wiederkehren und in einer Vielzahl von Fällen relevant sind. Zum anderen wurden die in der Literatur genannten Grundbedingungen gesichtet und auf ihre Brauchbarkeit hin geprüft. Die genannten elf Bedingungen sind - wie bereits gesagt - kein endgültiger Kanon, sondern eine offene Liste, die erweitert werden kann. Es ist also eine mehr oder weniger willkürliche Entscheidung, die Liste mit der elften Bedingung enden zu lassen. Als weitere Praktiken charakterisierende und differenzierende Bedingungen wären z.B. die Wissensverteilung (annähernd gleichartige Wissensbestände vs. systematische Unterschiede) oder der Bekanntheitsgrad der interagierenden Parteien (einander unbekannt vs. gemeinsame Interaktionsgeschichte) anzuführen. Wir sind aber der Auffassung, dass die Liste diejenigen Bedingungen ent- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 73 hält, die den größten und deutlichsten Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Verständigung haben und die - vermittelt darüber - die Entwicklung sprachlicher und nonverbaler Mittel am stärksten beeinflussen. Die Bedingungen haben - wie ebenfalls schon gesagt - einen unterschiedlichen Status. Ein deutlicher Schnitt verläuft zwischen den Bedingungen (1) und (2), die für alle mündlichen kommunikativen Praktiken gelten, und den Bedingungen (3) bis (11). Hinsichtlich dieser Bedingungen können Praktiken unterschiedlich ausgeprägt sein, entweder als Menge distinkter Alternativen oder graduell als Skala. Es handelt sich also nicht wie bei (1) und (2) um feste Merkmale, sondern um Variablen. Bedingungen werden als solche erst erkennbar und relevant, wenn sie bei verschiedenen Praktiken unterschiedliche Ausprägungen besitzen können. So treten die Bedingungen (1) und (2) erst im Kontrast zu schriftlichen Praktiken als fundamentale und allgemeine Eigenschaften von Mündlichkeit hervor. Die differenzierenden Bedingungen haben unterschiedliche Bezugspunkte: Zum Teil beziehen sie sich auf die Parteien und Aspekte der Situation (3-5 und 9), zum anderen Teil betreffen sie mehr Eigenschaften der Kommunikation (6-8, 10-11). Ein anderer Unterschied besteht darin, inwieweit die Bedingungen voneinander unabhängig sind. Während die Bedingungen (3), (8) und (11) relativ unabhängig von den anderen sind, stehen andere zueinander in einem Ermöglichungsbzw. Voraussetzungsverhältnis. So setzt z.B. (7) ‘Interaktivität’ die Bedingung (5) ‘Wechselseitigkeit der Wahrnehmung’ voraus, die ihrerseits erst durch die Bedingung (4) ‘Kopräsenz der Parteien und Gemeinsamkeit der Situation’ ermöglicht wird. Auf einer anderen Ebene hat Bedingung (7) ‘Interaktivität’ zur Folge, dass es eine ‘Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte’ (Bedingung 10) geben muss. Auch (9) ‘Institutionalität’ und (10) ‘Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte’ sind nicht unabhängig voneinander. Die Bedingungen (3) bis (11) wurden allein unter dem Aspekt ausgewählt, dass sie mündliche kommunikative Praktiken charakterisieren und differenzieren. Der Gesichtspunkt der Abgrenzung von schriftlichen Praktiken spielte bei ihnen keine Rolle (wohl aber bei den Bedingungen (1) und (2)). Betrachtet man nun das Spektrum der schriftlichen kommunikativen Praktiken aus der Perspektive dieser elf Bedingungen, so treffen die Bedingungen Eigenschaften gesprochener Sprache 74 (1) und (2) generell nicht zu. Die Texte, durch die in schriftlichen Praktiken die Verständigung erfolgt, sind ihrem Wesen nach weder kurzlebig noch flüchtig. Auch Zeitlichkeit spielt im Zusammenhang schriftlicher Verständigung eine ganz andere Rolle. Die Bedingung (3) ‘Anzahl und Größe der Parteien’ ist zur Differenzierung schriftlicher Praktiken relevant, ist in diesem Bereich aber anders gefüllt. So zielen schriftliche Praktiken zu einem weitaus größeren Anteil auf eine disperse Menge als Rezipientenpartei. Die Bedingungen (4) ‘Kopräsenz der Parteien und Gemeinsamkeit der Situation’, (5) ‘Wechselseitigkeit der Wahrnehmung’ und (7) ‘Interaktivität’ sind nur bei marginalen schriftlichen Praktiken gegeben (z.B. wenn man sich in einer gemeinsamen Situation mit Zettelchen verständigt). Auch wenn der Fall der interaktiven Textproduktion durchaus nicht selten ist (vgl. Lehnen/ Gülich 1997), bedeutet dies keineswegs, dass die Verständigung, in der der gemeinsam produzierte Text eine Rolle spielt, interaktiv ist. Bedingung (6) ‘Multimodalität der Verständigung’ ist bei einer Kommunikation mittels Texten nicht gegeben. Die Verständigung erfolgt dort fast ausschließlich verbal. Da eine Gemeinsamkeit der Situation in den meisten Fällen nicht vorliegt, kann sie auch nicht der ‘Bezugspunkt der Kommunikation’ (Bedingung 8) sein. Alle anderen oben genannten Bezugspunkte sind auch bei einer Kommunikation mit Texten möglich. Die Bedingung (9) ‘Institutionalität’ differenziert schriftliche Praktiken in vergleichbarer Weise wie mündliche. Die Bedingung (10) ‘Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte’ ist bei schriftlichen Praktiken lediglich in Hinblick auf die Thematisierungsrechte relevant. Bedingung (11) ‘Vorformuliertheit von Beiträgen’ ist nicht einschlägig. Dieser Durchgang durch die Bedingungen macht deutlich, dass für eine Charakterisierung und Differenzierung schriftlicher kommunikativer Praktiken ein anderes Bedingungsgefüge heranzuziehen ist. 3.3 Grundbedingungen in der Literatur In der Literatur findet sich eine Reihe von Versuchen, Formen mündlichen Kommunizierens zu differenzieren und Grundbedingungen von Mündlichkeit anzugeben. Auf vier zentrale Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum soll hier kurz eingegangen werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich werden zu lassen. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 75 (1) Steger et al. (1974) Das Freiburger Redekonstellationsmodell benennt neun Merkmale, die durch Kombination ihrer verschiedenen möglichen Ausprägungen Redekonstellationstypen differenzieren. Dem Modell liegt dabei die These zugrunde, dass diese Merkmale der Redekonstellation „unterschiedliches Sprachverhalten mitbestimmen“ (ebd., S. 76). D.h., den Redekonstellationstypen entsprechen bestimmte Textexemplare, die sich als spezifische Textsorte zusammenfassen lassen. Im Einzelnen werden folgende Merkmale benannt, wobei mögliche Ausprägungen dieser Merkmale hier in Klammern gesetzt sind (vgl. die tabellarische Darstellung der Merkmale (ebd., S. 94-95)): 42 1) Sprecherzahl (ein Sprecher; mehrere Sprecher) 2) Zeitreferenz (zeitlos; vorzeitig oder nachzeitig; simultan) 3) Verschränkung Text/ soz. Situation (Situationsverschränkung) (keine; schwach; stark) 4) Rang (gleicher Rang; Unterordng. od. Privil.) 5) Grad der Vorbereitetheit (speziell vorbereitet; routiniert; nicht vorbereitet) 6) Zahl der Sprecherwechsel (null; relativ wenig; relativ viel) 7) Themafixierung (Thema im Voraus festgelegt; nicht im Voraus festgelegt) 8) Modalität der Themenbehandlung (deskriptiv, argumentativ; assoziativ) 9) Öffentlichkeitsgrad (öffentlich; halböffentlich; nicht öffentlich; privat) Auch wenn hinsichtlich der Differenzierungsidee Übereinstimmung mit unserem Vorgehen besteht, unterscheiden sich die genannten Merkmale deutlich. Direkte Entsprechungen zu den von uns genannten Bedingungen gibt es für ‘Sprecherzahl’ und ‘Grad der Vorbereitetheit’; ‘Zeitreferenz’ ist 42 Leicht abweichende Benennungen der Merkmale finden sich in den vorausgehenden Erläuterungen, vgl. Steger et al. (1974, S. 78-84). Eigenschaften gesprochener Sprache 76 ein Aspekt des Bezugspunkts der Kommunikation, die ‘Situationsverschränkung’ ist eine Folge der Kopräsenz der Parteien und der Gemeinsamkeit der Situation, der Wechselseitigkeit der Wahrnehmung und der Multimodalität der Verständigung; ‘Rang’ und ‘Öffentlichkeitsgrad’ haben Bezüge zur Bedingung Institutionalität, gehen darin aber nicht auf; ‘Zahl der Sprecherwechsel’, ‘Themafixierung’ und ‘Modalität der Themenbehandlung’ spielen bei uns als Differenzierungskriterien keine Rolle. (2) Koch/ Oesterreicher (1985, 1994) Koch/ Oesterreicher übernehmen im Grundsatz die eben beschriebene Vorgehensweise, „Kommunikationsbedingungen [zu] bestimmen, deren Zusammenwirken unterschiedliche Redekonstellationstypen ergibt“ (1985, S. 19). Als relevante kommunikative Parameter führen sie an: „soziales Verhältnis, Anzahl, räumliche und zeitliche Situierung der Kommunikationspartner; Sprecherwechsel; Themafixierung; Öffentlichkeitsgrad; Spontaneität und Beteiligung; Rolle des sprachlichen, des situativen und des soziokulturellen Kontexts (geteilte Wissensbestände, gemeinsame gesellschaftliche Werte und Normen, etc.)“ (ebd.). Die genannten Parameter unterscheiden sich nur unwesentlich von denen bei Steger et al. (1974). Bestimmte Kombinationen von Ausprägungen dieser Parameter bestimmen einzelne Äußerungsformen sowie auch die Pole des konzeptionellen Kontinuums: Die Kombination ‘Dialog’, ‘freier Sprecherwechsel’, ‘Vertrautheit der Partner’, ‘face-to-face-Interaktion’, ‘freie Themenentwicklung’, ‘keine Öffentlichkeit’, ‘Spontaneität’, ‘starkes Beteiligtsein’, ‘Situationsverschränkung’, etc. charakterisiert den Pol ‘gesprochen’. Die ihm entsprechende Kommunikationsform läßt sich am besten auf den Begriff S p r a c h e d e r N ä h e bringen. Analog charakterisiert die Kombination von ‘Monolog’, ‘kein Sprecherwechsel’, ‘Fremdheit der Partner’, ‘räumliche und zeitliche Trennung’, ‘festes Thema’, ‘völlige Öffentlichkeit’, ‘Reflektiertheit’, ‘geringes Beteiligtsein’, ‘Situationsentbindung’, etc. den Pol ‘geschrieben’. Die ihm entsprechende Kommunikationsform definieren wir als S p r a c h e d e r D i st a n z. (Koch/ Oesterreicher 1985, S. 21). Wesentlich für diesen Ansatz ist, dass er nicht nur eine Inventur der kommunikativen Praktiken beabsichtigt, sondern diese entlang der Dimension ‘Nähe - Distanz’ auf einem Kontinuum anordnet, dessen Pole prototypische Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 77 Formen von Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit bilden. Es bleibt aber unausgewiesen, welchen Stellenwert die Dimension ‘Nähe - Distanz’ hat, nach welchen Kriterien Kommunikationsformen auf ihr angesiedelt werden und warum die Pole in der dargestellten Weise bestimmt werden. Die Anordnung als Kontinuum wird von Koch/ Oesterreicher selbst relativiert: Damit wird nun auch deutlich, daß das oben vorgestellte Kontinuum keinesfalls rein l i n e a r gedacht werden darf. Als Produkt des Zusammenwirkens der aufgeführten Variablen, die in unterschiedlichster Gewichtung und Kombination verschiedene Kommunikationsformen konstituieren, hat man es sich vielmehr als m e h r d i m e n s i o n a l e n Raum zwischen zwei Polen vorzustellen. (1985, S. 21). (3) Klein (1985) Klein setzt zur Differenzierung von mündlicher und schriftlicher Kommunikation bei der Überlegung an, „was die allgemeinen Charakteristika dieser beiden Kommunikationsweisen sind und wie aus diesen die speziellen Eigenschaften und Unterschiede folgen“ (1985, S. 15). Als allgemeine Charakteristik benennt er dann vier Unterschiedsdimensionen: Medium, Situationsgebundenheit, Verarbeitungszeit und Normierung. Klein geht es darum, Mündlichkeit und Schriftlichkeit differenzierend zu vergleichen und Unterschiedsdimensionen zu benennen, die in genereller Weise für alle Formen gelten, wobei er sieht, dass die verschiedenen Formen sowohl der mündlichen wie der schriftlichen Verständigung sehr weit differieren. 43 Der hauptsächliche Unterschied zu Klein besteht darin, dass bei uns die Perspektive des Vergleichs mit Schriftlichkeit nachrangig ist. Vielmehr geht es darum, Merkmale zu finden, die entweder allen mündlichen Praktiken gemeinsam sind, oder wenigstens solche, die für Klassen von Praktiken gelten und sie von anderen differenzieren. Zu den Unterscheidungsdimensionen im Einzelnen: Medium umfasst die Sinnesmodalität (visuell gegenüber auditiv) und die Zeitlichkeit (der Schall ist flüchtig, die Schrift dauerhaft). Der zweite Aspekt deckt sich mit unserer 43 „Es braucht nicht die Wissenschaft um zu sehen oder zu hören, daß es zwischen einem (laut gesprochenen) Gebet, einem Vortrag, einem Interview, einem Streit unter Betrunkenen und einem Liebesgeflüster allerlei Unterschiede gibt, obwohl es sich allemal um mündliche Kommunikation handelt.“ (Klein 1985, S. 14). Eigenschaften gesprochener Sprache 78 Bedingung (1) ‘Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit’; der erste greift zu kurz, indem er Mündlichkeit nur über Auditivität charakterisiert. Wenn man dies tut, so übersieht man, dass die Verständigung in relevanten Klassen von Praktiken multimodal erfolgt (vgl. Bedingung (6)), man also besser von einer auditivvisuellen Sinnesmodalität sprechen sollte. 44 Reine Auditivität liegt nur bei Praktiken wie Telefongesprächen, Rundfunkreportagen etc. vor. Nicht nur im Fall von Klein greift der Versuch, über die Sinnesmodalität bzw. das Medium einen generellen Unterschied zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu konstruieren, zu kurz. Auch mit der zweiten Dimension ‘Situationsgebundenheit’ fasst Klein verschiedene der von uns genannten Bedingungen zusammen: „Ein zweiter Unterschied ist der verschiedene Grad der Situationsgebundenheit; im Gespräch fallen Sprech- und Hörzeit, Sprech- und Hörort zusammen, im Leitartikel sind sie getrennt; das Gespräch ist dialogisch, der Leitartikel monologisch.“ (Klein 1985, S. 15). Ersichtlich bezieht sich Klein hier auf die Gemeinsamkeit der Situation (4) und die Interaktivität (7). Dabei ist wiederum festzuhalten, dass Kleins Aussagen über die Gemeinsamkeit der Situation und die Interaktivität bei weitem nicht für alle mündlichen Praktiken gelten (was Klein im folgenden Text selbst thematisiert). Dies ist nur zu verstehen, wenn man annimmt, dass bei Klein bestimmte Vorstellungen über prototypische Mündlichkeit eine Rolle spielen, auf die die Ausdrücke ‘tendenziell’ bzw. ‘global’ in den folgenden Zitaten verweisen: „Die gesprochene Sprache ist tendenziell dialogisch und situationsgebunden“ (Klein 1985, S. 13); „Global gesehen ist es sicher richtig, dass in die mündliche Kommunikation mehr situative Information eingeht.“ (ebd., S. 22). Die dritte Dimension ‘Verarbeitungszeit’ („Schreiben und Sprechen einerseits, Lesen und Hören andererseits unterscheiden sich durch die Zeit, die zur Verarbeitung, also zur Bildung wie zum Verstehen der jeweiligen Äußerungen zur Verfügung steht.“ (Klein 1985, S. 22)) ist eine direkte Folge der Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit (1) mündlicher Äußerungen im Gegensatz zur Dauerhaftigkeit schriftlicher Texte. 44 Die folgende Aussage von Klein macht diese Unzulänglichkeit sehr deutlich: „Der offenkundigste Unterschied liegt natürlich im Medium: im einen Fall handelt es sich um Zeichen auf dem Papier, im anderen um Schallwellen. Dies definiert schriftliche gegenüber mündlicher Kommunikation und ist ein durchgängiges Merkmal, unabhängig von allen sonstigen Variationen innerhalb beider Kommunikationsweisen.“ (ebd., S. 15). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 79 Die vierte Dimension ‘Normierung’ betrifft einen wichtigen Unterschied zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation, ist aber für die Differenzierung von mündlichen Praktiken von nachrangiger Bedeutung. Aufgrund der anderen Zielsetzung - der Bestimmung allgemeiner Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation - werden für Klein eine Reihe der von uns genannten Bedingungen zur Differenzierung von mündlichen kommunikativen Praktiken nicht relevant. Die Bestimmung dieser Unterschiede kann an einigen Punkten nur um den Preis der Reduktion von Vielfalt zugunsten von Prototypik durchgeführt werden. 45 (4) Quasthoff (1996) Für Quasthoff ist die Beschränkung auf prototypische Mündlichkeit von vornherein konstitutiv. Als „wesentliche(n) Bestimmungsstücke mündlicher Kommunikation in ihrer prototypischen, d.h. ursprünglichen und nicht technisch oder elektronisch vermittelten Form“ (Quasthoff 1996, S. 15) benennt sie vier Kriterien. Als semantisches Kriterium (1) bezeichnet Quasthoff die Hier-Jetzt-Ich- Gebundenheit mündlicher Akte: Sie sind an die „unmittelbaren zeitlichen, örtlichen und personalen Bezugspunkte der Äußerungssituation gebunden“ (ebd., S. 15). Dies wurde von Steger et al. und Koch/ Oesterreicher unter dem Stichwort ‘Situationsverschränkung’ behandelt. Bei uns wird dies unter den 45 Im gleichen Heft der Zeitschrift findet sich dies in einem Artikel von Coulmas in noch ausgeprägterer Form. Coulmas (1985, S. 104) benennt jeweils acht „pragmatische Rahmenbedingungen für gesprochene und geschriebene Sprache“. Für gesprochene Sprache lauten sie: „1. Face-face Situation von Gesprächsteilnehmern. 2. Was in der Situation gesagt wird, ist gemeinsames Produkt der Teilnehmer. 3. Jeder Beitrag richtet sich an einen bestimmten Adressaten und ist auf ihn abgestimmt. 4. Äußerungen sind flüchtig und unterliegen zeitlichen Restriktionen für Memorierung und Verarbeitung. 5. Bedeutungsvermittlung geschieht mit sprachlichen und parasprachlichen Mitteln. 6. Sprecher können ostensiv auf Gegenstände der Umgebung verweisen. 7. Äußerungen haben neben inhaltlichen auch phatische Funktionen und stehen im Zusammenhang einer sich entwickelnden Interaktion. 8. Die Rede ist dynamisch, korrigierbar, aushandelbar und insofern provisorisch.“ Es ist ersichtlich, dass diese Bedingungen nur für einen Teil der mündlichen Praktiken zutreffen. Coulmas jedoch konstatiert: „Diese Rahmenbedingungen gelten für [...] gesprochene Sprache generell.“ (ebd.). Diese Aussage verrät ein prototypisches Konzept von Mündlichkeit, das der Vielfalt mündlicher Praktiken nicht gerecht wird. Eigenschaften gesprochener Sprache 80 Bedingungen (4) ‘Gemeinsamkeit der Situation’ und (5) ‘Wechselseitigkeit der Wahrnehmung’ thematisiert, die die Hier-Jetzt-Ich-Gebundenheit von Beiträgen ermöglichen. Unter dem Stichwort ‘Verarbeitungskriterium’ (2) thematisiert Quasthoff den transitorischen Charakter von Mündlichkeit, also ihre Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit, und behandelt die Auswirkungen für die Produktion und Rezeption: „Dieser transitorische Charakter mündlicher Äußerungen erfordert ein gewisses Maß an Redundanz und struktureller Transparenz.“ (ebd., S. 16). Das formale Kriterium (3) bestimmt mündliche Verständigung als „Mehr- Kanal“-Kommunikation, entspricht also unserer Bedingung (6) ‘Multimodalität der Verständigung’. Das kommunikative Kriterium (4) vereint vier Aspekte: Recipient Design, wechselseitige Darstellung, Kontextualisierung und Interaktion als gemeinsame strukturelle Leistung der Teilnehmer. Diese Aspekte buchstabieren die Interaktivität und den Vollzugscharakter mündlicher Verständigung aus. Unter dem Punkt Kontextualisierung betont Quasthoff insbesondere: „Verbale Interaktion findet also nicht ‘in’ einer Situation statt, sondern schafft sich ‘ihre’ Situation im Vollzug selbst.“ (ebd., S. 17). Der Überblick über diese vier Ansätze zeigt, dass die meisten der von uns genannten Grundbedingungen - wenn auch mitunter aus einer anderen Perspektive oder mit anderer Akzentuierung und Gewichtung - in der Literatur beschrieben sind. Weniger gilt dies allerdings für die Bedingungen (9) ‘Institutionalität’ und (8) ‘Bezugspunkt der Kommunikation’, die in Zusammenstellungen der Grundbedingungen kaum benannt werden. Zu beobachten ist ferner immer wieder eine - beabsichtigte oder unterlaufende - Beschränkung auf prototypische Formen der Mündlichkeit. Sie wird vor allem dann virulent, wenn Mündlichkeit nicht als solche in der Vielfalt ihrer Formen beschrieben werden soll, sondern wenn (explizit oder implizit) eine Vergleichsperspektive mit Schriftlichkeit eine Rolle spielt. Dies führt tendenziell auf beiden Seiten zu einer Einschränkung des Blickfeldes auf besonders typische Formen. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 81 4. Auswirkungen der Grundbedingungen auf die Eigenschaften gesprochener Sprache Die Grundbedingungen mündlicher Kommunikation, die im vorhergehenden Abschnitt bei der Charakterisierung und Differenzierung mündlicher kommunikativer Praktiken herausgearbeitet worden sind, haben einen zentralen Einfluss auf die Möglichkeiten des Kommunizierens. Sie sind bestimmend dafür, wie kommuniziert werden kann, und führen - darüber vermittelt - zur Ausbildung kommunikativer Verfahren und sprachlicher Mittel, die auf diese Bedingungen abgestimmt sind und ihre Möglichkeiten nutzen. In diesem Abschnitt sollen einige dieser Zusammenhänge zwischen den Grundbedingungen und Eigenschaften gesprochener Sprache kursorisch dargestellt und plausibilisiert werden. In dem Maße, wie sich Mündlichkeit und Schriftlichkeit in ihren Grundbedingungen unterscheiden, unterscheiden sie sich auch in den ausgebildeten kommunikativen Verfahren und sprachlichen Mitteln. Geschriebene wie gesprochene Kommunikation sind durch verschiedene Konstellationen situativer Faktoren gekennzeichnet, die bestimmte Auswirkungen auf die jeweilige Form der sprachlichen Äußerungen haben. (Klein 1985, S. 22). Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die in Abschnitt I.3. erarbeiteten Grundbedingungen, die mündliche kommunikative Praktiken charakterisieren und differenzieren: (1) Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit (2) Zeitlichkeit (3) Anzahl und Größe der Parteien (4) Kopräsenz der Parteien und Gemeinsamkeit der Situation (5) Wechselseitigkeit der Wahrnehmung (6) Multimodalität der Verständigung (7) Interaktivität (8) Bezugspunkt der Kommunikation (9) Institutionalität (10) Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte (11) Vorformuliertheit von Beiträgen Eigenschaften gesprochener Sprache 82 Jeder konkrete Akt mündlicher Verständigung erfolgt unter den Bedingungen der Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit (1) und der Zeitlichkeit (2). Darüber hinaus erfolgt er unter den je konkreten Ausprägungen der Grundbedingungen (3) bis (11). Zusammen stellen diese Bedingungen ein Ensemble von Vorgaben dar. Sie sind ein jeweils spezifischer Rahmen für jeden konkreten Akt mündlicher Verständigung, der den Beteiligten Bestimmtes ermöglicht, während er anderes nicht zulässt. Dieser Rahmen bestimmt die Gestaltung der konkreten Äußerungen im Verlauf eines Gesprächs in einer Reihe von Aspekten mit. Unterschiedliche Rahmen induzieren für die Kommunizierenden je verschiedene kommunikative Anforderungen und Aufgaben und erfordern eine Adaption des Kommunikationsverhaltens an diese unterschiedlichen Bedingungen. 46 Die Beteiligten haben also, wenn sie erfolgreich kommunizieren wollen, den jeweiligen Rahmen bei ihren Handlungen in Rechnung zu stellen und zu berücksichtigen. Dabei darf dieser Rahmen nicht als objektiv gegeben und unveränderbar verstanden werden, sondern er ist in einigen Hinsichten von den Beteiligten zu gestalten und kann in einem gewissen Ausmaß ausgehandelt werden. Die Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit und die Zeitlichkeit sowie die verschiedenen einzelnen Ausprägungen der anderen Grundbedingungen führen langfristig zur Ausbildung bestimmter, ihnen entsprechender kommunikativer Verfahren und sprachlicher Mittel. Diese Verfahren und Mittel erscheinen dann als Besonderheiten, Merkmale oder Eigenschaften der Kommunikation, die in dem jeweiligen Rahmen stattfindet. 47 46 Für ein vergleichbares funktionales Modell s. Hausendorf/ Quasthoff (1996) und Hausendorf (2000), die Aufgaben, Formen und Mittel unterscheiden. Als Aufgaben werden dort vor allem inhaltliche Anforderungen an die Interagierenden ins Auge gefasst. Aber auch die Grundbedingungen lassen sich als Aufgaben verstehen, die von den Interaktionsbeteiligten zu berücksichtigen und zu bearbeiten sind. 47 Von Besonderheiten, spezifischen Merkmalen oder Eigenschaften sind Fehler zu unterscheiden. Auch sie sind auffällig und bewirken Hervorhebung und Alleinstellung, aber es handelt sich nicht um systematische, reguläre Abweichungen, wie es bei Besonderheiten, spezifischen Merkmalen oder Eigenschaften der Fall ist. Methodologische Möglichkeiten zur Unterscheidung von Fehlern und Besonderheiten ergeben sich, wenn folgende Aspekte in Betracht gezogen werden: (1) Reaktionen der Beteiligten (Irritationen, Korrekturen etc. im Fall von Fehlern, keine erkennbaren Reaktionen im Fall von Besonderheiten), (2) eigene Intuition/ Übereinstimmung der Intuition von Analysierenden, (3) Frequenz des Vorkommens des Phänomens und (4) Möglichkeit einer funktionalen Interpretation des Phänomens. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 83 Die vorgestellten Grundbedingungen (bzw. ihre Ausprägungen) haben zum einen einen unterschiedlich starken Einfluss auf die Ausformung von kommunikativen Verfahren und sprachlichen Mitteln und damit auf die Eigenschaften gesprochener Sprache. Zum anderen sind sie von der Forschung in ihrem Einfluss ganz unterschiedlich stark beachtet und entsprechend verschieden weit ausgearbeitet worden. 48 Im Folgenden sollen die Grundbedingungen in ihren Auswirkungen auf die Verfasstheit und konkrete Ausprägung mündlicher Verständigung verdeutlicht werden. Exemplarisch soll dabei gezeigt werden, wie die einzelnen Grundbedingungen und ihre Ausprägungen die Möglichkeiten für die Gestaltung von Äußerungen präformieren und vermittelt darüber die Ausarbeitung entsprechender kommunikativer Verfahren und sprachlicher Mittel steuern. (1) Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit Die Kurzlebigkeit bzw. Flüchtigkeit mündlicher Verständigung bringt zum einen die Notwendigkeit mit sich, besondere Vorkehrungen zu treffen, die die Wahrnehmbarkeit der Entäußerungen sicherstellen. Dies betrifft alle Formen der körperlichen, sinnlichen und mentalen Zuwendung. Zum anderen sind verschiedene Formen und Mittel der Verständnissicherung auszubilden. 49 Hierzu gehören insbesondere alle Verfahren, die „Redundanz und strukturelle Transparenz“ (Quasthoff 1996, S. 16) erzeugen sowie die verschiedenen Formen von Nachfragen, ob verstanden worden ist (z.B. question tags). Redundanz kann z.B. durch Wiederholungen oder die verschiedenen Formen von Reformulierungen erreicht werden. Der strukturellen Transparenz dienen beispielsweise die verschiedenen Formen von Gliederungsmitteln (von der Prosodie bis hin zu lexikalisierten Gliederungssignalen) und die Möglichkeiten der Metakommunikation. 48 Am weitesten ist eine solche Ausarbeitung wohl von der Gesprächsforschung für den Punkt (7) ‘Interaktivität’ geleistet worden. 49 Mündliche Kommunikation ist natürlich nicht die ausschließliche Domäne von Verständnissicherung, aber sie ist wegen ihrer Kurzlebigkeit und Flüchtigkeit in einem besonders hohen Maß darauf angewiesen. Eigenschaften gesprochener Sprache 84 Auch die im dritten Hauptteil des Buches behandelten Operator-Skopus- Strukturen (vgl. auch These (11) in Abschnitt I.1.) sind ein spezielles Verfahren, um strukturelle Transparenz herzustellen. Sie tun dies durch ihre klare Zweigliedrigkeit und die Kurz-Lang-Verteilung, ferner auch dadurch, dass der Operator im Voraus eine spezifische Anweisung dafür gibt, wie die Äußerung in seinem Skopus zu verstehen ist. Eine weitere Konsequenz der Flüchtigkeit ist, dass das, was in Form von körperlichen Hervorbringungen wie Lauten oder Körperbewegungen entäußert wurde, nicht mehr verändert, getilgt oder zurückgenommen werden kann (Irreversibilität, vgl. Auer 2000, S. 45-46). Es kann nur durch folgende Elemente nachträglich korrigiert werden. D.h., Konservierungen mündlicher Kommunikation enthalten vielfältige Spuren von Formulierungsversuchen und darauf folgenden Verbesserungen bzw. Neuansätzen. Solche Spuren der Versprachlichung und Äußerungsbearbeitung (vgl. Gülich 1994, S. 79) reichen von der Korrektur von Fehlern (phonologische Vertauschungen, falsche Wortwahl etc.; vgl. Klein 1985, S. 23) über Prozesse der Bearbeitung von Wortfindungsschwierigkeiten und anderen Formulierungsproblemen, über (Selbst-)Reparaturen/ Korrekturen und Paraphrasen/ Reformulierungen bis hin zu Abbrüchen und folgenden Neuansätzen (Schwitalla 1997, S. 85-90). Für all diese Phänomene sind kommunikative Verfahren und sprachliche Mittel ausgebildet worden, mit denen die Beteiligten sich wechselseitig anzeigen, dass sie abbrechen, Korrekturen vornehmen oder neu ansetzen. Insbesondere prosodische Mittel spielen dabei eine wichtige Rolle. 50 (2) Zeitlichkeit In der Kommunikation werden innere Gegebenheiten (Gedanken, Wissen, Annahmen, Bewertungen, Einstellungen, Wünsche, Gefühle etc.) in einem Prozess der Versprachlichung nach außen gesetzt. Diese Entäußerung bringt die Notwendigkeit der Portionierung und Sequenzialisierung mit sich. Da nicht alles auf einmal geäußert werden kann, ist für Kommunikation ein Kompositionsprinzip 51 fundamental: Das, was gesagt werden soll, muss vom Sprecher in Einheiten aufgeteilt werden, und die einzelnen Portionen müssen 50 Für die Mittel zur Indizierung von Wortsuchprozessen vgl. z.B. Iványi (1998), von Reparaturen z.B. Kindt/ Laubenstein (1991). 51 Beispielsweise im Gegensatz zur Wahrnehmung, die tendenziell ganzheitlich erscheint. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 85 in eine zeitliche Abfolge gebracht, d.h. sequenzialisiert werden; entsprechend muss der Hörer die einzelnen Einheiten erkennen und sie synthetisieren. D.h., Zeitlichkeit und zeitliche Erstreckung sind für Kommunikation konstitutiv, Kommunikation ist ein Prozess in der Zeit. Formal betrachtet besteht mündliche Kommunikation also darin, dass Einheiten in zeitlicher Abfolge produziert und rezipiert werden. Es handelt sich um Einheiten auf verschiedenen Ebenen, d.h. sie sind von unterschiedlicher Art und Größenordnung. Die Einheiten reichen von bedeutungstragenden Körperbewegungen (Gesten) auf der nonverbalen Seite bis hin zu Lauten, Wörtern, Phrasen, funktionalen Einheiten und Beiträgen auf der verbalsprachlichen Seite. Dabei können Einheiten in komplexer Weise Elemente von Einheiten eines anderen Formats sein. Wesentliche Aufgaben, die sich aus der Zeitlichkeit mündlicher Kommunikation ergeben, bestehen darin, zu verdeutlichen, − wo Einheiten - auf den verschiedenen Ebenen - beginnen und enden, − von welchem Typ sie sind und − welche Relationen zwischen diesen in zeitlicher Sukzession erscheinenden Einheiten bestehen. Letzteres bedeutet, dass die Einheiten nicht nur einfach nebeneinander gestellt (besser: eine nach der anderen produziert) werden, sondern dass die Sprechenden sich verdeutlichen (müssen), welche Relationen zwischen der momentan produzierten Einheit und den vorhergehenden und nachfolgenden Einheiten des gleichen Formats bestehen und in welchen Beziehungen die aktuelle Einheit zu Einheiten überbzw. untergeordneten Formats steht. Die Flüchtigkeit mündlicher Kommunikation macht es in besonderer Weise notwendig, die Beziehungen zwischen Einheiten nicht nur durch Vorgänger- Nachfolger- und Abstandsrelationen zu verdeutlichen, sondern zusätzliche Verfahren und Mittel hierfür zu entwickeln und insgesamt einen vergleichsweise hohen Grad an Relationierung und Vernetzung zu erreichen. Die Relationierungsverfahren und -mittel müssen vor allem zweierlei gewährleisten: Zum einen müssen sie verdeutlichen (können), in welchem Verhältnis die momentan produzierte Einheit zu den vorausgehenden Einheiten Eigenschaften gesprochener Sprache 86 (gleichen oder anderen Formats) steht. Dabei geht es insbesondere um die Signalisierung von Zusammengehörigkeit und von Abhängigkeit. Zum anderen muss es Verfahren und Mittel geben, die verdeutlichen, in welchem Verhältnis die momentan produzierte Einheit zu möglichen folgenden Einheiten (gleichen oder anderen Formats) steht. Auf der Ebene von Aussagen/ Äußerungen wird dies u.a. durch die vielfältigen Verfahren der Ankündigung und vorgreifenden Verdeutlichung geleistet. Ein explizites sprachliches Mittel zum Erwartbarmachen von Folgeeinheiten sind Operatoren (im Sinne dieses Buches). Sie unterscheiden sich von anderen Ankündigungen und vorgreifenden Mitteln durch ihre Kürze bzw. Formelhaftigkeit und durch die inhaltliche Charakteristik dessen, was sie erwartbar machen (vgl. Abschnitt III.2.1). Operatoren erbringen aber nicht nur vorwärts, sondern auch rückwärts gerichtete Relationierungsleistungen (Gelenkfunktion von Operatoren). Sie relationieren Einheiten in spezifischer Weise auch mit vorausgehenden Einheiten. Insbesondere signalisieren sie häufig, dass die vorausgehende Einheit abgeschlossen ist und eine neue beginnt. In der anderen Richtung machen sie eine neue Einheit erwartbar (in der Regel vom Format einer vollständigen Aussage), und sie spezifizieren, wie diese zu verstehen ist (Verstehensanweisung). Vorwärts wie rückwärts gerichtete Relationierungsleistungen dienen der Verständniserleichterung und -sicherung. Sie ‘vernetzen’ die in zeitlicher Sukzession produzierten und rezipierten Einheiten und prägen ihnen ein Mehr an Struktur auf. 52 52 Diese Funktionalität ist angesichts der Flüchtigkeit von mündlicher Kommunikation von besonderer Wichtigkeit. Sie ist für alle mündlichlichen kommunikativen Praktiken in annähernd gleicher Weise vorteilhaft. Dies macht plausibel, dass eine solche spezifische Relationierungsstruktur, wie sie die Operator-Skopus-Struktur darstellt, zunächst in der mündlichen Kommunikation erscheint und dass sie nicht praktikengebunden, sondern in allen Praktiken aufzufinden ist. Die Funktionalität der Operator-Skopus-Struktur (höhere Relationierung und Vernetzung) ist allerdings auch im Bereich schriftlicher Verständigung kein Nachteil, sie ist dort aber wegen der Dauerhaftigkeit der Texte nicht so zwingend zur Verständnissicherung geboten wie im Bereich der mündlichen Praktiken. Die Operator-Skopus-Struktur erhält im schriftlichen Bereich, u.a. auch weil sie von der für das Schriftliche kanonischen Satzform abweicht, zusätzliche Funktionalität, etwa in Sinne der Signalisierung von besonders hoher Strukturiertheit und Prägnanz. Diese zusätzliche Funktionalität prädestiniert die Operator-Skopus-Struktur dann im Spektrum schriftlicher Textsorten insbesondere für wissenschaftliche Aufsätze, verlesene politische Reden, Kommentare, Feuilletonartikel etc. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 87 (3) Anzahl und Größe der Parteien Während die ersten beiden Grundbedingungen alle Formen mündlicher Kommunikation gleichermaßen betreffen, sind es bei dieser und den folgenden Bedingungen die je konkreten Ausprägungen, die den Rahmen für die Verständigung setzen und die bestimmte kommunikative Verfahren und sprachliche Mittel ebenso erfordern wie ermöglichen. Unterschiedliche kommunikative Praktiken unterscheiden sich in den Ausprägungen der Grundbedingungen, mitunter sind differente Ausprägungen dieser Bedingungen für die Unterscheidung von Praktiken konstitutiv. Die Tatsache, dass mündliche Verständigung zwischen zwei oder mehr Parteien stattfindet, bringt verschiedene allgemeine Koordinationsprobleme mit sich, die je nach konkreter Ausprägung dieser Bedingung mit unterschiedlichen kommunikativen Verfahren und sprachlichen Mitteln gelöst werden. Generell stellen sich den Beteiligten u.a. die Aufgaben − einen interaktiven Kontakt zu etablieren, − ein Gespräch zu eröffnen und zu beenden, − zu verdeutlichen, an wen Beiträge gerichtet sind, − die Beiträge auf die adressierte Partei oder Person zuzuschneiden und − zu regeln, wie Beiträge aufeinander folgen. Die kommunikativen Verfahren und die sprachlichen Mittel, mit denen diese Aufgaben in den je spezifischen Konstellationen bearbeitet werden, sind von der Gesprächsforschung unter den Stichwörtern Herstellung einer Interaktionssituation/ Kontaktherstellung, Gesprächseröffnung und -beendigung, Adressierung von Beiträgen, Hörerzuschnitt (recipient design) und Verteilung des Rederechts (turn taking) ausführlich behandelt worden, so dass hier nicht näher darauf eingegangen werden soll. Wie gesagt können sich diese Aufgaben im Rahmen unterschiedlicher Konstellationen und in verschiedenen kommunikativen Praktiken sehr unterschiedlich darstellen und entsprechend andere Verfahren und Mittel erfordern. So stellt die Eröffnung eines Gesprächs ganz unterschiedliche Anforderungen, je nachdem, ob die Beteiligten kopräsent sind oder nicht (z.B. muss bei der Eröffnung eines Telefongesprächs im Regelfall eine wechsel- Eigenschaften gesprochener Sprache 88 seitige verbale Identifizierung geleistet werden, während dies bei einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht nicht unbedingt erforderlich ist), und die Verteilung des Rederechts ist in verschiedenen Praktiken sehr unterschiedlich geregelt, wie beispielsweise ein Vergleich von Smalltalk mit einem Unterrichtsgespräch zeigt. (4) Kopräsenz der Parteien und Gemeinsamkeit der Situation Insofern es sich hier um eine grundlegende Bedingung handelt, die ihrerseits Voraussetzung für die folgenden Bedingungen (5) ‘Wechselseitige Wahrnehmung’, (6) ‘Multimodalität der Verständigung’ und (7) ‘Interaktivität’ ist, lassen sich keine unmittelbaren Auswirkungen auf sprachlich-kommunikative Phänomene benennen. Zu unterscheiden sind drei Ausprägungen dieser Bedingung. Zum einen eine auf der Grundlage der Kopräsenz der Parteien hergestellte Gemeinsamkeit der Situation. Zum anderen der Fall, dass trotz Kopräsenz der Parteien keine gemeinsame Situation besteht. Hier handelt es sich um Konstellationen, bei denen die gemeinsame Anwesenheit - u.U. auch bei wechselseitiger Wahrnehmung - nicht dazu führt, dass ein kommunikativer Kontakt und Austausch etabliert wird (Kopräsenz in einer Bibliothek, in einer Menschenmenge etc.). Diese Fälle sind nach unserer Auffassung nicht als Kommunikationssituation zu analysieren. 53 Drittens kann mithilfe technischer Geräte eine Gemeinsamkeit der Situation erzeugt werden, auch wenn die Beteiligten nicht kopräsent sind. Dieser letzte Fall hat, da beim jetzigen Stand der technischen Entwicklung die Gemeinsamkeit der Situation nicht den Grad bzw. das Ausmaß erreicht wie bei Kopräsenz, kommunikative Auswirkungen in Hinblick auf die Kompensation dieser Defizite. Dies reicht von den schon genannten Identifizierungssequenzen bis zur Verbalisierung von Situationselementen, die für die andere Partei nicht wahrnehmbar sind. Auch in Hinblick auf die Organisation des Rederechts müssen bei Telefon- oder Videokonferenzen besondere Verfahren und Mittel entwickelt werden. 53 Natürlich kann es auch in einer Bibliothek oder einer Menschenmenge zu kommunikativem Kontakt und Austausch kommen, jedoch bedarf dies weitergehender Aktivitäten. Die Bedingungen, ab wann ein kommunikativer Kontakt und Austausch besteht, sind gesondert zu diskutieren. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 89 (5) Wechselseitigkeit der Wahrnehmung und (6) Multimodalität der Verständigung Die Wechselseitigkeit der sinnlichen Wahrnehmung ist die Voraussetzung für eine multimodale Verständigung. Sie ermöglicht eine Verständigung, die verschiedene Bereiche nutzt. Zu unterscheiden sind dabei die wahrnehmungs- und inferenzgestützte Verständigung, die nonverbale Kommunikation und die verbale Verständigung. Insbesondere ermöglicht die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung ein Zusammenspiel dieser drei Bereiche im Prozess der Verständigung. Dabei kann zum einen in den verschiedenen Bereichen Entsprechendes kommuniziert werden. Die Bereiche verstärken sich dann wechselseitig, wobei diese Redundanz zur Verständnissicherung beiträgt. 54 Zum anderen kann das Zusammenspiel darin bestehen, dass das, was kommuniziert werden soll, gleichsam auf die drei Bereiche ‘verteilt’ wird. D.h., es muss nicht alles verbalisiert werden, sondern vieles kann z.B. der wahrnehmungsgestützten Verständigung überlassen werden. Dieses Phänomen stellt sich aus der Perspektive der Schriftlichkeit, die weitgehend auf Verbalität angewiesen und für die entsprechend verbale Explizitheit konstitutiv ist, als Bruchstückhaftigkeit bzw. Elliptizität mündlicher Kommunikation dar. Die drei Verständigungsmöglichkeiten sind allerdings nicht für alle Zwecke gleich geeignet, sondern besitzen jeweils spezifische Domänen. Eine Domäne der nonverbalen Kommunikation (einschließlich der prosodischen Phänomene) ist z.B. die der Kommentierung, Einordnung, Kontextualisierung, bewertenden Stellungnahme u.Ä. Die Möglichkeiten des Zusammenspiels der drei Verständigungsbereiche lassen sich beispielhaft an der Bezugnahme (Referenz) auf Elemente der gemeinsamen Situation zeigen. Eine Antwort auf die Frage Weißt du, wo mein Schlüsselbund ist? kann in Folgendem bestehen: − Der Gesprächspartner zieht das Schlüsselbund unter einer Zeitung hervor. Die praktische Tätigkeit wird wahrgenommen und gewinnt so kommunikative Qualität (wahrnehmungs- und inferenzgestützte Kommunikation). Sie kann von verbalen Äußerungen, z.B. Hier., begleitet werden. 54 Natürlich kann in den Bereichen auch Widersprüchliches kommuniziert werden. Dies führt in das Gebiet der Kommunikationsstörungen. Eigenschaften gesprochener Sprache 90 − Einer Zeigegeste mittels Hand, Kopf oder Blickrichtung (nonverbale Kommunikation). − Einer Zeigegeste zusammen mit einer Äußerung, z.B.: Da. (nonverbale Kommunikation zusammen mit verbaler Kommunikation in Form eines deiktischen Ausdrucks). − Einer Äußerung, z.B. Auf dem Tisch unter der Zeitung. (verbale benennende Kommunikation). Diese Äußerung kann ebenfalls von einer Zeigegeste oder/ und einem deiktischen Ausdruck begleitet werden. Das Beispiel verdeutlicht die Flexibilität multimodaler Verständigung. Zugleich wird deutlich, dass die Wechselseitigkeit der visuellen Wahrnehmung alle Formen der wahrnehmungs- und inferenzgestützten Kommunikation sowie die mimisch-gestisch-proxemischen Formen der nonverbalen Kommunikation erst ermöglicht. Durch die Gemeinsamkeit der Situation und die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung sind darüber hinaus die Beiträge situiert. Dies heißt zum einen, dass für die Beteiligten evident ist, wer sie wann und wo gemacht hat, so dass dies nicht explizit formuliert werden muss. Zum anderen bedeutet dies, dass der Bezugspunkt für deiktische Ausdrücke, die zur Referenz auf die Origo (hier, jetzt, ich) benutzt werden, für die Beteiligten eindeutig ist. 55 Die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung ermöglicht ferner dadurch, dass man weiß, mit wem man es zu tun hat, einen spezifischen Adressatenzuschnitt der Kommunikation. Dabei spielt insbesondere das Wissen über die andere Partei und ggf. die gemeinsame Interaktionsgeschichte eine Rolle. Der Adressatenzuschnitt reicht von der Wahl der Adressierung (verschiedene Formen der Anrede, duzen vs. siezen) über die Anpassung von Beiträgen an das Wissen des Hörers bis hin zur Themenwahl. Die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung kann in verschiedener Hinsicht eingeschränkt sein, z.B. wenn Defekte der Sinnesorgane vorliegen (Blindheit, Taubheit) oder wie es bei Videokonferenzen oder Telefongesprächen 55 Deiktische Ausdrücke, die auf andere Personen (du, er etc.), Raumpunkte außerhalb der Origo (da, dort) sowie auf Gegenstände (dies, jenes) verweisen, müssen in vielen Situationen mit Zeigegesten irgendeiner Art kombiniert werden, damit sie eindeutig identifizieren. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 91 als technisch vermittelten kommunikativen Praktiken der Fall ist. Einschränkungen dieser Art tangieren die Multimodalität der Verständigung: Eine Einschränkung der visuellen Wahrnehmung erhöht die Notwendigkeit zur Verbalisierung und den Anteil verbaler Kommunikation, eine Einschränkung der akustischen Wahrnehmung erfordert ein Ausweichen auf visuelle Symbolsysteme (Schrift, Gebärdensprache etc.). Mündliche Kommunikation erfolgt nicht in allen Fällen auf der Grundlage der Wechselseitigkeit der Wahrnehmung. Verschiedene mündliche kommunikative Praktiken beruhen auf einer einseitigen Wahrnehmung: die eine Partei kann hören und/ oder sehen, was die andere kommuniziert, nicht aber umgekehrt. Dies ist der Fall bei massenmedialen Übertragungen oder bei konservierter Kommunikation, die in einem anderen Kontext reproduziert wird (Anrufbeantworter, Kassettenbrief). Ist die Wahrnehmung einer anderen Person nicht gegeben (sei es als direkte Wahrnehmung oder in Form einer Aufzeichnung), ist keine Form mündlicher Verständigung mehr möglich. Insoweit ist mündliche Kommunikation immer personengebundene Kommunikation: Sie ist darauf angewiesen, dass man körperliche Entäußerungen einer Person sieht und/ oder hört. Jenseits dieser Trennungslinie beginnt die Domäne der Schriftlichkeit. (7) Interaktivität Unter den Bedingungen der Gemeinsamkeit der Situation und der Wechselseitigkeit der Wahrnehmungen ist mündliche Verständigung interaktiv, anderenfalls nicht. 56 Auch wenn Mündlichkeit häufig mit Interaktivität gleichgesetzt wird, weisen nicht alle Formen mündlicher Kommunikation dieses Merkmal auf (z.B. Rundfunkreportagen, Besprechen eines Anrufbeantworters). Gleichwohl ist Interaktivität, wenn sie gegeben ist, eine der prominentesten Eigenschaften, die die Vorstellungen über Mündlichkeit prototypisch prägt. Interaktivität bedeutet, dass die Beteiligten zur Realisierung gemeinsamer oder individueller Zwecke und Ziele gemeinschaftlich handeln und dabei 56 Kopräsenz ist nicht notwendig erforderlich, wie das Beispiel von Telefongesprächen und Videokonferenzen zeigt. Eigenschaften gesprochener Sprache 92 sich gegenseitig beeinflussen und steuern. Sofern mündliche Verständigung eine in diesem Sinne interaktive Veranstaltung ist, bringt dies eine Vielzahl von Aufgaben mit sich: Die Beteiligten müssen ihre Handlungen aufeinander beziehen und zu jedem Zeitpunkt aufeinander abstimmen, eine Beziehung zueinander herstellen und fortentwickeln, wobei sie sich wechselseitig in ihrer Identität beeinflussen, die soziale Situation gemeinsam definieren und fortentwickeln etc. (vgl. Fiehler 1990a, S. 29-35). Die Realisierung all dieser Aufgaben erfordert zahlreiche kommunikative Verfahren und entsprechende sprachliche Mittel, deren Herausarbeitung Gegenstand der Gesprächsforschung ist. Die wechselseitige Beeinflussung und Steuerung betrifft alle Ebenen des Handelns. Sie erfolgt im Bereich der wahrnehmungs- und inferenzgestützten Verständigung ebenso wie in der nonverbalen Kommunikation und verbalen Verständigung. Große Anteile der Koordinationsleistungen werden allein wahrnehmungsgestützt erbracht. Erfolgt die wechselseitige Beeinflussung und Steuerung verbal, so geschieht sie kleinräumig mit Mitteln des Lenkfeldes (Ehlich 1986b) wie Hörerrückmeldungen, diskursprozessierenden Imperativen (Kraft 1999) und Interjektionen. Sie zeigt sich auf der Äußerungsebene in der Übernahme von Konstruktionen bzw. Formulierungen durch den nächsten Sprecher (syntaktische Parallelität) und in der gemeinsamen Konstruktion von Beiträgen (vgl. Schwitalla 1992). Sie ist bei der Organisation der Abfolge von Gesprächsbeiträgen ebenso wirksam wie bei der Aushandlung von Themen. Von besonderer Relevanz für die gegenseitige Beeinflussung ist die Kommunikation von Bewertungen und die Vielfalt der Verfahren und Mittel, mit denen sie geschieht (vgl. Fiehler 1990a, S. 35-40 u. 46-52). Durch die Kommunikation von Bewertungen verdeutlichen sich die Gesprächspartner gegenseitig ihre Präferenzen, wodurch nachfolgende Entscheidungen und Handlungen beeinflusst werden. (8) Bezugspunkt der Kommunikation Wie oben dargestellt kann Kommunikation sich auf sehr unterschiedliche Bereiche beziehen und sehr Unterschiedliches zum Thema haben. Sind Aspekte der gemeinsamen Situation Gegenstand der Kommunikation, so handelt es sich um situationsbezogene Verständigung. Bei der nicht auf die unmittelbare Situation bezogenen Kommunikation lässt sich differenzieren, ob Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 93 gemeinsam Bekanntes der Bezugspunkt ist oder ob individuelle Erlebnisse und Erfahrungen Gegenstand der Verständigung sind. Dieser letzte Punkt lässt sich noch dahingehend differenzieren, ob andere Situationen oder innere Gegebenheiten thematisch werden. Erkennbar ist, dass dabei zunehmend mehr verbalisiert werden muss, weil die gemeinsame Wahrnehmung und das gemeinsame Wissen transzendiert werden. Externes wird verbal in die gemeinsame Situation ‘importiert’. Das Hereinholen von Sachverhalten, die situativ nicht gegeben sind, bedeutet und ermöglicht für den Hörer eine Teilhabe an anderen Gegebenheiten und Situationen und so eine Erweiterung seines Wissens. Dieses Hereinholen konstituiert eine Reihe eigenständiger kommunikativer Praktiken und bringt als Aufgabe mit sich, dass der Status der Verbalisierungen als Erzählung, Bericht oder Beschreibung (von außerhalb der Situation liegender gegenwärtiger oder vergangener Ereignisse und Sachverhalte) oder als Benennung und Beschreibung innerer Gegebenheiten gekennzeichnet werden muss. Die Kennzeichnung z.B., dass innere Gegebenheiten kommuniziert werden, kann u.a. explizit verbal mit Operatoren erfolgen: Meine Meinung; ich hoffe/ befürchte/ schätze etc. (vgl. in Abschnitt III.2.1 die Klasse der Operatoren, die den mentalen Status ihrer Bezugsäußerungen spezifizieren). Insgesamt erfordert der kommunikative Import externer Ereignisse und Sachverhalte, dass diese benannt oder beschrieben werden. Sie können häufig nicht vorgewiesen und es kann auch nicht auf andere Art auf sie verwiesen werden. Das Hereinholen verstärkt so eine Tendenz zur Verbalität in Form von Benennungen und Beschreibungen und zugehörigen Prädikationen. Während inneres Erleben z.B. auch durch Ausdruck kommuniziert werden kann, können Kognitionen weitgehend nur durch Versprachlichung exothetisiert werden. Aber auch inneres Erleben ist auf Benennungen (u.a. mithilfe des Erlebens- und Emotionswortschatzes) und verschiedene Verfahren der Beschreibung angewiesen (vgl. Fiehler 1990a, S. 113-139), z.B. wenn Gefühle, die in einer anderen Situation bestanden, geschildert werden sollen. Sofern sich der Import auf Sachverhalte und Ereignisse bezieht, die nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt statthaben, wird zugleich auch ihre temporale Markierung mithilfe der entsprechenden sprachlichen Mittel (Tempus, tem- Eigenschaften gesprochener Sprache 94 porale Angaben) notwendig. So ist es gerade die Kommunikation, deren Bezugspunkt nicht in der gemeinsamen Situation liegt, die zahllose neue kommunikative Verfahren und sprachliche Mittel erforderlich macht und ihre Ausbildung befördert. (9) Institutionalität Diese Grundbedingung differenziert kommunikative Praktiken, die institutionell eingebunden sind, von solchen, die es nicht sind. Die Unterschiede zwischen diesen Praktiken sind unter dem Stichwort ‘Institutionsspezifik von Kommunikation’ ausführlich bearbeitet worden. Die Aufgabenstellung von Institutionen führt zur Ausbildung eigenständiger kommunikativer Praktiken, spezifischer kommunikativer Muster und Handlungen sowie spezifischer kommunikativer Verfahren und sprachlicher Mittel. Institutionsspezifische kommunikative Praktiken sind z.B. die Beichte oder das Verhör. Als Nächstes sind institutionstypische kommunikative Muster und entsprechende Adaptionen alltagsweltlicher Muster zu nennen (vgl. Ehlich/ Rehbein (1986, Kapitel 2 und 3) für die Adaption der alltagsweltlichen Muster Problemlösen und Rätselraten in der Schule; Brünner (1987, Kapitel 4) für die Adaption des schulischen Musters Aufgaben-Stellen/ Aufgaben-Lösen an die Zwecke der beruflichen Ausbildung). Die stark musterförmige Organisation institutioneller Kommunikation ergibt sich aus der Zweckbezogenheit der Institutionen. Z.T. ist die institutionelle Kommunikation so formalisiert, dass die Muster den Charakter kommunikativer Rituale haben (z.B. im Gottesdienst). Institutionsspezifische sprachliche Handlungen können exklusiv in einer Institution (segnen, Urteil sprechen) oder in mehreren vorkommen (eröffnen), während sie außerinstitutionell als solche oder in dieser Form nicht anzutreffen sind. Weitere kommunikative Auswirkungen der Institutionalität betreffen u.a. die Verfahren und sprachlichen Mittel der Adressierung (Adressierung per Rolle, nicht per Namen: Herr Pastor, Herr Richter) und die Ausbildung von den Zwecken der Institution entsprechenden Formen der Gesprächsorganisation. (10) Verteilung der Verbalisierungs- und Thematisierungsrechte Kommunikative Praktiken unterscheiden sich in Hinblick auf die Regelungen, die die Abfolge von Redebeiträgen und Themen organisieren. Den ver- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 95 schiedenen Formen der Verteilung von Verbalisierungs- und Thematisierungsrechten entsprechen dabei unterschiedliche Verfahren und Mittel. Für die Formen, in denen Selbstwahl möglich ist, sind dies z.B. Steigerung der Frequenz von Rückmeldepartikeln schon während des Beitrags des vorangehenden Sprechers, überlappender Beginn oder schneller Anschluss. Für die Formen, in denen es eine Instanz gibt, die das Rederecht verteilt, wurden Mittel der Bewerbung um das Rederecht entwickelt (Aufnahme von Blickkontakt, melden). Entsprechende Mittel stehen auch für die Beendigung von Themen und die Einführung neuer Themen zur Verfügung. Zum Abschluss eines Themas dienen u.a. Zusammenfassungen oder resümierende Bewertungen, zur Einführung eines neuen Themas können verschiedene Arten metakommunikativer Ankündigungen eingesetzt werden. Solche Zusammenfassungen und Ankündigungen werden dabei häufig mithilfe von Operatoren angezeigt (kurz und gut; was anderes, nebenbei). (11) Vorformuliertheit von Beiträgen Die Ausprägungen dieser Grundbedingung reichen vom situativen Formulieren bis zur mündlichen Reproduktion schriftlicher Texte. Wird situativ formuliert, so führt dies zu einer Vielzahl von Phänomenen, die mit prototypischer Mündlichkeit assoziiert werden: Verzögerungssignalen, Versprechern, Ringen um Formulierungen, Abbrüchen und Neustarts, Reparaturen aller Art etc. Aufgrund der Irreversibilität mündlicher Verständigung (s.o.) hinterlassen alle diese Prozesse Spuren in den Beiträgen. Wird Vorformuliertes reproduziert, treten diese Phänomene tendenziell weniger häufig auf, wenngleich sie auch dort nicht ausgeschlossen sind (Versprecher). Dieser Überblick zeigt anhand einiger Beispiele, dass die Möglichkeiten und Anforderungen, die mit den Grundbedingungen in ihren jeweiligen Ausprägungen verbunden sind, zur Ausbildung von ihnen entsprechenden kommunikativen Verfahren und sprachlichen Mitteln führen. Er zeigt ferner, dass dies keine Verfahren und Mittel für ‘die’ Mündlichkeit schlechthin sind, sondern dass sie jeweils aus spezifischen Konstellationen erwachsen und auch nur auf diese zugeschnitten sind. Verfügt man über die Verfahren und Mittel, ein Tischgespräch zu führen, so sind diese keineswegs ausreichend, um auch eine Diskussion zu moderieren oder eine Zeugenbefragung durchführen zu können. Wird dennoch von spezifischen Eigenschaften der Münd- Eigenschaften gesprochener Sprache 96 lichkeit gesprochen, so handelt es sich entweder um Phänomene, die mit den generellen Bedingungen der Kurzlebigkeit/ Flüchtigkeit und Zeitlichkeit zusammenhängen, oder um Phänomene, die in interaktiven Formen der Mündlichkeit anzutreffen sind. In diesem letzten Fall wird der Bereich der Mündlichkeit reduziert und auf ‘prototypische’ Formen beschränkt. Dieser Beschränkung leistet auch die Gesprächsforschung Vorschub, insoweit sie face-to-face-Interaktionen zu ihrem dominanten Untersuchungsgegenstand macht oder sich auf sie beschränkt. Umgekehrt darf nicht übersehen werden, dass die Gesprächsforschung Pionierarbeit geleistet hat, indem sie für die interaktiven Formen der Mündlichkeit in einem erheblichen Umfang spezifische kommunikative Verfahren und sprachliche Mittel herausgearbeitet hat. Das dominante Interesse für die interaktiven Formen ist dabei durchaus verständlich, stehen sie doch in einem maximalen Kontrast zur Schriftlichkeit - dem zentralen Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft - und weisen sie doch eine Vielzahl von Phänomenen auf, die im Bereich der schriftlichen Texte keine Entsprechung haben oder dort nicht vorkommen bzw. in anderer Form und Häufigkeit realisiert werden. Konsequenterweise hat die Gesprächsforschung mit der Bearbeitung solcher Phänomene begonnen, die in diesem Sinne spezifisch sind - nicht für Mündlichkeit generell, aber für ihre interaktiven Formen: Sprecherwechsel, Reparaturen, Hörersignale, Gliederungssignale etc. Im Gegensatz dazu hat sich die Gesprochene-Sprache-Forschung um die Herausarbeitung von spezifischen Merkmalen der Mündlichkeit bemüht, die eher dem grammatischen und lexikalischen Bereich zuzuordnen sind: anderer Tempusgebrauch (nur Rudimente des Futurs etc.), anderer Modusgebrauch (weniger Konjunktiv), freiere Wortstellung (z.B. Verbzweitstellung in weil/ obwohl/ wobei-Sätzen, ‘Links’- und ‘Rechts’herausstellungen), häufigere Ellipsen, häufigere Satzbrüche, phonetische Reduktionen (morphologische Markierungen, Elision, Kontraktionen), mehr Parataxe als Hypotaxe, weniger subordinierende Konjunktionen (mehr Asyndese an Stelle von konjunktionaler Subordination), geringere Varianz von Konjunktionen und Nebensatztypen, mehr Partikeln etc. 57 Sie sind - zumindest auf den ersten Blick - nicht unmittelbar in Beziehung zu bringen mit den genannten Grundbedingungen und ihren jeweiligen Ausprägungen. 57 Für umfangreiche Zusammenstellungen dieser Spezifika vgl. Nussbaumer (1991, S. 84-85, S. 277), Schwitalla (1994 und 1997) und Sieber (1998, S. 182-189). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 97 Einer gesonderten Betrachtung bedarf, ob die in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen wirklich generell für alle Formen der Mündlichkeit gelten. Hierzu ist es sinnvoll zu prüfen, wie diese Spezifika gesprochener Sprache ermittelt wurden. Ziel entsprechender Untersuchungen ist im Regelfall die Erarbeitung genereller Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, die durch Vergleich ermittelt werden sollen. Die empirischen Analysen haben aber zwangsläufig nur Sprachmaterial aus wenigen kommunikativen Praktiken zur Grundlage. Gleichwohl werden die Ergebnisse zu allgemeinen Spezifika gesprochener oder geschriebener Sprache erklärt. So untersucht beispielsweise Hennig (1998) den Tempusgebrauch anhand der Textsorten Talkshow und Fußball-Livereportage aus dem Bereich der gesprochenen Sprache und Rezension und Brief aus dem Bereich der geschriebenen Sprache. Sie kommt - entgegen den Aussagen der Duden-Grammatik, dass Präsens und Präteritum wegen ihrer Häufigkeit die Haupttempora darstellen - zu dem Ergebnis, dass nur das Präsens (in beiden Bereichen) als Haupttempus zu betrachten ist: Es ist zweifelsohne angemessen, das Präsens als Haupttempus zu bezeichnen, da es im Gesamtkorpus 65,4% aller Tempusformen ausmacht. Mag das Präteritum in der Belletristik neben dem Präsens Haupttempus sein - in der gesprochenen Sprache und in geschriebenen nichtbelletristischen Texten ist es das nicht. (Hennig 1998, S. 232). U.E. überrascht es nicht, dass in den betrachteten Textsorten als Folge ihrer Spezifik das Präsens das häufigste Tempus ist. Die Ergebnisse sähen sicherlich anders aus, wenn sie z.B. mündliche Erzählungen oder schriftliche Unfallberichte untersucht hätte. Von daher scheint es zumindest problematisch, ob man dieses Ergebnis über den untersuchten Bereich hinaus verallgemeinern kann, wie es im letzten Satz des Zitats geschieht. Es ist durchaus kein Einzelfall, dass Ergebnisse, die in der Analyse einzelner oder mehrerer kommunikativer Praktiken gewonnen wurden und für diese gelten, ungeprüft und vorschnell zu generellen Eigenschaften gesprochener oder geschriebener Sprache verallgemeinert werden. Zudem bleibt es häufig unklar, wie groß die Unterschiede sein müssen, um von spezifischen Merkmalen sprechen zu können. Da es kaum Eigenschaften gibt, die nur mündlich Eigenschaften gesprochener Sprache 98 oder nur schriftlich auftreten, ist Spezifik eine Frage von quantitativen Unterschieden, wobei uns keine Diskussionen bekannt sind, wie groß Differenzen sein müssen, um eine Spezifik von Eigenschaften zu begründen. Neben der listenmäßigen Erfassung, Beschreibung und Systematisierung der Besonderheiten von Mündlichkeit (vgl. Anm. 12) stellt sich auch die Frage ihrer Erklärung. Die hier ansatzweise vorgestellte Ableitung von kommunikativen Verfahren und sprachlichen Mitteln aus den jeweiligen Ausprägungen der Grundbedingungen ist ein solcher Versuch, spezifische Eigenschaften zu erklären. Eine solche Erklärung der Besonderheiten aus den Grundbedingungen ist nahe liegend und schon häufig mehr oder minder ausführlich praktiziert worden, so z.B. von Klein (1985): Die Besonderheiten schriftlicher und mündlicher Kommunikation, wie sie die Forschung zumindest teilweise aufgezeigt hat, ergeben sich aus wenigen allgemeinen Merkmalen. (ebd., S. 33). [...] dabei kommt es mir aber weniger auf eine vollständige Charakterisierung der verschiedenen strukturellen und funktionalen Unterschiede [zwischen geschriebener und gesprochener Sprache; d. Verf.] an, [...], sondern darauf, die wesentlichen Unterschiede aus einigen wenigen Prinzipien herzuleiten oder, etwas bescheidener gesagt, sie naheliegend erscheinen zu lassen. (ebd., S. 11). Einen Spezialfall solcher Erklärungen aus den Grundbedingungen stellen (psycho-)linguistische Ansätze dar, die psychophysische Bedingungen der Sprachproduktion und -verarbeitung besonders betonen. In diesem Fall werden physische und kognitive Voraussetzungen der Äußerungsproduktion (geringere Planungskapazität etc.) oder Möglichkeiten und Begrenzungen der kognitiven Verarbeitung für Besonderheiten des Mündlichen verantwortlich gemacht (z.B. geringere Einbettungstiefe von Nebensätzen, mehr Parataxe; vgl. Rickheit/ Strohner 1993). Die in diesem Abschnitt behandelten Grundbedingungen hingegen stellen situative und kommunikationsbezogene Faktoren bei der Erklärung von spezifischen Eigenschaften gesprochener Sprache in den Vordergrund. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 99 5. Kommunikative Praktiken und die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit / gesprochener und geschriebener Sprache An den Ausgangspunkt der Analyse menschlicher Verständigung haben wir in dieser Arbeit als grundlegendes theoretisches Konzept das der kommunikativen Praktiken 58 gestellt und betont, dass zur Realisierung individueller Ziele und gesellschaftlicher Zwecke ein breites und differenziertes Spektrum solcher Praktiken existiert (vgl. Abschnitt I.1., These (1)). Dieses Konzept möchten wir im Folgenden genauer, als es bisher in den einleitenden Thesen geschehen ist, erläutern (Abschnitt 5.1), um dann vor diesem Hintergrund drei Fragen zu behandeln: - Wie kommt es - angesichts der Vielfalt und Heterogenität der kommunikativen Praktiken - zur abstrakteren Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. von gesprochener und geschriebener Sprache und welche Funktion bzw. welchen Stellenwert hat diese allgemeinere Unterscheidung? (Abschnitt 5.2). - Was verbindet sich mit der Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. gesprochener und geschriebener Sprache in der Literatur? (Abschnitt 5.2 und 5.3). - Welche alternativen Ausschnittbildungen aus der Gesamtheit der kommunikativen Praktiken sind möglich? (Abschnitt 5.4). 5.1 Das Konzept der kommunikativen Praktiken Grundformen der Verständigung sind kommunikative Praktiken. Wenn wir uns verständigen, so tun wir dies nicht frei und voraussetzungslos, sondern wir tun es im Regelfall auf der Basis von vorgeformten Praktiken, indem wir singuläre Exemplare solcher Praktiken realisieren. Kommunikative Praktiken sind präformierte Verfahrensweisen, die gesellschaftlich zur Verfügung stehen, wenn bestimmte rekurrente Ziele oder Zwecke kommunikativ realisiert werden sollen. Jede Gesellschaft verfügt über ein spezifisches Reper- 58 An diesen Ausgangspunkt kann man auch ganz andere theoretische Konzepte stellen: die Einzelsprache, die sprachliche Handlung, den Satz, die menschliche Sprachfähigkeit etc. Eigenschaften gesprochener Sprache 100 toire solcher Praktiken. Dieses Repertoire ist ausreichend für die weitaus meisten Ziele und Zwecke, die kommunikativ verfolgt werden. Gleichwohl ist dieses Repertoire nicht statisch, sondern es verändert sich historisch, indem relativ zu veränderten Zielen und Zwecken sich auch die kommunikativen Praktiken verändern bzw. neue entstehen. Auf diese Praktiken können Sprecher und Sprecherinnen als Bausteine ihrer kommunikativen Praxis zurückgreifen. Unsere individuelle kommunikative Praxis besteht zu weiten Teilen darin, aus diesem Repertoire relativ zu unseren Zielen und Zwecken entsprechende Praktiken auszuwählen und von ihnen sukzessive Gebrauch zu machen. Eine Vielzahl unterschiedlicher kommunikativer Praktiken kanalisiert und bestimmt so unser kommunikatives Leben. Unsere Gesellschaft kennt als mündliche kommunikative Praktiken beispielsweise Gerichtsverhandlungen, Reklamationen, Auskünfte, Beratungsgespräche, Arbeitsessen, Prüfungen, Streitgespräche, den Plausch über den Gartenzaun, Diskussionen, Erzählungen, Planungsgespräche, Unterweisungen, Telefongespräche u.v.m. Sie kennt als schriftliche Praktiken den Brief, den Einkaufzettel, das Gedicht, das Protokoll, den Roman, das Tagebuch, den wissenschaftlichen Aufsatz etc. Viele kommunikative Praktiken haben sowohl schriftliche wie auch mündliche Anteile: das Aufnehmen einer Bestellung, die Bewerbung mit dem Bewerbungsbrief und dem mündlichen Bewerbungsgespräch, das Diktat etc. Eine Reihe von Praktiken kann mündlich oder schriftlich ausgeführt werden: Klatsch, Beschwerde, Übermittlung von Nachrichten etc., andere sind nur mündlich oder nur schriftlich möglich. Bei kommunikativen Praktiken handelt es sich also um abgrenzbare, eigenständige kommunikative Einheiten, für die ihre Zweckbezogenheit und Vorgeformtheit konstitutiv sind und für die es gesellschaftlich auch Bezeichnungen gibt. Die Existenz solcher Bezeichnungen widerspiegelt, dass es sich nicht um analytische Einheiten handelt, sondern dass diese Praktiken im Bewusstsein der Gesellschaftsmitglieder abgrenzbare und eigenständige kommunikative Ereignisse darstellen. Dass kommunikative Praktiken größere abgrenzbare und eigenständige kommunikative Einheiten sind, bedeutet, dass sie mehr umfassen als einzelne sprachliche Handlungen. In diesem Sinne ist eine Beschwerde eine kommunikative Praktik, während ein einzelner Sprechakt des Beschwerens dies noch nicht ist. An der Ausführung einer Praktik sind immer mindestens zwei Parteien beteiligt. Aber auch viele Mus- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 101 ter, die von zwei oder mehr Parteien realisiert werden, haben wegen ihrer fehlenden Eigenständigkeit nicht den Status von Praktiken. Im Laufe eines Gesprächs eine Frage zu stellen und eine Antwort zu erhalten, hat nicht den Charakter einer Praktik, während ‘eine Befragung durchführen’ dies wohl hat. Ebenso ist die ‘Begrüßung’ (z.B. einer Delegation oder eines Staatsgastes) eine Praktik (mit der wir allerdings aktiv kaum vertraut sind), während Gruß und Gegengruß (bei der Einleitung einer Interaktion) wohl ein Muster realisieren, aber nicht die Ausführung einer kommunikativen Praktik darstellen. D.h., Muster sind Bestandteile von Praktiken: Bei der Ausführung von kommunikativen Praktiken können die Beteiligten sich solcher Muster bedienen, bzw. es können neue Muster dabei ausgebildet werden. Sprecher(innen) verfügen (in variierendem Ausmaß) über ein Wissen, welche Praktiken es in einer Gesellschaft gibt und welche dieser Praktiken sie aktiv oder passiv beherrschen. Sie haben Bezeichnungen für diese Praktiken und besitzen entsprechend auch eine Typologie. Diese Typologie kommunikativer Praktiken ist - wie alle Alltagstypologien - weder eindeutig noch besonders systematisch (vgl. Günthner 1995, S. 200). Sie enthält Praktikenbezeichnungen auf ganz unterschiedlichen Ebenen, die Kategorien sind nicht trennscharf, sondern überschneiden sich vielfach, und es gibt sehr unscharfe Kategorien (z.B. Plauderei, Konversation). Kommunikative Praktiken sind also zunächst ein Beteiligtenkonzept, an dem sie sich orientieren und mit dessen Hilfe sie ihre kommunikative Praxis - produktiv wie rezeptiv - für sich strukturieren und organisieren. Wissenschaftliche Konzepte, mit denen dieses alltagsweltliche Wissen um kommunikative Praktiken rekonstruiert wird, sind z.B. die des Diskurstyps, der Textsorte, der kommunikativen Gattung und eben der kommunikativen Praktik. Eine Praktik zu realisieren heißt, einen je spezifischen Satz von Aufgaben zu bearbeiten. Wir wissen, nachdem es gelernt worden ist, welche Aufgaben wir zu erledigen haben, wenn wir reklamieren wollen, und wir wissen, dass es sich dabei in weiten Teilen um andere Aufgaben handelt, als wenn wir jemandem in Form einer Unterweisung eine bestimmte Fähigkeit vermitteln wollen. Praktiken lassen sich so durch den Satz der für sie konstitutiven Aufgaben - ihr Aufgabenbzw. Handlungsschema - darstellen und beschreiben (vgl. Kallmeyer 1985, Fiehler/ Kindt/ Schnieders 1999). Eigenschaften gesprochener Sprache 102 Als soziale Phänomene sind kommunikative Praktiken geregelt. D.h., das Ausführen einer kommunikativen Praktik unterliegt Regeln, und zwar einer Vielzahl von Regeln auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Diese große Spannweite der Regeln, die eine kommunikative Praktik ausmachen, ist charakteristisch: Wenn reklamiert werden soll, so bedeutet dies z.B. auf der thematischen Ebene, dass wir an einer bestimmten Stelle des Gesprächs eine Darstellung des Problems geben müssen, das die Reklamation bedingt. Es gibt auch Regeln dafür, wem gegenüber man reklamieren darf und soll. Auf einer anderen Ebene liegen die Regeln, wie genau der Reklamationsgegenstand identifiziert werden muss. Die Äußerung Meine Waschmaschine ist kaputt wird in den meisten Fällen nicht ausreichen. Manche dieser Regeln sind praktikenspezifisch, andere gelten für mehrere oder viele Praktiken. Für jede Praktik gibt es so einen spezifischen, breit gestreuten Satz von Regeln, der befolgt werden muss, wenn man ein Exemplar dieser Praktik realisieren will. Praktiken unterscheiden sich allerdings darin, wie scharf umrissen dieser Satz von Regeln ist, wie detailliert und präzise die Regeln sind, wie strikt sie befolgt werden müssen und ob und wie weitgehend dieser Satz kodifiziert ist. Wenn wir kommunizieren lernen, dann erwerben wir diese Fähigkeit nicht als allgemeine und unspezifische Fertigkeit, beliebige Sätze zu äußern, sondern wir erlernen kommunikative Praktiken der hier beschriebenen Art, indem wir die für die einzelnen Praktiken konstitutiven Regeln lernen. Von Anfang an wird Kommunizieren im Rahmen von kommunikativen Praktiken gelernt. Zunächst sind dies die spezifischen Praktiken und Sprachspiele der Eltern-Kind-Interaktion. Später wird in peer-groups, in der Schule und in der beruflichen Ausbildung und Tätigkeit das Spektrum der individuell beherrschten Praktiken erweitert und ausgebaut. Kommunikationsfähigkeit wird also nicht als abstrakte erworben, sondern angeeignet wird die Fähigkeit, bestimmte, konkrete kommunikative Praktiken auszuführen. Man kann dies auf die Formel bringen, dass kommunizieren zu lernen Praktikenerwerb bedeutet. Eine kommunikative Praktik zu lernen heißt, den für sie spezifischen Satz von Regeln zu lernen, wobei alle Regeln und alle Regeltypen für das Ausführen der betreffenden Praktik von Bedeutung sind. Die Regeln betreffen die verschiedensten Ebenen und Bereiche: die relevante Begrifflichkeit, die Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 103 einschlägigen Syntagmen, die Wahl der Anredeformen, die Organisation des Rederechts, die zu bearbeitenden Aufgaben, mögliche Themen, die stilistische Ebene etc. Allein mit den Mitteln von Lexikon und Grammatik wird man weder einen Gottesdienst abhalten, noch als Mitglied der Gemeinde an ihm teilnehmen können. Man kann an einer kommunikativen Praktik nicht teilhaben, wenn man den Satz der betreffenden Regeln nicht weitgehend beherrscht. Bestimmte Regeln, die man im Rahmen einer kommunikativen Praktik gelernt hat (z.B. Bedeutungsregeln (lexikalische Regeln) und Verkettungsregeln (syntaktische Regeln)), können im Rahmen weiterer Praktiken, die gelernt werden, wieder verwendet werden, andere nicht, weil sie dort nicht einschlägig sind. In der kommunikativen Praktik ‘Liebesgeflüster’ z.B. sind alle Bedeutungsregeln, die Computer und ihre Bestandteile betreffen, nur am Rande relevant. Kommunikative Praktiken und die für sie geltenden Regeln werden in den verschiedensten Zusammenhängen gelernt. Die Aneignung eines großen Teils der kommunikativen Praktiken (mit einem Schwerpunkt auf den schriftlichen) erfolgt in der Schule, aber sowohl vor der Schule wie auch außerhalb von ihr (z.B. in peer-groups) werden kommunikative Praktiken erworben. Auch nach dem Durchlaufen der Ausbildungsinstitutionen werden Praktiken erlernt (z.B. im beruflichen Kontext Praktiken wie ‘eine Dienstbesprechung durchführen’ oder ‘ein Arbeitszeugnis schreiben’). Das hier skizzierte Konzept kommunikativer Praktiken besitzt eine Reihe von Berührungspunkten mit dem Konzept der kommunikativen Gattungen, wie es u.a. von Luckmann (1986, 1988), Günthner (1995), Bergmann/ Luckmann (1995) und Günthner/ Knoblauch (1995) ausgearbeitet worden ist: Gattungen bezeichnen also sozial verfestigte und komplexe kommunikative Muster, an denen sich Sprecher/ innen und Rezipient/ innen sowohl bei der Produktion als auch Interpretation interaktiver Handlungen orientieren. (Günthner 1995, S. 199). Solche verfestigten Muster, die kommunikative Vorgänge vorzeichnen, indem sie Bestandteile dieser Vorgänge mehr oder minder detailliert und verpflichtend festlegen, werden in der anthropologischen Linguistik und der Wissens- und Sprachsoziologie als „kommunikative Gattungen“ (Luckman 1986) bezeichnet. (Günthner 1995, S. 193). Eigenschaften gesprochener Sprache 104 Bei vielen Übereinstimmungen besteht der stärkste Unterschied in der Einschätzung der Präformiertheit der kommunikativen Praxis durch Praktiken. Während das Konzept der kommunikativen Gattungen doch größere Anteile der kommunikativen Praxis als nicht präformiert und spontan ansieht, geht das Konzept der kommunikativen Praktiken von einer weitergehenden Vorstrukturierung aus: Many communicative processes are not constrained in the selection and composition of communicative elements in the comparatively rigid form characteristic of a communicative genre. (Bergmann/ Luckmann 1995, S. 290). Kommunikative Gattungen sind ferner intern von rigideren und deutlicheren Ordnungsstrukturen geprägt, als es bei kommunikativen Praktiken der Fall ist. Dies besagt aber keineswegs, wie unsere Ausführungen zu ihrer Vorgeformtheit belegen, dass kommunikative Praktiken keine oder nur undeutliche Ordnungsstrukturen besäßen. Darüber hinaus scheint uns der Begriff der Praktik besser den Vollzugscharakter, die Interaktivität und die Zweckhaftigkeit des kommunikativen Handelns zu verdeutlichen, als der Begriff der Gattung dies tut. Auch die begriffliche Nähe zum literaturwissenschaftlichen Gattungskonzept ist u.E. nicht produktiv. Das Konzept der kommunikativen Praktiken, wie es hier dargestellt wurde, soll uns im Folgenden als Folie dienen, vor deren Hintergrund erkennbar wird, auf welche andere Weise die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. von gesprochener und geschriebener Sprache kommunikative Praxis strukturiert. Dabei wird deutlich werden, dass diese Unterscheidung(en) bei aller Geläufigkeit sich doch keinesfalls von selbst verstehen, sondern mit Implikationen eigener Art verbunden sind. 5.2 Die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor dem Hintergrund des Konzepts der kommunikativen Praktiken Für das Konzept der kommunikativen Praktiken ist es zunächst völlig irrelevant, ob diese Praktiken mündlich oder schriftlich ausgeführt werden. Es akzentuiert andere Aspekte: die unterschiedlichen kommunikativen Zwecke, die Vorgeformtheit und die Regelhaftigkeit der Praktiken. Dass die Differenzierung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit nicht im Vordergrund steht, wird auch dadurch unterstrichen, dass eine Reihe von Praktiken sowohl Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 105 mündliche wie auch schriftliche Elemente enthält und dass einzelne Praktiken sowohl mündlich wie auch schriftlich ausgeführt werden können: Man kann sich z.B. mit einem Telefonanruf beschweren oder aber, indem man einen Beschwerdebrief schreibt. Allerdings spricht auch nichts dagegen, Praktiken danach zu differenzieren, ob sie ausschließlich oder vorwiegend mündlich bzw. schriftlich ausgeführt werden. In der Tat gibt es konventionelle und sachlogische Gründe, eine bestimmte Praktik ausschließlich oder vorwiegend mündlich bzw. schriftlich zu realisieren. Nur für einen Teil der kommunikativen Zwecke ist frei wählbar, ob die betreffende Praktik mündlich oder schriftlich realisiert wird. Daraus ergibt sich, dass Sprechen und Schreiben, Mündlichkeit und Schriftlichkeit spezifische Domänen haben, die sich nur zum Teil überschneiden. Wenn man unter dem Gesichtspunkt ihrer Ausführung differenziert, sortiert man die Praktiken nach einem speziellen Kriterium, nämlich danach, ob die Kommunikate mündlich oder schriftlich produziert werden. Die so entstehenden Klassen haben jeweils diese eine Eigenschaft als Gemeinsamkeit, ansonsten aber sind sie höchst heterogen. Ganz in diesem Sinne haben wir im Abschnitt I.3. den Blick auf eine Teilmenge der Praktiken eingeschränkt, nämlich die Praktiken, bei denen Verständigung durch Sprechen erfolgt. Auch wenn mündliche Verständigung in weiten Bereichen multimodal ist, haben wir das Vorkommen von Verbalsprache in Praktiken zum Kriterium der Ausschnittbildung gemacht. Für das gesamte Spektrum dieser Praktiken haben wir dann Grundbedingungen bestimmt, die alle erfüllen (1 und 2), bzw. solche, die zwar nicht für alle, aber für Klassen von mündlichen Praktiken gelten und so Praktiken differenzieren (3-11). Die in Abschnitt I.3. betrachteten Praktiken können so aufgefasst werden als Extension von und Explikat für Mündlichkeit. Entsprechend können die Praktiken, in denen Verständigung durch die Produktion und Rezeption schriftlicher Texte erfolgt, als Schriftlichkeit zusammengefasst werden. Bei einer solchen Explikation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist dreierlei zu beachten: Eigenschaften gesprochener Sprache 106 - Die Klassenbildung, die durch die Differenzierung nach Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Gesamtheit der kommunikativen Praktiken vorgenommen wird, ist eine bestimmte und spezifische: Sie orientiert sich an der Art der Produktion der Kommunikate. Daneben sind natürlich ganz andere Kriterien und damit Gruppierungen möglich. Beispielsweise könnten Praktiken danach differenziert werden, ob und an welcher Stelle technische Geräte darin eine Rolle spielen. Damit stellt sich die Frage, was eine Differenzierung nach Mündlichkeit und Schriftlichkeit auszeichnet und was sie leistet. - Unter Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist jeweils eine sehr disparate Kollektion von kommunikativen Praktiken versammelt. Sie reicht auf der einen Seite vom Scherzen am Mittagstisch über den Gottesdienst bis hin zur Neujahrsansprache des Bundeskanzlers, auf der anderen Seite vom heimlichen Zettelchen im Schulunterricht über die Bedienungsanleitung für den Computer bis hin zu philosophischen Abhandlungen. Sowohl Mündlichkeit wie auch Schriftlichkeit sind alles andere als homogene Bereiche. - Probleme bei der Einordnung bereiten Praktiken, die konstitutiv sowohl mündliche wie schriftliche Anteile enthalten. Die vorgestellte Explikation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Differenzierung von kommunikativen Praktiken stellt ein spezifisches Verständnis dieser Konzepte dar und weicht von dem geläufigen ab. In der Literatur verbinden sich mit der Gegenüberstellung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. von gesprochener und geschriebener Sprache in der Regel andere Vorstellungen: Zunächst einmal erscheint die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit grundlegend und zentral, sie ist nicht eine neben anderen: Wenn in der Sprachwissenschaft nicht generell und allgemein ‘Sprache’ untersucht wird, ist dies die fundamentale Differenzierung, mit der Erscheinungsformen der Sprache unterschieden werden. Diese Unterscheidung ist also im Verständnis dessen, was Kommunikation ausmacht und was dabei konstitutiv ist, sehr hoch angesiedelt. Dies ist auch nicht unverständlich, wenn man bedenkt, dass Sprechen und Schreiben vom Typus der Handlung her deutlich unterschiedliche Tätigkeiten sind. Mit der Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind aber noch andere Abstraktions- und Konstruktionsprozesse verbunden, die nicht so unproblematisch sind. Diese Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 107 Prozesse und Sichtweisen kann man mit den Stichwörtern ‘Homogenisierung’, ‘Prototypisierung’, ‘Abstraktion von der Praktikengebundenheit des Sprechens und Schreibens’ und ‘Verbalitätsorientierung’ charakterisieren. Diese vier Punkte möchten wir im Folgenden erläutern. Homogenisierung: Die Kategorien Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. gesprochene Sprache und geschriebene Sprache suggerieren einerseits, dass zwischen ihnen eine deutliche Differenz besteht, und andererseits legen sie den (Fehl-)Schluss nahe, dass das, was sie bezeichnen, jeweils für sich eine gewisse Homogenität besitzt. Die begriffliche Gegenüberstellung wirkt intern jeweils homogenisierend und zugleich extern Differenzen verstärkend. Interne Homogenität ist aber - wie deutlich geworden ist - nicht gegeben, und auch die Annahme, dass die Praktiken innerhalb der beiden Gruppen - aufgrund ihrer Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit - jeweils einander ähnlicher sind bzw. mehr miteinander zu tun haben als mit denen der anderen Gruppe, trifft nicht zu. Auch wenn die Beichte und die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers beides mündliche Praktiken sind, scheint es doch evident, dass sie weitaus weniger Gemeinsamkeiten haben als der mündliche mit dem schriftlichen Klatsch. Die durch die Kategorienopposition suggerierte Homogenität lässt die tatsächliche Vielfalt in den Hintergrund treten. Prototypisierung: Sowohl die mündlichen wie die schriftlichen Praktiken werden untereinander nicht als gleichwertig und -rangig wahrgenommen. Manche dieser Praktiken scheinen uns bessere, genuinere Fälle von Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit zu sein als andere. Die Vielfalt von kommunikativen Praktiken ist überlagert von Vorstellungen über ihre Prototypik. So erscheint sicherlich vielen das Gespräch von Angesicht zu Angesicht eine typischere Form der gesprochenen Sprache zu sein als eine Rede oder ein Telefongespräch und beides immerhin noch typischer als das Sprechen auf einen Anrufbeantworter. Weniger einheitlich dürften die Auffassungen darüber sein, ob eine Konversation am Tisch oder ein Arzt-Patienten-Gespräch als Form institutioneller Kommunikation der typischere Fall von gesprochener Sprache ist. Selbstredend sind auch diese Vorstellungen über Prototypik nicht homogen, sondern können von Person zu Person sowie im Laufe der Zeit variieren. Bei der Bewertung, dass etwas prototypischer mündlich ist als etwas anderes, spielen folgende Aspekte eine Rolle: Eigenschaften gesprochener Sprache 108 - die relative Häufigkeit einer kommunikativen Praktik im Kommunikationshaushalt einer Gesellschaft, - die Häufigkeit einer Praktik im individuellen Kommunikationshaushalt und ihre subjektive Bedeutsamkeit, - Vorstellungen über ihre (historische) Ursprünglichkeit und - Vorstellungen über ihre Elementarität bzw. ‘Reinheit’. 59 Das Problem dieser hierarchischen Anordnung von Praktiken im Bewusstsein ist, dass sie die Tendenz fördert, Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit mit der typischsten Praktik bzw. wenigen besonders typischen Praktiken zu identifizieren. Weniger typische Formen (für den Bereich der gesprochenen Sprache etwa das Selbstgespräch oder das erwähnte Besprechen von Anrufbeantwortern, für geschriebene Sprache beispielsweise das Schreiben von Notizzetteln oder das Ausfüllen von Formularen) werden dabei ausgeblendet. Dies trägt wesentlich zu einer - nicht gegenstandsangemessenen - Homogenisierung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei: Wird von Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit gesprochen, stehen nur die Eigenschaften der besonders ‘typischen’ Formen vor Augen. Mündlichkeit und Schriftlichkeit werden mit den Eigenschaften dieser prototypischen Fälle gleichgesetzt. Diese Verengung des Blicks auf prototypische Fälle und die Ausblendung der ‘peripheren’ Praktiken leisten einen weiteren Beitrag zur beschriebenen Homogenisierung. Abstraktion von der Praktikengebundenheit: In dem Maße, wie Mündlichkeit und Schriftlichkeit als homogene Bereiche konstituiert werden, kann von der Praktikengebundenheit des Sprechens und Schreibens abstrahiert werden. Sprechen und Schreiben erscheinen dann als allgemeine praktikenunabhängige Tätigkeiten, die - wo immer sie auch vorkommen - den gleichen Bedingungen unterliegen und die gleichen Eigenschaften besitzen. Mit der Unterscheidung von Sprechen und Schreiben (unabhängig von den Praktiken, in denen diese Tätigkeiten erscheinen) ist dann auch die Konstruktion 59 Die letzten beiden Aspekte hat Quasthoff im Auge, wenn sie schreibt: „Aus meiner Sicht lassen sich die wesentlichen Bestimmungsstücke mündlicher Kommunikation in ihrer prototyischen, d.h. ursprünglichen und nicht technisch oder elektronisch vermittelten Form, in der folgenden Weise benennen und ordnen“ (1996, S. 15). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 109 eines grundlegenden, polaren Gegensatzes vollzogen. 60 In dem Maße, wie die Praktikengebundenheit aus dem Blickfeld gerät, tritt auch in den Hintergrund, dass es für Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit spezifische Domänen gibt, und sie erscheinen als ubiquitär konkurrierend. Sind Sprechen und Schreiben als generalisierte Tätigkeiten von ihrem Vorkommen in je konkreten Praktiken abgelöst und verallgemeinert, stellt sich dann die Aufgabe des Vergleichs dieser Tätigkeiten, der darauf abzielt, ihre je spezifischen Eigenschaften herauszuarbeiten. Verbalitätsorientierung: Da bei Schriftlichkeit nur die Verbalsprache für die Verständigung eine Rolle spielt, rückt bei der Betrachtung von Mündlichkeit in der vergleichenden Gegenüberstellung diese dann ebenfalls in den Vordergrund - mit der Konsequenz, dass der multimodale Charakter der Verständigung, der in vielen mündlichen Praktiken gegeben ist, aus dem Blickfeld gerät. Resultat dieser vier Tendenzen ist die Konstitution der homogenen und abstrakten Gegenstände Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. gesprochene und geschriebene Sprache. Eine Gegenläufigkeit zu dieser Hypostasierung kommt immer dann ins Spiel, wenn Mündlichkeit und Schriftlichkeit nicht allgemein, sondern im konkreten Fall - und d.h. eben am Beispiel konkreter Praktiken - betrachtet wird. So findet sich in der Literatur neben der allgemeinen Betrachtung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit als zweiter Strang immer auch der Rekurs auf konkrete Praktiken: Im Freiburger Ansatz repräsentiert beispielsweise das Redekonstellationstypenmodell den Bezug auf Praktiken, dem unvermittelt die Suche nach generellen Grundstrukturen gesprochener Sprache gegenübersteht. Auch Koch/ Oesterreicher nehmen Bezug auf konkrete Praktiken, die sie auf einem Kontinuum nach dem Grad der konzeptionellen Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit anordnen, um sie dann nach der Konstitution des Gegensatzes Sprache der Nähe vs. Sprache der Distanz aus dem Blick zu verlieren. 60 Diese Polarisierung wird bei Koch/ Oesterreicher auf der konzeptionellen Seite durch die Idee eines Kontinuums zwischen den Polen (Sprache der Nähe vs. Sprache der Distanz) relativiert. Bei ihnen ist auch die Homogenisierung durch die Anordnung der Praktiken auf dem Kontinuum weniger stark. Eigenschaften gesprochener Sprache 110 Zusammenfassend kann man sagen, dass in dem Maße, wie das eben beschriebene Verständnis der Unterscheidung von Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit bzw. gesprochener vs. geschriebener Sprache dominant wird, im Kontext dieser Sichtweise viel an notwendiger Differenzierung, wie sie beispielsweise im Rahmen des Konzepts kommunikativer Praktiken möglich ist, ausgeblendet wird. Als Folge davon treten Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. gesprochene und geschriebene Sprache als homogene und monolithische Gebilde in den Vordergrund, die zum Vergleich und zur Ausarbeitung ihrer Unterschiede herausfordern. 5.3 Zentrale Themen im Kontext der Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Literatur Im Rahmen des eben beschriebenen gängigen Verständnisses von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind in der Literatur folgende Fragestellungen schwerpunktmäßig behandelt worden: - Ermittlung von Unterschieden zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit durch Vergleich, - Medium als zentrales Unterscheidungskriterium zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, - Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zum Sprachsystem, - Interdependenzen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Zu diesen Komplexen im Einzelnen: 5.3.1 Ermittlung von Unterschieden durch Vergleich Sind Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. gesprochene und geschriebene Sprache als wissenschaftliche Gegenstände konstituiert, liegt es nahe, nach ihrer Spezifik, und d.h. in anderer Formulierung, nach ihren Unterschieden zu fragen. Wie schon in den vorausgehenden Abschnitten deutlich wurde, ist ein Großteil der einschlägigen Literatur von dieser Fragestellung geprägt. Dies gilt insbesondere auch für die letzte größere Arbeit zur gesprochenen Sprache - Schwitalla (1997) -, die die Unterschiede von der Ebene der ‘Laute und Silben’ bis zu den ‘Textformen’ durchdekliniert. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 111 Die Operation des Vergleichens zur Herausarbeitung der jeweiligen Spezifika ist ebenso unumgänglich wie problematisch. Auf ein Problem haben wir oben (Abschnitt I.1., These (4)) schon hingewiesen: Durch das schriftsprachliche Bias des Sprachbewusstseins wie auch der Sprachwissenschaft ist der Vergleich systematisch verzerrt. Er erfolgt vom Standpunkt und mittels der Kategorien der geschriebenen Sprache (vgl. auch den folgenden Exkurs und Abschnitt II.1.). Ein weiteres Problem ist, dass häufig nicht klar ist, was denn genau miteinander verglichen wird, wenn solche Unterschiede herausgearbeitet werden. Da es ‘die Mündlichkeit’ und ‘die Schriftlichkeit’ als solche nicht gibt, muss unter der Hand etwas anderes miteinander in Beziehung gesetzt werden, wenn verglichen wird. Soweit wir sehen, werden Vergleiche auf mindestens vier verschiedenen Ebenen vorgenommen: (1) Einzelne (schriftsprachliche) Sätze werden mit Äußerungen oder Äußerungsfragmenten verglichen. 61 (2) Mündliche und schriftliche Realisierungen einer bestimmten Praktik werden miteinander in Beziehung gesetzt. (3) Die Gesamtheit der mündlichen und der schriftlichen Verständigungsprozesse in ihrer gesellschaftlichen Einbettung wird kontrastiv betrachtet. (4) Die (Sprachbzw. Regel-)Systeme, die Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. gesprochener und geschriebener Sprache zugrunde liegen, werden verglichen. Auf der ersten Ebene werden elementare sinnhafte Einheiten aus dem mündlichen und schriftlichen Bereich miteinander verglichen. Die Vergleichsrichtung geht dabei normalerweise vom Mündlichen zum Schriftlichen: Angesichts einer faktischen Äußerung wird gefragt, ob man dies auch so schreiben könnte bzw. wie man dies schriftlich ausdrücken würde. Die schriftliche Form stellt dabei den Vergleichsmaßstab dar, gemessen an dem Abweichungen des Mündlichen erkennbar werden. Auf diese Weise treten Besonderheiten wie die verschiedenen Verfahren und Mittel der Äußerungs- 61 „Die meisten der vorliegenden Untersuchungen zur GSCHS sind komparativ/ kontrastiv angelegt [..]. Um die für GSCHS charakteristischen Daten zu gewinnen, werden schriftliche Äußerungen mit mündlichen verglichen.“ (Ludwig 1980, S. 324). Eigenschaften gesprochener Sprache 112 organisation (z.B. Hesitationspartikel, Gliederungssignale, Abbrüche, Korrekturen, Reformulierungen etc.) hervor. Auf dieser Vergleichsebene werden aber auch grammatisch-syntaktische Unterschiede konstatiert (z.B. ‘elliptische’ Formulierungen, Konstruktionsbrüche). 62 Es spielt dabei keine Rolle, Bestandteil welcher Praktiken solche Sätze bzw. Äußerungen sind. Ein minimaler Kontext, in dem der betreffende Satz bzw. die Äußerung sinnvoll ist, wird jeweils mitgegeben bzw. vom Leser automatisch mitkonstruiert. Einzig relevant ist, ob der Satz oder die Äußerung in der betrachteten Art in irgendeinem Zusammenhang geschrieben oder gesprochen vorgekommen ist oder vorkommen könnte. Unklar bleibt so der Geltungsbereich der auf diese Weise gewonnenen Aussagen über Unterschiede. Auf der zweiten Ebene werden mündliche und schriftliche Ausführungen der gleichen Praktik miteinander verglichen, z.B. mündliche und schriftliche Erzählungen bzw. Bildbeschreibungen, mündliche Beschwerden und schriftliche Beschwerdebriefe etc. (z.B. Elmauer 1969). Betrachtet werden kann aber auch die Transformation eines Exemplars einer Praktik aus seiner genuinen Erscheinungsform in die andere (z.B. die Transformation eines Interviews in den schriftlichen Interviewtext (vgl. Fräbel 1988) oder des schriftlichen Nachrichtentextes in die verlesene Nachricht). Als Spezialfall kann auch das miteinander verglichen werden, was sich ergibt, wenn eine bestimmte Mitteilungsabsicht durch die gleiche Person einmal als schriftlicher Text und zum anderen als mündliche Äußerung bzw. in Form eines Gesprächs realisiert wird (z.B. eine Einladung). In all diesen Fällen werden schriftliche Texte einer bestimmten Textsorte mit Transkripten von Gesprächen des korrespondierenden Diskurstyps in Beziehung gesetzt. Voraussetzung für diese Form des Vergleichs ist, dass die betreffende Praktik sowohl mündlich wie schriftlich realisiert werden kann. Jedoch existieren keineswegs bei allen Praktiken solche Gegenstücke (sie fehlen z.B. bei Dienstbesprechungen, Unterrichtsstunden etc.). Auf dieser Ebene werden als Besonderheiten des Mündlichen die Verfahren und Mittel der Gesprächsorganisation (z.B. Rezeptionssignale, Überlappungen, verschiedene Formen des Sprecherwechsels) auffällig, die in Texten keine Entsprechung haben. Verglichen wird auf dieser Ebene nicht Mündlichkeit und Schriftlichkeit in toto, sondern nur unterschiedliche Realisierun- 62 Vgl. z.B. Lindgren (1987). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 113 gen einer bestimmten Praktik. Festgestellte Unterschiede gelten mithin zunächst nur für diesen Ausschnitt. Es wäre jeweils zu prüfen, ob sie für weitere gelten; sie werden allerdings häufig vorschnell als allgemeine verstanden oder ausgegeben. Die dritte Vergleichsebene entspricht der oben gegebenen Explikation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Alle Realisierungen mündlicher Praktiken werden zusammengefasst und den Realisierungen schriftlicher gegenübergestellt. Auf dieser Ebene lassen sich Aussagen über spezifische Domänen von Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit gewinnen, d.h. über Bereiche, in denen vorwiegend oder ausschließlich mündlich bzw. schriftlich kommuniziert wird, und ferner auch über generelle Funktionen und die gesellschaftliche Funktionalität von gesprochener und geschriebener Sprache. Die vierte Vergleichsebene verlässt den Bereich der manifesten Sprachlichkeit und betrachtet die zugrunde liegenden Sprachbzw. Regelsysteme. Hier werden zwar Aussagen über die gesamte Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit gemacht (etwa des Typs: Der gesprochenen Sprache liegt ein/ kein eigenständiges Regelsystem zugrunde.); es ist jedoch zu beachten, dass diese Regelsysteme nur partiell erforscht und expliziert sind. Eine Vergleichbarkeit von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist also nicht elementar und unmittelbar gegeben, sondern muss erst in spezifischer Weise konstruiert werden. Vier solcher Konstruktionen, die einen Vergleich ermöglichen, wurden mit ihren spezifischen Möglichkeiten und Restriktionen vorgestellt. Weitere sind denkbar. Die vier genannten Vergleichsebenen konstituieren vier verschiedene Perspektiven auf das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Diese Perspektiven sind nicht kompatibel, sie werden aber analytisch nicht immer hinreichend reflektiert und auseinander gehalten. Welche Ebene des Vergleichs gewählt wird, ist nicht ohne Einfluss darauf, wie das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit gesehen wird. Vergleicht man z.B. - dies ist ein Spezialfall, der Momente der Vergleichsebenen zwei und vier kombiniert - die verschiedenen Teilsysteme von Regeln, die zur Umsetzung einer kommunikativen Absicht in einem schriftlichen Text einerseits und in eine mündliche Äußerung bzw. ein Gespräch anderer- Eigenschaften gesprochener Sprache 114 seits erforderlich sind (bei allen Problemen, die dies beinhaltet), ergibt sich folgendes Bild: In beiden Fällen werden lexikalische und grammatische Regeln benutzt. Bei der Produktion eines Textes sind darüber hinaus beispielsweise Regeln der Dekontextualisierung, Regeln der Textorganisation und Regeln der Schreibung (Orthografie, Interpunktion) erforderlich. An ihre Stelle treten bei der Produktion eines Redebeitrags bzw. eines Gesprächs Regeln der Situationsbezugnahme und Kontextualisierung, Regeln der Äußerungs- und Gesprächsorganisation, Regeln der Intonation sowie Regeln nonverbaler Kommunikation. Auf dieser Vergleichsebene käme man angesichts der Unterschiedlichkeit der benötigten Teilsysteme von Regeln kaum auf die Idee, von einem gemeinsamen System zu sprechen, das mündlichen Äußerungen und Gesprächen auf der einen Seite und schriftlichen Texten auf der anderen Seite gleichermaßen zugrunde liegt. 63 Exkurs: Stegers Herrichtung mündlicher und schriftlicher Texte zum Vergleich Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind - wie argumentiert wurde - nicht elementar und unmittelbar zu vergleichen. Ihre Vergleichbarkeit muss immer erst konstruiert werden. Wir möchten exemplarisch anhand eines Aufsatzes von Steger (‘Bilden „gesprochene Sprache“ und „geschriebene Sprache“ eigene Sprachvarietäten? ’; Steger 1987) nachzeichnen, wie diese Vergleichbarkeit hergestellt wird. Stegers Ausgangsfrage ist, „ob hier [bei gesprochener und geschriebener Sprache; d. Verf.] je eigene (Teil-)Systeme einer Sprache auftreten oder ob die Differenzierungen auf unterschiedlichen Verwendungsweisen eines Systems beruhen, ob also die jeweiligen Unterschiede auf der Ebene der Sprache oder der des Textes (und der Situation) liegen; und ob es sich somit um Sprachvarietäten oder um Stile handelt.“ (ebd. S. 35). Diese Frage will er durch eine vergleichende Untersuchung mündlicher und schriftlicher Texte empirisch entscheiden. Für sie gilt die Prämisse: Als Materialgrundlage, von der aus eine geeignete Versuchsanordnung konstruiert werden kann, können nur vergleichbare normgerechte [sic! ] Texte dienen, weil in ihnen allein „Sprache“ realisiert auftritt. [sic! ] (ebd. S. 36). 63 Betrachtet man, wie gründlich und weitgehend die genannten Teilmengen von Regeln untersucht worden sind, ergeben sich große Unterschiede. In Grammatiken sind sie in ganz unterschiedlichem Ausmaß repräsentiert. Generell kann man feststellen, dass aus Gründen des schriftdominierten Sprachbewusstseins die Regeln zur Produktion geschriebener Sprache besser untersucht und weitergehend repräsentiert sind. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 115 Als Ausgangspunkt auf der mündlichen Seite wählt er das bekannte Gespräch Klaus Kammers mit einer Berliner Schulklasse aus dem Freiburger Korpus (xac Schulklassengespräch mit Klaus Kammer). Aber womit soll es verglichen werden? An dieser Stelle wird Steger gleich doppelt schöpferisch tätig: Zum einen erstellt er als Text C „eine (von H.S.) hergestellte Textsimulation, die voraussetzt, daß es sich um eine schriftliche Befragung zur selben Thematik handelt“ (ebd. S. 40). Zum anderen (Text D) verfasst er „als eine weitere Textparaphrase die Simulation eines schriftlichen (monologischen) Textes, wie er normgerecht etwa in Memoiren oder ähnlichen Texttypen stehen könnte“ (ebd. S. 40). Steger strebt also mit Text C einen Vergleich auf der zweiten der oben genannten Ebenen an: Die mündliche und die schriftliche Ausführung einer bestimmten Praktik - der Befragung - sollen miteinander verglichen werden. Hierzu ist zweierlei zu bemerken: Auf der schriftlichen Seite handelt es sich nicht um ein authentisches Exemplar, sondern um eins, das zum Zweck des Vergleichs (und dazu noch von der Person, die den Vergleich durchführt) konstruiert wurde. Zum anderen vergleicht Steger eine wichtige Form verbaler Interaktion (Befragung bzw. Gespräch mit wiederholten Frage-Antwort-Sequenzen) mit einer eher peripheren Form von Schriftlichkeit, der schriftlichen Befragung, die nur im Bereich von Verwaltung und Justiz üblich ist. Aber auch der mündliche Text bzw. das Transkript bleibt von Stegers Gestaltungswillen nicht verschont. Steger unterstellt nämlich, dass die Sprecher in korrekten Sätzen sprechen wollen, dies aber aus den verschiedensten Gründen nicht schaffen: Eine große Zahl von fragmentarischen Äußerungen erscheint bei vielen spontanen Texten in der Umgebung einzelner „korrekt“ zu Ende geführter Sätze, so daß der Eindruck großer Verwirrung und Fehlerhaftigkeit beim Lesen von Transkripten spontan gesprochener Sprache entstehen kann. [...] Analysiert man die Satzfragmente, so scheint sich zu zeigen, daß sie gewöhnlich Teile, vor allem Anfänge korrekter Sätze [sic! ] (...) sind, die nicht in der ursprünglich geplanten Form zu Ende gebracht wurden. [...] Es zeigt sich nun, daß derselbe Gedanke manchmal in mehreren Formulierungsansätzen auftritt, sei es, weil er zu früh kommt, so daß seine Formulierung abgebrochen wird (...), sei es aus anderen Gründen, z.B. weil eine korrekte Durchformulierung spontan nicht gelingen zu scheint (...). Beseitigt [sic! ] man diese Stellen und läßt nur die letzte als endgültige Formulierung stehen, so scheint auch der dann zusammensetzbare Text grammatisch, lexikalisch (und pragmatisch) korrekt, wie der Text A 3 zeigt. (ebd. S. 41-42). Eigenschaften gesprochener Sprache 116 Steger normalisiert also das Transkript über mehrere Stufen, wobei er einen „virtuellen Text“ rekonstruiert, oder besser: erfindet, der das enthält, was die Sprecher an korrekten Sätzen sagen wollten: Der Text A 2 ist dementsprechend aus dem Originaltext A 1 nach dem soeben skizzierten Prinzip als virtueller Text rekonstruiert worden. Dabei wurden die Allomorphe ihren jeweiligen Morphemen zugeordnet [...] Die Satzfragmente wurden dabei aufgrund ihrer formalen Planungen zu Ende geführt. Das macht m.E. einen spontanen Text hinsichtlich seiner Grammatik und Lexik mit geschriebenen Texten sprachstrukturell vergleichbar. (ebd. S. 42). Dieses Konstrukt wird dann mit den schriftlichen Konstrukten unter der folgenden Fragestellung verglichen: Treten unterschiedliche (phonetische/ graphetische), grammatische, lexikalische/ semantische Elemente und Regeln in gesprochenen Texten und in geschriebenen Texten auf, welche die Bedingung erfüllen, daß sie nur auf je eigene sprachliche (Teil-) Systeme im Rahmen der Standardvarietät der Gesamtsprache Deutsch zurückgeführt werden können? (ebd. S. 43). Die Durchführung des Vergleichs führt Steger zu folgendem Resultat: Als Fazit bleibt für mich deshalb: Eigene Sprachvarietäten: „gesprochene Sprache“ vs. „geschriebene Sprache“ gibt es nicht, wenn man als Kriterium, wie bei den anderen Varietäten den langue-Begriff benutzt und nach jeweils eigenen, nicht im anderen Medium zulässigen Strukturmitteln und Relationen fragt. (ebd. S. 57). Dieses Resultat ist angesichts der Konstruktionsprozesse und der in sie eingehenden Annahmen allerdings auch nicht weiter verwunderlich. Steger denkt und argumentiert in diesem Artikel ausschließlich unter den Prämissen und aus der Perspektive der geschriebenen Sprache. Er stellt zwar fest, dass „spontan gesprochene Texte sehr oft nicht aus einer wohlgeordneten Folge vollständiger Verbalsätze [bestehen], wie dies die Regel ist bei genuin geschriebenen oder für den Druck bearbeiteten Texten“ (ebd. S. 41), dennoch konstruiert er das Transkript genau in diese Richtung um. Bei allen Verdiensten Stegers, die empirische Analyse von gesprochener Sprache als Gegenstand der germanistischen Linguistik etabliert zu haben, zeigt diese Vorgehensweise doch einen Mangel an Verständnis und Einsicht in die Spezifik des mündlichen Formulierens mit seinen besonderen Verfahren. Mithilfe der beschriebenen Konstruktionsprozesse zur Herstellung von Vergleichbarkeit schafft Steger es, wie Rath es ausdrückt, „an den wesentlichen Charakteristiken des Dialogs vorbei[zu]vergleichen“ (Rath 1985, S. 1661). 64 64 Vgl. auch Raths (1994, S. 385) Bemerkungen zu diesem Vergleich. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 117 5.3.2 Medium Eine wesentliche Perspektive auf das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit besteht in der Literatur darin, den Hauptunterschied als einen medialen zu konzeptualisieren: Gesprochene und geschriebene Sprache werden vorrangig unter dem Aspekt ihrer unterschiedlichen Medialität betrachtet. Jedoch ist dabei nicht immer eindeutig, was mit Medium gemeint ist. Zu unterscheiden sind zumindest drei Lesarten von Medium. Die erste betrifft das Realisierungsmedium. So unterscheidet Motsch (1992, S. 244) z.B. die phonologische bzw. grafematische Realisierung gedanklicher Strukturen. 65 Medien der Realisierung wären danach Laute und Buchstaben. Die zweite betrifft das Medium, mittels dessen die Übertragung der Kommunikate erfolgt, das Übertragungsmedium. Dies sind Schallwellen und elektromagnetische Wellen im Fall mündlicher Kommunikation und bei schriftlicher Kommunikation lediglich Lichtwellen. Die dritte Lesart thematisiert das Trägermedium für die sprachlichen Elemente. Im Fall der Mündlichkeit sind die Schallwellen zugleich Träger der Laute, so dass hier Träger- und Übertragungsmedium zusammenfallen. Eine Trennung von Träger- und Übertragungsmedium ist in diesem Fall nur analytisch möglich. Für die nichtverbalen Anteile mündlicher Verständigung ist der menschliche Körper das Trägermedium. Bei der Schriftlichkeit hingegen gibt es eine Reihe unterschiedlicher Trägermedien für die sprachlichen Elemente (im Rahmen von Alphabetschriften also für die Buchstaben), die in ihrer Dauerhaftigkeit variieren (von der beschlagenen Glasscheibe, die beschrieben wird, über Schiefertafeln, Papier, Metall- und Steinplatten bis hin zu den Pixeln von Bildschirmen). In den meisten Fällen ist das Trägermedium hier - anders als bei der Mündlichkeit - zugleich auch ein dauerhaftes Speichermedium. In der Regel werden jedoch diese Differenzierungen nicht gemacht, 66 sondern der Unterschied von Mündlichkeit und Schriftlichkeit wird auf die mediale Differenz von ‘akustisch vs. optisch’ oder von ‘auditiv vs. visuell’ und damit auf die dominante Sinnesmodalität, in der die Verständigung erfolgt, 65 Vernachlässigt werden hier wieder die nichtlautlichen Komponenten mündlicher Verständigung. 66 Für einen Überblick über die Verwendungsweisen des Begriffs ‘Medium’ in der Pragmatik vgl. Habscheid (2000). Eigenschaften gesprochener Sprache 118 reduziert. 67 Diese Bestimmung ist in mehrfacher Hinsicht verkürzt und partikulär. Zum einen wird dabei übersehen, dass mündliche Verständigung in der Regel neben der akustischen Komponente auch eine optische hat. Wichtiger aber noch ist, dass der Unterschied im Übertragungsmedium bzw. in der Modalität der Rezeption im Vordergrund zu stehen scheint. Dieser ist aber nur von sekundärer Bedeutung. Die wesentlichen Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit resultieren aus einer Eigenschaft des Trägermediums, nämlich auf der einen Seite flüchtig und auf der anderen dauerhaft zu sein. Zwischen verbaler und nonverbaler mündlicher Kommunikation besteht in dieser Hinsicht kein Unterschied: Die nonverbale ist ebenso flüchtig wie die verbale, obwohl sie im optischen bzw. visuellen Medium erfolgt. Die Dauerhaftigkeit des Trägermediums, die eine Speicherung und zeitliche Tradierung der sprachlichen Elemente erlaubt, hat - im Vergleich zu Unterschieden im Übertragungsmedium - viel weiter reichende Konsequenzen für die Verständigung. 5.3.3 Sprachsystem Eine weitere wesentliche theoretische Frage in der Literatur ist, ob und wie sich die Differenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache auf den Systemaspekt von Sprache beziehen lassen. Mündlichkeit und Schriftlichkeit werden unter dem Aspekt ihrer Systemhaftigkeit und der Ähnlichkeit oder Differenz der zugrunde liegenden Systeme betrachtet. Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Positionen unterscheiden: Die eine geht davon aus, dass die festgestellten Divergenzen nicht die Annahme zweier eigenständiger Teilbzw. Subsysteme rechtfertigen, sondern dass sie anders erklärt werden können. Die zweite postuliert hingegen, dass die Divergenzen ausreichen, um zwei eigenständige Teilbzw. Subsysteme anzunehmen. Klar dabei ist, dass es sich bei Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Deutschen nicht um eigenständige Sprachsysteme handeln kann, da eine hinreichende Anzahl an Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten nicht zu leugnen ist. 67 Dies ist greifbar in Aussagen wie: Mündliche Verständigung erfolgt akustisch, schriftliche optisch. etc. Diese Sprechweise rückt das Übertragungsmedium in den Vordergrund. Eine solche Sichtweise ist z.B. konstitutiv für psycholinguistische Experimente zur medienspezifischen Textverarbeitung; vgl. Rickheit/ Strohner (1983). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 119 Das wesentliche Problem dieser Debatte 68 ist, dass der Begriff des Sprachsystems unklar bleibt und offensichtlich darunter recht Unterschiedliches verstanden wird. Zudem bleibt offen, ob und wie man das System einer Sprache oder die Teilsysteme von Mündlichkeit oder Schriftlichkeit überhaupt kontrolliert explizieren und damit die Grundlage für eine Entscheidung schaffen kann. Betrachten wir zunächst, was unter Sprachsystem verstanden wird und welche Bereiche des sprachlich-kommunikativen Handelns berücksichtigt werden, wenn man unter dem Systemaspekt nach dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit fragt. Auf der einen Seite werden häufig nur Regularitäten der Grammatik (Flexionsmorphologie und Syntax) und der Lexik in Betracht gezogen. Assoziiert man mit dem Begriff des Sprachsystems die langue-parole-Unterscheidung und mit dem langue-Begriff im Wesentlichen nur solche grammatischen und lexikalischen Regularitäten, so liegt es nahe, da es in diesem Bereich zwar zahlreiche Unterschiede, aber keine qualitativen Differenzen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit gibt, von einer Ein-System-Position auszugehen. In diesem Fall werden Regularitäten außerhalb von Grammatik und Lexikon nicht als solche gesehen bzw. als pragmatische, kommunikative oder Performanz-Regeln nicht zum Sprachsystem gerechnet. Versteht man andererseits die Gesamtheit der Regeln, die bei der Produktion und Rezeption mündlicher Äußerungen bzw. schriftlicher Texte eine Rolle spielen, als zum Sprachsystem gehörig, dann nimmt die Differenz zwischen diesen Regelmengen einen qualitativen Charakter an, so dass daraus eine Zwei-System-Position folgt (s.o.). Deutlich wird hier, dass die an der Debatte Beteiligten nicht von gleichen theoretischen Voraussetzungen ausgehen, dass aber die Antwort auf die Frage ganz wesentlich von den theoretischen Vorannahmen und der jeweiligen Perspektive auf das Problem abhängt. Die wesentliche Frage, die sich Vertretern der Ein-System-Auffassung stellt, ist, wie sie mit den faktisch beobachtbaren Differenzen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit umgehen. Zum einen können diese Unterschiede als Performanzphänomene aus dem Bereich der langue herausgehalten und so 68 Rath (1994, S. 384-387) hat diese Auseinandersetzung als ‘Systemdebatte’ bezeichnet und zusammengefasst (dort in Anmerkung 10 auch weitere Literatur). Deutlich ist erkennbar, dass er der Debatte überdrüssig ist und dass er selbst der Ein-System-Position zuneigt. Eigenschaften gesprochener Sprache 120 marginalisiert werden. Dies geht einher mit der Auffassung, dass Mündlichkeit aufgrund ihrer Produktionsbedingungen per se viel störanfälliger ist. Den Abweichungen wird dabei kein durchgängiger bzw. systematischer Stellenwert zugeschrieben. Zum zweiten kann man sie als langue-Phänomene anerkennen, aber konstatieren, dass sie nicht ausreichen, um zwei eigenständige Varietäten zu begründen. Zum dritten kann man sie als Auswahl-, Abwahl- oder Stilphänomene betrachten (so Steger und Motsch). Dabei ist allerdings fraglich, ob sich das Konzept der langue mit einem solchen Abwahlmodell verträgt. Man könnte dann alle möglichen (alternativen) Regeln als zur langue gehörig deklarieren, womit alles nur zu einer Frage der Auswahl wird. Hier wäre es notwendig, die jeweiligen Vorstellungen über Struktur und Umfang der langue bzw. des Sprachsystems zu explizieren, um in dieser Diskussion weiterzukommen. Die Frage an Vertreter der Zwei-System-Auffassung ist, wie sie das Verhältnis der beiden Teilbzw. Subsysteme bestimmen. Eins ist klar: Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind (im Deutschen) ersichtlich nicht unabhängig voneinander und können von daher auch nicht zwei völlig eigenständige Sprachsysteme darstellen. Die Entscheidung für zwei Systeme kann also lediglich mit der Gewichtung der Übereinstimmungen bzw. Divergenzen zusammenhängen. Hierzu muss angegeben werden, auf welchen Ebenen man Übereinstimmungen und Divergenzen betrachtet, welche man als relevant heranzieht und wie man sie gewichtet. Zudem muss expliziert werden, was Kriterien für eigenständige Varietäten sind. Exponierte Vertreter der Ein-System-Position sind u.a. Steger (1987) und Motsch (1992). Beide vertreten unabhängig voneinander (Motsch nimmt nicht explizit auf Steger Bezug) die Auffassung, dass die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache nicht auf unterschiedliche zugrunde liegende Teilbzw. Subsysteme zurückzuführen sind, sondern auf unterschiedliche Anwendungen der gleichen Regeln. Steger weist - wie oben dargestellt - die Auffassung, dass es sich um Varietäten handelt, zugunsten einer Stilthese zurück. Motsch wägt zwei Möglichkeiten gegeneinander ab: M1: Die phonologische bzw. graphematische Realisierung gedanklicher Strukturen etabliert zwei Formen einer Sprache, die sich grammatisch wie auch kommunikativ substantiell voneinander unterscheiden. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 121 M2: Die mit der lautlichen bzw. graphischen Realisierung gedanklicher Strukturen verbundenen Unterschiede wirken sich weder auf die Grammatik noch auf die fundamentalen Komponenten der Kommunikationskenntnisse aus. [...] Um M1 zu begründen, müßte gezeigt werden, daß die zweifellos vorhandenen Unterschiede im kommunikativen Gebrauch der Sprache nicht lediglich als Selektionsphänomene bezogen auf eine einheitliche Grammatik zu erklären sind, sondern die Annahme verschiedener Grammatiken erforderlich machen. (Motsch 1992, S. 244). Motsch plädiert in dem Beitrag für eine Lösung im Sinne von M2: Mit anderen Worten: Ich möchte zeigen, daß die Unterschiede, die beim Sprechen oder Schreiben sowie beim Hören oder Lesen zu beobachten sind, die Annahme einer einheitlichen Grammatik- und einer einheitlichen Illokutionstheorie nicht in Frage stellen. (ebd., S. 245). Er vergleicht dabei Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor allem auf den Ebenen von Flexionsmorphologie, Syntax und Lexikon: Während die Flexionsmorphologie offensichtlich in enger Beziehung zur lautlichen Realisierung syntaktischer Strukturen steht, sind Lexikon und Syntax in ihrer Grundstruktur unabhängig von der Realisierungsform. (ebd., S. 247). Insbesondere syntaktische Strukturen sind offensichtlich unabhängig von den spezifischen Eigenschaften der lautlichen oder graphischen Realisierung. Es scheint keine Beispiele dafür zu geben, daß eine syntaktische Konstruktion in der geschriebenen Sprache korrekt, in der gesprochenen dagegen inkorrekt ist oder umgekehrt, d.h., in dieser Hinsicht gilt eine einheitliche hochsprachliche Norm. (ebd., S. 246). Motsch konstatiert folgende Besonderheiten von Mündlichkeit: So fallen Bemühungen um die adäquate Wortwahl auf, sowie häufige Wiederholungen, Ergänzungen, Präzisierungen, Korrekturen, kommentierende Parenthesen. Charakteristisch sind auch grammatisch unvollständige Ausdrücke, deren Interpretation jedoch kaum Schwierigkeiten bereitet. Daraus den Schluß zu ziehen, daß solche Ausdrücke wegen ihrer Häufigkeit oder Verstehbarkeit in mündlicher Rede korrekt seien, ist jedoch nicht zulässig. (ebd., S. 249). Eigenschaften gesprochener Sprache 122 Insgesamt kommt er zu dem Schluss: Untersuchungen wie die von Heinze verdeutlichen, daß die Unterschiede zwischen schriftlichen und mündlichen Texten im wesentlichen auf den unterschiedlichen psychologischen und kommunikativen Grundmodalitäten der beiden Realisierungsformen einer Sprache beruhen. Es werden keine speziellen Regeln verwendet, sondern die Anwendung der Regeln - oder auch die Verletzung von Regeln -weist den Modalitäten entsprechende Unterschiede auf. (ebd., S. 249). Hierzu scheinen uns einige Anmerkungen notwendig. Zum einen hat Motsch neben den Illokutionskenntnissen, die aber nicht substantiell ausgeführt werden, vor allem Regularitäten im Bereich von Grammatik und Lexik im Auge. Hierauf wird der Vergleich beschränkt. Zum anderen benennt Motsch zwar eine Reihe von Besonderheiten von Mündlichkeit, er weist ihnen aber keinen systematisch-regelhaften Status zu, sondern sieht diese tendenziell als Regelverletzungen im Bereich der Mündlichkeit aufgrund der besonderen dort vorliegenden kommunikativen und psychologischen Bedingungen. Es fehlen aber Argumente, warum diese Phänomene nicht eigenen Regeln folgen und warum diese Regeln nicht zum Sprachsystem gehören sollen. Zum dritten scheint uns die Aussage, dass es keine Beispiele dafür gäbe, dass eine syntaktische Konstruktion in der geschriebenen Sprache korrekt, in der gesprochenen dagegen inkorrekt sei oder umgekehrt, in dieser Dezidiertheit im Licht der heutigen Forschung nicht haltbar zu sein. 69 Letztlich bleibt unklar, relativ zu welchen Normen Motsch die Korrektheit oder Inkorrektheit mündlicher Äußerungen bemisst. Entweder sind dies schriftsprachliche Normen (die tendenziell größere Störanfälligkeit von Mündlichkeit deutet darauf hin) oder es sind allgemeine, von einer spezifischen Realisierung unabhängige sprachliche Normen. In diese Richtung deuten Formulierungen wie die „beiden Realisierungsformen einer Sprache“ (S. 249) bzw. die „beiden Realisierungsformen des Deutschen“ (S. 243). Diese Sprechweise scheint uns problematisch, weil sie die Existenz einer Sprache bzw. des Deutschen außerhalb der und unabhängig von den je konkreten, medial immer schon als mündlich oder schriftlich spezifizierten Äußerungen voraussetzt. Dabei ist unklar, wo und in welcher Form diese Sprache bzw. das Deutsche an sich existiert. 69 Man denke an die Untersuchungen zu ‘Konjunktionen’ mit Verbzweitstellung, ‘Herausstellungen’, Verbspitzenstellung, Apokoinukonstruktionen etc. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 123 Im Gegensatz zu Steger und Motsch vertreten z.B. Vachek, Henne und Feldbusch mit Abstufungen und unterschiedlichen Akzenten die Auffassung, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit eigenständige Regelsysteme zugrunde liegen. Aber dagegen muß man die Tatsache stellen, daß die Schriftäußerungen - wenigstens in den kultivierten Sprachgemeinschaften - eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den Sprechäußerungen aufweisen (...). Diese Unabhängigkeit ist an sich nichts Überraschendes, wenn wir uns die Verschiedenheit der Funktionen von Schrift- und Sprechäußerungen vergegenwärtigen. (Vachek 1976a, S. 232). Man muß also die Schrift- und die Sprechnorm für koordinierte Größen halten, denen keine höhere Norm übergeordnet ist und deren Zusammengehörigkeit nur der Tatsache zuzuschreiben ist, daß sie von einer und derselben Sprachgemeinschaft in komplementären Funktionen benutzt werden. Die Funktionen sind, wie oben gesagt, die der unmittelbaren und die der dauerhaften Reaktion. (ebd., S. 235). Es wird zunächst unbedingt notwendig sein, ‘die geschriebene Sprache’ (‘la langue écrite’) und ‘die gesprochene Sprache’ (‘la langue parlée’) als zwei besondere Normensysteme zu unterscheiden. (ebd., S. 235). [...] gesprochene und geschriebene Kommunikation und entsprechend gesprochene und geschriebene Sprache [stellen] unter synchronisch-funktionellem Aspekt zwei gleichberechtigte, wechselseitig aufeinander bezogene und nicht völlig ineinander übersetzbare komplementäre Teilsysteme dar (Henne 1975, S. 49). Die vorliegende Arbeit begreift das Geschriebene wie auch das Gesprochene als jeweils eine in System und Funktion eigenständige Existenzform der Sprache, bedingt durch und wirksam in der sie umfassenden Realität. (Feldbusch 1985, S. 65). Die Problematik dieser Position besteht darin, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit (im Deutschen) - wie schon gesagt - nicht völlig unabhängig voneinander sind und daher auch nicht zwei eigenständige Sprachsysteme darstellen können. Es kann also lediglich um die Frage gehen, nach welchen Kriterien man über die Eigenständigkeit von Teilsystemen entscheiden will. Dies wird jedoch nicht ausreichend expliziert. Insgesamt scheinen uns in diese Debatte zu viele ungeklärte und unexplizierte Voraussetzungen einzugehen, als dass sie fruchtbar und mit Aussicht auf konsensfähige Ergebnisse geführt werden könnte. Darüber hinaus ist der Begriff der langue per se nicht sonderlich geeignet, Aspekten sprachlicher Eigenschaften gesprochener Sprache 124 Differenz bzw. Varianz gerecht zu werden. Die Konstruktion der langue - man muss sehen, dass es eine theoretische Konstruktion ist und keine faktische Realität, für die sie gerne genommen wird - setzt die Einheit einer Sprache theoretisch voraus - ungeachtet der allfälligen empirischen Varianz. Das variante Sprachverhalten der Sprecher muss qua Abstraktion vernachlässigt werden, um ein allgemeines, einheitliches System einer Sprache postulieren zu können. Konfrontiert man ein faktisches Sprachverhalten mit der so konstruierten langue und weicht es von ihren Regeln ab, kann man dies entweder als (unsystematisches) Phänomen der parole etikettieren, oder man ist zur Annahme von Varietäten (mit einer entsprechenden Sublangue) gezwungen. Um systematische empirische Varianz (gleich welcher Art: zwischen verschiedenen Sprechern, zwischen Dialekten oder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit) zu erfassen, braucht man, wenn man vom langue-Konzept ausgeht, also die Konstruktion der Varietäten. Varietäten weisen per definitionem Überschneidungen auf, sonst wären es keine Varietäten, sondern eigenständige Systeme. Dabei besagt das Varietätenkonzept als solches allerdings nichts über Umfang und Art der Übereinstimmungen bzw. Divergenzen. Theoretisch müsste man also schon bei der Divergenz hinsichtlich einer einzelnen Regel von unterschiedlichen Varietäten sprechen, was dem Konzept jegliche Differenzierungskraft und empirische Relevanz nehmen würde. Auf der anderen Seite aber fehlen theoretische Bestimmungen, ab wann von eigenständigen Varietäten gesprochen werden kann oder muss. Solange es hier keine substanziellen Aussagen gibt, bedeutet dies zweierlei: Zum einen können Mündlichkeit und Schriftlichkeit, sofern für sie partiell unterschiedliche Regeln gelten (und dies ist wohl kaum bestreitbar), gar nicht anders denn als Varietäten gelten, 70 und zum anderen ist es beliebig und ohne Konsequenzen, ob man die Varietäten als eigenständig qualifiziert oder nicht, solange für Eigenständigkeit keine theoretisch begründeten und operationalisierbaren Kriterien angegeben werden. Dies ist - soweit wir sehen - in dieser Debatte nicht der Fall. Man wird also Kleins Einschätzung folgen können: Was wir hier am Beispiel der Syntax erläutert haben, gilt ähnlich für die Morphologie oder das Lexikon. Die Unterschiede können verschieden groß sein, und die Frage ist, wie groß sie sein müssen, damit man von „zwei Sys- 70 Die Auffassung, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Verhältnis von Varietäten zueinander stehen, ist verschiedentlich vertreten worden, so z.B. von Coulmas (1985). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 125 temen“ statt „einem System mit kleinen Varianten“ reden kann. Das ist eine Frage, die sich nicht ohne Willkür beantworten läßt: die Übergänge sind kontinuierlich, und die Entscheidung ist eine Frage des Geschmacks oder der Ideologie. Keine Frage ist jedoch, daß es zwischen manchen Fällen gesprochener und manchen Fällen geschriebener Sprache strukturelle Unterschiede gibt, die nicht nur auf „Performanzebene“ liegen, sondern das zugrundeliegende System - oder die zugrundeliegenden Systeme - betreffen. (1985, S. 28). 71 Allerdings scheint es uns im Kern der Systemdebatte weniger um Geschmack oder um Ideologie zu gehen, als vielmehr um wissenschaftsstrategische Aspekte: die Zwei-System-These wird bemüht, um Schriftlichkeit auf der einen Seite und Mündlichkeit auf der anderen Seite als eigenständige wissenschaftliche Forschungsbereiche zu konstituieren. So ist die Zwei- System-These vor allem in der Phase der Konstitution der Schriftlichkeitsforschung vehement vertreten worden (s.o. Vachek und Feldbusch). Die Ein- System-These hingegen wird verständlich auf dem Hintergrund des Bemühens, die Einheit des fachlichen Gegenstandes zu begründen und zu erhalten. 5.3.4 Interdependenzen Sind Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der oben beschriebenen Weise (vgl. Abschnitt 5.2) als separate Gegenstände konstituiert, stellt sich automatisch die Frage nach den Beziehungen und Wechselwirkungen, die zwischen ihnen bestehen. Diese Frage stellt sich sowohl synchron wie diachron, sowohl auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene. Die wesentlichen Fragen hierbei sind: - Wie entsteht unter den Bedingungen primärer Mündlichkeit Schriftlichkeit? - Wie wird unter den Bedingungen gesellschaftlicher Schriftlichkeit individuelle Schriftlichkeit erworben? - Welchen Einfluss hat gesellschaftlich wie individuell Mündlichkeit auf die Ausbildung bzw. den Erwerb von Schriftlichkeit? 71 Zu beachten ist, dass auch Klein nur Unterschiede im Bereich von Syntax, Morphologie und Lexik in Betracht zieht. Eigenschaften gesprochener Sprache 126 - Welche Rückwirkungen haben Ausbildung bzw. Erwerb von Schriftlichkeit auf Mündlichkeit? - Wie verändert sich in der individuellen wie in der gesellschaftlichen Entwicklung das Verhältnis und die Bedeutung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit? Diese Fragen sind vor allem im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der Schriftlichkeitsforschung in extenso bearbeitet worden (vgl. Ong 1982 und die sich daran anschließende breite Diskussion; ferner Knoop 1993, Raible 1994, Ehlich 1994). Die Ergebnisse können und sollen hier nicht nachgezeichnet werden. 5.4 Alternative Ausschnittbildungen So wie die Unterscheidung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit eine spezifische Abstraktion und Klassenbildung über dem Spektrum der je konkreten kommunikativen Praktiken ist, sind durchaus weitere und andere Abstraktionen über der Gesamtheit der Praktiken möglich. Um zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen mündlichen und schriftlichen Praktiken keinen grundlegenden oder herausgehobenen Charakter hat, möchten wir kurz einige andere Klassenbildungen vorstellen. So lassen sich kommunikative Praktiken, die geeignet sind, größere Raumdistanzen zu überwinden (Botennachricht, Brief, E-Mail, Telefongespräch, Videokonferenz), von solchen unterscheiden, die dazu nicht in der Lage sind. Ebenso lassen sich Zeitdistanzen überwindende Praktiken (ein Buch schreiben, Tradieren von Erzählungen) von solchen unterscheiden, die dies nicht vermögen. Weitere relevante Klassenbildungen sind institutionelle vs. nicht-institutionelle Praktiken, produktive vs. reproduktive Praktiken (eine Abschrift machen, einen Nachrichtentext verlesen), situationstranszendierende (Berichte, Erzählungen, Reisetagebücher) vs. situationsimmanente Praktiken (Diskussion, Instruktion). Von besonderer Bedeutung ist die Differenzierung von Praktiken in technisierte und nichttechnisierte. Bei technisierten Praktiken erfolgt die Verständigung unter Einsatz und Zuhilfenahme menschlicher Artefakte, insbesondere technischer Geräte. Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung wurden Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 127 und werden die Möglichkeiten der elementaren Kommunikation, also der Verständigung von Angesicht zu Angesicht, 72 in verschiedener Hinsicht und Richtung erweitert. So gewinnen in der individuellen wie gesellschaftlichen Kommunikation - in den letzten hundert Jahren sich immer beschleunigend - kommunikative Praktiken an Bedeutung, in denen technische Geräte eine wesentliche Rolle spielen und bei denen das Merkmal der technischmedialen Vermittlung zur konstitutiven Größe wird. Wir sprechen in diesem Fall von Formen der technisierten Kommunikation. 73 Technisierung der Kommunikation lässt sich einerseits beziehen auf den einzelnen kommunikativen Akt und andererseits auf gesellschaftliche Kommunikation. Bezogen auf den einzelnen Akt bedeutet Technisierung, dass einzelne Elemente im Kommunikationsprozess durch Artefakte substituiert oder ergänzt werden. Legt man für die Analyse des einzelnen kommunikativen Aktes die Begrifflichkeit einfacher Kommunikationsmodelle (die ihrerseits in technischen Kontexten entwickelt wurden) zugrunde, wie z.B. Sender, Empfänger, Code, Kanal etc., so betrafen die bisherigen Prozesse der Technisierung vor allem den Code, den Kanal und die Prozesse der schriftlichen Encodierung (z.B. Schreibmaschinen, Setzmaschinen, Textverarbeitungssysteme). Sender und Empfänger waren bisher nur in Form von Sprech- und Hörhilfen betroffen (z.B. Mikrofone, Hörgeräte). Bezogen auf gesellschaftliche Kommunikation bedeutet Technisierung, dass der gesellschaftliche Kommunikationsbedarf zu einem wesentlichen Teil unter Zuhilfenahme technischer Systeme gedeckt wird. Wesentliche Konstituenten dieser Technisierung sind sekundäre Symbolsysteme (z.B. Schriftsysteme, Morsealphabet, ASCII -Code), technische Apparate (wie Druckmaschinen, Telefone, Fernsehgeräte, Computer), Netze (z.B. Telefonnetz, Datennetze, Wellennetze) und konservierende Speicher (beispielsweise Bücher, Tonbänder, Disketten). 72 Dass Menschen sich von Angesicht zu Angesicht verständigen, ist nicht nur die evolutionär primäre Form der Kommunikation, sie ist wohl auch heute noch für uns die subjektiv bedeutsamste, die die prototypischen Vorstellungen darüber, was Kommunikation ist (und wie sie sein sollte), in erheblichem Maße prägt. Vor diesem Hintergrund kann man sie als elementare Kommunikation bezeichnen. 73 Vgl. Fiehler (1990b). Eigenschaften gesprochener Sprache 128 Solche Technisierungsprozesse überlagern und modifizieren sowohl die ‘reine’ Mündlichkeit (z.B. in Form von mikrophonverstärktem Sprechen, Telefonkommunikation oder massenmedialer Kommunikation) wie auch die ‘traditionelle’ Schriftlichkeit (z.B. technisierte Formen wie Telegramme, FAX , E-Mail, Chatkommunikation, kommunikativ gestaltete Maschinenbedienung etc.). Die so entstehenden kommunikativen Praktiken zeichnen sich dadurch aus, dass Verständigung in ihrem Rahmen neue Regeln erfordert und produziert. Zur Zeit lässt sich die Ausbildung entsprechender Regelbzw. Konventionensysteme in statu nascendi verfolgen (man denke z.B. an die ‘Kommunikation’ mit dem Anruf‘beantworter’ oder die Entstehung von Konventionen der Internetkommunikation; vgl. Quasthoff 1997, Storrer/ Waldenberger 1998). Es erfolgt also eine zunehmende Technisierung von Mündlichkeit wie von Schriftlichkeit, genauer: eine Modifizierung bestehender kommunikativer Praktiken bzw. die Ermöglichung neuer kommunikativer Praktiken durch die Nutzung technischer Geräte. Zu fragen ist einerseits, welche Rückwirkung die Ausweitung dieser technisierten Formen der Verständigung auf die Dichotomie von gesprochener und geschriebener Sprache hat. Die beträchtliche Diversifikation kommunikativer Praktiken durch den Einsatz technischer Geräte und die Annäherung einiger technisierter schriftlicher Praktiken an prototypische Merkmale des Mündlichen (so wie sie z.B. für die Internetkommunikation beschrieben wird; vgl. z.B. Haase et al. 1997, Pansegrau 1997, Hennig 2001) scheinen es immer schwieriger zu machen, die polarisierende Abstraktion Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit durchzuhalten. Statt dessen treten einzelne Praktiken bzw. Kommunikationsformen und ihre Spezifik immer mehr in den Vordergrund. Zur Charakterisierung dieser Spezifik müssen die jeweiligen Grundbedingungen (im Vergleich mit anderen Praktiken) herausgearbeitet und die jeweils besonderen sprachlich-kommunikativen Phänomene aus diesen Bedingungen hergeleitet werden. Dies bedeutet zugleich die Explizierung der für die einzelnen Praktiken spezifischen Regeln. So verlagert sich tendenziell das Interesse von einer übergreifenden Charakterisierung der Eigenschaften von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Allgemeinen zu einer differenzierenden Beschreibung einzelner Praktiken und der für sie konstitutiven Regeln. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 129 Andererseits bleibt zu fragen, ob sich nicht auch schon Schrift als eine spezifische Form der Technisierung von Kommunikation reinterpretieren lässt. Die dichotomisierende Gegenüberstellung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ließe sich so überführen in eine Rekonstruktion der Geschichte der menschlichen Verständigung als eines Prozesses der stetigen Ausdifferenzierung von kommunikativen Praktiken durch zunehmende Technisierung. Dabei stellt die Entwicklung von Schriften eine erste Phase der Technisierung von Kommunikation dar, der als zweite Phase die Technologisierung der Schrift (Buchdruck, Computerisierung des Schreibens) folgt: „Die gesamte Technologisierungsgeschichte des Wortes ist bis in das 19. Jahrhundert eine Technologisierungsgeschichte der Schrift gewesen, die die Oralität des Menschen nur indirekt beeinflußte.“ (Jäger 1992, S. 33). Als dritte Phase ist nun die Technologisierung der Oralität zu beobachten (vgl. ebd.). 6. Die Vielfältigkeit gesprochener Sprache Im letzten Abschnitt des ersten Hauptteils geht es darum, die Vielfalt der Erscheinungsformen gesprochener Sprache und ihre Variabilität und Flexibilität zu umreißen. Verdeutlicht werden soll die soziale, funktionale, areale, individuelle und historische Differenziertheit der gesprochenen Sprache. Zugleich soll aber auch daran erinnert werden, dass gesprochene Sprache trotz ihrer großen Varianz und Flexibilität natürlich nicht beliebig vielfältig bzw. ungeregelt ist (Abschnitt 6.1). Beschrieben wird, welchen Funktionen die Varianz dient, aber auch, welche Probleme sie nach sich zieht und welche interaktiven wie sozialen Verfahren der Limitierung von Varianz existieren (Abschnitt 6.5). Unter varianztheoretischem Gesichtspunkt verfolgt dieser Abschnitt zwei Ziele: Zum einen wird für eine Abkehr von Modellen plädiert, die konstitutiv Homogenitätsannahmen enthalten (wie z.B. das Varietätenkonzept), und eine Hinwendung zu Konzepten, die Varianz als Kontinuum modellieren. Varianz soll als graduelles Phänomen aufgefasst werden, nicht als qualitative Differenz zwischen in sich annähernd homogenen Entitäten. Voraussetzung dafür ist eine Diskussion der zentralen wissenschaftlichen Modelle zur Beschreibung von Varianz (Abschnitt 6.4). Eigenschaften gesprochener Sprache 130 Zum anderen wird gegen eine verdinglichende Sichtweise von Varianz argumentiert, indem Varianten nicht als objektive Gegebenheiten betrachtet werden, sondern als menschliche Konstrukte in der Folge von Erfahrungen punktueller Varianz. Dazu ist es notwendig, den Prozess des Bemerkens von Varianz (Abschnitt 6.2) und der Konstitution von Varianten (Abschnitt 6.3) nachzuzeichnen. 6.1 Vielfalt und Varianz gesprochener Sprache ‘Gesprochene Sprache’ ist - wie schon verschiedentlich konstatiert - kein einheitliches, homogenes Gebilde. Entsprechend den mannigfaltigen Zwecken, zu denen sie gebraucht wird, ist sie ein vielfältig diversifiziertes, variantenreiches Phänomen. Sie ist unterschiedlich zu verschiedenen historischen Zeitpunkten, an verschiedenen Orten, in verschiedenen sozialen Gruppen, bei unterschiedlichen Anlässen, von Gespräch zu Gespräch. Sie variiert von Individuum zu Individuum und beim Individuum auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung sowie - feiner betrachtet - auch von Situation zu Situation. Zentrale Charakteristika der gesprochenen Sprache sind ihre Anpassungsfähigkeit (und als Konsequenz hieraus ihr kontinuierlicher Wandel) sowie ihre aus der Anpassung an die verschiedensten Umstände und Zwecke folgende Vielfalt und Varianz. Varianz ist damit ein Grundphänomen gesprochener Sprache, das die gesamte Wirklichkeit des Sprechens durchzieht. Diese Varianz, wie sie sich in der kommunikativen Praxis manifestiert, und nicht der Aspekt der Homogenität und Systemhaftigkeit sollte deshalb am Ausgangspunkt für eine Theoretisierung gesprochener Sprache stehen. Limitierende Faktoren für die Varianz sind die Notwendigkeit der Verständigung und die bewahrende Tradition. Ihnen stehen zahllose Ursachen für und Funktionen von Varianz gegenüber. Die sich aus den Notwendigkeiten der Verständigung ergebenden Prozesse der wechselseitigen Angleichung, deren Resultat partielle Übereinstimmung und damit eine partielle Homogenität sind, auf der einen Seite und Prozesse der Diversifizierung und des Wandels auf der anderen Seite sind die beiden Triebkräfte der Entwicklung gesprochener Sprache. Sie stehen in einem engen Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit. 74 74 Auch wenn z.B. in den Bereichen Sprachgeschichte, Dialektologie, Soziolinguistik und Stilistik die Varianz gesprochener Sprache traditionell Forschungsgegenstand war und ist, Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 131 Spricht man von Vielfalt und Varianz, so sind zumindest zwei Ebenen zu unterscheiden. Betrachtet man zwei Vorkommen gesprochener Sprache - zwei beliebige Gespräche oder zwei beliebige Äußerungen -, so werden sie kaum je identisch sein. Sie unterscheiden sich. In dieser Hinsicht und auf dieser Ebene sind jede Äußerung und jedes Gespräch singulär, die Varianz ist grenzenlos. Diese Ebene ist aber in der Regel auch nicht gemeint, wenn von Vielfalt und Varianz gesprochen wird. Gemeint ist vielmehr, dass Personen ein bestimmtes sprachlich-kommunikatives Phänomen unterschiedlich realisieren und dass dieser Unterschied rekurrent und überzufällig, d.h. regelhaft ist. Um Varianz erfassen und operationalisieren zu können, braucht man bestimmte sprachlich-kommunikative Phänomene, hinsichtlich der sprachliche Hervorbringungen verglichen und Unterschiede zwischen ihnen festgestellt werden können. Diese Vergleichsparameter können von unterschiedlichster Art sein: z.B. die Realisierung von Lauten, die lautliche Realisierung bestimmter Wörter, die Verwendung bestimmter Wörter, die Abfolge von Wörtern, die Verwendung bestimmter syntaktischer Konstruktionen, die Intonationskontur von Äußerungen, die Realisierung bestimmter kommunikativer Praktiken, die Verwendung von Varietäten und Sprachen etc. Varianz liegt vor, wenn systematische Unterschiede in der Verwendung eines bestimmten sprachlich-kommunikativen Phänomens in einem definierten Kontext bestehen. Ganz wesentlich dafür, dass Varianz nicht als zufällige Abweichung oder als Fehler, sondern als alternative Sprachform gedeutet dominieren in der Linguistik, speziell in der Sprachtheorie, vermittelt über Konzepte wie Sprachsystem, langue, Kompetenz oder Varietät Vorstellungen, bei denen die Homogenität von Sprache im Vordergrund steht. Dies hat zu einer „Peripherisierung von Sprachvariation in der bisherigen Forschungsgeschichte“ (Lüdtke 1997, S. 1) geführt: „[...] trotz der offensichtlich großen Bedeutung der Sprachvariation ist sie in den beherrschenden linguistischen Theorien dieses Jahrhunderts nur am Rande behandelt oder gar völlig aus der Betrachtung ausgeschlossen worden. [...] Erst in den letzten Jahren bemüht man sich verstärkt darum, die Variation als wesentlichen Zug einer jeden Sprache, nicht bloß als Störfaktor, zu sehen, sie in die Sprachtheorie einzubeziehen und geeignete Methoden zu ihrer genauen Erfassung zu entwickeln.“ (Klein 1976, S. 30). „Nachdem ein homogener Sprachbegriff in der Linguistik lange dominierte und die Variation aus Gründen der Methode aus der Beschreibung der Sprachsysteme eliminiert wurde, ist die sprachliche Heterogenität nun wiederum als Problem der Sprachwirklichkeit und der adäquaten Sprachbeschreibung besser erkennbar geworden.“ (Lüdtke 1997, S. 9). Eigenschaften gesprochener Sprache 132 wird, ist, dass die Varianz rekurrent, stabil und (vermutlich auch) überindividuell auftritt. D.h., sie muss eine Regelmäßigkeit besitzen, die die Vermutung nahe legt, dass es sich um die Befolgung einer anderen bzw. alternativen Regel oder Konvention handelt. In diesem Sinne ist der Begriff der Regel bzw. Konvention konstitutiv für das Konzept systematischer Varianz. Die zweite Ebene der Varianz und Vielfalt ist also dadurch charakterisiert, dass Personen hinsichtlich bestimmter sprachlich-kommunikativer Phänomene unterschiedlichen Regeln bzw. Konventionen folgen, mit anderen Worten: sich in den Regeln bzw. Konventionen unterscheiden, auf deren Grundlage sie Äußerungen produzieren und Gespräche führen. Nur auf dieser Ebene soll hier die Varianz und Vielfalt gesprochener Sprache betrachtet werden. Als Aufgabe für die Varianzforschung ergibt sich hieraus, ausgehend vom Auffinden und Beobachten von regelmäßiger Varianz die zugrunde liegenden alternativen Regeln zu rekonstruieren, sie explizit zu formulieren und Art, Ausmaß und Stellenwert der Unterschiede in den Regelsystemen verschiedener Personen(gruppen) zu bestimmen. Die Vielfalt und Varianz der gesprochenen Sprache, die größer ist als die Varianz im Bereich der geschriebenen Sprache, hat gelegentlich - auch in der Sprachwissenschaft - dazu geführt, gesprochene Sprache als ein Phänomen anzusehen, das regellos und chaotisch ist - und das sich damit letztlich auch einer wissenschaftlichen Erfassung entzieht. Die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte haben aber gezeigt, dass gesprochene Sprache in keinem Bereich ungeregelt ist und dass mündliche Kommunikation auch nicht weniger regelgeleitet ist als schriftliche. Allerdings sind die Regeln vielfältiger, diversifizierter und in ihrer Reichweite beschränkter. Fragt man danach, was die Vielfalt der gesprochenen Sprache ausmacht, so ist es gerade die Vielfalt dieser Regeln - die Tatsache, dass einer großen Zahl unterschiedlicher Regeln gefolgt wird -, die diese Varianz bedingen. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 133 6.2 Das Bemerken von Varianz Die deutlichste Form des Bemerkens von sprachlicher Varianz ist gegeben, wenn Sprecher verschiedener Sprachen aufeinander treffen. Die Varianz tangiert hier in ganz essenzieller Weise die Möglichkeit wechselseitiger Verständigung. Entsprechend ist auch die Erfahrung und Feststellung, dass es verschiedene unterscheidbare Sprachen gibt, der Ausgangspunkt für die meisten (linguistischen) Versuche zur Sprachbeschreibung. Eine Sprache ermöglicht den Specher(inne)n dieser Sprache untereinander weitgehend Verständigung, wohingegen Sprecher(innen) verschiedener Sprachen nicht in gleicher, relativ problemloser Weise miteinander kommunizieren können. Die Differenzen zwischen den Sprachen erscheinen damit größer als die auch existierende und bemerkbare sprachinterne Variabilität. Häufig wird deshalb bei einer solchen sprachvergleichenden Perspektive - darüber hinaus dann aber auch in anderen Kontexten - die sprachinterne Varianz vernachlässigt oder nicht gesehen. Dies ist der Ursprung der Auffassung einer Homogenität von Sprachen. Die Möglichkeit einer relativ problemlosen wechselseitigen Verständigung stabilisiert diese Homogenitätsauffassung (‘Wir sprechen eine Sprache.’). Massiv gestützt wird sie ferner durch die Tatsache, dass es in vielen Sprachen eine einheitliche, kodifizierte Sprachform gibt, nämlich das, was von Wörterbüchern und Grammatiken in Hinblick auf die Schriftsprache als Standardsprache festgelegt wird. Die Einheitlichkeit dieser Sprachform ist natürlich normativ induziert, d.h., es ist nicht zwangsläufig eine faktische, sondern eine normativ gesetzte und anzustrebende Einheitlichkeit, und sie betrifft zunächst einmal nicht die Sprache insgesamt, sondern ihre schriftliche Variante, die aber - bewusst oder unbewusst - häufig mit der Sprache an sich gleichgesetzt wird. Nichtsdestotrotz ist die Erfahrung innersprachlicher Varianz nicht von der Hand zu weisen (vgl. Hartung 1981, S. 15ff.). Sie wird immer dann besonders deutlich, wenn die sprachvergleichende Perspektive nicht dominant ist, sondern der Blick sich auf die mündliche Praxis der Sprecher einer Sprache in einer Sprachgemeinschaft richtet. Handeln verschiedene Personen sprachlich-kommunikativ gleichartig, so ist dies in der Regel unauffällig und zieht nicht die Aufmerksamkeit der Beteiligten auf sich; auffällig und Anlass zur Reflexion wie für Erklärungen ist hingegen das wechselseitige Bemerken von Unterschieden und Abweichungen, kurz: von interpersonaler Varianz. Eigenschaften gesprochener Sprache 134 Ausgangspunkt für die Konstatierung von Varianz sind zunächst ganz wesentlich Varianzerfahrungen in der konkreten Interaktion: Wir bemerken in Interaktionen immer wieder, dass jemand an einer bestimmten Stelle des sprachlich-kommunikativen Handelns etwas anderes tut, als wir erwarten oder als wir an seiner Stelle tun würden. So mag jemand an Stellen, wo wir da sagen würden, ein do verwenden oder an Stellen, wo wir es nicht verwenden würden, ein als einstreuen. Dies ist die punktuelle, individuelle Erfahrung von singulärer Abweichung bzw. Varianz. 75 Sie setzt - wie bewusst oder explizit auch immer - Prozesse des Monitoring und Vergleichens voraus. Diese Form der Varianz im Verhalten verschiedener Personen ist zudem an eine Verletzung von Erwartungen gebunden. Es ist klar, dass längst nicht alle Abweichungen bemerkt werden (müssen). Sie werden aber insbesondere dann bemerkt, wenn aus dieser Varianz für die Verständigung (in unterschiedlichen Dimensionen und mit unterschiedlicher Gewichtigkeit) Verständigungsprobleme erwachsen, die bis hin zum Nichtverstehen reichen können. Diese Erfahrung singulärer Abweichung kann nun unterschiedlich gedeutet werden: zum einen als individueller, singulärer Fehler der anderen Person, der - aus welchen Gründen auch immer - auftritt; zum anderen als singuläres Auftreten einer Varianz, die systematischer Art ist. Diese Deutung wird insbesondere dann gestärkt, wenn die gleiche Abweichung wiederholt und stabil, d.h. mehrfach und in allen oder fast allen einschlägigen Fällen, auftritt. 76 Eine solche rekurrente und stabile Varianz schließt zwar das Ver- 75 Vgl. Goes (2001, S. 43-53) für ein Modell des Registrierens und der Verarbeitung bzw. Bewältigung von Abweichungen in Gesprächen. 76 Stabilität (im Sinne der Durchgängigkeit einer Verhaltensweise) ist ein wesentliches Kriterium. Alternieren bei der anderen Person zwei oder mehr Verhaltensweisen, von denen eine der eigenen entspricht, so sind mindestens drei Deutungsmöglichkeiten für diese innerindividuelle Varianz gegeben: - Die andere Person kennt die ‘richtige’ Verhaltensweise, macht aber - gelegentlich bis häufig - Fehler. - Bei der anderen Person liegt systematische, situative Varianz vor (deren Parameter nicht unbedingt bekannt sein müssen). Wenn man die Parameter kennt, wird man dazu tendieren, für die verschiedenen Situationen zwar aufeinander bezogene, aber eigenständige Regeln anzunehmen. - Die andere Person verfügt bezüglich des betreffenden Phänomens über alternative Regeln, und es ist ‘zufällig’ (d.h. ohne erkennbare Systematik), welche sie jeweils anwendet. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 135 ständnis als Fehler - diesmal als eines individuellen systematischen Fehlers - nicht aus, legt aber doch eher die Deutung nahe, dass einer anderen Regel gefolgt wird. Dies insbesondere, wenn die Abweichung nicht nur rekurrent bei einer Person zu beobachten ist, sondern bei anderen auch, wenn also die Varianz kollektiver Art ist. Aus solchen rekurrenten (individuumsbezogenen oder kollektiven) Varianzerfahrungen erwachsen für zukünftige Interaktionen stabile Erwartungen hinsichtlich des Wiederauftretens der Varianz. Die rekurrenten Varianzerfahrungen werden dann verstanden bzw. erklärt, indem sie mit bestimmten sozialen Kategorien in Zusammenhang gebracht werden: X spricht anders, weil X ein unverwechselbares Individuum ist, weil er/ sie aus Y ist, alt ist, ein Arbeiter/ Intellektueller, ein Mann ist etc. Und sie können darüber hinaus, selbst wenn dies nicht durch entsprechende Erfahrungen abgesichert ist, kategoriegebunden generalisiert werden: 77 Alle aus (der Straße/ dem Ort/ der Region/ dem Staat) Y, alle jungen/ alten Menschen, alle aus der sozialen Gruppe Z, alle Frauen/ Männer etc. handeln sprachlichkommunikativ in Hinblick auf das Phänomen A (und u.U. auch hinsichtlich weiterer ‘verwandter’ Phänomene) einheitlich anders als ich bzw. als meine Gruppe. Dies ist der Mechanismus der Konstitution von Varianten. Varianten sind so gesehen keine objektiven Gegebenheiten, sondern menschliche Konstrukte, die sich aus der Verallgemeinerung von punktuellen Erfahrungen rekurrenter Varianz ergeben. Diesen Generalisierungen ist eine Tendenz zur Verdinglichung inhärent, nämlich die Tendenz, diese Verallgemeinerungen nicht mehr nur als erwartungssteuernde Hypothesen und heuristische Hilfe bei der Handlungsorientierung zu verstehen, sondern als durchgängig existierende Gegebenheit und objektives Phänomen. Dieser Prozess der Verdinglichung - von zweckgebundenen hypothetischen Verallgemeinerungen zu faktischen Gegebenheiten - wirkt dann seinerseits organisierend auf die Wahrnehmung der Erscheinungen zurück. ‘Nach innen’ wird homogenisiert (statt ein Kontinuum von Variation anzunehmen), die Grenzen bzw. Unterschiede ‘nach außen’ hingegen werden überakzentuiert. Dabei konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf 77 Auch wenn man längst nicht mit allen Menschen einer Region gesprochen hat, wird man nach rekurrenten Erfahrungen des do zu der erwartungsleitenden Hypothese gelangen, dass viele/ die meisten/ alle Menschen der betreffenden Region es verwenden. Eigenschaften gesprochener Sprache 136 die einzelnen bemerkten Unterschiede zwischen den Gruppen, während gleichzeitig unterstellt wird, dass die eigene wie die andere Gruppe ansonsten sprachlich jeweils einheitlich agiert. So kommt es zur Sichtweise von (vermeintlich) homogenen und deutlich abgegrenzten Varianten. Bezeichnungen z.B. wie Dialekt, Frauensprache oder Altersvarietät sind also nicht Bezeichnungen für vorab gegebene Entitäten, sondern es sind Bezeichnungen für Konstrukte. Die Verwendung dieser Bezeichnungen trägt dann ihrerseits dazu bei, diese Konstrukte zu stabilisieren. 78 Varianzerfahrung in der Interaktion ist aber nicht der einzige Ausgangspunkt für das Konstatieren von Varianz. Daneben stehen tradierte - alltagsweltliche wie wissenschaftliche - Variantenraster, die wir uns im Verlauf der Sozialisation aneignen. Die aktuellen Prozesse der Wahrnehmung von Varianz und der Konstitution neuer Varianten erfolgen in einer Umwelt, in der immer schon ausgebildete Variantenraster existieren und tradiert werden. So werden wir damit vertraut gemacht, dass es z.B. einen speziellen Altriper Dialekt, dass es das Bayrische, eine Sprache der Amtsstuben, die Jägersprache etc. gibt. Diese Variantenraster strukturieren die Wahrnehmung vor, indem bemerkte Varianz häufig auf diese Raster bezogen und in sie eingeordnet wird. Sie werden auf diese Weise fortgeschrieben und verstärkt. 79 6.3 Die Konstitution von Varianten Die Varianz der gesprochenen Sprache - ihre Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit - ist sowohl alltagsweltlich wie wissenschaftlich bemerkt und dann auch kategorial gefasst worden. Das zentrale Konzept, um diese Varianz zu systematisieren und zu ordnen, ist das der Variante: Es werden verschiedene 78 Die in der beschriebenen Weise konstituierten Varietäten stellen dann für die Wissenschaft auch häufig ein Forschungsprogramm dar, das durch Untersuchungen weiter ausgearbeitet und aufgefüllt werden soll. 79 In der Linguistikentwicklung der letzten Jahrzehnte sind aber auch mehrere Ansätze zu erkennen, die auf die Etablierung ‘neuer’ Raster abzielten, so z.B. die Konstitution schichtspezifischer, geschlechtsspezifischer oder altersspezifischer Varietäten. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 137 Formen gesprochener Sprache unterschieden. Wir verwenden hier den Begriff der Variante als Sammelbegriff für alle im Bereich der gesprochenen Sprache vorgenommenen Differenzierungen. 80 Grundlegend für die Konstitution von Varianten ist die Auffassung, dass Varianz nicht zufällig streut, sondern dass variierende Merkmale ‘gebündelt’ auftreten, d.h., dass mehrere Merkmale kovariieren. Diese Kovarianz konturiert und konstituiert verschiedene Varianten gesprochener Sprache, die sich voneinander unterscheiden und die sich gegeneinander abgrenzen lassen. Die Differenzierung verschiedener Formen der gesprochenen Sprache als Varianten führt auf drei Fragen: − Welche Varianten werden unterschieden? − Auf der Grundlage welcher Kategorien werden sie konstituiert? − Worin unterscheiden sich die Varianten (Art und Umfang der Unterschiede)? Im Folgenden sind einige der zentralen Kategorien zusammengestellt, mittels der Varianten konstituiert werden. In den Klammern folgen Beispiele für Varianten, die auf ihrer Grundlage unterschieden werden können. − Soziale Gruppen/ Schichten (Frauensprache, Männersprache; Jugendsprache, Alterssprache; Arbeitersprache, Sprache der Intelligenz; Sprache der Windmüller, Imker, Gauner, Juristen; Sprache der Russlanddeutschen) − Individuum (Ideolekte) − Sprachebenen (Hochsprache, Standardsprache, Umgangssprache, Alltagssprache, Slang, Jargon etc.) − Räumliche Regionen (Dialekte, Regionalsprachen, Stadtsprachen, Ortssprachen) 80 Wir verwenden nicht den Begriff der Varietät als grundlegend, weil wir auch einige weitere Differenzierungen mitbetrachten möchten (s.u.: Kommunikative Praktiken, Entwicklungsstadien des Individuums etc.), die üblicherweise nicht im Rahmen des Varietätenkonzepts behandelt werden. Eigenschaften gesprochener Sprache 138 − Funktionale Aspekte (Amtssprache, Juristendeutsch (wenn dies nicht die soziale Gruppe meint), Vortragssprache, zeremonielle Sprache; Fachsprachen, Funktionalstile 81 ) − Kommunikative Praktiken (Beratungsgespräche, Reklamationen, Unterrichtskommunikation, Smalltalk) − Entwicklungsstadien des Individuums (Babysprache, Jugendsprache, Erwachsenensprache, Alterssprache) − Historische Epochen/ Zeitpunkte (Sprache des Mittelalters, Sprache der 20er Jahre, Gegenwartssprache) Kern der Unterscheidung dieser Varianten ist die Vorstellung, dass sie sich nicht nur in einem Merkmal, sondern in einer größeren Menge kovariierender Merkmale voneinander unterscheiden. Dies bedeutet, dass die Differenzen, die zwischen den Varianten bestehen, größer sind als die Unterschiede zwischen den Exemplaren der einzelnen Varianten. Anders formuliert: Zwischen den Exemplaren einer Variante besteht eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die beim Vergleich mit Exemplaren anderer Varianten so nicht gegeben ist. Dies lässt Varianten als abgrenzbare Formen gesprochener Sprache erscheinen. Die Benennungen für die unterschiedenen Varianten sind nur zum Teil Bezeichnungen für vorab gegebene, klar umrissene Entitäten. 82 Sie tragen ihrerseits deutlich dazu bei, diese Varianten erst zu konstituieren und sie in der Wahrnehmung - vermittelt über die einheitliche Bezeichnung - der Tendenz nach weiter zu homogenisieren. 81 „The ‘functional style’ must not be mistaken for the style of an actual text: it is a subsystem of language or a bundle of possibilities of realization in specified ranges of use.“ (Spillner 1987, S. 280). 82 „Bezeichnungen für vermeintlich diskrete sprachliche Zwischenstufen wie etwa ‘regionale Umgangssprache’, ‘Verkehrssprache’ oder ‘Großraummundart’ sind letztendlich nur Abstraktionen des Beobachters, d.h. nicht voll systematisierbare Bezeichnungen, mit denen man auf eine bestimmte Variablenmenge hinweisen will, die für das sprachliche Verhalten einer bestimmten Sprechergruppe zu Veranschaulichungszwecken als typisch vorgestellt werden. Es handelt sich lediglich um Hilfsbegriffe ohne theoretischen Anspruch.“ (Durrell 1998, S. 21) Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 139 Die meisten Varianten enthalten in ihrer Bezeichnung den Bestandteil ‘Sprache’. Diese Benennung betont eine Abgrenzbarkeit und Eigenständigkeit der Varianten und suggeriert ihren Sprachenstatus, was wiederum die Annahme eines eigenständigen zugrunde liegenden Sprachsystems befördert. Auf die dritte Frage, worin die Unterschiede zwischen Varianten bestehen, werden in Bezug auf die Art der Unterschiede im Grundsatz zwei Antworten gegeben: Zum einen, dass sie sich hinsichtlich konkreter sprachlichkommunikativer Phänomene bzw. Merkmale unterscheiden, zum anderen, dass sie sich in den Regeln unterscheiden, auf deren Grundlage die Sprecher(innen) diese Varianten produzieren. Was den Umfang der Unterschiede zwischen Varianten angeht, so reichen die Vorstellungen von einer kleinen Menge unterscheidungskonstitutiver Phänomene bzw. Merkmale, die listenmäßig erfasst werden können, bis hin zur Annahme eigenständiger, voneinander unabhängiger Sprachsysteme, die den Varianten zugrunde liegen. 83 6.4 Wissenschaftliche Modelle zur Erfassung und Beschreibung von Varianz Um innersprachliche Varianz wissenschaftlich erfassen und beschreiben zu können, sind verschiedene theoretische Modellvorstellungen entwickelt worden. Im Folgenden sollen sieben solcher Konzepte kurz vorgestellt und diskutiert werden, um auf dieser Grundlage für Kontinuummodelle zur Beschreibung von Sprachvarianz zu plädieren. (1) Das Performanz-/ Gebrauchskonzept Unter Voraussetzung der theoretischen Differenzierung von ‘langue-parole’ bzw. ‘competence-performance’ wird postuliert, dass die beobachtbare Vari- 83 Kubczak formuliert diese Spannweite - bezogen auf Soziolekte - folgendermaßen: „Wenn sich in diesem Zusammenhang die Formulierung „Gruppensprache“ findet, wird üblicherweise leider nicht dazugesagt, ob damit vollständige Sprachsysteme mit genügender Kapazität zur Bezeichnung sämtlicher Sachverhalte oder nur größere bzw. kleinere Listen von sprachlichen Spezifika einer Sprechergruppe (z.B. die „Reitersprache“) gemeint sind.“ (Kubczak 1987, S. 268). Eigenschaften gesprochener Sprache 140 anz ein parole/ performance-Phänomen ist, also ein Phänomen des individuellen Gebrauchs, einer individuellen Aktualisierung von Sprache bzw. einer individuellen Auswahl aus dem Sprachsystem. Die zugrunde liegende langue/ competence hingegen ist homogen bzw. wird in diesem Sinne idealisiert. So wird z.B. bei Chomsky (1969) - um dies noch einmal in Erinnerung zu rufen - die Homogenität der Sprachgemeinschaft (und der Kompetenz) als Idealisierung axiomatisch gesetzt: Der Gegenstand einer linguistischen Theorie ist in erster Linie ein idealer Sprecher-Hörer, der in einer völlig homogenen Sprachgemeinschaft lebt, seine Sprache ausgezeichnet kennt und bei der Anwendung seiner Sprachkenntnis in der aktuellen Rede von solch grammatisch irrelevanten Bedingungen wie - begrenztes Gedächtnis - Zerstreutheit und Verwirrung - Verschiebung in der Aufmerksamkeit und im Interesse - Fehler (zufällige oder typische) nicht affiziert wird. (Chomsky 1969, S. 13). Varianz (als Varianz der Kompetenz) wird durch diese axiomatische Idealisierung theoretisch ausgeschlossen und kann unter dieser Annahme nicht Gegenstand linguistischer Theorie sein. 84 Im Rahmen dieser Konzeption erscheint Varianz in erster Linie als Devianz und wird dann als Performanzproblem konzeptualisiert: [...] die tatsächlich beobachtbaren Unterschiede im Sprachverhalten lassen sich allenfalls aus einer mehr oder minder unvollkommenen Beherrschung der langue durch die Individuen erklären (Klein 1976, S. 30). Bei der Erforschung der aktuellen Sprachverwendung muß man die wechselseitige Beeinflussung einer Vielzahl von Faktoren in Betracht ziehen, von denen die zugrundeliegende Kompetenz des Sprecher-Hörers nur einen darstellt. (Chomsky 1969, S. 14). 84 „Diese starke Homogenitätsannahme [...] deklariert nicht nur eine Fülle interessanter und zum Teil schon gut erforschter Bereiche des sprachlichen Verhaltens als zweitrangig; sie führt auch zu erheblichen Schwierigkeiten in der empirischen Arbeit“ (Klein 1976, S. 30). Angesichts der augenfälligen Varianz im Rahmen einer Sprachgemeinschaft ist in der Folge von Chomsky im generativen Paradigma verschiedentlich versucht worden, diese Idealisierung zu relativieren oder zurückzunehmen (vgl. z.B. Kanngießer 1972). Zur „Fiktion der Homogenität“ vgl. auch Lyons (1983, S. 31-34). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 141 Varianz kann offensichtlich nur Resultat der Vielzahl dieser anderen Faktoren sein. Nicht diskutiert wird die Frage, inwieweit Varianz regelhaft ist. Auch im Bereich der Gesprochenen-Sprache-Forschung werden verschiedentlich die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache als Performanzphänomen konzeptualisiert. So sieht z.B. Rath (1976a) Varianz - in Hinblick auf Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache - als Performanzproblem. Um dies so sehen zu können, muss er allerdings das Sprachsystem auf grammatische Regeln beschränken. Alle feststellbaren Unterschiede, die durchaus auch regelhaft sein können, werden dann zu Performanzphänomenen, die sich aus den unterschiedlichen medialen Bedingungen ergeben: Ich gehe erstens davon aus, daß der geschriebenen deutschen Sprache und der gesprochenen deutschen Sprache gleiche linguistische Regeln zugrundeliegen. Geschriebene Sprache und gesprochene unterscheiden sich nicht in Bezug auf die zugrundeliegende Grammatik. Ich gehe zweitens davon aus, daß zwischen geschriebener und gesprochener Sprache [...] ganz wesentliche Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede liegen auf der Ebene der Performanz, der Sprachverwendung. Das heißt: Die Realisierungsbedingungen für geschriebene und gesprochene Sprache sind unterschiedlich; diese bestimmen aber das jeweilige sprachliche Produkt wesentlich mit. (Rath 1976a, S. 289) Eine verwandte Auffassung vertritt auch Steger (1987): In der Diskussion über das Verhältnis von gesprochener und geschriebener „Sprache“ bzw. gesprochener Rede und geschriebenen Texten sind einige Grundfragen noch nicht genügend klar beantwortet worden. Dazu gehört die Frage, ob hier je eigene (Teil-)Systeme einer Sprache auftreten oder ob die Differenzierungen auf unterschiedlichen Verwendungsweisen eines Systems beruhen, ob also die jeweiligen Unterschiede auf der Ebene der Sprache oder der des Textes (und der Situation) liegen; und ob es sich somit um Sprachvarietäten oder um Stile handelt. (ebd., S. 35). Die heutigen Differenzierungen zwischen gesprochenen und geschriebenen Texten der deutschen Standardsprache sind als Abwahlregularitäten erklärbar. [...] Die Unterschiede werden also konstituiert als Typisierungen auf der Ebene der Situationen und Texte und sind damit Stil. (ebd., S. 57). Eigenschaften gesprochener Sprache 142 (2) Das Teilsprachenbzw. Varietätenkonzept Grundannahme dieses Konzepts ist, dass sich im Rahmen einer Sprache (was auch immer ‘eine Sprache’ sei) verschiedene Teilsprachen oder Varietäten 85 unterscheiden lassen bzw. dass sich eine Sprache aus verschiedenen Teilsprachen bzw. Varietäten zusammensetzt. Paradigmatische Definitionen finden sich z.B. bei Kanngießer (1980) und Ammon (1987): Eine synchron beschränkte natürliche Sprache - eine Zustandssprache S, die in einer Sprachgemeinschaft C gesprochen wird - besteht aber aus einer endlichen Menge von Teilsprachen T 1 , ... , T r , und diese Sprachen T m sind es, die von den Mitgliedern von C gesprochen werden. Im Rahmen der Theorie der Sprachkompetenz wird nun spezifiziert, welche C-Mitglieder für welche dieser Teilsprachen kompetent sind, über welche der Teilsprachen T r sie verfügen - und mit der Spezifizierung dieser Verfügungsrelationen wird offenbar ein partielles Modell der Infrastruktur der Sprachgemeinschaft C geliefert. (Kanngießer 1980, S. 1). Languages are sets of varieties and thus varieties are elements of languages; standard varieties and dialects (= dialectal varieties) on the other hand are various types of such elements (varieties). So a language can contain dialects and one or more standard varieties [...] as well as other types of varieties. (Ammon 1987, S. 317). The question now is according to which criteria varieties are grouped together to form such sets that we call languages [...] A particularly important, if not the most important group-forming relation between varieties or between their speakers is mutual intelligibility. (ebd., S. 319). Diese Vorstellung von Teilsprachen im Rahmen einer Sprache ist der Kern von Konzepten wie Varietät, Soziolekt und Ideolekt. Eine Vielzahl von Beispielen für Formen gesprochener Sprache, die als solche Teilsprachen bzw. Varietäten konzeptualisiert werden, findet sich in Abschnitt 6.3. Das Teilsprachenmodell hat nun aber eine Reihe von Implikationen und wirft Fragen auf, die nachfolgend kritisch behandelt werden sollen. (a) Das Teilsprachenmodell reproduziert ersichtlich das Konzept verschiedener distinkter natürlicher Sprachen auf einer tieferen - jetzt sprachinternen - Ebene. Eine Konsequenz dieser Übertragung ist, dass die Unterschiede zwischen den Teilsprachen relativ groß erscheinen (entsprechend der fehlen- 85 Wir verwenden hier die Begriffe ‘Teilsprache’ und ‘Varietät’ synonym. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 143 den Verständigungsmöglichkeit zwischen verschiedenen Sprachen), während die varietäteninterne Varianz nicht im Fokus steht. Die Teilsprachen werden so als intern relativ homogen verstanden, während sie untereinander als deutlich unterschiedlich gesehen werden. 86 Soweit das Teilsprachenmodell die Transposition des Sprachenkonzepts auf einzelsprachinterne Verhältnisse ist, ist es eher ein theoretisches Konstrukt oder ein Postulat. Es ist nicht aus empirischer Arbeit heraus entwickelt worden und stützt sich nicht auf eine empirische Fundierung. (b) Die genannten Definitionen klären zwar das Verhältnis zwischen Sprache und Teilsprachen/ Varietäten. Aber in welchem Verhältnis stehen die verschiedenen Varietäten zueinander? Entspricht jeder Varietät ein eigenes, von den anderen Varietäten verschiedenes System (das wird man vielleicht auf der Ebene von Einzelsprachen, schwerlich aber auf der Ebene von Varietäten im Rahmen einer Sprache behaupten wollen), oder gibt es Überschneidungen zwischen den Systemen? Wenn es Überschneidungen gibt - und es muss sie wohl geben -, wie groß sind sie und welche Bereiche betreffen sie? Oder andersherum gefragt: Welches sind die - beim Vergleich zweier Varietäten - unterschiedlichen und damit varietätskonstitutiven Phänomene bzw. Merkmale? Dieses Problem wird noch dadurch verschärft, dass die einzelnen Varietäten nicht homogen sind. Es gilt also das Abgrenzende gegenüber anderen Varietäten herauszuarbeiten bei gleichzeitiger interner Varianz der einzelnen Varietäten: Wo mit Rücksicht auf Soziolekte von Systemen oder Subsystemen einer Sprache die Rede ist, geht man nicht selten davon aus, daß solche Systeme oder Subsysteme als Diasysteme begriffen werden müssen, d.h. als aus verschiedenen ähnlichen Ideolekten gebildete Sprachsysteme, die sich einerseits durch konstitutive Züge unterscheiden (sonst könnte man nicht von verschiedenen Soziolekten einer Sprache reden) und die andererseits nicht homogen sind, sondern selbst wieder sprecher- und sprechergruppenrelevante Gliederungen aufweisen. (Kubczak 1987, S. 268). 86 Es entfällt auf dieser sprachinternen Ebene allerdings das zentrale Kriterium für die Unterscheidung von Sprachen, nämlich dass eine unmittelbare Verständigung zwischen den Sprechern dieser Sprachen nicht möglich ist. Sprecher(innen) verschiedener Varietäten einer Sprache können sich zumindest partiell verständigen. Eigenschaften gesprochener Sprache 144 (c) Eine weitere Frage ist die nach dem Substrat der Varianz: Wofür wird im Teilsprachenbzw. Varietätenkonzept Varianz behauptet? Anders als beim Merkmallistenmodell (vgl. unten (3)) geht es hier - soweit wir sehen - nicht um eine Varianz von Merkmalen, die sich auf Verhaltensweisen beziehen, sondern um eine Varianz im Sprachsystem, und das heißt, dass es um unterschiedliche Regeln bzw. Konventionen geht. Dies ist allerdings insofern uneindeutig, als sich - unter der Voraussetzung der Unterscheidung von Kompetenz und Performanz - zwei verschiedene Positionen ausmachen lassen, die einerseits Varianz als ein Performanzphänomen (vgl. oben (1)) und andererseits als ein Kompetenzphänomen beschreiben: Ist Varianz das Resultat der Tatsache, dass die Beteiligten über unterschiedliche Regeln verfügen, oder machen sie nur unterschiedlichen Gebrauch von Regeln, über die sie gleichermaßen verfügen? Oder - dritte Möglichkeit - ist die Varianz Resultat der Mischung von beiden? (d) Alle drei Möglichkeiten setzen voraus, dass man weiß, welche Regeln zur Kompetenz der Sprecher(innen) der verschiedenen Varietäten gehören. Regeln bzw. Konventionen sind nun - es ist ebenso trivial wie notwendig, daran zu erinnern - nicht in irgendeiner Weise gegeben oder beobachtbar, sondern sie sind allenfalls auf der Grundlage von beobachteten Verhaltensweisen rekonstruierbar. Dies ist die Schnittstelle des Varietätenkonzepts zur Empirie, ein Weg allerdings, der zu wenig beschritten wird. Dies hat zur Konsequenz, dass weder die Frage der Lokalisierung der Varianz (Performanz- oder Kompetenzphänomen? ) vernünftig entschieden werden kann, noch dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varietäten zugrunde liegenden Kompetenzen genau beschrieben und charakterisiert werden können. (e) Das Varietätenkonzept steht ferner, da die Teilsprachen nie völlig homogen sind, vor dem Problem, wie es mit varietäteninterner Varianz umgehen soll. Je näher Untersuchungen an der Empirie sind, desto weniger lässt sich die Tatsache teilspracheninterner Varianz gänzlich übersehen und aus der Welt schaffen. Es lassen sich im Wesentlichen zwei Lösungen des Problems beobachten. Zum einen durch Ignorierung, Vernachlässigung oder Idealisierung: Das Problem wird dabei entweder nicht gesehen oder nicht thematisiert, es wird (für die Zwecke der jeweiligen Untersuchung) für irrelevant oder vernachlässigbar erklärt, oder es wird im Zuge einer konstrukti- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 145 ven Idealisierung aus der Welt geschafft. Die andere Lösung besteht in einer feineren Differenzierung in Subvarietäten: Bei dieser Lösung werden im Rahmen einer Teilsprache weitere Differenzierungen vorgenommen, indem Subvarietäten unterschieden werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn im Rahmen eines Dialekts Ortssprachen unterschieden werden. Eine solche Differenzierung kann beliebig weit vorangetrieben werden, bis man bei Ideolekten landet, wo man dann feststellt, dass auch das Individuum sich sprachlich nicht immer gleich verhält, sondern z.B. je nach Situationstyp variiert. 87 Das gleiche Modell wird auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder angewendet. Diese Iteration löst aber nicht das Dilemma von (postulierter) Einheitlichkeit und (faktischer) Varianz, sondern reproduziert es lediglich auf immer tieferen Ebenen. (f) Abschließend stellt sich die Frage nach der empirischen Adäquatheit dieses Modells, also die Frage, ob es die innerhalb einer Sprache vorfindliche Varianz zumindest in ihrer Grundstruktur zufrieden stellend beschreiben kann. Dieses Problem der strukturellen empirischen Adäquatheit wird in der Literatur durchaus gesehen: Innerhalb einer Varietät muß eine gewisse Homogenität und Stabilität gefordert werden (auch wenn viele Soziolinguisten für jede Varietät eine innere Variabilität annehmen) [...] Kontroverser ist die Frage der Diskretheit der Varietäten. Während man sicher behaupten kann, daß 'Varietät' 'Diskretheit' implizieren müßte, [...] so scheint es den Tatsachen doch oft angemessener zu sein, die Varietäten als (konventionell bestimmte, nicht gut abgegrenzte) Verdichtungspunkte in einem Kontinuum zu verstehen. (Berruto 1987, S. 265). So unpräzise letztlich diese Ausführungen sind, sind sie doch als Ausdruck der Suche nach alternativen theoretischen Modellen verstehbar, die die faktischen Verhältnisse besser abbilden. Hierzu einige Andeutungen weiter unten in diesem Abschnitt. 87 Wunderbar prägnant hat dies Paul (1968, S. 38) formuliert: „In Wirklichkeit werden in jedem Augenblick innerhalb einer Volksgemeinschaft so viele Dialekte geredet als redende Individuen vorhanden sind, und zwar Dialekte, von denen jeder einzelne eine geschichtliche Entwicklung hat und in stetiger Veränderung begriffen ist.“ Eigenschaften gesprochener Sprache 146 (3) Das Merkmallistenkonzept Das typische Verfahren im Rahmen dieses dritten Konzepts besteht darin, eine vorverständliche Teilsprache (z.B. die Sprache der Jugend) mit einer anderen Form gesprochener Sprache zu vergleichen und eine Liste differierender Merkmale zu erstellen. Diese Liste - im Sinne einer unabgeschlossenen, ergänzbaren Menge von Merkmalen - ist die Operationalisierung der Varianz und wird als konstituierend für die betreffende Teilsprache angesehen. So kann z.B. versucht werden, Jugendsprache u.a. durch eine Liste jugendspezifischer Lexeme zu charakterisieren. Diese Merkmalliste ist zugleich ein Ausbuchstabieren der Spezifik der betreffenden Teilsprache. Die Merkmale beziehen sich auf sprachlich-kommunikative Verhaltensweisen, die beobachtet werden können. Im Fokus sind hier also primär nicht Unterschiede auf der Ebene von Regeln oder Konventionen. Die so gewonnenen Merkmale bestimmen die Spezifik in der Regel als einen quantitativen, nicht als einen absoluten Unterschied. D.h., es gibt kaum Merkmale, die exklusiv nur in der einen, nicht aber in der anderen Gruppe auftreten. Die Unterschiede sind quantitativer Natur. Das Merkmallistenkonzept wird häufig als Alternative zum Varietätenkonzept verstanden. So konstatiert z.B. Durrell (1998): Es gibt nämlich nicht wenige Forscher, die jede Annahme von diskreten Varietäten grundsätzlich ablehnen, z.B. Hudson (1980, 55): ‘Varieties do not exist except as informal ways of talking about collections of linguistic items which are roughly similar in their social distributions’. (S. 21). Im Merkmallistenmodell spielt das Konzept ‘Sprache’ nur noch implizit eine Rolle, insofern eine bei einem Sprecher beobachtete Abweichung als charakteristisch für eine Gruppe angenommen und mit der Ausprägung dieses Merkmals bei anderen Sprechern als Vertretern einer anderen Gruppe verglichen wird. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 147 (4) Das Stilkonzept Die zentrale Kategorie des Stilkonzepts ist die der Alternative. The common basis for stylistics and sociolinguistics is the assumption that human language is not homogeneous and not necessarily strictly determined in actual speech acts, but that basically there are several linguistic possibilities of formulation for the expression of facts or circumstances in every imaginable situation. (Spillner 1987, S. 273). For the process of verbal production, starting from synonymic varieties means that the speaker/ writer makes a selection from several facultative possibilities. (ebd., S. 276). Certainly, style only comes into being if the text contains formally describable (syntactic, lexical, etc.) features that can produce stylistic effects. But it is important that these features originate in a - conscious or unconscious - selection by the author from the linguistic possibilities of realization at his disposal and that in comparison with the other possibilities one can possibly relate a hypothesis on the author's stylistic intention to the linguistic form chosen. It is also important that a virtual feature of a text can only acquire stylistic qualities if it is noticed by the reader/ listener during the process of reception and actualized by his reaction. (ebd., S. 279). Stil ist demnach keine inhärente Eigenschaft von Äußerungen, Texten oder Kommunikationsweisen. Stil ist zwar eine Kategorie, die sich immer auf menschliche Handlungen bzw. deren Resultate bezieht; Stil ist aber nicht in einem materiellen Sinn in diesen Handlungen bzw. Handlungsresultaten enthalten. 88 Stil ist ein relationales Phänomen (vgl. Sandig 1995, S. 33). Stil als Kategorie emergiert immer dann, wenn - von den Kommunikationsbeteiligten und/ oder einem externen Analytiker - eine vergleichende Betrachtungsweise angewendet bzw. etwas auf der Folie oder vor dem Hintergrund alternativer Realisierungsmöglichkeiten wahrgenommen wird. Diese Sichtweise muss nicht notwendig immer eingenommen werden. Man kann etwas für sich betrachten, Handlungen oder Handlungsresultate als solche wahrnehmen. 89 Dann ist Stil keine relevante Kategorie. In diesem Sinne folgen 88 Wir sprechen uns damit mit Spillner (1987, S. 278) gegen eine „text-immanent conception of style“ aus und plädieren für eine Sichtweise, die Stil als Ergebnis eines vergleichenden, reflexiv-analytischen Prozesses versteht. 89 Wahrnehmung und Erkenntnis sind u.E. immer relational. Etwas ist nie per se ‘rot’ oder ‘groß’, sondern immer in Relation zu anderen Phänomenen, die ‘nicht rot’ bzw. ‘grün’ oder ‘nicht groß’ bzw. ‘kleiner’ sind. Diese Relationalität muß aber nicht immer im Zentrum des Bewusstseins stehen. Für viele Zwecke kann man von ihr absehen. Eigenschaften gesprochener Sprache 148 wir Sandig (1995, S. 28), wenn sie feststellt: „[...] es kann jede Sprachverwendung zum Gegenstand stilistischer Untersuchung gemacht werden“. Wir folgen aber nicht ihrer Aussage: „Jede Äußerung und jeder Text hat Stil“ (ebd.), weil sie zumindest die Gefahr einer verdinglichenden Sichtweise auf den Stilbegriff beinhaltet. Stil wird erst dann relevant und thematisch, wenn etwas in seinem So-Sein nicht einfach hingenommen wird, sondern wenn - aus welchen Gründen auch immer - sich die Frage nach einem möglichen Anders-Sein, nach Alternativen stellt. Der Vergleichshintergrund und die möglichen Alternativen können dabei unterschiedlich deutlich ins Bewusstsein treten. So zentral der Vergleich als Methode für die Identifizierung und Beschreibung von Stil ist (vgl. Fix 1991, S. 300), so wenig deutlich muss sein, was (welches Phänomen, welche Entität genau) dabei womit (mit welchen Alternativen) hinsichtlich welcher Merkmale nach welchen Kriterien auf welcher Ebene verglichen wird. Ja, sogar die Tatsache, dass etwas verglichen wird, muss nicht besonders deutlich ins Bewusstsein treten. 90 Es bestehen dabei sehr verschiedene Möglichkeiten des Vergleichs: So kann z.B. synchron-interpersonal oder personal-diachron verglichen werden. Im ersten Fall werden Handlungen miteinander verglichen, die von verschiedenen Personen im gleichen Zeitintervall getätigt werden, im zweiten die Handlungen einer Person zu verschiedenen Zeitpunkten. Der personaldiachrone Vergleich ist z.B. relevant, wenn - etwa bei einem Schriftsteller - Jugend- und Altersstil unterschieden werden. Bei der Untersuchung des Kommunikationsstils des Alters hingegen dominiert der synchron-interpersonale Vergleich: Das Kommunikationsverhalten alter Menschen wird zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dem anderer, nicht alter Personen in Beziehung gesetzt. Vor dem Hintergrund des dargestellten Verständnisses von Stil ist die Frage nach der Existenz eines Sprach- und Kommunikationsstils nur eine andere Formulierung der Frage nach der Spezifik bzw. den Spezifika des betreffenden sprachlich-kommunikativen Verhaltens. In beiden Fällen geht es um den 90 Man kann sich dies vor Augen führen, wenn man fragt, ob und womit denn verglichen wird, wenn man von jemandem sagt, dass er Stil hat oder dass sein Lebensstil leichtsinnig ist. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 149 Vergleich und die Bestimmung der Differenzdimensionen und -qualität. Es gibt einen identifizierbaren Sprach- und Kommunikationsstil genau in dem Maße, wie es gelingt, die Spezifik des betreffenden sprachlich-kommunikativen Verhaltens herauszuarbeiten und zu beschreiben. Damit besteht theoretisch kein wesentlicher Unterschied zu dem Merkmallistenkonzept, das ja ebenfalls auf die Explikation einer Spezifik hinausläuft. Das Stilkonzept, sofern es in der hier skizzierten Weise verstanden wird, ist lediglich die Verdoppelung der Frage nach der Spezifik in einer anderen Terminologie und Traditionslinie. Indem sich das Merkmallistenwie auch das Stilkonzept auf Unterschiede in Verhaltensweisen beziehen, unterscheiden sie sich deutlich vom Varietätenkonzept. (5) Das Registerkonzept Situationsbedingte Varianz im Rahmen des Sprachverhaltens der einzelnen Person wird mit dem Registerkonzept erfasst und beschrieben: In contrast to functional stylistics, which proceeds from a small number of domains of communication and assigns to them relatively closed subsystems of linguistic means on all levels of language [i.e. Teilsprachenkonzept; d. Verf.], registers are determined by the parameters of the communication situation. (Spillner 1987, S. 281). Usually we identify registers by taking the speaker as the invariable element in overlapping situations, and discussing how he adjusts his language to a situation. (Turner 1973, S. 165). Obviously, the speaker of a language has at his disposal different registers within his language with which he is able to adapt himself - largely unconsciously - to the respective conditions of a situation precisely by the selection of the suitable register. (Spillner 1987, S. 281). Theoretisch betrachtet stellen sich hier die gleichen Probleme wie beim Varietätenkonzept. (6) Das Konzept der Kontextsensitivität In der Konversationsanalyse spielt als Erklärungsmodell für Verhaltensvarianz in konkreten Situationen die Unterscheidung von Kontextunabhängigkeit und Kontextsensitivität eine wichtige Rolle. Situative Varianz ergibt sich als Resultat eines ‘Besonderungsprozesses’, in dem das allgemeinen Regeln folgende Handeln seine situationsangepasste, partikulare, lokale Gestalt erhält: Eigenschaften gesprochener Sprache 150 Die KA operiert dazu mit dem Modell des Handelnden als einem kontextsensitiven Akteur, der den Kontext seines Handelns analysiert, mit Hilfe seines Alltagswissens interpretiert und seine Äußerungen auf diesen Kontext einstellt. Dieses Prinzip der „lokalen Partikularisierung“ (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, S. 727) sorgt dafür, daß die nach situationsübergreifenden Regeln produzierten Äußerungen situativ adaptiert und damit „kontextualisiert“ werden. (Bergmann 1994, S. 8). Varianz ist so das Resultat einer kontextsensitiven, situationsanpassenden Anwendung genereller Strukturen und Regeln. Doch gerade weil der Vorgang des Miteinandersprechens in so verschiedenartigen Situationen durchgeführt, an ganz spezifische, jeweils einmalige Umstände angepaßt werden kann, muß von der Annahme ausgegangen werden: daß es einen formalen Apparat, eine „Gesprächsmaschine“ gibt, die selbst kontextunabhängig funktioniert. (Bergmann 1988, S. 43). Varianz entsteht als Resultat der Interaktion von allgemeinen Regeln und der je individuellen Wahrnehmung, Interpretation und Verarbeitung der Parameter der konkreten Situation. Wie die lokale, situative Adaption durchgeführt wird, ist keineswegs zufällig oder beliebig, sondern gehorcht ihrerseits allgemeinen Strukturierungsprozessen: Vielmehr geht sie [die Konversationsanalyse; d. Verf.] davon aus, daß der Besonderungsprozeß, in dem dieses soziale Ereignis seine partikulare Gestalt erhält, selbst wiederum bestimmt ist von allgemeinen Strukturprinzipien, die als solche erfaßt und beschrieben werden können. (Bergmann 1994, S. 8). (7) Das Konzept der offenen Systeme von Konventionen Das Konzept der offenen Systeme von Konventionen, wie es von Kummer (1975) vorgeschlagen worden ist, unterscheidet sich von den bisher betrachteten Modellen dadurch, dass es sich nicht um ein Varianten-Konzept, sondern um ein Kontinuumsmodell handelt. Es ist ein theoretisches Grundmodell, das in der Lage ist, ein Kontinuum von Varianz zu erfassen. In diesem Modell verliert das Konzept ‘Sprache’ (und alle abgeleiteten Begriffe) seinen zentralen Stellenwert. Ausgangspunkt ist das Individuum und ein offenes, ständiger Veränderung unterliegendes Reservoir von Konventionen, an dem die Individuen in unterschiedlicher Weise partizipieren. Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 151 Es gibt nach der hier vertretenen Auffassung keine einzelne Sprache, die durch ein festliegendes System von Regeln definiert ist, sondern nur untereinander ähnliche offene Systeme von Konventionen, die in Grenzen von Individuum zu Individuum variieren und niemals vollständige Verständigung erlauben. (ebd., S. 163). Kummer versteht Sprachbeherrschung als Beherrschung von Konventionen verschiedenen Typs. Die Sprachbeherrschung variiert von Individuum zu Individuum in Abhängigkeit davon, über welche Konventionen die Individuen jeweils aktiv oder passiv verfügen. Kummer benennt als Format für die Explikation von Konventionen Wenn-dann-Aussagen eines bestimmten Typs: Jede Konvention ist durch einen Bedingungsteil und einen Tätigkeitsteil gekennzeichnet. Im Bedingungsteil wird die Situation spezifiziert, auf die die Konvention Anwendung findet, und im Tätigkeitsteil wird angegeben, welche Tätigkeit nach der Konvention der Situation entspricht. Eine Tätigkeit folgt einer Konvention, wenn die Situation, in der die Tätigkeit abläuft, unter den Situationstyp fällt, der im Bedingungsteil der Konvention spezifiziert ist, und wenn die Tätigkeit dem Tätigkeitstyp entspricht, der im Tätigkeitsteil der Konvention angegeben ist. (ebd., S. 152-153). Die Formulierung einer Konvention hat demnach die Form eines bedingten Gebots: Wenn die Bedingungen X 1-n vorliegen, dann tu Y. Der Bedingungsteil besteht dabei aus einer Konjunktion von Bedingungen, die den Anwendungsbereich der Konvention spezifizieren. Im Tätigkeitsteil wird in imperativischer Form die Tätigkeit angegeben, die dem Anwendungsbereich entspricht. Wichtig erscheint dabei die imperativische Form der Regelformulierung. Denn die Aussage Wenn die Bedingungen X 1-n vorliegen, dann tut Person A/ tun die Personen A 1-n Y. formuliert eine Regelmäßigkeit (ein Gesetz etc.), aber keine Konvention, für die ja geradezu konstitutiv ist, dass sie nicht befolgt bzw. durchbrochen werden kann. Eigenschaften gesprochener Sprache 152 In Frage gestellt wird mit diesem Modell die Vorstellung der Existenz von einheitlichen und homogenen (Teil-)Sprachen: In diesem Sinn hebt die Auffassung von dem Aufbau einer Sprache aus Konventionen verschiedenen Typs teilweise das Konzept eines idealisierten „Sprachsystems“ auf, das für alle Mitglieder einer „Sprachgemeinschaft“ Gültigkeit hätte und dessen Grenzen die Grenzen dieser Gemeinschaft markieren. Einzelne Konventionen, etwa Verkettungskonventionen, können in ihrem Geltungsbereich weit über eine „Sprachgemeinschaft“ hinausreichen und im Extremfall sprachuniversal sein, andere Konventionen gelten nur in Subgruppen innerhalb einer angenommenen „Sprachgemeinschaft“. (Kummer 1975, S. 161). Die beiden genannten Modellvorstellungen, nämlich, dass Individuen über untereinander ähnliche - aber eben nicht identische - offene Systeme von Konventionen verfügen und dass sich Konventionen in der Reichweite ihrer Verbreitung unterscheiden, ermöglichen in ihrem Zusammenspiel die Modellierung kontinuierlicher Übergänge. Der Preis ist klar: Es gibt keine klar abgrenzbaren Gruppensprachen, Varietäten, Soziolekte, Register oder Sprachen mehr. Auch wenn diese Modellvorstellungen noch keineswegs hinreichend ausgearbeitet sind, wird doch mit der Relativierung des Sprachkonzepts zugunsten eines Modells mit den Grundkomponenten ‘Individuum’ und ‘Konvention’ der Weg zu einer Dynamisierung des statischen Konzepts Sprache eingeschlagen, die empirisch adäquater und für die Modellierung von Varianz erfolgversprechender sein kann. Das Modell ermöglicht die Rekonstruktion der empirisch vorfindbaren vielfältigen Varianz einerseits und andererseits die Bestimmung derjenigen Konventionen, die möglicherweise gemeint sind, wenn von einer einheitlichen Sprache gesprochen wird. Verwiesen wird man mit diesem Programm auf die Notwendigkeit, die individuellen Konventionssysteme und das, worin sie sich genau unterscheiden, zu rekonstruieren und zu beschreiben, sowie empirisch fundiert die Verbreitung bzw. Reichweite einzelner Konventionen anzugeben. U.E. ist dies auch ein heilsames Korrektiv gegen vorschnelle Verallgemeinerungen und gegen eine Zuschreibung von Konventionen oder Verhaltensweisen allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (also ohne dass die Zuschreibung empirisch überprüft worden wäre). Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 153 Als Konsequenz der Sichtung der wichtigsten wissenschaftlichen Modelle zur Erfassung und Beschreibung von Varianz erscheint es uns theoretisch geboten, Modelle, die Homogenitätsannahmen implizieren oder nahe legen, durch andere theoretische Grundmodelle zu ergänzen, die es erlauben, ein Kontinuum von Varianz zu erfassen. Dies wird auch durch neuere Arbeiten gestützt, die auf die Schwierigkeiten verweisen, Varietäten empirisch klar gegeneinander abzugrenzen. So stellt z.B. Durrell (1998) hinsichtlich der Beschreibung der sprachlichen Gegebenheiten in Ober- und Mitteldeutschland fest: Die Schlußfolgerung liegt nahe, daß das Postulat einer geregelten Hierarchie von diskreten Varietäten kein adäquates Modell der sprachlichen Gegebenheiten in Ober- und Mitteldeutschland darstellt. Eher haben wir es mit einem heterogenen, komplexen und instabilen Sprachgebilde zu tun, das in jeder Ortschaft bei jedem einzelnen Sprachteilhaber anders gestaltet ist. (ebd., S. 20). Entsprechend plädiert Durell (1998, S. 21ff.) bei der Beschreibung dieser Sprachverhältnisse für ein Kontinuumsanstelle eines Stufenmodells. 6.5 Problematik und Funktionalität von Varianz Wir haben Varianz als ein Grundphänomen gesprochener Sprache bezeichnet. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese Varianz durchaus janusköpfig ist. Einerseits ist sie Grundlage für die Vielfältigkeit gesprochener Sprache und erfüllt eine Reihe unten näher zu bezeichnender positiver Funktionen; auf der anderen Seite erschwert sie eine problemlose Verständigung, und dies umso mehr, je ausgeprägter sie ist. Sprachentwicklung ist so von zwei Tendenzen geprägt: der Tendenz der Ausweitung von Varianz auf der einen Seite und dem Streben nach Gleichförmigkeit andererseits. Diese Dialektik prägt alle sprachlich-kommunikativen Veränderungsprozesse. Fragt man nach den Ursachen für die Entstehung von Varianz, so sind drei Komplexe zu benennen: Zum einen entsteht Varianz dort, wo die Kontaktdichte zwischen Personengruppen so gering ist, dass für das gleiche Phänomen unterschiedliche Konventionen ausgebildet werden. Hier greift die Notwendigkeit bzw. der Zwang zur Gleichförmigkeit (als Voraussetzung für Eigenschaften gesprochener Sprache 154 die Möglichkeit der Verständigung) nicht. Dies ist die Situation verschiedener Sprachen oder räumlich auseinander liegender Dialekte, aber auch die Situation von isolierten Personengruppen in einer Gesellschaft. Zum zweiten entsteht Varianz immer dann, wenn Personen bzw. Personengruppen auf Veränderungen jeglicher Art mit der Ausbildung entsprechender neuer sprachlicher Mittel reagieren. Hier deckt sich zunächst Varianz mit sprachlicher Innovation. Jeder so induzierte Sprachwandel hat zunächst den Status einer punktuellen Varianz, bevor er sich dann u.U. ausweitet und die entsprechenden Konventionen Allgemeingut werden. Variationen der Redeweise sind nicht Selbstzweck, und sie gründen sich in der Regel auch nicht auf zufälliges Nebeneinander mehrerer Möglichkeiten, dem nachträglich ein Sinn gegeben wird, vielmehr entstehen sie in ihrem wesentlichen Teil aus sich differenzierenden kommunikativen Bedingungen mit der ihnen zukommenden Bedeutung. (Hartung 1981, S. 23). Eine dritte Form der Varianz entsteht durch mehr oder minder bewusste und gewollte Abweichungen von etablierten Konventionen. Ihre Funktion besteht vor allem in der Ausbildung bzw. Bestätigung von individueller wie auch von Gruppenidentität. So ist z.B. im Moment zu beobachten, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen alternative Begrüßungskonventionen ausbilden, indem sie das Händeschütteln durch ein Umarmen und auf die Wange Küssen ersetzen. (Instabilität besteht hier noch bezüglich der Anzahl.) Fragt man nach den Folgen von Varianz, so stellt sie einerseits ein Problem und eine Erschwernis für die Verständigung dar. Ein bestimmtes Maß an Einheitlichkeit und Gleichförmigkeit ist Voraussetzung für Verständigung. Dieses Maß variiert allerdings in Abhängigkeit von verschiedenen Anspruchniveaus hinsichtlich der Güte der Kommunikation. Auf der anderen Seite zählen zu den Folgen der Varianz positive Leistungen wie die sprachliche Anpassung an neue Gegebenheiten und die Ausbildung von Identität (s.o.). Der kommunikative Umgang mit Varianz ist geprägt zum einen von Tolerierung und zum anderen von Versuchen der Reduktion von Varianz. Tolerierung ist möglich auf der Grundlage von Wissen um die Abweichung(en). Wenn man weiß, dass im Pfälzer Raum mit ‘Reitschul’ auch ein Kinderka- Charakterisierung der Spezifik mündlicher Kommunikation 155 russell gemeint sein kann, so stellt diese Varianz für die Verständigung kein Problem mehr dar, und sie kann, wenn keine Seite bereit ist, sich im Sprachgebrauch der anderen anzupassen, zumindest toleriert werden. Vielfach kommt es aber - auf der Grundlage von normativen Vorstellungen über (gesprochene) Sprache - zu Versuchen, die Varianz zugunsten von Gleichförmigkeit zu reduzieren. Bei diesen normativen Vorstellungen handelt es sich im Wesentlichen um Korrektheitsvorstellungen der Sprecher und Sprecherinnen. Diese Korrektheitsvorstellungen variieren in Grenzen von Person zu Person, sie sind aber auch unterschiedlich je nachdem, ob der primäre Fokus unmittelbare Verständigung oder Sprachreflexion bzw. -beurteilung ist. Im Verständigungsprozess kommen Korrektheitsvorstellungen dann zum Tragen, wenn Abweichungen die Verständigung erkennbar beeinträchtigen. In Situationen der Sprachreflexion und -beurteilung spielen Korrektheitsvorstellungen eine sehr viel prominentere Rolle, insbesondere kommen dann auch Korrektheitsvorstellungen aus dem Bereich der geschriebenen Sprache zur Anwendung (z.B. bestimmte Vollständigkeitsvorstellungen hinsichtlich des Formulierens), die auf den Bereich der gesprochenen Sprache übertragen werden. Verständigungsprozesse sind von einem kontinuierlichen Monitoring begleitet, das das Gelingen der Kommunikation überprüft. Dieses Monitoring erfolgt u.a. auch auf der Basis von Korrektheitsvorstellungen. Weicht die beobachtete Sprachproduktion und Verständigung von diesen Vorstellungen ab, kann es zur Sanktionierung und/ oder Korrektur der Abweichungen kommen (vgl. Goes 2001, Kap. 3). Dies geschieht in Form von Selbst- und Fremdkorrekturen, 91 wobei hier nur der Teil von Korrekturen relevant ist, der sich auf sprachliche Korrektheit bezieht. Korrekturen sind damit kommunikative Verfahren, die der Limitierung und Reduktion von Varianz in unmittelbarer Interaktion dienen. Besondere Bedeutung haben Korrekturen in Institutionen des Sprachlehrens und -lernens, z.B. im muttersprachlichen Unterricht der Schule (z.B. ‘Sprich hochdeutsch.’ oder ‘Sprich im ganzen Satz.’). Korrekturen haben normierenden Charakter und tragen zur Gleichförmigkeit gesprochener Sprache und zur Stabilisierung ihres Regelsystems bei. Andere nichtinteraktive Mechanismen der Varianzreduzierung sind z.B. 91 Vgl. die umfangreiche Literatur zu Reparaturen, u.a. Uhmann (1997), und die Typologie der Funktionen von Bewältigungsreaktionen auf Abweichungen bei Goes (2001, Kap. 5). Eigenschaften gesprochener Sprache 156 die Orientierung und sprachliche Anpassung an Vorbilder, z.B. an das sprachliche Verhalten von Mediensprechern. Ihr sprachliches Verhalten wird dabei als korrekt gesetzt und erlangt so normative Kraft. In die Korrektheitsvorstellungen fließt all das ein, was (von den Eltern, in der Schule etc.) normativ über sprachliche Korrektheit gelernt wurde. Sie sind ganz wesentlich von den Korrektheitsvorstellungen aus dem Bereich der geschriebenen Sprache geprägt, die dort jedoch einen anderen Stellenwert haben und notwendigerweise viel strikter sind. II. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache So einsichtig und unverfänglich der Begriff ‘gesprochene Sprache’ zunächst auch scheint, hat er sich doch im Verlauf der Überlegungen in Hauptteil I als eine nicht unproblematische Kategorie erwiesen. In erster Linie hat er seinen Stellenwert in der Gegenüberstellung zu geschriebener Sprache, wenn es darum geht, durch den Vergleich beider Formen vor allem Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit herauszuarbeiten. Nur in zweiter Linie ist er genutzt worden, um die Vielfalt der Formen mündlicher Verständigung zugleich zusammenzufassen wie auch gegeneinander abzugrenzen, um sie so zu differenzieren und zu systematisieren. Diese zweite Linie haben wir im ersten Hauptteil aufgegriffen. Der Gebrauch des Begriffs ‘gesprochene Sprache’ im Kontext des Vergleichs hat nun - wie wir in Abschnitt I.5. gezeigt haben - eine Reihe problematischer Folgen, an die mit den Stichwörtern ‘Homogenisierung’ und ‘Prototypisierung’ erinnert sei: Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen mündlicher Verständigung - den kommunikativen Praktiken, wie wir sie genannt haben - werden tendenziell vernachlässigt oder nicht wahrgenommen vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass alles, was gesprochen wird, gleich gesprochen wird, also den gleichen Regeln unterliegt und die gleichen Eigenschaften besitzt. Auch die Prototypisierung, die darin besteht, nur bestimmte Formen mündlicher Verständigung (als die wesentlichen, ursprünglichen, besonders typischen etc.) in Betracht zu ziehen, leistet einen Beitrag zu dieser Homogenisierung. Resultat dieser Prozesse ist, dass gesprochene Sprache als einheitlich erscheint und als solche einer ebenfalls als homogen verstandenen geschriebenen Sprache gegenübergestellt werden kann. Sind gesprochene und geschriebene Sprache als jeweils homogen gedacht, schließt sich konsequent die Frage an, ob die konstatierten Unterschiede groß genug sind, um auf zwei verschiedene zugrunde liegende Sprachsysteme zu schließen, oder ob es sich nur um Varianten eines gemeinsamen Systems handelt. Eigenschaften gesprochener Sprache 158 In Hauptteil I haben wir gegen eine solche Homogenisierung und Prototypisierung argumentiert, indem wir das Konzept der kommunikativen Praktiken eingeführt haben. Kommunikativen Praktiken liegen partiell unterschiedliche Regelsysteme zugrunde. Diese konstituieren die Unterschiedlichkeit und die Unterscheidbarkeit der Praktiken, und die zentrale analytische Aufgabe besteht darin, diese Unterschiede zu explizieren. Wir betonen damit, dass Sprechen nicht gleich Sprechen ist, dass kommunikative Praktiken sich hinsichtlich kommunikativer Verfahren und sprachlicher Mittel - in unterschiedlichem Ausmaß - voneinander unterscheiden. Forschungsstrategisch bedeutet dies, das Augenmerk mehr auf die Unterschiede als auf die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Formen mündlicher Verständigung zu lenken. Die Kategorie ‘gesprochene Sprache’ birgt aber auch noch in anderer Hinsicht Probleme. Ein weiteres zentrales Problem ist das der Zugänglichkeit und Erkennbarkeit von gesprochener Sprache. Auch wenn gesprochene und geschriebene Sprache regelmäßig zusammen genannt und gegenübergestellt werden, stellt sich der analytische und kategoriale Zugang zu ihnen - so die These des Hauptteils II - sehr unterschiedlich dar. Die folgenden Ausführungen, die diesem Problem nachgehen, sind damit dominant methodologisch ausgerichtet. In Abschnitt II.1. werden wir darstellen, dass sowohl das Sprachbewusstsein wie auch die Sprachwissenschaft einem ‘written language bias’ (Linell 1982) unterliegt. Dies bedeutet nicht nur, dass geschriebene Sprache ihr zentraler Untersuchungsgegenstand ist, sondern dass als Folge dieses Bias eine Tendenz besteht, gesprochene Sprache auf der Folie geschriebener zu verstehen. Dies betrifft insbesondere auch die Kategorien, die zur Beschreibung und Analyse von gesprochensprachlichen Phänomenen verwendet werden. Vielfach sind es an der Schriftsprache orientierte Kategorien, die in den Bereich des Mündlichen übertragen werden, die aber für die Beschreibung und Analyse der dort anzutreffenden Phänomene nur bedingt geeignet sind. Aufgabe des Abschnitts II.1. ist es, eine solche Kategorienreflexion und -kritik in Ansätzen zu leisten. Im Abschnitt II.2. wird dann exemplarisch an der Frage nach den Grundeinheiten gesprochener Sprache gezeigt, welche Kategorien hier vorgeschlagen worden sind, mit welchen Problemen sie behaftet sind, und was wir als grundlegende Einheiten des Mündlichen ansehen. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 159 1. Reflexion und Kritik der Analyse- und Beschreibungskategorien Auch wenn die Begriffe ‘gesprochene Sprache’ und ‘geschriebene Sprache’ häufig als Paar auftreten und so als Untersuchungsgegenstände gleichen Rangs erscheinen, ist doch der erkenntnismäßige Zugang zu ihnen nicht gleichartig. Es führt kein direkter Weg zur gesprochenen Sprache, sondern ihre Erkenntnis erfolgt in weiten Bereichen vermittelt über das, was wir von geschriebener Sprache wissen. Unter den Bedingungen einer entwickelten Schriftlichkeit ist das gesellschaftliche Sprachbewusstsein schriftsprachlich geprägt. Unsere Vorstellungen darüber, was Sprache ist, leiten sich primär aus dem Umgang mit und der Reflexion von geschriebener Sprache her. Die Gründe, warum die geschriebene und nicht die gesprochene Sprache das Sprachbewusstsein prägt, sind vielfältig. Wir wollen nur drei kurz ins Gedächtnis rufen: - Die Schwierigkeiten der Textproduktion richten das Bewusstsein stark auf die Strukturen und Eigenschaften der geschriebenen Sprache. Die Leichtigkeit und der automatische Charakter des Sprechens hingegen bewirken, dass gesprochene Sprache nicht in gleicher Weise ins Zentrum der Aufmerksamkeit und des Sprachbewusstseins rückt. - Die ‘Anschaubarkeit’ und die Dauerhaftigkeit von Texten - im Gegensatz zur Auditivität und Flüchtigkeit der gesprochenen Sprache - begründen ihre objektmäßige Präsenz und haben seit jeher die Reflexion schriftlicher Texte systematisch begünstigt, bis hin zur Gleichsetzung von geschriebener Sprache mit Sprache überhaupt. - Geschriebene Sprache wird gesellschaftlich als wichtiger angesehen und höher bewertet als gesprochene. Entsprechend groß ist der Aufwand, der für den Schriftspracherwerb und die Schulung der Schreibfähigkeiten getrieben wird. So besitzt in der schulischen Sozialisation die Schriftsprache eindeutig das Primat. Schriftspracherwerb und das Erstellen aller Formen schriftlicher Texte haben dort ein deutliches Übergewicht gegenüber der Schulung mündlicher Kommunikation. Ferner gilt in vielen Kontexten nur das als verlässlich, bedeutsam und wertvoll, was geschrieben steht. Eine Folge der Bedeutsamkeit und Wertschätzung von geschriebener Sprache ist auch der Aufwand, der für die Aufbewahrung von Schriftprodukten (Bibliotheken, Archive) betrieben wird. Dem steht Eigenschaften gesprochener Sprache 160 nichts Vergleichbares für die gesprochene Sprache gegenüber, auch wenn es inzwischen vielfältige Bemühungen gibt, Korpora gesprochener Sprache aufzubauen und zu archivieren. 92 Dies und Weiteres tragen dazu bei, dass das Bild von Sprache durch die Schriftsprache bestimmt wird. Die geschriebene Sprache prägt aber nicht nur das gesellschaftliche Sprachbewusstsein, sie prägt gleichermaßen auch die Sprachwissenschaft als den Ort der systematischen Reflexion von Sprache. Auch dort waren und sind nach wie vor schriftsprachliche Produkte der primäre Untersuchungsgegenstand, sei es in Form schriftlicher Texte oder in Form von Beispielsätzen, die auf der Grundlage eines schriftsprachlich geprägten Bewusstseins schriftnah produziert werden. Die Schrift- und Textlastigkeit der Sprachwissenschaft betrifft aber nicht nur die Daten, die als Untersuchungsgegenstand dienen, sondern auch die Analyse- und Beschreibungskategorien als Untersuchungsinstrumente. Die überwiegende Zahl der linguistischen Kategorien wurde in der und für die Analyse geschriebener Texte entwickelt und dann in Grammatiken zu einem relativ festen Satz von Analyse- und Beschreibungskategorien kanonisiert. Beispiele für solche Kategorien sind ‘Satz’, ‘Wort’, ‘Anakoluth’, ‘Elision’ etc. Diese grammatischen Beschreibungskategorien sind - wie alle Kategorien - funktional ihrem Gegenstand angepasst, und das heißt der Analyse und Beschreibung von geschriebener Sprache. Diese schriftsprachlich orientierten Analyse- und Beschreibungskategorien sind zudem das einzige voll entwickelte Kategoriensystem. Ein Kategoriensystem, das in ähnlicher Weise funktional auf die gesprochene Sprache zugeschnitten wäre, existiert im Moment nur in Ansätzen. So ist das schriftsprachlich dominierte Sprachbewusstsein zwangsläufig die Grundlage für das Verständnis und die Erkenntnis von gesprochener Sprache: Gesprochene Sprache wird in der Regel durch die Brille der geschriebenen wahrgenommen, Schriftlichkeit ist das Modell für das Verständnis von Mündlichkeit. 92 Vgl. z.B. die Datenbank Gesprochenes Deutsch des Instituts für Deutsche Sprache ( http: / / dsav-wiss.ids-mannheim.de/ DSAV/ ). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 161 Günther (1995) hat diese These (im Anschluss an Olson 1993) auch in einer historischen Perspektive ausbuchstabiert: Er stellt dar, dass die Schriftsprache nicht statisch ist, sondern sich in einem geschichtlichen Prozess entwickelt, in dem er eine semantische, eine phonografische und eine grammatische Phase unterscheidet. Für alle drei Phasen exemplifiziert er seine zentrale These: „Die Schrift fungiert als Modell für die (Analyse der) Lautsprache.“ Günther (1995, S. 17). So zeigt er für die phonografische Phase, wie die Segmentierung der gesprochenen Sprache in Wörter an die räumlichdiskrete Organisation der visuellen Symbole gebunden ist. Das andere Medium ist es, das überhaupt erst, modellhaft, die Vorstellung diskreter Einheiten im kontinuierlichen Lautstrom ermöglicht. Wo visuell im Raum eine Einheit begreifbar wird, kann man auch auditiv im Zeitverlauf nach Abschnitten suchen. Den visuellen Einheiten wird in der Lautsprache etwas zugeordnet: Die Schreiber entdecken, daß man entsprechende Einheiten auch in der Lautsprache rekonstruieren kann. Sie sehen zum ersten Mal gesprochene Wörter. (Günther 1995, S. 19). Die Entwicklung der Schreibung in der grammatischen Phase (vgl. die instruktive schematische Darstellung in Günther 1995, S. 21) ist dadurch gekennzeichnet, dass zunehmend grammatische Kategorien, die der Analyse geschriebener Sprache dienen, auch im Schriftbild visualisiert werden: Im Geschriebenen wird die grammatische Organisation sichtbar. (Günther 1995, S. 22). Damit sind zentrale Kategorien zur Analyse von Schriftlichkeit nicht abstrakt oder äußerlich, sondern sie manifestieren sich in der Form der Schriftlichkeit. Sie sind dort vergegenständlicht, und jeder Blick auf einen Text führt sie vor Augen. So wird das ‘Wort’ (was schriftsprachgeschichtlich keineswegs immer so war) durch die Spatien sichtbar, der ‘Satz’ durch die Großschreibung am Anfang und den abschließenden Punkt, der ‘Nebensatz’ durch das Komma, das ‘Hauptwort’ - im Deutschen - durch seine Großschreibung etc. Diese Kategorien werden im Entwicklungsprozess der Schriftsprache als (sich verändernde) Form der Schriftlichkeit ausgearbeitet. Einmal entwickelt, ist die Aktivierung und Anwendung dieser Kategorien Voraussetzung jeder korrekten Textproduktion. U.a. dies ist es, was den Schriftspracherwerb so schwierig macht. Die permanente Aktivierung und Anwendung der Kategorien bei jedem Akt des Schreibens macht deutlich, welch intensiv prägenden Einfluss sie auf das Sprachbewusstsein haben. Eigenschaften gesprochener Sprache 162 Sind diese Kategorien am Schriftlichen entwickelt (und in der Form des Schriftlichen ‘festgeschrieben’), wird es auch möglich, sie auf das Mündliche zu übertragen: „Jede Neuentwicklung der Schrift führt zur ‘Entdeckung’ weiterer Eigenschaften in der Lautsprache“ (Günther 1995, S. 19). Der Unterschied zu den Übergängen von semantischer zu phonographischer Phase besteht darin, daß die Schreiber nun erstmals grammatische Einheiten sehen und dadurch auch hören können. (ebd., S. 22). Die stufenweise Entwicklung der Schriftlichkeit ist so die Voraussetzung für die sukzessive Modellierung der gesprochenen Sprache - eben nach dem Modell der Schriftsprache. Ohne sie wäre ein differenziertes Bild der gesprochenen Sprache nicht möglich. Die Übertragung der Kategorien für die Analyse geschriebener Sprache auf die gesprochene führt aber auch zu der Erfahrung, dass sie Mündlichkeit nicht voll erfassen. Diese Differenzen, die sich aus dem Eigencharakter des Mündlichen ergeben und die Spezifika der gesprochenen Sprache betreffen, werden dann aber zunächst nicht mit gegenstandsangemessenen Kategorien belegt, sondern als Abweichungen von den in der geschriebenen Sprache vorgefundenen Verhältnissen beschrieben und kategorial gefasst: z.B. Elision, Verschleifung, Ellipse, größere Häufigkeit von Anakoluthen in der gesprochenen Sprache etc. Darüber hinaus werden diese Abweichungen häufig nicht nur konstatiert, sondern zugleich implizit oder explizit negativ bewertet. Die Wahrnehmung dieser Abweichungen führt zu Auffassungen, dass gesprochene Sprache häufig fehlerhaft, weniger regelhaft oder chaotisch sei: Die geschriebene Sprache tritt als Zensor der mündlichen auf und erteilt ihr das Verdikt, sie sei unrein, unzureichend, negativ zu bewerten. (Ehlich 1986a, S. 77-78). Einen anderen Ausweg aus diesem Problem der Wahrnehmung von Abweichungen stellt der (normative) Versuch dar, Mündlichkeit an das Modell der Schriftlichkeit anzupassen. Seinen prominentesten Ausdruck findet dieses Programm in der (pädagogischen) Maxime ‘Sprich im ganzen Satz’ oder in der Wertschätzung des Wie-gedruckt-Redens. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 163 Wenn gesprochene Sprache nach dem Modell und durch die Brille der geschriebenen erkannt wird, dann heißt das, dass auch Vorstellungen über die Art der Einheiten und über Wohlgeformtheitsbedingungen für Einheiten aus dem Bereich der geschriebenen auf die gesprochene Sprache übertragen werden. Was die Einheiten angeht, sind es vor allem die Kategorien ‘Satz’, ‘Wort’ und ‘Buchstabe’, die hier relevant werden. Einheiten wie ‘Absatz’, ‘Kapitel’ oder ‘Text’ bleiben bei der Betrachtung von gesprochener Sprache außer Acht, weil ihnen eine direkte Entsprechung im mündlichen Bereich fehlt. Buchstabe, Wort und Satz prägen dem Gesprochenen eine Segmentierung nach dem Vorbild der geschriebenen Sprache auf. Auf der Ebene von Buchstabe und Wort kommt dabei die Vorstellung diskreter Laute und Wörter zum Tragen, die den Verhältnissen im Mündlichen allerdings wenig gerecht wird. 93 Die Übertragung der Wohlgeformtheitsvorstellungen für schriftsprachliche Wörter und Sätze zieht die Feststellung nach sich, dass das Mündliche diesen in vieler Hinsicht nicht entspricht und führt - wie oben schon ausgeführt - zur Ausbildung von Defizienzkategorien. Darüber hinaus wird aber auch eine Produktperspektive an die gesprochene Sprache herangetragen. Da Texte in der Regel nur als materielle Endprodukte gegeben sind, die den Entstehungsprozess nicht mehr erkennen lassen, wird diese Sichtweise auch für gesprochene Sprache konstitutiv. Wir werden darauf zurückkommen, dass dies nicht gegenstandsangemessen ist. Das Verständnis der gesprochenen Sprache nach dem Modell der geschriebenen und die Übertragung von Analyse- und Beschreibungskategorien, die für das Schriftsprachliche entwickelt wurden, in den Bereich der Mündlichkeit erscheint so lange nicht problematisch, wie man annimmt, dass beides in einheitlicher Weise Sprache ist und dass die Unterschiede eher akzidentiell als essenziell sind. 94 An der Einheitlichkeit zu zweifeln, besteht zunächst 93 „So wundert es nicht, daß manche Sprachwissenschaftler die Phonemstruktur für ein Epiphänomen des Alphabets halten und eine Projektion von Schriftförmigem auf den kontinuierlichen Lautfluß vermuten.“ (Krämer 1996, S. 104). 94 Eine solche Position ist konstitutiv für Sprachkonzeptionen, die Sprache als medienunabhängiges bzw. -neutrales Phänomen verstehen: „Man muß zwischen den sprachlichen Signalen und dem Medium, in dem die Signale realisiert werden, unterscheiden. [...] Soweit Sprache in diesem Sinne unabhängig von dem Medium ist, in dem die sprachlichen Signale realisiert werden, behaupten wir, daß Sprache die Eigenschaft hat, nicht an ein Medium gebunden zu sein.“ (Lyons 1983, S. 19-20). Solche Konzeptionen sind in der jün- Eigenschaften gesprochener Sprache 164 auch kein Grund: Beide Kommunikationsformen dienen der Verständigung und weisen dem Anschein nach viele Ähnlichkeiten auf, zumal durch die Brille der geschriebenen Sprache dominant nur die Phänomene und Bereiche wahrgenommen werden, in denen Entsprechungen bestehen oder in die sie zumindest hineinprojiziert werden können. Problematisch ist eine Übertragung von Kategorien jedoch, wenn diese Einheitlichkeit nicht der Sache nach besteht, sondern lediglich ein Resultat der Projektion ist. In der Tat ist die Einheitlichkeit bzw. Strukturäquivalenz von gesprochener und geschriebener Sprache in verschiedener Hinsicht und mit unterschiedlichen Argumenten bestritten worden. So vertritt z.B. Krämer (1996, S. 103) die These, dass es begründete Zweifel daran gibt, dass die mündliche Sprache ein disjunktives und endlich differenzierbares Symbolschema 95 darstellt, wie es bei der geschriebenen der Fall ist. Doch ist zu vermuten, daß der vielleicht folgenreichste Aspekt, der mit dem vorliegenden Schriftbegriff zu gewinnen ist, gerade darin besteht, daß er eine medienzentrierte Abgrenzung zwischen Sprachen und Schriften, damit auch zwischen geschriebener und gesprochener Sprache erlaubt. Und diese liegt nicht in der Unterscheidung von Phonischem und Graphischem, von Sprache der Nähe und der Distanz, sondern darin, daß mündliche Sprachen nicht als disjunktive, endlich differenzierbare Schemata gelten können. (Krämer 1996, S. 103). Vor diesem Hintergrund kommt sie zu der These: Der sprachwissenschaftliche „Skriptizismus“ besteht darin, Sprache zu behandeln, als ob sie ein disjunktives, endlich differenzierbares System sei. Dies ist eine für das Studium der Sprache unabdingbare wissenschaftliche Fiktion. (Krämer 1996, S. 107; gemeint ist mit ‘Sprache’ hier gesprochene Sprache; d. Verf.). geren Geschichte der Sprachwissenschaft die gängigen. Zu ihnen gehören insbesondere auch Auffassungen, die ein medienneutrales Sprachsystem postulieren. 95 „Die strukturellen Eigenschaften, um die es hier geht, gruppieren sich um die Frage, ob Materialien Zwischenräumlichkeit zulassen oder ob sie dicht sind.“ (Krämer 1996, S. 99). „Während die Disjunktivität sicherstellt, daß Marken, die zu demselben Zeichen gehören, füreinander austauschbar sind, gewährleistet die Differenzierbarkeit, daß es überhaupt möglich ist, korrekt zu entscheiden, daß zwei Marken zu demselben Zeichen gehören.“ (ebd., S. 101). Zu genaueren Ausführungen zu Schrift als disjunktivem und endlich differenzierbarem Symbolschema vgl. ebd., S. 99ff. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 165 Eine skeptische Haltung, was die Übertragbarkeit grammatischer Kategorien angeht, findet sich aber auch schon in der Frühphase der Entwicklung der Gesprochenen-Sprache-Forschung in der Bundesrepublik: Im hier behandelten Zeitraum [1965-1973; d. Verf.] kommt es dabei zu einer Kontroverse, ob die gesprochene Sprache überhaupt mit den aus der Schriftsprache gewonnenen grammatischen Kategorien beschrieben werden kann und nicht vielmehr andersartige Beschreibungsmodelle erfordere [...] (Betten 1977, S. 346). Die Erkenntnis gesprochener Sprache wird also erschwert und die Dominanz der geschriebenen Sprache im Sprachbewusstsein immer von neuem perpetuiert durch die Tatsache, dass zentrale Analyse- und Beschreibungskategorien schriftsprachlich ausgerichtet sind. Es bedarf deshalb der theoretischen Reflexion und Kritik der gängigen Analyse- und Beschreibungskategorien sowie der Entwicklung modifizierter, gegenstandsangepasster Kategorien, um die Ablösung von der Schriftorientierung nicht nur auf der Daten-, sondern auch auf der Kategorienebene vollziehen zu können. Während bei der Verfügbarkeit gesprochener Sprache durch die Entwicklung von Aufzeichnungs- und Wiedergabegeräten sowie von Transkriptionssystemen qualitative Fortschritte erzielt wurden, hat der Prozess der Reflexion und Entwicklung von Kategorien keinen vergleichbaren Stand erreicht. Die Entwicklung gegenstandsangemessener Analyse- und Beschreibungskategorien für mündliche Kommunikation verlief dort relativ unproblematisch, wo es um Phänomene geht, die keine unmittelbare Entsprechung im schriftlichen Bereich haben. In dem Maße, wie authentische gesprochensprachliche Daten zur Verfügung standen, setzte zunächst im Rahmen der Pragmatik und dann in den verschiedenen Varianten der Gesprächsforschung der Prozess der Kategorienentwicklung ein, um die Andersartigkeit dieses Materials zu erfassen. Dabei wurden aus dem Spektrum der Mündlichkeit vor allem die Formen betrachtet, bei denen eine Kopräsenz der Parteien und die Wechselseitigkeit der Wahrnehmung gegeben ist und bei denen kommunikative Aktivitäten zudem die zentrale Tätigkeitsform darstellen. So waren es vor allem Phänomene der Interaktivität, für die Kategorien entwickelt wurden. In den Blick genommen wurden zunächst die Gesprächsorganisation (turn-taking) und verschiedene Aspekte der Äußerungsorganisation (Gliederungssignale, Höreräußerungen, Reparaturen), in der Folge dann kommunikative Verfahren (Präferenzorganisation) und Strukturen von Ge- Eigenschaften gesprochener Sprache 166 sprächen (Muster, Handlungsschemata) sowie spezifische Aufgabenkonturen einzelner Gesprächstypen (Erzählungen, Beratungen etc.). Als Resultat dieser Entwicklungen hat sich die Gesprächsforschung als Disziplin mit einem eigenständigen Gegenstandsbereich und einer spezifischen Methodologie etabliert. Ganz anders steht es um die Kategorienentwicklung im grammatischen Bereich. Da hier ein entwickeltes Kategorieninventar aus dem Bereich des Schriftlichen zur Verfügung steht, wurden diese Kategorien zunächst für die Beschreibung des Mündlichen übernommen bzw. - wenn ihre Übertragung Probleme bereitete - gegebenenfalls adaptiert. Exemplarisch lässt sich dies an der Frage nach den grundlegenden Einheiten des Mündlichen verfolgen. Hier wurde zunächst versucht, die grundlegende Einheit des Schriftlichen - den Satz - auf das Mündliche zu übertragen. In dem Maße, wie dies Schwierigkeiten bereitete, wurde die Kategorie ‘Satz’ entsprechend modifiziert. Diese Prozesse werden wir im folgenden Abschnitt im Detail nachverfolgen. Die gegenwärtige Situation bei der kategorialen Erfassung grammatischer Eigenschaften der gesprochenen Sprache ist gekennzeichnet durch drei Tendenzen: Eine Strategie besteht nach wie vor in der Übernahme und Adaption von Kategorien der traditionellen Grammatik. Der zweite Zugang besteht in einer handlungs- und funktionsorientierten Reinterpretation traditioneller Kategorien. Diese Veränderung der Perspektive ist in der Regel auch mit einer Veränderung der Kategoriennamen verbunden. Eine dritte Strategie versucht, grammatische Phänomene aus den Grundbedingungen gesprochener Sprache, insbesondere aus den Bedingungen der Interaktivität, herzuleiten und kategorial zu fassen. Dies führt häufig zu einer Erweiterung des Kategorieninventars für die Analyse gesprochener Sprache. Diese verschiedenen Zugänge sind im Einzelfall jedoch häufig nicht klar voneinander abzugrenzen. (1) Insbesondere die Überzeugung, dass das, was in den Grundzügen gleichartig ist, auch mithilfe der gleichen Kategorien beschrieben werden kann, findet in vielfältigen Versuchen Ausdruck, Kategorien aus dem schriftsprachlichen Bereich zu verwenden bzw. sie so zu modifizieren, dass sie brauchbar werden. Dies betrifft zum Beispiel die Übertragung von Kategorien wie Satz (Hoffmann 1996, Kindt 1994), Satzbruch/ Anakoluth (Hoff- Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 167 mann 1991), Herausstellung, Parenthese (Hoffmann 1998), Ellipse (Selting 1997) etc. auf den Bereich des Mündlichen. Vor allem für die Kategorie ‘Satz’ sind auch entsprechende Adaptionen vorgeschlagen worden, zuletzt die Kategorie des möglichen Satzes bei Selting (1995b). (2) Da traditionelle Kategorien häufig produktorientiert, strukturbezogen oder formbestimmt sind, das Sprechen aber in sehr deutlicher Weise ein Handlungsprozess ist, liegt es nahe, Kategorien in Hinblick auf ihre Funktion im sprachlichen Handeln zu reinterpretieren. So stellt beispielsweise Rehbein (1979) sprachliche Elemente, die der ‘eigentlichen’ Äußerung vor- oder nachgestellt sind und die traditionell, soweit sie überhaupt kategorial gefasst werden, als Vokative, Imperative oder tag-questions bezeichnet werden, in den Handlungskontext der Hörersteuerung: Meines Erachtens ist dieses Phänomen konsequent in den erörterten Zusammenhang des kommunikativen Apparats der wechselseitigen Steuerung zu stellen, um von dorther erst die syntaktische Analyse zu unternehmen. (ebd., S. 60). Rehbein leistet damit eine Zusammenfassung und funktionale Reinterpretation der traditionellen Kategorien. Allerdings wird die Funktionalität dieser Elemente nicht hinreichend auch im Kategoriennamen zum Ausdruck gebracht, wenn Rehbein sie als Sprechhandlungsaugmente oder häufiger noch als Vorschaltungen bzw. Nachschaltungen anspricht. Diese Begrifflichkeit ist deutlich strukturell und nicht funktional geprägt. Am Beispiel der Kategorie ‘Herausstellung’ werden wir im Anschluss eine weitere Reinterpretation vorstellen. Was traditionelle, strukturbezogene Kategorien bezeichnen, wird bei dieser Strategie also rekonstruiert in Hinblick auf seine Funktion(en) im Prozess des Sprechens, d.h. auch in Hinblick auf seine Charakteristik und Qualität als Handlung (funktional-handlungsmäßige Reinterpretation von Kategorien). Reinterpretation bedeutet also, dass die kommunikative Funktion von sprachlichen Mitteln oder Strukturen rekonstruiert und expliziert und dass sie in einem ‘sprechenden’ Kategoriennamen kondensiert wird. Im beschriebenen Sinn reinterpretierte Kategorien sind damit prozessorientiert, es sind Handlungsbzw. Aktivitätskategorien. Zum Teil sind es auch Teilnehmerkategorien, insoweit sie verdeutlichen, dass und wie sich auch die Interagierenden selbst an den Dingen, die diese Kategorien bezeichnen, orientieren. Eigenschaften gesprochener Sprache 168 (3) Die dritte Strategie wird von der Auffassung getragen, dass sprachliche Mittel und Strukturen Werkzeuge sind zur Bearbeitung von rekurrenten Aufgaben, die sich den Beteiligten im Prozess der sprachlichen Interaktion stellen. In dem Maße wie diese Aufgaben rekurrent sind, bilden sich in der interaktiven Praxis in einem Prozess der Grammatikalisierung bestimmte Mittel und Strukturen heraus, die geeignet sind, diese Aufgaben in effektiver Weise zu realisieren. In this interpretation, grammar stands in a relatively intimate relation to social interaction. It is designed for interactional ends and as such must reckon with the architecture and dynamics of turns, sequences, activities, participant frameworks, stances, trouble, expectations, contingencies, and other relevant interactional actualities. (Schegloff/ Ochs/ Thompson 1996, S. 36). Bei diesem Ansatz wird nachgezeichnet, wie Grammatik aus den Grundbedingungen mündlicher Kommunikation, insbesondere der Interaktivität, hervorgeht. 96 So werden z.B. die verschiedenen Formen von Nachträgen, aber auch generell Phänomene der Wortstellung mit der Turnorganisation in Zusammenhang gebracht (Auer 1991, Uhmann 1993). Gohl/ Günthner (1999) und Günthner (1999) konstatieren einen partiellen Kategorienwechsel bei weil und obwohl von unterordnenden Konjunktionen zu Diskursmarkern als Resultat eines Grammatikalisierungsprozesses. Auer (1998, S. 301-303) argumentiert für eine entsprechende Grammatikalisierung von Matrixsätzen zu Diskursmarkern. Kommen wir zurück auf die angekündigte Reinterpretation der Kategorie ‘Herausstellung’. Herausstellungsstrukturen sind Ausdrücke, die formal-syntaktisch keine vollständigen Sätze sind [...], die aber zum Teil durchaus satzwertige, wenn auch stark elliptische Strukturen darstellen. Zur Auffüllung der Ellipsen sind die zugeordneten Sätze notwendig. Ebenso wird den Herausstellungsstrukturen erst durch diesen zugeordneten Satz die semanto-pragmatische Funktion zugewiesen. (Altmann 1981, S. 46). Seit Altmanns Arbeit „Formen der ‘Herausstellung’ im Deutschen“ (1981) haben diese Strukturen gerade bei der Analyse mündlicher Kommunikation eine erhebliche Beachtung gefunden. Herausstellungsstrukturen sind dadurch auffällig, dass sie die Wohlgeformtheitsbedingungen des (schriftlichen) Sat- 96 Vgl. in allgemeiner Hinsicht z.B. Ford (1993) und Ochs/ Schegloff/ Thompson (1996) und in Hinblick auf unsere Thematik Auer (1996). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 169 zes nicht erfüllen, sondern gerade in spezifischer Weise von ihnen abweichen. Diese grundlegende Orientierung am wohlgeformten Satz - als Kontrastfolie - ist für die Kategorienbildung konstitutiv. Sie kommt auch darin zum Ausdruck, dass in der oben stehenden Bestimmung zunächst die Frage thematisiert wird, inwieweit die herausgestellten Ausdrücke satzwertig sind. Die Kategorie ‘Herausstellung’ erfasst also eine Abweichung - vom wohlgeformten schriftlichen Satz. Diese Abweichungen werden nun aber nicht - was konsequent wäre - als Fehler (ungrammatischer Satz) gewertet, sondern wegen ihres häufigen Auftretens in der gesprochenen Sprache als eigenständige und - in Hinblick auf diesen Bereich - wohlgeformte Struktur etabliert. Die Grundidee der Kategorie ‘Herausstellung’ besteht nun darin, die Genese dieser Strukturen dadurch zu erklären, dass Elemente, die keine vollständigen Sätze sind, aus zugrunde liegenden wohlgeformten Sätzen herausgenommen und vor oder nach dem Bezugssatz positioniert werden. Dies ergibt die so genannten ‘Links’bzw. ‘Rechtsversetzungen’. Dieser Terminologie liegt die Vorstellung eines räumlich präsenten, vor Augen stehenden schriftlichen Satzes zugrunde. Aus ihm werden Elemente ‘herausgenommen’ und räumlich nach links bzw. rechts versetzt. Die Genese dieser Strukturen wird also als Manipulation an einem vorliegenden Satz konzeptualisiert. Hierin ebenso wie in den Kategoriennamen ist die schriftsprachliche Orientierung - bei der Erfassung eines primär gesprochensprachlichen grammatischen Phänomens! - mit Händen zu greifen. 97 Man möchte die Strukturen nach dem 97 Die schriftsprachliche Orientierung ist bei Altmann auch bei dem seinen Untersuchungen zugrunde liegenden Material nachzuweisen, handelt es sich doch überwiegend um Wiedergaben gesprochener Sprache in Form schriftlich normalisierter Texte, denen eine Satzstruktur aufgeprägt ist: „Die weitaus meisten Belege [...] fanden sich in Mitschriften mündlicher Rede in „entspannten“ Kommunikationssituationen, aber auch in „bereinigten“ Mitschriften, wie den Bottroper Protokollen, den Freiburger Veröffentlichungen zum gesprochenen Deutsch, dann in Untersuchungen wie der von K. Baumgärtner zur „Syntax der Umgangssprache von Leipzig“ (1959), aber auch in Erzeugnissen der „schönen Literatur“, soweit dort mündliche Sprache, unmittelbarer Dialog möglichst realistisch nachgebildet wird. Die ergiebigsten Fundstellen bildeten allerdings Debatten des Deutschen Bundestags sowie der Landtage, und alltägliche Gespräche im Umgang mit Bekannten, Verwandten und Kollegen. Die passenden Belege wurden meist nur isoliert notiert, anfänglich ohne genauere intonatorische Angaben.“ (Altmann 1981, S. 74). Beim letzten Punkt wird das Satzformat durch das isolierende Herausgreifen des Datensammlers konstituiert. Eigenschaften gesprochener Sprache 170 Bild des schriftlichen Satzes verstehen; dies gelingt aber - wie die obenstehende Beschreibung belegt - nur um den Preis eines Rekurses auf Elliptizität. Ferner implizieren diese Kategorien eine strukturelle Äquivalenz der Herausstellungen: Von der Struktur her scheint es keinen prinzipiellen Unterschied zu machen, ob nach links oder rechts herausgestellt wird. Fasst man diese Beobachtungen zusammen, so erweisen sich die Kategorien ‘Herausstellung’ und ‘Links’bzw. ‘Rechtsversetzungen’ als strukturell, nicht funktional begründet und als produkt- und nicht prozessorientiert. Ihre schriftsprachliche Orientierung zeigt sich sowohl in den Kategoriennamen wie auch darin, dass für sie das Konzept des wohlgeformten Satzes grundlegend ist. Letztlich ist die Kategorienbildung ‘Herausstellung’ Resultat einer impliziten und nicht reflektierten Fixierung auf die Normalform des schriftlichen Satzes. Die betrachteten Phänomene erscheinen in einem ganz anderen Licht, wenn man davon ausgeht, dass Sprechen ein prozesshaftes Handeln ist. Die erste Konsequenz einer solchen Sichtweise ist, dass diese Strukturen nicht als räumliche Gebilde verstanden werden dürfen, sondern in ihrer zeitlichen Abfolge, ihrem Nacheinander betrachtet werden müssen. Der Prozesscharakter des Sprechens erfordert dies. 98 Ferner ist danach zu fragen, was die einzelnen Bestandteile dieser Strukturen leisten, was Sprecher und Hörer mit ihnen tun. Dies ermöglicht eine funktionale und handlungsbezogene Interpretation. Betrachten wir den Fall von ‘Linksversetzung’ und ‘freiem Thema’, so leistet das zuerst produzierte Element eine Referenz bzw. eine Thematisierung: Der Sprecher identifiziert etwas bzw. führt ein Thema ein. 99 Mit 98 „Die Bewegungs-Analyse verkennt also nicht nur die grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Typen von „Herausstellung“ (was durch die parallelisierende Terminologie - Rechts-/ Linksversetzung, etc. - noch unterstützt wird), sie ist grundsätzlich nicht in der Lage, die Produktion und Rezeption einschlägiger Phänomene unter Berücksichtigung der Zeitlichkeit von Sprache zu erfassen.“ (Auer 1991, S. 140). 99 Auch Altmann (1981, S. 48 und 50) benennt die Funktion von Linksversetzungen und Freien Themen als Thematisierung, ohne allerdings daraus weiterreichende Konsequenzen zu ziehen. Scheutz (1997, S. 44-46) charakterisiert Linksversetzungen als „Mittel der Referenzkonstitution“: „Der weitaus größte Teil der Bearbeitung potentieller Verständigungsprobleme gilt jedoch der interaktiven Herstellung und Sicherung von Referenz.“ (ebd. S. 46). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 171 dem folgenden Element wird dann etwas über das Referenzobjekt oder das Thema ausgesagt. Dabei kann, muss aber nicht durch ein deiktisches Element noch einmal auf den Referenzbzw. Thematisierungsausdruck Bezug genommen werden. Die Trennung von Referenz/ Thematisierung und Aussage ist dabei umso wahrscheinlicher, je komplexer und schwieriger die Referenz/ Thematisierung ist. 100 Auch im klassischen Satz geschieht nichts anderes: Er leistet eine Referenz, und über das Referenzobjekt wird dann etwas ausgesagt. ‘Linksversetzung’ und ‘Freies Thema’ unterscheiden sich vom klassischen Satz nur dadurch, dass Referenz-/ Thematisierungsakt und Aussage deutlicher als eigenständige Handlungen voneinander abgesetzt und entsprechend markiert werden. Die kommunikativ zu leistenden Aufgaben werden separiert und sind damit für den Hörer leichter unterscheid- und nachvollziehbar. Im Satz sind sie stärker integriert und weniger als eigenständige Handlungen erkennbar. Als Resultat einer solchen Reinterpretation scheint es sinnvoll, die betreffenden Phänomene auch begrifflich anders zu fassen, das heißt einen anderen Kategoriennamen einzuführen. Denn es wird hier ersichtlich nichts ‘herausgestellt’ oder ‘versetzt’, sondern es werden lediglich zwei Handlungen separierter durchgeführt, als es beim klassischen Satz der Fall ist. Eine mögliche Bezeichnung wäre ‘Referenz-Aussage-Strukturen’ bzw. ‘Thematisierung-Aussage-Strukturen’. Eine weitere Konsequenz der Reinterpretation ist die Einsicht, dass ‘Linksversetzung’ und ‘Rechtsversetzung’ nicht einfach richtungsmäßig unterschiedliche, aber ansonsten äquivalente Operationen sind, sondern dass sie jeweils ganz andere Funktionszusammenhänge betreffen. Während ‘Linksversetzungen’ - wie dargestellt - auf einer Separierung von Referenzakt und Aussage beruhen, sind ‘Rechtsversetzungen’ (Ausklammerungen, Nachträge, Reparaturen, appositive und konjunktionale Weiterführungen etc.) - wie Auer (1991) ausführlich darstellt - im Kontext der Expansion von Beiträgen 100 Scheutz (1997, S. 29) gibt Beispiele, die die häufig auftretenden Schwierigkeiten bei der Referenz sehr schön verdeutlichen: z.B. aber der der doktor wólf oder wie der héisst der álte, (.) das muß áuch a ganz a príma kérl sein. Eigenschaften gesprochener Sprache 172 und der Turn-Organisation zu verstehen. Die räumlich-strukturelle Betrachtungsweise führt so zu einer Zusammenführung von Phänomenen, die funktional nichts miteinander zu tun haben. 101 Auch wenn eine solche Kritik der Kategorie ‘Herausstellung’ in den auf Altmann folgenden Arbeiten, gerade denen gesprächsanalytischer Provenienz, schon zum Teil geleistet wurde (Auer 1991, Selting 1993, 1994, Scheutz 1997), war dies jedoch bisher kein Anlass, eine andere Kategorienbezeichnung einzuführen: Durchgehend werden die Phänomene auch weiterhin als ‘Herausstellung’, ‘Links-’ oder ‘Rechtsversetzung’ angesprochen: Jochen Rehbein hat anläßlich eines Vortrags von mir in Mannheim den Terminus ‘Linksversetzung’ scharf kritisiert, da dieser den Blick auf die real ablaufenden Sprachproduktionsprozesse verstelle und in ethnozentristischer Weise lediglich die Linearität unseres Schriftsystems abbilde - ich schließe mich dieser Kritik an; gleichwohl verwende ich diese mittlerweile zum terminologischen Allgemeingut gewordenen Begriffe weiterhin, um zusätzliche Aufblähungen des ohnehin reichlich gefüllten Begriffsarsenals zu vermeiden. Der Verwendungszusammenhang in meiner Analyse wird deutlich machen, wie ich diese Konstruktionen verstehe. (Scheutz 1997, S. 52, Anm. 1). U.E. ist der Rekurs auf ‘terminologisches Allgemeingut’ unzureichend: Abgesehen davon, dass dadurch ein Stück begrifflicher Klarheit verschenkt wird, birgt dies auch die Gefahr, dass mit der Bezeichnung die implizite Satz- und Produktorientierung - sicherlich nicht beabsichtigt, aber unter der Hand - tradiert wird. In jedem Fall verweist die Tatsache, dass es bisher keine Vorschläge für eine neue Begrifflichkeit gibt, auf das Beharrungsvermögen eingeführter und verbreiteter Kategorien; ferner vor allem aber auch darauf, dass die schriftsprachliche Orientierung des Sprachbewusstseins nicht schon mit ihrer Erkenntnis überwunden ist. Durch eine solche, hier in Ansätzen vorgeführte Reinterpretation, die prozess- und handlungsorientiert die kommunikative Funktion von sprachlichen Mitteln oder Strukturen rekonstruiert und expliziert, werden die betreffenden Phänomene deutlich gegenstandsadäquater konzeptualisiert. Auch für weitere grammatische Kategorien ist eine entsprechende Reinterpretation erforderlich. Vorrangig geht es dabei um ein Äquivalent für die schriftsprachlich 101 Gleiches gilt für die unter die Kategorie ‘Apokoinu’ subsumierten Phänomene. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 173 orientierte Kategorie ‘Satz’ in der gesprochenen Sprache. Damit ist das Problem der Segmentierung gesprochener Sprache und ihrer grundlegenden Einheiten angesprochen. Weitere Kategorien, die der Reinterpretation bedürfen, sind z.B. die eng mit dem Satzbegriff zusammenhängenden Kategorien ‘Ellipse’, ‘Anakoluth’, 102 ‘Nebensatz’ etc. Neben der Reinterpretation bedarf es aber auch der Neuentwicklung von gegenstandsangemessenen Kategorien zur Analyse und Beschreibung mündlicher Kommunikation. Die Einführung der Kategorie ‘Operator- Skopus-Struktur’, wie sie in Hauptteil III erfolgt, reiht sich ein in die vielerorts zu beobachtenden Versuche, solche phänomenerfassenden Kategorien zu erarbeiten. Eine generelle Anforderung an diese Kategorien ist, dass sie die Funktion sprachlicher Mittel und Strukturen im sprachlichen Handeln rekonstruieren und explizieren. In diesem Sinne werden wir die zentrale Funktion der Operatoren als vorgängige Verstehensanleitung bzw. -anweisung verdeutlichen. Mit der Bezeichnung ‘Operator-Skopus-Struktur’, die sich relativ früh in der Projektarbeit etabliert hat, haben allerdings auch wir die Anforderung nicht erfüllt, dass diese Funktion in der Kategorienbezeichnung zum Ausdruck kommen soll. 2. Grundlegende Einheiten mündlicher Kommunikation Eines der linguistischen Grundprobleme ist nun, inwieweit sich Gliederungen der gesprochenen Sprache mit denen der geschriebenen in kategorialer Hinsicht decken. (Rehbein 1995, S. 3). In diesem Abschnitt soll die Problematik gegenstandsangemessener Kategorien exemplarisch anhand der Frage nach den grundlegenden Einheiten gesprochener Sprache behandelt werden. Fragt man nach den grundlegenden Einheiten der geschriebenen Sprache, so werden mit großer Wahrscheinlichkeit die folgenden vier genannt werden: der Text, der Satz, das Wort und der Buchstabe. Es mag je nach Kontext variieren, welche der Antworten gegeben wird oder ob mehrere genannt werden, aber im gesellschaftlichen 102 Für eine Reinterpretation dieser Kategorie vgl. Schröder (1998). Eigenschaften gesprochener Sprache 174 Sprachbewusstsein besteht Konsens, dass dies die vier grundlegenden Einheiten der geschriebenen Sprache sind. 103 Wie oben ausgeführt sind dabei die Einheiten ‘Wort’ und ‘Satz’ durch Spatien bzw. Satzzeichen in der Form der Schriftlichkeit verankert, die Buchstaben sind (bei Alphabetschriften) die elementaren Konstruktionseinheiten und der Text ist die in sich abgeschlossene, kommunikative schriftliche Einheit. Stellt man die gleiche Frage in Hinblick auf gesprochene Sprache, so wird die Antwort weit weniger einheitlich ausfallen. Wenn man versucht, die gesprochene Sprache nach dem Modell der schriftlichen zu verstehen, so kann man die genannten Einheiten übertragen bzw. Analogisierungen vornehmen. Den Buchstaben entsprechen dann die Laute, dem geschriebenen das gesprochene Wort, dem geschriebenen Satz der gesprochene und mit dem Text als kommunikativer Einheit korrespondiert das Gespräch (oder der Diskurs). Diese Parallelisierung erscheint problemlos - bis auf den Punkt, dass das Gespräch nicht in gleicher Weise aus Sätzen besteht, wie der Text es tut. An dieser Stelle entzieht sich die gesprochene Sprache aufgrund ihres Eigencharakters einer einfachen Analogisierung. Die Frage, was dem Satz in der gesprochenen Sprache entspricht, oder allgemeiner: was auf dieser Ebene Grundeinheiten mündlicher Kommunikation sind, hat eine Reihe verschiedener Antworten gefunden, die im folgenden Abschnitt 2.1 dargestellt werden sollen. 104 Wenn wir uns in Abschnitt 2.2 der Auffassung anschließen, dass der Beitrag (turn) eine grundlegende Einheit gesprochener Sprache bzw. des Gesprächs ist, ist damit eine Einheit etabliert, die im Schriftlichen keine Entsprechung hat; zugleich wird aber dadurch auch die Frage aufgeworfen, aus was für Einheiten der Beitrag seinerseits besteht. In Abschnitt 2.3 werden wir funktionale Einheiten als Bausteine des Beitrags charakterisieren und ansatzweise das Inventar funktiona- 103 Sicherlich könnten auch noch weitere Einheiten genannt werden. So z.B. zwischen der Ebene des Wortes und des Satzes Einheiten wie Satzglieder, Phrasen, Phraseologismen oder Einschübe (Parenthesen, Appositionen) und zwischen der Ebene des Satzes und des Textes Einheiten wie Absätze, Abschnitte (Paragraphen) und Kapitel oder thematische Einheiten und Episoden (vgl. van Dijk 1982). Sie sind u.E. aber nicht in gleicher Weise grundlegend und tragen z.T. schon wissenschaftlich-analytischen Charakter. 104 Für eine Darstellung verschiedener „kommunikativer Minimaleinheiten“ und „kommunikativer Maximaleinheiten“ vgl. auch Bührig/ ten Thije (i.V.). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 175 ler Einheiten beschreiben. Mit funktionalen Einheiten ist eine weitere Ebene grundlegender Elemente gesprochener Sprache etabliert, so dass wir für mündliche Kommunikation fünf grundlegende Einheiten annehmen: das Gespräch, den Beitrag, funktionale Einheiten, Wörter und Laute. 105 2.1 Positionen zu grundlegenden Einheiten gesprochener Sprache Die Frage nach Einheiten der gesprochenen Sprache ist gleichbedeutend mit der Frage der Segmentierungsmöglichkeiten des Gesprochenen. Im Zentrum stand hier lange die Segmentierung in Laute und Silben, während die Wortsegmentierung bis auf die Fälle, in denen keine 1: 1-Zuordnung besteht, kaum Beachtung gefunden hat. Auf der nächsthöheren Ebene wurde zunächst die Satzsegmentierung umstandslos auf die gesprochene Sprache übertragen. Je intensiver jedoch die Auseinandersetzung mit gesprochensprachlichen Daten wurde, desto mehr tauchten Zweifel daran auf, ob das Sprechen in gleicher Weise aus Sätzen besteht, wie es bei schriftlichen Texten der Fall ist. Als Konsequenz davon wurden eine Reihe alternativer Konzepte für grundlegende Einheiten gesprochener Sprache angeboten. Sie sollen im Folgenden in der gebotenen Kürze dargestellt und kommentiert werden. Satz In der Frühphase der Analyse gesprochener Sprache ist die Satzsegmentierung selbstverständlich: die Segmentierung des empirischen Materials erfolgt, ohne dass dies zum Gegenstand der Reflexion wird, vom Ausgangspunkt ‘Satz’ aus. Das „alltagsweltliche Vorverständnis“ (Ehlich 1999, S. 51) davon, was ein Satz ist, wurde ebenso wie wissenschaftliche Satzkonzeptionen und -definitionen herangezogen, um gesprochene Sprache zu segmentieren. Dies zeigt sich u.a. auch in den Transkriptionsvorschriften des Projekts 105 Auch hier sind natürlich weitere Einheiten denkbar und sinnvoll: Zwischen der Ebene der Beiträge und dem Gespräch z.B. Themen als Einheiten. Zudem muss ergänzt werden, dass Gespräch als Einheit nur bei kommunikativ dominierten Interaktionen anzusetzen ist. Bei empraktisch eingebetteten Beiträgen ist der auf ein Ziel gerichtete Handlungszusammenhang als übergeordnete Einheit anzusehen (vgl. Fiehler 1993). Eigenschaften gesprochener Sprache 176 ‘Grundstrukturen der deutschen Sprache’ (vgl. Texte gesprochener deutscher Standardsprache I (1971, S. 36-54)). Der Grundansatz dort ist - motiviert auch durch den geplanten Vergleich mit geschriebener Sprache - eine Gliederung der Transkripte nach Sätzen: Die regelmäßige Wiederkehr von Subjekt und Prädikat (Nominal- und Verbalphrase) ist auch im gesprochenen Deutsch in jedem Redeablauf zu beobachten. Sie kann als ein sicheres formales Kriterium für ein Segmentierungsverfahren an Texten eingesetzt werden [...] (Texte I, S. 44). Satzgrenzen werden durch einen Punkt (sic! ) annotiert: [.] (Punkt) kennzeichnet das Ende eines Hauptsatzes bzw. eines Satzgefüges. Als Hauptsatz bzw. Satzgefüge gelten Wortsequenzen, die von einem finiten Verb regiert werden; Subjekt ist in der Regel erforderlich. (ebd., S. 36). Einheiten, die nicht die Form solcher Hauptsätze bzw. Satzgefüge haben, werden auf dreierlei Weise behandelt: Zum einen werden sie durch „Sondervorschriften“ zu Hauptsätzen erklärt: „1. Ein Imperativ gilt als Hauptsatz; dazu gehören auch Infinitive mit imperativer Bedeutung. 2. Subjektlose Passiv-Konstruktionen gelten als Hauptsatz. [...]“ etc. (ebd.). Zum anderen werden sie als nichtkategorisierbare Einheiten Hauptsätzen zugeschlagen: „[/ ] Der Schrägstrich steht am Anfang eines Satzes, in dem eine oder mehrere Wortsequenzen, die syntaktisch nicht angeschlossen werden können, vorkommen sowie bei normwidrigen Kongruenzen und Rektionen.“ (ebd., S. 38). 106 Und letztlich werden sie als Parenthesen kategorisiert: „[( )] schließt eine Parenthese ein. Parenthesen sind Einschübe in einem Satz, die syntaktisch nicht angeschlossen sind, aber im semantischen Zusammenhang mit dem Satz stehen. Parenthesen sind: a) Interjektionen, b) der Anredenominativ, c) ein eingeschobener unverbundener Hauptsatz, d) ein eingeschobenes unverbundenes satzwertiges Partizip, e) alle Affirmations- und Modalpartikel.“ (ebd., S. 38-39). Ein Problembewusstsein bezüglich dieses Vorgehens ist an keiner Stelle zu erkennen. 106 Immerhin merkt Schröder dazu an: „Diesen Sequenzen könnte unter Zugrundelegung einer entsprechenden Theorie durchaus der Status von Äußerungseinheiten zugeschrieben werden wie z.B. im Fall von leider heute nicht oder vielleicht morgen u.ä.“ (1975, S. 44, Anm. 44). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 177 Auch Höhne-Leska (1975) geht fraglos von einer Satzgliederung für die gesprochene Sprache aus. Diese Auffassung prägt auch die Auswahl ihrer Materialgrundlage, die in Hinblick auf eine Vergleichbarkeit mit geschriebener Sprache erfolgt und die so dieses Vorverständnis zugleich verstärkt: Die Sprecher stellen Sachverhalte dar, die Themenkreise wurden möglichst weit gefaßt. Bei den gesprochenen Texten handelt es sich also um Monologe wie bei den zum Vergleich herangezogenen geschriebenen Texten. (S. 32). Zur Übertragung von Kategorien der Schriftsprache auf die gesprochene passt auch, dass sowohl das Freiburger Projekt wie auch Höhne-Leska den Textbegriff zur Bezugnahme auf größere Einheiten gesprochener Sprache verwenden. Einheiten, die nicht die Satzform aufweisen, werden von Höhne-Leska im Anschluss an Eggers unter dem Terminus ‘Setzung’ versammelt („Setzung = Syntaktisch nicht voll ausgeformter Satzabschnitt. Typ: Alles in Ordnung! “ (Höhne-Leska 1975, S. 155)) und dann, ohne dass die Implikationen dieses Vorgehens reflektiert werden, zu Sätzen deklariert: „Die Sätze werden nach ihrer Struktur folgendermaßen aufgegliedert: 1. Einfachsätze, 2. Setzung, 3. Satzgefüge. Die Gefüge untergliedern sich nach der Zahl der abhängigen Satzabschnitte.“ (ebd., S. 41). Auch für Lindgren (1985, 1987, 1988) ist die Orientierung am Satz Ausgangspunkt bei der Untersuchung gesprochener Sprache: Semantisch besteht ein Satz nach dem üblichen Muster NP-VP aus einem Thema und einem Rhema. Das heißt, er besteht aus einer Referenz, indem der Sprecher den Hörer auf einen Gegenstand oder Sachverhalt in der Umwelt hinweist, und einer Prädikation, indem er darüber etwas aussagt. (1988, S. 148). Auf diesem Hintergrund wird dann jedoch - dies ist das neue Moment in Lindgrens Arbeiten - systematisch all das aufgelistet, was das zugrunde gelegte Korpus an Einheiten enthält, die nicht in diesem Sinne satzförmig sind. Bei Lindgren wird also nicht die Frage thematisch, ob gesprochene Sprache weitgehend aus Sätzen besteht, sondern ob sie restlos in solche Eigenschaften gesprochener Sprache 178 segmentiert werden kann. 107 Diese Vorkommen werden in drei Gruppen differenziert: „1. situationsbedingte Störungen der normalgrammatischen Struktur, 2. mangelhafte Verbindung der Äußerungsteile, 3. besondere grammatische Formen.“ (Lindgren 1988, S. 145). Für die ersten beiden Gruppen konstatiert Lindgren: Obwohl die besprochenen Strukturen in der Oberfläche von der Grammatik der Schriftsprache abweichen, lassen sie sich zwanglos auf Tiefenstrukturen zurückführen, die mit unserer Grammatik durchaus konform sind. Das Abweichende beruht lediglich auf den besonderen Bedingungen der Sprechsituation: In der Eile gelingt es dem Sprechenden nicht, das ihm vorschwebende Satzmuster vollkommen zu realisieren, und er gibt sich mit Vereinfachungen oder Annäherungen zufrieden. (ebd., S. 147). Die Satzförmigkeit des Sprechens wird hier also durch die Annahme gerettet, dass die Sprecher(innen) zwar in Sätzen sprechen wollen, es ihnen aber aus äußerlichen Gründen nicht gelingt, „die intendierte grammatische Form vollständig zu erreichen“ (ebd., S. 145). 108 Die dritte Gruppe jedoch sieht Lindgren nicht als defektiv an, sondern als regulär und gebräuchlich: Einen frequenten Äußerungstyp stellen im gesprochenen Deutsch die Strukturen dar, die in Lindgren (1985) als eingliedrige (Nominal-)Sätze charakterisiert wurden und ganz selbständig dastehen, ohne sich an einen benachbarten Satz anzuschließen. Sie bilden autonome Aussagen [...] (Lindgren 1988, S. 148). Diese umfangreiche Gruppe wird von Lindgren detailliert beschrieben und mit Beispielen veranschaulicht (1988, S. 148-153). Anstatt aber genauer zu hinterfragen, was die Eigenständigkeit dieser Einheiten ausmacht, wird der Versuch unternommen, diese Strukturen durch die Einführung der Kategorie ‘eingliedrige Sätze’ als Sätze zu retten. Der Preis hierfür ist allerdings, dass die Konzeption von ‘Satz’ en passant von einer syntaktisch-semantischen Bestimmung zu einer pragmatischen (im Sinne kommunikativer Eigenständigkeit) verwandelt bzw. erweitert wird: 107 Schreiber (1995, S. 77) formuliert dies folgendermaßen: „Lassen sich gesprochene Texte (restlos) in satzwertige Einheiten (Text-Sätze) segmentieren [...]? “ 108 Auf der Grundlage einer solchen Annahme normalisiert auch Steger (1987, S. 42) ein Transkript in Richtung auf vollständige Sätze, um es dann mit einem entsprechenden schriftlichen Text zu vergleichen. Vgl. den Exkurs in Abschnitt I.5. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 179 Dabei handelt es sich also nicht um den Gegensatz schriftlich-mündlich, sondern um besondere Bedingungen, die im Gesamtkontext vorliegen müssen, damit die Kommunikation in dieser kunstloseren Form [sic! d. Verf.] erfolgreich bleibt. Um diese Ausdrucksformen, die also sowohl im mündlichen Verkehr als auch in sorgfältig formulierten schriftlichen Texten gebräuchlich sind, als grammatisch korrekt bezeichnen zu können, sollten wir die gängige deutsche Grammatik an einigen Punkten ergänzen. Vor allem müßte die Struktur des eingliedrigen Satzes als korrekte Grundstruktur des deutschen Satzes anerkannt werden und in die einschlägigen Listen der grammatischen Handbücher aufgenommen werden. (ebd., S. 154). Wie bei Höhne-Leska wird also auch hier die Lösung in einer (in den Konsequenzen nicht reflektierten) Ausweitung des Satzbegriffs gesucht. Sehr bald wurde aber deutlich, dass die Satzsegmentierung gesprochener Sprache erhebliche Probleme mit sich bringt: Geschriebene Sprache geht in Sätzen auf, gesprochene Sprache nicht. Insofern gibt es einen natürlichen Gegensatz gesprochener und geschriebener Sprache. (Henne o.J., S. 9). Deshalb setzte eine Suche nach anderen Grundeinheiten, die weiter unten dargestellt werden, ein. Erst kürzlich wurde dann das Satzkonzept - deutlich dynamisiert und interaktionistisch perspektiviert - von Selting (1995b) erneut in die Diskussion gebracht. 109 Der Satz wird dabei nicht als starre und statische Größe betrachtet, sondern als ein flexibles Phänomen, wobei insbesondere die Konstruktionen an seinen Rändern, die so genannten Links- und 109 Im Rahmen der Renaissance des Satzbegriffs stehen auch die Arbeiten von Kindt (1994) und Schreiber (1995). Kindts Arbeit ist dabei allerdings schwierig einzuordnen, weil seine modifizierte Satzdefinition für uns nicht nachvollziehbar ist: „Eine Äußerung A ist ein Satz, wenn A am Anfang oder Ende jedes sprachlich korrekten Textes eingeführt werden kann, ohne daß dabei die Eigenschaft der Korrektheit verlorengeht.“ (Kindt 1994, S. 45). Diese Operationalisierung des Satzbegriffs geht an allen linguistischen Erkenntnissen über Textkohärenz vorbei. Schreiber hingegen kommt u.E. nicht über die Positionen des Freiburger Projekts und von Höhne-Leska hinaus: „1. Es ist möglich, einen gesprochenen Text in syntaktische Einheiten (Teil-Sätze) zu segmentieren. 2. Hierzu werden neben den Regeln der herkömmlichen, aus der Schriftsprache bekannten Satzsyntax „Sondervorschriften“ benötigt, nach denen Syntagmen zu beurteilen sind, die mit diesen Regeln nicht beschrieben werden können.“ (Schreiber 1995, S. 84). Eigenschaften gesprochener Sprache 180 Rechtsversetzungen, in den Mittelpunkt des Interesses rücken (vgl. Abschnitt II.1.). In diesem so revidierten Satzkonzept spielen also vor allem die manifesten Einheiten eine Rolle, die aus dem ‘Kernsatz’ herausgestellt werden (vgl. Seltings Arbeiten zur Linksversetzung und zum freien Thema (1993, 1994) sowie Auer (1991) zu verschiedenen Formen von Nachträgen). In der Hauptsache geht es Selting allerdings weniger um die Frage der Grundeinheiten gesprochener Sprache, als vielmehr um den Nachweis, dass der Satz, genauer: der mögliche Satz, 110 eine zentrale Größe ist, an der sich Sprecher- und Hörer(innen) bei der Produktion und Koordination ihrer Gesprächsbeiträge orientieren. Dies ist sicherlich eine wichtige Erkenntnis und angesichts der vorgestellten Daten unbestreitbar, allerdings beschränkt sich Selting in ihren Analysen weitgehend auf den möglichen Satz, ohne auch für andere, nicht satzförmige Einheiten in gleicher Weise zu untersuchen, inwieweit sie Orientierungsrelevanz für die Gesprächsbeteiligten besitzen: Als Ergebnis der bisherigen Diskussion ergibt sich folgendes: Für eine Grammatik der gesprochenen Sprache in Gesprächen ist der ‘mögliche Satz’ als Kategorie nicht einfach deshalb relevant, weil traditionellerweise der ‘Satz’ in der Linguistik eine wichtige Rolle spielt(e), sondern weil gezeigt werden kann, daß Sprecher und Rezipienten sich tatsächlich an einer Kategorie wie dem ‘syntaktisch möglichen Satz’ orientieren. Dennoch ist im Rahmen der Herstellung von Turnkonstruktionseinheiten der ‘mögliche Satz’ nur ein relevantes syntaktisches Konstruktionsschema. Daneben werden andere Phrasen wie z.B. Nominalphrasen, Verbalphrasen und Präpositionalphrasen sowie einzelne Wörter in eigenständigen prosodischen Einheiten als Turnkonstruktionseinheiten verwendet. Der ‘mögliche Satz’ [...] unterscheidet sich von den anderen Syntagmen durch die Anwesenheit eines finiten Verbs mit seinen syntaktischen „Projektionen“, Ergänzungen oder Expansionen. [...] bleibt das Problem, daß einerseits die Konstituenten nicht die projektierende Kraft von möglichen Sätzen aufweisen und 110 „Ein ‘möglicher Satz’ ist eine syntaktische Konstruktion, die von einem möglichen Satzanfang bis zu einem möglichen Satzendepunkt reicht, und die Sprecher und Rezipienten aufgrund syntaktischen Strukturwissens in irgendeiner Weise als abgeschlossen erkennen und behandeln, wenn ein möglicher Satzendepunkt erreicht wird. Da ein möglicher Satzendepunkt jedoch keinesfalls das tatsächliche Ende der Turnkonstruktionseinheit sein muß, sondern der mögliche Satz über mögliche Satzendepunkte hinaus bis zu nächsten möglichen Satzendepunkten verlängert werden kann, ist der mögliche Satz mithin eine flexible syntaktische Einheit, die den Erfordernissen der Interaktionsorganisation lokal angepaßt werden kann.“ (Selting 1995b, S. 303). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 181 deshalb auch weniger gut als Turnkonstruktionsschemata verwendbar sind als syntaktisch mögliche Sätze, und daß andererseits vermutlich die anderen Konstituenten gegenüber syntaktisch möglichen Sätzen für spezifischere Funktionen verwendet und somit in ihrer Verwendbarkeit eingeschränkt sind. (Selting 1995b, S. 306). Auch wenn Selting die wichtige Frage aufwirft, was für Sprecher- und Hörer(innen) relevante Einheiten sind, an denen sie sich erkennbar orientieren, und damit die Beteiligtenperspektive bei der Frage der Segmentierung gesprochener Sprache in den Vordergrund rückt, bleiben doch nichtsatzförmige Einheiten auch bei ihr Einheiten zweiter Klasse. Die Übertragung der Kategorie ‘Satz’ auf die Analyse gesprochener Sprache ist vielfach kritisiert und mit der Aufforderung, nach angemesseneren Kategorien zu suchen, verbunden worden. Nur zwei dieser Stimmen sollen hier zitiert werden: Wenn Sie also versuchen wollen, Sätze des spontanen Gesprächs mit den Methoden der schriftsprachlichen Grammatik und Norm zu analysieren, dann werden Sie in sehr vielen Fällen in Schwierigkeiten geraten. (...) wie läßt sich hier noch sagen, was ein Satz ist? (...) Das heißt also, man muß hier ganz neue wissenschaftliche Kategorien suchen. (Rupp 1965, S. 28). Wir unterscheiden zwar zwischen „Buchstabe“ und „Laut“ [bei der Reflexion der Unterschiede zwischen geschriebener und gesprochener Sprache; d. Verf.], behalten aber ganz selbstverständlich „Satz“ bei - obwohl die Zuordnung zwischen „Satz“ (in der geschriebenen Sprache) und der betreffenden Äußerungseinheit in der gesprochenen sicher nicht weniger verwickelt und problematisch ist als jene zwischen „Buchstabe“ und „Laut“. (Klein 1985, S. 13). Es ist unbestreitbar, dass Sätze die überwiegende Einheit in der gesprochenen Sprache sind. Dies darf aber keinesfalls zu dem Schluss führen, dass der Satz auch die grundlegende Einheit der gesprochenen Sprache sei und dass alle Einheiten der gesprochenen Sprache, die nicht Sätze sind, außer Acht gelassen werden können. Insbesondere muss geklärt werden, was solche nichtsatzförmigen Einheiten möglich und erforderlich macht und in welchem Verhältnis sie zu den satzförmigen stehen. Eigenschaften gesprochener Sprache 182 Sprachliche/ kommunikative Handlung; Sprechakt In der Folge der Sprechakttheorie (Austin 1962, Searle 1969) wurden Sprechakte bzw. sprachliche Handlungen als grundlegende Einheiten der (mündlichen) Kommunikation relevant. The unit of linguistic communication is not, as has generally been supposed, the symbol, word or sentence, or even the token of the symbol, word or sentence, but rather the production or issuance of the symbol or word or sentence in the performance of the speech act. [...] More precisely, the production or issuance of a sentence token under certain conditions is a speech act, and speech acts (of certain kinds to be explained later) are the basic or minimal units of linguistic communication. (Searle 1969, S. 16). Der Ausgangspunkt für die Segmentierung gesprochener Sprache war damit ein völlig anderer. Zum einen handelt es sich bei ‘Sprechakt’ und ‘sprachliche Handlung’ - anders als bei der Kategorie ‘Satz’ - um Kategorien, die nicht aus dem Bereich der Analyse von Schriftlichkeit stammen und die insofern nicht ‘vorbelastet’ sind. Zum anderen wurde aber sehr bald auch deutlich, dass Sprechakte bzw. sprachliche Handlungen theoretisch konzipierte Konstrukte sind, die nicht aus einer Auseinandersetzung mit empirischen Gesprächsdaten hervorgegangen waren. Die Sprechakttheorie betrachtet einzelne isolierte und zudem konstruierte sprachliche Handlungen. So erwies sich die empirische Anwendung dieser Kategorien, d.h. der Versuch, Gespräche (vollständig) unter dem Gesichtspunkt der Abfolge sukzessiv vollzogener Handlungen zu segmentieren, als problematisch. 111 Zudem war die Betrachtung auf eine begrenzte Menge prototypischer sprachlicher Handlungen eingeschränkt. Einer Analyse von Gesprächen stand so auch im Wege, dass die Gesamtheit der in Betracht zu ziehenden sprachlichen Handlungen in keiner Hinsicht expliziert war. Was die Frage der Binnenstrukturierung bzw. -segmentierung sprachlicher Handlungen angeht, unterscheidet die Sprechakttheorie verschiedene Teilakte (illokutiver, propositionaler, Referenz- und Prädikationsakt), wobei es sich allerdings um aspektuelle Differenzierungen handelt, denen nicht unbedingt klar abgegrenzte Segmente in der Äußerungskette entsprechen. Eine Ausnahme bilden hier - sofern sie auftreten - explizit performative Formeln, die den illokutiven Akt explizieren und vollziehen. 111 Eines der Probleme dabei ist, ob immer nur eine Handlung zur Zeit ausgeführt wird oder ob eine Hierarchie von durch ‘indem’ miteinander verknüpfter Handlungen, die möglicherweise unterschiedliche Reichweiten haben, anzusetzen ist. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 183 Zur Klärung des Verhältnisses von ‘sprachlicher Handlung/ Sprechakt’ auf der einen Seite und ‘Satz’ auf der anderen Seite als Kandidaten für Grundeinheiten der gesprochenen Sprache bestand zunächst theorieimmanent kein Anlass, wenngleich die konstruierten Beispiele für sprachliche Handlungen in der Regel Satzform besaßen und genau einen Satz umfassten. Die theoretische Klärung dieses Verhältnisses wurde erst von Zifonun (1987) und Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. (1997, S. 86-88) in Angriff genommen, die strikt zwischen Satz und kommunikativer Minimaleinheit unterscheiden und beides zu Grundkonzepten der ‘Grammatik der deutschen Sprache’ machen: Mit der Koexistenz zweier Begriffe da, wo in der Grammatikschreibung traditionell nur einer verwendet wurde, trägt diese Grammatik einem Dilemma Rechnung: Wenn bei einer Satzdefinition der funktionale Aspekt (‘selbständige kommunikative Einheit’) und der formale (‘verbzentrierte Einheit’) in einer Mehrfachbestimmung gleichermaßen zum Tragen kommen [...], gerät der Grammatiker bei der Analyse von Nebensätzen wie von Einheiten nach dem Muster der Gruppe (2) in Schwierigkeiten, er gerät in einen „Zweifrontenkrieg“. Stellt er hingegen je einen der beiden Aspekte in den Vordergrund, so gerät er in Erklärungsnotstand gegenüber den jeweils ausgeklammerten Phänomenen. Hebt er z.B. auf den Handlungsaspekt ab, so wird er erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um zu erklären, warum es auch unselbständige Sätze gibt. Hebt er auf den formalen Aspekt der Verbzentriertheit ab, wird er von vornherein Einheiten nach dem Muster der Beispielgruppe (2) als randständige oder abgeleitete Phänomene wegerklären müssen. (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, S. 87) Wesentlich für die Konzeption ist, dass es kommunikative Minimaleinheiten gibt, die nicht satzförmig sind. 112 ‘Kommunikative Minimaleinheit’ wird folgendermaßen definiert: Kommunikative Minimaleinheiten sind die kleinsten sprachlichen Einheiten, mit denen sprachliche Handlungen vollzogen werden können. Sie verfügen über ein illokutives Potential und einen propositionalen Gehalt. (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, S. 91). 112 Vgl. die Beispielgruppe (2) in Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. (1997, S. 86): „(2a) Heute frische Brezeln. [...] (2d) Übergabe der US-Geiseln an Botschaft in Beirut? (Mannheimer Morgen, 27.6.1985)“. Eigenschaften gesprochener Sprache 184 Da diese Definition für uns, außer in der Bezeichnung, keine Unterschiede zum Konzept der sprachlichen Handlung bzw. des Sprechaktes erkennen lässt, heißt dies, dass sprachliche Handlungen/ Sprechakte auch mit Äußerungen getätigt werden können, die keine Satzform haben. Es stellt sich dann die Frage, ob mit allen nichtsatzförmigen Einheiten sprachliche Handlungen vollzogen werden können oder ob es Restriktionen der Art gibt, dass mit bestimmten Einheiten keine Sprechakte realisiert werden können. Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. sehen hier deutliche Einschränkungen: Kommunikative Minimaleinheiten [...] verfügen nicht nur über ein klar erkennbares illokutives Potential, sondern auch über einen klar abgegrenzten propositionalen Gehalt (ebd., S. 90). Sofern dies nicht gegeben ist, handelt es sich um interaktive Einheiten, die eine weitere Gruppe der selbstständigen Einheiten darstellen (vgl. die Baumdarstellung der verschiedenen Einheiten in Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, S. 92): Das Vorhandensein von illokutivem Potential und propositionalem Gehalt unterscheidet kommunikative Minimaleinheiten von INTERAKTIVEN EIN- HEITEN [...]. Bei diesen handelt es sich zwar um selbständige Einheiten der Interaktion, sie tragen jedoch weder zum Aufbau von kommunikativen Minimaleinheiten bei, noch sind sie illokutiv und propositional klar ausdifferenziert. (ebd., S. 90). Zu den interaktiven Einheiten zählen Interjektionen und Responsive (vgl. ebd., S. 90 und S. 62-63). Bezogen auf beide Gruppen lässt sich einwenden, dass mit den zu ihnen gehörenden Ausdrücken durchaus sprachliche Handlungen vollzogen werden können. Zumindest bei den Responsiven ist der Typ der Handlung - die Antwort - schon mit dem Kategoriennamen gegeben. Ein illokutives Potenzial ist ihnen damit nicht abzustreiten. Entsprechend wird auch an der Stelle der Grammatik, die die Responsive behandelt, - im offenen Widerspruch zu den obenstehenden Aussagen - explizit festgestellt: „Zu den RESPONSIVEN gehören Ausdrücke, die selbständig eine kommunikative Minimaleinheit bilden können“ (ebd., S. 63). Diese Probleme dürften letztlich darauf zurückzuführen sein, dass es fraglich ist, ob eine sprachliche Handlung an das Vorliegen eines (in der gegebenen Weise bestimmten) propositionalen Gehalts gebunden ist, und ferner auch darauf, dass keine extensionale Bestimmung dessen vorliegt, was sprachliche Handlungen sind. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 185 Auch die ‘Grammatik der deutschen Sprache’ strebt keine empirische Fundierung, Erprobung und Validierung des Konzepts der kommunikativen und interaktiven Minimaleinheiten an, so dass die schon im Zusammenhang mit der Sprechhandlungstheorie erwähnten Einwände, was die Vollständigkeit und Eindeutigkeit der Segmentierung von empirischen Gesprächsdaten angeht, fortbestehen: Ebenso abstrahiert das grammatische Interesse an kommunikativen Minimaleinheiten in der Regel möglichst weitgehend von konkreten Verwendungen. Auch kommunikative Minimaleinheiten können als types betrachtet werden. Dies bedeutet, daß bei der Bestimmung der Funktion kommunikativer Minimaleinheiten von der Ebene konkreter Sprechhandlungen oder Illokutionen abgesehen werden muß. (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, S. 89). Betrachtet man sprachliche Handlungen/ Sprechakte als grundlegende Einheiten mündlicher Kommunikation, so lassen sich zusammenfassend zwei zentrale Probleme benennen: Zum einen ist nicht weitreichend genug geklärt und operationalisiert, was sprachliche Handlungen sind. Dies und anderes führt - zweitens - dazu, dass die Segmentierung von Gesprächen in sprachliche Handlungen ausgesprochen problematisch ist. Äußerungseinheit Rath (u.a. 1976b, 1985, 1990 und 1997) betrachtet Äußerungseinheiten als grundlegende Einheiten gesprochener Sprache. In ihnen sieht er das Äquivalent zum Satz in der Schriftsprache, die seines Erachtens „nach Sätzen gegliedert“ (Rath 1990, S. 200) ist. 113 Dies gilt nicht gleichermaßen für die gesprochene Sprache: „In der gesprochenen Sprache ist der syntaktisch orientierte Begriff des Satzes unbrauchbar. Dort ist von der kommunikativ orientierten Größe der Äußerungseinheit auszugehen.“ (Rath 1985, S. 1653). Für Äußerungseinheiten gibt Rath dabei folgende Definition: „Die zwischen solchen Grenz- oder Gliederungssignalen stehenden Einheiten nenne ich Äußerungseinheiten.“ (ebd., S. 1658). Grenz- und Gliederungssignale be- 113 „Ein zentraler Begriff jedenfalls - für die Schriftsprache, der in jeder Grammatik eine bedeutende Rolle spielt: die Schriftsprache ist nach Sätzen gegliedert, der „Satz“ ist ihr Angelpunkt.“ (Rath 1990, S. 200). „In Grammatik und Sprachtheorie gilt heute wie vor hundert Jahren der „Satz“ als die größte linguistische Einheit, unbeschadet der Tatsache, daß auch größere - diskursive - Einheiten akzeptiert werden.“ (ebd., S. 199). Eigenschaften gesprochener Sprache 186 stimmt er wie folgt näher: „Darunter sind sprecherische (Intonation und Pausen) und sprachliche (lexikalisch-syntaktische) Mittel zu verstehen: Stimmsenkung, Stimmerhöhung; längere oder kürzere (auch gefüllte) Pausen; Gliederungspartikel [...]; syntaktische Formeln [...].“ (ebd., S. 1658). Während hier die Äußerungseinheit ausschließlich formal bestimmt wird und manifeste Phänomene ihre Grenzen indizieren, tritt in der Definition von 1990 ein weiteres Bestimmungsmoment hinzu: Diese schon des öfteren beschriebenen „Gliederungssignale“ dienen dazu, größere Textstücke zu portionieren, indem sie - nicht unabhängig von syntaktischer Gliederung, aber auch nicht gegen sie - eigene Grenzen bilden. Genau innerhalb dieser Grenzen wird die zentrale interaktive Größe „Äußerungseinheit“ konstituiert. An dieser Konstituierung wirken neben diesen Gliederungssignalen weiterhin prosodische Elemente sowie (stille und gefüllte) Pausen mit. Was ist eine Äußerungseinheit? Es ist der Textteil, um vorweg eine ältere Bestimmung von mir (Rath (1976), p. 66f.) aufzunehmen, „der ‘auf einmal’ als eine Einheit produziert und rezipiert wird. Damit ist zunächst nicht die äußere sprachliche Gestalt der Einheit Basis ihrer Bestimmung, sondern die Intention des Sprechers, verstanden werden zu wollen, und die Fähigkeit des Hörers, verstehen zu können. Die Äußerungseinheit ist mithin eine Hypothese über kommunikative Textgliederung. Sie ist nicht mit dem ‘Satz’ der Grammatik identisch. Sie ist oft kleiner als der Satz (...), sie kann über Satzgrenzen hinausgehen (...). Oft fallen Satzgrenze und Grenze der Äußerungseinheit zusammen.“ (Rath 1990, S. 202-203). Indem Rath auf Intentionen und Fähigkeiten rekurriert, macht er hier - deutlicher als in anderen Arbeiten - die Einheitenbildung sprecherbzw. hörerabhängig. Auf dieses Konzept werden wir unten zurückkommen. Allerdings bleibt unklar, wie die manifeste Indizierung von Grenzen und die subjektive Segmentierung von Sprecher bzw. Hörer miteinander vermittelt sind. Was die Frage der über- oder untergeordneten Einheiten angeht, so stellen für Rath Äußerungseinheiten Untereinheiten im Rahmen von Beiträgen dar: Naheliegend und im Prinzip problemlos ist eine Gliederung des Dialogs nach Sprecherwechseln. [...] Wie aber sollen die einzelnen Sprecherbeiträge [...] segmentiert werden? [...] Eine der dialogischen Sprache angemessene Möglichkeit der Segmentation besteht darin, den Gliederungsprinzipien des Sprechers selbst - unter Berücksichtigung der Gliederungsaktivitäten der übrigen Dialogteilnehmer - zu folgen. Der Sprecher portioniert seinen Text mithilfe sogenannter Gliederungssignale. (Rath 1985, S. 1658). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 187 Rath sieht bei der Strukturierung gesprochener Sprache zwei Gliederungsprinzipien am Werk: „syntaktische und interaktive Gliederung“ (Rath 1990, S. 209), deren Verhältnis er folgendermaßen beschreibt: Es geht mir nicht darum, Syntax gegen Interaktion auszuspielen, sondern darum zu zeigen, daß hier zwei unabhängige Gliederungsprinzipien existieren. (ebd., S. 205). Sprecher und Hörer ziehen innerhalb der ablaufenden Syntax eigene, interaktive Grenzen, an die (Bestätigungs-, Vergewisserungs-, Kommentar-...) Signale gesetzt werden. Die Konstituierung dieser Grenzen (und damit von Äußerungseinheiten) ist, s.o., von der gesamten Interaktionssituation abhängig. (ebd., S. 209). Potentiell werden immer ‘Sätze’ gebildet. Die Syntax hat also hier eine sprachinterne konstruktive Aufgabe. Die Durchführung dieser Aufgabe führt nun aber nicht automatisch zum ‘Satz’ im konkreten Verstand. Denn die konkreten syntaktischen Gebilde werden immer wieder ‘durchsetzt’, ‘unterbrochen’ durch interaktive Anweisungen, bereits Gesagtes als Einheit zu verstehen, unabhängig davon, ob eine Satzgrenze erreicht oder überschritten ist. Diese Aufgabe wird von den oben beschriebenen Gliederungsmitteln übernommen und führt zur Bildung von Äußerungseinheiten. (ebd., S. 210). Rath illustriert das Konzept der Äußerungseinheiten an einer Reihe von Beispielen. So analysiert er z.B. die folgende (verkürzt wiedergegebene) Sequenz als aus zwei Äußerungseinheiten bestehend (/ / ), die durch das Hörersignal „Ja“ konstituiert werden: Sprecher: Daß auch auch gewisse gewisse geistigen Interessen/ / Hörerin: Ja Sprecher: notwendig sind, um dann in der Krise die Ehe zu überbrücken/ / In Zeile 8 wird durch das (relativ) neutrale Hörersignal „ja“ eine Äußerungseinheit mit konstituiert, die kaum als syntaktische Einheit gewertet werden kann: „Daß auch auch gewisse gewisse geistigen Interessen“. Es handelt sich syntaktisch gesprochen, um einen unvollständigen Nebensatz. Dennoch stellt dieser eine für den Hörer abgrenzbare, bestätigbare und kommentierbare Einheit dar. (Rath 1990, S. 206). U.E. markieren viele der Sprecher- und Hörersignale, die Rath als Äußerungseinheiten konstituierende Elemente anführt, primär keine Grenzen, sondern erfüllen andere Funktionen, z.B. solche der Bestätigung, Kommentierung und Bewertung von Elementen. Sie tun dies unserer Meinung nach auch in dem eben zitierten Beispiel, wo das „Ja“ die Erwähnung des Hoch- Eigenschaften gesprochener Sprache 188 wertkonzept ‘geistige Interessen’ positiv ratifiziert. Für die Platzierung solcher Ausdrücke bestehen eigene konditionelle Relevanzen, die nur in zweiter Linie etwas mit Segmentierung zu tun haben. Sie gehören damit primär nicht zu den Gliederungsmitteln, sondern zur Bewertungs-/ Kommentierungsdimension im Rahmen eines Mehrebenenmodells von Kommunikation (vgl. Fiehler 1990a). Ein weiteres Beispiel aus Rath (1997): In der folgenden, von Selting (1995b, S. 312-313) übernommenen Äußerung „ähm . ja das kommt auch DAher weil.. diese ganzen FRAUNthemen von wegen emanzipaTION un SO... die wern von den MEIsten fraun DIE sich damit beSCHÄFtigen (...)“ interpretiert Rath das „un SO“ als Sprechersignal, das den Abschluss einer Einheit signalisiert: Syntaktisch führt die Sprecherin einen Nebensatz nicht zu Ende. Sie schließt ihn aber mit einem Sprechersignal („und so“) ab. Die projektierende Kraft der Syntax wird durch das eindeutige Abschlußsignal „und so“ gleichsam überflüssig. (Rath 1997, S. 12). U.E. wird „un SO“ in diesem Fall benutzt, um anzuzeigen, dass eine weitere Detaillierung nicht erforderlich ist. Dass es ein Gliederungssignal darstellt und zu der - an dieser Stelle zweifellos vorliegenden - Zäsur beiträgt, können wir hingegen nicht erkennen. Ausdrücke der vorgestellten Art in allen Fällen auch als Gliederungsindikatoren zu werten, halten wir für problematisch. 114 Generell erscheint uns eine Segmentierung, die die Konstitution von Einheiten an die Existenz expliziter hörer- oder sprecherseitiger Signale bindet, zu objektivistisch und mechanistisch. Eine Aussage wie „Gliederungssignale markieren immer Grenzen“ (Rath 1997, S. 14) kann entweder als Setzung verstanden werden und ist dann per se wahr. Wenn sie aber als Aussage über einen empirischen Sachverhalt gemeint ist, erscheint sie uns in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Hinzu kommt, dass Rath - zumindest in den ge- 114 Für eine ähnliche Kritik vgl. Selting 1995b, S. 300. Darüber hinaus betont sie - ebenso wie Rehbein (1995, S. 15) -, dass Rath die kommunikative Rolle der Syntax nicht hinreichend beachtet: „Wenn aber Sprecherinnen und Sprecher und Rezipientinnen und Rezipienten sich an syntaktischen und prosodischen Strukturen, Einheiten und Konstruktionsschemata orientieren, dann ist - entgegen der Behauptung von Rath (s.o.) - die „interaktive Gliederung“ keineswegs unabhängig von der syntaktischen.“ (Selting 1995b, S. 322). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 189 nannten Arbeiten - keine mimisch-gestischen Gliederungsmittel berücksichtigt. Positiv sehen wir, dass Rath - wie oben dargestellt - die Segmentierung grundsätzlich als Leistung von Sprecher und Hörer bestimmt und von den Zwecken der Verständigung abhängig macht. Äußerung Ein vehementes Plädoyer für Äußerungen als Grundeinheit mündlicher Kommunikation liefert Rehbein (1995). Dabei gibt er zugleich einen Überblick über die Entwicklung dieses Konzepts in der Geschichte der Linguistik (S. 4-15). Zusammenfassend charakterisiert er Äußerungen in folgender Weise: Eine Äußerung ist ein Akt der Versprachlichung (: Verbalisierung), der (i) phonetisch erfolgt; (ii) an einen/ mehrere präsente/ n Hörer adressiert ist; (iii) typisierbar ist je nach (a) sprecherseitig (b) hörerseitig (c) deliberierend (iv) ein je spezifisches ensemble sprachlicher Prozeduren realisiert, deren Anfang, Verlaufsstruktur und Ende (u.a. durch Morphosysntax, Intonation usw.) wahrnehmbar sind; (v) aus einem „Kontinuum“ gesprochener Sprache abgrenzbar gegenüber gegebenenfalls vorhergehenden und gegebenenfalls folgenden Akten ist. (ebd., S. 22). Die Frage, welche Einheiten in diesem Sinne als selbstständige Äußerungen anzusehen sind, ist für Rehbein nicht nur von theoretischem Interesse, sondern hat praktische Konsequenzen: Im Prozess des Transkribierens, wie es im Rahmen von HIAT (vgl. Ehlich/ Rehbein 1976) und mithilfe des Transkriptionsprogramms ‘syncWRITER’ praktiziert wird, wird der Diskurs vollständig in Äußerungen segmentiert und die einzelnen Äußerungen werden durch Äußerungsendzeichen voneinander getrennt. Darüber hinaus werden äußerungsinterne Gliederungen innerhalb binnenstrukturierter Äußerungen durch Kommata gekennzeichnet. Das Segmentieren wird im folgenden unter der Zwecksetzung diskutiert, bei der computergestützten Transkription die Interpunktionszeichen am Ende jeder Äußerung nach ausgewiesenen Kriterien zu setzen (Rehbein 1995, S. 24). Eigenschaften gesprochener Sprache 190 So stellt Teil II von Rehbein (1995) im Wesentlichen ein Manual dar, das den Äußerungsstatus verschiedener Einheiten diskutiert, Zweifelsfälle analysiert und so „Vorschläge für das Segmentieren des Diskurses nach Äußerungen“ (S. 4) macht. Um es zusammenzufassen: Transkripte, die auf dieser Grundlage erstellt werden, enthalten eine vollständige Segmentierung des Diskurses in Äußerungen. Diese Segmentierung zu erarbeiten, ist ein wesentlicher Aspekt des Transkribierens (vgl. das Ablaufschema der Schrittfolge beim Segmentieren S. 55-58). Fragt man nun, welche Einheiten nach Auffassung Rehbeins als eigenständige Äußerungen gelten können, so sind dies u.a. auch relativ ‘kleine’ Einheiten wie z.B. Interjektionen, Ausdrücke paraexpeditiver Prozeduren (ja, nein, gut, richtig, okay etc.), Vokativ, Imperativ, Mittel des Malfeldes (brrrr, tststs etc.), isoliert verwendete Deixis, isoliert verwendete Konstituenten, isoliert verwendete Nebensätze, Verselbstständigungen (Vorwegnahmen, Nachträge), freies Thema etc. (vgl. ebd., S. 32ff.; für eine vollständige Zusammenstellung der auf ihren Äußerungsstatus hin diskutierten Phänomene vgl. die Übersichtsschemata S. 54ff.). Darüber hinaus nennt Rehbein aber auch Aktivitäten des Hörers, die er als ‘Höreräußerungen’ kategorisiert. 115 Dies bedeutet, dass Rehbein viele der Phänomene, die bei einer Segmentierung nach Sätzen oder sprachlichen Handlungen/ Sprechakten Probleme bereiten, als eigenständige Äußerungen betrachtet. Er tut dies auf dem Hintergrund, dass er nicht auf der Ebene des Sprechakts und seiner Teilakte verbleibt, sondern auf das funktionalpragmatische Konzept der sprachlichen Prozeduren rekurriert (vgl. Ehlich 1986b): Prozeduren sind kleinere Größen als Akte und haben sprachsystematische Qualitäten, gehen aber nicht eins: eins in einem Äußerungsakt auf. Die Kategorie der ‘Äußerung’ wird also als die Realisierung sprachlicher Prozeduren konstituiert. (Rehbein 1995, S. 16). 115 „Wir haben es also diskursanalytisch mit einem zweiten System sprachlichen Handelns, einem hörerbasierten, zu tun. Entsprechend sind hörerbasierte Äußerungen als selbständige Formeinheiten zu klassifizieren.“ (Rehbein 1995, S. 17). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 191 Dies ermöglicht es Rehbein, sich sowohl gegen sprachliche Handlungen/ Sprechakte als auch gegen Beiträge (turns) als Grundeinheiten abzugrenzen und auf die Vorteile einer Segmentierung nach Äußerungen zu verweisen: Faktisch kann z.B. ein Sprechakt in mehreren Äußerungen, die nicht einmal linear nacheinander geordnet sein müssen, umgesetzt werden; oder mit einer einzelnen Äußerung können etwa verschiedene Sprechakte realisiert werden. (Rehbein 1995, S. 15). Wenn in einem turn mehr als ein Äußerungsakt umgesetzt wird, macht die Kategorie der Äußerung die „Mikrostruktur“ sprachlicher Kommunikation deutlicher als die Kategorie des turns. (ebd., Anm. 46, S. 25-26). Die Frage der Binnenstrukturierung bzw. -segmentierung von Äußerungen steht bei Rehbein in dieser Arbeit nicht im Vordergrund. Sie wird nur soweit relevant, wie die Frage geklärt werden muss, ob einzelne Elemente eigenständige Äußerungen oder einer anderen zuzurechnen sind. So thematisiert z.B. das Konzept der Sprechhandlungsaugmente (Rehbein 1979) - i.e. Elemente, die dem „inhaltlichen Beitrag“ (S. 59) vor und nachgeschaltet sind - einen Aspekt der Binnensegmentierung von Äußerungen (vgl. Rehbein 1995, Abschnitt 7: Nicht-selbständige Elemente in Äußerungen mit Binnenstruktur). Nach Auffassung von Rehbein konstituieren also einzelne Prozeduren oder spezifische Ensembles von Prozeduren Äußerungen. Die Segmentierungsergebnisse, zu denen Rehbein auf dieser Basis kommt, decken sich weitgehend mit den Einheiten, die wir später als funktionale Einheiten vorstellen werden. Bei weitgehender Übereinstimmung in den Resultaten besteht der Unterschied im theoretischen Zugriff. U.E. besteht - zumindest für die Zwecke der Segmentierung mündlicher Kommunikation - keine Notwendigkeit, auf das Konzept der Prozeduren zu rekurrieren. Vergleichbare Ergebnisse sind auch über die Reflexion der Funktionen von Einheiten im Kommunikationsprozess zu gewinnen. Der Bezug auf benennbare kommunikative Funktionen entlastet dann auch von der Notwendigkeit anzugeben, welche einzelnen Prozeduren bzw. welche Prozedurenkombinationen äußerungskonstitutiv sind (und warum sie dies sind) und welche nicht: Die spezifische Kombinatorik der Prozeduren wirkt dabei im Äußerungsakt mit einer gewissen Adstringenz zusammen, durch die die sprachlichen Formen hörerangemessen und zirkumskript zusammengehalten werden (: ensemble-Charakter der Äußerung). (Rehbein 1995, S. 16-17). Eigenschaften gesprochener Sprache 192 Intonation unit Chafe (1988) wählt für die Einheitenbildung einen gänzlich anderen Ausgangspunkt als die bis jetzt betrachteten Ansätze: weder einen syntaktischen noch einen handlungstheoretischen, sondern einen prosodischen Zugang. Er segmentiert das Sprechen in ‘intonation units’. Seine Vorgehensweise ist damit rein formal. When one listens carefully to spoken language, or even when one examines a careful transcription of it, one can hardly help noticing that it occurs in a series of relatively brief spurts of vocalization. In their prototypical form, these spurts exhibit a single coherent intonation contour characterized by one or more intonation peaks and a cadence that is recognizable as either clausefinal or sentence-final. Usually they are separated by pauses that last anywhere from a fraction of a second to several seconds. It seems appropriate to call them ‘intonation units’. (Chafe 1988, S. 1). Chafe sieht die ‘intonation units’ als Ausdruck von Informationen bzw. Gedanken: It is productive to suppose that each intonation unit is a linguistic expression of the particular information on which a speaker is focusing his or her consciousness at a particular moment [...]. If there is validity in that interpretation, then intonation units provide us with valuable windows to the flow of thought by showing how much and what kinds of information are being focussed on at different times, but also [...] the kinds of movements that take place from one focussed piece of information to the next while thought is being verbalized. [...] we call each peace of focussed information an ‘idea’. (1988, S. 2-3). [...] the relation between intonation units and clauses. [...] It is typical for about 70% of the intonation units in conversations among academic people to be complete single clauses. (ebd., S. 3). Chafe konstatiert, dass es nichtsatzförmige ‘intonation units’ gibt, aber eine Systematik liegt nicht in seinem Interesse. Vielmehr geht er - ebenso wie Lindgren - davon aus, dass Sprecher vollständige Sätze äußern wollen, aber durch äußere Umstände daran gehindert werden: It is intriguing to speculate that the intonation units found in spoken language manifest the flow of ideas, while clauses manifest the flow of language - the way ideas are verbalized [...]. Ideas, in themselves, are successive activations of small amounts of information. Their verbalization then typically requires that these successive activations be expressed in terms of a starting-point and Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 193 added information, a subject and a predicate, a clause. But ideas are often expressed as parts of clauses, or as fragments whose possible expression in the clause format never materializes. (1988, S. 4). Die Segmentierung ausschließlich nach ‘intonation units’ führt - wie Rehbein kritisiert - zu einer Fragmentierung des Diskurses, bei der (funktionale) Beziehungen zwischen den Einheiten nicht deutlich werden: Sprechhandlungsaugmente werden, obwohl sie meist einer Äußerung angehängt und lediglich bisweilen eigenständige Äußerungen sind, stets als eigenständige abgetrennt. Auf diese Weise fragmentarisiert Chafe die Äußerung in kleinere Elemente, intonation units, ohne deren Rolle in einer übergreifenden Einheit, der Äußerung, zu sehen, zu der sie zweifellos vom Hörer in der durch das Verstehen geleiteten Perzeption synthetisiert werden. (Rehbein 1995, S. 21). Es ist zweifellos der Fall, dass es eine prosodische Gliederung des Diskurses gibt, 116 jedoch handelt es sich dabei um eine rein formbezogene Gliederung, die die Funktionalität der Einheiten und funktionale Beziehungen zwischen ihnen außer Acht lässt. Bei Chafe (1988) zeichnet sich zudem eine starke Konvergenz zwischen ‘intonation units’ und Sätzen ab. Talk unit Ebenso wie für Chafe spielt die prosodische Segmentierung für Halford (1996) eine zentrale Rolle. Allerdings kombiniert sie die prosodische Gliederung mit einer syntaktischen und kommt auf dieser Basis zu einer Bestimmung von ‘talk units’. Both syntax and intonation structure spoken texts in a rather complex manner. Each of the structures can be described as a reservoir of conventional and recurrent units. An analysis of spoken texts is impossible without taking their complex relation into account. (Halford 1996, S. 8). The talk unit is the maximal unit defined by syntax plus intonation. Neither may a single prosodic presentation unit ever be analysed as more than one talk unit nor may a single self-contained syntagm form the base of more than one talk unit. In other words: several syntactically unrelated phrases can be linked by prosodic features, and two or more independent prosodic presentation units may be linked by virtue of spanning one syntagm. The talk units are recurrent as classes, and discourse can exhaustively be analysed in terms 116 So geht das GAT -Transkriptionssystem von einer Gliederung des Gesprächs in Phasierungseinheiten aus (vgl. Selting et al. 1998, S. 100). Eigenschaften gesprochener Sprache 194 of them. By definition they are language-specific. [...] Talk units are the vehicles used by the speaker to present his/ her message. Whatever the speaker decides to present in such a unit, comes across as a unit of message. As listeners we react exactly to those units. (ebd., S. 33-34). Bei Halford werden also zur Bestimmung von talk units zwei Kriterien herangezogen - prosodische Einheiten auf der einen und syntaktische auf der anderen Seite. Die jeweils größere Einheit bestimmt die Extension der ‘talk unit’. Dies führt in vielen Fällen zu relativ großen Einheiten, wie die folgenden Beispiele zeigen: 13 a couple of years ago I was working in Banff / driving a taxi / when the summer was over / I acquired a car from a rental company ↔ and drove it back to Toronto < from Banff > / / (ebd., S. 265). 13 stellt eine talk unit dar. Sie umfasst zwar „two seperate syntagms in asyntactic relation“ (ebd.), aber die Einbettung in eine prosodische Einheit (/ / ) führt zu der Analyse, dass es sich um eine Einheit handelt. Im folgenden Fall ist es umgekehrt: 9 I mean it's bad enough that her daughter lives here / / but to cheat her out of the wedding that she's always dreamed of ↔ would just be 10 mhm/ / 9 would just be impossible/ / (ebd., S. 271-272). Halford bestimmt diesen Abschnitt, obwohl er zwei prosodische Einheiten (/ / ) enthält, als eine talk unit, weil in diesem Fall nur eine geschlossene syntaktische Einheit vorliegt. Halford beansprucht - ebenso wie Selting für den möglichen Satz - dass die Beteiligten sich an der Einheit ‘talk unit’ orientieren: „The corpus of this study, for example, shows beautifully that the end of a talk unit is the time for polite turn-taking.“ (ebd., S. 34). Zugleich beginnt mit jedem turn-taking eine neue talk unit: „Whenever there is turn-taking, we assume a talk unit border.“ (Halford 1996, S. 118, Anm. 45). 117 Damit geht Halford im Grundsatz von einer turn-Segmentierung aus, wobei talk units zugleich auch die Ebene einer möglichen Binnensegmentierung von Beiträgen darstellen. Der Sprecherwechsel ist neben Prosodie und Syntax das dritte Kriterium, das Halford für die Bestimmung von talk units heranzieht. 117 Dies bedeutet dann allerdings auch, dass eine gemeinschaftlich produzierte Äußerung als aus mehreren talk units bestehend analysiert wird (vgl. Halford 1996, S. 264). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 195 Syntaktische Basiseinheiten Auch Jürgens (1999) benutzt sowohl prosodische wie syntaktische Kriterien zur Identifizierung von Basiseinheiten: Syntaktische Basiseinheiten sind mit formal-syntaktischen Mitteln - Intonation/ Prosodie (für die GSPS) bzw. Interpunktion (für die GSCHS), - morphologische Markierung und - Serialisierung abgrenzbare Konstruktionen, die in der Redekette relativ selbständig auftreten. (S. 142). Diese Basiseinheiten werden dann syntaktisch-dependenziell charakterisiert und differenziert: Als Bezugssystem verwende ich die Dependenzgrammatik. Die Strukturbeschreibung erfolgt auf der Grundlage des für die jeweilige Konstruktion anzunehmenden Zentralregens. Ich orientiere mich damit am konkret gegebenen Material und will versuchen, die Vielfalt der möglichen syntaktischen Formen in meinen Kategorien zu reflektieren. (ebd., S. 156). Jürgens unterscheidet folgende syntaktische Basiseinheiten: Zusammenfassend seien im folgenden noch einmal alle registrierten syntaktischen Formen aufgeführt: 1. Syntaktische Basiseinheiten als mit formal-syntaktischen Mitteln abgrenzbare Konstruktionen, die in der Redekette relativ selbständig auftreten; 1.1. Sätze; 1.2. Nominalkonstruktionen; 1.3. Präpositionalkonstruktionen; 1.4. Verbalkonstruktionen (mit Finitum); 1.5. Partizipialkonstruktionen bzw. Infinitivkonstruktionen; 1.6. Konstruktionen ohne Zentralregens; 1.7. Eingliedrige Einheiten; 2. Syntaktisch sekundäre Einheiten als in komplexe syntaktische Basiseinheiten eingebettete abhängige Strukturen, die jeweils als Glied bzw. Gliedteil der übergeordneten Einheit fungieren; 2.1. Nebensätze; 2.2. Eingebettete Wortgruppen wie Substantivgruppen, präpositionale, infinitivische und partizipiale Wortgruppen. (ebd., S. 162-163). Eigenschaften gesprochener Sprache 196 Als Prinzip für die Beschreibung formuliert er dabei: Ich orientiere mich bei deren Klassifikation aber in Abgrenzung zum Ellipsenkonzept nicht an dem, was der jeweiligen Konstruktion fehlt, um einem wohlgeformten Satz zu entsprechen. Vielmehr gehe ich vom konkret gegebenen sprachlichen Material aus. (ebd., S. 299). Neben den Satz stellt Jürgens also eine ganze Reihe anderer Basiseinheiten, die er als prinzipiell gleichberechtigt versteht: Der Satz ist vielmehr als eine spezifische (und dabei sicherlich als die idealtypische) syntaktische Form aufzufassen, die neben anderen Formen existiert, um eine Äußerung zu tätigen. Ich will also den Satzbegriff nicht verwerfen und halte ausdrücklich fest, daß sich auch die GSPS der Kategorie Satz bedient. Es muß aber im folgenden darum gehen, Kategorien für die syntaktischen Äußerungsformen zu finden, die in der GSPS regelmäßig vorkommen, die aber nicht Satz im Sinne oben aufgeführter Definition sind. Es handelt sich vor allem um Formen, die in der Grammatik üblicherweise als Reduktionen (des vollständigen Satzes) bzw. als Ellipsen behandelt werden. (ebd., S. 84). Positiv zu vermerken ist, dass Jürgens die von ihm genannten Basiseinheiten gleichberechtigt behandelt. Kritisch jedoch sehen wir die rein syntaktische Charakterisierung der Basiseinheiten. Syntaktische, prosodische und semantisch-pragmatische Zäsurierungen Auer (1996; Ms.) kritisiert das analytische Segmentieren gesprochener Sprache als eine strukturalistische Vorgehensweise, die nicht den Problemen entspricht, vor denen Gesprächsteilnehmer(innen) stehen: Die [...] Konsequenz, die man aus dem Gesagten ziehen kann, ist allerdings sich zu fragen, ob das Segmentieren wirklich eine sinnvolle wissenschaftliche Tätigkeit bei der Untersuchung Gesprochener Sprache ist, und das heißt für mich: eine, die die interaktiv und kognitiv realen Vorgänge bei der Produktion und Interpretation tatsächlicher Sprache möglichst gut abbildet. (S. 1). Auer versetzt sich konsequent in die Position der Gesprächsbeteiligten und konstatiert, „daß sich Interaktionsteilnehmer in der on-line-Prozessierung der Gesprochenen Sprache ständig darum bemühen, mögliche Abschlußpunkte zu erkennen, also Gestaltschlüsse zu identifizieren“ (S. 2). Diesen Vorgang bezeichnet er als ‘Zäsurieren’: „Die Orientierung ist beim Zäsurieren auf Punkte, nicht auf Einheiten gerichtet.“ (S. 2). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 197 Gestaltschlüsse sind nun sowohl auf der syntaktischen Ebene als auch auf der intonatorischen und der semantisch-pragmatischen möglich. Die drei Ebenen stimmen keineswegs immer überein. Wenn wir also postulieren, daß Interaktionsteilnehmer auf allen drei Ebenen das Gehörte on-line prozessieren und auf Gestaltschlüsse hin absuchen, dann muß das Ergebnis dieser Analyse - aus der Sicht der Interaktionsteilnehmer gesehen - durchaus nicht immer eindeutig sein; die einzelnen Ebenen können sich widersprüchlich verhalten. (S. 2-3). Wichtig an dieser Konzeption erscheint uns dreierlei: Zum einen, dass das Problem der Einheitenbildung konsequent aus der Perspektive der Gesprächsbeteiligten betrachtet wird, zum anderen, dass die Einheitenbildung prozessorientiert modelliert wird, und drittens, dass Auer nicht von einer grundlegenden Einheit ausgeht, sondern konstatiert, dass es verschiedene Typen von Einheiten gibt, deren Zusammenwirken zu beschreiben ist. Turn und ‘turn constructional unit’ Einen solchen, an den Aktivitäten der Beteiligten orientierten Weg hatten auch schon Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974) sehr früh beschritten, wenn sie den turn oder, was wir als Übersetzung verwenden wollen, den (Gesprächs-) Beitrag als zentrale Größe der mündlichen Kommunikation ansetzen. Sie beziehen sich damit zunächst einmal nicht auf syntaktisch, prosodisch oder handlungstheoretisch bestimmte Einheiten, sondern auf das soziologische Konzept des Rederechts, dessen Nutzung von den Teilnehmer(innen) eines Gesprächs immer wieder von neuem auszuhandeln ist. Sie setzen damit in der Einheitenbestimmung bei der Perspektive der Beteiligten und ihren Aktivitäten an: Ein Beitrag ist das, was eine Person mit Rederecht, d.h., ohne dass ihr das Recht zu sprechen von einer anderen streitig gemacht wird, äußert. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den Punkten, an denen das Rederecht legitim übernommen werden kann, und den kommunikativen Verfahren, mit denen dies geschieht. Auf jeden Fall sind es die Beteiligten selbst, die durch Anwendung dieser Verfahren Gesprächsbeiträge als Einheiten konstituieren. Die Größe dieser Einheiten ist äußerst variabel, sie reicht vom einzelnen Wort bis zu ganzen Erzählungen oder Vorträgen. Da Sacks, Schegloff und Jefferson ganz dominant eine Aktivitäts- und Vollzugsperspektive einnehmen, interessiert sie die strukturelle Frage, woraus Beiträge bestehen, aus welchen Einheiten sie sich ihrerseits zusammenset- Eigenschaften gesprochener Sprache 198 zen, nur in zweiter Linie. ‘Turn-constructional units’ werden nur so weit behandelt, wie sie für die Projektion und Bestimmung von ‘transitionrelevance places’ von Bedeutung sind: We have proposed that the allocation of turn-space is organized around the construction of talk IN the turns. That organization appears to key on one main feature of the construction of the talk in a turn - namely, that whatever the units employed for the construction, and whatever the theoretical language employed to describe them, they still have points of possible unit completion, points which are projectable before their occurrence. (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, S. 720). Die Konstruktion von Beiträgen ist Resultat der ‘turn-constructional component’: There are various unit-types with which a speaker may set out to construct a turn. Unit types for English include sentential, clausal, phrasal, and lexical constructions (ebd., S. 702). Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974) behandeln die genannten Einheiten als gleichwertig und sprechen allen gleichermaßen die Eigenschaft zu, dass sie in ihrem Typ und mit ihrem möglichen Endpunkt vorhersehbar sind: Instances of the unit-types so usable allow a projection of the unit-type under way, and what, roughly, it will take for an instance of that unit-type to be completed. (ebd.). So geben sie Beispiele für ‘single-word turns’, ‘single-phrase turns’ und ‘single-clause turns’ (ebd., S. 702-703, Anm. 12) und stellen ausdrücklich für diese fest: We may note that it is empirically evident, from sequential materials, that projectability is the case; i.e. we find sequentially appropriate starts by next speakers after turns composed of single-word, single phrase, or single-clause constructions, with no gap - i.e. with no waiting for possible sentence completion. (ebd., S. 702, Anm. 12). 118 In jüngster Zeit ist von Ford/ Fox/ Thompson (1996) einerseits und Selting (1996, 1998) andererseits der Versuch unternommen worden, den Begriff der ‘turn constructional unit’ weiter zu operationalisieren und zu präzisieren. 118 Deutlich fällt Selting (1995b) hinter diese Aussagen zurück, wenn sie sich auf die Behandlung möglicher Sätze als Einheiten für die Beitragskonstruktion beschränkt. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 199 Ford/ Fox/ Thompson greifen die Frage auf: „What are the basic units of talkin-conversation? “ Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen fassen sie in drei Punkten zusammen: TCUs are emergent and thus cannot be pre-defined. (1996, S. 449). Sie erläutern dies wie folgt: Indeed, for users, participants in interaction, the ultimate ‘indefinability’ of TCUs is essential to their functionality. Interactants regularly extend, foreshorten, reanalyze, and repair their developing turns in response to contingencies emergent at particular points in particular conversations. (ebd., S. 428). Der zweite Punkt betrifft die Rolle der Syntax: Based on close attention to the production of these turns, we have shown that projection of possible completion is done not through syntax alone but through practices involving the fitting of a contribution to its context of action (pragmatics), through prosody, by means of gaze and body movements that accompany verbalization, and through the monitoring of recipient behavior. (ebd., S. 448-449). Als dritten Punkt konstatieren sie eine Verschiebung ihres Untersuchungsinteresses. Die Absicht zu entscheiden, ob ein bestimmter Teil eines turns eine TCU ist oder nicht, ist bei ihnen im Verlauf der Analysen in den Hintergrund getreten zugunsten einer mehr prozessbezogenen Sichtweise: To provide an account for the architecture of turn production, we have distanced ourselves from a binary question regarding the status of a segment as a TCU. This distance has in the end provided us with a closer view of the processes used by co-participants in constructing their contributions. (Ford/ Fox/ Thompson 1996, S. 449). So produktiv und interessant diese Konzentration auf Verfahren und Prozesse der turn-Konstruktion auch ist, sie löst die Einheitenfrage nicht, so dass Selting dem zu Recht entgegenhält: So even when Ford/ Fox/ Thompson want to direct their attention more to participants' practices of turn construction than to the segmentation of TCUs [...], these activities nevertheless result in retrospectively recognizable 'units' which have to be deconstructed and reconstructed as resources of activity constitution in conversation. (1998, S. 18). Eigenschaften gesprochener Sprache 200 Als definierende Merkmale von TCU s zieht sie allerdings nur Syntax und Prosodie in Betracht, womit sie einige der von Ford/ Fox/ Thompson genannten Faktoren nicht beachtet: As I have shown, neither TCUs nor possible turns can be defined with reference to only syntax or prosody. Rather, TCUs and turns are the result of the interplay of syntax and prosody in the given semantic, discourse-pragmatic and sequential context. (ebd., S. 38). Mit der Betrachtung von syntaktisch und prosodisch bestimmten Einheiten beschränkt sie sich - wie fast alle der zuvor behandelten Positionen - auf formale Kriterien bei der Einheitenbildung. Gleichwohl konstatiert sie: Speakers and recipients in general do not orient to the production of TCUs as such, but to the organisation of interpretable activities that are constituted with and via such units. The production of units is only an epiphenomenon of the production of activities. (ebd., S. 39). [TCUs] have to be conceived of as the smallest interactionally relevant complete linguistic units. (ebd., S. 40). Auf diesen Punkt werden wir unten zurückkommen, wenn wir Handlungen und die Möglichkeit der Zuschreibung von Funktionen für den Kommunikationsprozess als zentrales Kriterium für die Einheitenbildung durch die Gesprächsbeteiligten postulieren werden. 2.2 Der Beitrag und das Problem seiner ‘Untereinheiten’ Wir möchten uns der Auffassung anschließen, dass der Gesprächsbeitrag die grundlegende Einheit der mündlichen Kommunikation ist. Nimmt man ernst, dass sich mündliche Kommunikation in Gesprächen vollzieht, so scheint es angemessen, als nächstniedrige Einheit unterhalb des Gesprächs das anzusetzen, was die Gesprächsbeteiligten in zeitlicher Sukzession hierzu beitragen. Außer den Konversationsanalytikern betrachten auch Rath, Rehbein und Halford den Beitrag als wichtige Einheit mündlicher Kommunikation, wenngleich nicht als die zentrale. Ein Beitrag ist eine Äußerung, die mit Rederecht gemacht wird. Dass jemand einen Beitrag macht, heißt, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Re- Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 201 derecht spricht. D.h. sein Recht zu reden, ist von den anderen Gesprächsteilnehmern ratifiziert bzw. wird nicht durch Handlungen irgendwelcher Art in Frage gestellt. Nicht jede Äußerung ist zugleich auch ein Beitrag (im Rahmen dessen, was die Beteiligten als das aktuelle Gespräch konstituiert haben). Es gibt zwei Gruppen von Äußerungen ohne Beitragsstatus: Äußerungen im Rahmen des aktuellen Gesprächs, für die der Beitragsstatus nicht beansprucht wird (Rückmeldesignale, Einwürfe etc.), und Äußerungen, die nicht als Beitrag zum aktuellen Gespräch intendiert sind (die aber im Rahmen einer ‘Nebenkommunikation’ bzw. in einem anderen Gespräch Beitragsstatus haben können). 119 Der Beitrag hat eine mentale und eine interaktionale Seite. Die mentale Seite kann man explizieren als das, was der Sprecher - wie bewusst und klar vorstrukturiert auch immer - im nächsten Zug zum Gespräch beizutragen beabsichtigt (beabsichtigter Beitrag). Dies braucht einerseits aufgrund von Momenten der Versprachlichung (Produktionsbedingungen), andererseits aufgrund von ‘Umplanungen’ im Vollzug des Beitrags und drittens als Folge interaktionaler Bedingungen (z.B. Einwirkung der anderen Gesprächsbeteiligten) nicht dem zu entsprechen, was im faktischen Beitrag und entsprechend dann auch im Transkript aufzufinden ist (realisierter Beitrag, vorfindbar im Transkript zwischen zwei Beitragswechseln). Der realisierte Beitrag ist ein interaktives Produkt, eine interaktive Hervorbringung. Die Interaktionspartner gestalten ihn gemeinsam. Die Feststellung, dass der Beitrag die zentrale Grundeinheit mündlicher Kommunikation ist, zieht aber - wegen der sehr variablen Größe von Beiträgen - sofort die Frage nach sich, aus welchen Einheiten er seinerseits bestehen kann. Der Beitrag ist zweifellos ein strukturiertes Gebilde und gerade ausgebaute Beiträge werfen das Problem ihrer Binnenstrukturierung bzw. -segmentierung auf. Gefragt ist hier nach abgrenzbaren, substantiellen Bestandteilen, nicht nach analytisch-theoretisch differenzierbaren Einheiten (wie z.B. illokutionärer vs. propositionaler Akt, Prozeduren). 119 Dies hat zur Konsequenz, dass zwischen Sprecherwechsel und Beitragswechsel zu unterscheiden ist: Nicht jeder Sprecherwechsel, z.B. wenn ein Einwurf gemacht wird, ist zugleich auch ein Beitragswechsel. Eigenschaften gesprochener Sprache 202 Einen Aspekt der Struktur und des Aufbaus von Beiträgen thematisiert Streeck, wenn er schreibt: Weiterhin ist zu beachten, daß Turns, wie immer sie sonst beschaffen sein mögen, nicht selten eine Struktur aus drei Teilen aufweisen; dies scheint der Tatsache geschuldet zu sein, daß Turns meist Turns in Sequenzen, Nachfolger eines vorigen und Vorläufer eines nächsten Turns sind. Während eine Einheit der Struktur des Turns dessen Verbundenheit mit dem vorigen demonstriert, ist ein anderer Teil auf die Aufgaben des gegenwärtigen Turns zugeschnitten und ein dritter der Herstellung einer Beziehung zu möglichen oder wünschenswerten Nachfolgeturns gewidmet. (Streeck 1983, S. 79). Einen weiteren Aspekt der Binnenstrukturierung von Beiträgen beschreibt Rehbein: Ein turn (= Beitrag) im gesprochenen Diskurs ist häufig in zwei Portionen gegliedert: (i) eine erste Turn-Portion, in der der Sprecher in einer Hörerrolle direkt auf die Vorgänger-Äußerung des vorhergehenden Sprechers Bezug nimmt (dies z.B. mittels einfacher Bestätigungen, Verneinungen, Interjektionen usw.); (ii) eine zweite Turn-Portion, in der der Sprecher in einer Sprecherrolle einen eigenen Plan umsetzt. (1995, S. 49). Abgesehen davon, dass beide Bestimmungen hinsichtlich des dritten Teils nicht übereinstimmen, handelt es sich bei beiden Einteilungen noch um großflächige Segmentierungen des Beitrags. Feiner ist die Differenzierung, die Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974) vornehmen: „sentences, clauses, phrases, and one-word constructions, and multiples thereof“ (S. 721). Sofern sie sich mit den Bestandteilen eines Beitrags oder den „elements out of which turns are built“ (S. 721) befassen, bestimmen sie diese Einheiten also syntaktisch: Our discussion [...] of the turn-constructional component of the turn-taking system identifies the types of turn-constructional units as sentential, clausal, phrasal, and lexical - i.e. syntactically. (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, S. 720). Und sie betonen the deep ways in which syntax matters to turn-taking, albeit a syntax conceived in terms of its relevance to turn-taking (ebd., S. 721). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 203 Die Idee, die im Folgenden vorgestellt werden soll, besteht darin, eine Binnensegmentierung des Beitrags nicht in syntaktischen Begriffen - wie es bei Sacks/ Schegloff/ Jefferson der Fall ist - oder nach syntaktischen, prosodischen und semantisch-pragmatischen Zäsurierungen - wie Auer und Ford/ Fox/ Thompson es tun - vorzunehmen, sondern eine funktionale Konzeption für die Segmentierung des Beitrags zu entwickeln. An die Stelle letztlich formorientierter Kriterien der Einheitenbestimmung tritt damit eine funktionale Perspektive auf die Struktur von Beiträgen. Gefragt wird danach, an welchen Stellen der Hörer in der online-Prozessierung eines Beitrags zu der Auffassung kommen kann, dass etwas abgeschlossen ist, dem er - als Einheit - eine kommunikative Funktion zuschreiben kann. Funktionale Einheiten sind also Einheiten, denen die Beteiligten im Vollzug des Gesprächs eine Handlungsfunktion zuschreiben können, die im jeweiligen Kontext zur Fortentwicklung der Interaktion beiträgt. Es geht also nicht um die Zuschreibung einer beliebigen Funktionalität, also z.B. von grammatischen Funktionen, sondern um eine Funktionalität im Kommunikationsprozess. Mit diesen Einheiten werden spezifische Gesprächsaufgaben bearbeitet, z.B. das Äußern einer Bewertung, das Geben einer Antwort oder die Adressierung eines Gesprächspartners etc. Der Prozess der Identifizierung solcher Einheiten basiert primär auf der semantischen und funktionalen Interpretation der einlaufenden sprachlichen Elemente. Die Identifizierung funktionaler Einheiten stützt sich dabei auch auf syntaktische und prosodische Mittel (syntaktische Gestaltschlüsse, geschlossene prosodische Konturen) bzw. macht von ihnen unterstützenden Gebrauch, sie ist aber weder allein noch primär von ihnen abhängig: Die Zuschreibung von kommunikativen Funktionen ist in vielen Kontexten nicht abhängig von syntaktischer oder prosodischer Vollständigkeit bzw. Geschlossenheit. Beim Verstehen von Beiträgen geht es nicht per se um das Erkennen von syntaktischen, prosodischen oder anderen Gestalten, d.h. Formen, sondern um das Erkennen und Interpretieren von Handlungen bzw. Funktionen. Unsere Hypothese ist damit, dass die Beteiligten bei der Identifizierung von Einheiten im Rahmen von Beiträgen sich primär nicht an syntaktischen und/ oder prosodischen Einheiten orientieren, sondern dass sie im Gesagten das als Einheit verstehen und abgrenzen, dem sie eine Funktion im kommunikativen Handeln zuschreiben können. D.h., wir gehen davon aus, dass die Eigenschaften gesprochener Sprache 204 Beteiligten darauf orientiert sind, was die jeweils anderen in ihren Beiträgen machen und bei der Einheitenbildung Aktivitäten separieren, denen sie eine kommunikative Funktion im Rahmen des interaktiven Austauschs zuschreiben können. Getragen wird diese Hypothese von der Überzeugung, dass die oben nachgezeichnete Debatte um Grundeinheiten der mündlichen Kommunikation - als Folge der ursprünglichen Orientierung am Satz - zu strukturell-formorientiert verlaufen ist und dass so die funktionale Gliederung der Beiträge, an der sich die Beteiligten primär orientieren, zu wenig beachtet worden ist. 2.3 Funktionale Einheiten Orientiert man sich - wie es für konversationsanalytische Arbeiten konstitutiv ist und wie Auer es in besonders dezidierter Weise tut - an der Perspektive von Gesprächsbeteiligten, so sind ihre Aktivitäten im Prozess des Verstehens darauf gerichtet, zu erkennen und zu interpretieren, welche Handlungen der andere mit seinem Gesprächsbeitrag vollzieht. Sobald sie Teile eines Beitrags als solche Handlungen identifizieren können, separieren sie diese als funktionale Einheiten. Auf eine Kurzformel gebracht: Die Beteiligten betrachten das als elementare Einheit, dem sie eine Funktion im und für den Kommunikationsprozess zuschreiben können. Funktionale Einheiten sind die kleinsten Bestandteile des Beitrags, denen eine solche (separate) Funktion zugeschrieben werden kann. Mit funktionalen Einheiten werden bestimmte Aufgaben im Kommunikationsprozess bearbeitet. So können z.B. die Aufgaben: einen Gesprächspartner adressieren, eine Mitteilung/ Aussage machen, 120 zu etwas Stellung nehmen, eine Bewertung äußern, fluchen, jemanden grüßen, eine Frage stellen, antworten, einen thematischen Wechsel ankündigen, einen Gegenstand/ eine Person identifizieren, eine Redewiedergabe ankündigen, eine Verstehensan- 120 Wir gehen davon aus, dass die Kommunizierenden einer Aussage/ Mitteilung nur als ganzer eine Funktion zuschreiben. Wir nehmen also an, dass sie z.B. Referenz- und Prädikation(sakt) nicht als gesonderte funktionale Einheiten wahrnehmen. Sie werden erst dann als eigenständige Einheiten erfahren, wenn Referenz und Prädikation - wie es bei Referenz/ Thematisierung-Aussage-Strukturen (vgl. Abschnitt II.1.) der Fall ist - deutlich separiert sind (z.B. durch prosodische Abgrenzung und/ oder durch lexikalischen Verweis auf die Referenz/ Thematisierung). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 205 weisung für eine andere Äußerung geben, jemanden zu etwas auffordern, einen Grund nennen, eine Bedingung formulieren, etwas verneinen, etwas ablehnen, Bestätigung einfordern etc. etc. durch elementare funktionale Einheiten (aber natürlich auch durch Kombinationen aus mehreren solcher Einheiten) realisiert werden. Ersichtlich sind diese Funktionen außerordentlich vielfältig und heterogen, gleichwohl handelt es sich aber um kommunikative Funktionen, die Kommunizierenden sehr wohl vertraut sind und die alltagsweltlich auch explizit benannt werden können. Versucht man die elementaren funktionalen Einheiten zu systematisieren, so handelt es sich zum einen um bestimmte kommunikative Handlungen (Sprechhandlungen), zum anderen um Aktivitäten, mit denen die Funktion anderer funktionaler Einheiten expliziert werden, und zum dritten um Aktivitäten, die den Kommunikationsprozess organisieren und strukturieren (Adressierung, Auswahl des nächsten Sprechers, Gliederung eines Beitrags (z.B. durch Gliederungssignale)). Funktionale Einheiten werden dadurch konstituiert, dass ihnen eine Funktion im und für den Kommunikationsprozess zugeschrieben werden kann. Zu unterscheiden davon ist, dass Einheiten eines Beitrags eine Funktion für den Formulierungsprozess des Sprechers zugeschrieben werden kann. So kann ein einleitendes äh zum Beispiel funktional als Signal für die ‘Artikulation’ von Problemen der Äußerungsplanung bzw. -verbalisierung gedeutet werden. Andere Elemente signalisieren Abbrüche, Neuansätze, Korrekturen/ Reparaturen, Reformulierungen, Wortsuchprozesse, die Wiederaufnahme von Konstruktionen, die Modalisierung von Konstituenten, Nachträge/ Expansionen etc. Diese Einheiten haben ihre hauptsächliche Funktion im (individuellen) Formulierungsprozess; sie dienen im Regelfall nicht der Organisation und Strukturierung des gemeinsamen Kommunikationsprozesses und sind deshalb im Regelfall nicht als eigenständige Bestandteile des Beitrags zu werten. Gleichwohl können aber bestimmte Formen von Nachträgen bzw. Expansionen oder nachgestellte Reformulierungen - insbesondere durch eine entsprechende prosodische Gestaltung - den Charakter von funktionalen Einheiten annehmen. Ob Einheiten eine Funktionalität im Rahmen des Formulierungsprozesses oder aber im Rahmen des Kommunikationsprozesses zugeschrieben wird, stellt für uns einen wichtigen Unterschied dar: Der eine Typ von funktional bestimmten Einheiten strukturiert und organisiert das Formulieren, der andere das Gespräch. Eigenschaften gesprochener Sprache 206 Die Zuschreibung von kommunikativen Funktionen im Prozess des Verstehens von Beiträgen beginnt bei den funktionalen Einheiten, sie endet aber nicht dort. Besteht ein Beitrag aus einer einzelnen funktionalen Einheit, so sind für sie Funktionszuschreibungen auf verschiedenen Ebenen möglich. Eine funktionale Einheit, die in einem Interpretationsrahmen als Aussage/ Mitteilung erscheint, kann in anderen bzw. übergeordneten Interpretationsrahmen z.B. als Gegenargument oder als Versuch der sozialen Diskreditierung erscheinen. Besteht ein Beitrag aus mehreren funktionalen Einheiten, so sind sie zu einer vorherrschenden kommunikativen Gesamtfunktion des Beitrags zu integrieren. Die Zuschreibung von kommunikativen Funktionen zu Beiträgen ist so, auch wenn sie bei funktionalen Einheiten den Anfang nimmt, hierarchisch strukturiert und multidimensional. Betrachtet man realisierte Beiträge, so bestehen sie zumindest aus einer, häufig aber auch aus mehreren funktionalen Einheiten. Das minimale Format eines Beitrags ist also eine funktionale Einheit, wobei diese Einheit sehr unterschiedlich gefüllt sein kann. Erfüllt sie z.B. die Funktion einer Verneinung oder Ablehnung, so kann dies kommunikativ durch ein Kopfschütteln, ein ‘Nein.’ oder durch ganze Äußerungen wie ‘Stimmt nicht.’, ‘Das ist nicht wahr.’ etc. realisiert werden. Besteht ein Beitrag aus mehreren funktionalen Einheiten, so ist er mehrgliedrig, d.h. ein strukturiertes Gebilde, wobei diese Strukturierung feiner ist, als die oben von Streeck und Rehbein beschriebene. Im mehrgliedrigen Beitrag können also mehrere Bestandteile identifiziert werden. Sie realisieren jeweils eine eigenständige kommunikative Funktion, und sie können als Folge dieser Eigenständigkeit im Zuge der Segmentierung von Beiträgen identifiziert werden. Sowohl zwischen funktionalen Einheiten eines Beitrags wie zwischen Einheiten in aufeinander folgenden Beiträgen können Relationen sehr unterschiedlichen Typs bestehen. Funktionale Einheiten können dabei - sowohl innerhalb eines Beitrags wie auch über die Beitragsgrenze (z.B. reaktive sprachliche Handlungen wie Antworten, Gegengrüße etc.; reaktive bewertende Stellungnahmen) hinweg - rückbezüglich sein. Sie können aber auch andere funktionale Einheiten projizieren; auch dies kann wieder innerhalb eines Beitrags (vgl. unten die Klassen (11) bis (15)) wie auch zwischen Bei- Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 207 trägen verschiedener Sprecher (vgl. z.B. projizierende sprachliche Handlungen wie Fragen, Grüße etc.) geschehen. Auf diese Weise legen bestimmte Typen funktionaler Einheiten den Übergang zu einem Beitrag eines anderen Sprechers nahe. Zur Signalisierung bestimmter Relationen zwischen funktionalen Einheiten steht eine Vielzahl sprachlicher Mittel zur Verfügung. Zwischen funktionalen Einheiten bestehen weniger feste Beziehungen als zwischen den Elementen, aus denen sie bestehen. Dies ist so, weil funktionale Einheiten kommunikative Funktionen realisieren und diese Funktionen nicht kontinuierlich ineinander übergehen, sondern diskret und in zeitlicher Sukzession realisiert werden. Vor und nach funktionalen Einheiten sind Sprecher wie Hörer ebenso wie Personen, die diese Äußerungen nachträglich analysieren, also geneigt, zu segmentieren oder solche Grenzen in Erwägung zu ziehen. Funktionale Einheiten besitzen in diesem Sinne Segmentierungsrelevanz. Die Mehrgliedrigkeit von Beiträgen kann auf verschiedene Weise zustande kommen. Zum einen können funktionale Einheiten, die verschiedene Handlungen realisieren, - entsprechend den je konkreten kommunikativen Absichten - kombiniert werden, so z.B. eine reaktive bewertende Stellungnahme, eine Aussage (die eine Vermutung zum Ausdruck bringt), eine Adressierung und eine Anforderung einer Antwort: Gut. Aber damit kannst Du doch auch nicht einverstanden sein, Hans, oder? Zum anderen ist Mehrgliedrigkeit aber auch Resultat der Tatsache, dass einige funktionale Einheiten projektive Kraft besitzen, d.h., weitere funktionale Einheiten mehr oder minder verbindlich erwartbar machen und nach sich ziehen. In diesem Fall bilden mehrere elementare funktionale Einheiten gemeinsam strukturelle Einheiten höheren Typs (Operator-Skopus- Strukturen, Referenz/ Thematisierung-Aussage-Strukturen etc.). Projizierende funktionale Einheiten können nicht alleine einen Beitrag bilden, d.h., nach ihnen existiert keine übergaberelevante Stelle. 121 Erst zusammen mit weiteren funktionalen Einheiten, die diese Projektionen erfüllen, stellen sie vollständige Strukturen und ggf. auch Beiträge dar. Beispiele für solche pro- 121 Es sind also keine turn-constructional-units im Sinne von Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974). Eigenschaften gesprochener Sprache 208 jizierenden funktionalen Einheiten sind z.B. Ankündigungen einer Redewiedergabe (z.B. ich/ er sagte), Verstehensanweisungen (also z.B. Operatoren, wie sie in Hauptteil III behandelt werden) oder abgesetzte referierende bzw. identifizierende Ausdrücke, wie sie in Referenz/ Thematisierung-Aussage- Strukturen vorkommen (vgl. Abschnitt II.1.). Funktionale Einheiten sind also in projizierende und potenziell selbstständige zu differenzieren. Selbstständige funktionale Einheiten besitzen keine ausgeprägte projektive Kraft und können im Prinzip alleine auftreten. Während selbstständige funktionale Einheiten im Rahmen eines Beitrags - entsprechend den kommunikativen Zwecken - relativ frei mit anderen Einheiten kombiniert werden können, ist dies bei projizierenden funktionalen Einheiten erst dann möglich, wenn diese Projektionen erfüllt sind, also bei größeren Strukturen. Die Projektion führt also zu einer spezifischen Relationierung und Verknüpfung von funktionalen Einheiten zu selbstständigen mehrgliedrigen Einheiten höheren Typs (im Rahmen von Beiträgen). 122 Einen weiteren Typ unselbstständiger Einheiten bilden die assoziierten funktionalen Einheiten. Man kann ihnen eine Funktion im Kommunikationsprozess zuschreiben, aber sie können nicht selbstständig auftreten, sondern erfordern eine andere selbstständige Trägereinheit, von der sie abhängig sind. Zu dieser Gruppe gehören Einheiten, mit denen Bedingungen, Folgen, Gründe etc. für etwas angeben oder mit denen nähere Angaben zu etwas gemacht werden. 123 Auch Adressierungen, Augmente etc. sind dieser Gruppe zuzurechnen (vgl. unten die Klassen (4) bis (10)). Analysiert man mehrgliedrige Beiträge, so gibt dies Aufschluss über häufige und typische Kombinationen bzw. Sequenzen von funktionalen Einheiten. Ein Teil der so feststellbaren Regelmäßigkeiten resultiert daraus, dass die projektive Kraft einzelner funktionaler Einheiten bestimmte Sequenzen wahrscheinlich macht. Doch gibt es auch andere Prinzipien, die regelhafte 122 Auch Beiträge können natürlich projektive Kraft in Hinblick auf mögliche Folgebeiträge des nächsten Sprechers haben. Diese Art von Projektion ist konstitutiv für Phänomene wie die konditionelle Relevanz oder sprachlich-kommunikative Handlungsmuster (im Sinne von Ehlich/ Rehbein 1979). 123 Bei vielen sprachlichen Erscheinungen, die dem normalen grammatischen Blick als ‘Nebensätze’ erscheinen, handelt es sich um solche assoziierten funktionalen Einheiten. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 209 Sequenzen von funktionalen Einheiten zum Resultat haben. Insgesamt führt eine solche Analyse zu Einsichten über typische Grundstrukturen (‘Baupläne’) von Beiträgen. 124 Es ist schon angesprochen worden, dass sprachlichen Einheiten sehr unterschiedlichen Umfangs und Typs kommunikative Funktionen zugeschrieben werden können. D.h., funktionale Einheiten können, was die verbalen und/ oder nonverbalen Mittel bzw. Elemente angeht, sehr unterschiedlich gefüllt sein, sofern diese verschiedenen Füllungen nur geeignet sind, eine äquivalente Funktionszuschreibung zu ermöglichen. Eine Geste, ein einzelnes Wort, eine (Nominal-/ Präpositional-)Phrase, ein freistehender ‘Nebensatz’ oder eine vollständige Aussage/ Mitteilung in Satzform können so funktional äquivalent sein und eine funktionale Einheit bilden. Was an sprachlichen Mitteln bzw. Elementen notwendig ist, damit der Hörer eine Funktionszuschreibung vornehmen kann, ist dabei keineswegs konstant, sondern hängt von einer Reihe von Faktoren ab, vor allem davon, was die Kommunizierenden als gemeinsames Wissen, das keiner expliziten Versprachlichung bedarf, voraussetzen (können). So variiert es stark, wie viel und was an sprachlichen Mitteln in einer konkreten Situation erforderlich ist, um etwas für den Hörer als eine funktionale Einheit bestimmten Typs hinreichend deutlich zu machen. Im Prozess der Identifikation einer funktionalen Einheit spielen die sprachlichen (verbalen und nonverbalen) Mittel und das jeweilige Wissen in spezifischer Weise zusammen: Jegliche Kommunikation beruht auf dem Zusammenspiel zweier Formen der Information - der Äußerungsinformation, also dem, was nach den Regeln der betreffenden Sprache in der jeweiligen geschriebenen oder mündlichen Äußerung ausgedrückt ist, und - der Kontextinformation, also dem, was der Hörer ansonsten weiß. (Klein 1985, S. 19). Klein unterscheidet dabei drei Quellen für das Kontextwissen: Vorgängerinformation, Situationsinformation und Weltwissen (vgl. ebd., S. 19ff.). 124 Analysiert man Beiträge in Hinblick auf funktionale Einheiten, aus denen sie bestehen, ist in Rechnung zu stellen, dass Einheiten diskontinuierlich realisiert sein können, d.h., funktionale Einheiten können - z.B. in Form von Parenthesen - in andere eingelagert sein. Eigenschaften gesprochener Sprache 210 Je mehr an gemeinsamem Wissen vorhanden ist, desto weniger muss tendenziell sprachlich (verbal und nonverbal) expliziert werden, um funktionale Einheiten kommunikativ zu realisieren und erkennen zu können. Es gibt also eine - vom als gemeinsam unterstellten Wissen abhängige - Varianz der sprachlichen Explizitheit bei der kommunikativen Realisierung funktionaler Einheiten. Diese Interdependenz von gemeinsamem Wissen und sprachlichem Material, die typischerweise im Mündlichen stärker ausgeprägt ist als im Schriftlichen, ist der rationale Kern dessen, was als Elliptizität gesprochener Sprache diskutiert wird. Hierbei wird nicht wirklich etwas ausgelassen - dies erscheint nur so, wenn man die für schriftliche Kommunikation notwendigen Standards der sprachlichen Explizitheit voraussetzt und auf gesprochene Sprache überträgt -, sondern es ist aufgrund gemeinsamen Wissens und der situativen Präsenz von Sachverhalten lediglich nicht notwendig, bestimmte Elemente explizit zu versprachlichen. Dies ist auch der Fall, wenn im Vorgängerkontext realisierte lexikalische Einheiten, syntaktische Strukturen oder Äußerungen als präsent vorausgesetzt werden und auf ihnen in Form von (Konstruktions-)Übernahmen oder Fortsetzungen aufgebaut wird, ohne dass sie noch einmal explizit wiederholt werden (vgl. Hoffmann 1999b). Die Möglichkeit, eine Funktionszuschreibung vorzunehmen, ist also in keiner Weise davon abhängig, dass die sprachlichen Mittel Satzform haben. Es gibt keine in der Sache liegende Verbindung zwischen Satzform und funktionalen Einheiten. Gleichwohl besitzen einige funktionale Einheiten (genauer: das sprachliche Material, dem eine bestimmte kommunikative Funktion zugeschrieben wird) mit hoher Regelmäßigkeit Satzform. Welche funktionalen Einheiten regelmäßig als Sätze realisiert werden und bei welchen dies nur im Ausnahmefall geschieht, bedarf ebenso wie die Frage nach den Gründen hierfür der gesonderten Untersuchung. Die Segmentierung von Beiträgen in funktionale Einheiten erfolgt von den Gesprächsbeteiligten online im Prozess der Rezeption der Beiträge. Dies hat eine Reihe von Konsequenzen. So können die Beteiligten - bedingt durch den nicht abgeschlossenen Stand der Realisierung des Beitrags - vorschnelle oder falsche Funktionszuschreibungen vornehmen, die auf der Grundlage des nachfolgenden sprachlichen Materials revidiert werden müssen. Umge- Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 211 kehrt ist es möglich, schon vor der (vollständigen) Realisierung des für eine spezifische Handlung notwendigen sprachlichen Materials diese Handlung zu antizipieren und ggf. darauf zu reagieren. Der Prozess der Identifizierung von Handlungen und der Segmentierung von Beiträgen in entsprechende funktionale Einheiten, wie Gesprächsbeteiligte ihn beim Verstehen vollziehen, kann an realisierten Beiträgen, die dokumentiert vorliegen, analytisch (nach)vollzogen werden, indem der Analysierende - in analoger Weise wie die Gesprächsbeteiligten - sich auf der Grundlage seines sprachlich-kommunikativen Wissens und seiner Interaktionskompetenz bemüht, den Handlungssinn der Beiträge zu verstehen und zu interpretieren. Die Methodik der Identifizierung elementarer Bestandteile besteht also darin, zunächst Beiträge abzugrenzen, in ihnen dann Handlungen zu identifizieren und den Beitrag entsprechend in funktionale Einheiten zu segmentieren. Diese Segmentierung in Beiträge gilt wohlgemerkt nur für den analytischen Prozess. Wenn dagegen bei der Online-Prozessierung funktionale Einheiten identifiziert werden, steht das Ende von Beiträgen noch nicht fest. Die analytische Segmentierung basiert also allein auf der Identifizierung abgrenzbarer Handlungen. D.h., funktionale Einheiten müssen von den Interaktionsbeteiligten nicht zwangsläufig auch durch prosodische oder lexikalische Gliederungsmittel als solche explizit gekennzeichnet worden sein. Sie können auch identifiziert werden, wenn solche Markierungen nicht vorliegen. An diesem Punkt unterscheiden wir uns von Rath, der eine solche weitgehende Markierung von Äußerungseinheiten durch die Beteiligten annimmt und der Einheiten ausschließlich anhand solcher Markierungen bestimmt. Ein Kriterium für die Validität der Segmentierung von Beiträgen in funktionale Einheiten ist also nicht primär in der Markierungspraxis der Beteiligten zu suchen (so wichtig entsprechende Hinweise auch sein mögen), sondern vorrangig darin, dass verschiedene Personen (vor die Aufgabe gestellt, dies zu tun) einen Beitrag als analytische Leistung übereinstimmend in Einheiten aufteilen. Auf diese Weise wird rekonstruiert, was Personen intuitiv in einem Beitrag als kleinste abgrenzbare Handlungen und damit als funktionale Einheiten empfinden. Die Abgrenzung funktionaler Einheiten ist damit letztlich eine empirische Frage, die am Maßstab intersubjektiver Übereinstimmung Eigenschaften gesprochener Sprache 212 entschieden wird. Dabei muss allerdings gewährleistet sein, dass die Personen, die eine solche Segmentierung durchführen, sich ausschließlich am Kriterium abgrenzbarer Handlungen orientieren und dass nicht andere linguistische oder alltagsweltliche Einheitenkonzepte interferieren und die Segmentierungsentscheidungen beeinflussen. Ferner muss gewährleistet sein, dass die Funktionszuschreibung bis zur Ebene elementarer Handlungen vorstößt. Wie fein Hörer Beiträge in funktionaler Hinsicht im Prozess des Verstehens (bewusst oder unbewusst) analysieren, hängt von einer Reihe von Faktoren ab (Aufmerksamkeit, Interesse etc.) und kann entsprechend variieren. So mag es für viele Situationen hinreichend sein, wenn ein Hörer die Äußerung Peter, sag mal, kannst du mir zehn Euro leihen? insgesamt als Frage bzw. Bitte identifiziert und entsprechend als Einheit behandelt, obwohl sie aus drei elementaren Handlungen und entsprechend aus drei funktionalen Einheiten besteht: Adressierung, Verstehensanweisung (die den Handlungstyp des folgenden Äußerungsteils vorgreifend verdeutlicht) und Frage. Allerdings kann der Hörer - so unsere Hypothese - die Funktionszuschreibung und Segmentierung nicht beliebig verfeinern. So sind in der Beispieläußerung nicht mehr als die drei genannten funktionalen Einheiten zu identifizieren. Die im Folgenden zusammengestellten elementaren funktionalen Einheiten stellen u.E. die untere Grenze dar, unterhalb der keine weiteren Einheiten abgegrenzt werden können, denen eine gesonderte kommunikative Funktion zuzuschreiben wäre. Solange allerdings solche methodisch kontrollierten Segmentierungstests nicht durchgeführt worden sind, sind wir auf die subjektiv-individuelle Bestimmung funktionaler Einheiten angewiesen. Eine zusätzliche Evidenz dafür, was funktionale Einheiten im Gesprächsbeitrag sind, ergibt sich überraschenderweise durch die Zeichensetzung im Schriftlichen (sofern dort die entsprechenden Phänomene vorhanden sind): Was durch Satzzeichen (insbesondere auch innerhalb des Satzes) separiert wird (z.B. Anreden, Interjektionen, Augmente, Operatoren, Ankündigungen von Redewiedergaben), sollte zumindest als Kandidat für funktionale Einheiten geprüft werden. Die Zeichensetzung basiert in einigen Bereichen auf Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 213 einer funktionalen Analyse, die für die Identifizierung elementarer funktionaler Einheiten genutzt werden kann. Umgekehrt bedeutet dies, dass im Schriftlichen zwischen zwei Punkten mehr und Heterogeneres steht als ‘klassische’ Sätze, die nur aus Referenz und Prädikation bestehen. Die Auffassung, dass schriftliche Texte sich aus einer Abfolge klassischer Sätze bzw. Satzgefüge zusammensetzen, bedarf vor diesem Hintergrund einer erneuten Reflexion. Im Folgenden möchten wir wesentliche Typen von funktionalen Einheiten zusammenstellen und kurz kommentieren. Die Liste dient dabei mehr der Verdeutlichung und Operationalisierung dessen, was wir unter funktionalen Einheiten verstehen, als dass sie eine (vollständige) Systematik darstellen soll. Wir untergliedern nach potenziell selbstständigen funktionalen Einheiten, die alleine einen Beitrag bilden können, nach assoziierten funktionalen Einheiten, die eine Trägereinheit erfordern und nur mit ihr einen Beitrag bilden können, und nach projizierenden funktionalen Einheiten, die eine weitere funktionale Einheit erwartbar machen und ebenfalls nur mit dieser einen vollständigen Beitrag darstellen können. Mögliche Bestandteile von Beiträgen im Sinne solcher funktionaler Einheiten sind u.a.: ♦ Potenziell selbstständige 125 funktionale Einheiten (1) Sprachliche Handlungen Kann sprachlichem Material die Funktion zugeschrieben werden, dass mit ihm eine konkrete sprachliche Handlung (wie z.B. Aussage/ Mitteilung, Frage, Antwort, Aufforderung, Versprechen, Warnung, Drohung, Einräumung, Begründung, Aufgabe stellen, Kritisieren etc.) vollzogen wird, so wird dieses - unabhängig von seinem Umfang - als elementare funktionale Einheit empfunden. 125 ‘Potenziell selbstständig’ heißt, dass diese Einheiten alleine einen Beitrag bilden können, aber keineswegs müssen. Sie können auch kombiniert mit anderen funktionalen Einheiten erscheinen. Eigenschaften gesprochener Sprache 214 Zugeschrieben werden kann eine unübersehbare Vielfalt von Handlungstypen. Die Vielfalt ergibt sich u.a. daraus, dass einzelne sprachliche Handlungen - in Abhängigkeit vom Vorliegen bestimmter Kontextfaktoren - als Handlungen spezifischeren Typs interpretiert werden können. So kann eine Aussage, wenn entsprechende Kontextbedingungen gegeben sind, als Versprechen oder als Kritisieren gedeutet werden, mit einer Frage kann die Handlung ‘eine Aufgabe stellen’ ebenso wie die Handlung ‘etwas anzweifeln’ vollzogen werden. Einheiten dieses Typs besitzen überwiegend Satzform (vgl. aber z.B. Grosse 1968 und Behr/ Quintin 1996). Anders ist dies bei reaktiven sprachlichen Handlungen (wie z.B. Antworten, reaktiven Zustimmungen, Ablehnungen, Erlaubnissen oder Versprechen etc.), bei denen häufig einzelne lexikalische Elemente ausreichen, um den Handlungstyp zu realisieren bzw. zuschreiben zu können (ja, nein; bitte, gerne; versprochen, ganz bestimmt). Auch sprachliche Grußhandlungen besitzen - aus anderen Gründen - im Regelfall nicht die Satzform. Einen Spezialfall reaktiver sprachlicher Handlungen stellen Kumulationen dar. Bei ihnen wird die gleiche sprachliche Handlung zweimal vollzogen: Zunächst wird ein Kondensat geäußert, das dann in einem zweiten Zug kumulierend expandiert wird: Nein, mach ich nicht.; Bitte, greif doch zu. Während der erste Teil in der Regel nur aus einem lexikalischen Element besteht, stellt der zweite Teil häufig eine vollständige Aussage dar. Dem Nein lässt sich die Handlungsfunktion der Ablehnung zuschreiben, dem Bitte die der Erlaubnis oder Gewährung. Demnach handelt es sich in beiden Fällen um potenziell selbstständige funktionale Einheiten, denen hier allerdings jeweils ein expandierter zweiter Teil folgt, der die gleiche Handlungsfunktion besitzt und ebenfalls potenziell selbstständig ist. Kumulationen bestehen also aus zwei funktionalen Einheiten, von denen jede hinreichend ist zur Erfüllung der betreffenden Handlungsfunktion. So besitzt der erste Teil auch keine projektive Kraft. Von den Kumulationen sind einfache Verdoppelungen zu unterscheiden (jau jau; gut gut), die wegen der formalen und funktionalen Identität der einzelnen Elemente in der Regel eher als eine - in sich verdoppelte - Einheit wahrgenommen werden. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 215 (2) Reaktive bewertende Stellungnahmen Ebenfalls ein Spezialfall reaktiver sprachlicher Handlungen sind Bewertungen, Stellungnahmen und Kommentare zu vorausgehenden fremden oder eigenen Äußerungen und Handlungen. Wegen ihrer Häufigkeit und Bedeutsamkeit werden sie hier als gesonderte Gruppe aufgeführt. Zu dieser Klasse gehören bewertende Stellungnahmen und Kommentare wie gut, ok, klasse, super, (ganz) richtig, schön, gut gemacht, Himmel, oh Gott, Sauerei, Blödsinn, Scheiße, ganz schön gewagt und viele andere mehr. Ferner auch der Teil der Interjektionen, die eine emotional-bewertende Stellungnahme ausdrücken wie ach, oh, (h)ui, ih, igitt etc. sowie Flüche und Beschimpfungen (Verdammt noch mal; Du Trottel. etc.). Bewertende Stellungnahmen kommen sowohl in Form von Einzellexemen wie auch in Satzform vor (Ich finde das unmöglich.), die dann die Form von Aussagen haben. Auch bei den so genannten selbstständigen ‘Nebensätzen’ (Dass du mir das antun musstest.) wie auch generell bei den Exklamativsätzen handelt es sich um reaktive bewertende Stellungnahmen. Bewertend Stellung genommen werden kann sowohl zu Äußerungen anderer wie auch zu eigenen Aussagen (M: dann filzt dat iii; Er hat den Schlüssel wieder gefunden - ein Glück.). Auch wenn reaktive bewertende Stellungnahmen alleine auftreten können, sind sie doch häufig mit weiterführenden funktionalen Einheiten anderen Typs im Rahmen eines Beitrags kombiniert (Himmel so geht das nicht). (3) Hörersteuernde Ausdrücke und Exothesen Ausdrücke, die die Aufmerksamkeit des Hörers erregen und steuern (Achtung, Vorsicht, Moment etc.), können ebenfalls selbstständige funktionale Einheiten bilden, aber auch mit anderen kombiniert auftreten (z.B. Achtung die Vase; Moment ich mach das gleich). Auch Exothesen können - beabsichtigt oder nicht - solche hörersteuernde Funktion besitzen (Huch was war das? ; Was wollt ich doch sagen? Ach ja ...). Eigenschaften gesprochener Sprache 216 ♦ Assoziierte funktionale Einheiten Während die bis jetzt behandelten funktionalen Einheiten im Prinzip alleine stehen können, erfordern die folgenden eine Trägereinheit, der sie assoziiert sind. (4) Einheiten, mit denen Bedingungen, Folgen, Gründe, Zwecke, nähere Angaben etc. für/ von etwas benannt werden Sprachliches Material, das die genannten und einige weitere Funktionen erfüllt und das syntaktisch nicht in einen Satz integriert ist, wird als gesonderte funktionale Einheit interpretiert. Angesprochen ist hiermit ein Großteil dessen, was üblicherweise als ‘Nebensätze’ bezeichnet wird. Äußerungen wie Wenn die Rahmenbedingungen gleich bleiben, können wir das Ergebnis wiederholen. und Wir können das Ergebnis - gleiche Rahmenbedingungen vorausgesetzt - wiederholen. werden demnach als aus zwei funktionalen Einheiten bestehend interpretiert, während die Äußerung Unter gleichen Rahmenbedingungen können wir das Ergebnis wiederholen. nur eine Einheit darstellt. Bei Einheiten dieser Art ist ihr Status als nichtintegriert, d.h. als gesonderte funktionale Einheit, obligatorisch (durch Konjunktionen und Verbletztstellung (d.h. Nebensatzform), durch prosodische Absetzung etc.) markiert. (5) Adressierungen Adressierungen verdeutlichen, an wen funktionale Einheiten anderen Typs (vorwiegend: sprachliche Handlungen) gerichtet sind (Herr Meier nehmen sie doch bitte einmal Stellung; Kinder so kommen wir nie zu einer Lösung; Mann nun fahr doch. (vgl. Redder 1999)). Insofern können sie nicht selbstständig auftreten. Erfolgen Namensnennungen ohne weitere funktionale Einheiten, handelt es sich nicht um Adressierungen, sondern z.B. um Anrufe, die häufig, aber nicht ausschließlich eine spezielle Art von Aufforderungen darstellen, oder Identifizierungen (vgl. Hoffmann 1999a, S. 229f.). Adressierungen können mit Bewertungen verknüpft sein, die diese Ausdrücke dann in die Nähe reaktiver bewertender Stellungnahmen rücken. Je nach Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 217 Kontext und prosodischer Realisierung der Ausdrücke kann dabei die adressierende oder die bewertende Funktion überwiegen (Du Flasche bist du auch mal wieder da; Idiot kannst du nicht aufpassen.). (6) Selbstidentifizierungen Auch Selbstidentifizierungen, wie sie regelmäßig bei Telefongesprächen, aber auch gelegentlich in Face-to-face-Interaktionen mit Unbekannten vorkommen, bilden funktionale Einheiten. Sie treten nicht selbstständig auf, sondern sind an andere funktionale Einheiten gekoppelt. Die Spannweite ihrer sprachlichen Realisierung reicht von der Namensnennung bis hin zur vollständigen Äußerung. (7) Diskursprozessierende Imperative Im Kontext der Hörersteuerung stehen diskursprozessierende Imperative (Sieh mal alles hat zwei Seiten; Hör mal so war das nicht gedacht; Sag mal kannst du mir fünf Mark leihen; vgl. Kraft (1999)). Diese Imperative können nicht alleine stehen (wenn sie es tun, handelt es sich nicht um diskursprozessierende Imperative, sondern um Aufforderungen bzw. um reaktive bewertende Stellungnahmen). Sie gehen anderen funktionalen Einheiten voran. Wenn sie eine Verstehensanweisung für die folgende Einheit geben (d.h. projektive Kraft haben), handelt es sich um Operatoren (s.u. (14)). (8) Augmente Augmente (wie z.B. ne, nich, nich wahr, ja, wa, gell, woll, weißte, verstehste, siehste, vgl. Rehbein (1979)) folgen einer Trägereinheit, können ihr zum Teil aber auch vorangehen. Auch diese funktionalen Einheiten haben z.T. projektive Kraft und geben Verstehensanweisungen für die assoziierte Einheit. Sie sind dann ebenfalls als Operatoren aufzufassen. (9) Modalisierungen Nachgestellte, nichtintegrierte Modalisierungen (z.B. irgendwie, und so, sozusagen), die die Geltung einer Äußerung bzw. Einheit modifizieren, sind ein weiterer Typ assoziierter funktionaler Einheiten. Eigenschaften gesprochener Sprache 218 (10) Gliederungssignale Auch Gliederungssignale (z.B.: so, also, nun denn etc.) verweisen zwangsläufig auf andere funktionale Einheiten, die sie voneinander abgrenzen. ♦ Projizierende funktionale Einheiten Funktionale Einheiten, die projektive Kraft besitzen und andere Einheiten - wie spezifisch auch immer - erwartbar machen, bilden die dritte große Gruppe funktionaler Einheiten. Ihre projektive Kraft verhindert, dass sie selbstständig auftreten. Zu dieser Gruppe gehören insbesondere Einheiten, die eine vorgreifende Verdeutlichung oder Ankündigung leisten. (11) Vorgreifende Verdeutlichung des Handlungstyps Im Sinne einer Verstehenshilfe kann eine funktionale Einheit verdeutlichen, welchem Typ sprachlicher Handlungen die folgende Einheit angehört. Sprachlich kann dies durch Matrixsätze (z.B. performative Formeln: ich verspreche (dir), ich warne dich etc.), aber auch durch eine Vielzahl anderer Konstruktionen wie Nominalkomplexe (großes Versprechen), Partizipialkonstruktionen (versprochen) oder etwa einfache oder erweiterte Adverbien (bestimmt, ganz bestimmt) realisiert werden. (12) Vorgreifende Verdeutlichung des mentalen Status der folgenden Einheit In vergleichbarer Weise kann durch Matrixsätze, aber wiederum auch durch eine Vielzahl anderer Konstruktionen vorab verdeutlicht werden, welchen mentalen Status die folgende Einheit besitzt (Ich schätze, er wird nicht vor 5 Uhr hier sein; Ich befürchte, wir haben uns verirrt). (13) Ankündigungen von Redewiedergaben Durch Matrixsätze kann auch verdeutlicht werden, dass es sich bei der projizierten Einheit um eine Wiedergabe sprachlicher Handlungen der eigenen oder anderer Personen handelt (Er rief uns zu, ob wir nicht noch zu ihm herüberkommen wollten.). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 219 (14) Operatoren Sofern eine funktionale Einheit eine weitere projiziert und für sie im Sinne einer vorgreifenden Verdeutlichung eine Verstehensanleitung gibt, handelt es sich nach unserem Verständnis, sofern auch einige formale Bedingungen (wie Kürze oder Formelhaftigkeit) erfüllt sind, um Operatoren, die zusammen mit der funktionalen Einheit in ihrem Skopus die von uns so genannten Operator-Skopus-Strukturen bilden. Einheiten aus den Gruppen (7), (8), (11) und (12) können dabei Position und Funktion solcher Operatoren wahrnehmen. Der empirischen Untersuchung dieser Operator-Skopus-Strukturen ist Hauptteil III dieses Buches gewidmet. (15) Referenzkomplexe und Thematisierungen Als letzte Gruppe funktionaler Einheiten seien Referenzkomplexe und Thematisierungen aufgeführt, wie sie im Rahmen der im vorausgehenden Abschnitt behandelten Referenz/ Thematisierung-Aussage-Strukturen zu finden sind. Die Äußerung Was der Großmutter ihr Haus ist, das ist letzte Nacht abgebrannt. ist eine Beispiel für eine solche Referenz-Aussage-Struktur. Die kommunikative Funktion, die dem Referenzkomplex zugeschrieben werden kann (und die ihn damit zur funktionalen Einheit macht) ist, dass er die Identifikation einer Person, eines Gegenstands oder eines Sachverhalts leistet, über die/ den dann mit einer weiteren funktionalen Einheit eine Aussage gemacht wird. Die Einheiten, mit denen identifiziert bzw. thematisiert wird, sind dabei ersichtlich nicht selbstständig, sondern projizieren eine Aussage über sie. Die sprachliche Form der Referenzkomplexe und Thematisierungen reicht von Nominalkonstruktionen bis zu relativsatzähnlichen Gebilden wie in oben stehendem Beispiel. Die hier vorgestellte Liste funktionaler Einheiten ist - wie gesagt - tentativ und vorläufig. Sie müsste durch Abgleich mit größeren Materialmengen und durch den oben beschriebenen Segmentierungstest mit größeren Personengruppen vervollständigt und sicherlich auch modifiziert werden. Im Rahmen einer solchen Untersuchung könnte auch aufgeklärt werden, wie funktionale Einheiten faktisch kombiniert werden und welche Kombinationsmöglichkeiten zwischen ihnen bestehen. Eigenschaften gesprochener Sprache 220 Die vorgestellten Überlegungen sollen nun abschließend durch die Analyse eines Transkriptausschnitts illustriert werden, bei der die Beiträge des Gesprächs vollständig in funktionale Einheiten segmentiert werden. Bei dem Ausschnitt handelt es sich um die ersten Minuten des Schlichtungsgesprächs „Gegen Gotteslohn“, das in Abschnitt III.3. vollständig in Hinblick auf das Vorkommen von Operator-Skopus-Strukturen untersucht wird. Das Transkript findet sich im Anhang 2, die Transkriptionskonventionen im Anhang 3. Im Folgenden wird der Transkriptausschnitt in Beiträge segmentiert wiedergegeben. C und B sind dabei die Siglen für die jeweiligen Sprecher. In den einzelnen Beiträgen wurden dann, indem die Perspektive des Hörers eingenommen wurde, die funktionalen Einheiten (abgekürzt: FE ) bestimmt, also solche Einheiten, denen der Hörer eine Handlungsfunktion im und für den Kommunikationsprozess zuschreiben kann. Diese funktionalen Einheiten werden den oben angeführten Klassen durch Angabe der Ziffer zugeordnet und ggf. kommentiert. Beitrag 1: (S. 1, Z. 01) C leopold gegen may æ * und abel gegen may ç (Z. 1) FE 1: leopold gegen may æ * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Der Sprecher vollzieht die sprachliche Handlung: Aufruf einer Verhandlung. Es handelt sich um eine institutionsspezifische sprachliche Handlung, die nur im juristischen Rahmen gebräuchlich, dort aber frequent und routinemäßig ist. Dies erklärt auch ihre minimale, nicht satzförmige Realisierung. FE 2: und abel gegen may ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aufruf eines zweiten Falls. Es folgen zwei Handlungen des Aufrufens hintereinander, die zwar durch und miteinander verbunden werden, die aber, da der Aufruf nicht lediglich redundant verdoppelt oder wiederholt wird, als zwei separate funktionale Einheiten zu werten sind. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 221 Beitrag 2: (S. 1, Z. 02-04) C ja ç * herr may was sagen se zu der kla: ge die klägerin sagt sie hätt noch geld zu kriegen ç FE 1: ja ç * Klasse (10); Funktionszuschreibung: Gliederung. FE 2: herr may Klasse (5); Funktionszuschreibung: Adressierung. FE 3: was sagen se zu der kla: ge Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage; genauer: Aufforderung zur Stellungnahme bzgl. der Anschuldigung FE 2 und FE 3 werden als eine prosodische Kontur realisiert. Sie sind formal nicht als gesonderte Einheiten gekennzeichnet. FE 4: die klägerin sagt Klasse (13); Funktionszuschreibung: Ankündigung einer Redewiedergabe. FE 5: sie hätt noch geld zu kriegen ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiedergabe der Aussage einer anderen Person. Beitrag 3: (S. 1, Z. 03-05) B dazu is zu sagen- ** daß ähm- ** der kläger- FE 1: dazu is zu sagen- ** Klasse (11); Funktionszuschreibung: Vorgreifende Verdeutlichung des Handlungstyps der folgenden Äußerung als Stellungnahme zur Anschuldigung. Eigenschaften gesprochener Sprache 222 FE 2: daß ähm- ** der kläger- Keine Kategorisierung möglich, da die Einheit nicht beendet wird. Vermutlich Klasse (1); Sprachliche Handlung: Stellungnahme. Beitrag 4: (S. 1, Z. 06) C äh wir reden nur über de frau leopold jetz ne æ FE 1: äh wir reden nur über de frau leopold jetz Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Hinweis mit korrigierender Absicht. Dies verleiht der Einheit Aspekte einer Aufforderung. FE 2: ne æ Klasse (8); Funktionszuschreibung: Verweis darauf, dass der Inhalt der Korrektur geteiltes Wissen sein sollte. Beitrag 5: (S. 1, Z. 07) B >bitte æ < Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage; genauer: Aufforderung (in Form einer Nachfrage), das eben Gesagte zu wiederholen. Der Beitrag besteht aus nur einer funktionalen Einheit, die ihrerseits nur ein einzelnes Lexem umfasst. Beitrag 6: (S. 1, Z. 08) C <wir reden über die frau leopold jetzt ç > Klasse (1); Funktionszuschreibung: Aussage; genauer: Aufforderung; zugleich: Wiederholung der eben geäußerten Korrektur (als Reaktion auf die Nachfrage). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 223 Beitrag 7: (S. 1, Z. 09) B >+nein (red ich nicht) ç < * für den jungen mann da ç FE 1: >+nein Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Verneinung; genauer: Widerspruch. FE 2: (red ich nicht) ç < * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Verneinung; genauer: Widerspruch. Kumulierende Expansion des Widerspruchs. FE 3: für den jungen mann da ç Funktion unklar; vermutlich Klasse (1): Sprachliche Handlung: Aussage Beitrag 8: (S. 1, Z. 10-12) C <nei"n wir reden jetzt von der frau" leopold ç > FE 1: <nei"n Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Verneinung; genauer: Zurückweisung des Widerspruchs. FE 2: wir reden jetzt von der frau" leopold ç > Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Aufforderung. Der Sprecher vollzieht eine sprachliche Handlung der Aussage, die zugleich auffordernden Charakter hat. Er beharrt auf seiner Korrektur. FE 1 und FE 2 werden als eine prosodische Kontur realisiert. Sie sind formal nicht als gesonderte Einheiten gekennzeichnet. Eigenschaften gesprochener Sprache 224 Beitrag 9: (S. 1, Z. 11) B ach so: - Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung, die Einsicht/ Verständnis ausdrückt. Beitrag 10: (S. 1, Z. 12-18) C sie" sagt sie sei vom siebten e"rsten bis zwölften zwoten als au"shilfe gegen einen stundenlohn von zehn mark beschäftigt gewesen sie rechnet sich vier/ zweihundertvierunddreißig stunden au"s für zweitausenddreihundertvierzig mark netto- * hat s=es gekriggt l wenn ja å wenn nei: n warum nicht- FE 1: sie" sagt Klasse (13); Funktionszuschreibung: Ankündigung einer Redewiedergabe. FE 2: sie sei vom siebten e"rsten bis zwölften zwoten als au"shilfe gegen einen stundenlohn von zehn mark beschäftigt gewesen Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiedergabe der Anschuldigung. FE 3: sie rechnet sich vier/ zweihundertvierunddreißig stunden au"s für zweitausenddreihundertvierzig mark netto- * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiedergabe der sich aus der Anschuldigung ergebenden Forderung. Keine Redewiedergabe mehr wegen des Wechsels vom Konjunktiv zum Indikativ. FE 4: hat s=es gekriggt Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage; genauer: Aufforderung zur Stellungnahme bzgl. der Anschuldigung. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 225 FE 5: l wenn ja å wenn nei: n Klasse (4); Funktionszuschreibung: Nennen einer Bedingung (für das Relevantwerden der folgenden Einheit). Den Übergang von wenn ja zu wenn nein interpretieren wir als Selbstkorrektur. FE 6: warum nicht- Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage; genauer: Aufforderung zur Erläuterung. Höreräußerung 1: (S. 1, Z. 17) B mhm- Parallel zum rum von warum nicht (Beitrag 10, FE 6) macht B die Höreräußerung mhm-. Es handelt sich um eine Äußerung, die erfolgt, während ein anderer Sprecher mit Rederecht seinen Beitrag macht. Höreräußerungen dieser Art sind, da sie ohne Rederecht erfolgen und damit keinen Beitragsstatus haben, keine funktionalen Einheiten im hier definierten Sinne. Sie erfüllen vielfältige interaktive Funktionen, sind aber eben keine Beiträge oder Bestandteile von ihnen. Beitrag 11: (S. 1, Z. 17) B das stimmt ni"scht æ * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Bestreiten der Beschuldigung. Beitrag 12: (S. 1, Z. 20) C wa"s stimmt nicht æ Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: (Nach-) Frage; genauer: Aufforderung zur Verdeutlichung des bestrittenen Sachverhalts. Eigenschaften gesprochener Sprache 226 Beitrag 13: (S. 1, Z. 19-22) B l es warå [Einlagerung Beitrag 12] es war bei- * der- ** frau leonhardt >oder so- * bei< frollein- * leonhardt- ** #kei"nerlei- * bezahlung- * vereinbart-# Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Konkretisierung des Bestreitens der Anschuldigung. Das es war wird parallel zu dem wa"s aus Beitrag 12 geäußert. Beitrag 13 wird nach dem Ende von Beitrag 12 mit der Wiederaufnahme der Konstruktion es war fortgesetzt. Beitrag 14: (S. 1, Z. 23) C sie hat u"nentgeltlich gearbeitet ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Aufforderung zur Ratifizierung von Cs Reformulierung des bestrittenen Sachverhalts. Beitrag 15: (S. 1, Z. 24) B +jawoll- Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Zustimmung; genauer: Ratifizierung der Reformulierung. Beitrag 16: (S. 1, Z. 25) C um gotteslohn ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: insistierende Nachfrage und/ oder resümierende Feststellung. C schließt an seine aus Beitrag 14 präsente Konstruktion an und ersetzt in Form einer Selbstparaphrase u"nentgeltlich durch um gotteslohn. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 227 Beitrag 17: (S. 1, Z. 24 - S. 2, Z. 03) B es ginges ging von vornerein- * so an æ * wenn de wann de- * hier- * äh- * der junge mann- * zunächst mal meine frau angesprochen hat- * ob er- * bei uns nicht äh sich- * über- * die- * produkte und so weiter informiere kö"nnte- * er möchte gern da bissel- * öh: - ** hierherkommen net wahr- * und äh sein weil/ sein wi"ssen- * hier etwas auszubauen- ** #von- * einer- * bezah"lung-# ** l von eim å von eim stu"ndenlohn > l oder so å < war nie" die rede gewesen ç * FE 1: es ging- [Einlagerung Beitrag 18] es ging von vornerein- * so an æ * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Ankündigung einer Sachverhaltsdarstellung. FE 2: wenn de wann de- * hier- * äh- * der junge mann- * zunächst mal meine frau angesprochen hat- * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 3: ob er- * bei uns nicht äh sich- * über- * die- * produkte und so weiter informiere kö"nnte- * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiedergabe von Äußerungen von A2). Durch die Redewiedergabe in FE 3 erhält FE 2 rückwirkend zusätzlich den Charakter einer Ankündigung einer Redewiedergabe (Klasse 13). FE 4: er möchte gern da bissel- * öh: - ** hierherkommen net wahr- * und äh sein weil/ sein wi"ssen- * hier etwas auszubauen- ** Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiedergabe von Äußerungen von A2. Eigenschaften gesprochener Sprache 228 FE 5: #von- * einer- * bezah"lung-# ** l von eim å von eim stu"ndenlohn > l oder so å < war nie" die rede gewesen ç * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiederholung der Zurückweisung der Anschuldigung. Das oder so leistet die Modalisierung einer Konstituente, nicht der ganzen Einheit. Es wird deshalb nicht als eigene funktionale Einheit gewertet. Beitrag 18: (S. 1, Z. 24) B * #ja ç # * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Bestätigung der Richtigkeit. Diese Reaktion auf Beitrag 16 wird von B kurz nach Beginn in seinen Beitrag 17 eingeschoben, der danach mit einer Wiederaufnahme der einleitenden Formulierung es ging fortgesetzt wird. Höreräußerung 2: (S. 1, Z. 30) C mhm ç Diese Höreräußerung erfolgt parallel zu dem in von informiere in FE 3 von Beitrag 17. Ansonsten vgl. Höreräußerung 1. Beitrag 19: (S. 2, Z. 04-07) C äh: - * versteh ich sie richtig ç * i"st davon gar nich gespro"chen worden o: der hat man vereinbart daß nichts bezahlt wird ç * FE 1: äh: - * versteh ich sie richtig ç * Klasse (11); Funktionszuschreibung: Vorgreifende Verdeutlichung, dass die folgende Einheit als spezifizierende Nachfrage zu verstehen ist. Das äh: ist ein Element des Formulierungsprozesses und bildet - obwohl prosodisch separiert - keine funktionale Einheit. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 229 FE 2: i"st davon gar nich gespro"chen worden Klasse (1) Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage FE 3: o: der hat man vereinbart daß nichts bezahlt wird ç * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage (nach einer alternativen Möglichkeit). Dem daß-Nebensatz ist keine kommunikative, wohl aber eine grammatische Funktion zuzuordnen, indem er die mögliche Vereinbarung spezifiziert. Er bildet deshalb keine funktionale Einheit. FE 2 und FE 3 zusammen erfüllen die Funktion einer Aufforderung zur Sachverhaltsspezifikation. Beitrag 20: (S. 2, Z. 06-10) B es: der junge mann hat von vornerein- * schon gar nicht von einer- * bezah"lung gespro"chen daß er sie verlangt hätte- * wäre des der fall gewesen dann hätten wir=s abgelehnt ç * FE 1: es: der junge mann hat von vornerein- * schon gar nicht von einer- * bezah"lung gespro"chen Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Sachverhaltsspezifikation. Das es interpretieren wir als Fehlstart und damit als Element des Formulierungsprozesses. FE 2: daß er sie verlangt hätte- * Funktion undeutlich Versteht man die Einheit als Geschweige denn dass er sie verlangt hätte oder als Es ist auch nicht der Fall, dass er sie verlangt hätte, handelt es sich um Klasse (1) Sprachliche Handlung: Aussage. FE 3: wäre des der fall gewesen Klasse (4); Funktionszuschreibung: Nennen einer Bedingung (für das Gelten der folgenden Einheit). Eigenschaften gesprochener Sprache 230 FE 4: dann hätten wir=s abgelehnt ç * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. Beitrag 21: (S. 2, Z. 11-18) C ja herr may also ei/ eins versteh ich jetz nich so richtig ç äh #ge/ ge/ gewöhnlicherweise æ # * äh- * leben die menschen von dem was sie verdie: nen nur wenige können von ihrm vermö"gen leben ç * deswegen ist es doch ein wär=s doch u"ngewöhnlich daß er sagt ich komm jetz mal zu ih"nen und äh: - * will kein geld haben- * wie soll denn des gehn sogar au"szubildende kriegen noch geld und die können ja au" nix ç ne æ FE 1: ja herr may Klasse (5); Funktionszuschreibung: Adressierung Wir interpretieren ja an dieser Stelle nicht als Gliederungssignal, sondern als zur Anrede gehörig und werten es entsprechend nicht als eigenständige funktionale Einheit. FE 2: also ei/ eins versteh ich jetz nich so richtig ç Klasse (11); Funktionszuschreibung: Vorgreifende Verdeutlichung, dass Klärungsbedarf besteht und dass eine Frage folgen wird. FE 3: äh #ge/ ge/ gewöhnlicherweise æ # * äh- * leben die menschen von dem was sie verdie: nen Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 4: nur wenige können von ihrm vermö"gen leben ç * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 5: deswegen ist es doch ein wär=s doch u"ngewöhnlich Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 231 FE 6: daß er sagt Klasse (13); Funktionszuschreibung: Ankündigung einer Redewiedergabe. FE 7: ich komm jetz mal zu ih"nen und äh: - * will kein geld haben- * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiedergabe der Aussage einer anderen Person FE 8: wie soll denn des gehn Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage; genauer: Bezweifeln der Sachverhaltsdarstellung und Aufforderung zur Plausibilisierung. FE 9: sogar au"szubildende kriegen noch geld Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 10: und die können ja au" nix ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 11: ne æ Klasse (8); Funktionszuschreibung: Verweis darauf, dass dies geteiltes Wissen sein sollte. FE 1 bis FE 11 erfüllen zusammen die Funktion des Anzweifelns der Sachverhaltsdarstellung von B. Beitrag 22: (S. 2, Z. 16) B genau so war=s ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Bekräftigen der Sachverhaltsdarstellung. Diese FE wird parallel zu FE 8 von Beitrag 21 gesprochen. Sie bestätigt FE 7. Eigenschaften gesprochener Sprache 232 Beitrag 23: (S. 2, Z. 19-30) B so war=s gewesen nur über bezah"lung war nicht die rede ç * a"bsolut nicht ç ** wir ham ja auch von vornerein gesacht daß die situation æ * äh- * zunächst also jetzt mal so" is- * im hinblick auf die umsätze die also- * um- * wie sie jetzt im viertel letzten jahr der fall war fünfundzwanzig prozent na"chgelassen haben ç * un wir sind nicht in der la: ge- * personal- * äh z/ dazunehmen un=nach dem was wir haben- * nicht wahr æ * und äh damit war der fall erledigt es war keinerlei- * forderung gestellt worden ç * wir wie gesacht wir hätten das a"bgelehnt ç ** aber die wollten- * so bitte sie können sich hier inform/ - FE 1: so war=s gewesen Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Bekräftigung der Sachverhaltsdarstellung. Das so wird parallel zum ne (Beitrag 21, FE 11) gesprochen. FE 2: nur über bezah"lung war nicht die rede ç * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 3: a"bsolut nicht ç ** Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Intensivierung der vorangegangenen FE. B schließt an seine aus FE 2 präsente Konstruktion an und ‘ersetzt’ mit der Funktion einer Intensivierung nicht durch a"bsolut nicht. FE 4: wir ham ja auch von vornerein gesacht Klasse (13); Funktionszuschreibung: Ankündigung einer Redewiedergabe. FE 5: daß die situation æ * äh- * zunächst also jetzt mal so" is- * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Wiedergabe einer eigenen, vergangenen Aussage (die auf die FE 5, 6 und 9 verteilt ist). Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 233 FE 6: im hinblick auf die umsätze Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Spezifizierung. FE 6 kann als Expansion von FE 5 verstanden werden und wäre dann im Rahmen des Formulierungsprozesses und damit nicht als eigenständige FE zu interpretieren. Die deutliche prosodische Separierung führt in diesem Fall aber zur Kategorisierung als eigenständige funktionale Einheit. FE 7: die also- * um- * [Einlagerung FE 8] fünfundzwanzig prozent na"chgelassen haben ç * Klasse (4); Funktionszuschreibung: nähere Angabe zu dem Element umsätze aus FE 6. FE 8: wie sie jetzt im viertel letzten jahr der fall war Klasse (4); Funktionszuschreibung: nähere Angabe zu FE 7. FE 8 ist in FE 7 eingelagert. FE 9: un wir sind nicht in der la: ge- * personal- * äh z/ dazunehmen un=nach dem was wir haben- * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 10: nicht wahr æ * Klasse (8); Funktionszuschreibung: Bekräftigung. FE 11: und äh damit war der fall erledigt Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. FE 12: es war keinerlei- * forderung gestellt worden ç * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Bekräftigung der eigenen Sachverhaltsdarstellung. FE 13: wir [Einlagerung FE 14] wir hätten das a"bgelehnt ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. Eigenschaften gesprochener Sprache 234 FE 14: wie gesacht Klasse (14); Funktionszuschreibung: Operator, der die Verstehensanweisung gibt, dass es sich bei der folgende Einheit um die Wiederholung von etwas bereits Gesagtem handelt. FE 14 wird nach dem ersten wir aus FE 13 produziert. Nach der Formulierung des Operators wird dieses wir nochmals aufgenommen. FE 15: ** aber die wollten- * Funktion unklar wegen Abbruch; vermutlich Klasse (1) Sprachliche Handlung: Aussage. FE 16: so bitte Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Erlaubnis. FE 17: sie können sich hier inform/ - Funktion unklar wegen Abbruch (Verlust des Rederechts); vermutlich Klasse (1) Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Erteilen einer Erlaubnis. Wenn dies zutrifft, bilden FE 16 und FE 17 eine kumulierte Erlaubnis, die von B wiedergegeben wird. Beitrag 24: (S. 2, Z. 31 - S. 3, Z. 02) C ja ein welcher in äh als was äh sin denn die beiden gekommen so: ç ** Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Frage; genauer: Exploration des Sachverhalts. Beitrag 25: (S. 3, Z. 01-10) B sie wollten sich informie"ren was im reformhaus vor sich geht nicht æ * is dann- * lediglisch æ * äh: - * zum ersten januar- * äh die annahme als leh"rling- * das ham wir vereinbart- * mit ih: "m ç [Einschub Hö- Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 235 reräußerung 3] nicht wahr- ** und äh dementspreschend ham=mer die- * bezah"lung wie das das äh- * industrie und handelskammer- * schon festgelegt hat da daran ham wir uns gehalten- * ab januar ç *3* das war- ** der- * we"rdegang ç FE 1: sie wollten sich informie"ren was im reformhaus vor sich geht nicht æ * Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: Darstellung des Sachverhalts als Antwort auf Beitrag 24. Denkbar ist, was im reformhaus vor sich geht als assoziierte funktionale Einheit vom Typ (4): nähere Angabe aufzufassen. Da aber sie wollten sich informie"ren keine sinnvolle Antwort auf die Frage in Beitrag 24 ist, folgen wir dieser Interpretation nicht. nicht æ scheint hier eher ein Formulierungsautomatismus als eine eigenständige funktionale Einheit im Sinne eines Augments (Klasse 8) zu sein. FE 2: is dann- * lediglisch æ * äh: - * zum ersten januar- * äh die annahme als leh"rling- * Funktion unklar, weil bis zu diesem Zeitpunkt unvollständig. Vermutlich intendiert: Klasse (1) Sprachliche Handlung: Aussage. Der Konstruktionswechsel in FE 3 macht eine Reanalyse erforderlich, die FE 2 rückwirkend als Referenzkomplex (Klasse 15) erscheinen lässt. FE 3: das ham wir vereinbart- * mit ih: "m ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. Denkbar ist auch, mit ih: "m ç als eigene funktionale Einheit vom Typ (1) (Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: präzisierende Aussage) zu verstehen. Wir interpretieren es aber als präzisierenden Nachtrag zur vorangehenden Aussage. FE 4: nicht wahr- ** Klasse (8); Funktionszuschreibung: Bekräftigung. Eigenschaften gesprochener Sprache 236 FE 5: und äh dementspreschend ham=mer die- * bezah"lung Funktion unklar, weil bis zu diesem Zeitpunkt unvollständig. Vermutlich intendiert: Klasse (1) Sprachliche Handlung: Aussage. FE 6: wie das das äh- * industrie und handelskammer- * schon festgelegt hat Klasse (4); Funktionszuschreibung: nähere Angabe zu bezah"lung. FE 5 bildet zusammen mit FE 6 einen Referenzkomplex (Klasse 15). Diese Funktionszuschreibung kann erst nach Beginn von FE 7 in einer Reanalyse vorgenommen werden. Bis dahin erscheint FE 5 als unvollständige Aussage. FE 7: da daran ham wir uns gehalten- * ab januar ç *3* Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage. Konstruktionswechsel nach Einschub von FE 6, wodurch eine Referenz-Aussage-Struktur entsteht mit FE 5 und FE 6 als Referenzkomplex und FE 7 als Aussage. FE 8: das war- ** der- * we"rdegang ç Klasse (1); Funktionszuschreibung: Sprachliche Handlung: Aussage; genauer: abschließende Rahmung der Sachverhaltsdarstellung. Höreräußerung 3: (S. 3, Z. 06) C #ja ç # Die Höreräußerung 3 erfolgt in FE 3 von Beitrag 25 nach mit ih: "m ç . Sie motiviert vermutlich die bekräftigende FE 4. Die Analyse, die wir hier abbrechen wollen, verdeutlicht, dass die Bestimmung von funktionalen Einheiten interpretationsabhängig ist und dass man in einer Reihe von Fällen, die u.E. aber begrenzt sind, zu unterschiedlichen Segmentierungsergebnissen kommen kann. Auch können durch die sukzessive Komplettierung der Äußerungen Reanalysen notwendig werden, die rückwirkend zu anderen Segmentierungen und Funktionszuschreibungen führen. Analyse- und Beschreibungskategorien für gesprochene Sprache 237 Fasst man die Ergebnisse der Analyse zusammen, so besteht der untersuchte Gesprächsausschnitt aus 25 Beiträgen, die insgesamt 82 funktionale Einheiten umfassen, und 3 Höreräußerungen, die keinen Beitragsstatus haben. Die Beiträge sind aus 1 bis 17 funktionalen Einheiten gebildet, wobei 12 Beiträge (also knapp die Hälfte) nur aus einer funktionalen Einheit bestehen. Die weitaus meisten Einheiten haben die Funktion, eine sprachliche Handlung bestimmten Typs auszuführen. Hierbei überwiegt deutlich der Handlungstyp „Aussage“ (37), wobei zu beachten ist, dass die Funktion vieler Aussagen spezifischer bestimmt werden kann. 22 der 82 funktionalen Einheiten (also knapp ein Viertel) sind nicht satzförmig in dem Sinne, dass sie Referenz und Prädikation umfassen. Die hier getroffenen Aussagen quantitativer Art haben rein illustrierenden Charakter und sind natürlich in keiner Weise verallgemeinerbar bzw. repräsentativ. Dazu bedürfte es weitaus umfangreicherer Untersuchungen, die zudem intersubjektiv abgesichert werden müssten. Die vorgestellte Analyse hat ihren Hauptzweck darin, einen Eindruck zu vermitteln, zu welchen Segmentierungsergebnissen ein funktionaler Ansatz gelangt, und wie er sich von anderen Segmentierungskonzepten unterscheidet. Dabei sollte insbesondere auch deutlich werden, dass eine Segmentierung gesprochener Sprache möglich ist, ohne in zentraler Weise auf den Satzbegriff rekurrieren zu müssen. Eigenschaften gesprochener Sprache 238 Der folgende Hauptteil III. dient der empirischen Untersuchung von Operator-Skopus-Strukturen. Dabei werden in den Abschnitten 2.2.2, 2.3.1, 2.4, 3., 4.1 und 4.2 zahlreiche Beispiele in Form von Transkriptausschnitten angeführt. Sofern diese Ausschnitte aus den Korpora Dialogstrukturen ( DSK ), Freiburg ( FKO ) oder Pfeffer ( PFE / BRD , PFE / DDR , PFE / SUI ) stammen, können diese Belege in der Wissenschaftlerversion der Datenbank Gesprochenes Deutsch ( DGD ) des Instituts für Deutsche Sprache akustisch überprüft werden. Auch die Aufnahme des im Abschnitt 3. durchgängig analysierten Transkripts „Gegen Gotteslohn“ steht in der Datenbank im Korpus „Schlichtungsgespräche“ zur Verfügung. Die Datenbank ist im Internet unter der folgenden Adresse zu erreichen: http: / / www.ids-mannheim.de . Die Beispiele lassen sich auffinden, wenn man dem Link ‘Datenbankrecherche’ folgt und dann die Wissenschaftlerversion auswählt (Anmeldung erforderlich). Aktiviert man das entsprechende Korpus und trägt in der Suchmaske ‘Volltext-Recherche in Transkripten’ ein wenig frequentes Suchwort aus dem betreffenden Transkriptausschnitt ein, so gelangt man über die Auswahl aus der als Suchergebnis angezeigten Quickliste zu dem entsprechenden Transkript. Nach seinem Aufruf geht man mit der Suchfunktion zur betreffenden Stelle und kann durch Doppelklick auf ein Wort einen zehnsekündigen Ausschnitt hören (vorausgehende und folgende Ausschnitte entsprechend). III. Die Operator-Skopus-Struktur - Analyse und exemplarische Beschreibung einer grammatischen Konstruktion 1. Allgemeine Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur 1.1 Annäherung an das Phänomen Mündliche Kommunikation manifestiert sich in der Produktion und Rezeption von Einheiten auf verschiedenen Ebenen in zeitlicher Abfolge. Dass Einheiten produziert und rezipiert werden, dass sie vergehen und neue Einheiten an ihre Stelle treten, ist konstitutiv für mündliche Verständigung. Relevante Einheiten sind zum einen bedeutungstragende Körperbewegungen (Gesten) und zum anderen lautsprachliche Erscheinungen (z.B. Laute, Wörter, Sätze). Diese Einheiten sind von unterschiedlichem Format, können Bestandteile von Einheiten anderer Formate (Aussagen, Beiträge, Gespräche etc.) sein und werden in bestimmter Weise sequenzialisiert. Damit mündliche Kommunikation funktioniert, ist es für die Kommunizierenden wichtig zu verdeutlichen, was Einheiten sind, d.h., wo die Einheiten auf den verschiedenen Ebenen jeweils beginnen und enden, und welche Beziehungen zwischen ihnen bestehen. Diese Beziehungen sind vielfältiger Natur. Angesichts der Zeitlichkeit und der Flüchtigkeit mündlicher Kommunikation ist es erforderlich, die Einheiten über die reine Vorgänger-Nachfolger-Relation hinaus zu vernetzen, Bezüge untereinander herzustellen, sowohl retrospektiv wie prospektiv. D.h., Sprecher müssen einerseits signalisieren, in welchem Verhältnis die momentan produzierte Einheit zu den vorausgegangenen Einheiten gleichen Formats steht und ob bzw. mit welchen vorausgehenden Einheiten diese Einheit im Rahmen einer übergeordneten Einheit zusammengehört (z.B. bei Wörtern als Einheit kann ihre Zugehörigkeit zu einer übergeordneten Einheit signalisiert werden durch eine geschlossene Intonationskontur, durch Pausen, durch grammatische Kongruenz etc.). Andererseits muss die momentan produzierte Einheit ins Verhältnis zu möglichen folgenden Einheiten gesetzt werden. Die aktuelle Einheit macht bis zu einem gewissen Grad erwartbar, Eigenschaften gesprochener Sprache 240 was folgt. Sie beschränkt in spezifischer, mehr oder minder starker Weise die Möglichkeiten für die Produktion nachfolgender Einheiten. Dies geschieht zum einen vor dem Hintergrund von syntaktischem und lexikalischem Musterwissen, über das die Kommunizierenden gemeinsam verfügen und das letztlich Wissen darüber ist, was unter Berücksichtigung der vorausgegangenen Einheiten auf eine aktuelle Einheit wie gut folgen bzw. nicht folgen kann. Dies gilt auf der Ebene von Worteinheiten ebenso wie auf der Ebene von Gesprächsbeiträgen als Einheiten. Außer durch das Ansprechen impliziten Musterwissens kann das Erwartbarmachen aber auch explizit durch spezielle sprachliche Mittel erfolgen. Hierzu gehören die vielfältigen Verfahren der Ankündigung und vorgreifenden Verdeutlichung. In den folgenden Beispielen erfolgt diese Ankündigung und vorgreifende Verdeutlichung in einer spezifischen Weise: ein kurzes Element macht eine nachfolgende Äußerung erwartbar und gibt gleichzeitig eine Verstehensanweisung für diese Äußerung. (1) sicher der Ton macht immer die Musik (3003.99a) 126 (2) allerdings der Erfolg war sehr gering ( PFE / BRD .cp010) (3) weil ich find den schön (3005.02) (4) ich finde hier haben wir einmal einen ganz typischen Fall ( DSK - DAM .000) (5) zum Beispiel es ist sehr sinnvoll zu investieren (3003.99a) So verschieden die Beispiele im Einzelnen auch sind, sie eint zunächst, dass es sich um authentische Beispiele gesprochener Sprache handelt, und sie eint vor allem, dass sie eine spezifische Struktur repräsentieren, die jeweils aus zwei Teilen besteht. Dabei ist der eine kurze Teil dem anderen längeren Teil vorangestellt und liefert für ihn eine Verstehensanweisung. So ist nach sicher klar, dass jetzt eine Äußerung folgt, die zwischen den Kommunikationspartnern als unstrittig gelten soll, allerdings kündigt an, dass das Folgende eine Einschränkung des zuvor Gesagten ist, mit weil wird die folgende Äußerung als Begründung für einen vorher genannten Sachverhalt gekenn- 126 Die Angaben in den Klammern bezeichnen das Korpus sowie das einzelne Dokument, dem das Beispiel entnommen wurde. Ein Verzeichnis der verwendeten Korpora sowie die Transkriptionskonventionen der jeweils benutzten Transkriptionssysteme befinden sich im Anhang 3. Die Operator-Skopus-Struktur 241 zeichnet, ich finde deklariert das Folgende als persönliche Meinung des Sprechers, und mit zum Beispiel wird die Folgeäußerung als Exemplifizierung für eine vorangegangene Äußerung angekündigt. Jede der fünf Äußerungen bildet jeweils eine Einheit, die deutlich wahrnehmbar aus zwei Gliedern besteht. Wir nennen diese Einheit im Folgenden die Operator-Skopus-Struktur. 127 Durch sie lässt sich in spezifischer Weise die Relationierung und Vernetzung von Einheiten realisieren. Erscheinungsformen der Operator-Skopus-Struktur kann man zunehmend häufiger beobachten. Wir beschreiben mit der Untersuchung dieser Struktur also auch ein Stück Entwicklung der deutschen Gegenwartssprache. Bevor in den nächsten Abschnitten die Eigenschaften dieser Struktur systematisch erläutert werden (Abschnitt III.2.), ein vollständiges Gespräch auf Vorkommen von Operator-Skopus-Strukturen untersucht wird (Abschnitt III.3.) und schließlich ausgewählte Klassen von Operatoren einer Form- Funktions-Analyse unterzogen werden (Abschnitt III.4.), soll es in diesem Abschnitt zunächst um die allgemeine Bestimmung der Operator-Skopus- Struktur gehen. Außerdem werden Bezüge zu ähnlichen Phänomenen und deren Behandlung in der Literatur dargestellt. 1.2 Bestimmungsmerkmale der Operator-Skopus-Struktur Unter einer Operator-Skopus-Struktur verstehen wir eine spezifische sprachliche Einheit, die durch eine interne Zweigliedrigkeit gekennzeichnet ist, wobei der erste Teil, der Operator, als Verstehensanweisung für den nachfolgenden Teil, den Skopus, fungiert. Diese Struktur lässt sich u.E. nicht ohne weiteres auf die Grundstruktur eines Satzes oder Satzgefüges abbilden. Wir fassen sie deshalb als eine Struktur sui generis auf. Phänomene, die wir mit dem Operator-Begriff erfassen, werden, wenn man einen topologischen Bezugsrahmen anlegt, im Bereich des Vor-Vorfeldes des Satzes verortet. So wird versucht, sie in den Satzrahmen hineinzuholen bzw. sie nicht aus ihm herauszulassen. 128 Sowohl die Inkonsistenzen des 127 Zur Verwendungsweise des Operatoren-Begriffes vgl. III.1.3. 128 Vgl. z.B. Thim-Mabrey (1988), Auer (1997). Eigenschaften gesprochener Sprache 242 Vor-Vorfeld-Konzepts, als auch schon der etwas holprige Terminus Vor- Vorfeld an sich, verweisen auf die Schwierigkeiten, die mit dieser Art der Erfassung verbunden sind. Es zeigt sich daran aber auch, dass diese Phänomene unter dem Aspekt des Zusammenwirkens von Grammatik und Diskurs ein interessanter und aufschlussreicher Untersuchungsgegenstand sind. 129 Zur näheren Bestimmung der Operator-Skopus-Struktur bzw. zur Überprüfung der Annahme, ob in einem bestimmten Fall eine Operator-Skopus- Struktur vorliegt oder nicht, haben wir einen Kriterienkatalog erarbeitet, der im Folgenden aufgeführt und erläutert werden soll. Bei diesem Kriterienkatalog geht es darum, die Merkmale, aufgrund derer eine Operator-Skopus- Struktur im Prozess des Sprachverstehens erkannt wird, zu explizieren und zu operationalisieren. Die einzelnen Bestimmungsstücke werden dabei durch Rekonstruktion gewonnen, und es zeigt sich schnell, dass die Operator- Skopus-Struktur nicht in jedem Fall eine deutlich ausgeprägte Erscheinung ist. Es gibt prototypische Strukturen, und es gibt Fälle, wo es nicht mehr eindeutig ist, ob es sich um eine Operator-Skopus-Struktur handelt. Entweder-oder-Entscheidungen sind unserem Gegenstand nicht adäquat, und wir werden an entsprechenden Stellen die Übergangserscheinungen und Entscheidungsschwierigkeiten ausführlich diskutieren. Schon an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Operator-Skopus-Struktur um eine Erscheinung handelt, die durch das Zusammenspiel von funktionalen und formalen Eigenschaften gekennzeichnet ist und die dementsprechend auch nur unter gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer funktionalen und formalen Merkmale rekonstruiert werden kann. Die folgenden Bestimmungsstücke werden dies verdeutlichen. (a) Der Operator gibt eine Verstehensanweisung für den Skopus Wie an den Eingangsbeispielen schon andeutungsweise aufgezeigt, kündigt der Operator eine nachfolgende Äußerung an, macht sie also erwartbar und verdeutlicht zugleich, wie sie zu verstehen ist. D.h., mit dem Aussprechen des Operators wird die nachfolgende Äußerung in einer bestimmten Weise charakterisiert. Diese Charakterisierung kann sich auf verschiedene Aspekte der Folgeäußerung beziehen, z.B. auf ihre Handlungsqualität. Der Operator 129 Vgl. auch Rehbein (1992), S. 531. Die Operator-Skopus-Struktur 243 allerdings in allerdings der Erfolg war sehr gering charakterisiert die Folgeäußerung als Einschränkung, in weil den fand ich schön kündigt der Operator weil eine Begründung an. Ein anderer Aspekt bezieht sich auf den mentalen Status von Äußerungen. Man kann z.B. durch einen Operator explizit das Folgende als eigene, subjektive Meinung deklarieren, wie es das ich finde in ich finde hier haben wir einmal einen ganz typischen Fall tut. Eine weitere Leistung von Operatoren besteht in der Relationierung von Äußerungen. D.h., Äußerungen können durch Operatoren in ein ganz bestimmtes Verhältnis zu ihren Vorgängeräußerungen gesetzt werden. Das kann sich auf eher formale Relationen beziehen, wie es z.B. mit den Operatoren vorweg gesagt, erstens, zunächst einmal möglich wäre; es können aber auch ganz verschiedene inhaltliche Relationen hergestellt werden, wie in zum Beispiel es ist sehr sinnvoll zu investieren; hier kündigt der Operator eine Äußerung als Exemplifizierung einer Vorgängeräußerung an. Ebenso können Zusammenfassungsrelationen (kurzum, kurz gesagt, mit einem Wort), Paraphrasenrelationen (das heißt, mit anderen Worten), Präzisierungsrelationen (genauer gesagt) etc. durch Operatoren verdeutlicht werden. 130 Zwischen Operator und Skopus besteht eine bestimmte funktionale Relation, die wir hier als Verstehensanweisung bezeichnet haben. Besonders bei den äußerungsrelationierenden Operatoren, aber auch bei denen, die andere Aspekte betreffen, ist darüber hinaus deutlich, dass die Operatoren nicht nur nach vorn verweisen, sondern auch rückwärts gerichtet relationieren: Um etwas zusammenfassen zu können, muss zunächst etwas da sein, das sich zusammenfassen lässt, und wenn eine Begründung angekündigt wird, muss vorher ein Sachverhalt genannt worden sein, auf den sich diese Begründung bezieht. Diese rückwärts gerichtete Relationierung hat allerdings nicht den Charakter einer Verstehensanweisung. Wir nennen diese beidseitige Gerichtetheit der Operatoren ihre Gelenkfunktion. 131 Im Zentrum der Betrachtung steht für uns aber die Relation nach vorn. Von dieser Vorwärtsrelationierung unterscheidet sich der Rückwärtsbezug sowohl funktional als auch durch die größere Unbestimmtheit seiner Reichweite. 130 Zur systematischen Darstellung der verschiedenen Qualifizierungsleistungen vgl. Abschnitt III.2.1. 131 Genauer dazu vgl. III.2.2. Eigenschaften gesprochener Sprache 244 (b) Der Operator ist im prototypischen Fall dem Skopus vorangestellt Der Prozess der Verarbeitung sprachlicher Informationen erfolgt sicher am schnellsten und reibungslosesten, wenn zuerst die Verstehensanweisung genannt und damit der Interpretationsrahmen für die nachfolgende Äußerung schon gesetzt wird, so dass diese dann genau in diesem Rahmen wahrgenommen werden kann. Dies ist für uns der prototypische Fall einer Operator- Skopus-Struktur. In manchen Fällen kann der Operator aber auch dem Skopus nachgestellt oder in ihn insertiert sein; dann laufen die Informationsverarbeitungsprozesse anders ab. Die nachgestellte oder insertierte Position können allerdings nur wenige Operatoren einnehmen. 132 Zur Gruppe der nachgestellten Operatoren zählen z.B. die so genannten question tags wie nicht, nicht wahr, ne, gell usw. Das folgende Beispiel lässt sich durchaus als Operator-Skopus-Struktur interpretieren: (6) wir reden nur über de frau leopold jetz ne (3003.99a) Die Verstehensanweisung des Operators ne besteht hier darin, die vorangegangene Äußerung als zum gemeinsamen Wissensstand gehörig zu qualifizieren bzw. einen gemeinsamen Wissensstand zu unterstellen und damit den Anweisungscharakter der Äußerung abzumildern. 133 Es bedarf aber gerade bei diesen Elementen einer genauen Analyse und Beobachtung des sprachlichen Verhaltens des jeweiligen Sprechers insgesamt, um die Operatorenleistung von idiosynkratischen Verwendungsweisen dieser sprachlichen Elemente abgrenzen zu können. (c) Operator und Skopus bilden eine zweigliedrige Struktur Die Kriterien Verstehensanweisung und Zweigliedrigkeit sind die Hauptbestandteile unserer Charakterisierung einer Operator-Skopus-Struktur, sie müssen erfüllt sein, damit von einer Operator-Skopus-Struktur gesprochen werden kann. Wie wird nun die spezifische Zweigliedrigkeit erzeugt? Grundsätzlich dadurch, dass sprachliche Elemente prosodisch und/ oder syntaktisch nicht vollständig in die Äußerung integriert sind, sondern außerhalb stehen. 132 Vgl. dazu III.2.2. 133 Genauer dazu vgl. III.3. Die Operator-Skopus-Struktur 245 Betrachten wir wiederum unsere Eingangsbeispiele, so lassen sich verschiedene Stellungsvarianten für die Verstehensanweisung konstruieren: (1) sicher der Ton macht immer die Musik (1a) Sicher macht der Ton immer die Musik. (1b) Der Ton macht sicher immer die Musik (2) allerdings der Erfolg war sehr gering (2a) Allerdings war der Erfolg sehr gering. (2b) Der Erfolg war allerdings sehr gering. (3) weil ich find den schön (3a) weil ich den schön finde (4) ich finde hier haben wir einmal einen ganz typischen Fall (4a) Ich finde, dass wir hier einmal einen ganz typischen Fall haben. (5) zum Beispiel es ist sehr sinnvoll zu investieren (5a) Zum Beispiel ist es sehr sinnvoll zu investieren. (5b) Es ist zum Beispiel sehr sinnvoll zu investieren. Fast alle integrierten Varianten werden als Äußerungen ohne markante Binnengliederung wahrgenommen, nur dem Beispiel (4a) kann man eine bestimmte Zweigliedrigkeit nicht absprechen. Die grammatisch-morphologische Einbettung ist hier aber so stark, dass die Zweigliedrigkeit viel weniger deutlich empfunden wird. Das hängt unmittelbar mit der Unselbstständigkeit des Skopus in diesem Beispiel zusammen, ein entscheidendes Kriterium für die Wahrnehmung der Zweigliedrigkeit ist also die potenzielle Selbstständigkeit des Skopus. Neben der topologischen Markierung gibt es die Möglichkeit der prosodischen Markierung. Sie ist vor allem für bestimmte Konjunktionen obligatorisch, deren Position unmittelbar vor der Äußerung zunächst die unmarkierte Normalform darstellt und deshalb noch keine Zweigliedrigkeit erkennen lässt. Im folgenden Beispiel ist es die besondere prosodische Realisierung mit Dehnung, Progredienz und Pause, die das und von der Folgeäußerung abhebt, es gleichzeitig über seine einfache Bedeutung als Anschluss- oder Eigenschaften gesprochener Sprache 246 Aufzählungsmarker heraushebt und so zum Ankündiger von etwas Besonderem, besonders Hervorhebenswertem macht. Genau darin besteht die Operatorleistung: (7) u: nd- * dann hat der herr may gesagt ja wenn sie das machen wollen- * * ich such en geeigneten nachfolger (3003.99a) Andere Konjunktionen, die im Normalfall eine Äußerung mit Verbendstellung nach sich ziehen, werden dann zu Operatoren, wenn ihnen eine Äußerung mit Verbzweitstellung folgt, wie es in Beispiel (4) oder in folgendem Beispiel der Fall ist: (8) obwohl ich hatte bisher immer Glück ( FKO / XAZ ) Insgesamt kann man die Operator-Skopus-Struktur also als eine spezifisch markierte binäre Portionierung von Informationen beschreiben. (d) Operatoren sind zwar (projizierende) funktionale Einheiten, aber erst Operator und Skopus zusammen konstituieren eine interaktive Einheit Aus unserer Definition, dass ein Operator eine Verstehensanweisung für den nachfolgenden Skopus gibt, resultiert, dass ein Operator allein keine selbstständige interaktive Einheit sein kann. Er eröffnet immer eine Leerstelle, die nach Auffüllung verlangt, nach dem Aussprechen des Operators kann der Redebeitrag eines Sprechers noch nicht zu Ende sein. Die folgenden Beispiele stellen keine Operator-Skopus-Strukturen dar, obwohl sie einige formale Merkmale der Struktur (z.B. die Zweigliedrigkeit) aufweisen: (9) Ja, die Hausaufgaben sind alle gemacht. (10) Nein, sie fahren erst übermorgen. Sowohl ja als auch nein könnten als Responsive auf die entsprechenden Fragen allein stehen, außerdem sind sie keine Verstehensanweisungen für die folgenden Äußerungen. Die Operator-Skopus-Struktur 247 (e) Zwischen Operator und Skopus besteht eine hierarchische Beziehung; der Operator eröffnet eine Leerstelle für den Skopus Dass Operator und Skopus aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind, ist schon mehrfach erwähnt worden. Welcher Art jedoch ist die Beziehung zwischen den beiden Teilen? Wenn es heißt, dass der Operator eine Verstehensanweisung für den Skopus ist, so weist das auf eine semantische Beziehung hin. Die Beziehung zwischen Operator und Skopus lässt sich aber nicht auf das semantische Verhältnis beschränken. Zwischen Operator und Skopus besteht eine unspezifische Art von Dependenz, die zwar nicht den gleichen Verbindlichkeitsgrad hat wie die Dependenz von Konstituenten innerhalb eines Syntagmas, die aber trotzdem als syntaktische Relation angesehen werden kann. Diese syntaktische Relation ergibt sich aus der besonderen Art der Linearisierung: mit dem Operator wird eine Struktur begonnen, die nicht nur semantisch, sondern auch syntaktisch unvollständig ist. Es muss auf jeden Fall etwas ergänzt werden, auch wenn der Operator keine Reaktions- oder andere Zwänge auf das Folgende ausüben kann, die syntaktische Gestaltung des Skopus noch völlig offen ist. Nicht wie syntaktisch angeschlossen wird, kann also der Operator bestimmen, aber dass syntaktisch angeschlossen werden muss, dafür ist er ursächlich verantwortlich. Auch in der Schriftsprache zeigt sich das ambivalente Verhältnis von Bindung und Nicht-Bindung zwischen Operator und Skopus. Dort werden Operatoren meist durch einen Doppelpunkt, gelegentlich mit Komma oder Bindestrich von ihren Skopoi separiert. Gleichzeitig bilden Operator und Skopus aber auch eine Einheit, die üblicherweise durch Punkte angezeigt wird. Die Abgrenzung von dem, was der Gesamtstruktur vorausgeht und ihr folgt, ist stärker als das, was sie intern trennt. (f ) Der Operator hat Projektionskraft Die Projektionskraft des Operators ist schon mehrfach erwähnt worden. Der Operator macht etwas erwartbar, er eröffnet eine Leerstelle, die syntaktisch und semantisch nach Auffüllung verlangt. Dabei können die Erwartungen je nach dem semantischen Potenzial des Operators mehr oder weniger stark konturiert sein. So wäre es inkohärent, wenn auf die Ankündigung zum Beispiel eine Äußerung von hohem Abstraktionsgrad folgen würde, ebenso, Eigenschaften gesprochener Sprache 248 wenn nach einem kurz gesagt eine längere Erklärung käme. Bei und und aber zum Beispiel wäre die Konturierung weniger stark, gleichwohl aber auch vorhanden, während ja und nein genau diese Projektionskraft fehlt. Auch andere Elemente wie z.B. Referenz-Aussage-Strukturen oder Thematisierung-Aussage-Strukturen (in der Literatur üblicherweise unter den Begriffen ‘Linksversetzung’ und ‘Freies Thema’ abgehandelt; vgl. II.1.), haben Projektionskraft. Der wesentliche Unterschied zum Operator besteht darin, dass diese Elemente keine Verstehensanweisungen sind. Das folgende Beispiel 134 hat durchaus einige Merkmale einer Operator-Skopus-Struktur: (11) also Wochenendfreundschaften ich hab das jetzt probiert zwei Monate Es ist eine deutlich wahrnehmbare Zweigliedrigkeit zu erkennen: auf einen kurzen, nichtselbstständigen Teil folgt ein selbstständiger zweiter; beide Teile zusammen bilden eine Einheit. Trotzdem würden wir dieses Beispiel nicht den Operator-Skopus-Strukturen zurechnen. Mit also Wochenendfreundschaften erfolgt nur eine Setzung; es ist zwar klar, dass nun etwas zu diesem Thema gesagt werden wird, aber eine Verstehensanweisung für das Folgende wird nicht gegeben. Damit ist ein wesentliches Bestimmungskriterium für unsere Struktur nicht erfüllt. (g) Der Skopus ist jeweils eine potenziell selbstständige interaktive Einheit Die Forderung nach der potenziellen Selbstständigkeit des Skopus hängt für uns unmittelbar mit der Forderung nach der deutlich wahrnehmbaren Zweigliedrigkeit der Operator-Skopus-Struktur zusammen, die wir als eine essenzielle Eigenschaft dieser Struktur bestimmt haben. Wir sind der Auffassung, dass die Zweigliedrigkeit von einer qualitativ anderen Art ist, wenn der Skopus selbstständig ist. Wenn man dazu noch einmal die Beispiele (4) und (4a) betrachtet, so lässt sich natürlich auch (4a) eine gewisse Art von Zweigliedrigkeit nicht absprechen: 134 Nach Selting (1993), S. 298. Die Operator-Skopus-Struktur 249 (4) ich finde hier haben wir einmal einen ganz typischen Fall (4a) Ich finde, dass wir hier einmal einen ganz typischen Fall haben. Durch die grammatisch-morphologische Einbettung der Bezugsäußerung im Beispiel (4a), d.h., durch die formale Kennzeichnung dieser Einbettung durch dass und durch die Verbendstellung werden aber beide Teile deutlicher als eine Einheit wahrgenommen, als es in (4) der Fall ist, wo der Skopus innerhalb dieser Struktur zwar auch abhängig ist, er in anderem Kontext aber die Fähigkeit zur Selbstständigkeit hätte. (4a) betrachten wir also, im Gegensatz zu (4), nicht als Realisierung einer Operator-Skopus-Struktur. 135 (h) Operatoren zeichnen sich durch Kürze aus, sie haben die Eigenschaften von festen Wendungen (Lexikalisierungen) oder sie sind formelhaft Die spezifische Einheit der Operator-Skopus-Struktur entsteht nur dann, wenn der Operator auch bestimmten formalen Kriterien genügt. Das folgende Beispiel stellt einen Grenzfall dar: (12) versteh ich sie richtig * i"st davon gar nich gesprochen worden o: der hat man vereinbart daß nichts bezahlt wird (3003.99a) Die Äußerung versteh ich sie richtig ist durchaus als Verstehensanweisung zu betrachten, die über Projektionskraft verfügt. Man könnte diese Verstehensanweisung so paraphrasieren: Verstehe das, was jetzt folgt, als eine Verständnisfrage meinerseits, auf die ich eine Antwort erwarte. Wenn wir diese Verstehensanweisung dennoch nicht als einen Operator im Sinne unserer Operator-Skopus-Struktur ansehen, so liegt das daran, dass sie nicht über die erforderliche Kürze verfügt (auch wenn die Grenze natürlich nicht an der Anzahl der Wörter festzumachen ist). Sie ist formal eigenständig, sie wird eher als selbstständige Einheit, denn als Bestandteil einer übergeordneten Struktur wahrgenommen, die Binarität ist gestört. Auch bei diesem Bestimmungskriterium gibt es Übergangsbereiche, es lassen sich nicht in jedem Fall eindeutige Entscheidungen treffen. 136 135 Vgl. auch III.2.3.1. 136 Vgl. dazu III.2.3. Eigenschaften gesprochener Sprache 250 Wenn wir die einzelnen Bestimmungskriterien noch einmal zusammenfassend betrachten, so wird deutlich, dass es sich bei der Operator-Skopus- Struktur um eine sprachliche Einheit handelt, die sowohl nach funktionalen wie auch nach formalen Kriterien bestimmt wird. Zu den funktionalen Kriterien gehört, dass der Operator eine Verstehensanweisung für den Skopus ist und über Projektionskraft verfügen muss. Als wichtige formale Kriterien sind die Zweigliedrigkeit der Operator-Skopus-Struktur und - damit zusammenhängend - die Forderung nach Kürze und Formelhaftigkeit für den Operator anzusehen. Beide Arten von Kriterien sind gleichermaßen wichtig, um diese Einheit in ihrer Spezifik zu bestimmen und sie von anderen Strukturen abzugrenzen. 1.3 Der Operator - Begriffsbestimmung und Erscheinungsformen Wie in den vorausgegangenen Ausführungen deutlich wurde, verwenden wir den Operator-Begriff anders, als er in der linguistischen Literatur im Allgemeinen verwendet wird. Der Begriff Operator stammt aus der formalen Logik und wird als solcher als Oberbegriff für Quantoren, logische Prädikate und logische Partikeln gefasst. Operatoren haben prinzipiell einen Geltungsbereich, auf den sie sich beziehen. 137 Ganz allgemein stellt ein Operator eine Beziehung zwischen sprachlichen Ausdrücken her, in der die Bedeutung eines Ausdrucks (des Operators) die Bedeutung eines anderen Ausdrucks näher bestimmt. 138 Diese allgemeine Bestimmung trifft auch für den Operator im Sinne dieses Buches zu: der Operator ist für uns eine Verstehensanweisung, durch die die nachfolgende Äußerung, der Skopus, näher bestimmt wird. Der entscheidende Unterschied zu den gebräuchlichen Operator-Definitionen liegt darin, dass hier der Operator nur dann ein Operator ist, wenn er als Bestandteil der oben bestimmten Operator-Skopus-Struktur auftritt. Mit anderen Worten: Sprachlichen Elementen kommt nicht per se die Eigen- 137 Vgl. Abraham (1988), S. 552. 138 Vgl. Bußmann (1990), S. 547. Die Operator-Skopus-Struktur 251 schaft, Operator zu sein, zu, sondern sie sind es nur dann, wenn sie in der Lage sind, den Platz des Operators innerhalb der Operator-Skopus-Struktur einzunehmen. Das lässt sich anhand des Beispiels (2) verdeutlichen: (2) allerdings der Erfolg war sehr gering (2a) Allerdings war der Erfolg sehr gering. (2b) Der Erfolg war allerdings sehr gering. Natürlich sind die Bedeutungsunterschiede von (2), (2a) und (2b) nicht sehr groß. Die Äußerungen sind aber auch nicht identisch, vor allem dann nicht, wenn man sie weniger aus der Ergebnis-, sondern mehr aus der Produktions- und Rezeptionsperspektive betrachtet. Das allerdings ist ein anderes, wenn es in das Syntagma integriert ist; steht es außerhalb, ist seine Funktion als Verstehensanweisung stärker markiert, laufen die kognitiven Verarbeitungsprozesse des Hörers anders ab. Eine Operator-Skopus-Struktur liegt nur in (2) vor; das bedeutet, dass auch nur das allerdings in (2) ein Operator ist, nicht das allerdings in (2a) und auch nicht das in (2b). Welche sprachlichen Elemente sind es nun, die die Funktion des Operators in der Operator-Skopus-Struktur einnehmen können? Aus den bisher aufgeführten Beispielen geht hervor, dass es sehr verschiedene Elemente sind, die als Operatoren fungieren. Sie in einer gemeinsamen Klasse zusammenzufassen ist u.W. bisher nicht erfolgt und also zunächst gewöhnungsbedürftig. Man kann die Operatoren nach unterschiedlichen Gesichtspunkten subklassifizieren. 139 Eine mögliche Unterscheidung ist die nach den verschiedenen Arten von Verstehensanweisungen. 140 Bei einem anderen Zugang böte sich eine Einteilung nach verschiedenen Wortklassen an. Aber abgesehen davon, dass auch die Systeme der Wortklassen nicht objektiv und widerspruchsfrei existieren, sondern immer schon theoretische Vorannahmen enthalten, gibt es gerade in dem Bereich, aus dem ein Großteil unserer Operatoren stammt, eine Vielfalt von z.T. konkurrierenden Bezeichnungen, 141 von unterschiedlichen Zuordnungen und Abgrenzungen, die an dieser Stelle genauer darzustellen wenig sinnvoll wäre. Andererseits sind die Zugehörigkeiten zu den 139 Eine ausführliche Liste von Operatoren mit Beispielbelegen ist im Anhang 1 aufgeführt. 140 Das wird in III.2.1 ausgeführt. 141 Z.B. Partikeln, Adverbien, Konjunktionen, Konjunktoren, Funktionswörter usw. Eigenschaften gesprochener Sprache 252 verschiedenen Wortklassen wiederum auch nicht völlig belanglos, denn aus ihnen bzw. aus den ihnen zugrunde liegenden syntaktischen Eigenschaften resultieren verschiedene Möglichkeiten, die geforderte Zweigliedrigkeit der Operator-Skopus-Struktur herzustellen. Wir gehen in unserer Einteilung noch einen Schritt weiter zurück und klassifizieren zunächst nach ganz allgemeinen formalen Merkmalen: Operatoren sind entweder Einzellexeme (was der Forderung nach Kürze am nächsten käme) oder Wortgruppen. Wortgruppen lassen sich ihrerseits in solche mit Verb und solche ohne Verb unterteilen. Beim Verb kann man noch einmal nach dessen Finitheit oder Infinitheit unterscheiden. Operatoren Einzellexem Wortgruppe mitVerb ohne Verb finit nichtfinit (z.B. aber, allerdings, bloß, immerhin, sicher, gewiss, weil, Grund, und, zugegeben, zweifellos, kurzum, außerdem, übrigens) (z.B. zum Beispiel, mit anderen Worten, ohne Zweifel, im Ernst, kurz und gut) (z.B. ich meine, ich finde, hör mal, daraus folgt) (z.B. ehrlich gesagt, nebenbei bemerkt, davon abgesehen) Die Operator-Skopus-Struktur 253 1.4 Die Behandlung der Operatoren in der Literatur So verschiedenartig und heterogen die Erscheinungen sind, die als Operatoren auftreten können, so verschieden sind auch die Zusammenhänge, in denen sie in der linguistischen Fachliteratur behandelt werden. Allgemein lassen sich zwei Dinge konstatieren: - Viele der als Operatoren auftretenden sprachlichen Elemente gehören in der Grammatikschreibung zu den eher sperrigen und problematischen Erscheinungen. In grammatischen Gesamtdarstellungen wurde ihnen oft nur ein marginaler Platz eingeräumt. Andererseits entstanden zu einigen dieser sprachlichen Elemente und Gruppen zahlreiche umfängliche Einzeldarstellungen. Als Beispiele seien hier nur Weydt (1979) zur Partikelforschung, Helbig (1994) zu Modalwörtern und Pasch/ Brauße/ Breindl/ Waßner (i.V.) zu Konjunktoren genannt. - Mit der Entwicklung der Gesprochene-Sprache-Forschung und der Gesprächsanalyse und der damit einhergehenden Beschäftigung mit authentischem gesprochensprachlichem Material rückten die sprachlichen Elemente in den Fokus der Aufmerksamkeit, die „zwischen“ Äußerungen stehen. Hier sind solche Arbeiten wie die zu Gliederungssignalen (Gülich 1970), zu Sprechhandlungsaugmenten (Rehbein 1979) oder zu discourse markers (Schiffrin 1987, Fraser 1996) zu erwähnen. Viele unserer Operatoren sind Teilmengen dieser Gruppen. Im Folgenden werden wir einige Arbeiten genauer betrachten und zu unserem Ansatz in Beziehung setzen, d.h., wir wollen untersuchen, unter welchen Kategorien und welchen Konzepten die sprachlichen Erscheinungen, die als Operatoren auftreten können, in der Literatur bisher behandelt wurden. Dabei orientieren wir uns im Wesentlichen an der Chronologie des Erscheinens der ausgewählten Arbeiten. Ein Terminus, der in der Untersuchung von Gülich (1970) zum gesprochenen Französisch eingeführt wurde, ist der des Gliederungssignals. Für Gülich haben die Gliederungssignale kommunikative Funktion, d.h. 1.) sie geben dem Hörer Orientierungshilfen für Aufbau und Inhalt der Rede des Sprechers, 2.) dienen sie dem Sprecher als Hilfsmittel bei der Formulierung seiner Rede. (S. 297). Eigenschaften gesprochener Sprache 254 Für das Deutsche hat u.a. Rath (1979b) verschiedene Gliederungssignale untersucht. Es gibt bestimmte lexikalische Gliederungssignale [...], die im wesentlichen Gliederungszwecken dienen und die die Aufgabe haben, in Verbindung mit den übrigen Gliederungsmitteln größere Textstücke zu portionieren, indem sie die Grenzen zwischen einzelnen Äußerungseinheiten markieren. Es kann sich hier um einzelne Wörter (wie ‘und’, ‘also’, ‘nicht? ’, ‘ja? ’) oder um syntaktisch zusammengesetzte Einheiten handeln, die teilweise den Charakter von Stereotypen haben (wie ‘ich meine’, ‘ich glaube’, ‘nicht wahr? ’, ‘und/ oder so’, ‘und so weiter’). (S. 74f.). Einige dieser Gliederungssignale gehören zum Bestand der potenziellen Operatoren. Ob sie im Einzelfall tatsächlich Operatoren sind, kann immer nur anhand einer konkreten Beispielanalyse bestimmt werden (vgl. hierzu z.B. die unterschiedlichen also in III.3.). Andere können von vornherein nicht als Operatoren auftreten, weil ihnen die Funktion als Verstehensanweisung fehlt. Das gilt z.B. für und/ oder so und und so weiter. Die Operator-Funktion ist also spezifischer als die Gliederungsfunktion; Operatoren qualifizieren den ihnen zugehörigen Skopus in einer bestimmten inhaltlichen Art und Weise, während Gliederungssignale - so geht es auch aus der Definition von Rath hervor - in der Regel einfach „nur“ Grenzen anzeigen. D.h., es gibt einen Überschneidungsbereich von Operatoren und Gliederungssignalen: wenn zur Gliederungsfunktion die qualifizierende Funktion hinzukommt und sie erstere überlagert, kann ein sprachliches Element zum Operator werden. Natürlich sind die Grenzen dabei fließend; das gilt schon für die Gliederungssignale selbst, deren Bestimmung als solche längst nicht immer eindeutig ist (vgl. Rath 1979b, S. 114f.), das gilt aber auch für diesen Überschneidungsbereich von Operator und Gliederungssignal. In der englischsprachigen Literatur existieren mehrere Bezeichnungen für die sprachlichen Erscheinungen, die wir als potenzielle Operatoren fassen. Einer dieser Ausdrücke ist z.B. „gambit“ (Keller 1979, House 1982). „Generally, gambits serve to introduce what the speaker is about to say.“ (Keller 1979, S. 220). Anders als bei den Gliederungssignalen spielt bei den Gambits auch die inhaltliche, nicht nur die gliedernde Beziehung zum sprachlichen Umfeld eine Rolle, wie aus der folgenden Definition hervorgeht: Die Operator-Skopus-Struktur 255 Most commonly and most overtly, gambits refer to semantic information. They serve to signal that the stretch of utterance to follow is to be taken in a particular manner, for instance as an opinion, or as a piece of unpleasant realism. Gambits thus not signal specific meaning, as propositions or idioms do, but a general frame within which such meaning can by conveyed. (Keller 1979, S. 223). Viele Autoren betonen allerdings in erster Linie den Gesprächssteuerungscharakter von gambits. 142 Das trifft auch für die „brackets“ (Schiffrin 1980) oder „discourse markers“ (Schiffrin 1982, 1987) zu, zwei weitere Bezeichnungen für einen Teil unserer potenziellen Operatoren. Alle diese sprachlichen Erscheinungen werden nach verschiedenen Untergruppen klassifiziert; einige von ihnen stellen Teilmengen unserer Operatoren dar, andere sind reine Gliederungssignale. Ein wesentlicher Unterschied zur Operator- Skopus-Struktur besteht darin, dass die brackets, gambits oder discourse markers weniger in ihrer spezifischen Verbindung zu ihrer Folgeäußerung betrachtet werden, 143 sondern allgemein ihre diskursorganisierende Funktion in ihren verschiedenen Ausprägungen betont wird, während für uns ein entscheidendes Definitionsmerkmal des Operators gerade seine qualifizierende Funktion für den Skopus ist. Ein weiterer Unterschied zu den Operatoren besteht darin, dass es keine Beschränkungen im Umfang gibt. Zwar bestehen viele der brackets, gambits oder discourse markers nur aus einem Wort oder sind formelhaft (well, because, like, you know, I mean, in fact), aber auch „vollständige“ Äußerungen wie do you take my point oder I've no time to go into much detail, but ...(nach Trommer 1990) sind nicht ausgeschlossen. Andere potenzielle Operatoren finden wir bei einer Gruppe von „adverbials“ 144 (vgl. Mittwoch 1977), die u.a. von Quirk et al. (1972) als „style disjuncts“ bezeichnet werden. Über ihre strukturelle Anbindung heißt es, dass sie nicht in den Satz integriert sind (vgl. Quirk et al. 1972, S. 269), ihre Funktion wird folgendermaßen beschrieben: Semantically, disjuncts express an evaluation of what is being said either with respect to the form of communication or to its content. (ebd.). 142 „Gambits sind Gesprächselemente, die typisch sind für gesprochene dialogische Sprache. Ihre Funktion ist im wesentlichen interpersonal, phatisch und/ oder dialogstrukturierend.“ (House 1982, S. 110). 143 „Markers are linguistic elements which are syntactically and semantically independent of the following sentence“ (Schiffrin 1982, S. 52). 144 In III.4.1 wird auf das Verhältnis von Adverbialen und Operatoren genauer eingegangen. Eigenschaften gesprochener Sprache 256 Hier wird für die „disjuncts“, was ihre strukturelle Anbindung betrifft, ein ähnliches Verhältnis festgestellt, wie es für das Verhältnis von Operator und Skopus charakteristisch ist. Für das Französische hat z.B. Regula (1976) eine Reihe von sprachlichen Erscheinungen beschrieben, die dem Operator in unserem Sinne entsprechen. Er geht aus vom „Judikativ“, einem Satzglied oder Taxem, das eine außerhalb und über der Satzebene stehende Stellungnahme zum Satzinhalt enthält (ebd., S. 95). Die Arten dieser Stellungnahme werden in 11 Untergruppen aufgeteilt, von denen sich viele auf die Klassifikation der Qualifizierungsleistungen von Operatoren abbilden lassen, z.B. Verstärkungen, Einschränkungen der Gültigkeit, Aufzählungen und Reihungen von Sachverhalten usw. (vgl. III.2.1). Unterschiede gibt es - ebenso wie bei den brackets, gambits oder discourse markers - in der Form. Der Judikativ unterliegt diesbezüglich keinen Beschränkungen; er kann aus einem einzelnen Wort wie auch aus erheblich größeren Einheiten bestehen. Auch im Deutschen existieren verschiedene Bezeichnungen für die Phänomene, die wir als Operatoren fassen. So spricht z.B. Rehbein (1979) von Sprechhandlungsaugmenten. Er definiert sie als „Mittel, mit denen der Sprecher auf die hörerseitige Koordination Einfluß nehmen will“ (ebd., S. 59) und teilt sie in Vorschaltungen und Nachschaltungen ein. Als Vorschaltungen gelten z.B. ich meine, also, hören Sie, als Nachschaltungen nicht wahr, ne, weißte usw. Beide Gruppen enthalten Teilmengen unserer Operatoren, gehen aber über sie hinaus. Eine andere Gruppe der sprachlichen Elemente, die als Operatoren auftreten können, sind von Hindelang (1975) unter der Bezeichnung „äußerungskommentierende Gesprächsformeln“ analysiert worden. Dazu zählen z.B. offen gesagt, im Ernst, apropos, kurz und gut. Hindelang definiert die äußerungskommentierenden Gesprächsformeln wie folgt: Gemeinsam ist diesen Formeln, daß der Sprecher durch ihren Gebrauch eine Äußerung in bestimmter Weise erläutert und ihren Stellenwert innerhalb der verbalen Interaktion kommentieren will, um so die von ihm intendierte Aufnahme durch den Sprecher sicherzustellen bzw. vorzustrukturieren. (ebd., S. 253). Die Operator-Skopus-Struktur 257 Mit dieser Definition ließe sich auch die Funktion von Operatoren beschreiben. Heinemann (1984) greift die Kategorie „äußerungskommentierende Gesprächsformel“ auf und bezeichnet damit eine von sieben Untergruppen zur Darstellung von stereotypen Textkommentaren, die als „‘geronnene’ Reflexe von Sprecher-Stellungnahmen zu Textinhalten und situativen Faktoren“ (S. 43) definiert werden. Der Unterschied zu unseren Operatoren besteht hier wiederum darin, dass auch umfangreichere Äußerungen in diese Kategorie fallen. Eine äußerungskommentierende Gesprächsformel, nämlich offen gesagt, ist von Hindelang (1975) genauer betrachtet und ihre Anwendung mit dem Wirken verschiedener, sich z.T. auch widersprechender Normen erklärt worden. In Niehüser (1987) wird genau diese Gruppe von Gesprächsformeln untersucht und unter dem Oberbegriff „redecharakterisierende Adverbiale“ einer umfangreichen semantischen und pragmatischen Analyse unterzogen. Die generelle kommunikative Funktion expliziter Redecharakterisierungen besteht für Niehüser darin, Mißverständnissen oder Einwänden des Hörers, die durch die Äußerung des Sprechers hervorgerufen werden könnten, von vornherein durch eine zusätzliche Information über den spezifischen Charakter der Äußerung zu begegnen. (S. 194f.). D.h., der Sprecher antizipiert mögliche Verstehensschwierigkeiten und Einwände des Hörers und beugt ihnen durch die Verwendung von Äußerungskommentierungen vor. Von den Gruppen, die Niehüser untersucht, kommt nur der Strukturtyp „x gesagt“ als Operator in Frage, und auch er nur dann, wenn er in einem bestimmten, Zweigliedrigkeit erzeugenden Verhältnis zum Skopus steht (vgl. dazu genauer III.2.2). Die anderen Strukturtypen (um es x zu sagen, ich sage x, dass ..., wenn ich es x sagen darf) entsprechen funktional zwar dem Kriterium, eine Verstehensanweisung für den Skopus zu geben, erfüllen aber durch ihre ausgebaute Form nicht mehr die Forderung nach Kürze. Sowohl die eben beschriebenen Operatoren vom Typ „x gesagt“ wie auch mehrere andere Gruppen von Operatoren (Reihungen anzeigende Operatoren wie erstens, zweitens, Resümees anzeigende Operatoren wie kurzum, Einschränkungen anzeigende Operatoren wie aber, dennoch, trotzdem u.a.) finden sich in der Arbeit von Ortner (1983) über syntaktisch hervorgehobene Eigenschaften gesprochener Sprache 258 Konnektoren. Ortner geht von der Beobachtung aus, dass bestimmte Elemente aus dem Satz ausgegliedert werden und auf diese Art ihr übergeordneter Status deutlicher wird, als wenn sie als Stellungsglieder in die Sätze integriert wären (vgl. Ortner 1983, S. 101). Diese strukturelle Beobachtung entspricht durchaus dem, was wir als Operator-Skopus-Struktur bezeichnen. Ortner betrachtet die ausgegliederten Elemente als Konnektoren, d.h., er legt einen sehr weiten Konnektorbegriff zugrunde. Konnektoren sind für ihn von Gebrauch und Bedeutung her Signale, die dem Leser klarmachen, unter welchem Gesichtspunkt er Satzzusammenhänge herstellen soll, z.B. unter dem Gesichtspunkt eines adversativen, kopulativen oder eines Paraphrasezusammenhangs. (ebd., S. 99). Da es Ortner aber nur um den Konnexionsaspekt und nicht um die projektive Kraft dieser Elemente geht, schließt er z.B. Modalwörter wie zweifellos usw. aus seiner Betrachtung aus. Insgesamt ist sein Konzept, abgesehen davon, dass er nur schriftsprachliche Belege einbezieht, enger gefasst als unser Operatoren-Konzept. Ebenfalls einen strukturellen Zugang haben die Arbeiten, die sich speziell mit dem Vor-Vorfeld beschäftigen (Thim-Mabrey 1988, Auer 1997) und damit einige der Phänomene, die unter das hier vertretene Operatoren- Konzept fallen, mit erfassen. Auer geht es darum, die zentrale Bedeutung des Vor-Vorfelds für das gesprochene Deutsch deutlich zu machen (ebd., S. 56). Er untersucht, welche sprachlichen Elemente in der Lage sind, das Vor-Vorfeld zu besetzen. Die grundsätzliche Funktion dieser Phänomene sieht er in der Rahmung der Folgeäußerung, Gemeinsamkeiten zwischen ihnen wären höchstens im Sinne von Familienähnlichkeiten auszumachen (ebd., S. 85). Diese allgemeine Beschreibung trifft auch auf unsere Operatoren zu. Auer bestimmt und analysiert verschiedene sprachliche Erscheinungen als vor-vorfeldfähig (einfache und komplexe Adverbialien, Konjunktionen, Freie Themen, ungesättigte Syntagmen mit offener Objektvalenz, Vokative und Diskurspartikeln). Aufgrund der spezifischen Kombination aus formalen und funktionalen Merkmalen, die die Operator-Skopus-Struktur definieren, kommt allerdings ein Teil dieser Phänomene als Operatoren nicht in Frage, da sie entweder den einen oder den anderen Definitionskriterien nicht genügen. Das gilt z.B. für die Freien Themen und den Vokativ, die keine Verstehensanweisungen geben; das gilt aber auch für manche der komplexen Adverbialien und ungesättigten Syntagmen, die zu ausgebaut und Die Operator-Skopus-Struktur 259 selbstständig sind, um als Operatoren gelten zu können. Insgesamt ist also der von Auer untersuchte Phänomenbereich größer, bzw. anders ausgedrückt: Nicht jede Besetzung des Vor-Vorfelds erzeugt eine Operator- Skopus-Struktur in unserem Sinne. Unter einem anderen Gesichtspunkt - nämlich dem der Textherstellungsverfahren - werden bei Gülich/ Kotschi (1996) Strukturen beschrieben, die der Operator-Skopus-Struktur entsprechen. Gülich/ Kotschi gehen von drei grundlegenden Textherstellungsverfahren aus: der Versprachlichung, der Bearbeitung und der Redebewertung und -kommentierung. Die Realisierung dieser Verfahren hinterlässt jeweils Spuren, die der linguistischen Analyse zugänglich sind. Interessanterweise werden die Spuren, die das dritte Textherstellungsverfahren (Redebewertung und -kommentierung) indizieren und die aus einer umfangreichen Gruppe von Ausdrücken mit mehr oder weniger explizitem metasprachlichen Charakter bestehen (ebd., S. 65), von den Autoren als Operatoren bezeichnet. Diese Operatoren werden vom Sprecher eingesetzt, um ein (unter jeweils zu spezifizierendem Aspekt einzuordnendes) Urteil über einen im Textzusammenhang gegebenen Ausdruck (bzw. eine als Einheit zu betrachtende Gruppe von Ausdrücken) zu vollziehen (ebd., S. 68). Hier lassen sich Parallelen zwischen den beiden Operatorbegriffen ziehen. Der Operator-Begriff von Gülich/ Kotschi ist allerdings nicht mit dem hier vertretenen identisch. Einerseits ist er weiter, da er - rein funktional bestimmt - auch umfangreichere Ausdrücke zulässt. Andererseits ist er enger, da er nur solche Ausdrücke umfasst, die zur Signalisierung des Textherstellungsverfahrens Redebewertung und -kommentierung verwendet werden. Ausdrücke zur Signalisierung des Verfahrens der Bearbeitung, die solche Verfahren wie Paraphrasierung, Korrektur, Generalisierung usw. anzeigen, werden nicht als Operatoren, sondern als Konnektoren bezeichnet. Zwar räumen Gülich/ Kotschi ein, dass beide Arten von Ausdrücken vergleichbar seien, da beide auf einer metadiskursiven Ebene anzusiedeln sind und auch beide Arten der Textherstellungsverfahren eng zusammenhängen; sie bestehen aber auf der unterschiedlichen Leistung von Operatoren einerseits und Konnektoren andererseits. Für uns ist die Konnexionsfunktion im Operator-Begriff mit enthalten; unter dem Begriff „Gelenkfunktion“ wird sie in III.2.2 behandelt. Eigenschaften gesprochener Sprache 260 Fazit: Viele der sprachlichen Erscheinungen, die wir als Realisierung einer Operator-Skopus-Struktur beschreiben, sind von anderen Autoren unter jeweils verschiedenen Gesichtspunkten untersucht worden. Dabei konzentrierten sich diese Untersuchungen meist auf die Elemente, die als Operatoren auftreten können, seltener wurde das Verhältnis zum Skopus beleuchtet. Je nach Forschungsinteressen und Verortung in bestimmten theoretischen Zusammenhängen gerieten dabei verschiedene Ausschnitte aus dem Spektrum der potenziellen Operatoren ins Blickfeld. Entweder dominierten eher formale und strukturelle Eigenschaften die Ausschnittbildung (z.B. bei den brackets oder Konnektoren), oder die Auswahl war zunächst funktional bestimmt (z.B. Sprechhandlungsaugmente als Mittel der Interaktionssteuerung). Für unseren Ansatz ist dagegen von vornherein die Einheit bzw. die Gleichzeitigkeit von formalen und funktionalen Eigenschaften für die Auswahl bestimmend, d.h., nur wenn eine sprachliche Erscheinung sowohl formal wie auch funktional unseren Kriterien entspricht, behandeln wir sie als Operator-Skopus-Struktur. Dass uns bei dieser spezifischen Ausschnittbildung eine nicht nur ganz abseitige bzw. marginale Erscheinung ins Blickfeld gerät, bestätigt uns die Tatsache, dass auch Überblicksdarstellungen mittlerweile nicht mehr daran vorbeikommen, diese Erscheinung zumindest zu erwähnen. So behandeln Glück/ Sauer (1990) in ihrer Abhandlung über das Gegenwartsdeutsch im Kapitel Syntax zum einen die Hauptsatzwortstellung im Nebensatz (weil die machen jetzt bald zu), zum anderen so genannte Ausgliederungen (Gewiss: Kohl kann kein Englisch) - beides gehört für uns zu den Operator-Skopus-Strukturen. Und auch in der Grammatik der deutschen Sprache (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997), der neuesten umfänglichen Grammatik-Darstellung, werden Erscheinungen der Operator-Skopus-Struktur konstatiert: Als besonderen Fall werten wir die ‘freie’ Verwendung konnektiver Ausdrücke, die dem Satzrahmen vorangestellt sind. [...] Charakteristisch ist, daß sie keine Integration (in eine Satzreihe oder ein Satzgefüge) bewirken, sondern eine bloß formale Anknüpfung mit einem Fokuswechsel bzw. Themenwechsel. [...] Ihre Orientierungsrichtung ist progressiv. Die Konnektoren erhalten ein besonderes Gewicht, und damit wird der Übergang als solcher herausgestellt. Es handelt sich um eine spezifische Verwendungsweise von Konnektivpartikeln und in diese Funktion konvertierten Ausdrücken oder formelhaften Phrasen. Die Operator-Skopus-Struktur 261 Beispiele: allerdings, also, anders gesagt, angenommen, folglich, freilich, genauer, gesetzt, im Gegenteil, kurz(um), mithin, überhaupt, übrigens. Auch die meisten einfachen Konjunktoren können «frei» (intonatorisch bzw. graphisch separiert) und somit besonders gewichtet gebraucht werden, etwa aber, allein, außer, bloß, doch, nur, oder, und. (S. 2390). 2. Systematische Fragestellungen Der folgende Abschnitt beinhaltet systematische Untersuchungen, die die Operator-Skopus-Struktur genauer charakterisieren. Zunächst wird eine Klassifikation der Verstehensanweisungen, die Operatoren zu geben in der Lage sind, vorgestellt (Abschnitt III.2.1). Sodann werden Stellungseigenschaften von Operatoren sowie ihre Gelenkfunktion beschrieben (Abschnitt III.2.2). Weitere formale Eigenschaften von Operator und Skopus sind Untersuchungsgegenstand von Abschnitt III.2.3. Abschließend werden prosodische Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur dargestellt (Abschnitt III.2.4). 2.1 Klassifikation der Verstehensanweisungen von Operatoren Wenn oben gesagt wurde (vgl. III.1.2), dass Operatoren dem Hörer Verstehensanweisungen für die Äußerung in ihrem Skopus geben, so lässt sich fragen, von welcher Art diese Verstehensanleitungen sind, d.h. in welcher Hinsicht durch sie für den Hörer etwas verdeutlicht werden kann. So weit wir sehen, sind es vor allem vier zentrale Bereiche, in denen die Operatoren solche Verstehenshilfen erbringen: (1) Der Operator verdeutlicht dem Hörer, von welchem Typ die sprachliche Handlung ist, die mit der Äußerung in seinem Skopus vollzogen wird. (2) Der Operator signalisiert dem Hörer den mentalen Status, den die Äußerung in seinem Skopus für den Sprecher hat. Eigenschaften gesprochener Sprache 262 (3) Der Operator verdeutlicht dem Hörer den kommunikativen Status, den der Sprecher der Äußerung im Skopus des Operators zuschreibt. (4) Der Operator signalisiert dem Hörer, welche Relationen bzw. Zusammenhänge zwischen der Äußerung im Skopus und vorausgehenden Äußerungen im Diskurs bestehen. Operatoren machen - im Sinne einer Verstehensanleitung für den Hörer - eine Angabe über einen oder mehrere Aspekte der in ihrem Skopus stehenden Äußerung. Dabei ist wichtig zu betonen, dass Operatoren sich immer auf Qualitäten von Äußerungen beziehen. Betrachten wir die vier Bereiche, in denen Operatoren Verstehensanleitungen erbringen, im Einzelnen: (1) Verdeutlichung des Handlungstyps der Äußerung im Skopus Die erste Klasse von Operatoren leistet eine vorgreifende Verdeutlichung des Typs der sprachlichen Handlung, der mit der folgenden Äußerung vollzogen wird. Dabei benennt der Operator entweder den Handlungstyp explizit, oder er ist usuell mit dem entsprechenden Operatorausdruck assoziiert. Frage: Kannst du schon eine halbe Stunde früher kommen? ist ein Beispiel für eine solche explizite Benennung, während in der Äußerung Sag mal, kannst du mir deinen Wagen für eine halbe Stunde leihen? der Handlungstyp Frage mit dem imperativischen Operatorausdruck sag mal nur usuell verknüpft ist. In beiden Fällen wäre der Typ der Handlung natürlich auch ohne Operator für den Hörer erkennbar, allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt. Der Operator leistet also eine vorgreifende Verdeutlichung der Handlungsqualität der folgenden Äußerung. Durch diese Verdeutlichung des Handlungstyps trägt er zur Aufmerksamkeitssteuerung des Hörers bei. Die explizite Benennung des Handlungstyps kann dabei mit sehr unterschiedlichen sprachlichen Mitteln erfolgen: Die Ausdrücke ich verspreche dir, ich verspreche, versprochen, großes Versprechen kündigen gleichermaßen die Äußerung in ihrem Skopus als ein Versprechen an. In einigen Fällen koexistieren Operatoren, die den Handlungstyp entweder benennend oder usuell verdeutlichen. So sind z.B. Begründung und weil (mit folgender Verbzweitstellung) in vielen Fällen funktional äquivalent und bilden ebenso wie die Ausdrücke des Versprechens eine paradigmatische Reihe. Nicht Die Operator-Skopus-Struktur 263 ganz so eindeutig ist die funktionale Äquivalenz des benennenden Operators zugegeben, der in der Regel ein Zugeständnis ankündigt, mit den Operatoren sicher und gewiss (vgl. III.4.1), die eine Einräumung oder ein Zugeständnis signalisieren. (2) Verdeutlichung des mentalen Status der Äußerung im Skopus Eine weitere Klasse von Operatoren gibt dem Hörer Verstehenshinweise dafür, welchen mentalen Status die Äußerung in ihrem Skopus für den Sprecher besitzt. Sie verdeutlichen, ob es sich bei der betreffenden Äußerung um eine Meinung, eine (Ein-)Schätzung, ein Wissen, eine Idee, ein Glauben, eine Hoffnung, einen Wunsch, eine Präferenz, ein Gefühl etc. des Sprechers handelt. Der mentale Status einer Äußerung, ihre Einordnung in das Spektrum möglicher psychisch-mentaler Qualitäten, ist für den Hörer nicht evident. Es gehört also zu den Aufgaben des Sprechers, den Status, den die Äußerung für ihn hat, dem Hörer zu verdeutlichen. Tut er dies nicht, ist der Hörer darauf verwiesen, diese Qualität zu erschließen oder Vermutungen über sie anzustellen. Die Operator-Skopus-Struktur ist ein sprachliches Mittel (neben anderen), um dem Hörer den mentalen Status von Äußerungen zu verdeutlichen, wobei der Operator diesen Status in der Regel benennend expliziert: Ich meine/ finde, er könnte sich da schon etwas diplomatischer verhalten. (Meinung); Ich weiß, er wird mir das nicht verzeihen. (Wissen, feste Überzeugung); Nur eine Idee: Könnten wir nicht die Sitzung auf Freitag verschieben? (Idee, spontaner Einfall); Grob geschätzt: An der Demonstration haben 15.000 Menschen teilgenommen. (Schätzung); Ich würde sagen, er blufft nur. (Vermutung, Einschätzung); Besser er macht das gleich. (Präferenz); Ich glaube, er hat uns da nicht die Wahrheit gesagt. (Glauben, Vermutung); Ich fühle, da stimmt was nicht. (Gefühl, Einschätzung); etc. Der Operator wird dabei sprachlich überwiegend als Nomen bzw. nominaler Komplex (Meine Meinung/ Hoffnung/ Überzeugung etc.) oder als Matrixsatz 145 realisiert. Im Falle des Matrixsatzes konkurrieren zwei Konstrukti- 145 Die Verdeutlichung sowohl des mentalen Status wie auch des Typs der sprachlichen Handlung (in der Gestalt von performativen Formeln) sind in Form von Matrixsätzen möglich. Insofern Matrixsätze zwar minimale, aber doch vollständige Sätze (mit Referenz Eigenschaften gesprochener Sprache 264 onsmöglichkeiten: Zum einen der Anschluss mit der subordinierenden Konjunktion dass und entsprechender Verbletztstellung und zum anderen - wie in den vorgestellten Beispielen - der asyndetische Anschluss der ‘abhängigen’ Äußerung mit Verbzweitstellung. 146 Nur im letzteren Fall sind die formalen Merkmale der Operator-Skopus-Struktur erfüllt. Das Bestehen dieser Konstruktionsalternative und die Tatsache, dass in der gesprochenen Sprache der asyndetische Anschluss häufiger ist (Auer 1998) und weiterhin expandiert, kann man u.U. als Ausdruck einer Entwicklungstendenz verstehen, einen sprachlichen Bereich, der in deutlicher Weise die funktionalen Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur erfüllt, zunehmend auch formal dieser Struktur (Zweigliedrigkeit, Asyndese etc.) anzupassen. 147 und Prädikation) sind, liegen hier die formalen Verhältnisse anders als bei Operatoren, die kein finites Element enthalten. U.a. ist die Existenz der Konstruktionsalternative für den abhängigen Teil eine Folge des Satzcharakters der Matrixsätze. Diese formalen Besonderheiten machen (nicht oder nur minimal erweiterte) Matrixsätze zu einer gesonderten Gruppe von Operatoren, die nicht prototypisch ist, sondern eher an der Peripherie des Operatorenkonzepts liegt. Expandierte Matrixsätze (Ich meine aufgrund meiner langen Erfahrung mit ihm, er wird sich nicht bessern.) sind keine Operatoren, sondern eigenständige Äußerungen. 146 Auer (1998) spricht hier in Anschluss an Müller (1971) von ‘abhängigen Hauptsätzen’. 147 Auer (1998, S. 304-305) schreibt: „Eher kann man F. Plank zustimmen, der schreibt: ‘Mit Sätzen dürfte es <...> nicht viel anders bestellt sein als zum Beispiel mit Schraubenziehern, die genau die Form haben, die eine optimale Erfüllung ihrer Funktion gewährleistet’ (1986: 305). Abhängige Hauptsätze (und uneingeleitete Nebensätze) haben pragmatischen Sinn; sie werden in der Gesprochenen Sprache so gern verwendet, weil sie (in bestimmten Fällen) ‘bessere Schraubenzieher’ für die Aufgaben der mündlichen Kommunikation sind als eingeleitete Nebensätze. Die Linguistik tut sich nur manchmal schwer, dies zu erkennen, weil sie [...] nicht so recht weiß, was eigentlich die ‘Schrauben’ sind, die wir mit den ‘Schraubenziehern’ der Sprache bearbeiten“. Die Schraube, die hier mit dem Schraubenzieher ‘asyndetischer Anschluss abhängiger Hauptsätze’ bearbeitet wird, ist die der effektiven Verständnissicherung. Der asyndetische Anschluss ist in den hier diskutierten Fällen der „bessere Schraubenzieher“, weil er klarer vor Augen führt, dass Aussagen, die diese Strukturierung aufweisen, einen Spezialfall einer allgemeineren Struktur, der Operator-Skopus-Struktur, darstellen und dadurch die vorgreifend-verstehensanleitende Funktion des Matrixsatzes deutlicher hervortritt. Die Operator-Skopus-Struktur 265 (3) Verdeutlichung des kommunikativen Status der Äußerung im Skopus Eine dritte Klasse von Operatoren signalisiert dem Hörer den kommunikativen Status, den der Sprecher der Äußerung im Skopus des Operators zuschreibt. Mit diesen Operatoren verdeutlicht der Sprecher dem Hörer, welchen Stellenwert, welche Qualität die Äußerung im Skopus seiner Auffassung nach hat. Der kommunikative Status von Äußerungen kann durch Operatoren in verschiedenen Hinsichten bzw. Dimensionen charakterisiert werden. Wir unterscheiden hier Charakterisierungen der Geltung, der Relevanz, der Offenheit und der Modalität von Äußerungen. Bei der ersten Klasse gibt der Operator eine Verstehensanleitung hinsichtlich der Geltung der Äußerung im Skopus. Diese Geltung kann sich u.a. auf die Wahrheit und auf die Sicherheit der Äußerung beziehen. In der Äußerung Ehrlich, ich habe deine Brille nicht versteckt. verstärkt und bekräftigt der Sprecher mit dem Operator ehrlich, dass er die Äußerung als wahr verstanden wissen will. Weitere Operatoren, die sich auf die Wahrheit von Äußerungen beziehen, sind wirklich, Tatsache ist, in der Tat etc. Da es kommunikativ nicht sinnvoll ist, den Status einer eigenen Äußerung als Unwahrheit oder Lüge zu verdeutlichen, fehlt ein entsprechender Operatorengebrauch. Eine Äußerung wie Riesige Lüge: Die Arbeitslosenzahlen sinken. qualifiziert nicht den Wahrheitsgehalt eigener, sondern zitierter Äußerungen. Die Geltung der Äußerung im Skopus kann darüber hinaus hinsichtlich ihrer Sicherheit spezifiziert werden. Indem der Sprecher verdeutlicht, ob er den Inhalt seiner Äußerung für ungewiss, möglich, wahrscheinlich oder ganz sicher hält, charakterisiert er den Status, den er ihr im Rahmen der ablaufenden Kommunikation zuschreibt. Beispiele für diese Operatoren sind: sicherlich, gewiss, zweifellos etc. 148 Auffällig dabei ist, dass es sehr viele Operatoren gibt, die die Sicherheit von Äußerungen signalisieren, hingegen aber nur wenige, die ihre Unsicherheit oder Wahrscheinlichkeit anzeigen. So sind wahrscheinlich oder vielleicht 149 in Operatorfunktion bisher kaum belegt. 148 Diese Gruppe von Operatoren wird ausführlich in Abschnitt III.4.1 untersucht. 149 Gängig ist hier die Konstruktion: Vielleicht, dass er den Bus verpasst hat, bei der es sich wegen der formalen Kennzeichnung der Abhängigkeit (dass und Verbletztstellung) nicht Eigenschaften gesprochener Sprache 266 Die Operatoren einer zweiten Gruppe charakterisieren den kommunikativen Status in Hinblick auf die Relevanz der Äußerungen im Skopus. Zu dieser Gruppe gehören Operatoren wie wichtig, wichtiger, vor allen Dingen, vor allem etc. Eine dritte Klasse, die relativ umfangreich ist, charakterisiert den kommunikativen Status, indem sie dem Hörer einen Verstehenshinweis hinsichtlich der Offenheit gibt, mit der der Sprecher sich (wirklich oder angeblich) äußert: ehrlich gesagt, offen gesagt, unter uns (gesagt), im Vertrauen (gesagt), bei allem/ r Respekt/ Liebe etc. 150 Diese Operatoren signalisieren, dass eine Äußerung zu erwarten ist, die unter normalen Umständen so nicht erfolgt wäre. Punktuell werden die Normen für übliches Kommunikationsverhalten durchbrochen. Wenn ein Operator in dieser Weise auf die Offenheit einer Äußerung verweist, wird damit implizit zugleich auch die Beziehung zum Hörer thematisch: Offen ist man nur zu jemandem, zu dem man ein vertrautes Verhältnis hat, bzw. wenn die andere Person Eigenschaften hat oder etwas getan hat, was auch bei einem nicht vertrauten Verhältnis eine gewisse Offenheit erforderlich macht. Der Operator baut in diesem letzten Fall einer antizipierten Gesichtsbedrohung oder ‘Respektlosigkeit’ vor. Von dieser impliziten Thematisierung der sozialen Beziehung zwischen Sprecher und Hörer kann in vielfältiger Weise strategischer Gebrauch gemacht werden. Eine vierte und letzte Gruppe von Operatoren verdeutlicht den kommunikativen Status von Äußerungen, indem sie ihre Modalität im Gespräch charakterisieren: im Ernst, im Scherz, Spaß beiseite etc. (4) Verdeutlichung der Relation(en) der Äußerung im Skopus zu anderen Äußerungen des Diskurses Die größte Gruppe von Operatoren verdeutlicht die Beziehungen, die zwischen der Äußerung in ihrem Skopus und anderen Äußerungen des Diskurses bestehen. Sie explizieren also den Zusammenhang zwischen Äußerungen und erleichtern so dem Hörer das Verständnis. um eine Operator-Skopus-Struktur handelt. Vielleicht, er hat den Bus verpasst. erscheint zwar nicht gänzlich unmöglich, ist aber (im Moment noch? ) auffällig und nicht frequent. 150 Vgl. hierzu auch die Arbeiten von Hindelang (1975) und Viehweger (1979, 1983). Die Operator-Skopus-Struktur 267 Unterschieden werden können zum einen Operatoren, die Aspekte der Gesprächsorganisation verdeutlichen und damit eher formalen Charakter haben, und zum anderen Operatoren, die inhaltlich-funktionale Beziehungen zwischen Äußerungen explizieren. Die Grenze zwischen diesen beiden Gruppen ist aber fließend. Gesprächsorganisatorische Aspekte werden expliziert, wenn die Positionierung von Äußerungen, ihre Anordnung oder Gliederung thematisiert werden. vorweg (gesagt), (gleich) vorweggenommen, kurz zwischendurch, Nachtrag sind Beispiele für Operatoren, die dem Hörer Verstehenshinweise zur Positionierung und Abfolge von Äußerungen geben. erstens, zweitens; zum einen, zum anderen; einerseits, andererseits charakterisieren die Anordnung und Gliederung, z.T. aber auch eine inhaltliche Gegenüberstellung von Äußerungen. Verdeutlicht werden kann durch Operatoren auch, auf wessen Äußerung(en) sich die Äußerung im Skopus zurückbezieht: zu X, direkt dazu. Sehr viele Operatoren thematisieren den Beitrag von Äußerungen zur Themenprogression: Thematische Fortführung wird angezeigt durch (und) weiter, (und) weiterhin, (und) ferner, (und) schließlich, (und) außerdem, (und) zudem, im Übrigen, (und) noch etwas, zunächst einmal etc. Z.T. verdeutlichen die Operatoren über die thematische Fortführung hinaus auch mehr, z.B. dass die Fortführung expandierenden Charakter hat: (und) außerdem, (und) zudem, oder dass im Folgenden ein wichtiger thematischer Aspekt eingeführt wird: überhaupt, darüber hinaus. Thematische Diskontinuität kann entweder als Einführung eines neuen Themas bzw. Themenwechsels ((ganz) was anderes) oder als (vorübergehende) Etablierung eines Nebenthemas verdeutlicht werden (nebenbei (bemerkt/ gesagt), Anmerkung am Rande, am Rande (bemerkt), übrigens, Exkurs) etc. Die letztgenannten Operatoren signalisieren, dass die Äußerungen in ihrem Skopus hierarchisch nicht auf der gleichen Stufe stehen wie die etablierte Thematik. Den Abschluss eines thematischen Abschnitts verbunden mit einer Zusammenfassung oder einer abschließenden Positionsformulierung signalisieren: wie auch immer, wie dem auch sei, egal, was solls etc. Eigenschaften gesprochener Sprache 268 Fast unübersehbar sind die inhaltlichen oder funktionalen Relationen zwischen Äußerungen, die durch Operatoren expliziert werden können. 151 Einige der wesentlichen Klassen sollen im Folgenden stichwortartig und vor allem anhand von Beispielen vorgestellt werden. Auch hier sei vorab schon bemerkt, dass die Klassifikation in vieler Hinsicht nicht trennscharf ist (und wie bei fast allen sprachlich-kommunikativen Phänomenen auch nicht sein kann). So zeigt z.B. kurz und gut je nach Kontext eine Zusammenfassung, eine Folgerung oder beides an. Einige Operatorausdrücke erscheinen deshalb unter mehreren Kategorien. Die Äußerung im Skopus des Operators kann zu vorausgehenden Äußerungen u.a. in folgenden Relationen stehen: Gegenüberstellung Operatoren können verdeutlichen, dass zwei Äußerungen zueinander in der Relation der Gegenüberstellung stehen, die bis zum Gegensatz reichen kann: einerseits, andererseits; auf der einen Seite, auf der anderen Seite; zum einen, zum anderen; entweder, oder Gegensatz trotzdem, aber, im Gegenteil, allerdings, immerhin, obwohl Wiederholung wie gesagt, noch einmal, nochmals Paraphrase Wiederholung und Paraphrase unterscheiden sich durch die Nähe zur Bezugsäußerung. Paraphrasen können in Explikationen, Präzisierungen oder Verdeutlichungen übergehen. anders ausgedrückt, das heißt, mit anderen Worten, anders gewendet, anders gefragt 151 Bei vielen der genannten inhaltlich-funktionalen Relationen zwischen Äußerungen handelt es sich um bearbeitende (insbesondere reformulierende) und redebewertende/ -kommentierende Typen der Textherstellung im Sinne von Gülich/ Kotschi (1996). Einige der vorgestellten Relationen fallen aber nicht unter die dort behandelten Formen der Textherstellung, z.B. die Relationen des Gegensatzes, der Begründung, der Folgerung und der Bedingung. Umgekehrt treten die bei Gülich/ Kotschi (1996) benannten Typen der Textherstellung im Deutschen durchaus nicht immer in Form von Operator-Skopus- Strukturen auf. Die Operator-Skopus-Struktur 269 Steigerung mehr noch, noch besser, ja Explikation/ Präzisierung/ Verdeutlichung genauer, genauer gesagt/ formuliert, besser (gesagt), richtiger (gesagt), (noch) pointiert(er), überspitzt (gesagt), (oder) vielmehr, das heißt, im Klartext, deutlicher (gesagt), auf gut Deutsch (gesagt), überspitzt (formuliert), (noch) einfacher, kürzer (gesagt/ formuliert/ ausgedrückt), auf den Begriff/ eine Formel gebracht, näher/ bei Licht betrachtet, genau genommen, sagen wir mal Verallgemeinerung allgemeiner, verallgemeinert, (ganz) generell (gesagt) Konkretisierung/ Spezifizierung/ Exemplifizierung (ganz) konkret, näher betrachtet, im Detail, zum Beispiel, ein Beispiel, zur Illustration Übersetzung zu deutsch, formal (ausgedrückt), technischer (ausgedrückt) Ergänzung darüber hinaus, ferner Zusammenfassung kurz (gesagt), kurzum, kurz und gut, zusammengefasst, zusammenfassend, Zusammenfassung, Resümee, summa summarum, in summa, alles in allem, mit einem Wort, im Großen und Ganzen, okay Begründung Die hier einschlägigen Operatoren kündigen nicht nur eine sprachliche Handlung bestimmten Typs an (in dieser Hinsicht wurden sie unter (1) eingeordnet), sondern sie relationieren sie auch mit vorausgehenden Äußerungen, insofern sie z.B. eine Begründung für eine vorausgehende Aussage sind. Es besteht also auch ein systematischer Zusammenhang zwischen vorausgegangener Aussage und Begründung, der durch den Operator expliziert wird. Entsprechend las- Eigenschaften gesprochener Sprache 270 sen sich diese Operatoren auch unter (4) einordnen. Dies gilt ebenso für die nachstehenden Relationierungen der Folgerung und Bedingung. weil, Grund, Begründung Folgerung mithin, folglich, daraus folgt, also, ergo, Conclusio Bedingung außer, es sei denn Abschließend ist festzuhalten, dass die hier vorgestellte Klassifikation in manchen Aspekten nicht trennscharf ist. Hier sollen nur vier Punkte angesprochen werden: - Mit der Wahrheit einer Äußerung wird zugleich auch ihre Sicherheit mitthematisiert und umgekehrt. In manchen Fällen ist dabei nicht oder nur aus dem Kontext zu entscheiden, welcher Aspekt im Vordergrund steht. Bei einigen Operatoren wie z.B. wahrlich fällt es schwer, sie in dieser Hinsicht einzuordnen. - Zur Verdeutlichung des kommunikativen Status einer Äußerung gehört systematisch auch die Charakterisierung ihres Handlungstyps. Gerade am Beispiel von sicher kann gezeigt werden, wie die Verdeutlichung der Sicherheit einer Äußerung und die Charakterisierung eines bestimmten Handlungstyps (Einräumung) miteinander zusammenhängen (vgl. Abschnitt III.4.1). Wegen ihrer Wichtigkeit und kategorialen Andersartigkeit haben wir jedoch die Gruppe der handlungstypverdeutlichenden Operatoren hier ausgesondert und als eigenständige Klasse etabliert. - Auch Ausdrücke, die eine Redewiedergabe einleiten (er sagte, ich rief, sie antwortete, ich warf ein etc.), verdeutlichen den kommunikativen Status der Äußerung in ihrem Skopus - eben als Wiedergabe fremder oder eigener vergangener Rede. Diese Klasse von Ausdrücken bleibt hier jedoch gänzlich außer Betracht, weil ihre Funktionalität primär darin besteht, in der aktuellen Situation „Fenster“ (Brünner 1991, S. 2) für vergangene Rede zu öffnen, und weniger darin, Verstehensanleitungen für eine aktuelle Äußerung zu geben. Wir rechnen sie aus diesem Grund nicht zu den hier interessierenden Operatoren. Die Operator-Skopus-Struktur 271 - Die Übergänge zwischen Operatoren, die den mentalen Status von Äußerungen und solchen, die den kommunikativen Status verdeutlichen, sind fließend. Beispielsweise kann der Operator Tatsache ist so verwendet werden, dass er die Äußerung in seinem Skopus als ein Wissen verdeutlicht (Kennzeichnung des mentalen Status der Äußerung), er kann aber auch die Äußerung in Hinblick auf ihre Wahrheit oder Sicherheit, also ihren kommunikativen Status, charakterisieren. Die vorgestellte Klassifikation ist eine unter möglichen anderen. Sie kann auch durchaus noch ergänzt und verfeinert werden. Sie reicht u.E. aber schon aus, um die Vielfalt der unterschiedlichen Typen von Verstehensanleitungen zu verdeutlichen, die der Sprecher dem Hörer mithilfe von Operatoren geben kann. 2.2 Stellungseigenschaften von Operatoren 2.2.1 Die Position des Operators Nachdem zunächst die allgemeinen Eigenschaften der Operator-Skopus- Struktur charakterisiert und die Verstehensanweisungen der Operatoren klassifiziert wurden, soll jetzt der Frage nachgegangen werden, welche Position der Operator in Bezug auf seinen Skopus einnehmen kann. Aus der Bestimmung der Operator-Skopus-Struktur geht hervor, dass ein Wort (bzw. eine Wortgruppe) dann - und nur dann - als Operator auftreten kann, wenn es in der Lage ist, diese Position in der Struktur einzunehmen. Anders gesagt: Das Wort (oder die Wortgruppe) ist nicht per se Operator in unserem Sinne, sondern wird es erst durch seine Stellung innerhalb der Operator-Skopus- Struktur. Eine Operator-Skopus-Struktur kann - wie bereits erwähnt - auch dann vorliegen, wenn der Operator dem Skopus nachgestellt oder in ihn insertiert ist; hier erfolgt die Verstehensanweisung nicht prospektiv, sondern im Vollzug bzw. im Nachhinein, d.h., der Hörer muss den Skopus reinterpretieren. Das heißt nun aber nicht, dass der Sprecher jeden vorangestellten Operator auch als nachgestellten oder als insertierten Operator verwenden könnte. Vor allem die Position des insertierten Operators einzunehmen ist nur wenigen Operatoren möglich. Eigenschaften gesprochener Sprache 272 Um das spezifische Abhängigkeitsverhältnis von Operator und Skopus deutlich zu machen, ist es sinnvoll, die verschiedenen Stellungsmöglichkeiten der einzelnen Operatoren bzw. Operatorengruppen genauer zu beleuchten. Hier zu systematisieren ist insofern schwer, als das Stellungsverhalten der einzelnen Operatoren weder mit ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Klassen von Verstehensanweisungen noch mit ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Wortklassen vollständig korrespondiert. Gewisse Regularitäten sind aber trotzdem auszumachen. Beginnen wir mit der Gruppe der Operatoren, die die vielfältigsten Stellungsmöglichkeiten aufweisen. Dazu zählen Formeln wie ehrlich gesagt, nebenbei bemerkt, vorsichtig formuliert, aber auch ich meine, ich glaube, ich finde. Sie gehören zu den Wortgruppen, die ein Verb enthalten. Die erste Gruppe ist nach dem Muster „Adjektiv + Partizip II eines verbum dicendi“ gebildet. Am Beispiel von ehrlich gesagt sollen zunächst anhand eines konstruierten Beispiels 152 die verschiedenen Stellungsmöglichkeiten gezeigt werden; danach wird durch authentische Beispiele der Operatorgebrauch belegt. (1a) Ehrlich gesagt, der Film interessiert mich gar nicht. (1b) Der Film interessiert mich gar nicht, ehrlich gesagt. (1c) Ehrlich gesagt interessiert mich der Film gar nicht. (1d) Der Film interessiert mich, ehrlich gesagt, gar nicht. (1e) Der Film interessiert mich ehrlich gesagt gar nicht. (1f) Der Film, ehrlich gesagt, interessiert mich gar nicht. Im Fall (1a) haben wir es mit der prototypischen Operator-Skopus-Struktur zu tun: Der Operator ehrlich gesagt ist dem Skopus vorangestellt und gibt dem Hörer zu verstehen, dass sich der Sprecher offen äußert, wobei er sich gleichzeitig bewusst ist, mit seiner folgenden Äußerung gegen eine Erwartung oder Norm hinsichtlich der kommunikativen Offenheit zu verstoßen. (Diese Bedeutung von ehrlich gesagt bleibt selbstverständlich in allen Stellungsvarianten grundsätzlich erhalten.) Auch (1b) weist eine Operator-Sko- 152 Die Darstellung der konstruierten Beispiele folgt den Schreibkonventionen. Die Operator-Skopus-Struktur 273 pus-Struktur auf, mit dem Unterschied, dass hier der Operator nachgestellt ist. In beiden Fällen gibt es eine deutlich wahrnehmbare Zweigliedrigkeit. In (1c) steht ehrlich gesagt auch am Anfang wie in (1a), ist aber so in das Folgende eingebunden, dass keine Zweigliedrigkeit zu erkennen ist. Das ganze Syntagma wird als eine Einheit wahrgenommen, in der ehrlich gesagt den Platz im Vorfeld vor dem finiten Verb einnimmt. (1d) und (1e) scheinen zunächst eng beieinander zu liegen, ehrlich gesagt ist jeweils hinter dem Objekt in das Syntagma eingeschoben. Aber während in (1d) ehrlich gesagt durch Kommata abgetrennt und somit die Herausgehobenheit betont wird, wird in (1e) ehrlich gesagt so behandelt, als ob es vollständig in das Syntagma integriert wäre (die Rechtschreibung lässt beide Möglichkeiten zu). Im Mündlichen entspräche (1d) dem Fall, dass ehrlich gesagt durch eine hervorhebende Prosodie besonders markiert und damit ein insertierter Operator wäre; in (1e) wäre ehrlich gesagt nicht hervorgehoben, hier läge keine Operator-Skopus-Struktur vor. In (1f) ist ehrlich gesagt zwischen dem Vorfeld und dem finiten Verb positioniert; hier wirkt es wie ein Retardierungsmoment, das den Fluss der Rede unterbricht, um etwas anderes einzufügen. Die Zweigliedrigkeit ist deutlich wahrnehmbar, und man könnte hier das ehrlich gesagt wie in (1d) als insertierten Operator auffassen. In den folgenden authentischen Beispielen stellen sich die Verhältnisse ähnlich dar: (2a) „Ganz ehrlich gesagt, über die Entwicklung bin ich erschüttert“, sagte Brechenmacher. ( FAZ , 1993) (2b) es war wirklich kruder schwachsinn ehrlich gesacht ( GF 4051.01) (2c) Also ehrlich gesagt ist mir der Urlaub immer zu kurz. ( PFE/ BRD : jv032) (2d) ich nehm ihnen das ehrlich gesagt gar nicht ab ( FKO - XAM ) (2e) Das Wetter zeigt sich aprilmäßig unberechenbar, und der Reichstag, ehrlich gesagt, gehört keineswegs zu den leicht rezipierbaren, gefälligen Kunstwerken. ( MM / 506.04504) Eigenschaften gesprochener Sprache 274 Die Struktur in Beispiel (2a) entspricht der von (1a), bei ganz ehrlich gesagt handelt es sich um einen vorangestellten Operator. Auch in (2b) ist ehrlich gesagt ein Operator, in diesem Fall - genau wie in (1b) - ein nachgestellter. In (2c) ist ehrlich gesagt so eingebunden wie in (1c) und also kein Operator. In (2d) scheint ehrlich gesagt nicht prosodisch abgehoben zu sein und korrespondiert daher mit (1e), anderenfalls mit (1d), und in (2e) hat ehrlich gesagt die gleiche Position wie in (1f) inne, hier könnte man also von einem insertierten Operator sprechen. Der zweite Bereich der Wortgruppen mit Verb umfasst den Typ ich meine, ich glaube, ich denke, ich finde. Diese Syntagmen sind quasi noch selbstständiger als die eben behandelten, da sie ein finites Verb enthalten. Auch sie können in allen Operator-Positionen auftreten. Als insertierter und nachgestellter Operator weisen sie meist Inversionsstellung auf (meine ich, glaube ich etc.). 153 Wenn wir uns die Stellungsmöglichkeiten zunächst wieder anhand eines konstruierten Beispiels anschauen, so ergibt sich folgendes Bild: (3a) Ich meine, er kann das riskieren. (3b) Ich meine, dass er das riskieren kann. (3c) Er kann das riskieren, meine ich. (3d) Er kann das, meine ich, riskieren. (3e) Er kann, meine ich, das riskieren. (3f) Er, meine ich, kann das riskieren. Das Beispiel (3a) entspricht der prototypischen Operator-Skopus-Struktur: ich meine ist Operator, der für die nachfolgende Äußerung eine Verstehensanweisung der Art gibt, dass das Folgende als eine persönliche Meinungsäußerung des Sprechers aufzufassen ist. In (3b) passiert funktional genau dasselbe, aber die Struktur ist eine andere, da es sich um ein Satzgefüge handelt, 153 Auf die Bedeutungsschattierungen, die sowohl zwischen den einzelnen Lexemen als auch innerhalb der Verwendungsweise eines Lexems bestehen und die sich grob mit den Stichworten Meinungsäußerung, Paraphrasebzw. Korrektursignal, Bewertung umreißen lassen, soll in diesem Kapitel, das sich mit den Stellungseigenschaften des Operators beschäftigt, nicht weiter eingegangen werden. Die Operator-Skopus-Struktur 275 in dem es formale Kennzeichen der Abhängigkeit gibt. (3c) dagegen lässt sich als Operator-Skopus-Struktur mit einem nachgestellten Operator auffassen. In (3d) kann man von einem insertierten Operator sprechen. Das meine ich unterbricht den Fortgang der Äußerung und signalisiert, dass das, was gerade gesagt wird, als persönliche Meinungsäußerung zu verstehen ist; dadurch wird eine zweigliedrige Struktur erzeugt, die als Operator-Skopus- Struktur wahrgenommen wird. In (3e) sind die Verhältnisse ähnlich wie in (3d), nur steht der Operator hier vor dem Objekt, während er in (3d) nach dem Objekt steht. Auch das meine ich in (3f) kann als insertierter Operator interpretiert werden. Die Positionierung zwischen Vorfeld und finitem Verb bewirkt - analog vor allem zu (1f), aber auch zu (3d) und (3e) - eine Retardierung des fortlaufenden Redeflusses und eine wahrnehmbare Zweigliedrigkeit. Die folgenden authentischen Beispiele entsprechen zum Teil den Strukturen in den konstruierten Beispielen; zumindest in (4a) bis (4c) liegen jeweils ähnliche Fälle wie in (3a) bis (3c) vor. In (4d) lässt sich das finde ich als ein insertierter Operator auffassen, das Beispiel korrespondiert mit (3e), und (4e) ist mit (3f) vergleichbar. (4a) ich meine ich muß sowieso in der woche nochmal herkommen wegen des * kommentierten * vorlesungsverzeichnisses ç ( BG 1400.44) (4b) ich meine daß das tückisch ist was herr kasper sagt ( GF 4050.254) (4c) öh des wär immerhin schon en großer fortschritt æ * meine ich ( SG 3005.25) (4d) und das ist eigentlich finde ich die schande daß wir nicht den mut haben unseren dialekt zu sprechen ( GF 4050.209) (4e) da"s * meine ich- * sollten sie wenichstens bei ausarbeitung- * äh dieser zusammenstellung- * überlegen ( SG 3005.24) Bisher haben wir Operatoren behandelt, die sowohl in vorangestellter als auch in nachgestellter als auch in insertierter Position vorkommen können. Auf der anderen Seite gibt es Operatoren, deren ‘Einsatzort’ sehr begrenzt ist, die grundsätzlich nur als vorangestellter Operator auftreten können. Dazu Eigenschaften gesprochener Sprache 276 gehören vor allem Konjunktionen wie z.B. aber, denn, obwohl, oder, weil wenngleich, wobei. Da schon ihr angestammter Platz stets im Vor-Vorfeld ist, bedarf es einer zusätzlichen Markierung, um die für die Operator-Skopus-Struktur typische Zweigliedrigkeit zu erzeugen und damit diese Konjunktionen zu Operatoren werden zu lassen. Für die subordinierenden Konjunktionen, die normalerweise die Verbletztstellung in der ihnen folgenden Äußerung fordern, ist es vor allem die Verbzweitstellung (als deren Folge die Konjunktion ins Vor-Vorfeld gelangt), die die Zweigliedrigkeit hervorruft: (5a) weilmir is des einfach zuviel aufwand ( SG 3001.01) (5b) obwohl ich hatte bisher immer glück ( FKO/ XAZ ) Während weil und obwohl mittlerweile sehr häufig mit nachfolgender Verbzweitstellung verwendet werden, und dieses Phänomen längst zum Gegenstand zahlreicher Abhandlungen in der linguistischen Fachliteratur wurde, sind die anderen subordinierenden Konjunktionen bisher eher (noch) selten in dieser Verwendungsweise anzutreffen. Bei den koordinierenden Konjunktionen wie z.B. und und denn, die nicht die Verbletztstellung in der ihnen folgenden Äußerung fordern, ist eine prosodische Markierung erforderlich, um die Zweigliedrigkeit zu erzeugen und diese Konjunktionen zu Operatoren werden zu lassen. Dieser prosodischen Hervorhebung und damit Verstärkung der Verstehensanweisungen entspricht im Schriftlichen der Doppelpunkt: (6a) u: nd- * dann hat der herr may gesagt ja wenn sie das machen wollen- * * ich such en geeigneten nachfolger- ( SG 3003.99a) (6b) Und: Gegner wie Befürworter der Sprachreinigung hatten dabei recht und unrecht zugleich. (Sprachreport 4/ 95, S. 12) (6c) denn- * manchmal is auch gegenseitiges verhalten- * en bißchen mit schuld an beschriebener zerstrittenheit ç * ( SG 3002.01) (6d) Denn: Windows 95 hinterläßt in der Tat einen zwiespältigen Eindruck. ( PC -Power 10/ 95, S. 130) Die Operator-Skopus-Struktur 277 Die Mehrzahl der möglichen Operatoren hat nun weder so vielfältige Stellungsmöglichkeiten wie die erste Gruppe der Verbkonstruktionen - noch so eingeschränkte wie die eben behandelte der Konjunktionen. Für einen großen Teil der als Operatoren auftretenden Verstehensanweisungen gilt, dass sie in den meisten Fällen ihres Vorkommens in die Äußerungen, auf die sie sich beziehen, integriert sind, und also keine Operator-Skopus-Struktur vorliegt. Das trifft z.B. für fast alle Operatoren zu, die wir mit dem Begriff Gegensatzoperatoren zusammengefasst haben (vgl. III.4.2). Ihnen ist gemeinsam, dass sie im Verlauf einer Argumentation ein neues Argument ankündigen, den Gang der Dinge anhalten und ihn in eine andere Richtung orientieren, die zu der bisherigen in einer Gegensatzrelation steht. Dazu zählen wir z.B. allerdings, andererseits, bloß, dennoch, immerhin, jedoch, nur, obwohl, trotzdem. Operatoren sind sie nur dann, wenn sie im Vor-Vorfeld ihrer Beziehungsäußerung stehen; in einigen Fällen - so bei bloß und nur - muss zusätzlich die prosodische Hervorhebung dazukommen, um eine Operator- Skopus-Struktur zu erzeugen. Wenn sie als Operatoren auftreten, dann als vorangestellte, nie als insertierte, und nur in wenigen Fällen ist ein Vorkommen als nachgestellter Operator möglich, wie z.B. bei immerhin, evtl. auch noch bei andererseits und trotzdem. (7a) allerdings der Erfolg war sehr gering ( PFE / BRD .cp010) (7b) andererseitses ist notwendig und wichtig neue ausbildungsstätten weiterbildungsstätten zu äh zu gründen- ( FKO . XCN ) (7c) dennoch im einzelnen wäre wohl doch manches einzuwenden ( FKO / XGZ ) (7d) immerhin also von Zeit zu Zeit schaffen es einige ( PFE / SUI .rp057) (7e) nur- * ich wünsche nicht daß es passiert ( GF 4051.14) Für die Mehrheit der möglichen Geltungsoperatoren (vgl. III.4.1), zu denen wir u.a. sicher, gewiss, bestimmt, vielleicht, wahrscheinlich zählen, gilt ebenfalls, dass der größere Teil ihrer Vorkommen in die Bezugsäußerung integriert ist und es sich dann um keine Operator-Skopus-Struktur handelt. Nur, wenn sie im Vor-Vorfeld der Bezugsäußerung stehen, werden sie zu Operatoren. Im Unterschied zu den Gegensatzoperatoren lassen sie sich aber häufiger auch als nachgestellte Operatoren verwenden. Eigenschaften gesprochener Sprache 278 (8a) sicher der ton macht immer die musik ( SG 3003.99a) (8b) gewiß man hat auch früher staudämme gebaut ( FKO / YAA ) (8c) ich verspreche ihnen jetzt auch kein Wort mehr zu sagen bestimmt ( FKO / XBB ) (8d) also ich hab mir vorgestellt daß es etwas is was eben doch im rahmen dieses projektes is vielleicht ( FKO / XFT ) (8e) Zum Zähneputzen gehört Wasser, ganz klar. ( MMM / 909.34985) Bei den Verstehensanweisungen, die sich auf die eher formale Relation zwischen Äußerungen beziehen (vgl. Abschnitt III.2.1.), gibt es solche, die sowohl als vorangestellter wie auch als nachgestellter Operator auftreten können (erstens, zweitens, zunächst einmal, vorweg gesagt, nebenbei bemerkt). Andere sind nur vorangestellt möglich (außer, das heißt, und noch etwas, direkt dazu, es sei denn, sprich). Inwieweit sie auch insertierte Operatoren sein können, müsste von Fall zu Fall überprüft werden. Für die Partizipialkonstruktionen wie nebenbei bemerkt usw. gelten sicher ähnliche Bedingungen wie die, die anhand von ehrlich gesagt herausgearbeitet wurden; bei den anderen müsste im Detail überprüft werden, ob eine entsprechend deutliche prosodische Hervorhebung ausreicht, um eine Operator-Skopus-Struktur zu erzeugen. 2.2.2 Die Gelenkfunktion des Operators Während wir im vorigen Abschnitt die verschiedenen Möglichkeiten der Stellung des Operators in Relation zu seinem Skopus betrachtet haben, soll es jetzt um eine andere Dimension der Bezugnahme gehen. Auch wenn drei Stellungsvarianten für den Operator (vorangestellt, insertiert, nachgestellt) beschrieben wurden, so ist die prototypische und häufigere Form der Operator-Skopus-Struktur doch die, dass der Operator dem Skopus vorangestellt ist und für diesen eine Verstehensanweisung liefert. Bisher hatten wir immer diese vorwärts gerichtete Relationierungsleistung des Operators im Blick. Der Operator qualifiziert aber nicht nur den Skopus, sondern Die Operator-Skopus-Struktur 279 stellt in der Regel auch eine Relation zu dem vorausgehenden Diskurs oder Text her. Wir nennen diese beidseitige Gerichtetheit des Operators seine Gelenkfunktion. Die rückwärts gerichtete Relationierung unterscheidet sich in mehrerer Hinsicht von der vorwärts gerichteten. Während der Operator nach vorn hin eine Leerstelle eröffnet, die nach Auffüllung verlangt, ist die rückwärts gerichtete Bindung von anderer Art. Auch die Reichweite ist verschieden. Ungeachtet dessen, dass es oft schon schwierig ist, das Ende des Skopus, also die Reichweite der Verstehensanweisung zu bestimmen, ist die Relationierung nach hinten in ihrer Ausdehnung noch diffuser. Sie kann sehr kleinräumig sein, kann sich aber auch auf sehr große vorausgehende Text- oder Diskurszusammenhänge beziehen, bzw. kann sogar vollständig einer unmittelbaren Materialisierung 154 entbehren. Auch wenn der Operator oft direkt auf das zuvor Gesagte Bezug nimmt, handelt es sich bei der rückwärts gerichteten Relationierung nicht um eine Verstehensanweisung der Art, wie sie für das Verhältnis vom Operator zum Skopus gilt. Die Relation nach hinten ist zunächst allgemein als konnektierende Funktion des Operators aufzufassen. Sie ist darüber hinaus für die einzelnen Operatoren-Gruppen unterschiedlich stark in der Ausprägung und eng an das jeweilige semantische Potential des einzelnen Operators gebunden. Zur Gelenkfunktion gehört, dass der Operator den Fluss des Diskurses oder des Textes unterbricht, ihm eine Struktur aufprägt. Diese gliedernde Funktion hat jeder Operator inne, aber bei einigen Operatoren-Gruppen ist diese Gliederungsfunktion stärker ausgeprägt als bei anderen. Das kann dazu führen, dass die rückwärts gerichtete Relationierung schwächer ist. So wirken z.B. Operatoren wie hör mal, sieh mal aber auch ich meine, ich finde viel stärker nach vorn als nach hinten. Gleiches trifft auf Operatoren zu, die rein formale Relationierungen von Äußerungen ankündigen wie erstens, zweitens. Bei anderen Operatoren-Gruppen ist die Relation zum Vorausgegangenen der Tendenz nach viel enger, z.B. bei den Begründungs-Relationen anzeigenden Operatoren weil und denn oder bei den Operatoren, die 154 So ist es z.B. ohne weiteres denkbar, dass ein Zeitungsartikel direkt mit einem sicher als Operator beginnt. Die eingeräumten Argumente sind entweder Gegenstand anderer Zeitungsartikel gewesen oder werden als in der gegenwärtigen Diskussion bekannt vorausgesetzt. Diese initiale Stellung kann allerdings nicht jeder Operator einnehmen. Eigenschaften gesprochener Sprache 280 Gegensatz-Relationen markieren wie allerdings, jedoch, trotzdem. Eine relativ starke Rückwärts-Gerichtetheit haben z.B. auch solche Operatoren, die Zusammenfassungs-, Exemplifizierungs- oder Präzisierungs-Relationen herstellen (kurz und gut, zum Beispiel, genauer gesagt); bei diesen ist allerdings die Reichweite des Rückbezugs oft unbestimmt. Im Folgenden soll an zwei Beispielen 155 die Gelenkfunktion genauer beschrieben werden. (9): 156 208 HN: temperamentesendung æ ** und=äh äh * bi"n äh daher * 209 JB: gut ç |das is/ | ** |das| 210 HN: dagegen ç >nich< |a"ber | |ich| hätte gerne æ äh 211 K& BUHEN, EINZELNER KLATSCHER, MURREN 212 HN: die sachen gezeigt äh ** ich hätte gerne die sachen gezeigt 213 K& IM STUDIOPUBLIKUM # 214 HN: wenn man mir das selber äh wenn man mir das 215 JB: |herr nitsch æ | das akzeptieren wir æ oder i"ch æ als 216 HN: |vorher=äh | l 217 JB: gastgeber hab ich das zu akzeptieren trotzdem ç unsere ** 218 JB: zu"schauer æ wollen sich ja * ein bild da"rüber machen æ was 219 JB: sie ma"chen ç ** deswegen äh z/ zum zitieren æ äh * denk ich 220 JB: mal muss ich sie ni"ch fragen æ ich zitiere mal * aus ** die 221 JB: eroberung von jeru"salem æ neunzehnhunderteinundsiebzig 222 JB: verfasser hermann ni"tsch ç ** christus * wird in ein 223 JB: schlachthaus geführt æ er schlachtet mit hilfe von metzgern 224 JB: * zwanzig ri"nder æ ** die tiere * werden ausgeblutet * und (GF 4050.021) 155 Die Transkriptionskonventionen, nach denen dieses und die folgenden Beispiele transkribiert wurden, sind im Anhang III aufgeführt. 156 Dieses Beispiel wird unter jeweils anderen Gesichtspunkten auch in III.2.4.2 und III.4.2.2 analysiert. Die Operator-Skopus-Struktur 281 Zur Situation: 157 Die Talkshow, der der vorliegende Gesprächsausschnitt entnommen ist, befindet sich hier noch in der Anfangsphase, etwa in der neunten Minute. Unter den vier eingeladenen Gästen ist auch der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch, der von Anfang an eine Oppositionsrolle gegenüber dem Moderator aufbaut. Als Einziger der Gäste ist er der Aufforderung, etwas Persönliches (als „materialisierte Visitenkarte“) mitzubringen, nicht nachgekommen, weil er einen derartigen „Talkshowscherz“ nicht mitmachen wollte. Er hat aber trotzdem etwas mitgebracht, nämlich ein Bier für sich, wehrt sich dann aber dagegen, dass der Moderator dies als „Gag von Hermann Nitsch“ bezeichnet. Er sei nur in die Talkshow gekommen, weil er über seine Arbeit reden wolle, die in jüngerer Zeit zu seinem Ärger sehr verzerrt in den Medien dargestellt worden sei. Damit die Zuschauer sich ein Bild von der Arbeit des Aktionskünstlers Hermann Nitsch machen können, will der Moderator jetzt einen Video-Ausschnitt von einer Aktion vorspielen. Dagegen setzt sich Hermann Nitsch zur Wehr, er fühlt sich überrumpelt, ist der Meinung, dass man das vorher mit ihm hätte absprechen müssen. Hier setzt der Gesprächsausschnitt ein. Der Moderator bekundet zunächst, dass er die Weigerung von Hermann Nitsch akzeptieren wird (Z. 215+217). Mit dem dann folgenden trotzdem signalisiert er, dass die Fortsetzung seiner Argumentation jetzt in eine andere Richtung gehen wird. Die Verstehensanweisung an die Zuhörer könnte etwa lauten: Das eben Gesagte behält seine Gültigkeit, aber das, was ich jetzt sagen werde, gilt gleichermaßen, auch wenn es zum eben Gesagten im Widerspruch stehen sollte. Betrachtet man nun das trotzdem als Gelenk, so könnte man zunächst die Reichweite der rückwärts gerichteten Relationierung auf die Äußerung herr nitsch æ das akzeptieren wir æ oder i"ch æ als gastgeber habe das zu akzeptieren beziehen. Und die Relationierung nach vorn, d.h. der Skopus des Operators trotzdem könnte in der Äußerung unsere * * zu"schauer æ wollen sich ja * ein bild da"rüber machen æ was sie ma"chen ç bestehen. Diese lokale, kleinräumige Betrachtungsweise greift aber vielleicht etwas kurz. Denn man kann die rückwärtige Relationierung des trotzdem auch in einen größeren 157 Um das Prinzip der rückwärts gerichteten Relationierung deutlich machen zu können, muss die Situation an dieser Stelle - auch auf die Gefahr der Langatmigkeit hin - relativ ausführlich beschrieben werden. Eigenschaften gesprochener Sprache 282 Zusammenhang stellen. Dann ließe sich der Widerspruch, der mit dem trotzdem signalisiert wird, auch auf das dieser Sequenz Vorausgehende beziehen. D.h., der Rückbezug könnte bis hin zur Weigerung von Hermann Nitsch, etwas Persönliches mit in die Talkshow zu bringen, 158 gehen, oder sogar bis hin zur Verteidigung der Medien-Kollegen, die eine angeblich verzerrte Darstellung der Arbeiten gesendet hatten. (10): 197 WH: großen * politikunterschiede haben- * und * dass der 198 WH: gemeinsame markt * so lange gehalten hat- das verdanken wir 199 WH: im grunde * dem notventil der wechselkurse die waren so 200 WH: eine art l airbag- å * sonst hätten wir nämlich ne harte 201 WH: la"ndung gekriegt ç die italiener konnten abwerten haben 202 WH: dadurch den staatsbankrott vermieden- frankreichs * streik- l 203 WH: hat nur den fra"nc lädiert- noch nicht das eu"rogeld ç kurz 204 WH: und gut- wir können uns das * a"benteuer nicht leisten und 205 WH: herr bobe hat recht wir haben * von fünfzig jahren # d # mark 206 K # ABK. # 207 WH: dreißig gebraucht um stabi"l zu werden- stabilität kann 208 WH: nicht durch eine regierung oder eine kommission verlie"hen 209 WH: werden- das muss erarbeitet werden und durch mä"rkte und (GF 4050.241) Zur Situation: Thema der Talkshow, die sich noch in ihrer Anfangsphase (ca. achte Minute) befindet, ist der Euro. Unter den fünf eingeladenen Gästen befinden sich Gegner und Befürworter; bisher sind ein Gegner und ein Befürworter zu Wort gekommen, der Sprecher WH als dritter Sprecher zählt zu den Gegnern. Nach einem etwas längeren Redebeitrag kündigt er mit kurz und gut eine Zusammenfassung des bisher Gesagten an. Als Skopus des Operators kurz und gut kann die Äußerung wir können uns das * a"benteuer nicht leisten angesehen werden, auch wenn mit dieser Zusammenfassung der Redebeitrag noch nicht ganz zu Ende ist. Die rückwärtige Relationierung 158 Das ließe sich vielleicht so verbalisieren: Auch, wenn du nichts von dir zeigen willst, wir müssen unseren Zuschauern trotzdem etwas vorführen. Die Operator-Skopus-Struktur 283 von kurz und gut ist weniger eindeutig. Sie kann sich auf das bisher Gesagte von WH beziehen, kann aber auch als Zusammenfassung der gesamten bisherigen Diskussion verstanden werden. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Reichweite der rückwärtigen Relationierung zwar meist unbestimmt ist, dass aber nichtsdestotrotz durch die beidseitige Gerichtetheit des Operators eine Strukturierung des Textes bzw. des Diskurses erfolgt, die die Rezeption nachhaltig erleichtert. 2.3 Formale Eigenschaften von Operator und Skopus 2.3.1 Formale Eigenschaften von Operatoren Was die formalen Charakteristika von Operatoren betrifft, sind drei Eigenschaften hervorzuheben, die z.T. auch schon Gegenstand der vorhergehenden Abschnitte waren: Kürze, Formelhaftigkeit und ein „mittlerer Integrationsgrad“, was das syntaktische Verhältnis zur Bezugsäußerung betrifft. In den folgenden Unterabschnitten werden wir weitere Erläuterungen zu diesen Merkmalen geben. Darüber hinaus werden wir uns mit der empirischen Bestimmung von Operatoren und in diesem Zusammenhang mit Abgrenzungsfragen befassen. Wenn wir nämlich z.B. „Kürze“ als ein Merkmal potenzieller Operatoren hervorheben, nehmen wir damit gleichzeitig eine Abgrenzung vor. Bekanntlich sind Verstehensanweisungen, die in der Literatur auch als redecharakterisierende oder redekommentierende Ausdrücke bzw. Formeln bezeichnet werden, nicht notwendigerweise Kurzausdrücke. Sie können auch die Form von ausgebauten Sätzen, und zwar sowohl von Hauptwie von Nebensätzen haben (Sitta 1970; Pittner 1993; Brandt 1997) und - das betrifft vor allem schriftliche Kommunikation - sogar als Satzgefüge realisiert werden (Peyer 1997, S. 260-268). Wie Untersuchungen formelhafter Sprache zeigen, schließt auch das Kriterium der Formelhaftigkeit einer Verstehensanweisung nicht aus, dass die entsprechenden Ausdrücke ausgebaute Sätze sein können (Heinemann 1984; Stein 1995, S. 137-141). Das bedeutet: Mit dem Konzept des Operators wird eine spezielle Auswahl aus der Gesamtheit der von der Sprachgemeinschaft mehr oder weniger autorisierten Ausdrücke getroffen, mit denen Sprecher den Verstehensprozess von Hörern zu lenken versuchen. Diese Auswahl gilt es näher zu beschreiben. Eigenschaften gesprochener Sprache 284 (a) Merkmale (i) Kürze Wie aus den Ausführungen in den vorangehenden Abschnitten hervorgeht, gehören die sprachlichen Ausdrücke, die gemäß unseren Kriterien als Operatoren gelten können, vom rein grammatischen Standpunkt aus gesehen verschiedenen Wortarten bzw. Wortgruppenklassen an. Es befinden sich darunter so unterschiedliche sprachliche Erscheinungen wie Nomen und Nominalisierungen, Präpositionalphrasen, Adverbiale, verschiedene Arten von Partikeln und Partikelkombinationen, Junktoren, Partizipialkonstruktionen, Imperative und Kurzsätze mit Verben des Sagens, Denkens, Meinens (vgl. die Übersicht am Ende von Abschnitt III.1.2). Bei aller Unterschiedlichkeit haben diese Ausdrücke aber auch formale Gemeinsamkeiten. Eine auf der Hand liegende Gemeinsamkeit ist, dass es sich dabei um Kurzausdrücke handelt, und zwar entweder um einzelne Lexeme oder um Syntagmen im Sinne syntaktisch strukturierter Wortgruppen. Das gilt sogar cum grano salis für die so genannten Matrixsätze mit Verba dicendi bzw. sentiendi. Wenn sie als Operatoren verwendet werden, d.h., wenn der obligatorische Ergänzungssatz ein (abhängiger) Verbzweitsatz ist, kann es zu Schwerpunktverschiebungen im Satzgefüge kommen, in deren Ergebnis der Ergänzungssatz zum eigentlichen Mitteilungsschwerpunkt und der Matrixsatz zu einem Zusatz mit modalisierender Funktion depotentialisiert wird. Eine weitere Sondergruppe bilden Kurzäußerungen mit Partizip II (vgl. Abschnitt III.2.3.1b und 1c). (ii) Formelhaftigkeit Es existiert eine umfangreiche Literatur zur funktionalen und formalen Abgrenzung und Klassifizierung formelhafter Sprache, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Eine Übersicht gibt Stein (1995). Uns interessieren im gegebenen Zusammenhang allein die formelhaften Ausdrücke, die von Sprecher(inne)n bzw. Schreiber(inne)n verwendet werden, um ihren jeweiligen Adressat(inn)en Verstehenshinweise zu geben. ‘Formelhaftigkeit’ ist eine aus verschiedenen Merkmalen zusammengesetzte Eigenschaft sprachlicher Ausdrücke. Das gilt auch für die hier interessierenden Einheiten. Charakteristisch für Formeln ist erstens, dass sie für spezielle, Die Operator-Skopus-Struktur 285 wiederkehrende Zwecke der Interaktion und für entsprechende Handlungskonstellationen ausgebildet sind. Die feste Zuordnung von immer wiederkehrenden kommunikativen Anforderungen und bestimmten sprachlichen Mitteln für ihre Bewältigung erleichtert den Sprechern in der konkreten Kommunikationssituation den mentalen Zugriff auf geeignete sprachliche Mittel, vorausgesetzt, die Zuordnung ist Bestandteil ihres Kommunikationswissens. Ein Merkmal sprachlicher Formeln ist daher zweitens ihre teilweise automatisierte Reproduktion durch die jeweiligen Sprecher und die damit verbundene Entlastungsfunktion für das sprachliche Handeln. Formelhafte sprachliche Ausdrücke sind drittens, sofern es sich um mehrgliedrige Einheiten handelt, dadurch gekennzeichnet, dass sie syntaktisch und lexikalisch feste Fügungen sind. Sie können, wenn überhaupt, nur minimal variiert werden, ohne ihren Status als Formeln zu verlieren. Viertens kann man die Entwicklung eines Ausdrucks zu einer Formel in vielen Fällen auch daran erkennen, dass er eine spezifische funktionale Bedeutung hat bzw. im jeweiligen Handlungszusammenhang nicht wörtlich zu verstehen ist. Ein Beispiel aus dem Bereich potenzieller Operatoren ist etwa die äußerungskommentierende Wendung ehrlich gesagt (vgl. auch Abschnitt III.2.2.1). Wenn ein Sprecher sie einer seiner Äußerungen voranstellt, will er damit nicht schlicht zum Ausdruck bringen, dass er die Wahrheit sagt. Vor repräsentativen Sprechhandlungen signalisiert er damit dem Adressaten seiner Äußerung, dass diese bestimmte Erwartungen seines Gegenübers nicht erfüllen oder soziale Normen verletzen könnte. Wird die Redewendung dagegen Antworten, Entschuldigungen, Rechtfertigungen, Begründungen vorangestellt, besagt sie, dass der Sprecher sich bewusst ist, Erwartungen nicht erfüllt und gegen Normen verstoßen zu haben (vgl. Viehweger 1979). Fünftens und letztens gehört eine gewisse Gebrauchshäufigkeit (Rekurrenz) in der bestimmten inhaltlichen Funktion und ein Wissen der Sprecher(innen) darüber zu den Eigenschaften von Formeln. Operatoren sind nicht von ungefähr durch Eigenschaften wie Kürze und Formelhaftigkeit gekennzeichnet. Diese Merkmale hängen mit ihrer Funktion als Anweisungen zum Verstehen einer anderen Äußerung zusammen. Kommunizierende müssen daran interessiert sein, dass die verständnissichernden Aktivitäten, die sie für notwendig halten, nicht zu viel Redezeit in Anspruch nehmen und dadurch die Rezeption der Hauptinformation durch den Hörer beeinträchtigen; das würde ihrer Funktion, den Verstehensvor- Eigenschaften gesprochener Sprache 286 gang des Hörers im Hinblick auf die Bezugsäußerung zu verbessern, entgegenlaufen. Die Erweiterung einer sprachlichen Handlung durch einen vor- oder nachgestellten bzw. eingeschobenen formelhaften Kurzausdruck mit verstehenssichernder Funktion stellt also für den Sprecher eine Strategie dar, Inhaltsübermittlung und Verständnissicherung ökonomisch miteinander zu verbinden. Im Übrigen ist die Anwendung dieser Strategie natürlich nicht auf die mündliche Kommunikation beschränkt, obwohl sie aus deren Bedingungen abgeleitet werden kann. Zweigliedrige Kombinationen aus verstehenssicherndem Kurzausdruck und Bezugsausdruck spielen auch in schriftlichen Texten, z.B. in Zeitungstexten, eine Rolle. Die beiden Teile der Konstruktion werden in diesem Fall optisch durch einen Doppelpunkt, alternativ auch durch ein Komma oder einen Gedankenstrich voneinander getrennt und so gleichzeitig als eigenständig und zusammengehörig markiert: Keine Frage: Waigel braucht Geld. (Der Spiegel, Heft 25/ 1993). Da bei schriftlicher Kommunikation zeitliche Zwänge bei der Formulierung der Äußerung in den Hintergrund treten, sind die Gründe für eine derartige Verdichtung der Aussage und die Verwendung entsprechender Konstruktionen hier mehr oder weniger eine Frage des Stils. So wird durch die telegrammartige Reduktion auf die wesentlichen Einheiten der Mitteilung eine Intensivierung erreicht, die das Verfahren besonders für Überschriften und Schlagzeilen geeignet macht. Der Leser soll sich - wie im mündlichen Dialog - „direkt angesprochen“ fühlen. (iii) Mittlerer syntaktischer Integrationsgrad Wie aus den vorhergehenden Abschnitten dieses Kapitels deutlich wird, handelt es sich bei Operatoren um Verstehensanweisungen, die - syntaktisch gesehen - einerseits keine selbstständigen, formal abgeschlossenen Sätze sind (Merkmal der Kürze), andererseits aber auch nicht integrierter Bestandteil ihrer Bezugsäußerung (vgl. Abschnitt III.3.1). Stellt man sich eine Skala vor, deren einer Pol durch alle die Fälle gebildet wird, in denen Verstehensanweisung und Bezugssatz zwei syntaktisch voneinander unabhängige, selbstständige Sätze sind, und deren anderer Pol alle die Vorkommen umfasst, bei denen Verstehensanweisung und Bezugssatz in einem selbstständigen Satz zusammengefasst sind, dann ist das Phänomen der Operator- Die Operator-Skopus-Struktur 287 Skopus-Struktur zwischen diesen beiden Polen einzuordnen. Grob unterteilt lassen sich die genannten Integrationsgrade folgendermaßen operationalisieren: 159 - Hoher syntaktischer Integrationsgrad: Die Verstehensanweisung besetzt das Vorfeld (bzw. das so genannte erweiterte Vorfeld) oder eine Position im Mittelfeld des Bezugssatzes; sie ist in den übergeordneten Tonhöhenverlauf einbezogen, es gibt keinen prosodischen Neuansatz. Verstehensanweisung und Bezugsäußerung bilden eine kommunikative Einheit. - Mittlerer syntaktischer Integrationsgrad: Die Verstehensanweisung steht im Vor-Vorfeld oder im Nachfeld des Bezugssatzes bzw. ist in das Mittelfeld eingeschoben. Sie verfügt über eine eigene Intonationskontur und ist dadurch und gegebenenfalls durch weitere prosodische Markierungen von der Bezugsäußerung abgesetzt (zu Einzelheiten der prosodischen Markierung vgl. Abschnitt III.2.4). Für sich genommen stellt sie aber keine abgeschlossene Äußerungseinheit dar. - Fehlende syntaktische Integration: Die Verstehensanweisung ist eine selbstständige, abgeschlossene Äußerungseinheit mit eigener Intonationskontur und eigenem Grenztonmuster. Die Beziehung zwischen der redecharakterisierenden Äußerung und der Bezugsäußerung ist rein semantischer Natur. Wenn z.B. ein Sprecher in einer Gesprächssituation einem Hörer gegenüber eine der nachfolgend aufgeführten Äußerungsvarianten realisieren würde, gäbe er in jedem Fall in etwa dieselbe Verstehensanweisung: nämlich, dass er sicher ist, dass es zutrifft, dass R. ein guter Sänger ist. Aber nur in den Fällen (1a), (1b) und (1e) hätte er eine Verstehensanweisung in Form eines Operators formuliert, weil nur bei diesen Beispielen die Bedingung des mittleren Integrationsgrades erfüllt ist: 159 Eine ähnliche Kategorisierung nimmt Peyer (1997, S. 258-260) vor. Sie behandelt im Zusammenhang mit syntaktischen und textpragmatischen Aspekten der Satzverknüpfung unter anderem auch den Fall der „redekommentierenden Anmerkungen“. Ihre Belege stammen allerdings ausschließlich aus Zeitungen bzw. Zeitschriften. Naturgemäß stehen daher syntaktisch ausgebaute Redekommentare und nicht die Kurzformen im Vordergrund, obwohl sie diese in ihre Überlegungen einbezieht. Ein zweiter Unterschied, der sich aus der Schriftlichkeit der Belege ergibt, besteht darin, dass die Interpunktion und nicht die Prosodie zweites Bestimmungselement für den Integrationsgrad redekommentierender Ausdrücke ist. Eigenschaften gesprochener Sprache 288 (1a) Ohne Zweifel- * R. ist ein guter Sänger ç (1b) R. ist ein guter Sänger-* ohne Zweifel ç (1c) Ohne Zweifel ist R. ein guter Sänger ç (1d) R. ist ohne Zweifel ein guter Sänger ç (1e) R. ist * ohne Zweifel * ein guter Sänger ç Bei den Beispielen (1c) und (1d) ist die Verstehensanweisung zwar ein kurzer und formelhafter Ausdruck, dieser ist aber syntaktisch und - wie durch die Transkriptionszeichen angedeutet - auch prosodisch voll in die Bezugsäußerung integriert. Zusammenfassend gesagt, ist ein Operator ein Einzellexem oder ein strukturell minimal komplexer, tendenziell formelhafter Ausdruck, das bzw. der sich erläuternd oder verdeutlichend auf eine nachfolgende Äußerung bezieht, ohne syntaktisch in diese Äußerung voll integriert bzw. ein eigenständiger Satz zu sein. Je nachdem, welche Art von Operator zur Debatte steht, ergeben sich aus diesem Definitionsversuch aber auch Abgrenzungsprobleme. Welche Verstehensanweisung noch oder schon nicht mehr als kurz bzw. formelhaft gelten kann, welcher Ausdruck noch als strukturell integriert zu betrachten ist oder sich schon auf dem Wege befindet, sich zu verselbstständigen, kann je nach Ausdruckstyp eine nicht leicht zu beantwortende Frage sein. In den folgenden beiden Unterabschnitten soll daher für zwei Typen von Verstehensanweisungen exemplarisch gezeigt werden, wie mithilfe der dargestellten Kriterien die Operator-Qualität von redekommentierenden Ausdrücken näher bestimmt werden kann. (b) Abgrenzungsfragen 1: Operatoren in Form von Partizipialkonstruktionen Wie aus der Übersicht am Ende von Abschnitt III.1.2.2 hervorgeht, betrachten wir Kurzformeln, die nach dem syntaktischen Schema „Adverb + Partizip II von einem Verb des Sagens“ gebildet sind, als Operatoren. Es handelt sich dabei um ein im Deutschen sehr produktives syntaktisches Muster für die Bildung redekommentierender Kurzformeln: anders/ besser/ genau(er)/ konkret/ kurz/ auf deutsch gesagt, bildlich ausgedrückt, nebenbei bemerkt, Die Operator-Skopus-Struktur 289 drastisch formuliert, allgemein/ generell gesprochen usw. Bedingung für den Operatorstatus dieser Wendungen ist allerdings, dass sie nicht in größerem Umfang syntaktisch ausgebaut sind. Schon Wendungen wie also ganz allgemein gesprochen, jetzt etwas krass gesprochen, einmal ganz einfach gesagt, mit einem Wort gesagt, grob schematisch dargestellt erfüllen nicht mehr das Kriterium einer markanten Kürze, das für das hier vertretene Konzept des Operators konstitutiv ist. Das gilt in erhöhtem Maße für noch umfänglicher ausgebaute Partizipialkonstruktionen. Einer der folgenden Diskursausschnitte enthält einen Beleg dafür. Während auf die in Beispiel (2) und (3) vorkommenden Ausdrücke (oder) anders formuliert und genauer gesagt die Kriterien der Kürze, der Formelhaftigkeit und des mittleren Integrationsgrades zutreffen, ist die Verstehensanweisung in Diskursausschnitt (4) meine vorherige frage vielleicht noch etwas anders formuliertweder kurz noch in vergleichbarer Weise formelhaft - dazu ist die sprachliche Formulierung bereits zu genau auf die konkrete Äußerungssituation zugeschnitten. Diese Verstehensanweisung ist also kein Beleg für einen Operator im definierten Sinne. (2) M1: herr maaßen ç ihr verein rotweiß oberhausen ist mit M1: knapper not dem abstieg entronnen auch sie haben * M1: die einen oder anderen * finanzprobleme ç liegt die M1: misere auch darin begründet * daß der deutsche M1: fußballbund * seit vielen jahren höchstgrenzen bei * M1: fußballspielerve"rkäufen * ansetzt- und damit in -> M1: etwa die begehrlichkeit weckt- oder anders M1: formuliert ç ** bildet sich auf diese art und weise M1: ein schwarzer markt * für fußballspieler ç (FKO/ XGS, S. 5) (3) M1: ich weiß verehrte hörer * es ist eine * schlechte M1: sache * gleich zu beginn einer diskussion eine M1: tüchtige portion enttäuschung aufzutischen ç ** wir Eigenschaften gesprochener Sprache 290 M1: hatten für heute * in den programmen * und in M1: unseren vorschauen * eine diskussion über -> M1: die universität bremen versprochenl genauer M1: gesagtå * am beispiel dieser hochschule * sollten M1: zentrale auseinandersetzungen der hochschulpolitik M1: in der bundesrepublik * erörtert werden ç (FKO/ YBU, S. 2) (4) -> M1: meine vorherige frage vielleicht noch etwas anders M1: formuliertå auf we"lche l gesichtspunkte glauben M1: sie wird die jury å am mei"sten l * das augenmerk M1: legen ç (FKO/ XFI, S. 5) Zu den Operatoren mit Partizip II sind auch Verbindungen von wie mit dem Partizip II eines redebezeichnenden Verbs zu rechnen: wie gesagt/ erwähnt/ besprochen. Das folgende Beispiel ist ein Beleg für den Gebrauch der Wendung wie gesagt: (5) M1: aber in der beschrei"bung ç ** kommen sie doch sehr M1: stark an=s * äh äh provozierende tabueinreißen ra"n ç -> M1: ** in der beschreibung wie=s |gemacht is ç * l wie GG: |já aber das liegt M1: gesagt wie gesagt å mir war=s <u"nangenehm> ç als GG: doch nicht am am <abo"rtus sondern daß ich den M1: ich=s gelesen hab ç | GG: nekrolog> in | hei"degger deutsch schreibe ç (FKO/ XAM, S. 35) In diesem Diskursabschnitt aus einem Schulklassengespräch mit Günter Grass von 1963 geht es um dessen Roman „Hundejahre“ und um die darin enthaltene Beschreibung einer Fehlgeburt. Mit dem durch eine Pause von der Die Operator-Skopus-Struktur 291 vorhergehenden Rede abgesetzten und (relativ zum Kontext) beschleunigt gesprochenen wie gesagt wie gesagt bezieht sich der Sprecher hier auf eine eigene vorhergehende Äußerung, die zum Inhalt hatte, dass er, der Redner, es als eine Quälerei empfunden habe, die betreffende Stelle in Grass' Roman zu lesen. Da Grass schon, bevor er zu Ende gesprochen hat, zu einer Entgegnung angesetzt hat, schiebt er mithilfe der Formel schnell noch einmal das thematische Element nach, auf dessen Übermittlung es ihm ankommt: dass ihm das Lesen der betreffenden Passage (mit Betonung) u"nangenehm gewesen sei. An dieser Stelle zeigt sich deutlich die Funktion von Operatoren als kurzen, schnell verfügbaren Formeln, mit denen man den Interaktionsprozess auf ökonomische Weise steuern kann. Eine längere, syntaktisch ausgebautere Äußerung, z.B.: wie ich schon gesagt habe oder wie ich bereits zum Ausdruck gebracht habe, wäre an dieser Stelle dysfunktional gewesen. Im übrigen macht der Vergleich zwischen der Kurzformel und ihren Paraphrasen deutlich, dass die Eigenschaften von Operatoren nicht unabhängig voneinander sind. Die Paraphrasen sind nicht nur länger, der syntaktische Ausbau bewirkt auch, dass der formelhafte Charakter weniger ausgeprägt ist. Darüber hinaus wird durch die kanonische Nebensatzform der Langfassung, insbesondere durch die Verbletztstellung des Finitums, die syntaktische Abhängigkeit von Verstehensanweisung und Bezugsäußerung stärker hervorgehoben, als es bei der Kurzformel der Fall ist, die als Markierung der Anbindung nur den Satzverknüpfer wie enthält. (c) Abgrenzungsfragen 2: Operatoren in Form von Matrixsätzen Sprachliche Wendungen mit Verba dicendi oder sentiendi sind in mündlicher und schriftlicher Kommunikation verbreitet. Soweit Sprecher sie redekommentierend bzw. redecharakterisierend verwenden, sind sie für uns als mögliche Operatoren interessant. Voraussetzung ist, dass die betreffenden Ausdrücke/ Syntagmen als kurz (syntaktisch minimal ausgebaut), formelhaft (bzw. zur Formelhaftigkeit tendierend) sowie als relativ selbstständig (mittlerer Integrationsgrad) gelten können. 160 160 Von dem redekommentierenden bzw. redecharakterisierenden Gebrauch, den Konstruktionen mit Verben des Sagens haben können, ist ihre Verwendung als Mittel der Redewiedergabe zu unterscheiden (vgl. Abschnitt III.2.1). Eigenschaften gesprochener Sprache 292 In Operatorfunktion kommen vor allem zwei Strukturmuster vor: 1) Konstruktionen, die aus der Sprecherdeixis ich (oder auch der Sprechergruppendeixis wir bzw. dem Indefinitum man) und einem entsprechend flektierten Verb des Sagens oder Denkens bestehen. Besonders häufig ist die Verbindung mit der Sprecherdeixis ich: ich sag(e) (ja/ nur/ mal); ich finde, ich denke, ich glaube, ich hoffe, ich meine, ich weiß; 2) Konstruktionen mit der Sprecherdeixis ich (bzw. der Sprechergruppendeixis wir oder dem Indefinitum man) zusammen mit einem entsprechend flektiertem Modalverb und einem Verb des Sagens oder Denkens im Infinitiv: ich darf, kann, möchte, will, würde sagen (bzw. ein anderes verbum dicendum); man kann sagen usw. Die beiden folgenden Diskursauschnitte enthalten Operatoren, die dem Muster 2) entsprechen (Beispiel 6 und 7). Ein weiterer Ausschnitt (Beispiel 8) illustriert die Verwendung von Operatoren des Typs 1). (6) -> M1: ich will das vielleicht sogar etwas zu"spitzen ç ich M1: würde sagen ç * wenn=s euch ni"cht * gut ginge ç ** M1: wenn=s euch nicht so ginge wie jetzt habt ihr selbst M1: die schu"ld gehabt ç (FKO/ XAS, S. 25) (7) M1: zu ziesemers zeiten war es so * daß die mitarbeiter M1: zu achtundneunzig prozent lehrer vom lande waren ç * -> M1: und ich muß ä: h sagen- ** jetzt am: * ende l der M1: der å materialsammlung ist es auch bei mi"r so * äh M1: daß der größte teil * zu äh hm: : zu l dem dem å M1: kreis der volksschullehrer * äh gehört- (FKO/ XAE, S. 16) Die Operator-Skopus-Struktur 293 In den beiden Diskursausschnitten sind insgesamt drei Belege für Verstehensanweisungen enthalten. Nicht unter das Operatorkonzept fällt die einleitende redekommentierende Äußerung in Beispiel (6): ich will das vielleicht sogar etwas zuspitzen ç . Sie hat explizit propositionale Form und ist syntaktisch ausgebaut. Durch die stark fallende Tonhöhenbewegung am Ende ist die Äußerung deutlich als selbstständige Einheit, d.h. als nichtintegriert gekennzeichnet. Anders dagegen die Wendungen mit sagen in Beispiel (6) und (7): ich würde sagen ç * (...), sowie und ich muß ä: h sagen- ** (...). Hier zeigen die jeweiligen Sprecher durch gleichbleibende bzw. nur leicht fallende, d.h. weiterführende Intonation an, dass sie diese Einheiten nicht als abgeschlossene Äußerungen verstanden wissen wollen. 161 Sie produzieren aber auch kein Satzgefüge, sondern wählen die weniger starke Integrationsform mit uneingeleitetem Verbzweitsatz, bei der die Verstehensanweisung das Vor-Vorfeld der Bezugsäußerung besetzt und über eine eigene Intonationskontur verfügt (vgl. dazu Abschnitt III.2.4). Sie entsprechen damit in dieser Hinsicht den formalen Kriterien für Operatoren, dasselbe gilt im Hinblick auf Kürze und Formelhaftigkeit. Inhaltlich gesehen haben die beiden Operatoren die Funktion, die folgende Äußerung als eine Formulierung zu kennzeichnen, die der Sprecher zur Diskussion stellt (Beispiel 6), bzw. als eine Äußerung, in der der Sprecher eine Tatsache mitteilt, die er selbst als negativ empfindet und deshalb sozusagen nur gezwungenermaßen zur Sprache bringt (Beispiel 7). Der folgende Diskursausschnitt enthält Belege für Operatoren nach dem oben vorgestellten Strukturmuster 1), und zwar je ein Beispiel für ich finde und ich meine, ferner zwei Beispiele für sag=mal, das sehr wahrscheinlich eine reduzierte Form von ich sag(e) mal darstellt. Er stammt ebenfalls aus dem Schulklassengespräch mit Günter Grass. Grass diskutierte mit den Berliner Schülern u.a. über Fragen seiner künstlerischen Ausdrucksweise. Eine der teilnehmenden Schülerinnen thematisierte die Tatsache, dass er in der gedruckten Fassung seines Stückes „Katz und Maus“ Liedzeilen als komplexe Wörter wiedergibt und fragte ihn, ob er damit einen besonderen Zweck 161 Der nach unten weisende Pfeil steht in den Transkripten sowohl für nur leicht fallende wie für tief fallende finale Tonhöhenbewegung. Die jeweils zutreffende Realisierung ist dem Text zu entnehmen. Eigenschaften gesprochener Sprache 294 verfolgt habe. Nachdem Grass am Beispiel von „Wirliebendiestürme“ zu erklären versucht hatte, dass es sich dabei um ein Stilmittel handele, entgegnete die Fragestellerin: (8) W1: l na ja å außerdem war hier noch äh in dem gleichen -> W1: stück vom dirunddeinemtu"nallein also |ich/ | * ich GG: |jà | W1: find es is * irgendwie l sag=mal å äh viel -> W1: unverständlicher zu le: "sen ç also l sag=mal å es is W1: * äh schlechter das äh den geda"nken zu bekommen ç -> W1: < l já ich meine man muß å > * äh öfter hinsehen um W1: des/ * den sinn erst mal da rau"s zu bekommen ç (FKO/ XAM, S. 3) Die Schülerin steht - das ist dem Redeausschnitt klar zu entnehmen - den Ausführungen ihres Vorredners kritisch gegenüber. Mit na ja neutralisiert sie zunächst einmal die Relevanz der Grass'schen Darlegungen, um dann ihren Einwand vorzubringen. Es fällt ihr nicht leicht, dem bekannten Schriftsteller zu widersprechen, sie ringt mit der Formulierung und mildert ihre Worte vorsorglich und mehrfach durch Verstehenshinweise ab, die alle darauf abzielen, das Gesagte als ihre subjektive Meinung und als versuchsweise formuliert erscheinen zu lassen. Zum einen verwendet sie wiederholt komplexe Einleitungsformeln, die aus jeweils zwei Bestandteilen zusammengesetzt sind: also + ich finde, ja + ich meine, also + sag=mal (= ich sag mal). Zum anderen schiebt sie in eine bereits von einer redecharakterisierenden Einleitungsformel dominierte Bezugsäußerung zwei weitere Verstehensanweisungen ein, nämlich irgendwie und (ich) sag=mal: (8a) also ich/ * ich find es is * irgendwie l sag=mal å äh viel unverständlicher zu le: "sen ç Wenn wir an dieser Stelle einmal davon absehen, die Rolle zu klären, die ja und also in den jeweiligen Verbindungsformen mit ich finde, ich meine, Die Operator-Skopus-Struktur 295 sagen wir mal spielen, und auch die eingeschobenen Verstehensanweisungen vernachlässigen, 162 produziert die Sprecherin drei Operator-Skopus-Strukturen: (8b) [...] ich find es is [...] viel unverständlicher zu le: "sen ç (8c) [...] l sag=mal å es is * äh schlechter das äh den geda"nken zu bekommen ç (8d) [...] ich meine man muß å > äh öfter hinsehenum des/ den sinn erst mal da rau"s zu bekommen ç Die einleitenden Syntagmen ich finde, sagen wir mal und ich meine werden in diesen drei (Teil-)Äußerungen als Operatoren verwendet. Indem die Sprecherin diese Ausdrücke benutzt, um das, was sie „eigentlich“ (im Komplementsatz) sagt, als subjektiv und versuchsweise formuliert zu charakterisieren, erfüllen sie die Funktion einer entsprechenden Verstehensanweisung. Auch die mit dem Operatorkonzept gegebenen formalen Vorgaben sind erfüllt: Die Ausdrücke sind kurz, sie werden formelhaft verwendet und genügen - da die Bezugsäußerung ein Verbzweitsatz ist - auch dem Kriterium des „mittleren Integrationsgrades“. 163 Als Zwischenresümee halten wir fest: Im vorliegenden Teilabschnitt III.2.3.1 haben wir uns damit befasst, die formalen Eigenschaften zu erörtern, die eine Verstehensanweisung haben muss, um ein Operator zu sein. Wir haben 162 Die Verstehensanweisung irgendwie bezieht sich auf die satzinterne Teilphrase viel unverständlicher und bildet mit dieser - syntaktisch gesehen - eine adverbiale Bestimmung zu der elementaren Prädikation es ist zu lesen. Die funktionale Bedeutung von irgendwie kann man in folgende Paraphrase fassen: „Die wie ein Wort zusammengeschriebene Liedzeile bewirkt, dass der Text auf irgendeine Weise, die ich im Moment nicht näher bestimmen kann, unverständlicher für mich ist“. Auch das in die adverbiale Bestimmung zusätzlich eingeschobene (ich) sag=mal, durch das die Aussage weiter relativiert wird, bezieht sich - wie man aus der Positionierung schließen kann - nicht auf die Bezugsäußerung als Ganzes (es is irgendwie viel unverständlicher zu lesen), sondern nur auf die adverbiale Bestimmung viel unverständlicher. Syntaktisch ausgedrückt: Auch diese Verstehensanweisung bezieht sich nur auf einen Teil einer satzinternen Phrase. Beide Fälle sind kein Beispiel für eine Operator-Skopus-Struktur im hier interessierenden Sinn. 163 Eine Erklärung, wie sich Matrixsätze mit Verben des Sagens, Denkens und Meinens zu Diskursmarkern entwickelt haben könnten, hat Auer zur Diskussion gestellt (1998, S. 301-303 sowie S. 292/ 293). Eigenschaften gesprochener Sprache 296 mögliche Operatoren als Kurzausdrücke bestimmt, die im Hinblick auf ihre Bezugsäußerung einen mittleren Integrationsgrad aufweisen und zur Formelhaftigkeit tendieren. Als Kurzformeln haben wir sie von „längeren“ bzw. syntaktisch ausgebauteren Formen von Verstehensanweisungen abgegrenzt. Wir haben ferner festgestellt, dass die Grenzen zwischen „kurzen“ und „langen“ Verstehensanweisungen fließend sind. In manchen Fällen kann man geteilter Meinung sein, ob der betreffende Ausdruck schon ein Operator ist oder noch nicht. In dieser Beziehung gilt: je kürzer die Verstehensanweisung und je geringer ihre grammatische Binnenstrukturierung, desto ausgeprägter ihr Operator-Charakter. 2.3.2 Mögliche Füllungen des Skopus und Probleme der Abgrenzung des Bezugsbereichs Das Konzept der Operator-Skopus-Struktur impliziert, dass nicht nur der Operator, sondern auch die Skopus-Füllung eine bestimmte Form hat. Im prototypischen Fall ist sie ein potenziell unabhängiger Verbzweitsatz bzw. ein entsprechender Verberstsatz (vgl. die Abschnitte III.1 und III.2.2). Im Fall realer mündlicher Kommunikation wird das Grundmuster der Operator-Skopus-Struktur - redekommentierende/ redecharakterisierende Kurzformel + Verberst-/ Verbzweitsatz - von den Sprechern jedoch vielfach abgewandelt. Das betrifft vor allem die Füllung des Skopus. Gegenstand des vorliegenden Abschnitts wird daher sein, welche Füllungen des Skopus außer dem prototypischen Verberstbzw. Verbzweitsatz vorkommen können. Ferner befassen wir uns mit zwei Typen von möglichen Füllungen, die mit einem potenziellen Operator keine Operator-Skopus-Strukturen bilden, obwohl der entsprechenden Kombination das Merkmal der Zweigliedrigkeit nicht abzusprechen ist. Und schließlich werden wir Fälle diskutieren, in denen es nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, wo eine bestimmte, von einem Sprecher produzierte Operator-Skopus-Struktur tatsächlich endet. (a) Mögliche Füllungen 1: Rhematische Einheiten Zunächst ist der Fall zu nennen, dass die Bezugsäußerung nicht unbedingt ein vollständiger Satz sein muss, um mit einem Operator eine Operator- Skopus-Struktur zu bilden. Es kann sich bei der Bezugsäußerung auch um Die Operator-Skopus-Struktur 297 eine Äußerung handeln, bei der der Sprecher/ Schreiber nur die Teile einer geplanten Aussage verbalisiert, die nicht aus dem Kontext erschließbar sind; in der Regel ist dies der eigentliche Kern der Mitteilung bzw. das Rhema, im folgenden „rhematische Einheit“ ( RE ) genannt. Der nachstehende Gesprächsausschnitt enthält eine solche Struktur. Er stammt aus einer Güteverhandlung vor dem Schiedsmann. Es geht um den Kauf eines Gebrauchtwagens, den der Käufer (A2) wegen verdeckter Mängel rückgängig machen will. Der Verkäufer (B1) hält dagegen, dass er den Käufer auf Mängel (einen früheren Kabelbrand) aufmerksam gemacht habe und dass dieser das Fahrzeug vor der Kaufentscheidung selber gründlich geprüft und unter verschiedenen Alternativen ausgesucht habe. (9) B1: [...] mit sicherheit ham sie das äh auch- A2: ja jetz ma davon ganzdavon B1: gründlich ausgewählt ç A2: ganz abgesehn äh- * die fahrzeuge die sie ansonsten A2: noch hatten lagen etwa in dem wertbereich zwischen A2: zehntausend mark- * äh und dat geld muß ich also A2: ganz ehrlich sagen hat ich nich ç und nu war dat B1: mhm ç A2: en fahrzeuch wat mir wat weiß ich dat sah auch ganz -> A2: gut aus- * ich mein gut der kabelbrand et A2: funktionierte aber alles- * ja nu jetz im nachhinein A2: da liegen also tausend tote kabel drin da weiß A2: keiner wat damit los is- * [...] (3005.02, Zeile 356-367) Der Ausschnitt enthält eine ganze Reihe von Verstehensanweisungen, die aber nicht alle Operatoren im Sinne des Konzepts der Operator-Skopus- Struktur sind. 164 Der Äußerungsabschnitt, der im gegebenen Zusammenhang relevant ist, lautet: 164 Keine Operatoren sind: jetz ma davon ganz abgesehn (Z. 357ff.), muß ich also ganz ehrlich sagen (Z. 361), wat weiß ich (Z. 362/ 364). Eigenschaften gesprochener Sprache 298 (9a) [...] * ich mein gut der kabelbrand et funktionierte aber alles- * Man muss den Redeausschnitt wohl so interpretieren, dass der Sprecher hier zwei Operator-Skopus-Strukturen realisiert, wobei die eine in die andere eingeschoben ist (die Klammerung soll die Operator-Skopus-Verhältnisse verdeutlichen): (A) (gut (der kabelbrand)) (B) (ich mein ((gut (der kabelbrand)) et funktionierte aber alles)) Struktur (B) illustriert den Fall, dass die Bezugsäußerung eines Operators selber eine Operator-Skopus-Struktur sein bzw. eine solche enthalten kann - eine Möglichkeit, auf die wir hier nur verweisen. Die Struktur, um die es im gegebenen Zusammenhang geht, ist Struktur (A): sie besteht aus dem Operator gut und der rhematischen Einheit der kabelbrand. Das Adjektiv gut ist hier ein Operator, mit dessen Hilfe der Kläger den Zuhörern signalisiert, dass er mit der unmittelbar folgenden Äußerung ein bestimmtes argumentatives Element aus der Sachverhaltsdarstellung des Beklagten akzeptiert bzw. einräumt, nämlich: dass er, der Käufer, zum Zeitpunkt seiner Kaufentscheidung von dem Kabelbrand wusste und dieses Wissen bei der Abwägung berücksichtigen konnte. Da alle Beteiligten aufgrund ihres Diskurswissens völlig im Bilde sind, worum es geht, genügt es, dass der Kläger nur das Stichwort der kabelbrand nennt, um verstanden zu werden. 165 Operator-Skopus-Strukturen, bei denen der Operator eine „rhematische Einheit“ in den Skopus nimmt, kommen auch im Rahmen des Frage-Antwort- Musters vor. Der folgende Beleg stammt aus einer Fernsehdiskussion, in der es um Erziehungsfragen geht. Von den Gesprächsteilnehmern ist die Meinung geäußert worden, dass der Wunsch, in einer Kommune zu leben, für die Mehrheit der Töchter und Söhne atypisch sei. Daraufhin kommt es zu folgendem ironisch gefärbten Kurzdialog zwischen der Diskussionsleiterin (W2) und einer der Teilnehmerinnen: 165 Für eine eingehendere Behandlung von Operatoren, mit deren Hilfe Zugeständnisse bzw. Einräumungen angekündigt werden, vgl. Abschnitt III.4.1.5c. Die Operator-Skopus-Struktur 299 (10) W2: ja wer ge"ht denn dann in ko/ wer bi"ldet denn dann W2: kommunen ç -> W3: ganz klar wi"r ç (FKO/ XEY, S. 36) Der Operator ist in diesem Fall ganz klar, er ist ironische Verstehensanweisung für die rhematische Einheit wir. Diese stellt vor dem Hintergrund der Frage eine kommunikativ vollständige Antwort dar, da W3 mit wir genau das Wissenselement liefert, das W2 mithilfe des Fragewortes wer als Nicht- Gewusstes spezifiziert hatte; alle übrigen Teile des Wissenszusammenhangs sind aus der Frage und dem weiteren diskursiven Kontext erschließbar. (b) Mögliche Füllungen 2: Referenz-Aussagebzw. Thematisierung-Aussage-Strukturen Eine weitere Form der Operator-Skopus-Struktur, die mit der prototypischen Kombination von Operator und Verbzweitsatz nicht ohne weiteres deckungsgleich ist, liegt vor, wenn der Sprecher einen Operator zusammen mit einer Referenz-Aussagebzw. Thematisierung-Aussage-Struktur verwendet (zu diesen beiden Begriffen vgl. Abschnitt II.1.). Unser Demonstrationsbeispiel stammt wieder aus dem Schulklassengespräch mit Günter Grass. Grass äußert sich darin u.a. zu den Verlusten an begabten Menschen, die der deutschen Kultur durch Nationalsozialismus und Krieg entstanden sind. (11) GG: es fehlt also ç * dann kommt die a"ndere auslese die GG: ge"genauslese des krie"ges- ** daß also ganze GG: jahrgänge die heute * schreiben müssten die heute in GG: der blüte stünden nich also l sagn wir mal å äh GG: bö"ll ç * ist innerhalb seines jahrgangs ein GG: einsamer ma"nn * l un=das is å eine lücke die auch K INTONATORISCH UNTERSTRICHEN -> GG: nich so schnell aufzufüllen is und wahrscheinlich ç Eigenschaften gesprochener Sprache 300 GG: *2,0* was die juden angeht i"n deutschland * ihr GG: beitrag * zu dem was wir deutsche kultur nennen * GG: das is überhaupt nicht mehr aufzuholen ç *1,5* das GG: macht auch aus deutschland * so eine schreckliche GG: provi"nz ç (FKO/ XAM, S. 44) In diesem Redeausschnitt fungiert wiederum ein Adverbial, wahrscheinlich, als Operator. Mit seiner Hilfe signalisiert Grass seinen Gesprächspartnern, dass er die Proposition der Bezugsäußerung als eine Sachverhaltsbeschreibung verstanden wissen will, von deren Zutreffen er überzeugt ist, ohne dies mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten zu wollen. Die Äußerung, auf die diese Verstehensanweisung sich bezieht, realisiert er dann gewissermaßen in drei Portionen. Die erste Teiläußerung lautet: was die juden angeht i"n deutschland, gefolgt von einer Pause. Damit macht er die deutschen Juden zum Thema, nachdem er vorher von den deutschen Schriftstellern gesprochen hatte, die im Kriege gefallen sind. Zugleich greift er einen Gesprächsgegenstand wieder auf, auf den er schon vorher zu sprechen gekommen war. Anschließend nimmt er eine ergänzende zweite Thematisierung vor und präzisiert: ihr beitrag * zu dem was wir deutsche kultur nennen *. Erst dann folgt, durch ein hinweisendes das mit den beiden Thematisierungsausdrücken verbunden, die eigentliche Aussage: das is überhaupt nicht mehr aufzuholen ç (...). Es ist bemerkenswert, wie klar Grass seinen Gesprächsbeitrag nicht nur syntaktisch, sondern auch intonatorisch gliedert. Trotz der Dreigliedrigkeit der Bezugsäußerung ist der Operator durch fallendes Tonmuster und durch die Pause deutlich abgehoben realisiert, ebenso das Ende der Operator- Skopus-Struktur. Ein so bewusstes Formulieren kann man natürlich nicht in allen Fällen erwarten, in denen Sprecher derartige Strukturen produzieren; es ist eher typisch für schriftliche Kommunikation. Die Operator-Skopus-Struktur 301 (c) Mögliche Füllungen 3: Äußerungsketten Außer Referenz-Aussage-Strukturen können auch Ketten selbstständiger Äußerungen Bezugsbereich eines Operators sein. In solchen Fällen hat der Operator oft eine folgernde bzw. resümierende Bedeutungskomponente. Eine resümierend-bündelnde Funktion hat z.B. also in dem folgendem Diskursausschnitt: (12) CC: (wieviel) ham sie bekommen weil sie auch leben müssen æ -> A1: also- * A2: ein taschengeld ç CC: ein taschengeld ç >ja-< K SEHR BETONT GESP#ROCHEN A1: es  war kein praktikanten  verhältnis kein lehrverhältnis A2:  <also die finanzierung->  A1: es war nur so- * abgemacht ç (3003.99a, Zeile 250-256) 166 Die Zusammengehörigkeit der im Skopus des Operators also stehenden Äußerungen verdeutlicht die Sprecherin dadurch, dass sie den gleichen Konstruktionstyp beibehält und die Äußerungen, ohne sie prosodisch voneinander abzusetzen, hintereinander reiht: es war kein praktikantenverhältnis (es war) kein lehrverhältnis es war nur so- * abgemacht ç . Eine deutliche Abschlussmarkierung erfolgt erst am Ende des Skopus, durch die Wahl des fallenden Grenztonmusters ‘ ç ’. Auch in dem folgenden Beleg für eine Operator-Skopus-Struktur besteht der Skopus aus einer Reihe gleichartiger, für sich genommen selbstständiger Äußerungen: 166 Die Belegstelle ist dem Schlichtungsgespräch „Gegen Gotteslohn“ entnommen. Dessen vollständiger Wortlaut ist im Anhang 2 des vorliegenden Bandes abgedruckt. Vgl. auch die Analyse dieses Gesprächs im Hinblick auf die vorkommenden Operator-Skopus- Strukturen in Abschnitt III.3. Eigenschaften gesprochener Sprache 302 (13) M1: es wurde hier dau"ernd gesagt ja die technik hat=s M1: ja immer schon gegeben und technik hat sich weiter M1: entwickelt und es is eine evolution und so weiter ç -> M1: ** gewiss ç ** man hat auch früher staudämme gebaut M1: man hat auch früher aquädukte gebaut man hat äh * M1: belagerungsmaschinen gebaut l un=so weiter å aber es M1: gibt einen ga"nz entscheidenden unterschied [...] (FKO/ YAA, S. 32) Das Ende des Skopus ist in diesem Beispiel nicht - wie bei dem vorhergehenden Fall - durch fallendes Grenztonmuster markiert, sondern lexikalischprosodisch durch das Abschlusssignal un=so weiter, das der Produzent der Äußerung außerdem in schnellerem Sprechtempo realisiert als seine unmittelbar vorhergehende und nachfolgende Rede. Abschließend sei in diesem Zusammenhang noch auf einen Sequenztyp hingewiesen, der im mündlichen Diskurs nicht selten vorkommt. Er ist dadurch charakterisiert, dass zwischen den Operator und die Äußerung, die die Bezugsproposition enthält, eine selbstständige Äußerung eingeschoben wird, die in engem inhaltlichen Zusammenhang mit der Bezugsäußerung steht. Unser Beispielbeleg stammt aus dem Freiburger Korpus, aus einer privaten Unterhaltung unter Studenten, in der es u.a. um das Gruppenleben in studentischen Verbindungen geht. Einer der Gesprächsteilnehmer regt an, Verbindungsstudenten einzuladen, über ihre Aktivitäten zu sprechen, die meisten Leute wüssten wenig darüber. Ein anderer Gesprächsteilnehmer pflichtet ihm bei: Man wisse eigentlich nur, dass sie ziemlich viel trinken. Darauf äußert ein Dritter (M1) Zweifel: (14) M1: [...] des wird wahrscheinlich auch nur ge(mimt? ) M1: sein nich æ weil die könn ja heute auch nich mehr das M1: leben führn was man vielleicht so vorm ersten M1: weltkriech führte nich æ |da| mag das W1: |hm| Die Operator-Skopus-Struktur 303 M1: verbindungsleben noch=n * recht freu"diges gewesen M1: sein aber heute müssen die leute ja au"ch arbeiten ç -> M1: ** sicherlich ç ich habe schon mit mehreren leuten M1: gesprochen die in verbindungen warn ç * s=gibt welche M1: die sagn sie haben kei"ne zeit verlorn ç * denen will M1: ich des nicht in vollem umfang abnehm [...] * denn es M1: gibt viel zu viele das ist * meiner sicht nach waren M1: das achtzig prozent ungefähr ** l mit denen ich M1: gesprochen habe å die * ein bis zwei semester * M1: durch die verbindung verlo"rn haben ç (FKO/ XCP, S. 50) Das modale Adverb sicherlich hat in diesem Gesprächsausschnitt eine komplexe Funktion. Zum einen spielt es eine Rolle für die Prozessierung des Redebeitrags. Es markiert nämlich eine Stelle, von der aus der Sprecher sukzessive dessen thematischen Schwerpunkt verschiebt: Hatte M1 vorher davon geredet, dass sich Verbindungsleben und Arbeit nicht ohne weiteres vereinbaren ließen, kommt er nun auf die damit verbundenen Zeitanforderungen zu sprechen, über die er sich durch Gespräche mit Verbindungsstudenten informiert hat. Zum anderen und gleichzeitig ist sicherlich Operator im Rahmen einer Operator-Skopus-Struktur, die ihrerseits in eine umfassendere Argumentationssequenz eingebettet ist: (14a) ** sicherlich ↓ ich habe schon mit mehreren leuten gesprochen die in verbindungen warn ↓ ** s=gibt welche die sagn sie haben kei"ne zeit verlorn ↓ * denen will ich des nicht in vollem umfang abnehm [...] Der Operator sicherlich, den der Sprecher mit leicht fallender finaler Tonhöhenbewegung realisiert, signalisiert hier dem Hörer, was man unter Berücksichtigung des Diskurszusammenhangs folgendermaßen paraphrasieren kann: Die folgende Äußerung beschreibt einen Sachverhalt, dessen Tatsachencharakter ich ausdrücklich hervorhebe; damit räume ich gleichzeitig das Zutreffen eines Sachverhalts ein, der nicht geeignet ist, meine Argumentati- Eigenschaften gesprochener Sprache 304 on zu stützen (vgl. dazu im Einzelnen Abschnitt III.4.1.5c). Der Sachverhalt, der einerseits eine Tatsache ist und andererseits der Argumentationslinie des Sprechers zuwiderläuft, ist in unserem Beispiel: Es gibt Leute, die in Verbindungen waren und behaupten, sie hätten keine Zeit verloren. Diesen Gedanken hat der Sprecher jedoch auf zwei Äußerungseinheiten verteilt: ich hab schon mit mehreren Leuten gesprochen die in verbindungen warn ç (mit tief fallender Tonhöhenbewegung) und: s=gibt welche die sagn sie haben kei"ne zeit verlorn ç (mit leicht fallendem, weiterweisendem Tonmuster). Die zweite Äußerungseinheit enthält die Aussage, auf die es dem Sprecher im gegebenen Zusammenhang ankommt. Mit der ersten Äußerungseinheit schafft er die Voraussetzungen für das richtige Verständnis der zweiten: einerseits unterstreicht er die Gültigkeit des in Rede stehenden Sachverhalts zusätzlich durch die explizite Mitteilung, dass seine diesbezüglichen Kenntnisse auf Gespräche zurückgehen, die er selbst geführt hat; zum anderen spezifiziert er vorausgreifend den Personenkreis, auf den er mittels des quantifizierenden Determinativs welche in der zweiten Äußerungseinheit zurückverweist. Es stellt sich nun als mehr oder weniger inakzeptabel heraus, wenn man nur eine der beiden dem Operator zuzuordnenden Äußerungseinheiten bzw. Propositionen als Skopus ausweist. Versucht man, sicherlich entweder in die erste oder die zweite Äußerungseinheit zu integrieren und dem Ausdruck damit einen jeweils spezifischeren Skopus zuzuordnen, ergibt sich kein befriedigendes Ergebnis; am ehesten möglich ist noch Variante (c): (14b) ? ? sicherlich habe ich schon mit mehreren leuten gesprochen die in verbindungen warn ç ** s=gibt welche die sagn sie haben kei"ne zeit verlorn ç [...] (14c) ? ich habe schon mit mehreren leuten gesprochen die in verbindungen warn ç ** sicherlich gibts welche die sagn sie haben kei"ne zeit verlorn ç [...] (14d) ich habe schon mit mehreren leuten gesprochen die in verbindungen warn ç ** sicherlich ç s=gibt welche die sagn sie haben kei"ne zeit verlorn ç [...] Die Operator-Skopus-Struktur 305 Die angemessenste Weise, zu rekonstruieren, was der Sprecher ausdrücken wollte, scheint deshalb zu sein, anzunehmen, dass der Skopus des Operators in diesem Fall tatsächlich aus zwei Äußerungseinheiten besteht und dass der Sprecher das Adverb u.a. genau deshalb in der vorgezogenen Position vor beiden Äußerungseinheiten verwendet. Eindeutig nicht mehr zum Skopus des Operators sicherlich gehört die Äußerung denen will ich des nicht in vollm umfang abnehm. Mit ihr vollzieht der Sprecher einen Fokuswechsel zurück zu seiner eigenen Argumentationslinie, der in diesem Fall allerdings nicht durch einen entsprechenden adversativen Konnektor wie aber, jedoch usw. angezeigt wird. Trotz der Erweiterung der Bezugsdomäne des Operators auf mehrere Äußerungen war in den Beispielen (12) und (13) jeweils relativ klar, was zum aktuellen Skopus bzw. Bezugsbereich des Operators gehörte und wo dieser zu Ende war. Die Sprecher hatten den Bezugsbereich des Operators dadurch kenntlich gemacht, dass sie die betreffenden Äußerungen nach demselben Satzbauschema bildeten und nach dem Prinzip der Aneinanderreihung von Gleichartigem verfuhren. Die Ausdehnung einer Bezugsdomäne ist aber nicht immer so relativ gut zu erkennen, wie in den beiden besprochenen Belegen. Wir werden daher in dem folgenden Unterabschnitt (d) auf Vorkommen eingehen, bei denen der Geltungsbereich des Operators nicht genau bestimmbar ist. (d) Operator-Skopus-Strukturen mit nicht genau abgrenzbarem Skopus Was Operator-Skopus-Strukturen mit nicht genau abgrenzbaren Skopoi betrifft, kommen in unseren Daten zwei unterschiedliche Konstellationen vor. Den folgenden Diskursausschnitt haben wir dem Pfefferkorpus entnommen. Der Interviewer hat seine Gewährsperson, die in Greifswald aufgewachsen ist, aufgefordert, vom Rudersport zu erzählen. Sie beschreibt, was die Mannschaft tun muss, damit eine von der Seite kommende Welle die Insassen des Bootes nicht durchnässt: (15) W1: oder er muß auch wenn die welle von der seite kommt dann W1: schreit er eben einfach achtung ç ** und dann legt sich die Eigenschaften gesprochener Sprache 306 W1: mannschaft * nach der andern seite über- * also daß dem * der W1: welle die * hohe kante des bootes zugewendet wird daß dann W1: manchmal * äh die welle nu sich nur daran sch/ äh bricht und -> W1: eben nicht über über bord ge"ht ç ** natürlich ç wenn wir auf ne W1: sa"ndbank kommen oder so dann ist es se"hr schlecht * da dann W1: das wasser ähm ** ins boot hineinschlägt und äh ** na ja dann W1: LACHT ** ist man eben da vollkommen naß ç also das muß man W1: dann mit in kauf nehmen ç ** aber eben gerade durch solche M1: ja ç W1: erlebnisse wird äh * macht das rudern ebend erst recht spa"ß W1: und man hat <nette erinnerungen dadran> ç (PFE/ DDR.nb051) Mittels des Operators natürlich signalisiert die Sprecherin dem Zuhörer, dass das, was sie nun berichten wird, evident ist und sich aus der Natur der Sache ergibt: Wenn man mit einem Ruderboot auf einer Sandbank aufsetzt, ist nicht zu vermeiden, dass Wasser in das Boot schlägt und die Insassen nass werden. Gleichzeitig markiert sie mit dem Operator, dass sie mit der in seinem Skopus stehenden Äußerung eine sprachliche Handlung der Einschränkung vollzieht (vgl. Abschnitt III.4.1.5b). Die Frage ist, wo man das Ende der durch den Operator natürlich eröffneten Operator-Skopus-Struktur anzusetzen hätte. Anders gesagt: Wo endet die projektive Kraft des Operators? Die Sprecherin selbst macht den stärksten Einschnitt bei nehmen ç (1. Variante), wo sie fallendes terminales Tonmuster und eine längere Pause realisiert, die dem Interviewer Gelegenheit gibt, mit ja ein allgemeines Aufmerksamkeits- und Akzeptanzsignal einzuschieben. Hier liegt auch ein Umschlagpunkt in der thematischen Progression, weil es sich um die Stelle handelt, an der die Sprecherin einen durch die adversative Konjunktion aber markierten Fokuswechsel vornimmt. Sie beendet die einschränkend-negative Darstellung des berichteten Sachverhalts (natürlich ç 167 wenn wir auf ne sa"ndbank kommen oder so dann ist es se"hr schlecht * da dann das wasser ähm ** ins boot hineinschlägt und äh ** na ja dann 167 ‘ ç ’ bezeichnet hier leicht fallende, weiterführende Intonation. Die Operator-Skopus-Struktur 307 LACHT ** ist man eben da vollkommen naß ç also das muß man dann mit in kauf nehmen ç ) und geht resümierend zu den positiven Aspekten über, die solche Missgeschicke auch haben: aber eben gerade durch solche erlebnisse wird äh * macht das rudern ebend erst recht spa"ß und man hat <nette erinnerungen dadran> ç . Eine weitere in Betracht zu ziehende Möglichkeit wäre, den Bezugsbereich hinter schlecht enden zu lassen (2. Variante). Das würde aber mit ziemlicher Sicherheit den Intentionen der Sprecherin zuwiderlaufen: Zum einen, weil sie das Modalwort bewusst an den Anfang ihrer Äußerung und vor den Satz stellt, anstatt es - was ja möglich wäre - in den Satz zu integrieren. Zum anderen, weil sie - mittels der da-Verknüpfung - Behauptung und Begründung als komplexe strukturelle Einheit konzipiert. Das und nach hineinschlägt zeigt im Übrigen an, dass sie diese Einheit ursprünglich noch umfassender geplant hat, als sie sie dann tatsächlich realisiert. Damit wird eine weitere Möglichkeit für die Bestimmung des Skopus-Endes aktuell: man könnte von einem Abbruch im Aufbau des Bezugsbereichs des Operators ausgehen und das Skopusende nach und ansetzen (3. Variante). Das ist einerseits plausibel, weil die Sprecherin an dieser Stelle aus der ursprünglich gewählten Verbletztkonstruktion aussteigt. Andererseits steigt sie aber nicht vollständig aus, sondern sie steigt nur um, 168 und zwar in eine Verbzweitkonstruktion, die mit großer Wahrscheinlichkeit inhaltlich das enthält, was auch Inhalt der Verbletztkonstruktion gewesen wäre. Als vierte und letzte Variante könnte das Skopusende daher auch nach dem Satz na ja dann ist man eben da vollkommen naß liegen. Beispiele, wie das eben behandelte, sind in gesprochener Sprache nicht selten anzutreffen. Es ist davon auszugehen, dass das Ende des Bezugsbereichs eines vorangestellten Operators nicht immer genau bestimmt werden und in diesem Sinne „offen“ sein kann. In Fällen, die unserem Beispielfall entspre- 168 Der Umstieg ist durch eine Pause und ein anschließendes na ja markiert. Die Formel na ja gehört an sich zu den sprachlichen Mitteln, mit denen Sprecher Bewertungsdiskrepanzen in Bezug auf eine vorhergehende Höreräußerung bearbeiten, zu dem Zweck, sie zu neutralisieren. An dieser Stelle und auf die eigene Äußerung angewandt signalisiert die Kombination wahrscheinlich, dass die Sprecherin sich bewusst ist, dass sie mit dem beabsichtigten Umstieg im Begriff ist, eine strukturelle Fortsetzungserwartung des Hörers abzuschneiden. Eigenschaften gesprochener Sprache 308 chen, ist es aber am plausibelsten, das Skopusende jeweils vor dem kontrastierenden aber anzusetzen, das den thematischen Umschlagpunkt markiert, also die erste Variante zu favorisieren. (e) Operator-Skopus-Strukturen, die redekommentierende Einschübe enthalten Eine weitere Besonderheit sind Operator-Skopus-Strukturen, die redekommentierende Einschübe enthalten: (16) -> M1: übrigensdie zehn/ l ich darf noch e"twas sagen M1: werner çå * die zehnmarkstücke waren se"hr sehr M1: schwierig zu bekommenäh *der rundfunk saß M1: ebenfalls bei seinen bankanfragen auf dem trocknen- M1: * ehe er das geld ins wasser werfen konnte ç (FKO/ XBZ, S. 61) Beispiel (16) stammt aus einer Unterhaltungssendung des Südwestfunks, einem Rätselspiel. Der Moderator hatte das Wort bereits an seinen Kollegen übergeben, als ihm etwas einfällt, was er den Zuhörern noch mitteilen möchte. Er signalisiert dies durch den Operator übrigens, der hier soviel bedeutet wie: Ich möchte noch etwas nachtragen. Er beginnt mit seinem Nachtrag, realisiert dann aber, dass er dazu noch das Einverständnis seines Mitmoderators „Werner“ Stenzel, der eigentlich bereits im Besitz des Rederechts ist, einholen muss. Er formuliert deshalb - als Einschub - die Bitte: l ich darf noch e"twas sagen werner çå . Dann greift er die letzten Worte, die er vor dem Einschub geäußert hatte, wieder auf, schließt seinen Nachtrag ab und übergibt das Wort zum zweiten Mal an Werner Stenzel. Der Einschub gehört eindeutig nicht zum Bezugsbereich des Operators. Eine andere Form des Einschubs liegt in nachstehendem Dialogausschnitt vor. Er stammt ebenfalls aus dem Freiburger Korpus, aus einer Diskussion zu Fragen des Wertpapiermarktes. Der Sprecher ist Graf Lambsdorff. Der Moderator hatte gefragt, nach welchen Methoden er seine Kauf- und Verkaufsfavoriten auswähle, und Graf Lambsdorff antwortete: Die Operator-Skopus-Struktur 309 (17) M1: das ist äh dies/ diese frage zielt ** hm in die M1: zentrale aufgabenstellung * der anlageberatung einer -> M1: bank so wie ich sie sehe- * äh das heißt- ** ähm * M1: ich muß ihnen also hier- *ähm l muß muß å hier M1: versuchen * ihnen die arbeit der research abteilung M1: * auch die ist wieder * wie sie schon an dem * M1: schönen * deutschen wort research sehen können- * äh M1: von den amerikanern überno"mmen- * ich muß M1: versuchen ihnen die arbeitsweise zu erläu"tern ç ** (FKO/ XCE, S. 55) Der Diskursausschnitt enthält insgesamt drei Verstehensanweisungen, und zwar zwei so genannte redesituierende wie-Sätze (vgl. Brandt 1997) und einen Operator. Die redesituierenden wie-Sätze lauten so wie ich sie sehe bzw. wie sie schon an dem schönen deutschen wort research sehen können. Im gegebenen Zusammenhang interessiert vor allem der Operator das heißt und sein aktueller Bezugsbereich. Der Operator das heißt hat die Funktion, Präzisierungen und Spezifizierungen zu etwas vorher Gesagtem anzukündigen, er kann aber auch Generalisierungen und Schlussfolgerungen einleiten. Letzteres ist in Beispiel (17) der Fall. Aus seiner Einschätzung des Inhalts der Frage, die ihm der Moderator gestellt hat, leitet Graf Lambsdorff - gewissermaßen laut denkend - für sich die Aufgabe ab, dem Auditorium die Funktion der Research-Abteilung einer Bank zu erläutern: das ist äh dies/ diese frage zielt ** hm in die zentrale aufgabenstellung * der anlageberatung einer bank so wie ich sie sehe- * äh das heißt- ** ähm * ich muß ihnen also hier- * ähm l muß muß å hier versuchen * ihnen die arbeit der research abteilung [...] ich muß versuchen ihnen die arbeitsweise zu erläu"tern ç . Das Ende des Bezugsbereichs des Operators fällt mit dem Ende der Äußerungseinheit bei erläutern zusammen, es ist durch tief fallendes Grenztonmuster markiert. Damit ist die Sache aber nicht abgetan. In die Bezugsäußerung schiebt Graf Lambsdorff - durch Pausen abgehoben - einen erläuternden Zusatz ein, einen Hinweis auf die Her- Eigenschaften gesprochener Sprache 310 kunft der Einrichtung „Research-Abteilung“: [...] * auch die ist wieder * [...] * äh von den amerikanern überno"mmen-. Der erläuternde Zusatz seinerseits ist Bezugsbereich des eingeschobenen redekommentierenden wie-Satzes wie sie schon an dem * schönen * deutschen wort research sehen können-. Erst danach nimmt Graf Lambsdorff die unterbrochene Äußerung wieder auf und schließt sie ab. Im Unterschied zu Beispiel (16) ist bei diesem Diskursausschnitt der Zusammenhang zwischen Operator und Bezugsäußerung einerseits und dem komplexen Einschub andererseits enger. Das hängt mit den unterschiedlichen Funktionen zusammen, den die eingeschobenen Äußerungen jeweils haben. In Beispiel (16) ist die parenthetische Äußerung eine diskursorganisierende Aushandlungsaktivität und richtet sich an einen Hörer außerhalb des angesprochenen Auditoriums. In Beispiel (17) stellt sie einen erläuternden Zusatz zum Inhalt der sich im Skopus des Operators befindlichen Äußerung dar und ist an dasselbe Auditorium gerichtet wie diese. Trotz dieser engeren Zusammengehörigkeit ist der zweifache Einschub auch in diesem Fall nicht Bestandteil des Skopus. Der Beleg insgesamt stellt aber ein anschauliches Beispiel für die Tatsache dar, dass Kommunikation die systematische Möglichkeit einschließt, Verstehensanweisungen mit ihren jeweiligen Bezugsbereichen ineinander einzubetten. Wir fassen zusammen: Während wir in Teilabschnitt III.2.3.1 die formalen Eigenschaften von Operatoren betrachtet haben, war der Teilabschnitt III.2.3.2 möglichen Formen der Füllung des Skopus gewidmet. Wir haben uns dabei ausschließlich mit solchen Typen von zulässigen Füllungen beschäftigt, die nicht der prototypischen Form des Verberst- oder Verbzweitsatzes entsprachen. Außerdem haben wir anhand von Beispielen gezeigt, dass es nicht in jedem Fall möglich ist, den Bezugsbereich eines Operators exakt zu bestimmen. 2.4 Prosodische Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur Nachdem in den vorherigen Abschnitten semantisch-syntaktische Fragestellungen bearbeitet worden sind, sollen nun prosodische Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur analysiert werden. Die Operator-Skopus-Struktur 311 Da die Operator-Skopus-Struktur in dem sie umgebenden Kontext vom Sprecher im Vollzug des Formulierens als solche markiert und vom Hörer entsprechend erkannt werden muss, stellt sich die Frage, welche Mittel der Sprecher zur Verfügung hat und verwendet, um zum einen Operator-Skopus- Struktur für den Hörer als eine spezielle interaktive Einheit erkennbar zu machen und zum anderen die interne Zweigliedrigkeit dieser Struktur herzustellen. Zur Segmentierung können syntaktische, semantische und prosodische Mittel und Verfahren benutzt werden. Der Sprecher kann mithilfe dieser Mittel an drei Punkten eine Markierung der Struktur vornehmen: − vor dem Operator, um zu signalisieren, dass eine neue Einheit beginnt, − nach dem Operator, um zu signalisieren, dass es sich um die zweigliedrige Operator-Skopus-Struktur handelt und − am Ende des Skopus, um das Ende der Operator-Skopus-Struktur zu markieren. Weil prosodische Markierungen neben syntaktischen und semantischen Mitteln zur Herstellung von Einheiten verwendet werden können, soll in diesem Abschnitt analysiert werden, ob und wie die Operator-Skopus-Struktur prosodisch als Einheit markiert wird, an welchen der oben genannten Punkte Segmentierungen auftreten und welche prosodischen Mittel dazu verwendet werden. 2.4.1 Die analysierten Parameter Den drei möglichen Segmentierungspunkten entsprechend soll die Operator- Skopus-Struktur sowohl auf ihre prosodische Integration bzw. Selbstständigkeit in Bezug auf den sie umgebenden Kontext als auch in Bezug auf das Verhältnis von Operator und Skopus hin analysiert werden. Dies betrifft die Fragen, wie die gesamte Struktur von der sprachlichen Umgebung abgesetzt wird und ob der Operator und der Skopus jeweils prosodisch eigenständig sind oder gemeinsam eine prosodische Einheit bilden. Mit dem Begriff „prosodische Integration“ wird die Realisierung von Operator und Skopus „unter einem Dach“, d.h. mit einer nicht unterbrochenen, fortlaufenden Intonationskontur bezeichnet. „Prosodische Selbstständigkeit“ hingegen bedeutet, dass die Einheiten durch einen Bruch und einen Neuansatz der prosodischen Eigenschaften gesprochener Sprache 312 Merkmale voneinander getrennt sind (vgl. Selting 1994, S. 300). In diesem Zusammenhang wird auch von Kontinuität oder Diskontinuität gesprochen: Wird die Prosodie der Vorgängerstruktur in der Operator-Skopus-Struktur weitergeführt, liegt Kontinuität vor, treten jedoch Brüche und Wechsel auf, handelt es sich um Diskontinuität. Die folgende Liste umfasst das kategoriale Inventar, das verwendet werden kann, um zu untersuchen, ob prosodische Selbstständigkeit bzw. prosodische Integration vorliegt. 169 − Intonationskontur/ -einheit 170 Hierbei handelt es sich um eine auf Grund des Tonhöhenverlaufs abgrenzbare Einheit mit mindestens einem Akzent. An ihren Grenzen ist ein Bruch und ein Neuansatz in der Tonhöhenbewegung zu hören. − Akzent Es werden drei Akzentstärken unterschieden: sehr starker, emphatischer Akzent, Hauptakzent und Nebenakzent. Als zweites Merkmal werden die Tonhöhenbewegungen auf der akzentuierten Silbe festgehalten: fallend, steigend und gleichbleibend. − Pausen Eine Pause kann als Grenzsignal vor und nach dem Operator wirken. Bei den Pausen kann es sich auch um gefüllte Pausen handeln, die beispielsweise deutliches Ein- oder Ausatmen oder Verzögerungspartikeln wie ähm enthalten. − Finaler Tonhöhenverlauf Dieser Punkt betrifft die Tonhöhenbewegung am Einheitenende. Es werden die fünf Tonhöhenbewegungen tief fallend, leicht fallend, gleichbleibend, leicht steigend und stark steigend unterschieden. 169 Ein weiterer wichtiger Punkt zur Signalisierung von Kontinuität bzw. Diskontinuität bei der prosodischen Analyse ist der Rhythmus, der hier aber nicht behandelt wird. Das Beibehalten eines Rhythmus, auch über den Sprecherwechsel hinweg, deutet auf Kontinuität, Rhythmuswechsel oder das Fehlen von Rhythmus deuten auf Diskontinuität hin (vgl. Couper-Kuhlen 1992 und 1993). 170 Vgl. den Begriff bei Selting (1995a), S. 39ff. und bei Schönherr (1997), S. 70. Die Operator-Skopus-Struktur 313 − Tonhöhenansatz Der Tonhöhenansatz bezeichnet die Tonhöhe der ersten betonten Silbe in einer Intonationskontur. 171 − Tonhöhensprünge Mit Tonhöhensprüngen sind deutliche Tonhöhenveränderungen nach unten oder oben, meist vor einem Akzent, gemeint. − Variationen von Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit und Tonhöhenregister Häufig werden Einheiten durch Veränderungen in der Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit und/ oder im Tonhöhenregister signalisiert. − Weitere Phänomene Die Dehnung von finalen Vokalen, ein Glottisverschluss oder Wortfragmente können als Grenzsignale auftreten. Generell müssen die prosodischen Merkmale immer in Relation zum Umfeld ihrer Realisierung gesehen werden. Erst im Vergleich mit dem Umfeld lässt sich sagen, ob eine prosodische Veränderung bei einer bestimmten Äußerung auftritt oder nicht. Als zweiter Vergleichspunkt dient, wie eine Person „normalerweise“ spricht, insbesondere für die Analyse von Veränderungen in der Sprechgeschwindigkeit, in der Lautstärke oder in der Tonhöhe. Erst durch diese Vergleichsmomente kann festgestellt werden, ob und wie der Sprecher etwas markiert, hervorhebt, Brüche produziert oder Einheiten bildet. Die prosodische Analyse erfolgt zum einen auditiv-perzeptiv, zum anderen akustisch-apparativ. 172 Auf der auditiven Seite wird von zwei, teilweise auch von drei Personen, unabhängig voneinander eine Analyse vorgenommen. Die jeweiligen Ergebnisse werden miteinander verglichen und bei einer Nichtübereinstimmung nochmals gemeinsam gehört und diskutiert. Dadurch werden die Nachteile der auditiven Analyse, nämlich die Subjektivität des Höreindruckes und das Auftreten von Hörfehlern, relativiert bzw. verringert. Auf der auditiven Ebene ist es häufig schwierig, die einzelnen Parameter 171 Vgl. Couper-Kuhlen (1996) zu declination und onset. 172 Eine Auflistung der Vor- und Nachteile der beiden Verfahrensweisen findet sich bei Schönherr (1997), S. 68. Eigenschaften gesprochener Sprache 314 (Grundfrequenz, Intensität, Dauer) voneinander zu trennen und genau festzulegen, welche Parameter den Höreindruck bestimmen. Ferner beeinflussen das grammatische und kontextuelle Wissen den Höreindruck. Andererseits entspricht dieses Verfahren der natürlichen Perzeption. In einem zweiten Schritt wird die apparative Analyse mithilfe des Computerprogrammes PRAAT 173 durchgeführt. Das Programm wird hauptsächlich zur Erkennung der Tonhöhenverläufe (F 0 -Kurven) verwendet. Die apparative Analyse bietet die Möglichkeit, die einzelnen Messparameter voneinander getrennt zu bearbeiten. Sie zielt insgesamt darauf, objektivere Messungen zu erreichen. Jedoch können durch die Einstellung der Messalgorithmen und durch mikroprosodische Einflüsse (z.B. Einfluss der Vokalqualität) verzerrte Ergebnisse produziert werden. Keines der beiden Verfahren führt also zu vollkommen fehlerfreien Ergebnissen. Als Ausgangspunkt unserer Analyse dienen immer die auditiv erarbeiteten und untereinander abgeglichenen Ergebnisse. Als zweiter Schritt werden die Grundfrequenzdarstellungen der apparativen Analyse mit den Höreindrücken verglichen und auf Übereinstimmungen sowie Abweichungen überprüft. Durch die Koppelung von apparativer und auditiver Analyse können die jeweiligen Nachteile der Verfahren vermindert werden und die jeweiligen Vorteile besser zur Geltung kommen. Ein Abgleichen der beiden Analyseverfahren eröffnet die Möglichkeit einer wechselseitigen Überprüfung und gegebenenfalls einer Korrektur der Höreindrücke und Messergebnisse. Bleiben trotz mehrfacher Vergleiche Differenzen zwischen Höreindruck und Messwerten bestehen, wird dem Höreindruck Vorrang gegeben, da es bei unserer Analyse letztendlich darum geht, was die Hörerin bzw. der Hörer wahrnehmen kann und was nicht. Im Folgenden dient die Darstellung von einzelnen Beispielen dazu, allgemeine prosodische Eigenschaften der Operator-Skopus-Struktur zu verdeutlichen. Quantitative Aussagen können hier nicht gemacht werden. Bei den behandelten Beispielen wird zusätzlich zu dem entsprechenden Transkriptausschnitt eine Abbildung des F 0 -Verlaufs eingefügt. Diese F 0 -Verlauf- 173 Das Programm wurde von Paul Boersma, Universität Amsterdam, Institute of Phonetic Sciences, entwickelt. Informationen über das Programm und seine Nutzung erhält man unter der E-Mail Adresse paul.boersma@hum.uva.nl oder im Internet unter http: / / www.fon.hum.uva.nl/ praat/ (Stand 02.2002). Die Operator-Skopus-Struktur 315 Grafik ermöglicht eine Beurteilung der folgenden Merkmale aus der oben aufgeführten Merkmalliste: Intonationskontur, Akzente, finaler Tonhöhenverlauf, Tonhöhenansätze und Tonhöhensprünge. Die Beurteilung von Akzenten muss jedoch stärker als die anderen Merkmale durch den auditiven Eindruck überprüft werden, da dieses Merkmal durch eine F 0 -Darstellung nicht hinreichend erfasst werden kann. Akzente werden zusätzlich zur Frequenzerhöhung durch Druck und Intensität beeinflusst. Die übrigen Merkmale aus der obigen Liste werden durch die Zeichen der von uns verwendeten Transkriptionskonventionen wiedergegeben. Im Gegensatz zu den Transkriptausschnitten in den bisherigen Abschnitten werden hier die Transkriptausschnitte zum Zweck einer genaueren prosodischen Wiedergabe nach den GAT -Konventionen (vgl. Selting et al. 1998) retranskribiert und mit einer neuen Zeilenzählung versehen. 174 2.4.2 Mögliche prosodische Markierungsformen Nachdem die einzelnen prosodischen Analyseeinheiten vorgestellt worden sind, soll untersucht werden, welche dieser Mittel zur Markierung der Operator-Skopus-Struktur herangezogen werden, ob es Merkmale gibt, die immer auftreten oder nur selten, ob sich bestimmte Clusterbildungen feststellen lassen und ob sich eine Hierarchie von Merkmalen aufstellen lässt. Weiterhin wird analysiert, ob dieselben Merkmale bei Ausdrücken, die prosodisch abgehoben sein müssen, um Operatoren zu sein (beispielsweise und, also) und bei Ausdrücken, die nicht prosodisch markiert sein müssen, um Operatoren zu sein, auftreten (vgl. Abschnitt III.1.2c). Im Folgenden wird zunächst auf die Segmentierungsmerkmale der Gesamtstruktur eingegangen. Hierbei werden die Merkmale, die vor dem Operator und die am Ende des Skopus auftreten können, erläutert. In einem weiteren Schritt werden dann die Segmentierungsmöglichkeiten innerhalb der Operator-Skopus-Struktur beschrieben. 175 174 Die GAT -Konventionen sind im Anhang 3 aufgeführt. Unter dem Transkriptausschnitt wird die Transkriptnummer und die Zeile des Originaltranskriptes angegeben. 175 Ein weiterer Analyseansatz wäre eine Differenzierung nach varietätenspezifischen Eigenschaften. Diese Differenzierung wird hier jedoch nicht vorgenommen; es werden weitgehend nur standardnahe Aufnahmen berücksichtigt. Eigenschaften gesprochener Sprache 316 (a) Prosodische Eigenschaften der Gesamtstruktur Die gesamte Operator-Skopus-Struktur ist im prototypischen Fall prosodisch deutlich von ihrem Umfeld abgehoben, was bedeutet, dass vor dem Operator und am Ende des Skopus eine Segmentierung zu erkennen ist. Diese Segmentierung kann durch die unterschiedlichen, oben aufgeführten Merkmale realisiert werden. Die folgenden Beispiele zeigen, wie diese Merkmale vom Sprecher eingesetzt werden. Im folgenden Ausschnitt beginnt die Operator- Skopus-Struktur mit dem Operator zum beispiel (Zeile 4), der Skopus endet hinter sakramenten (Zeile 6). (1) zum beispiel 1 ED: sie ist HÉIlig Únfehlbar- .hh sie hat eine wÁhrheit die wir NÙR 2 so wEÌter sagen müssen. (----) <<h> in meinem buch klÉriker sag 3 ich es stimmt bis in die strukTÚRen> hinein nÌcht und KÁNN -> 4 auch nicht stÌmmen; (.) .hh æ zÙm bEÌspiel; (--) .hh <<h> æ ich 5 kenne prÍEster>, (---) die wÍEderverheiratete zÚlassen zu den 6 sakramÈnten. (-) sie d UIHQ GDV DEHU QLFKW V Àgen. (--) sie 7 dürfen GÁNZ sicher kein bÚch darüber schreiben wie Ích (GF, 4050.254, Zeile 1052) Abb. 1: F 0 -Verlauf, zum beispiel, 4050.254, Zeile 1052 Die Operator-Skopus-Struktur 317 Vor Beginn der Operator-Skopus-Struktur fällt die Stimme tief, es folgt eine kurze Pause, und der Sprecher atmet hörbar ein. Mit Beginn des Operators erfolgt ein Tonsprung nach oben; auf dem Akzent von zum wird die Tonhöhe jedoch wieder auf das Niveau der Vorgängereinheit abgesenkt. Der Skopus setzt wiederum wesentlich höher an, und die Deklinationslinie fällt zum Ende des Skopus stark ab, so dass die Tonhöhe wieder auf derselben Tiefe wie vor dem Operator angelangt ist. Es folgt eine kurze Pause. Nach dem Skopus setzt die Tonhöhe der folgenden Einheit erneut höher an. Mit dem Operator beginnt also eine neue Intonationseinheit: die Tonhöhe der Einheit vor dem Operator sinkt, mit dem Operator erfolgt ein Neuansatz in der Tonhöhe, der Operator trägt einen Akzent, und die Einheiten sind durch eine Pause voneinander getrennt. Durch diese Segmentierung wird die Operator- Skopus-Struktur von der vorhergehenden Einheit deutlich abgesetzt. Am Ende des Skopus sinkt die Tonhöhe ab, erreicht die tiefste Senkung im Skopus und dasselbe Niveau der finalen Senkung der Einheit vor dem Operator. Eine Pause zwischen dem Skopusende und der nachfolgenden Äußerung trennt zusätzlich den Skopus von der folgenden Einheit. In diesem Beispiel wirken also die folgenden prosodischen Parameter zusammen: − Absenken der Tonhöhe in der Einheit vor dem Operator, Pause vor dem Operator, deutliches Einatmen vor dem Operator (gefüllte Pause), Tonhöhensprung zum Akzent des Operators, Akzent auf dem Operator (hier fallend), der Operator bildet eine eigene Intonationseinheit − Pause zwischen Skopusende und folgender Äußerung, tiefste Senkung am Ende des Skopus, die folgende Einheit setzt in der Tonhöhe wieder höher an, der Skopus bildet eine eigene Intonationseinheit Vergleicht man diese Merkmale mit der Merkmalliste in III.2.4.1, so sind die folgenden Punkte relevant: Intonationseinheit, Akzent, Pause, tief fallender finaler Tonhöhenverlauf, neuer Tonhöhenansatz, Tonhöhensprung. Diese prototypische Segmentierung zu Beginn und am Ende der Struktur tritt jedoch nicht immer in dieser Weise auf. So ist in dem folgenden Beispiel der Operator durch eine Pause und durch einen Neuansatz der Tonhöhe von der Vorgängereinheit abgesetzt. Das Ende der Operator-Skopus-Struktur ist jedoch nicht eindeutig gekennzeichnet. Eigenschaften gesprochener Sprache 318 (2) sicher 01 AC: <<stockend> jà wir (--) ich fÁnd (-) ich (--) war> nur dÉshalb 02 so provozÍErend; .h um (-) einer (-) EHUEHZHUWXQJ GLHVHV 03 bÌldes; (--) einer (-) Állzu (--) GRÓßen verteufelung dieser 04 etwas (-) äh hÁrten spiÈlchen (-) <<all> von vornherein in den 05 wÉg> zu trÈten. (3,0) ähm ein vÓrschlag (-) worüber MÁn sich 06 noch unterhÁlten könnte (-) <<all> wäre viellEIcht -> (1,0) -> 07 sÍcher- (--) die gefÁhr Íst gegÈben; (-) die frÄUlein geÓrgi 08 sÉhr deutlich ÁUfgezeichnet hAt- (1,5) wÉnn man sie auch nicht 09 %(5EHZHUWHQ ZLOO VR NgQQWH VWRFNHQG! PDQ OHQ! 10 sich doch um>> die Úrsachen kümmern. (-) wie kÓmmt das (1,5) (FKO/ XAQ, Transkriptseite 11) Abb. 2: F 0 -Verlauf, sicher, FKO / XAQ , Transkriptseite 11 An diesem Transkriptausschnitt wird deutlich, dass der Skopus nicht mit der ersten Senkung enden muss, sondern in Form eines Nachtrages oder einer Ergänzung ausgeweitet werden kann. Der Skopus endet bei aufgezeichnet hat (Zeile 8), die erste Senkung erfolgt jedoch schon bei gegeben (Zeile 7). Somit geht der Skopus prosodisch über die erste Senkung hinaus. An seinem Ende ist keine Senkung, sondern gleichbleibende Tonhöhe zu verzeichnen. Hier spielen semantisch-syntaktische Merkmale eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Operator-Skopus-Struktur (vgl. Abschnitt III.2.3.2). Die Operator-Skopus-Struktur 319 Nicht immer sind also die Grenzen zwischen den Einheiten deutlich gekennzeichnet. Auch zu Beginn der Struktur treten Verschiebungen der Segmentierungsgrenzen zwischen dem Operator und der Vorgängereinheit auf. Beispielsweise können kurze Elemente der Nachfolgeeinheit an die vorangehende angeschlossen werden. Wenn eine Pause zwischen Operator und Vorgängereinheit realisiert wird, wie in den obigen Beispielen, ist die Segmentierung klar zu erkennen. In dem folgenden Ausschnitt jedoch beginnt die Operator-Skopus-Struktur mit dem Operator natürlich (Zeile 6), der ohne Pause direkt an die Vorgängerstruktur angeschlossen wird. (3) natürlich 1 M1: schaun sie nach amÉrika- (-) nÌchda da is auch von stÁat zu 2 stÁat und cÓUnty zu cÓUnty dassÉlbe problÉm mit der polizÉi und 3 der Ùnfallmeldung und so weÌter ç .hh äh (-) ich glÁube daß äh 4 (-) äh äh (-) es ((sucht nach worten)) is tatsächlich sÓ- (.) 5 <<all> wir ham auch wie sie sÁgen die fÁchzeitschriften hätten -> 6 da> (-) drüber geschrIÈben; <<t> nat rlich sie TÙn es; aber 7 eine gewisse resignatÌon hat sich doch Áusgebreitetich bin 8 ganz erfrÉut über den optimÍsmus von herrn> sEEfeld- (FKO/ XCG, Transkriptseite 31) Abb. 3: F 0 -Verlauf, natürlich, FKO / XCG , Transkriptseite 31 Eigenschaften gesprochener Sprache 320 Das Fehlen einer Pause allein wäre nicht so entscheidend. Jedoch schließt der Operator natürlich direkt an das vorangehende Wort geschrieben an, und zwischen den Werten 2 und 2.25 Sekunden geht das [n] von geschrieben in das [n] von natürlich über. Erst zum Akzent findet eine Tonhöhenveränderung nach oben statt, wodurch sich der Operator abhebt. Das Ende des Skopus ist durch die tief fallende finale Tonhöhenbewegung auf tun es zu erkennen. Weiterhin bildet die Operator-Skopus-Struktur auch durch die interne gleiche Akzentsetzung - Tonhöhensprung zum Akzentgipfel, fallender Akzent - auf den Silben tür und tun eine Einheit, die die Struktur nach außen hin abgrenzen. Die Operator-Skopus-Struktur kann weiterhin durch Veränderungen im Sprechtempo, der Tonhöhe und/ oder der Lautstärke markiert werden. Solche Veränderungen treten meistens nur zu Beginn oder bei Elementen innerhalb der Struktur auf, selten wird die gesamte Struktur erfasst. Am häufigsten tritt eine Beschleunigung im Sprechtempo zu Beginn des Operators oder des Skopus auf. Eine Zunahme der Lautstärke am Anfang der Struktur ist ebenfalls zu beobachten. In dem folgenden Beispiel erhöht sich mit Beginn des Skopus (Zeile 7) das Sprechtempo. (4) und übrigens 01 HN: reÁle geschehnisse <<t> inszenIÈren.> (-) und da bin ich 02 eigentlich äh dort wo ich hÉute bin äh- .h bei meinem theater 03 wird nÍchts mehr gespÍElt? äh <<all> also niemand spielt eine 04 rÓlle,> .h niemand ist ist fAÚst oder das äh: : das käthchen 05 von heilbrÓnn, oder Írgendwas- .h sÓndern; .h es werden .h 06 <<f> reÁle (-) geschÈhnisse> <<t> inszeniÈrt. äh> .h und=äh das -> 07 war eine fÓlgeentwicklung; und EULJHQV lK± K DOO! LFK ELQ 08 ja nicht alLÉIn,> äh .hh äh: zur glÉIchen zeit äh als Ích äh äh 09 begÁnn also mein äh thÉater äh zu äh (-) zu realisÍEren, .h da 10 gab=s auf der gÁnzen welt=äh .hh äh die sogenannten hÁppenings (GF, 4050.021, Zeile 538) Die Operator-Skopus-Struktur 321 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Beginn der Operator-Skopus- Struktur prosodisch gekennzeichnet ist. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da wir es zunächst einmal mit der allgemeinen Segmentierung von Einheiten zu tun haben. So treten bei der Vorgängerstruktur die Merkmale auf, die das Ende einer Einheit signalisieren: die finale Senkung der Tonhöhe, deren deutlicher Anstieg bzw. eine folgende Pause. Jedoch hebt sich der Anfang der Operator-Skopus-Struktur von dem einer „normalen“ neuen Einheit ab: Der Beginn der Operator-Skopus-Struktur ist durch eine starke Veränderung des Tonhöhenansatzes oder sogar durch Tonhöhensprünge gekennzeichnet. Wenn keine Veränderungen im Tonhöhenansatz vorhanden sind, liegt ein stark fallender oder stark steigender Akzent auf dem Operator. Dieser bewirkt dann deutliche Veränderungen in der Tonhöhe. Oft wirken diese Merkmale zusammen. Weiterhin beschleunigt der Sprecher zu Beginn der Operator-Skopus-Struktur häufig das Sprechtempo, oder er spricht lauter. Die Veränderungen von Tempo und Lautstärke wirken zusätzlich zu den anderen Mitteln. Veränderungen alleine im Tempo oder in der Lautstärke treten in unseren Daten nicht auf. Das Ende der Operator-Skopus-Struktur ist hingegen nicht immer allein prosodisch bestimmt. Wie viele Beispiele zeigen, fällt das Ende des Skopus nicht zwangsläufig mit der ersten tief fallenden Senkung zusammen, weil Sprecher häufig semantische Erweiterungen vornehmen. (b) Interne Strukturierung der Operator-Skopus-Struktur Neben der Segmentierung an den externen Grenzen der Operator-Skopus- Struktur ist ihre interne prosodische Strukturierung von Bedeutung. Durch sie erhält die Operator-Skopus-Struktur auch auf prosodischer Ebene ihre typische zweigliedrige Struktur. Wie oben erwähnt, müssen bestimmte Operatorklassen prosodisch hervorgehoben werden, damit eine Operator- Skopus-Struktur entsteht; bei anderen ist die prosodische Segmentierung ein nicht notwendiges Kriterium (vgl. Abschnitt III.1.2c). Die Ersteren sollen als obligatorisch prosodisch markiert und die Letzteren als fakultativ prosodisch markiert bezeichnet werden. Im Folgenden wird zunächst die interne Strukturierung der obligatorisch prosodisch markierten und dann die der fakultativ prosodisch markierten Operatoren analysiert. Eigenschaften gesprochener Sprache 322 (i) Obligatorische prosodische Markierung der Operator-Skopus-Struktur Hier handelt es sich um Operatoren, bei denen allein durch die Syntax oder Semantik keine auffällige Zweigliedrigkeit für den Hörer erkennbar ist. Dies gilt insbesondere für koordinierende Konjunktionen, die im Vor-Vorfeld stehen (und, denn, oder). 176 Erst durch die prosodische Hervorhebung dieser Konjunktionen wird die für die Operator-Skopus-Struktur typische Zweigliedrigkeit erzeugt. Weiterhin gehören in diese Gruppe Partikel wie also, die als Gliederungssignale verwendet werden können und nur eine Operatorfunktion erhalten, wenn sie prosodisch markiert sind. Zunächst werden zwei Konjunktionen (aber, oder) vorgestellt. (5) aber, oder 01 JK: also zu diesen gebÓten gehören zum beispiel daß man zum 02 wÉsentlichen redet- (-) <<h> Únd vor allen dingen- .h daß man 03 ÉHrlich> ist; (--)verstÄndlichkeit haben sie genannt? daß man -> 04 fÀir miteinander umgeht. (-) <<f> æ Áber; > (1,4) <<h> Óft ist es 05 für die politiker riskÁNT-> (--) Èhrlich zu sein. (---) <<h> es 06 gibt wÁhrheiten die sehr schmÉRZlich oder Únangenehm> sind für 07 ne partÉI? ich will hier (-) gar keine beispiele nÉnnen von 08 jeder partei könnten einem da ja welche ÉInfallen. (--) <<f> -> 09 æ Óder; > (--) <<h> n wÍchtiger punkt ist da muß man für die 10 politiker verstÄndnis> haben. (-) es <<h> gibt ja auch das (-) 11 <<f> klÁre wort zur Únrechten zÉit> ( GF , 4050.078, Zeile 1651 und 1656) 176 Im Gegensatz dazu sind Konjunktionen zu sehen, die auch im Mittelfeld stehen können wie beispielsweise trotzdem. Die Operator-Skopus-Struktur 323 Abb. 4: F 0 -Verlauf, aber, 4050.078, Zeile 1651 Abb. 5: F 0 -Verlauf, oder, 4050.078, Zeile 1656 In diesem Beispiel konstruiert der Sprecher zwei relativ kurz aufeinander folgende Operator-Skopus-Strukturen mit den Operatoren aber (Zeile 4) und oder (Zeile 8), die prosodisch ähnlich realisiert werden. Beide Operatoren sind durch einen Tonhöhensprung nach oben und eine Pause von der Vorgängerkonstruktion abgehoben, beide tragen einen steigenden Akzent und eine final fallende Tonhöhenbewegung. Auf den Operator folgt eine Pause, die Akzentgipfel im Skopus werden beide Male auf gleichem Tonhöhenniveau realisiert wie beim Operator. Die interne Segmentierung zwischen Ope- Eigenschaften gesprochener Sprache 324 rator und Skopus wird hier durch die Pause zwischen Operator und Skopus sowie die fallende finale Tonhöhenbewegung auf dem Operator und den Neuansatz der Tonhöhe im Skopus erzielt. Als Nächstes wird ein Beispiel mit der Partikel also vorgestellt. In dem folgenden Ausschnitt trägt der Operator also (Zeile 9) einen steigenden Akzent und weist eine gleichbleibende finale Tonhöhenbewegung auf. Nach dem Operator beginnt eine Pause, und die Akzente des Skopus liegen in der Tonhöhe über dem des Operators. (6) also 01 WH: [gÙt] 02 WK: verbindlichen glauben der kirche über[ÉIn]stimmt oder nÌcht. 03 WH: [also ] konkrÉt gefrÁgt, (---) Íhm sind ja bereits bestimmte 04 WK: [(...)] 05 WH: strÁfen- (---)ÁUferlÉgt wÓrden? er <<t> darf nich mehr> 06 prÉdigen er hat seine gemÉIndestelle verlÒrn=und- .hh der 07 hÁUptspruch (-) kÓmmt noch ob er prÍEster bleiben darf oder 08 nÍcht und da ist in gewÍsser weise auch schon- .hh eine -> 09 vÓrentscheidung getrÓffen; Álso- (--) Íst er vom glauben 10 ÁbgefÁllen; (-) jÀ oder nÈIn. (-) ( GF , 4050.254, Zeile 120) (GF, 4050.254, Zeile 120) Abb. 6: F 0 -Verlauf, also, 4050.254, Zeile 120 Die Operator-Skopus-Struktur 325 Hier sind Operator und Skopus wie im Beispiel zuvor durch eine Pause voneinander abgesetzt. Die final gleichbleibende Tonhöhe auf dem Operator signalisiert in diesem Falle jedoch deutlicher eine mögliche Fortsetzung der Äußerung. Gleichzeitig wird der Skopus durch die größere Tonhöhe der Akzente vom Operator abgesetzt. Resümierend lässt sich für die Ausdrücke, die obligatorisch prosodisch markiert werden müssen, um Operatoren zu sein, feststellen, dass die Pause zwischen Operator und Skopus in den untersuchten Beispielen immer auftritt, kombiniert mit einem steigenden oder fallendem Akzent. Das alleinige Auftreten der final fallenden Tonhöhenbewegung auf dem Operator und die Tonhöhenveränderungen zwischen Operator und Skopus reichen anscheinend nicht aus, um Ausdrücke, die obligatorisch prosodisch markiert werden müssen, hervorzuheben. Die Pause wirkt hier als deutliches Segmentierungsmerkmal. (ii) Fakultative prosodische Markierung der Operator-Skopus-Struktur In diese Gruppe fallen Operatoren, die prosodisch nicht notwendigerweise deutlich markiert sein müssen und trotzdem ihre Operatorfunktion erfüllen. Bei ihnen ist eine Verdeutlichung der Zweigliedrigkeit auf der semantischen und/ oder syntaktischen Ebene hinreichend. Die Stellung im Vor-Vorfeld ist bei diesen Operatoren so auffällig, dass sie genügt, um dem jeweiligen Ausdruck eine Operatorfunktion zu verleihen. Die Prosodie wird als zusätzliches Mittel zur Herstellung von Eindeutigkeit verwendet, d.h., die prosodische Markierung ist nicht notwendig, sie ist fakultativ. In einem ersten Schritt wird in diesem Abschnitt gezeigt, ob und wie die Segmentierung zwischen Operator und Skopus bei fakultativ prosodisch markierten Operatoren erzeugt wird. Dazu werden zunächst Beispiele aufgeführt, bei denen eine Segmentierung zwischen Operator und Skopus wahrnehmbar ist. Diese Segmentierung kann durch die unterschiedlichen Merkmale, die zu Beginn dieses Abschnittes aufgeführt wurden, hergestellt werden. Die Darstellung der Segmentierungsmöglichkeiten orientiert sich jedoch an den Tonhöhenbewegungen auf dem Operator. Bei der Tonhöhenbewegung auf dem Operator sind hier die Muster steigend-fallend, fallend, Eigenschaften gesprochener Sprache 326 steigend-gleichbleibend 177 relevant. Von diesen Tonhöhenbewegungen ausgehend wird weiterhin differenziert, ob es Unterschiede in der Tonhöhe zwischen Operator und Skopus gibt. So kann die Tonhöhe des Operators über der des Skopus liegen bzw. umgekehrt. Weiterhin wird ein Fall vorgestellt, bei dem keinerlei prosodische Segmentierung zwischen Operator und Skopus wahrnehmbar ist. In einem weiteren Schritt werden einzelne Operatoren und Operatorenklassen analysiert, um festzustellen, ob sich für diese jeweils Spezifika erkennen lassen. Segmentierungsmöglichkeiten Die drei Tonhöhenbewegungen auf dem Operator werden als Ausgangspunkt für die unterschiedlichen Muster der Segmentierung verwendet. Als Unterpunkt wird jeweils differenziert, ob die Tonhöhe des Operators über der des Skopus oder die Tonhöhe des Skopus über der des Operators liegt. Tonhöhenbewegung auf dem Operator: steigend-fallend Der Operator trägt in diesen Fällen einen steigenden Akzent und weist eine final fallende Tonhöhe auf. Durch den steigenden Akzent erreicht der Operator eine Hervorhebung gegenüber dem Skopus, da die Tonhöhe des Skopus unter der des Operators bleibt. Dieses typische Muster zeigt das Beispiel (2) sicher ( FKO / XAQ , Transkriptseite 11), das weiter oben in diesem Abschnitt schon behandelt wurde. Wie in diesem Beispiel setzt die Tonhöhe des Skopus häufig an der finalen Tonhöhe des Operators an. Der höchste Akzentgipfel der Struktur liegt somit auf dem Operator. Während in diesem sicher- Beispiel der Operator zusätzlich durch eine Pause abgesetzt wird, wird in dem folgenden Beispiel 178 die Segmentierung zwischen Operator und Skopus nur durch die stark steigende und fallende Tonhöhenbewegung auf dem Operator erzielt. Der Skopus setzt deutlich tiefer als der Akzentgipfel des Operators an und bleibt selbst auf dem stärksten Akzent des Skopus, auf Zuschauer (Zeile 5), unter dem des Operators. Als zusätzliches Segmentie- 177 Hier sind noch weitere Tonhöhenbewegungen denkbar, z.B. fallend-gleichbleibend oder fallend-steigend. 178 Vgl. auch die Analyse dieses Beispiels in Abschnitt III.2.2. Die Operator-Skopus-Struktur 327 rungsmittel wirkt hier noch eine Beschleunigung des Sprechtempos von dem letzten Element vor dem Operator akzeptieren (Zeile 4) an bis zum Ende des Operators. (7) trotzdem 1 HN: ich hätte gÉrne die sachen gezeÌgt wenn man mir das sÉlber äh 2 HN: wenn man mir das [vÓrher=äh ] 3 JB: [herr nÍtsch? ] das akzeptÍeren wir? oder Ích? 4 JB: (-) als gÁstgeber hab ich das zu <<all> akzeptiÈren; -> 5 æ trÓtzdem.> (-) unsere (--) zÚschauer wollen sich ja (-) ein 6 bÍld dÁrüber machen was sie MÁchen. .hh deswegen äh z‘ zum 7 zitÍeren? äh (-) (GF, 4050.021, Zeile 217) Abb. 7: F 0 -Verlauf, trotzdem, 4050.021, Zeile 217 Der Operator ist also durch seine zunächst stark steigende (bis ca. 0.9 sec) und dann stark fallende Tonhöhenbewegung vom Skopus abgesetzt. Eine Pause zwischen Operator und Skopus wird vom Sprecher nicht realisiert. In einigen Fällen liegt die Tonhöhe des Operators trotz steigendem Akzent unter der des Skopus. So weist auch in dem folgenden Beispiel der Opera- Eigenschaften gesprochener Sprache 328 tor 179 eine steigend-fallende Tonhöhenbewegung auf, jedoch liegt die Tonhöhe im Skopus über der des Operators. Die Tonhöhe im Skopus ist bis zur finalen Senkung höher. Der Skopus trägt stärkere und höhere Akzente als der Operator und ist durch eine Pause abgesetzt. Diese Absetzung des Operators vom Skopus durch eine Pause tritt häufig auf, wenn der Akzent des Operators niedriger liegt als der im Skopus. In diesem Ausschnitt handelt es sich um eine gefüllte Pause, da der Sprecher deutlich hörbar einatmet. (8) immerhin 1 AB: <<len> aber auf s gÁnze gesÈhen; > (--) ist ja bei den 2 gegenwärtig schrÚmpfenden gewÍnnen <<h> dÍe eben unter dem (--) 3 bermäßigen lÓhnkostendruck schrÙmpfen; > (-) ist ja die die 4 mÖglichkeit zu preissÈnkungen gar nicht gegÉbenaber -> 5 immerhÌn; .hh <<h> wir müssen uns alle Ánstrengen allmählich 6 zu stabÍleren entwÍcklungen zu æ KÓMmen; > (FKO/ XDU, Transkriptseite 17) Abb. 8: F 0 -Verlauf, immerhin, FKO / XDU , Transkriptseite 17 179 In dieser Beispielanalyse wird immerhin als Operator betrachtet. Alternativ kann auch aber immerhin als komplexer Operator verstanden werden. Vgl. hierzu die Analyse von Beispiel (19) aber immerhin. immerhin Die Operator-Skopus-Struktur 329 Tonhöhenbewegung auf dem Operator: fallend Als zweites Muster werden Operatoren mit fallender Tonhöhenbewegung vorgestellt. In diesen Fällen setzt die Tonhöhe des Operators relativ hoch an und fällt sehr stark ab. Die Tonhöhe des Skopus wiederum setzt über der des Operators an. Dieser Neuansatz liegt häufig wesentlich höher als es für einen „normalen“ Neuansatz zu erwarten wäre. Der folgende Transkriptausschnitt zeigt ein Beispiel für einen Operator mit stark fallender Tonhöhenbewegung und deutlich höherem folgenden Neuansatz des Skopus. Die Tonhöhen der Akzente im Skopus liegen über den Tonhöhen des Operators und weisen eine kontinuierlich absinkende Tonhöhe zum Ende der Einheit (des Skopus) auf. Zwischen dem Operator und dem Skopus ist eine deutliche Pause zu verzeichnen. Die Segmentierung zwischen Operator und Skopus ist in diesem Falle sehr deutlich. (9) zum beispiel 1 ED: sie ist hÉIlig Únfehlbar- .hh sie hat eine wÁhrheit die wir nÙr 2 so wEÌter sagen müssen. (----) <<h> in meinem buch klÉriker sag 3 ich es stimmt bis in die struktÚren> hinein nÌcht und kÁnn -> 4 auch nicht stÌmmen; (.) .hh æ zÙm bEÌspiel; (--) .hh <<h> æ ich 5 kenne prÍEster>, (---) die wÍEderverheiratete zÚlassen zu den 6 sakramÈnten. (-) sie d UIHQ das aber nicht sÀgen. (--) sie 7 dürfen gÁnz sicher kein bÚch darüber schreiben wie Ích (GF, 4050.254, Zeile 1052) Eigenschaften gesprochener Sprache 330 Abb. 9: F 0 -Verlauf, zum beispiel, 4050.254, Zeile 1052 Tonhöhenbewegung auf dem Operator: steigend-gleichbleibend Als drittes Muster werden Operatoren mit einer steigend-gleichbleibenden Tonhöhenbewegung beschrieben. Während bei den beiden vorhergehenden Mustern die finale Tonhöhenbewegung auf dem Operator jeweils fallend ist, und zwar teilweise sehr stark, steigt bei diesem Muster die Tonhöhe auf dem Operator zunächst an, um dann auf gleichem Niveau zu bleiben. Diese gleichbleibende finale Tonhöhe (Progredienz) wird als ein Hinweis interpretiert, der dem Hörer die Fortsetzung einer Einheit signalisieren soll. Dieses Muster wäre eigentlich häufiger bei der Operator-Skopus-Struktur zu erwarten, da es eine zusammengehörende zweigliedrige Struktur sehr gut repräsentieren kann. Jedoch ist in den Daten keine auffällige Häufung dieses Musters zu erkennen. In dem untenstehenden Transkriptbeispiel trägt der Operator einen steigenden Akzent und wird mit gleichbleibender finaler Tonhöhe realisiert. Zwischen Operator und Skopus liegt eine Pause von ca. 0.5 Sekunden. Die Tonhöhe im Skopus steigt selbst auf dem stärksten Akzent des Skopus wagen (Zeile 3) nicht über die des Operators. Vielmehr fällt die Tonhöhe vom Beginn des Operators bis zum letzten Akzent des Skopus kontinuierlich ab, was auf eine zusammengehörende Struktur deutet. Zwischen dem Operator und dem Skopus liegt eine prosodische Segmentierung, die in diesem Fall durch die Pause bewirkt wird. Die Operator-Skopus-Struktur 331 (10) bloß 1 A1: (-) äh <<all> aber dann> (--) der hÍnweis; daß jede kulÁnz 2 <<len> auch einmal ein Ènde hÁt,> (-) äh mach’ vertrÉtbar sein; -> 3 blÓß- (---) der wÁgen is ja praktisch nÁ: ch (.) sechs wÒchen- 4 A1: zur FNJHJHEHQ wÓrden- (--) 5 XM: mhm. (SG, 3005.02, Zeile 26) Abb. 10: F 0 -Verlauf, bloß, 3005.02, Zeile 26 Wie auch bei den beiden vorhergehenden Mustern kann die Tonhöhe des Skopus über der des Operators liegen. So trägt der Operator in dem folgenden Ausschnitt auf beispiel (Zeile 4) einen steigenden Akzent. Danach bleibt die Tonhöhe dann auf dem hohen Niveau. Zwischen dem Operator und dem Skopus liegt eine gefüllte Pause, der Skopus setzt auf demselben Tonhöhenniveau an wie der Operator. Zu Beginn des Skopus liegt auf klonen (Zeile 4) wiederum ein steigender Akzent, so dass die Tonhöhe des Skopus über die des Operators steigt. Eine Segmentierung zwischen dem Operator und dem Skopus entsteht hier also durch die gefüllte Pause und den höheren Akzent im Skopus. Hinzu kommt, dass der gesamte Skopus langsamer gesprochen wird als die Umgebung. Eigenschaften gesprochener Sprache 332 (11) zum beispiel 1 BS: bei Úns ist es ja mehr sO wir waren zu anfang durchenÁnderig, 2 und seit=äh- <<all> zwÁnzig fünfundzwÁnzig sendungen machen wir 3 es monothemÁtisch,> und am liebsten sind mir <<len> -> 4 NÓNsensthemen.> zum bEÍspiel- .hh <<len> wir klÓnen uns einen 5 BS: polÌtiker>. s=kamen tolle sÁchen dabei rAÙs; =Óder- 6 BR: ((lacht kurz)) 7 BS: ((publikum lacht)) (--) äh wir äh schÁffen den hÓchadel ab. (GF, 4050.196, Zeile 468) Abb. 11: F 0 -Verlauf, zum beispiel, 4050.196, Zeile 468 Auch bei diesem Transkriptausschnitt liegt also zwischen Operator und Skopus eine Pause. Anscheinend sind diese Pausen bei Operatoren mit gleichbleibender finaler Tonhöhenbewegung häufiger als bei solchen mit fallender finaler Tonhöhenbewegung. Vermutlich wird im zuerst genannten Fall die Pause als zusätzliches Segmentierungsmittel eingesetzt. In wenigen Fällen ist keinerlei prosodische Segmentierung zwischen Operator und Skopus zu erkennen. Die Operator-Skopus-Struktur 333 (12) weil 01 B1: auf- (-) auf JÉDEN FÀLL hab isch ihn- (-) äh gsÀcht 02 CC: ( ) ja. 03 B1: daß- (---) daß ich wenn ich sÓwas nochmal hÖr. (-) ja? (--) 04 irgendwie Àber; (-) in die <<acc> frÉsse schlagn> hab isch 05 B1: <<t> beschtÍmmt net gsÀcht.> ja? (-) un- (---) 06 XM: ((räuspert sich)) 07 B1: <<f,len> HÁB=ihn=dann am hÀndgelenk,>> (1,5) <<t> gehÀlte; > -> 08 ja? (-) weil Ér wollte weÌterlaufen; (-) un hÁb ihm dannhÁb 09 (.) auf ihn EÌngeschproche; ja? (--) unÈ: (1,9) nach dem 10 dialÓ: g <<p,acc> des kann ich ihne nimmer sÀge was genau die 11 worte wÀren, ne,> (-) ( SG , 3001.01, Zeile 331) Abb. 12: F 0 -Verlauf, weil, 3001.01, Zeile 331 Weder trägt der Operator weil einen Akzent, noch ist er durch sonstige Tonhöhenbewegungen, Pausen oder Veränderungen im Tempo oder der Lautstärke vom Skopus abgehoben. Der Skopus schließt direkt an den Operator an; Operator und Skopus bilden eine Intonationseinheit. Intern ist in diesem Beispiel also keinerlei Segmentierung zwischen Operator und Skopus auf der prosodischen Ebene zu erkennen. Die Struktur als ganze hebt sich jedoch von ihrer Umgebung als eine Intonationseinheit ab. Sowohl vor dem Opera- Eigenschaften gesprochener Sprache 334 tor als auch nach dem Skopus macht der Sprecher eine Pause. Operator und Skopus bilden eine einheitliche, gleichmäßig abfallende Deklinationslinie. Nach dem Skopus beginnt eine neue Einheit auf demselben Tonhöhenniveau, auf dem auch die Operator-Skopus-Struktur ansetzt. Fasst man die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammen, so ist Folgendes zu konstatieren: Da nicht immer alle prosodischen Merkmale gleichzeitig auftreten, konnte anhand der Analyse festgestellt werden, welche von ihnen alleine und welche nur in Kombination mit anderen auftreten können. Die empirische Analyse ergibt, dass Tonhöhenbewegungen am häufigsten als Mittel zur Segmentierung zwischen Operator und Skopus eingesetzt werden. Sie treten auch ohne eine folgende Pause auf, d.h., in diesen Fällen schließt der Skopus unmittelbar an den Operator an. Pausen zwischen dem Operator und dem Skopus hingegen treten in unseren Beispielen nicht ohne eine Veränderung in der Tonhöhe auf. Besonders auffällig ist das Auftreten von Pausen bei Operatoren mit steigend-gleichbleibender Tonhöhenbewegung. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Tonhöhenbewegung alleine nicht deutlich genug die Zweigliedrigkeit markiert. Tonhöhenveränderungen können entweder steigende/ fallende Akzente oder Tonhöhensprünge nach oben sein. In seltenen Fällen ist zwischen dem Operator und dem Skopus keinerlei prosodische Segmentierung zu verzeichnen. Dann wird die Gesamtstruktur jedoch durch Segmentierungen vor dem Operator und am Ende des Skopus deutlich gekennzeichnet. Gleichzeitig können Veränderungen in der Lautstärke oder im Sprechtempo auftreten. Diese haben aber nur verstärkenden Einfluss. (c) Analyse einzelner Operatoren und Operatorenklassen Im nächsten Schritt wird untersucht, ob sich für einzelne Operatoren bzw. Operatorenklassen generalisierende Aussagen machen lassen. Eine Betrachtung einzelner Operatoren lässt erkennen, dass für diese kaum Verallgemeinerungen feststellbar sind. Bei der Differenzierung nach dem Wortakzent auf dem Operator zeigen sich jedoch spezifische Realisierungsweisen. So kann man zwischen Operatoren, deren Wortakzent nicht auf der letzten Silbe liegt, und Operatoren, deren Wortakzent auf der letzten Silbe liegt bzw. die einsilbig sind, unterscheiden. Wenn der Wortakzent nicht auf Die Operator-Skopus-Struktur 335 der letzten Silbe liegt, ist häufig ein steigender Akzent und eine fallende finale Tonhöhenbewegung zu verzeichnen. Dieses Muster tritt insbesondere bei dem Operator sicher und dem Operator natürlich auf. Das folgende Beispiel zeigt den Operator sicher mit steigendem Akzent und fallender finaler Tonhöhe. 180 (13) sicher 1 W1: ob se nat UOLFK jetzt; (.) WÁs se lernen das (-) kann ich ja 2 M1: [hmhm ] da sÍnd se also n bißchen skÈp[tisch.] 3 W1: net fÉststellen.[gell? ] <<f> [ich ] 4 M1: hmhm (-) -> 5 W1: bÍn n bißchen skÈptisch.> sÍcher; da wÁr se schOn 6 wieder n bißchen .h (-) belÉIdigtjá jetzt sÁcht man dir die 7 wÀhrheit, und dann glaubst es dÓch nÌcht. ( DSK/ DCS) Abb. 13: F 0 -Verlauf, sicher, DSK / DCS Der Operator weist eine steigend-fallende Tonhöhenbewegung auf und ist durch die größere Tonhöhe vom Skopus abgesetzt. 180 Einen Beleg für den Operator natürlich bietet Beispiel (3) natürlich. Als weiteren Beleg s. das Beispiel (2) sicher. ßchen Eigenschaften gesprochener Sprache 336 Hier ist noch zu bemerken, dass die fallende finale Tonhöhenbewegung bei Operatoren wie sicher, natürlich nicht sehr stark fällt. Dies hängt mit einer semantischen Differenzierung zusammen. Eine sehr stark abfallende Tonhöhenbewegung wird realisiert, wenn die Lexeme als Responsive verwendet werden. Die tief fallende Tonhöhenbewegung signalisiert somit das Ende der Einheit, während die leicht fallende Tonhöhenbewegung auf dem Operator eine Fortsetzung andeutet. Im Gegensatz zu diesen Operatoren, bei denen der Wortakzent nicht auf der letzten Silbe liegt, zeigt sich bei Operatoren mit einem Wortakzent auf der letzten Silbe ein anderes Muster. Wenn der Akzent auf der letzten Silbe liegt bzw. der Operator einsilbig ist, lässt sich sehr häufig ein steigender Akzent und damit eine steigende finale Tonhöhenbewegung feststellen. Dies ist insbesondere bei den Operatoren immerhin (vgl. Beispiel (8)) und gewiss zu beobachten. Auch bei den Operatoren nur und bloß (vgl. Beispiel (10)) wird diese Tonhöhenbewegung auf dem Operator häufig realisiert. In dem folgenden Beispiel wird der Operator gewiss mit steigender Tonhöhenbewegung geäußert. (14) gewiss 01 M1: wiederhÓlungen, die zÉIgen, (-) wÍE die verschiedenen 02 Ábschnitte, (-) und die verschÍEdenen aspÉkte mÍteinander 03 verbÚnden sind. (---) daß es sich hÍEr um eine, (---) gÚte -> 04 konklusiÓn handelt. (2.0) Áber- (2.5) <<p> äh> geWÍSS, (1.0) 05 <<t> man man kÁnn> SÀGEN; (--) äh das ÉIne oder Àndere (-) 06 hätte vielleicht äh (.) SCHÄRfer (-) äh vÓneinander Ábgegrenzt 07 werden und (.) und nÒch (-) präZÍSER (-) formulÍErt werden 08 kÖnnen, (1.2) aber dies Àlles (-) äh ist ja doch bei der 09 erÖrterung einer (.) sÓlchen sÀche nun wÍrklich nicht das 10 entschEÌdende. (FKO/ XAK, Transkriptseite 5) Die Operator-Skopus-Struktur 337 Abb. 14: F 0 -Verlauf, gewiss, FKO / XAK , Transkriptseite 5 Für alle anderen Operatoren mit fakultativer prosodischer Markierung lassen sich auf wortstruktureller Ebene kaum spezifische Aussagen machen, zum einen, weil die Belegdichte zu gering ist, und zum anderen, weil sich kein homogenes Verhalten abzeichnet. Betrachtet man jedoch die Art der Verstehensanweisungen, die die Operatoren geben, so gibt es möglicherweise Übereinstimmungen zwischen bestimmten Operatorklassen und prosodischen Merkmalen. Im Abschnitt III.2.1 wurde eine Klassifikation der Verstehensanweisungen vorgestellt. Im Folgenden sollen die dort unterschiedenen Klassen auf prosodische Regelmäßigkeiten hin analysiert werden. Die größte Gruppe in dieser Klassifikation bilden Operatoren, die Beziehungen zwischen der Äußerung im Skopus und anderen Äußerungen im Diskurs verdeutlichen. Diese Beziehungen können weiter dahingehend differenziert werden, ob sie eher formaler oder eher inhaltlicher Art sind. Betrachtet man Operatoren, die eine Relation inhaltlicher Art herstellen (beispielsweise andererseits, vorweg), zeigen sich Regelmäßigkeiten: Auf Operatoren, die eine Zusammenfassung des vorhergehenden Inhalts ankündigen (kurz und gut, mit einem Wort), folgt ein Skopus, der in der Tonhöhe tiefer liegt als die Tonhöhe des Operators. Die Regelmäßigkeit bezieht sich hier also nicht auf die Art der Tonhöhenbewegung auf dem Operator oder auf eine Pause zwischen Operator und Skopus, sondern auf das Verhältnis der Tonhöhen von Operator und Skopus. Eigenschaften gesprochener Sprache 338 (15) kurz und gut 1 WH: eine art <<t,len> aÌrbag; > (-) <<all> sonst hätten wir nämlich 2 ne harte> lÀndung gekriegt. die italÍener konnten Àbwerten 3 haben dadurch den stÁAtsbankrott vermiÈden; .hh frÁnkreichs 4 (--)strEIk (-) hat nur den frÁnc lädiÈrt- (.) noch nÍcht das -> 5 Eúrogeld; .hh <<h> kÚrz und gÙt; (-) wir kÖnnen uns das> (--) 6 Àbenteuer (.) nicht lÉIsten und herr (.) bÓbe hat rÈcht; wir 7 haben (-) <<h> von f QI]LJ jahren d mark drEÍßig gebraucht um 8 stabÌl> zu werden; (GF, 4050.241, Zeile 203) Abb. 15: F 0 -Verlauf, kurz und gut, 4050.241, Zeile 203 Auch bei den Operatoren, die formale Relationen zwischen dem Skopus und anderen Äußerungen herstellen (wie gesagt, außerdem, erstens) lassen sich bestimmte Regelmäßigkeiten erkennen. Besonders die Operatoren, die eine Relation im Sinne einer Reihung herstellen (erstens, zweitens) weisen ähnliche prosodische Merkmale auf. In dem folgenden Beispiel listet der Sprecher Fragen in Form einer Reihung mit erstens, zweitens, drittens, viertens und letztens auf. Die Operatoren tragen jeweils einen fallenden Akzent, final fallende Tonhöhenbewegung, und die Tonhöhe des Operators liegt unter der des Skopus, nur bei drittens darüber. Die Operator-Skopus-Struktur 339 (16) erstens, zweitens, drittens, viertens 01 WH: wÁckeren=äh (-) nÁchbarin doch widersprÈchen muß. (1,4) in 02 wÍrklich wÍchtigen; (--) positíonen und fÚnktiÒnen; (----) sind 03 frÁUen (1,3) nÁch wie vÒr- (--) ganz rare rÌngeltäubchen. .hhh 04 und nÚn- (-) ein paar frÀgen an- (2) die jungsozialistische- -> 05 (-) vorsitzende aus brÈmen. (-) <<t> Èrstens.> (2,5) sÍnd. sie 06 das gewÒrden was sie sÍnd (-) wÉI: L <<h> sie eine frau sÌnd.> -> 07 (-) oder obWÒHL <<t> sie eine frau sÌnd.> .hhh zweÌtens. .hh 08 wÁs halten siÈ- von dem von der s p dÉ in=s lÈben gerufenen 09 quÓtenregelung? .hh ((unidentifizierbares Geräusch)) -> 10 drÌttens; hÀben sie- <<all> was grade jÚnge menschen dÒch> (-) 11 im Állgemeinen (-) hÁben? .hh ein idÒl. (---) ein vorbÍld? .hh 12 JB: [ich dÉnke dabei auch an -> 13 WH: viÉrtens und lÈtztens; (--) 14 SM: ((lacht)) [ich mach=s ganz kurz 15 JB: sIÈ.] nein nein Àlso (-) bÍtte. 16 WH: ] jà aber herr kollÉge wir 17 WH: können=s ja Ánders mÀchen. (GF, 4050.021, Zeile 538ff.) Abb. 16: F 0 -Verlauf, erstens, zweitens, drittens, 4050.021, Zeile 538ff. 181 181 Viertens und letztens wird in der Grafik nicht mit abgebildet, weil es sich apparativ nicht darstellen ließ. Eigenschaften gesprochener Sprache 340 Weiterhin wurden in III.2.1 Operatoren unterschieden, deren Verstehensanweisung sich auf die Handlungsqualität im Skopus bezieht. Darunter fällt beispielsweise der Operator weil, der ankündigt, dass im Skopus eine Begründung folgt. Zu dieser Klasse gehören ferner auch die schon oben angeführten Operatoren gewiss (Beispiel (14)), sicher (Beispiel (2)), natürlich (Beispiel (3)), immerhin (Beispiel (8)), bloß (Beispiel (10)) und trotzdem (Beispiel (7)). Auf diese Beispiele soll hier nur verwiesen werden. Diese Operatoren sind sehr häufig durch eine Pause vom Skopus abgesetzt und tragen einen steigenden Akzent. Wesentlich ist, dass ihre Tonhöhe über der des Skopus liegt. Zusammenfassend lässt sich für die fakultativ prosodisch markierten Operatoren sagen, dass sie auf unterschiedliche Weise vom Skopus abgehoben werden und dass sich nur für einige Operatoren auf der wortstrukturellen Ebene spezielle prosodische Eigenschaften erkennen lassen (sicher, gewiss, immerhin usw.). Zur Segmentierung von Operator und Skopus werden Akzente und Tonhöhenbewegungen verwendet. Pausen treten häufig bei Operatoren mit finaler gleichbleibender Tonhöhenbewegung auf, bei fallender finaler Tonhöhenbewegung sind sie eher selten. Weiterhin spielt hier der Kontext der Operator-Skopus-Struktur eine Rolle: Der Sprecher kann entweder eher den Operator oder eher den Skopus prosodisch hervorheben, was zum einen von der Art des Operators und zum anderen vom Kontext abhängig ist. Entweder ist es dem Sprecher wichtiger, den Beginn der Operator- Skopus-Struktur zu markieren, oder er legt das Gewicht auf den Inhalt des Skopus. Prosodisch bedeutet dies, dass der Sprecher in dem einen Fall den Operator, insbesondere durch Tonhöhe, und in dem anderen Fall den Skopus hervorhebt. Dies bewirkt, dass bei den drei aufgeführten Tonhöhenmustern (steigend-fallend, fallend-gleichbleibend, steigend-gleichbleibend) einmal der Operator die größere Tonhöhe aufweist und einmal der Skopus. 2.4.3 Stellungseigenschaften und prosodische Markierung Im Abschnitt III.2.2 wurden die unterschiedlichen Stellungsmöglichkeiten des Operators behandelt. Ein Operator kann neben der Voranstellung auch in den Skopus insertiert oder nachgestellt sein. Hier soll nur knapp auf diese Stellungsvarianten und ihre prosodischen Eigenschaften eingegangen werden. Ein insertiertes sprachliches Element ist nur dann Operator, wenn es Die Operator-Skopus-Struktur 341 prosodisch von seiner Umgebung abgehoben wird. So erhält in dem folgenden Beispiel das insertierte Element wie gesacht Operatorstatus, indem es vorher und nachher durch eine Pause abgesetzt wird und einen Akzent trägt. (17) wie gesacht 01 B: [die stunden? ] [die stunden hat er bis 02 C: [und die frau leopold] die sagt [zweihundertvierunddreißig 03 B: ]ende des jahres so eingeteilt wie er wollte ç (-) 04 C: stunden ç ] 05 B: er is fortgegangen nischt wahr- (-) und is gekommen- 06 C: <<p> mhm.> 07 B: (-) wie=s ihm grad beliebte- und wir haben auch da (-) 08 C: <<p> mhm.> -> 09 B: zu keine stÉllung genommen; (-) .hh wÉIl (-) wie gesÁcht (-) 10 des verhÄltnis ja äh sehr äh sach=mer mal- (--) äh- (--) nichts 11 besonderes war nicht? (-) <<p> wir haben gsagt bitte hier sie 12 können da lesen und hier is des und so weiter> (SG, 3003.99a, S. 4, Zeile 3) Abb. 17: F 0 -Verlauf, wie gesacht, 3003.99a, S. 4, Zeile 3 Eigenschaften gesprochener Sprache 342 Die prosodische Selbstständigkeit wird dadurch erreicht, dass der Operator eine eigene Intonationseinheit bildet. Nachgestellte Operatoren finden sich in unserem Material, abgesehen von den häufig auftretenden question tags wie ne, nicht wahr, ne, oder oder weißte, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, in Form von strukturierenden Äußerungen wie zum einen, das vorweg, das ganz kurz. Wie in dem folgenden Beispiel sind sie vom vorausgehenden Skopus abgesetzt. Der Skopus hat in diesen Fällen eine sinkende finale Tonhöhenbewegung. Diese sinkende finale Tonhöhenbewegung vor dem Operator entspricht den allgemeinen Beobachtungen, die für die question tags gemacht wurden. Auch vor diesen sinkt die Tonhöhe deutlich ab. (18) das vorweg 1 SM: <<all> in gewÍsser weÌse ist das nat UOLFK QH 2 männerangelegenheit weil das> kÉnnen=wer von den hÉrrn der 3 schöpfung; daß sie .h besonders lÁng und ausF KUOLFK K -> 4 sich erst mal (-) <<len> zu wÓrt mÈlden m VVHQ ! lK GDV 5 vorwÈg; Àber; äh ich <<all> mÖcht jetzt auch noch was zu dÉm> 6 h zu dem Úmgang mit herrn nÌtsch sÀgen; (GF, 4050.021, Zeile 844) Abb. 18: F 0 -Verlauf, das vorweg, 4050.021, Zeile 844 Die Operator-Skopus-Struktur 343 Hier wird vor dem Operator eine Tonhöhensenkung, eine kurze Pause und eine gefüllte Pause (äh) realisiert; der Operator trägt einen leicht fallenden Akzent und hat eine leicht sinkende finale Tonhöhenbewegung. Dann setzt die Sprecherin nach einem unbetonten Vorlauf (aber äh) mit erhöhtem Sprechtempo und mit höherer Frequenz ein. 2.4.4 Weitere Besonderheiten In unserem Datenmaterial treten Fälle auf, in denen zwei potenzielle Operatoren hintereinander geschaltet werden. Diese potenziellen Operatoren können jeweils für sich eigenständige Operatoren sein oder eher eine Einheit bilden und somit zu einem komplexen Operator werden. Komplexe Operatoren sind meist Kombinationen von Konjunktoren plus Operator oder Responsive plus Operator. Insbesondere treten Kombinationen mit aber auf (z.B. aber immerhin). Die Unterscheidung, ob zwei potenzielle Operatoren selbstständig sind oder einen komplexen Operator bilden, zeigt sich primär auf der prosodischen Ebene. In dem unten stehenden Beispiel 182 bildet aber immerhin einen komplexen Operator, wobei aber unakzentuiert ist und mit tieferer, gleichbleibender Tonhöhe realisiert wird als immerhin, das einen Akzent trägt. Zudem wird aber immerhin nach vorne und hinten durch eine Pause abgesetzt, was zusätzlich für eine Einheitenbildung spricht. (19) aber immerhin 1 AB: <<len> aber auf s gÁnze gesÈhen; > (--) ist ja bei den 2 gegenwärtig schrÚmpfenden gewÍnnen <<h> dÍe eben unter dem (--) 3 bermäßigen lÓhnkostendruck schrÙmpfen; > (-) ist ja die die -> 4 mÖglichkeit zu preissÈnkungen gar nicht gegÉbenaber 5 immerh æ Ìn; .hh <<h> wir müssen uns alle Ánstrengen allmählich 6 zu stabÍleren entwÍcklungen zu æ KÓMmen; > und ich hÓffe wir 7 helfen uns dabei gÈgenseitig. (FKO/ XDU, Transkriptseite 17) 182 Vgl. auch oben Beispiel (8) immerhin. Eigenschaften gesprochener Sprache 344 Abb. 19: F 0 -Verlauf, aber immerhin, FKO / XDU , Transkriptseite 17 Im Kontrast dazu werden hintereinander stehende Operatoren, die jeder für sich selbstständig wirken, auch in selbstständigen, voneinander abgehobenen prosodischen Einheiten realisiert. In dem folgenden Beispiel denn erstens hebt sich denn von der Vorgängereinheit durch eine kurze Pause und einen Tonhöhensprung ab. Auf denn liegt ein fallender Akzent. Mit dem Operator wird der Sprecher lauter und höher in der Tonlage. Erstens setzt in der Tonhöhe auf dem Niveau von denn an, trägt aber einen steigenden Akzent. Zwischen denn und erstens liegt wiederum eine kurze Pause. Durch die entgegengesetzte Akzentführung und die kurze Pause zwischen den beiden Operatoren werden diese deutlich voneinander abgehoben. (20) denn erstens 01 HH: also wir wollen nat UOLFK HLQH JHQÈXVR VWDELOH ZlKUXQJ 02 HH: behalten [wie wir] die zur zeit mit dem (-) dÉmark hÀben; (-) 03 JB: [wOllen.] 04 HH: und wir <<f> wÉrden> <<p> das so bekommen aùch>. (-) <<f,h> -> 05 dÉnn; (-) Érstens; (f)> (--) herr bÖhme- (--) ihr 06 Éingangsstatement (h)> (-)mit dem (-) monÓpolygeld oder noch 07 EB: j: á 08 HH: schlimmer mit dem es’ esperÁntogelddas ist natürlich d’ 09 HH: (-) <<h> totÁl falsche Aùsdruck> dafür. (GF, 4050.241, Zeile 96) Die Operator-Skopus-Struktur 345 Abb. 20: F 0 -Verlauf, denn erstens, 4050.241, Zeile 96 Eine weitere Besonderheit betrifft die prosodische Segmentierung zwischen Operator und Skopus. Es hat sich gezeigt, dass die prosodische Segmentierung nicht immer genau zwischen Operator und Skopus erfolgt, sondern dass der Sprecher sie auch in den Skopus hineinverlegen kann. (21) ich glaube 1 NN: ich stimme (-) bischoff (-) äh (-) kásper zu daß das <<all> 2 théma nicht zentral is aber ich würde gerne eine etwas 3 grundsätzlichere frÁge> an herrn drEwermann stellen? (-) .hh -> 4 wenn ich mich recht erÍnnere ich zitiere jetzt frÈI ich glaub 5 im (-) vorwort zum zweiten band ihrer (.) strukturen des bösen? 6 schreiben sie es gibt kein bÈssres zeugnis für die christlichen 7 dogmen- .hh als die feststellung daß- (-) diese (-) 8 christlichen lehren (-) in der (-)ps -FKH GHV PHQVFKHQ LQ 9 bildern angelegt sind. (-) und vorbereitet sind. (GF, 4050.254, Zeile 542) Eigenschaften gesprochener Sprache 346 Abb. 21: F 0 -Verlauf, ich glaube, 4050.254, Zeile 542 2.4.5 Zusammenfassung Generell lässt sich sagen, dass die prosodische Hervorhebung des Operators zwei Funktionen hat: Zum einen dient sie dazu, die Operator-Skopus- Struktur als solche erst herzustellen (bei prosodisch obligatorisch markierten Operatoren), und zum anderen bekommt die Operator-Skopus-Struktur durch diese prosodische Hervorhebung ein zusätzliches kommunikatives Gewicht (bei prosodisch fakultativ markierten Operatoren). Die Prosodie wird in dem Moment obligatorisch, wenn Syntax und Semantik nicht mehr ausreichen, um diese Struktur eindeutig herzustellen und erkennbar zu machen. Andererseits bewirkt eine prosodische Hervorhebung bei den Operatoren, für die die prosodische Markierung fakultativ ist, dass die projektive Kraft des Operators verstärkt wird. Mit der prosodischen Hervorhebung des Operators hält der Sprecher sozusagen ein „Achtung-Schild“ hoch, das dem Hörer signalisiert, dass im Folgenden eine Begründung, Einräumung usw. geäußert wird. Der Sprecher hat die Möglichkeit, den Operator durch eine prosodische Hervorhebung stärker zu gewichten, ihm zusätzliche Kraft zu verleihen. Die Operator-Skopus-Struktur 347 Wir haben zunächst die Operator-Skopus-Struktur auf ihre externen Grenzen hin analysiert, also die Segmentierung vor dem Operator und am Ende des Skopus. Hier zeigte sich, dass der Beginn der Operator-Skopus-Struktur deutlich gekennzeichnet ist. Dies ist nicht überraschend, da mit dem Operator eine neue Einheit beginnt und diese natürlich gegenüber der vorhergehenden Einheit abgesetzt werden muss. Das Ende der Vorgängereinheit wird deutlich signalisiert (stark fallende oder stark steigende Intonationsbewegungen, folgende Pause) und der Beginn der Operator-Skopus-Struktur durch einen neuen Tonhöhenansatz oder einen Tonhöhensprung markiert. Auch Veränderungen im Sprechtempo (schneller) oder in der Lautstärke (lauter) können am Beginn der Operator-Skopus-Struktur auftreten. Das Ende des Skopus wird hingegen prosodisch nicht so eindeutig gekennzeichnet: Es kann mit einer ersten finalen Senkung einhergehen, wobei die Tonhöhe im Skopus kontinuierlich abfällt. Es kommt jedoch auch vor, dass das Ende des Skopus nicht mit der ersten Senkung zusammentrifft. Das Ende des Skopus wird in diesem Fall semantisch bestimmt und kann durch die Prosodie unterstützt werden. Weiterhin wurde die Operator-Skopus-Struktur auf ihre interne Strukturierung hin untersucht. Hierbei wurde zwischen Äußerungen unterschieden, die erst durch eine prosodische Markierung zu Operator-Skopus-Strukturen werden (obligatorische prosodische Markierung) und Äußerungen, die nicht notwendigerweise prosodisch markiert werden müssen (fakultative prosodische Markierung). Bei den obligatorisch markierten wird im Wesentlichen die Pause als Segmentierungsmittel verwendet, weiterhin Tonhöhenveränderungen (auf dem Akzent) und Tonhöhensprünge. Bei den fakultativen wird die Pause wesentlich seltener eingesetzt. Hier sind es in erster Linie die Tonhöhenveränderungen, die eine Segmentierung bewirken. Bei den fakultativen wurde ferner nach spezifischen Eigenschaften einzelner Operatoren oder Operatorklassen gesucht. Die Unterscheidung zwischen Operatoren, deren Akzent auf der ersten Silbe liegt, und Operatoren, deren Akzent auf der letzten Silbe liegt bzw. die einsilbig sind, zeigt, dass Erstere eine steigendfallende Intonation aufweisen und Letztere eine steigende. Sonderfälle der Operator-Skopus-Struktur liegen vor, wenn zwei potenzielle Operatoren hintereinander auftreten. Ob es sich dann um zwei selbstständige Operatoren oder einen komplexen Operator handelt, ist anhand der prosodischen Realisierung zu unterscheiden. Eigenschaften gesprochener Sprache 348 Betrachtet man die prosodischen Merkmale, die zur Segmentierung verwendet werden können (vgl. die Liste am Beginn dieses Abschnitts), lässt sich zusammenfassend Folgendes konstatieren: − Pausen werden bei den obligatorisch prosodisch markierten Operatoren immer eingesetzt; bei den fakultativen treten sie dann auf, wenn die finale Tonhöhe des Operators progredient ist. − Tonhöhenansätze und Tonhöhensprünge sind wesentliche Mittel zur prosodischen Markierung sowohl bei obligatorisch als auch bei fakultativ prosodisch markierten Operatoren. Hierdurch werden Kontinuität und Integration bzw. Diskontinuität und Brüche markiert. − Ebenso wird durch die Akzentbewegungen und die finalen Tonhöhenverläufe eine Segmentierung vorgenommen Diese Merkmale wirken häufig zusammen, können aber auch alleine auftreten und eine wahrnehmbare Segmentierung bewirken. Veränderungen im Sprechtempo und der Lautstärke hingegen wirken zusätzlich verstärkend und treten alleine nicht zur Segmentierung der Operator-Skopus-Struktur auf. Die prosodische Analyse zeigt, dass der Operator durch unterschiedliche prosodische Merkmale vom Skopus abgesetzt werden kann. Was die Hierarchisierung dieser Mittel angeht, so heben die Tonhöhenbewegung des Akzentes auf dem Operator und die finale Tonhöhenbewegung diesen am deutlichsten als Teil der Operator-Skopus-Struktur hervor. Veränderungen im Tonhöhenansatz und Tonhöhensprünge lassen ebenfalls eine deutliche Segmentierung wahrnehmen. Auch die Pause vor und nach dem Operator sowie zusätzlich Veränderungen im Tempo oder in der Lautstärke tragen dazu bei, den Operator als konstituierendes Element der Operator-Skopus-Struktur kenntlich zu machen. Mit der Frage der Hierarchisierung stellt sich zugleich auch das Problem der Clusterbildung einzelner Merkmale. Die Tonhöhenbewegungen sind meist auf verschiedenen Ebenen angelegt, die als Cluster auftreten (Akzent, Tonhöhensprung, finale Tonhöhenbewegungen). Sie wirken sehr häufig mit den Pausen zusammen. Bei den zusätzlichen Mitteln wie Tempo und Lautstärke lässt sich eine Kombination von lauter und schneller feststellen. Die Operator-Skopus-Struktur 349 An diesen unterschiedlichen prosodischen Realisierungsmöglichkeiten wird ein allgemeines Problem deutlich, das bei der Erforschung von prosodischen Phänomenen und ihrer kontextuellen Bedeutung auftritt: Zum einen ist es keine notwendige Bedingung, dass Äußerungen prosodisch markiert werden müssen, damit sie auf eine bestimmte Weise verstanden werden - vorausgesetzt, es liegt lexikalische, semantische und syntaktische Eindeutigkeit vor. Zum anderen können unterschiedliche Phänomene auf gleiche Weise prosodisch markiert werden (vgl. Couper-Kuhlen 1983). Es ist aber anzunehmen, dass vor allem dann auch prosodisch markiert wird, wenn durch die syntaktische und/ oder semantische Strukturierung keine Eindeutigkeit entsteht. Prosodie ist eine Ressource unter anderen, die zur Bedeutungskonstitution beitragen kann. Dem Sprecher stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um Eindeutigkeit herzustellen. 3. Analyse des Transkripts „Gegen Gotteslohn“ Nachdem die Operator-Skopus-Struktur in den vorausgegangenen Abschnitten systematisch in ihren Eigenschaften und Leistungen vorgestellt worden ist, folgen in diesem und dem nächsten Abschnitt empirische Analysen zum Vorkommen von Operator-Skopus-Strukturen. Während in diesem Abschnitt ein vollständiges Transkript und die zugehörige Aufnahme einer Schlichtungsverhandlung auf alle in ihnen vorkommenden Operator-Skopus- Strukturen hin untersucht werden (Volltranskriptanalyse), enthält der nächste Abschnitt empirische Analysen zu zwei ausgewählten Operatorklassen. Die vorgestellte Volltranskriptanalyse stand am Anfang des Arbeitsprozesses der Projektgruppe. Sie diente der empirischen Erprobung des Konzeptes der Operator-Skopus-Strukturen. In einer längeren zusammenhängenden Interaktion sollten alle Vorkommen von Operator-Skopus-Strukturen identifiziert werden. Zunächst kennzeichneten alle Gruppenmitglieder unabhängig voneinander im Transkript Strukturen, die ihrem Vorverständnis nach Operator- Skopus-Strukturen sein konnten. In den folgenden gemeinsamen Diskussionen wurden sie der Reihe nach daraufhin überprüft, ob sie den intuitiven Vorstellungen über Operator-Skopus-Strukturen und einigen vorläufig formulierten Bedingungen entsprachen. In vielen Fällen bestand Konsens, in anderen nicht. Zu einer weiteren Klärung wurde deshalb die Tonaufzeichnung herangezogen. Dabei stellte sich heraus, dass die Berücksichtung der Eigenschaften gesprochener Sprache 350 Aufnahme, also das Einbeziehen prosodischer Merkmale, unerlässlich ist: Einige der im Transkript identifizierten Operator-Skopus-Strukturen erwiesen sich dem Höreindruck nach nicht als solche und umgekehrt. Dieser extensive Analyseprozess führte also einerseits zu Standards für die Analysepraxis und andererseits zu einer Operationalisierung und Präzisierung der Kategorie Operator-Skopus-Struktur, insbesondere in Hinblick auf ihre Bestimmungsmerkmale (vgl. Abschnitt III.1.2), sowie einer höheren intersubjektiven Übereinstimmung bei der Beurteilung von Strukturen. Im Folgenden werden alle Konstruktionen, die im gemeinsamen Arbeitsprozess ausführlicher diskutiert wurden, in der Reihenfolge ihres Vorkommens im Transkript vorgestellt und analysiert, auch solche, bei denen schließlich festgestellt wurde, dass es sich nicht um Operator-Skopus-Strukturen handelt, oder die aus arbeitsökonomischen Gründen aus der weiteren Analyse ausgeschlossen wurden. Besonders die Diskussion der nicht eindeutigen Fälle soll die Argumente verdeutlichen, die für oder gegen eine Klassifikation als Operator-Skopus-Struktur sprechen. Die diskutierten Strukturen werden vier Kategorien zugeordnet: Kategorie 1: Fälle, die eindeutig als Operator-Skopus-Struktur klassifiziert werden können. Kategorie 2: Fälle, die eindeutig als Operator-Skopus-Struktur klassifiziert werden können, aber zu Gruppen gehören, die aus forschungspraktischen Gründen im weiteren Verlauf der Arbeit nicht systematisch bearbeitet wurden. Hierzu zählen beispielsweise nachgestellte oder insertierte Operatoren. Kategorie 3: Problematische Fälle: Strukturen, die Aspekte einer Operator-Skopus-Struktur besitzen, aber auch andere Eigenschaften aufweisen bzw. deutlich andere Funktionen erfüllen - z.B. Fälle, bei denen die Äußerung im Skopus nicht vollständig ist oder die Reichweite des Skopus unterschiedlich festgelegt werden kann. Häufig sind dies Fälle, bei denen keine intersubjektive Übereinstimmung bei der Kategorisierung besteht. Kategorie 4: Fälle, die diskutiert, aber eindeutig nicht als Operator-Skopus-Struktur klassifiziert wurden. Die Operator-Skopus-Struktur 351 Nach der Diskussion der einzelnen Vorkommen wird darauf eingegangen, welche Klassen von Operatoren in diesem Gespräch verwendet werden (vgl. Abschnitt III.2.1), mit welcher Häufigkeit sie vorkommen und welchen Einfluss der Gesprächstyp auf die Verwendung von Operator-Skopus-Strukturen hat. Das bearbeitete Transkript und die zugehörige Aufnahme stammen aus dem Korpus B1.6 Schlichtungs- und Gerichtsverhandlungen, das zu den Beständen des Deutschen Spracharchivs am IDS gehört. 183 Einige Transkripte aus diesem Korpus, unter anderem das hier behandelte „Gegen Gotteslohn“ (3003.99a), sind in Schröder (1997) veröffentlicht. Trotzdem geben wir dieses Transkript im Anhang 2 noch einmal vollständig wieder, damit der Leser leichter nachvollziehen kann, in welchem Zusammenhang die Operator- Skopus-Strukturen jeweils verwendet werden. Grund für die Auswahl dieses Gesprächs war eine angemessene Länge (39 Minuten, 30 Transkriptseiten) und die Verfügbarkeit einer verlässlichen Transkription. 184 Das Transkript „Gegen Gotteslohn“ und die zugehörige Aufnahme dokumentieren eine Schlichtungsverhandlung, die am Arbeitsgericht einer süddeutschen Großstadt stattgefunden hat. Anwesend sind vier Personen: das klagende Studierendenpaar (A1 - Anna Leopold, A2 - Gero Abel), der Beklagte (B - Herr May) und der Arbeitsrichter bzw. Schlichter (C - Herr Bergdorf). 185 Alle Personen sprechen leicht regional eingefärbte Umgangssprache. Das Studierendenpaar klagt gegen den Reformhausbesitzer Herrn May, weil es sich von ihm getäuscht fühlt. Die beiden hatten in der Hoffnung, langfristig das Reformhaus von Herrn May übernehmen zu können, und weil Herr May ihnen die Übernahme von Ausbildungskosten zugesagt hatte, unentgeltlich Aushilfsarbeiten im Reformhaus geleistet. Nachdem ihnen von Herrn May fristlos gekündigt wurde, fordern sie nun Lohn und Ausbildungskosten ein. Herr May hingegen streitet entsprechende Absprachen und Zusagen ab und sieht sich menschlich schwer enttäuscht. 183 Zu den Korpora gesprochener Sprache, die das Deutsche Spracharchiv besitzt, vgl. Dickgießer (1998). 184 Die Verschriftlichung folgt den Transkriptionsrichtlinien des Instituts für Deutsche Sprache für die Eingabe in DIDA . Sie sind im Einzelnen im Anhang 3 dargestellt. 185 Alle Namen wurden geändert. Eigenschaften gesprochener Sprache 352 3.1 Diskutierte Strukturen Die im Folgenden aufgeführten Seiten- und Zeilenangaben stimmen mit denen des Transkripts im Anhang überein. Fälle, die eindeutig als Operatoren klassifiziert werden können [Kategorie 1]: wie gesacht: S. 2, Zeile 28 sagen sie: S. 3, Zeile 11 also: S. 3, Zeile 26; S. 7, Zeile 26; S. 10, Zeile 30; S. 24, Zeile 4 weil: S. 5, Zeile 20 und: S. 6, Zeile 20 sondern: S. 15, Zeile 18 sondern: S. 15, Zeile 23 hörn sie: S. 17, Zeile 14 ja ich mein: S. 19, Zeile 11 das heißt: S. 19, Zeile 31 dazu folgendes: S. 22, Zeile 35 zweitens: S. 27, Zeile 32 viertens: S. 28, Zeile 6 übrigens: S. 28, Zeile 19 Fälle, die als Operatoren klassifiziert werden können, aber aus forschungspraktischen Gründen nicht berücksichtigt werden [Kategorie 2]: Insertierte Operatoren: wie gesacht: S. 4, Zeile 3 hörn sie mal: S. 21, Zeile 27 Nachgestellte Operatoren (es werden nur einige beispielhaft aufgeführt): ne: S. 1, Zeile 6; S. 2, Zeile 20; S. 4, Zeile 21; S. 5, Zeile 26; S. 20, Zeile 17 nich: S. 11, Zeile 1; S. 12, Zeile 3; S. 19, Zeile 18 net wahr: S. 1, Zeile 31 nicht: S. 3, Zeile 3; S. 4, Zeile 4 Die Operator-Skopus-Struktur 353 nicht wahr: S. 2, Zeile 27; S. 3, Zeile 5, 16, 22 nischt wahr: S. 3, Zeile 18; S. 3 Zeile 34; S. 4, Zeile 7, 9 absolut nicht: S. 2, Zeile 21 Problemfälle [Kategorie 3]: also: S. 7, Zeile 12 also wissen sie: S. 8, Zeile 24 ach hören sie: S. 18, Zeile 11 denn: S. 19, Zeile 14 ich meine: S. 19, Zeile 23 und zum beispiel: S. 21, Zeile 5 gut also: S. 29, Zeile 26 Diskutierte Fälle, die keine Operatoren im hier definierten Sinn sind [Kategorie 4]: dazu is zu sagen: S. 1, Zeile 3 versteh ich sie richtig: S. 2, Zeile 4 ganz konkret zu werden: S. 3, Zeile 26 sach=mer mal: S. 4, Zeile 4 bloß: S. 30, Zeile 8 passen sie auf: S. 10, Zeile 30 klar: S. 27, Zeile 16 3.2 Analyse der Operator-Skopus-Strukturen Im Folgenden werden die oben aufgeführten Transkriptstellen in der Reihenfolge ihres Auftretens dargestellt. Da nachgestellte Operatoren (beispielsweise ne, nicht wahr, nicht) sehr häufig Verwendung finden, werden sie nur bei ihrem ersten Auftreten diskutiert. Von einer vollständigen Auflistung dieser Operatoren wird hier abgesehen. Wenn die besprochenen Stellen dicht aufeinander folgen, werden sie in einem Transkriptausschnitt zusammengefasst. Im Text wird explizit auf die Bestimmungsmerkmale der Operator- Skopus-Struktur Bezug genommen, die in III.1.2 ausführlich vorgestellt wurden. Eigenschaften gesprochener Sprache 354 dazu is zu sagen: S. 1, Zeile 3 ne: S. 1, Zeile 6 Zu Beginn der Verhandlung ruft der Schlichter die Beteiligten herein und fordert zunächst den Beklagten auf, zu der Klage Stellung zu nehmen. 01 C leopold gegen may æ * und abel gegen may ç #*11*# K DIE BETEILIGTEN NEHMEN C ja ç * herr may was sagen se zu der kla: ge die klägerin sagt K IHRE PLÄTZE EIN -> B dazu is zu sagen- ** daß ähm- C sie hätt noch geld zu kriegen ç ** 05 B ** der kläger- -> C #äh wir reden nur über de frau leopold jetz ne æ # K UNDEUTLICH GESPROCHEN B RÄUSPERT SICH >bitte æ < C <wir reden über die frau leopold jetzt ç > dazu is zu sagen [Kategorie 4]: Der Beklagte (Person B) gibt mit dazu is zu sagen die Verstehensanweisung, dass die folgende Äußerung eine Stellungnahme beinhaltet. Der Operator sollte sich jedoch durch Kürze oder Formelhaftigkeit auszeichnen (Bestimmungsmerkmale der Operator-Skopus-Struktur: Punkt h). Da es sich hier um eine ausgebautere Äußerung handelt, kommt diese nicht als Operator in Betracht. Der potenzielle Skopus, der nicht vollständig ist, schließt mit einem abhängigkeitsmarkierenden daß an. Der Skopus sollte aber eine potenziell selbstständige Einheit sein (Bestimmungsmerkmal g). ne [Kategorie 2]: Bei der Partikel ne handelt es sich um einen nachgestellten Operator. Der Sprecher gibt rückwirkend die Verstehensanweisung, dass die vorhergehende Äußerung etwas beinhaltet, was er als gemeinsames Wissen unterstellt bzw. was in diesem Falle als gemeinsames Wissen aktualisiert werden soll (Bestimmungsmerkmal b). Es ist in jedem Fall genau zu überprüfen, ob eine Operatorleistung vorliegt, da gerade diese Partikeln sehr häufig verwendet werden und außerdem idiosynkratische Verwendungsweisen ohne Operatorfunktion auftreten. Im Folgenden werden sie und Variationen von ne wie beispielsweise nich, net wahr nicht weiter betrachtet. Die Operator-Skopus-Struktur 355 versteh ich sie richtig: S. 2, Zeile 4 Im folgenden Ausschnitt erläutert der Beklagte (B), wie es zum Kontakt mit dem Kläger kam. B vornerein- * so an æ * wenn de wann de- * hier- * äh- * der B junge mann- * zunächst mal meine frau angesprochen hat- * ob er-* B bei uns nicht äh sich- * über- * die- * produkte und so weiter B informiere kö"nnte- * er möchte gern da bissel- * öh: - ** 30 C mhm ç B hierherkommen net wahr- * und äh sein weil/ sein wi"ssen- * hier 01 B etwas auszubauen- ** #von- * einer- * bezah"lung-# ** l von K STAKKATO B eim å von eim stu"ndenlohn > l oder so å < war nie" die rede B gewesen ç * -> C äh: - * versteh ich sie richtig ç * i"st davon gar nich 05 C gespro"chen worden o: der hat man vereinbart daß nichts B es: der junge mann hat von vornerein- * schon C bezahlt wird ç * versteh ich sie richtig [Kategorie 4]: Hierbei handelt es sich nicht um einen Operator, da die Äußerung nicht über die erforderliche Kürze und Formelhaftigkeit verfügt (Bestimmungsmerkmal h). Sie dient der Redeeinleitung und dem Rückbezug auf die vorangegangene Äußerung von Sprecher B. Obwohl kein Operator vorliegt, handelt es sich um eine Verstehensanweisung: „Das Folgende beinhaltet eine vergewissernde Nachfrage.“ Im Verlauf der nächsten Zeilen nimmt Sprecher C nochmals diese Wendung auf, jedoch diesmal nicht als Frage, sondern als Feststellung: C ja herr may also ei/ eins versteh ich jetz nich so C richtig ç äh #ge/ ge/ gewöhnlicherweise æ # * äh- * leben die K STOTTERT absolut nicht: S. 2, Zeile 21 Der Schlichter fragt mehrfach nach, ob es korrekt ist, dass keine Lohnzahlungen mit dem Kläger vereinbart wurden. Der Beklagte streitet ab, dass Vereinbarungen über eine Lohnzahlung getroffen wurden. Eigenschaften gesprochener Sprache 356 B genau so war=s ç C will kein geld haben- * wie soll denn des gehn sogar C au"szubildende kriegen noch geld und die können ja au" nix ç B so war=s gewesen nur über bezah"lung war nicht die 20 C ne æ -> B rede ç * a"bsolut nicht ç ** wir ham ja auch von vornerein gesacht B daß die situation æ * äh- * zunächst also jetzt mal so" is- * B im hinblick auf die umsätze die also- * um- * wie sie jetzt im absolut nicht [Kategorie 2]: Der Nachtrag absolut nicht könnte auf den ersten Blick wegen seines semantischen Rückbezuges, seiner Kürze und Prägnanz als ein nachgestellter Operator interpretiert werden. Es fehlt jedoch die für den Operator relevante Verstehensanweisung (Bestimmungsmerkmal a). Somit handelt es sich um einen Nachtrag, 186 der zur Intensivierung der Negation in der vorangegangenen Äußerung dient, nicht aber um einen Operator. wie gesacht: S. 2, Zeile 28 Nun erläutert der Beklagte (B), unter welchen finanziellen Voraussetzungen er den Kläger in sein Geschäft aufgenommen hat. B nicht wahr æ * und äh damit war der fall erledigt es war -> B keinerlei- * forderung gestellt worden ç * wir wie gesacht wir B hätten das a"bgelehnt ç ** aber die wollten- * so bitte sie können 30 B sich hier inform/ - C ja ein welcher in äh als was äh sin denn die wie gesacht [Kategorie 1]: Der Operator wie gesacht gibt dem Hörer die Verstehensanweisung: „Das Folgende beinhaltet eine reformulierende oder wörtliche Wiederholung einer zuvor getätigten Äußerung.“ Der Sprecher bezieht sich damit auf etwas vorher explizit Gesagtes oder Vorausgesetztes. Indem der Sprecher signalisiert, dass er sich der Wiederholung des Gesagten bewusst ist, verdeutlicht er gleichzeitig, dass das Gesagte relevant ist. Diese 186 Vgl. Auer (1991, S. 146ff.) zu den Kriterien für Nachträge. Die Operator-Skopus-Struktur 357 Relevanz zeigt sich auch darin, dass er seine Formulierung nach wir abbricht und wie gesagt anfügt. An dieser Stelle wird deutlich, wie eine Operator- Skopus-Struktur in den Formulierungsprozess eingebaut werden kann. Der Sprecher beginnt seine Äußerung mit wir, bricht diese ab und formuliert sie in eine Operator-Skopus-Struktur um, indem er den Operator wie gesagt äußert und dann die Formulierung mit wir wieder aufnimmt und als Skopus fortsetzt. Wie gesagt hat nicht nur projizierende Wirkung, sondern auch einen starken Rückbezug, da es sich explizit auf eine vorhergehende Äußerung bezieht. Das Skopusende ist in diesem Beispiel eindeutig festzulegen: Der Skopus reicht bis hinter abgelehnt (S. 2, Zeile 29). Hier liegt semantisch, syntaktisch und prosodisch (stark fallender Ton, längere Pause, finaler Akzent) ein erstes mögliches Äußerungsende vor. sagen sie: S. 3, Zeile 11 In diesem Ausschnitt stellt der Beklagte (B) dar, unter welchen finanziellen Voraussetzungen er den Kläger (A2) bei sich im Geschäft beschäftigt hat. B da daran ham wir uns gehalten- * ab januar ç *3* das war- ** 10 B der- * we"rdegang ç -> C + l sagen sie å st/ äh stimmen denn B dann allerdingsdie treffen C die stunden die da angegeben worden sind ç * B ab/ äh absolut nicht zu was hier behauptet wird- 15 C auch sagen sie [Kategorie 1]: Mit dem Operator sagen sie gibt der Sprecher zusätzlich zu der generell bei redeeinleitenden Imperativen vorhandenen Aufmerksamkeitssteuerung eine Verstehensanweisung und kündigt an, dass das Folgende eine Frage beinhaltet, die der Hörer beantworten soll. Der Hörer wird aufgefordert, sich zu der Frage im Skopus zu äußern. Das Skopusende liegt sowohl semantisch, syntaktisch als auch prosodisch hinter sind (S. 3, Zeile 13) - auf allen drei Ebenen findet eine Gestaltschließung statt, und es wird ein turn-übergaberelevanter Punkt markiert. Eigenschaften gesprochener Sprache 358 also: S. 3, Zeile 26 ganz konkret zu werden: S. 3, Zeile 26 Nachdem der Beklagte geäußert hat, dass die Forderungen des Klägers nicht zutreffend sind, fragt der Schlichter nochmals beim Beklagten nach, ob die Stundenangaben stimmen. C ja des interessiert mich weniger ob s=es ablehnen äh ob=s B möschtebitte æ 25 C richtig ist nach der behauptungob des ob die zahlen- -> C * zutreffend sind <also pf/ ganz konkret zu werden å ähm> * C sagt der herr abel er habe zweihundertsiebenunddreißig stunden- C * bei ihnen gearbeitet ç * vo"r dem lehrlingsverhältnis ç l *3* B isch äh wir haben die stunden die stunden nischt gezä"hlt- * äh 30 B die stunden æ die stunden hat er bis C und die frau leopold die sagt zweihundertvie"runddreißig B ende des jahres so eingeteilt wie er wollte ç * er C stunden ç >mhm ç < also [Kategorie 1], ganz konkret zu werden [Kategorie 4]: Bei der Phrase also ganz konkret zu werden stellt sich die Frage, ob es sich bei also um einen eigenständigen Operator handelt, ob die gesamte Phrase einen Operator bildet oder ob es sich um zwei aufeinander folgende Operatoren handelt. Die Partikel also ist prosodisch von ganz konkret zu werden durch eine kurze Pause (pf) abgesetzt. Zudem trägt die Partikel einen Akzent. 187 Die gesamte Phrase ist etwas schneller gesprochen, bei sagt der herr wird das Sprechtempo deutlich verlangsamt. Somit erfüllt also das Operator-Kriterium der erkennbaren Zweigliedrigkeit, das insbesondere bei also auch auf der prosodischen Ebene erfüllt sein muss (Bestimmungsmerkmal c). also als Operator gibt hier die Verstehensanweisung: „Jetzt sage ich etwas Grundsätzliches bzw. etwas Resümierendes.“ ganz konkret zu werden ist eine verdeutlichende und präzisierende Explikation der Bedeutung von also. Aufgrund dieser präzisierenden Explikation könnte man annehmen, dass es sich um einen zweiten Operator handelt. Jedoch spricht die ausgebaute Form der Äußerung 187 Der Akzent ist in diesem Transkript nicht markiert, da nach den Transkriptionsrichtlinien für die Eingabe in DIDA nur auffallend starke Akzente gekennzeichnet werden. Die Operator-Skopus-Struktur 359 gegen eine Bestimmung als Operator (Bestimmungsmerkmal h). Der Skopus von also kann sowohl bis gearbeitet (S. 3, Zeile 28) als auch bis lehrlingsverhältnis (S. 3, Zeile 28) reichen, da vor dem lehrlingsverhältnis eine mögliche Expansion ist. wie gesacht: S. 4, Zeile 3 sach=mer mal: S. 4, Zeile 4 Inhaltlicher Zusammenhang: Der Beklagte erläutert sein Verhältnis zu dem Kläger und legt dar, warum er dessen Verhalten nicht billigen kann. 01 B beliebte- und wir haben auch da*zu keine stellung C #>mhm ç <# K ENTRÜSTETES KOPFSCHÜTTELN BEI A1 UND A2 -> B genommen weil wie gesacht des verhältnis ja äh sehr äh -> B sach=mer mal- * äh- * nichts besonderes war nicht æ * >wir haben 05 B gsagt bitte hier sie können da lesen und hier is des und so B weiter ç * das war=s ç < * als leh"rling- * hab ich bestimmte wie gesacht [Kategorie 2]: Hier könnte es sich um einen insertierten Operator handeln, der in die weil-Phrase eingebettet ist. Der Skopus wäre dementsprechend weil des verhältnis ja äh sehr äh sach=mer mal äh nichts besonderes war. Der Operator gibt eine Verstehensanweisung folgender Art (vgl. wie gesacht S. 2, Zeile 28): „Das Folgende beinhaltet eine reformulierende oder wörtliche Wiederholung.“ Der Sprecher verweist auf einen Inhalt, der dem Hörer schon bekannt sein sollte. Es zeigen sich auf der analytischen Ebene jedoch mehrere Probleme. Der Skopus sollte eine selbstständige interaktive Äußerung sein (Bestimmungsmerkmal g). Diese Bedingung ist hier nicht erfüllt, da der potenzielle Skopus eine abhängige Nebensatzstruktur beinhaltet. Weiterhin sollte sich die projektive Kraft des Operators auf die gesamte selbstständige Äußerung des Skopus beziehen und nicht nur auf Elemente dieser Äußerung. (Bestimmungsmerkmal g). Bezogen auf den Kausalsatz, in den wie gesacht insertiert ist, wirkt die Verstehensanweisung anscheinend nicht auf das vorangehende weil, sondern nur auf die nachfolgenden Elemente des Kausalsatzes. Somit würde sich der Operator nur auf Elemente des Skopus beziehen. Eigenschaften gesprochener Sprache 360 sach=mer mal [Kategorie 4]: Zwar könnte sach=mer mal als Operator fungieren, jedoch bezieht es sich hier nur auf ein Element der gesamten Äußerung, nämlich nichts besonderes. Somit ist das Kriterium, dass der Skopus eine vollständige Äußerung sein muss, nicht gegeben. (Bestimmungsmerkmal g). weil: S. 5, Zeile 20 Der Beklagte (B) hat die Voraussetzungen für das Arbeitsverhältnis mit den Klägern und seine Ansicht, wie es zur Kündigung kam, erläutert. In dem folgenden Ausschnitt erklären die Kläger nun, wie es aus ihrer Sicht zum Arbeitsverhältnis kam. A2 war=s doch so ç * un der herr may hat eben gesagt ich hätt mit A2 seiner frau gesprochen äh ich wollte produkte kennenlernen- * ->20 A2 des: stimmt nicht ç äh ich hab herrn may angesprochen- * weil äh- A2 * ich #kann/ die anna# und ich kannten herrn may und seine frau- K STOTTERT LEICHT A2 als kunden- B das stimmt nischt ç C sie durften lange reden- * >jetz weil [Kategorie 1]: Der Kläger A2 versucht an dieser Stelle zu erklären, wie es zu ersten Gesprächen zwischen ihm und dem Beklagten kam. Er weist die Darstellung des Beklagten als falsch zurück, des stimmt nicht (S. 5, Zeile 20). Durch den Operator weil signalisiert er dann, dass er nun nicht einen klassischen Grund, sondern das Motiv nennt, warum er Herrn May angesprochen hat. Der Skopus reicht bis seine frau (S. 5, Zeile 21). Die präzisierende Information als Kunde liefert er erst nach Protesten von Seiten Herrn Mays nach. Deshalb wird sie nicht als Erweiterung des Skopus betrachtet. und: S. 6, Zeile 20 Der Kläger (A2) stellt dar, wie er als interessierter Kunde zu dem Beklagten in Kontakt trat und die gemeinsame Überlegung zustande kam, ihn als potenziellen Nachfolger in das Geschäft aufzunehmen. Die Operator-Skopus-Struktur 361 A2 als kunde daß ich sehr interessiert binå * und immer sehr A2 viel fragen stell un mich äh über die materie- * erkundige un ->20 A2 damit befasse- * u: nd- * dann hat der herr may gesagt #ja# wenn K KURZ A2 sie das machen wollen- ** ich such en geeigneten nachfolger- ** A2 dann äh: - * ich hab dann auch gesagt daß des meine freundin die A2 gleichen ziele hat un wir des gemeinsam machen wollen- * un A2 sich des bietet sich ja auch an in dem fall dann- * un hat herr 25 A2 may gesagt- * l wenn sie das machen wollen æ å * da gibt=s A2 folgende probleme- * ich kann sie nich als: - * arbeitnehmer und [Kategorie 1]: In dem dargestellten Ausschnitt verwendet der Sprecher mehrfach die Konjunktion und, um die Abfolge der Geschehnisse zu schildern. und wird jedoch nur an der markierten Stelle als Operator verwendet. Hier ist und eindeutig durch eine Pause nach vorne und hinten abgesetzt. Gleichzeitig trägt und einen deutlichen Akzent und wird gedehnt. Die Tonhöhenbewegung geht leicht nach oben, so dass nicht nur auf der semantischen Ebene, sondern auch auf der prosodischen angekündigt wird, dass etwas folgt. Erst durch diese prosodische Markierung wird die typische Zweigliedrigkeit der Operator-Skopus-Struktur erzeugt. Das und erhält zusätzlich zu seiner Konnektorfunktion die qualifizierende Leistung: „Ich ergänze nun meine bisherigen Äußerungen um den entscheidenden, wichtigen Teil.“ (Bestimmungsmerkmal c). Die wichtige Information, die Sprecher A2 mitteilen möchte, besteht darin, dass Herr May gesagt hat, dass er einen geeigneten Nachfolger suche. Durch und leitet Sprecher A2 gleichzeitig einen Perspektivenwechsel ein. Bisher berichtete er, was er für eine Motivation hatte, auf Herrn May zuzugehen. Nun wechselt er zu Herrn Mays Perspektive und gibt in direkter Rede wieder, was dieser zu dem Vorschlag, bei ihm zu arbeiten, gesagt hat. Die Darstellung des Geschehens wiederholt sich in ähnlicher Weise in den Zeilen 24/ 25, hier jedoch nicht als Operator-Skopus- Struktur. Die gelieferte Information ist nun nicht mehr neu, es wird nichts Besonderes mehr angekündigt. Das Skopusende ist nicht eindeutig. Der erste mögliche Endpunkt liegt semantisch und syntaktisch hinter machen wollen (S. 6, Zeile 21). Eine Pause markiert prosodisch hinter wollen zwar eine Segmentierung, jedoch deutet Eigenschaften gesprochener Sprache 362 die gleichbleibende finale Intonationskontur darauf hin, dass die Äußerung fortgesetzt werden soll. Ein weiterer möglicher Skopusendpunkt ist hinter nachfolger (S. 6, Zeile 21). Auch hier ist ein syntaktischer und semantischer Einschnitt, und es folgt eine längere Pause. Aber auch hier liegt keine finale Senkung vor. Die letztere Variante erscheint dennoch als die wahrscheinlichere, da erst mit dieser Äußerung die wesentliche Information geliefert wird, die durch das und angekündigt wurde. also: S. 7, Zeile 12 Der Kläger A2 berichtet über ein Gespräch zwischen ihm und dem Beklagten, bei dem der Beklagte seine Vorstellungen über einen potenziellen Nachfolger darstellte. A2 und ich- * und da warn die ausgangslage- * da hat der is der -> A2 herr may an uns rangetreten hat gesagt- * also- * sie machen A1 >(mhm) ç < A2 das- * sie machen auch die kurse in rebenhausen un die werden 15 A2 ihnen finanziert ç * sie machen beide diese ausbildung bei mir- * A2 als angestellte äh nehm ich sie ni"cht- * ich finanziere ihnen A2 die kurse der neuform gesellschaft- * die sind ja sehr teuer æ * A2 wie sie auch wissen- * und äh- * sie machen das um das geschäft A2 zu übernehmen æ * äh bekommen natürlich ihre unkosten erstattet also [Kategorie 3]: Der potenzielle Operator also steht zu Beginn einer Redewiedergabesequenz. Zwar hat Sprecher A2 mit hat gesagt angekündigt, dass er Herrn May direkt oder indirekt zitieren wird, aber da also an den Beginn der Redewiedergabe gestellt ist, kann man nicht entscheiden, wem es zuzuordnen ist: Gehört also schon zur Redewiedergabe und wird somit zitiert, oder steht es vor dieser und ist somit eine Ankündigung, die der Sprecher selber vollzieht? Wird also zur Redewiedergabe gezählt, handelt es sich um einen zitierten Operator mit der folgenden Verstehensanweisung: „Ich kündige an, dass mit der folgenden Äußerung etwas abschließend auf den Punkt gebracht wird.“ Im anderen Fall, d.h., wenn man annimmt, dass also vor der Redewiedergabe steht, handelt es sich nicht um eine Operator- Skopus-Struktur. Der Sprecher vollzieht mit also lediglich eine Ankündigung der Redewiedergabe. Die Reichweite des Skopus erstreckt sich bis Die Operator-Skopus-Struktur 363 finanziert (S. 7, Zeile 15). Hier liegt die erste tief fallende finale Senkung und eine syntaktische wie auch semantische Grenze vor. Jedoch könnte argumentiert werden, dass schon hinter sie machen das (S. 7, Zeile 12-14) der Skopus endet, da sich hier der erste syntaktische und semantische Einschnitt befindet und sich eine Pause anschließt. also: S. 7, Zeile 26 In dieser Phase der Verhandlung äußert sich der Kläger (A2) in einem längeren Beitrag zu den Voraussetzungen für das Arbeitsverhältnis bei Herrn May. Währenddessen wirft die Klägerin (A1) mehrere kurze Kommentare zu dem von A2 Gesagten ein. A2 und 25 C (...) bekommen weil sie auch leben müssen æ -> A1 also- * es war kein A2 taschengeld ç <also die C #ein taschengeld ç # >ja-< K SEHR BETONT GESPROCHEN A1 praktikantenverhältnis kein lehrverhältnis es war nur so- * 30 A2 finanzierung-> A1 abgemacht ç A2 und ich hab natürlich mi"r auch ge*dacht un=mit meinen also [Kategorie 1]: Nachdem Sprecher A2 das Arbeitsverhältnis mit Herrn May beschrieben hat, kündigt Sprecherin A1 durch den Operator also an, dass eine abschließende, zusammenfassende Äußerung folgen wird. Der Operator also liefert hier die Verstehensanweisung: „Das Folgende beinhaltet eine resümierende Klarstellung.“ Prosodisch ist also deutlich durch eine Pause vom Skopus abgesetzt. Dieser erstreckt sich bis abgemacht (S. 7, Zeile 31). Hier ist eine semantische, syntaktische und prosodische Grenze. also wissen sie: S. 8, Zeile 24 Inhaltlicher Zusammenhang: Der Kläger A2 berichtet weiterhin darüber, was der Beklagte ihm über die Dauer der Einarbeitungszeit gesagt hat. A2 einvernehmen> darf ich grad mal- 20 C wie lange sollte denn das dauern diese A2 die einarbeitung der herr may- * ja der herr C einarbeitungszeit bis zur übernahme ç Eigenschaften gesprochener Sprache 364 A1 >zwei jahre ç < -> A2 may hat mir gesagt also wissen sie- ** äh- * normalerweise 25 A2 brauchen se drei jahre um so was zu lernen in ner lehre die n A2 siebzehn oder achtzehnjähriger macht- ** sie sind so intelligent A2 un ich kenn sie als kunden ich weiß von ihnen daß sie- * daß wir A2 in der lage sind sie in anderthalb bis zwei jahren so weit zu A1 und die kurse zu machen ç 30 A2 bringen ç +in anderthalb bis zwei jahren A2 sind sie in der lage bei ihrer intelligenz das alles geschafft A2 zu haben ç * und herr may hat eben noch äh angesprochen æ * daß also wissen sie [Kategorie 3]: Sprecher A2 gibt an dieser Stelle wieder, was Herr May bei dem Gespräch über eine potenzielle Geschäftsübernahme sagte. Mehrfach wechselt er bei diesem Bericht in Zitate (vgl. also S. 7, Zeile 12). Hier kündigt er durch die Phrase der herr may hat mir gesagt die Redewiedergabe an. Auf diese Ankündigung folgt eine Struktur mit dem potenziellen Operator also wissen sie. An dieser Stelle zeigen sich mehrere analytische Probleme. Da also wissen sie in der Redewiedergabe steht, kann es sich nur um einen zitierten Operator handeln. Die Äußerung kann folgendermaßen paraphrasiert werden: „Du solltest etwas wissen, von dem ich annehme, dass du es nicht weißt. Deshalb sage ich es dir jetzt.“ Zudem betont der Sprecher, dass im Skopus etwas Besonderes, etwas von der Normalität Abweichendes zu erwarten ist. Der Operator dient also dazu, die Aufmerksamkeit des Hörers auf die folgende Äußerung zu lenken, deren Relevanz hoch zu stufen und gemeinsames Wissen zu aktualisieren. Problematisch ist an dieser Stelle weiterhin, wie man die Kombination von also und wissen sie beschreibt. Handelt es sich um zwei Operatoren und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Ein weiteres Problem besteht in der Bestimmung der Reichweite des Skopus. Der Skopus könnte sowohl auf S. 8 bis macht in Zeile 26, bis bringen in Zeile 30 als auch bis haben in Zeile 32 reichen. Für die erste Grenze spricht, dass ein erster syntaktischer und semantischer Einschnitt möglich wäre, für die zweite, dass auch prosodisch eine deutliche Grenze wahrzunehmen ist, und für die letzte, dass das Ende der Redewiedergabe vorliegt. Die Operator-Skopus-Struktur 365 passen sie auf: S. 10, Zeile 30 also: S. 10, Zeile 30 Der Kläger (A2) hat seine Ausführungen über das Arbeitsverhältnis zu Herrn May beendet. Nun ergreifen der Schlichter und der Beklagte das Wort. Der Beklagte streitet die Darstellungen des Klägers ab. Der Schlichter greift ein und fasst die Sichtweise beider Positionen zusammen. B trifft nicht zu ç trifft absolut C (...) klar ç es is auch egal ç l äh B nicht zu ç nicht wahr ç ->30 C passen sie auf passen sie auf å alsoes is doch C ga"nz offensichtlich sie sin ja bei"de enttäuscht über den lauf A2 #ja ç # K SEUFZEND C der entwicklung sie haben=s sich ursprünglich beide ganz C a"nders vorgestellt und zwar in einem sehr viel positiveren 01 C sinne ç * nich æ dementsprechend fühlen sie sich jetz vermutlich C un das is auch des was ich selber spüre und zwar an an- * an passen sie auf [Kategorie 4], also [Kategorie 1]: Der Schlichter bemüht sich zunächst, sein Rederecht gegen den Beklagten B durchzusetzen. Mit der Wendung passen sie auf versucht er, die Aufmerksamkeit der Hörer zu erlangen. Zunächst könnte man davon ausgehen, dass es sich hierbei um einen Operator - mit einer ähnlichen Wirkung wie bei hörn sie - handelt, jedoch spricht die doppelte Einforderung des Rederechts dagegen. Sprecher C fängt in Zeile 28 an zu sprechen, ohne dass Sprecher B seinen Redebeitrag beendet hat, und er fordert Bs Aufmerksamkeit durch die doppelte Äußerung von passen sie auf. Die Phrase ist also in Form einer funktional eigenständigen Handlungsanforderung primär ein Mittel im Kampf ums Rederecht, weniger eine Verstehensanweisung für eine nachfolgende Äußerung. Der anschließende Operator also gibt dem Hörer die Verstehensanweisung: „Jetzt folgt etwas Resümierendes, Zusammenfassendes.“ Die Zweigliedrigkeit zwischen Operator und Skopus ist durch eine Pause zwischen also und dem Skopus deutlich gegeben. Im Skopus steht zunächst noch eine Phrase (es is doch ganz offensichtlich), mit der der Schlichter zusätzlich die Gültigkeit seiner Äußerung unterstreicht. Diese Phrase hebt sich jedoch prosodisch nicht weiter vom Skopus ab. Der Skopus reicht bis entwicklung (S. 10, Zeile 33). Eigenschaften gesprochener Sprache 366 Hier ist semantisch, syntaktisch und auch prosodisch eine Grenze. Die hörbare leichte Senkung hinter entwicklung ist in diesem Transkript, das nach den Transkriptionsrichtlinien zur Eingabe in DIDA erstellt wurde, nicht vermerkt. sondern: S. 15, Zeile 18 sondern: S. 15, Zeile 23 Der Kläger (A2) erläutert, dass er nur unter einer bestimmten Voraussetzung, nämlich die Fortbildungskurse der Neuformgesellschaft von dem Beklagten bezahlt zu bekommen, das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten eingegangen ist. 15 A2 äh ersatzweise wie wenn der herr may zu mir gesagt hätte- * die A2 kurse müsse se selber finanzieren sie bekommen zehn mark ç * es A2 is aber kei"ne abmachung über en stundenlohn gemacht worden in -> A2 de"r hinsicht- * sondern- * sie bekommen die kurse bezahlt ç was A2 nützt es ihnen hat herr may mir gesagt æ * wenn ich ihnen ein 20 A2 gehalt gebe æ * und sie müssen die kurse dann selber bezahlen die A2 kurse sind ein eine eine eine- * gro: "ße summe das wissen sie- * A2 also äh machen wer=s so sie bekommen äh- * daf/ keine äh -> A2 vereinbarung übern stundenlohn- * sondern sie bekommen die kurse B ich- 25 A2 in rebenhausen finanziert bei"de ç * un des is doch für mich der A2 wert un ne zusage- * vergleichbar- * äh eines wertes- * wie wenn A2 mir jemand en zehn mark stunden/ wenn ich ne inventur mach- * der sondern S. 15, Zeile 18 [Kategorie 1]: Mithilfe des Operators sondern markiert der Sprecher, dass nun ein relevanter Gegensatz folgt, dass eine relevante Alternative zu dem bisher Gesagten aufgezeigt wird. In der Zeile 18 ist sondern sowohl von der Vorgängerphrase als auch von der nachfolgenden Phrase prosodisch durch eine Pause abgesetzt und trägt einen Akzent, der jedoch in der Transkription nicht erfasst ist. Durch diese prosodische Hervorhebung wird die typische Zweigliedrigkeit bei sondern erst hergestellt (Bestimmungsmerkmal c). Für die Analyse stellt sich das Problem, dass Sprecher A2 den Beklagten zitiert, aber zwischen diese Zitate kurze eigene Die Operator-Skopus-Struktur 367 Kommentare einfügt. Sondern steht genau an der Schnittstelle zu einer Redewiedergabe. Somit könnte sondern einerseits Operator sein, mit der oben genannten Verstehensanweisung. Es könnte andererseits aber auch die Redewiedergabe ankündigen. Die Operatorfunktion, die Ankündigung eines relevanten Gegensatzes, scheint an dieser Stelle jedoch im Vordergrund zu stehen. Der Skopus erstreckt sich bis bezahlt (S. 15, Zeile 18). sondern S. 15, Zeile 23 [Kategorie 1]: In Zeile 23 wird der in Zeile 18 angesprochene Sachverhalt erneut formuliert. An dieser Stelle steht sondern jedoch mitten in der Redewiedergabe, ist also Teil von dieser und unterscheidet sich dadurch vom sondern in Zeile 18. Prosodisch ist sondern durch eine kurze Pause und einen Akzent abgehoben (nicht im Transkript erfasst) und erhält dadurch Operatorfunktion mit der Verstehensanweisung: „Die folgende Äußerung steht zur vorhergehenden im Verhältnis eines gewichtigen Gegensatzes.“ (Bestimmungsmerkmal c.) Der Skopus könnte sich bis beide (Zeile 25) oder auch nur bis finanziert (Zeile 25) ausdehnen. Da es sich bei beide um einen Nachtrag handelt und die prosodische Grenze hier deutlicher ist (stark fallende finale Intonation, folgende Pause), spricht mehr für ein Skopusende hinter beide. hörn sie: S. 17, Zeile 14 Sprecher A2 (der Kläger) versucht nun zu erklären, warum er eine bestimmte Summe vom Beklagten als Lohn für seine Tätigkeiten einfordern will: Es bestand eine Vereinbarung, dass der Beklagte statt Lohn zu zahlen die Kosten für eine Fortbildung übernimmt. Da das Arbeitsverhältnis vorzeitig abgebrochen wurde, konnte der Kläger die Fortbildungskurse nicht besuchen. Nun meint der Kläger, dass der Beklagte ihm den Gegenwert für die entfallenen Kurse auszahlen müsste. C (der Schlichter) versucht in dieser Sequenz, A2 die Perspektive des Beklagten zu verdeutlichen, d.h. was für einen Schaden dieser durch die frühzeitige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hat. A2 mich is des en/ äh die motivation die arbeit- * äh anzunehm- -> C hörn sie 15 C für ihn wär doch de/ is doch des au"ch en wert wenn er einen C nachfolger ha"t ç * un wenn der sukzessive ins geschäft C hineinwächst ç l hörn se bitte mal weiter zu ç å * da"nn is doch Eigenschaften gesprochener Sprache 368 C de/ für ihn des auch sinnvoll daß der die kurse finanziert und C wenn sie zehndausend mark kosten weil er dann sagt ich kann des 20 C geschäft mit einigem gewinn übernehmen wenn er=s nämlich nur C liquidie"rt ç * dann zahlt er drau"f ç * wenn er des aber übergeben C kann unter umständen gegen entsprechend l ich weiß net was da C üblich ist bei solchen geschäftenå * wenn er=s übergeben kann C mit entsprechend schönem kaufvertrag oder auf auf rentenbasis oder 25 C sonst irgendwie- * da hat es doch für ihn au"ch en wert ç * er is C nämlich genau"so geschädigt durch dies des scheitern der ganzen A2 aber ich bin doch nicht nur finanziell geschädigt sondern C geschichte ç hören sie [Kategorie 1]: Der Sprecher gibt dem Hörer mit dem Operator hörn sie die Verstehensanweisung, das Folgende als wichtig zu betrachten. Das hörn sie hat aber darüber hinaus die Funktion, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Der Skopus reicht bis hinter nachfolger hat (S. 17, Zeile 16). An diesem Punkt ist eine erste Gestaltschließung zu erkennen: syntaktisch, semantisch und prosodisch könnte an dieser Stelle der Turn beendet sein. Prosodisch ist an dieser Stelle eine deutliche Segmentierung festzustellen: fallende Intonationskontur, finaler Akzent, kurze Pause. Semantisch wird der Skopus durch einen mit und angeschlossenen Nebensatz erweitert, so dass argumentiert werden könnte, dass der Skopus bis hineinwächst (S. 17, Zeile 17) reicht. Jedoch sprechen die auf mehreren Ebenen auftretenden Gestaltschließungssignale für die Skopusgrenze hinter nachfolger hat. Generell ist zu betonen, dass eine Skopusbestimmung nicht eine Entweder-oder- Entscheidung ist, sondern oft mehrere Möglichkeiten in Frage kommen. Insbesondere bei Skopusexpansionen, wie in diesem Beispiel, können Gründe für unterschiedliche Endpunkte des Skopus genannt werden. Durch die Parenthese hörn se bitte mal weiter zu (S. 17, Zeile 17) fordert der Sprecher nochmals die Aufmerksamkeit des Hörers ein. Bei dieser Parenthese handelt es sich jedoch um eine selbstständige Äußerung und damit nicht um einen Operator. Die Verstehensanweisung des vorangegangenen Operators hörn sie wird hier ausformuliert, wodurch ihr Charakter als Disziplinierung bzw. Zurechtweisung des Hörers deutlicher wird. Die Operator-Skopus-Struktur 369 ach hören sie: S. 18, Zeile 11 Inhaltlicher Zusammenhang: Der Kläger A2 meint, sich vor der Verhandlung gut über Möglichkeiten, einen Prozess zu führen, informiert zu haben. Der Schlichter will ihm verdeutlichen, dass die Personen, bei denen er Informationen eingeholt hat, nicht sehr kompetent sind. A1 vorm a/ beim arbeitsgericht hier erku"ndigt ç * un da hat man C ja ç 10 A1 uns- -> C ach hören sie was sie- * des muß ich ihnen sagen die die C die damen die da draußen sitzen ham mit sicherheit ne wesentlich A1 ja ja: aber auf- C schlechtere ausbildung als ich dieaber des is n 15 A1 ih"ren rat hin ham wir des ja gemacht ç C ganzah ja was soll A1 weil wir ja- C se denn auch machen aus dem kuddelmuddel normalerweise hätt se C se wegschicken müssen oder sagen wieviel taschengeld stellen sich 20 C vor- * ne æ ich weiß auch net was sie ihr gesagt haben ç * l sie ach hören sie [Kategorie 3]: Im Gegensatz zum vorangehenden Beispiel mit dem Operator hörn sie ist in diesem Ausschnitt die Operatorfunktion von hören sie nicht eindeutig, insbesondere dann nicht, wenn man die ganze Phrase ach hören sie betrachtet. Der Sprecher realisiert mit ihr eher einen Rückbezug auf die vorhergehende Äußerung. Sie wirkt wie eine bewertende Stellungnahme zu dem vorher Gesagten. Zwar könnte man die ganze Phrase als Operator interpretieren, doch scheint die rückwärts gerichtete, bewertende Funktion zu überwiegen. ich mein: S. 19, Zeile 11 denn: S. 19, Zeile 14 ich meine: S. 19, Zeile 23 In dieser Phase bereitet der Schlichter seinen ersten konkreten Lösungsvorschlag vor. Er versucht dem Kläger A2 zu verdeutlichen, dass er mit einer Klage auf Stundenlohn wenig Erfolgschancen hat und auch eine Klage auf die Zahlung von Taschengeld schwierig werden wird. Deshalb solle er von einer Klage möglichst absehen, da sich diese finanziell auch in keiner Weise rentieren würde. Eigenschaften gesprochener Sprache 370 10 B stimmt nischt ç ** -> C ja ich mein die sache hat bislang noch ei"ne relativ äh günstige C wendung un des is die: - * daß sie nich gleich zu eim rechtsanwalt C gerannt sind ç so kann man noch ohne größere kostenrisiken -> C wenigstens miteinander reden ç * äh denn wenn sie jetz von der 15 C güteverhandlung völlig unbefriert äh friedigt rausgehn und sagen C also das laß ich mer net gefallen ich such mein recht un wenn=s C beim bundesverfassungsgericht ist- * oder sonstige dinge äh sich C sagen nich- * dann zahlen se vollends drauf denn so" viel- * wie C des kostet können sie aus dem verfahren niemals rausholen ç ** 20 C un=deswegen würde i"ch ihnen also ganz dringend folgendes empfehlen C daß man für die: - ** die zei"t- * wo ja tatsächlich was gemacht C worden is nur gefaulenzt haben wern sie ja wohl nicht auch wenn -> A2 äh darf ich da bitte noch was (einbringen) ich meine C sie des jetzt vielleicht (hören müssen) ne æ 25 A2 der herr may is von uns hervorragend bedient worden mit be"ster A2 arbeit ç * der herr may hat an u"ns verdient ç * wir haben als A2 angestellte sachen eingekauft im wert während der vier monate A1 (...) A2 von zweieinhalbtausend mark- * und der herr may hat uns zehn äh ich mein S. 19, Zeile 11 [Kategorie 1]: Sprecher C gibt mit diesem Operator die Verstehensanweisung: „Verstehe das Folgende als meine persönliche Meinung.“ Im Skopus folgt die Meinungsäußerung. Prosodisch ist der Operator vom Skopus abgesetzt (nicht im Transkript erfasst). Der Skopus reicht bis sind (S. 19, Zeile 13). Hier ist ein eindeutiger prosodischer Einschnitt zu erkennen. denn [Kategorie 3]: Prosodisch muss denn vom Folgenden abgesetzt sein, um Operatorfunktion zu bekommen, da erst dadurch die charakteristische Zweigliedrigkeit der Struktur entsteht (Bestimmungsmerkmal c). An dieser Stelle ist denn prosodisch nur leicht abgesetzt, so dass sich diskutieren lässt, Die Operator-Skopus-Struktur 371 ob diese Segmentierung deutlich genug ist, um denn als Operator zu konturieren. Der potenzielle Skopus besteht aus einer Wenn-dann-Konstruktion und reicht bis drauf (S. 19, Zeile 18). Alternativ könnte sich der Skopus jedoch auch bis rausholen (S. 19, Zeile 19) ausdehnen. Erst hinter rausholen erfolgt eine stark fallende finale Senkung und eine deutliche Pause. Beides fehlt hinter drauf, so dass die prosodische Markierung eher für ein Skopusende hinter rausholen spricht. ich meine S. 19, Zeile 23 [Kategorie 3]: In diesem Fall ist ich meine nicht eindeutig als Operator zu bestimmen. Prosodisch ist es vom Folgenden nicht abgesetzt, so dass der Aspekt, dass durch ich meine die Wiedergabe der eigenen Meinung eingeleitet wird, in den Hintergrund rückt. Andererseits könnte man argumentieren, dass hier eine modifizierte Bedeutung von ich meine ins Spiel kommt. Danach wäre ich meine zu paraphrasieren als „Die folgende Aussage gibt meine feste Überzeugung wieder.“ Hierdurch würde eine Operatorfunktion begründet. In diesem Fall verstärkt der Sprecher durch ich meine die Sicherheit seiner Aussage und betont nicht so sehr die eigene Meinungsäußerung. Der potenzielle Skopus reicht bis arbeit (S. 19, Zeile 26). das heißt: S. 19, Zeile 31 Wiederholt versucht der Kläger A2 zu verdeutlichen, wie Herr May durch die Arbeitskraft der beiden Studierenden und ihre Einkäufe bei ihm an ihnen verdient hat. 30 A2 üblich ist daß angestellte æ * die sachen zum einkaufspreis -> A2 bekommen ç * wir ham zehn prozent ermäßigung bekommen das heißt A2 der herr may hat an u"ns fünfhundert mark- * verdient an unserm A2 einkauf ich mach da jetz grobe schätzungen kann da auch 01 A2 noch im einzelnen drauf eingehn ç * es is doch u"nvorstellbar ç das heißt [Kategorie 1]: Der Operator das heißt gibt die Verstehensanweisung, dass eine verdeutlichende Explikation folgt. Der Skopus reicht bis unserm einkauf (S. 19, Zeile 32/ 33). Eigenschaften gesprochener Sprache 372 zum beispiel: S. 21, Zeile 5 Der Schlichter (C) erläutert dem Kläger (A2), wie man sich normalerweise bei der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen verhält. C sagen doch auch sie: - * wollten sich einarbeiten um des geschäft C dann zu übernehmen ç * ja da investiert ma=n aller regel etwas ç ->05 C und zum beispiel es is sehr sinnvoll zu investieren- * daß man C dann als arbeitnehmer hingeht- * weil zwei arbeitnehmer s geschäft C vielleicht gar nicht tra"gen kann ç ** weil die einnahmen viel C zu gering sind ç *6* wieviel warn denn die putzarbeiten is C sti/ trifft=en de"s zu daß die putzkräfte entlassen worden sind zum beispiel [Kategorie 3]: Mithilfe des Operators zum beispiel kündigt der Sprecher an, dass das Folgende als ein beispielhafter Beleg für etwas vorher Geäußertes verstanden werden soll. Der Operator hat hier zusätzlich zu seiner projektiven Kraft einen deutlichen inhaltlichen Rückbezug. Der Skopus ist vom Operator prosodisch abgegrenzt: Die stark steigende Tonbewegung auf beispiel kündigt eine Fortsetzung des Turns an und wirkt erwartungssteigernd, der Skopus ist durch eine niedrigere Tonhöhe im Ansatz abgesetzt. Die Reichweite des Skopus ist nicht eindeutig. Prosodisch liegt das Skopusende bei tragen kann (S. 21, Zeile 7). Hier ist eine erste deutliche Stimmsenkung zu hören, und eine längere Pause bildet eine Grenze zum Nachfolgenden. Auch semantisch und syntaktisch ist hier ein Äußerungsende möglich. Potenziell könnte der Skopus aber auch noch die Expansion weil die einnahmen viel zu gering sind (S. 21, Zeile 7/ 8) umfassen. Ein Skopusende hinter investieren (S. 21, Zeile 5) oder hingeht (S. 21, Zeile 6) ist unwahrscheinlich, da zum einen die Intonationskontur progredient ist und zum anderen die Äußerung auch semantisch und syntaktisch noch nicht vollständig ist. hörn sie mal: S. 21, Zeile 27 Der Schlichter (C) erkundigt sich beim Beklagten (B), inwieweit die Behauptung der Klägerin (A1) stimmt, dass sie die Putzarbeiten in seinem Geschäft übernommen hat und dafür nicht entlohnt wurde. Der Beklagte erwidert, dass die Klägerin nur einmal geputzt habe. Die Operator-Skopus-Struktur 373 A1 (...) ich hab des geschäft- B ja ç * des war des war im januar C in fünf bis sechs wochen æ de=s aber 25 A1 (...) de=s unverschämt ç A2 >des is zu viel ç < -> C de=s aber für n reformhaus keine empfehlung hörn sie mal wenn A2 (...) B eben ç des war (...) 30 C so wenig geputzt worden ist ç ne ham sie net A1 nei"n (...) A2 (...) (...) B und äh da war mir schon C drum gekümmert herr may æ hörn sie mal [Kategorie 2]: Der Operator ist hier in eine größere Einheit insertiert. Es handelt sich bei hörn sie mal um eine parenthetische Äußerung, die zwischen einem Hauptsatz und einem Konditionalsatz eingefügt wurde. Die Verstehensanweisung, die der Operator für seine Bezugsäußerung gibt, ist, dass es sich um eine kritische Anmerkung bzw. Stellungnahme handelt. Sie bezieht sich, weil der Operator insertiert ist, sowohl auf den vorangegangenen Teil des Skopus als auch den nachfolgenden. Häufig beinhalten diese Imperativformen eine emotionale Färbung der Verwunderung, des Ungehaltenseins, der Empörung oder des Erstaunens über etwas vorher Geschehenes (Handlung oder Äußerung). Prosodisch ist hörn sie mal ebenfalls als eingeschoben markiert: die Stimmlage ist tiefer. Bei wenn (S. 21, Zeile 27 nach dem Operator) erfolgt ein neuer, höherer Ansatz, der auf demselben Niveau von empfehlung (S. 21, Zeile 27 vor dem Operator) ansetzt. Die Reichweite des Skopus ist bei diesem Beispiel eindeutig: der Skopus umfasst de=s aber de=s aber für n reformhaus keine empfehlung wenn so wenig geputzt worden ist. Sowohl syntaktisch wie auch semantisch und prosodisch ist sein Ende hinter worden ist (S. 21, Zeile 30) lokalisiert. Zudem übernimmt Sprecher B genau an dieser Stelle das Rederecht, d.h. er interpretiert sie als übergaberelevanten Punkt. dazu folgendes: S. 22, Zeile 35 Der Beklagte möchte, dass seine Frau zu bestimmten Vorwürfen, die ihm die Kläger machen, angehört wird. Darauf erläutert der Schlichter, unter welchen Umständen er welche Zeugen berufen wird. Eigenschaften gesprochener Sprache 374 30 A1 wird dann auch frau abel B wird ç * denn das sti"mmt nischt ç C äh- A1 angehört ç A2 >hah des is doch ganz ->35 C herr may äh dazu folgendes ich- A1 deine mutter hat (...) A2 uninteressant ç < C werde- * zeugen hörn hörn se 01 C doch mal bissel zu anstatt sich hier nur aufzuregen ç * A2 >des is doch auch verständlich ç < C å äh ich werde zeugen dann hören wenn ein C tatsachenvortrag kommt und die als zeugen benannt ist sind- * 05 C u"nd es für die entschei"dung auf die wahrheit oder unwahrheit C der behaupteten tatsachen a"nkommt ç * nur dann çl * daran C fehlt=s noch meilenweit æ * äh wenn hier vorgetragen werden dazu folgendes [Kategorie 1]: Der Schlichter (Person C) versucht in Zeile 32 das Rederecht zu erlangen. Zu diesem Zweck spricht er den Beklagten direkt mit Namen an. Danach markiert er durch eine kurze gefüllte Pause (äh), dass sein Turn noch nicht beendet ist. Dann folgt der Operator dazu folgendes. Er fungiert an dieser Stelle nicht nur als Operator, sondern auch als Turnhaltesignal. C kämpft um das Rederecht und ist im Prozess des Formulierens (ich werde zeugen hören wird langsamer und stakkato artikuliert). Der Operator gibt hier die Verstehensanweisung: „Die folgende Aussage ist eine nähere Einlassung.“ Häufig - so auch in diesem Fall - ist die Einlassung korrigierender Art. Die Zweigliedrigkeit der Operator-Skopus-Struktur ist in diesem Beispiel durch eine Parenthese innerhalb des Skopus zunächst nicht augenfällig. Mit der Parenthese hörn se doch mal bissel zu anstatt sich hier nur aufzuregen kämpft Sprecher C um die Aufmerksamkeit der Hörer. Nach der Parenthese nimmt der Sprecher die Formulierung wieder auf und setzt sie fort. Der Skopus reicht bis ankommt (S. 23, Zeile 6). Hier ist eine erste syntaktische, semantische und prosodische Grenze. Man kann jedoch in Betracht ziehen, dass nur dann (S. 23, Zeile 6) als verdeutlichende Expansion ebenfalls zum Skopus gehört. Die Operator-Skopus-Struktur 375 klar: S. 27, Zeile 16 Der Beklagte B versichert, dass er nicht daran interessiert war, persönliche Gegenstände des Klägers, die dieser in seinem Geschäft zurückgelassen hatte, für sich zu behalten. Der Schlichter signalisiert sein Verständnis und leitet zur Beendigung der Sitzung über. 10 B frau gsagt was is denn mit den schuhen da- * wir ham a"lles B durchgschaut ç * ni"cht zu finden ç * und wi"r ham keine C (...) A1 des- B weder meine frau noch ichhaben da an so was äh: - * in/ 15 B interesse ç ** ja ç -> C klar könnt ich mir au=net denken wozu ç C sicher ç ** >klar schon soweit< okay also äh- *2* #ergeht folgender K VERSCHLUCKT C beschluß termin# zur verhandlung vor der kammer wird bestimmt ç K EINZELNE SILBEN DIESER ROUTINEFORMEL C #*5* auf- *3*# freitag ç ** den siebzehnten mai K BLÄTTERT IM KALENDER klar [Kategorie 4]: An dieser Stelle handelt es sich um keinen Operator. klar kann ähnlich wie sicher eine Einräumung signalisieren. Hier fungiert klar jedoch nur als Zustimmungssignal. Der Sprecher signalisiert, dass er die Äußerung des vorhergehenden Sprechers verstanden hat und nachvollziehen kann. Es folgen drei weitere Zustimmungssignale: sicher, klar schon soweit, okay. Diese Kumulation verstärkt den Zustimmungscharakter von klar. zweitens: S. 27, Zeile 32 viertens: S. 28, Zeile 5 übrigens: S. 28, Zeile 18 Inhaltlicher Zusammenhang: Der Schlichter verkündet seinen Beschluss und einen neuen Verhandlungstermin. B welche uhrzeit herrelf uhr fünfzehn ç 30 C zweitenself uhr fünfzehn ç A1 siebzehnter fünfter æ * -> C zweitens ç dem kläger wird aufgegeben- *5* C den tats/ *na*sachenvortrag im einzelnen unter bewei"santritt Eigenschaften gesprochener Sprache 376 C entsprechend dem heute in der güteverhandlung geäußertem- * 35 C zu ergänzen und zu korrigiern ç *5* frist hierfür- ** dritter 01 C fünfter ç ** der beklagte soll hierauf erwidern- ** bis-* zum-* A2 >des is doch net möglich ç < B von meiner C elften fünften ç *2* achtunachtzig æ ** 05 B seite ç -> C ja ç * viertens ç ** im hinblick auf den tatsachenvortrag- A1 >(...)< C ** daß ein taschengeld- * vereinbart worden ist- *3* und C die"s angesichts der gsamtumstände auch nicht unplausibel 10 C erscheint- * >nicht total unplausibel-< verpflichtet sich C schlägt das b/ äh gericht-* vor sich wie folgt zu vergleichen-* A2 >die putzfrau hat=s (...)< C der beklagte- * zahlt an- * den kläger C abel und die klägerin leopold- * für- * die zeit- *2* der- ** 15 C anführungszeichen beschäftigung anführungszeichen- * ein C taschengeld in höhe von d. m. *3* sechshundert- *6* und an die C klägerin leopold- * für putzarbeiten- * zusätzlich d.m. A2 (...) (...) (...) -> C dreihundert ç *3* paragraph zweiübrigens damit is der- * 20 A1 die schuhe- C rechtsstreit erledigt die verfahrenskosten wern gegeneinander A1 des is n- C aufgehoben ç mein vorschlag geb ich ihn mit überlegen zweitens, viertens, übrigens [alle Kategorie 1]: In dieser Sequenz zählt der Schlichter die einzelnen Punkte seines Beschlusses auf, wobei er eine Gliederung seiner Aufzählung durch zweitens und viertens signalisiert, den ersten und dritten Punkt markiert er nicht explizit. In der Zeile 30, S. 27 tritt erstmals zweitens auf. Hier handelt es sich möglicherweise schon um einen Operator, da der Sprecher aber aufgrund der Frage des Beklagten seine Struktur nicht fortsetzt, sondern auf die Frage direkt antwortet, hat dieses zweitens keinen Skopus. In Zeile 32, S. 27 greift der Schlichter seine Struktur wieder auf, indem er zweitens wiederholt und dieses Mal den Skopus Die Operator-Skopus-Struktur 377 realisieren kann. Prosodisch wird zweitens beide Male sehr ähnlich gesprochen. Hinter korrigiern (S. 27, Zeile 35) endet der Skopus, da sowohl syntaktisch, semantisch und prosodisch eine Grenze vorliegt. In Zeile 5, S. 28 setzt er seine Aufzählung durch viertens fort. Dieser Operator ist nach vorne und hinten durch eine Pause abgesetzt, die Intonation ist deutlich fallend und trägt einen Akzent. Als relativ ausgedehnt zeigt sich der Skopus; er erstreckt sich bis zusätzlich d.m. dreihundert (S. 28, Zeile 19). Durch die Formulierung in Zeile 11 wie folgt und die gleichbleibende Intonation auf vergleichen (S. 28, Zeile 11) wird jedoch Progredienz angezeigt, so dass ein früheres Skopusende nicht in Betracht kommt. Übrigens gibt die Verstehensanweisung „Es wird jetzt noch ein zusätzlicher Punkt, der im Zusammenhang relevant ist, der bisher aber nicht thematisiert war, aufgeführt.“ Der Skopus könnte sowohl bis erledigt (S. 28, Zeile 21), wo syntaktisch-semantisch ein erster Endpunkt liegt, als auch bis zur ersten prosodischen Senkung, hinter aufgehoben (S. 28, Zeile 23), reichen. gut also: S. 29, Zeile 26 Nachdem der Schlichter seinen Beschluss verkündet hat, versucht der Kläger A2 Widerspruch einzulegen und seine Sichtweise zu erklären. Der Schlichter signalisiert, dass er Verständnis für den Unmut des Klägers hat, lässt sich aber auf keine weiteren Diskussionen ein und beendet die Verhandlung. A2 (wir ham)- C >ja das glaub ich daß sie=s anders sehn des glaub ich ç < * C natürlich sehn sie=s anders sie sin doch der betroffene ç ** 25 A2 wir sind getäuscht worden ç -> C gut also äh überlegen=s sich das und sehn uns denn wieder- C * der kammertermin- * vielleicht auch wenn sie beide die C zustimmungserklärung zu dem vergleichsvorschlag abgeben denn A2 >des letzte 30 C sehn wir uns nicht mehr des wäre auch ganz gut ç ** gut also [Kategorie 3]: Durch das gleichzeitige Auftreten von gut und also lassen sich die Funktionen von beiden Partikeln nicht eindeutig bestimmen. gut scheint sich jedoch überwiegend auf das Vorhergehende zu beziehen und Eigenschaften gesprochener Sprache 378 kaum projektive Kraft zu haben. Zwar ist also prosodisch leicht durch äh abgesetzt, aber seine Funktion als Gliederungssignal überwiegt hier. Der Sprecher schließt mithilfe der ersten Partikel die Äußerung ab, und mithilfe des zweiten leitet er die nächste Äußerung ein. bloß: S. 30, Zeile 8 Der Kläger A2 hat das Urteil nicht ganz verstanden und fragt nach, was der Schlichter gesagt hat. Dieser erklärt nochmals ganz knapp seinen Einigungsvorschlag und fügt hinzu, dass die Kläger auf diesen nicht eingehen müssen. 05 A1 (...) C zu akzeptiern is n vorschlag von mir mhm æ * sie können auch C stattdessen sagen ich will ne millio"n haben des is völlig -> C legitim sie können a"lles verlangen ç * bloß ob s=es krie"gen ç * C de=sch e andere frag ç ** so" jetz ham wer aber viel zeit C aufgewendet ç bloß [Kategorie 4]: An dieser Stelle ist bloß prosodisch vollkommen integriert. Somit entsteht keine markante Zweigliedrigkeit. Bei diesem Beispiel ist jedoch zu überlegen, ob angesichts der Tatsache, dass ein Satzgefüge vorliegt, das zudem sentenzartig ist, bloß nicht doch - auch wenn es nicht prosodisch abgesetzt ist - als separiert wahrgenommen wird. 3.3 Funktion und Platzierung der Operator-Skopus-Strukturen im Schlichtungsgespräch Im Folgenden soll gefragt werden, ob sich eine Systematik in Bezug auf die Verteilung und Auftretenshäufigkeit der Operatoren sowie der vorkommenden Operatorklassen in diesem Transkript feststellen lässt. Dazu muss der Gesprächstyp näher charakterisiert werden. Wie oben erwähnt, handelt es sich um ein Schlichtungsgespräch. Schlichtung ist ein kommunikatives Verfahren, das den Beteiligten zur Bewältigung sozialer Konflikte dient. Bei diesen Verfahren sind typischerweise drei Parteien vertreten: die beiden Streitparteien und der Schlichter. Streit kann hierbei Die Operator-Skopus-Struktur 379 als Ausdruck divergenter Orientierung der Parteien über Sachverhalte oder Sachverhaltszusammenhänge interpretiert werden. Zu den Voraussetzungen von Schlichtungsgesprächen gehören demnach vor allem Divergenzen der Perspektiven der Beteiligten. Dies betrifft auch die Position des Schlichters selbst, der in der Lage sein muß, eine dritte Perspektive auf den Streitfall zu werfen. (Spranz-Fogasy 1997, S. 61). Diese Perspektivendivergenz muss im Laufe der Verhandlung interaktiv ausgearbeitet und dann aufgelöst werden. Letzteres zumindest soweit, wie es für die zentrale Anforderung von Schlichtungsgesprächen, die Herstellung einer juristisch definierbaren gütlichen Einigung, erforderlich ist. (ebd.). Spranz-Fogasy (1997) unterscheidet zwei zentrale Phasen für den Interaktionstyp Schlichtung. Diese sind wiederum in einzelne Aufgaben zu unterteilen, die eine interaktionslogische Abfolge aufweisen: Klärung der Konfliktauffassungen Etablierung der Anschuldigung Stellungnahme der Beklagtenpartei Entgegnung der Klägerpartei Definition des Schlichtungsgegenstandes Einigung auf eine Lösung Vorlage eines Lösungsvorschlages Stellungnahme der Parteien Vorschlagsaushandlung Vorschlagsannahme Ergebnissicherung Honorierung (ebd., S. 63). In Bezug auf die Operator-Skopus-Struktur ist zunächst zu untersuchen, von welcher Gesprächspartei welche Operatoren mit welcher Frequenz verwendet werden: Der Schlichter verwendet die meisten Operator-Skopus-Strukturen (10-mal), gefolgt vom Kläger A2 (7-mal). Die Klägerin A1 hingegen benutzt sie nur einmal und der Beklagte B zweimal. Der häufige Gebrauch durch den Schlichter lässt sich zum einen in Zusammenhang bringen mit den kommunikativen Aufgaben seiner Rolle. Als Schlichter muss er das Gespräch steuern, die dargestellten Sachverhalte resümieren und zwischen den Parteien vermitteln. Generell muss er die Verständigung sichern, was er mithilfe von verschiedenartigen Verstehensanweisungen (unter anderem der Eigenschaften gesprochener Sprache 380 Operator-Skopus-Struktur) für seine Äußerungen leisten kann. Zum anderen hängt die Verwendung der Operator-Skopus-Struktur bei den Personen A1, A2 und B damit zusammen, wie häufig sie zu Wort kommen: Die Gesprächsanteile von Sprecher A2 sind wesentlich größer als die von A1 und B. Betrachtet man die Art der Operatoren, die verwendet werden, stellt sich heraus, dass überwiegend Operatoren zur Signalisierung der Relationen zwischen Äußerungen (vgl. III.2.1 Gruppe 4) Anwendung finden (beispielsweise also, sondern, dazu folgendes, zweitens). Sie stellen gesprächsorganisierende und inhaltliche Relationen zwischen Äußerungen im Skopus und vorangehenden Äußerungen her. Operatoren, die den mentalen Status einer Äußerung anzeigen (ich meine), treten nur einmal auf, imperativische Formen (hören sie, sagen sie) fünfmal (viermal von Sprecher C und einmal von Sprecher A2 (in einer Redewiedergabe)). Auffällig ist, dass nachgestellte Ausdrücke der Art nicht (nisch), nicht (net) wahr von Sprecher B häufig verwendet werden. Wir sehen hierin einen idiosynkratischen Gebrauch dieser Partikeln, was dazu geführt hat, sie in der Mehrzahl der Fälle nicht als Operator-Skopus-Struktur zu betrachten. Als nächster Schritt soll gezeigt werden, ob und in welchen der oben genannten Schlichtungsphasen die Operator-Skopus-Struktur auftritt. Folgt man der Phaseneinteilung von Spranz-Fogasy (1997) ergibt sich folgende Verteilung der Operator-Skopus-Strukturen (es werden nur Operatoren genannt, die von uns als problemlos eingestuft wurden): 1. Klärung der Konfliktauffassungen (a) Etablierung der Anschuldigung (b) Stellungnahme der Beklagtenpartei B, S. 2 wie gesacht C, S. 3 sagen sie C, S. 3 also (c) Entgegnung der Klägerpartei A2, S. 5 weil A2, S. 6 und A2, S. 7 also A1, S. 7 also A2, S. 8 also wissen sie Die Operator-Skopus-Struktur 381 (d) Definition des Schlichtungsgegenstandes C, S. 10 also A2, S. 15 sondern, sondern C, S. 17 hören sie 2. Einigung auf eine Lösung (a) Vorlage eines Lösungsvorschlages C, S. 19 ja ich mein (b) Stellungnahme der Parteien A2, S. 19 das heißt (c) Vorschlagsaushandlung C, S. 21 hören sie mal C, S. 22 dazu folgendes B, S. 24 also (d) Vorschlagsannahme (e) Ergebnissicherung C, S. 27/ 28 zweitens, viertens, übrigens (f) Honorierung Zu Beginn der Verhandlung fordert der Schlichter den Beklagten B auf, zu den Beschuldigungen Stellung zu nehmen (Phase 1b). Da Sprecher B dieser Aufforderung nicht in einer für den Schlichter zufrieden stellenden Weise nachkommt, signalisiert dieser sein Unverständnis. Er fordert den Beklagten mehrfach indirekt auf, eine bessere Erläuterung der Sachlage zu geben (versteh ich sie richtig, eins versteh ich jetz nich so richtig, wie soll denn des gehen, S. 2, Zeile 4, 11, 17; sämtlich Verstehensanweisungen, aber keine Operator-Skopus-Strukturen). In diesem Kontext treten nun drei Operator- Skopus-Strukturen auf: Sprecher B signalisiert, dass er doch eigentlich das Wesentliche schon gesagt hat und es nun nur noch einmal wiederholt (wie gesacht). Die Erläuterungen von B sind für C jedoch immer noch nicht zufrieden stellend; er fordert ihn mit sagen sie (S. 3, 11), also und der darauf folgenden Verstehensanweisung (die jedoch keine Operator-Skopus-Struktur ist) pf/ ganz konkret zu werden (beide S. 3, Zeile 26) auf, eine genauere Darstellung zu liefern. Hier ist der Schlichter bemüht, den Sachverhalt aus der Sicht des Beklagten nachzuvollziehen, und fordert ihn daher zur Expansion des Sachverhaltes auf. Daraufhin folgt die Entgegnung der Klägerpartei (1c). In dieser Phase bekommt der Kläger die Gelegenheit, den Sachverhalt aus Eigenschaften gesprochener Sprache 382 seiner Sicht zu erläutern. Hierbei treten fünf Operator-Skopus-Strukturen auf, die dem Kläger dazu dienen, seine Ausführungen in einer logischen Abfolge darzustellen (weil, und, also, also wissen sie). Am Ende dieser Ausführungen leitet C mithilfe einer Operator-Skopus-Struktur (also, S. 10, Zeile 30) und einer Batterie von weiteren Verstehensanweisungen (passen sie auf, passen sie auf, es is doch ganz offensichtlich, S. 10, Zeile 30/ 31) zur Definition des Schlichtungsgegenstandes (1d) über. Er ist bemüht, auf Einwände des Klägers (sondern, S. 15, Zeile 18, 23) den Sachverhalt nun aus seiner Sichtweise darzustellen und Reduktionen auf die wesentlichen Punkte der Klage vorzunehmen (hörn sie, S. 17, Zeile 14). Zur Einleitung des ersten konkreten Lösungsvorschlages (Phase 2a) verwendet C einen den mentalen Status der Äußerung anzeigenden Operator (ich mein, S. 19, Zeile 11), um zu signalisieren, dass nun seine persönliche Meinung zu der Klage geäußert wird, aus der sich dann der Lösungsvorschlag ergibt. An dieser Stelle nimmt er eine Reduktion der verschiedenen Sachverhaltsdarstellungen auf die aus seiner Sicht wichtigen Aspekte vor. Während der Vorschlagsaushandlung (2c) greift der Schlichter Stellungnahmen des Beklagten durch Operator- Skopus-Strukturen auf (hörn sie mal, S. 21, Zeile 27; dazu folgendes, S. 22, Zeile 35). Die Ergebnissicherung (2e) strukturiert C durch Operatoren, die eine diskursive Relation im Sinne einer Reihung bewirken (zweitens, viertens, übrigens, S. 27/ 28, Zeile 31, 5, 18). Generell ist festzuhalten, dass die Operator-Skopus-Struktur innerhalb der einzelnen Phasen des Schlichtungsgesprächs spezifische Verwendung findet: Insbesondere der Schlichter nutzt diese Struktur, um die Expansion und Reduktion von Sachverhalten zu steuern, damit er seiner Aufgabe, die Komplexität des Sachverhaltes aus der Sicht der streitenden Parteien nachzuvollziehen und zu einer Lösung zu finden, nachkommen kann. So dient die Operator-Skopus-Struktur dem Schlichter dazu, Überleitungen von einer Phase zur nächsten zu vollziehen, Umfokussierungen vorzunehmen oder weitere Ausführungen einzufordern. Inwieweit diese Feststellungen über den hier behandelten konkreten Einzelfall hinaus gültig sind, bedarf aber weiterer Analysen. Die Operator-Skopus-Struktur 383 4. Analysen zu ausgewählten Klassen von Operatoren Nachdem wir in den vorangehenden Abschnitten von Kapitel III die funktionalen und formalen Eigenschaften von Operator-Skopus-Strukturen umrissen haben, die man als allgemein zutreffend ansehen kann, nehmen wir nun einen Wechsel in der Perspektive vor. Es geht nicht mehr darum, das Konzept der Operator-Skopus-Struktur darzulegen und mittels Beispielen zu veranschaulichen, sondern das Ziel ist nun, die Besonderheiten ausgewählter Funktionstypen von Operatoren zu beschreiben. Wir beziehen uns dabei auf die Klassifikation der Qualifizierungsleistungen von Operatoren in Abschnitt III.2.1, ohne dass es hier möglich wäre, die dort genannten Funktionen und Operatoren umfassend darzustellen. Weiterhin gilt die bereits zuvor gemachte Einschränkung, dass wir uns im Folgenden nur noch mit Operatoren befassen, die der Bezugsäußerung vorangestellt sind. Nur ihnen kommt uneingeschränkt die Eigenschaft zu, eine vorgängige Verstehensanweisung zu sein. Die erste Teilgruppe von Operatoren, der wir uns zuwenden, ist die der Geltungsoperatoren (III.4.1). Das sind Operatoren, die Sprecher einer Äußerung voranstellen, um den jeweiligen Adressaten zu verstehen zu geben, für wie sicher, glaubwürdig, gültig sie die Aussage halten, deren Mitteilung sie planen (vgl. dazu Abschnitt III.2.1, Klasse 3). 188 Als eine zweite Teilgruppe werden wir Operatoren behandeln, mit deren Hilfe Sprecher dem Hörer signalisieren, dass die Proposition im Skopus des Operators eine Aussage ist, die zu einer vorher gemachten Aussage in einer Gegensatzrelation steht. Wir nennen diese Gruppe von Operatoren Gegensatzoperatoren (III.4.2). 4.1 Geltungsoperatoren Wir befassen uns im Folgenden zunächst - als Einführung in den speziellen Gegenstand dieses Unterabschnitts - mit der (standard-)grammatischen Einordnung von Geltungsoperatoren (III.4.1.1) und mit ihrer Behandlung in der 188 Wie später zu zeigen sein wird, erschöpft sich die Diskursfunktion von Geltungsoperatoren allerdings nicht in der Angabe des Gültigkeitsgrades propositionalen Wissens. In bestimmten Verwendungskontexten können Geltungsoperatoren sekundär die Handlungsqualität einer Äußerung kennzeichnen. In dieser Funktion sind sie der Klasse 1 der in Abschnitt III.2.1 aufgeführten Qualifizierungsleistungen zuzuordnen. Eigenschaften gesprochener Sprache 384 wissenschaftlichen Literatur (III.4.1.2). Anschließend stellen wir Datenbasis und Ergebnisse der Untersuchung der Geltungsoperatoren dar (III.4.1.3 bis III.4.1.5). Der Abschnitt schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse der Analyse (III.4.1.6). 4.1.1 Bemerkungen zur (standard-)grammatischen Einordnung von Geltungsoperatoren Geltungsoperatoren sind - wie erwähnt - Ausdrücke, die Sprecher verwenden, um die Gültigkeit ihrer Aussagen zu charakterisieren. Wenn man von den in Abschnitt III.2.3.1c behandelten Matrixsätzen absieht, handelt es sich dabei - grammatisch gesehen - um modale Satzadverbialia bzw. Modalwörter. Um Operatoren zu sein, müssen diese Ausdrücke zwei Bedingungen erfüllen: (1) Der Sprecher oder Schreiber hat das betreffende geltungsrelevante Adverbial außerhalb der Grenzen der Konstituentenstruktur des Bezugssatzes (bzw. einer anderen kommunikativ selbstständigen Äußerung) realisiert. Hat er das geltungsrelevante Adverb dagegen in die Konstituentenstruktur eingegliedert, liegt keine Operator-Skopus- Struktur vor, und das entsprechende Adverb ist dann auch kein Operator im Sinne dieses Buches. 189 (2) Es muss sich bei den betreffenden Adverbialia um nicht-komplexe Ausdrücke handeln, damit sie das für Operatoren maßgebliche Kriterium der Kürze erfüllen (vgl. III.2.3.1). 189 Dass dies hier nochmals erwähnt wird, hat einen Grund. Es gibt in der Adverbialsyntax eine Konzeption, in deren Rahmen Satzadverbialia generell als Operatoren betrachtet werden, genauer als „Einstellungsoperatoren“ (Lang 1979, 1981, 1983; Pasch 1985; Helbig/ Helbig 1993 u.a.). Das Konzept des Einstellungsoperators ist hinsichtlich seiner Extension weiter als der von uns verwendete Operatorbegriff, allerdings mit einer Einschränkung: Die satzexternen Vorkommen von Satzadverbialia werden als Einstellungsoperatoren nicht explizit ausgeschlossen, aber de facto nicht behandelt. Bei aller Unterschiedlichkeit (eingeschlossen die des theoretischen Rahmenwerks und der Forschungsziele) sind die beiden Konzepte aber nicht unverträglich miteinander. Die Operator-Skopus-Struktur 385 4.1.2 Literaturübersicht Da Geltungsoperatoren einerseits im Zusammenhang mit den modalen Satzadverbialia gesehen werden müssen und andererseits dadurch charakterisiert sind, dass sie die für Satzadverbialia ungewöhnliche Stellung vor (oder auch nach) dem Satz einnehmen, sind für ihre Darstellung sowohl die Literatur zu den Satzadverbialen als auch die zu Satzrandbzw. Vor-Vorfeld-Phänomenen heranzuziehen, soweit in letzter Adverbiale eine Rolle spielen. (a) Modale Satzadverbialia - standardbzw. textgrammatisch Formen und Funktionen von Adverbien sind in den vergangenen vierzig Jahren Gegenstand intensiver sprachwissenschaftlicher Diskussion gewesen. In ihrem Ergebnis setzte sich die von Paul (1959, S. 116/ 117) und von Brinkmann (1962, S. 118) vorgenommene Unterscheidung von Verbgruppenadverbialia auf der einen und Satzadverbialia auf der anderen Seite durch. Während Verbgruppenadverbialia Sprechern und Schreibern dazu dienen, das Prädikat eines geäußerten Satzes zu modifizieren, beziehen sich Satzadverbialia modifizierend auf die Proposition des Satzes, der in ihrem Skopus steht. Diese Eigenschaft von Satzadverbialen ist unabhängig davon, ob der Sprechende das betreffende Adverb in die Binnenstruktur des Satzes einordnet oder ob er es außerhalb des Satzes, im so genannten Vor-Vor- oder Außenfeld, realisiert. Sie ist aber eine Voraussetzung dafür, dass die Vor- Vorfeld-Stellung von Adverbien oder - anders ausgedrückt - die Bildung entsprechender Operator-Skopus-Strukturen überhaupt möglich ist. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Adverbialen im Allgemeinen und den Satzadverbialia im Besonderen hat eine ganze Reihe von Subklassifizierungsvorschlägen hervorgebracht (Engel 1988, S. 219ff.; Weinrich et al. 1993, S. 556ff.; Pittner 1996; Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, Bd. 2, S. 1124ff.; Helbig/ Buscha 1998, S. 337ff., S. 500ff.). Sie unterscheiden sich voneinander nach Maßgabe der jeweiligen theoretischen Richtung der Grammatik, deren Bestandteil sie sind, und in Abhängigkeit von der Auswahl und Gewichtung der Klassifizierungskriterien durch die Autoren. Auch die verwendete Terminologie ist nicht einheitlich. 190 Weitgehende Übereinstim- 190 Z.B. werden die modalen Satzadverbialia von anderen Autoren auch als „Existimatorische Angaben“ (Engel), „Modalwörter“ (Helbig/ Buscha), „Geltungsadverbien“ (Weinrich et Eigenschaften gesprochener Sprache 386 mung besteht jedoch im Hinblick darauf, welche Ausdrücke zu den modalen bzw. geltungsspezifizierenden Satzadverbialia zu zählen sind und dass die in Frage kommenden Ausdrücke in mehrere Untergruppen unterteilt werden können. Für die im Folgenden darzustellende Untersuchung sind die beiden Gruppen der „assertiven“ und der „modal abschwächenden“ Satzadverbialia relevant (vgl. Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, Bd. 2, S. 1126ff.), also Ausdrücke, die den Geltungsanspruch der Bezugsäußerung verstärken - wie gewiss, gewisslich, bestimmt, tatsächlich, wirklich, sicherlich, zweifellos - oder ihn relativieren - wie vielleicht, wahrscheinlich sowie das eine hohe Wahrscheinlichkeit ausdrückende sicher. Wenn sie in nicht-integrierter Position vor oder nach ihrem Bezugssatz vorkommen, bezeichnen wir sie, wie bereits erwähnt, als Geltungsoperatoren. In den oben genannten standardsprachlich orientierten Grammatiken spielen diese Stellungsvarianten allerdings - im Unterschied zu den im folgenden Abschnitt genannten Arbeiten - keine hervorgehobene Rolle, es wird von der (bei diesen Adverbialen überwiegenden) satzintegrierten Verwendung als dem Standardfall ausgegangen. (b) Untersuchungen zu nicht-integrierten Adverbialen Im Vergleich mit der umfangreichen Literatur, die es zu den Adverbialen im Allgemeinen und speziell auch zu deutschen Adverbialen gibt, sind Arbeiten, in denen das Phänomen des an den Satzrändern positionierten, nicht integrierten Adverbials bzw. des adverbialen Operators behandelt wird, nicht zahlreich (s. auch Auer 1997, S. 57). Speziell mit Adverbialia im Vor-Vorfeld befassen sich im Rahmen der deutschen Sprache Ortner (1983), Thim- Mabrey (1985) und (1988) sowie Auer (1996) und (1997), bis zu einem gewissen Grade auch Schröder (1984) und Niehüser (1987). Überblickt man die genannten Arbeiten, ist zunächst anzumerken, dass nur Schröder und Auer authentische Gesprächsdaten zugrunde legen. Die anderen Autoren stützen sich auf Belege, die der Belletristik oder Zeitungstexten entnommen sind. Obwohl natürlich auch schriftsprachliche Verwendungsbeispiele Aufschluss über die Funktionen sprachlicher Ausdrücke geben, ist klar, dass der Verzicht auf gesprochensprachliche Daten eine Verkürzung al.) oder „Adverbiale der Sprechereinstellung“ (Pittner) bezeichnet. Der Terminus „Satzadverb“ ist aber der gebräuchlichste. Die Operator-Skopus-Struktur 387 der Analysemöglichkeiten bedeutet. Auf der Grundlage von schriftlichen Belegen können prosodische Charakteristika kommunikationssteuernder Ausdrücke lediglich introspektiv und die interaktive Funktion nicht vollständig rekonstruiert werden (s. auch Auer 1997, S. 57). Eine Analyse, welche die Teilgruppe der nicht-integrierten Geltungsadverbien in den Mittelpunkt stellt, existiert unseres Wissens nicht. Einige der oben genannten Autoren behandeln ausschließlich Konjunktionaladverbien. Dazu gehört Schröder (1984, S. 482ff.), der im Hinblick auf Geltungsadverbien wie vermutlich, wahrscheinlich, hoffentlich, offensichtlich lediglich feststellt, dass ihnen die Fähigkeit zu topologischer Unabhängigkeit von Syntagmen fehle (ebd., S. 475). Niehüser (1987), der die von ihm behandelten explizit redecharakterisierenden Adverbiale von den Modalwörtern bzw. Satzadverbien abzugrenzen sucht (ebd., S. 19ff.), hat wiederum nur die satzintegrierten modalen Adverbialia im Blick, wenn er sie als modale Marker bezeichnet, mit deren Hilfe der Sprecher sein Verhältnis zur Realität seiner Aussage bzw. sein emotionales Verhältnis zu ihr kennzeichne. Im Gegensatz dazu seien die redecharakterisierenden Adverbiale als metamodale Marker zu betrachten, da sie die Gesamtäußerung einschließlich vorhandener modaler Marker beträfen. Dass auch modale Adverbialia die Position vor dem Satz einnehmen können, sieht er nicht und stellt sich daher auch nicht die Frage, ob sie nicht in dieser Stellung möglicherweise eine den redecharakterisierenden Adverbialen vergleichbare „metamodale“ Qualität annehmen - wie auch immer man diese genauer zu bestimmen hätte. Im Unterschied zu Schröder und Niehüser führen andere Forscher aus, dass modale Adverbiale in vorgeschalteter Position eine besondere Funktion haben, auch wenn sie diese nicht als Operator-Funktion bezeichnen, sondern von einer Konnexions- oder metakommunikativen Funktion sprechen. Ortner (1983), der „syntaktisch hervorgehobene“, d.h. syntaktisch nicht integrierte Konnektoren behandelt (vgl. auch die Ausführungen in Abschnitt III.1.4), weist darauf hin, dass ein modales Adverb wie gewiss korrelative Funktion haben kann. Er führt dafür das folgende Beispiel aus der Zeitschrift „Die Zeit“, Nr. 40/ 1980, S. 34 an: Eigenschaften gesprochener Sprache 388 (1) Gewiß: Vieles, was den Aufbruch der frühen Siebzigerjahre auslaufen ließ, war ... Indes: Hinter der Krise der Reformpolitik steckt mehr als die Dialektik von Aktion und Reaktion. Ortner argumentiert, gewiss sei korrelativ auf indes bezogen und bilde mit diesem zusammen eine Art „Distanzkonnektor“ (1983, S. 100). Dies ist ein in unseren Augen unzureichender Versuch, die vorwärts gerichtete Operatorfunktion von gewiss und vergleichbaren Ausdrücken auf dem Hintergrund schriftsprachlicher Daten zu beschreiben. Wie wir entsprechende Konstruktionen analysieren, ist in Abschnitt III.4.1.5c ausgeführt. Während die bisher genannten Autoren an den modalen Adverbialen (und darunter den Geltungsadverbialen) nur so weit interessiert sind, wie es für die Abgrenzung ihres spezielleren Forschungsthemas (konnektiv verwendete bzw. explizit redecharakterisierende Adverbiale) erforderlich ist, sind diese Adverbialia in den Arbeiten von Thim-Mabrey und Auer zu Vor-Vorfeld- Ausdrücken Teil des Untersuchungsgegenstandes (Thim-Mabrey 1988, S. 57ff.; Auer 1996, 297ff.; 1997, S. 57ff.). Für Thim-Mabrey steht dabei die Frage des metakommunikativen Status dieser Ausdrücke im Vordergrund. Da diese Frage eng damit zusammenhängt, was Geltungsoperatoren in der sprachlichen Interaktion tatsächlich leisten, wollen wir kurz auf diesen Punkt eingehen. Ausgangspunkt der Überlegungen von Thim-Mabrey ist die These, dass Vor-Vorfeld-Ausdrücke explizit metakommunikativ sind (1988, S. 53). Mit dieser Formulierung bezieht sie sich auf das Konzept von Metakommunikation, das Meyer-Hermann in den 70er Jahren entwickelte. Danach ist ein metakommunikativer Sprechakt ein Sprechakt, mit dem der Sprecher auf eine andere Sprechhandlung bzw. einen Teilaspekt einer anderen Sprechhandlung referiert, um etwas darüber zu prädizieren. Dabei muss die Sprechhandlung, über die etwas prädiziert wird, derselben kommunikativen Interaktionseinheit angehören wie der metakommunikative Sprechakt (vgl. Meyer-Hermann 1976, S. 84). Die Voraussetzung, dass Metakommunikation nur dann vorliegt, wenn explizit und in einem vollständigen (d.h. einen Referenz- und einen Prädikationsakt umfassenden) Sprechakt über die laufende sprachliche Kommunikation geredet wird, zwingt Thim-Mabrey dazu, jedes Die Operator-Skopus-Struktur 389 im Vor-Vorfeld verwendete Adverbial ohne Ausnahme auf einen selbstständigen metakommunikativen Sprechakt zurückzuführen. Ihre Rekonstruktionen fallen dabei teilweise recht künstlich aus. Wenn etwa ein Sprecher den Satz äußert: Tatsächlich, es war viel leichter als Hamstern, dann unterstreicht er - Thim-Mabrey zufolge - mit dem Operator tatsächlich nicht den mit der folgenden Äußerung es war viel leichter als Hamstern erhobenen Wahrheitsanspruch (wie wir in diesem Fall annehmen). Sondern er produziert in der Gestalt des Adverbials einen explizit-metakommunikativen Sprechakt, der in entfalteter Form lauten würde: Tatsächlich muss/ darf ich die folgende Äußerung machen: es war viel leichter als Hamstern. Formal betrachtet heißt das: Das Adverbial bezieht sich nicht auf den Sachverhaltsentwurf der folgenden Äußerung, sondern auf die (rekonstruierte bzw. zu rekonstruierende) Proposition der metakommunikativen Sprechhandlung und damit auf deren Geltung. Damit besteht zwischen dem vorgeschalteten Adverbial und der Folgeäußerung kein direkter Bezug mehr. Dies ist eine wenig plausible Annahme, wie man anhand der Diskursausschnitte, die in Abschnitt III.4.1.5 analysiert werden, selbst überprüfen kann. Allerdings schließt diese Feststellung nicht aus, dass es Fälle geben kann, in denen ein vorangestelltes Adverbial in der Tat als kondensierte Fassung eines metakommunikativen Sprechakts zu rekonstruieren ist. 191 Wir fassen zusammen: Thim-Mabreys Versuch, die metasprachliche Qualität von vorangestellten Adverbialen dadurch zu begründen, dass sie sie durchgängig auf explizit metakommunikative Sprechakte zurückzuführen versucht, fällt u.E. nicht überzeugend aus. Wenigstens gilt dies für Geltungsadverbialia vor assertiven Sprechhandlungen. Nicht nur wir meinen, dass man 191 Man vgl. das folgende Beispielpaar: (a) Besser, Fritzi erledigt ihre Schularbeiten gleich. (konstruiertes Beispiel) versus (b) Besser: Er ist Teil des monatelangen Spektakels. ( MMM / 602.08161,21.2.96, vgl. die Operatorenliste im Anhang). Hier handelt es sich im Falle von (b) klar um die Kurzform einer metakommunikativen Sprechhandlung, die man (unter anderem) rekonstruieren kann als besser gesagt/ formuliert/ ausgedrückt; um es besser zu formulieren/ auszudrücken; ich möchte/ darf es (noch) besser formulieren/ ausdrücken usw. Das Adverbial bezieht sich in diesen Rekonstruktionen auf das Prädikat bzw. die Proposition der metakommunikativen Äußerung und kann deshalb auch nicht allein, sondern nur zusammen mit einem entsprechenden Prädikat in die Bezugsäußerung hineinversetzt werden: Er ist, besser gesagt, Teil des monatelangen Spektakels. Anders verhält es sich im Falle von (a). Hier bezieht sich der Operator besser auf die Proposition der Folgeäußerung und kann deshalb auch in diese hineinversetzt werden, ohne dass die Bezugsäußerung inakzeptabel wird: Fritzi erledigt ihre Schularbeiten besser gleich. Eigenschaften gesprochener Sprache 390 Geltungsadverbialia in Vor-Vorfeld-Position nicht unbedingt als metakommunikative Ellipsen interpretieren muss, um den „Mehrwert“ an diskursprozessierender Information zu erklären, den sie im Vergleich mit integriert verwendeten Geltungsadverbialia haben können. Auer spricht von der „metapragmatischen“ Funktion von Adverbialausdrücken, die im Vor-Vorfeld stehen. Diese metapragmatische Funktion ist aber nicht notwendigerweise identisch mit expliziter Metakommunikation: „Eine zweite Verwendungsweise von Vor-Vorfeld-Adverbialien kann man ebenfalls ‘metapragmatisch’ nennen, nämlich die modale; das Adverbiale signalisiert in diesem Fall die Einstellung des Sprechers zum Gesagten und/ oder zum Hörer“ (1997, S. 59). Da die Funktion, dem Hörer die Einstellung des Sprechers zu signalisieren, aber die allgemeine semantische Funktion von Modaladverbialia ist, erhebt sich die Frage, ob Auer Geltungsadverbialia, die vom Sprecher in den Satz integriert werden, ebenfalls als metapragmatische Ausdrücke ansehen würde. Wir werden unsere Sicht in Abschnitt III.4.1.5 darlegen. 4.1.3 Anlage und Datengrundlage der Untersuchung der Geltungsoperatoren Der nachstehenden Darstellung der Geltungsoperatoren liegen Recherchen zugrunde, die wir zum größten Teil in den am Institut für Deutsche Sprache vorhandenen Korpora mittels des IDS -eigenen Systems COSMAS (Corpus Storage, Maintenance, and Access System) durchgeführt haben. Sie erstreckten sich auf folgende 48 modale Adverbiale: anscheinend keineswegs sicherlich augenscheinlich mitnichten Tatsache ist bestimmt möglicherweise tatsächlich erwiesenermaßen nachgewiesenermaßen unbedingt eventuell mutmaßlich unbestreitbar Fakt ist nachweislich unbestritten keine Frage natürlich unstreitig ohne Frage offenbar unzweifelhaft fraglos offenkundig vermutlich freilich offensichtlich vielleicht fürwahr selbstredend wahrhaftig gewiss selbstverständlich wahrlich keinesfalls sicher wahrscheinlich Die Operator-Skopus-Struktur 391 wirklich zugegebenermaßen zweifellos womöglich kein Zweifel zweifelsfrei zugegeben ohne Zweifel zweifelsohne Im Einzelnen recherchierten wir für die vorliegende Teiluntersuchung im Freiburger Korpus ( FKO ), im Dialogstrukturenkorpus ( DSK ), im Pfefferkorpus ( PFE ) sowie in einem Teilkorpus von Schlichtungsgesprächen ( SG ) - sämtlich Institut für Deutsche Sprache, Mannheim. Die Korpora enthalten Daten, die in den folgenden Jahren aufgenommen wurden: 1961 ( PFE ), 1960-1974 ( FKO ), 1960-1977 ( DSK ) und 1982-1990 ( SG ) (vgl. Dickgießer 1998). Ergänzend wurden die von Brons-Albert (1984) veröffentlichten Telefondialoge, die von Redder/ Ehlich (1994) herausgegebenen Transkripte gesprochener Sprache sowie die von Redder (1982) publizierten Schulstunden herangezogen, allerdings war die Ausbeute hier gering. Dies liegt sicher teilweise an dem relativ kleinen Umfang der genannten Korpora, teilweise aber auch am Typ der Kommunikation. So stellt z.B. Auer fest, dass adverbiale Vor-Vorfeld-Besetzungen in familiären und informellen Gesprächssituationen eher selten sind: Die meisten Beispiele fanden sich in formelleren Situationen und Gattungen wie Therapiegesprächen und institutionellen Beratungen. Der präferierte Ort für adverbiale Vor-Vorfeld-Besetzungen ist in der deutschen Gegenwartssprache also offensichtlich eine Form mündlicher Kommunikation, in der komplexere Sachverhalte dargestellt werden sollen und müssen. (Auer 1997, S. 57) Daten zum schriftsprachlichen Gebrauch von Geltungsoperatoren, die wir zu Vergleichszwecken erhoben haben, stammen aus dem ebenfalls am Institut für Deutsche Sprache verfügbaren Bonner Zeitungskorpus ( BZK ; Artikel aus den Tageszeitungen „Neues Deutschland“ und „Die Welt“, 6 Jahrgangsquerschnitte aus dem Zeitraum 1949 bis 1974) sowie aus den Korpora der Tageszeitung „Mannheimer Morgen“ ( MMM ; Jahrgang 1995) und der Zeitschrift „Spiegel“ (Jahrgang 1993/ 1994). Bevor wir zur Darlegung zunächst der quantitativen Recherche-Ergebnisse übergehen, ist noch auf ein Analyseproblem hinzuweisen. Im Rahmen des Konzepts der Operator-Skopus-Struktur behandeln wir nur solche Adverbien, mit denen der Sprecher seine Einstellung zur Proposition der eigenen folgenden Äußerung zum Ausdruck bringt. Aber in mündlicher Interaktion Eigenschaften gesprochener Sprache 392 sind nicht alle Adverbien, die eine Äußerung einleiten, auf diese Weise projektiv. Es gibt auch den Fall, dass der Sprecher mit dem Adverb bestätigend oder einschränkend auf die Äußerung seines Vorredners reagiert: (2) M1: [...] da"nn im späteren prozeß wird eingeräumt die jacke M1: is weggeworfen worden von der putzfrau die hat da M1: rumgehangen ç * des kann mer jetz- * beliebig variieren M1: |des beispiel- | -> C : |sicher |sie können sogar statt dem betrag von M1: |ja ç | C : tausend- * von hunderttausend mark nehmen |dann| wird=s C : noch deutlicher an der rechtslage ändert sich zunächst mal- * C : ni"chts ç (SG, 3003/ 99b, Zeile 369-375, vereinfacht) Das Beispiel stammt aus einer Verhandlung vor dem Arbeitsgericht. Das Adverb sicher, mit dem C, der vorsitzende Richter, seinen Diskursbeitrag einleitet, bezieht sich auf die abschließende Äußerung von M1 des kann mer jetz- * beliebig variieren des beispiel-. Die Konstruktion ist hier Ausdruck eines bekannten Strukturprinzips, nach dem viele Gesprächsbeiträge gebaut sind: In ihrem ersten Teil nimmt der Sprecher bestätigend oder einschränkend auf die Äußerung des Vorgängers Bezug, um dann - im zweiten Teil der Äußerung - einen weiterführenden Gesprächsbeitrag anzuschließen. Der Unterschied, von dem wir hier sprechen, wird in der Literatur auch als Gegensatz zwischen „retrospektiver“ und „projektierender Lesart“ von Adverbien diskutiert (Auer 1997, S. 66). Die Entscheidung, welche Lesart vorliegt, kann im konkreten Fall Schwierigkeiten bereiten. Als operatives Kriterium für das Auseinanderhalten der beiden Fälle empfiehlt Auer, die grammatische Ergänzungsbedürftigkeit zu prüfen, d.h. zu testen, ob die Äußerung nach dem Adverb zu Ende sein könnte oder nicht. Er muss jedoch einräumen, dass auch diese Probe nicht immer zu einem befriedigendem Ergebnis führt (ebd.). Wir haben uns daher bei unseren Häufigkeitsangaben auf die Vorkommen von topologisch nicht-integrierten Adverbien beschränkt, bei denen wir mit einer gewissen Sicherheit eine (primär) projektive Gerichtetheit festgestellt haben. Die Operator-Skopus-Struktur 393 4.1.4 Ergebnisse (I): Vorkommenshäufigkeiten Tabelle 1 gibt die Vorkommenshäufigkeiten der von uns durch die Recherche ermittelten Geltungsoperatoren in den Gesprächskorpora FKO , DSK , PFE und SG wieder. Es handelt sich dabei, wie bereits erwähnt, nur um die Vorkommen, bei denen die Sprecher(innen) den Operator der Bezugsäußerung voranstellten. Für jeden Ausdruck wird die absolute Häufigkeit angegeben, mit der er in den von uns durchgesehenen Korpora überhaupt vorkam, sowie die absolute und die relative Häufigkeit seines Vorkommens als (vorangestellter) Operator. (1) Die Tabelle verdeutlicht zunächst, dass von den in die Recherche einbezogenen 48 Adverbien in den Gesprächskorpora nur 9 Ausdrücke in Vor-Vorfeld-Stellung vorkamen. Sicher hätte man viele der Adverbien, die wir hinsichtlich ihrer Stellung überprüft haben, bereits auf der Grundlage des eigenen Sprachgefühls von der Recherche ausschließen können. Wir haben dies ganz bewusst nicht getan und halten diese Entscheidung auch für gerechtfertigt, weil wir im Falle von wahrscheinlich und vielleicht, die der allgemeinen Auffassung nach nicht vor ihrem Bezugssatz stehen können, Belege für die Vor-Vorfeld-Stellung ermittelt haben. Insgesamt gesehen bestätigt unser Recherche-Ergebnis einerseits die Aussagen zu der begrenzten Vor-Vorfeld-Fähigkeit von modalen Adverbien, die man in der Literatur findet (vgl. z.B. Auer 1997, S. 63). Sie sind aber andererseits geeignet, die ebenfalls von Auer vertretene Auffassung zu stützen, dass speziell Geltungsadverbiale diese Position im Vergleich zu anderen Adverbien (z.B. Evaluativa) noch am häufigsten einnehmen können (ebd.). Ein unterstützendes Indiz für diese These ist das Ergebnis unserer Recherche in den Zeitungskorpora (vgl. Tabelle 2 sowie die entsprechende Anmerkung dazu). Von den insgesamt 48 getesteten Ausdrücken sind es in diesem Fall 21, für die wir Vor-Vorfeld-Stellung belegen können. Eigenschaften gesprochener Sprache 394 Zeitraum PFE 1961 FKO 1960-74 DSK 1960-77 SG 1982-90 insgesamt freilich absolut Operator Prozent 35 1 2,85% 10 0 0% 1 0 0% 4 0 0% 50 1 2,00% gewiss absolut Operator Prozent 25 2 8% 33 2 6,06% 5 0 0% 0 0 0% 63 4 6,35% natürlich absolut Operator Prozent 1674 24 1,43% 948 2 0,21% 237 1 0,42% 220 0 0% 3079 27 0,88% selbstverständlich absolut Operator Prozent 98 0 0% 104 1 0,96% 11 0 0% 32 1 3,16% 245 2 0,82% sicher absolut Operator Prozent 171 2 1,17% 304 8 2,63% 111 5 4,51% 64 2 3,13% 650 17 2,62% sicherlich absolut Operator Prozent 43 0 0% 140 2 1,43% 23 0 0% 25 0 0% 231 2 0,87% vielleicht absolut Operator Prozent 953 1 0,11% 1031 3 0,29% 335 0 0% 137 1 0,73% 2456 5 0,20% (höchst)wahrscheinlich absolut Operator Prozent 191 0 0% 198 1 0,51% 91 0 0% 48 0 0% 528 1 0,19% wirklich absolut Operator Prozent 377 3 0,88% 436 1 0,23% 130 0 0% 107 1 0,94% 1050 5 0,48% Tab. 1: Absolute und relative Häufigkeiten von vorangestellten Geltungsoperatoren in Korpora gesprochener Sprache (2) Tabelle 1 zeigt ferner, dass der Anteil der Geltungsoperatoren an den Verwendungsfällen eines bestimmten adverbialen Ausdrucks meistens nur zwischen null und einem Prozent liegt. Das gilt sowohl für die einzelnen Korpora als auch für das Gesamtkorpus. Die höchsten Prozentwerte erreicht gewiss, sein Vorkommen als Operator ist aber auf Die Operator-Skopus-Struktur 395 das Pfefferkorpus bzw. das Freiburger Korpus beschränkt. Dieser Sachverhalt korrespondiert damit, dass der Ausdruck in diesen Korpora überhaupt deutlich häufiger vorkommt als in den beiden übrigen, was wahrscheinlich durch den größeren Umfang dieser beiden Korpora bedingt ist (vgl. Anm. 6). Über alle Korpora hinweg erreicht nur sicher Werte, die kontinuierlich über der Ein-Prozent-Grenze liegen. (3) Ein Punkt, der bei der Kommentierung von Tabelle 1 nicht unerwähnt bleiben kann, ist die Tatsache, dass die geltungsabschwächenden Adverbien wahrscheinlich und vielleicht in Vor-Vorfeld-Stellung vorkamen. Anders als bei den übrigen in der Tabelle aufgeführten Ausdrücken, bei denen die Stellung vor dem Satz als standardsprachlich korrekte Möglichkeit der Platzierung anzusehen ist, ist die Vor- Vorfeld-Stellung von vielleicht und wahrscheinlich nicht so selbstverständlich als normgemäß zu betrachten. Es ist daher kein Zufall, dass wir bei den vergleichenden Recherchen in den schriftsprachlichen Korpora keine entsprechenden Belege gefunden haben. Es kann jedoch keinen Zweifel daran geben, dass die beiden Ausdrücke in mündlicher Kommunikation unter bestimmten Bedingungen wie vorangestellte Operatoren funktionieren. Nähere Ausführungen dazu machen wir in Abschnitt III.4.1.5d. Wir wenden uns damit den zu Vergleichszwecken ausgewerteten Korpora geschriebener Sprache zu. Obwohl wir uns auf drei Korpora beschränkt haben, übertrifft ihr Umfang den der von uns ausgewerteten Gesprächskorpora um ein Vielfaches. In laufenden Wortformen gemessen stehen den ca. 1,9 Millionen Wortformen der zusammengefassten Gesprächskorpora 17,7 Millionen Wortformen der zusammengefassten Zeitungskorpora gegenüber. 192 Es ist deshalb kein überraschender Befund, dass man in den schriftsprachlichen Korpora mehr „types“ und auch teilweise mehr „tokens“ findet. Im Hinblick auf die in Tabelle 1 erfassten Operatoren ergibt sich, was die Zeitungskorpora betrifft, folgendes Bild: 192 Der Umfang des FKO beträgt laut Cosmas-interner Korpusstatistik ca. 0,7, der des DSK ca. 0,2 und der des Pfefferkorpus ca. 0,65 Mill. laufende Wortformen. Dazu kommt das Korpus der Schlichtungsgespräche mit ca. 380000 Wörtern (internes Arbeitspapier). Ebenfalls laut Korpusstatistik (bzw. entsprechend dem Informationsmaterial „Textkorpora des IDS “) umfasst das Bonner Zeitungskorpus mehr als 3,1 Millionen, das Korpus des Jahrgangs 1995 des „Mannheimer Morgen“ ca. 6,5 Millionen und das des „Spiegels“ von 1993/ 1994 8,1 Millionen laufende Wortformen. Eigenschaften gesprochener Sprache 396 Zeitraum BZK 1949-74 SPIEGEL 1993/ 94 MMM 1995 insgesamt freilich absolut Operator Prozent 194 7 3,61% 593 33 5,56% 498 28 5,62% 1285 68 5,29% gewiss absolut Operator Prozent 232 32 13,79% 433 68 15,70% 137 25 18,25% 802 125 15,59% natürlich absolut Operator Prozent 475 4 0,84% 1940 13 0,67% 1292 4 0,31% 3707 21 0,57% selbstverständlich absolut Operator Prozent 166 0 0% 421 0 0% 226 2 0,88% 813 2 0,25% sicher absolut Operator Prozent 422 2 0,47% 1882 61 3,24% 1056 25 2,37% 3360 88 2,62% sicherlich absolut Operator Prozent 101 3 2,97% 172 0 0% 260 15 5,77% 533 18 3,38% vielleicht absolut Operator Prozent 575 0 0% 2094 0 0% 1035 0 0% 3704 0 0% (höchst)wahrscheinlich absolut Operator Prozent 254 0 0% 656 0 0% 336 0 0% 1246 0 0% wirklich absolut Operator Prozent 389 7 1,80% 1820 9 0,49% 687 7 1,02% 2896 23 0,79% Tab. 2: Absolute und relative Häufigkeiten von vorangestellten Geltungsoperatoren in Korpora geschriebener Sprache 193 193 Wir beschränken uns hier auf die Operatoren, die sowohl in den Gesprächswie in den Zeitungskorpora vorkamen. Über diese hinaus haben wir in den Zeitungskorpora für folgende Ausdrücke Belege in Vor-Vorfeld-Stellung gefunden: keine Frage, ohne Frage, Die Operator-Skopus-Struktur 397 Die Zahlen sollen nur einen Eindruck vermitteln; sie lassen sich mit denen in Tabelle 1 nur sehr bedingt ins Verhältnis setzen. Zu verschieden sind die Korpora, denen die jeweiligen Daten entstammen, hinsichtlich der erfassten Diskursbzw. Textgattungen, der sozialen Charakteristik der Sprecher bzw. Schreiber, des zeitlichen Ausschnitts des Sprachgebrauchs, den sie repräsentieren. Was den Erhebungszeitraum betrifft, deckt nur das Bonner Zeitungskorpus in etwa die Jahre ab, aus denen der Hauptanteil der gesprochensprachlichen Daten stammt. 194 Trotz dieser Einschränkungen ist der Vergleich der Tabellen 1 und 2 jedoch nicht uninteressant. (1) Auch für die schriftlichen Quellen gilt, dass der Anteil der Verwendungen, bei denen das Adverb von den Schreibern in den Satz integriert wird, im Verhältnis viel höher ist als der Anteil, der auf den Gebrauch als Operator entfällt. So übersteigt der Operator-Gebrauch bei natürlich, selbstverständlich und wirklich insgesamt nicht die Ein- Prozent-Grenze, bei vielleicht und wahrscheinlich ist er gleich null (was nicht überraschen kann). Die höchsten Werte für die Vor- Vorfeld-Stellung treten bei gewiss auf, relativ hohe Werte erreicht freilich. (2) Aus Tabelle 2 lässt sich ferner ableiten, dass die knappe Hälfte der Ausdrücke in den Gesprächskorpora im Verhältnis etwas häufiger in Vor-Vorfeld-Position verwendet wurden als in den Zeitungskorpora. Wenn man bedenkt, dass die Vor-Vorfeld-Stellung von Adverbien in der Literatur häufig als eine sprachliche Erscheinung beschrieben wird, die zwar speziell für Pressetexte charakteristisch ist und sich dort zunehmend ausbreitet, aber eigentlich als ein Phänomen der so genannten „sekundären Mündlichkeit“ betrachtet werden muss (Ortner 1983, Sturm 1998), ist dies ein nicht uninteressantes Recherche-Ergebnis. Die dazu in einem gewissen Widerspruch stehende Tatsache, dass freilich, gewiss, sicherlich und wirklich in den Zeitungskorpora fraglos, fürwahr, selbstverständlich, Tatsache ist, tatsächlich, wahrhaftig, wahrlich, zugegeben, kein Zweifel, ohne Zweifel, zweifellos. 194 Obwohl am Institut für Deutsche Sprache auch neuere gesprochensprachliche Korpora existieren, waren sie zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht so weit aufbereitet, dass eine computergestützte Recherche möglich gewesen wäre. Die außer dem BZK vorhandenen Zeitungskorpora wiederum stammen alle aus der zweiten Hälfte der 80er bzw. aus den 90er Jahren. Eigenschaften gesprochener Sprache 398 häufiger in Vor-Vorfeld-Stellung stehen als in den Gesprächskorpora, dürfte mit der von den genannten Autoren festgestellten Tendenz zusammenhängen, dass sich die Struktur im Bereich der Schriftlichkeit zunehmend ausbreitet. 4.1.5 Ergebnisse (II): Diskursfunktionen von Geltungsoperatoren In diesem Abschnitt wenden wir uns dem mündlichen Gebrauch von Geltungsoperatoren zu. Wir beschränken uns dabei auf Operatoren, deren Verwendung durch entsprechende Vorkommen in unserem Korpus belegt ist. Ziel ist es, anhand authentischer Diskursbeispiele zu zeigen, wie Sprecher mit dieser Art der Höreranweisung umgehen und welche Zwecke sie damit verfolgen. Wir lassen uns dabei von folgenden Annahmen leiten: (1) Es entspricht den syntaktischen Normen der deutschen Gegenwartssprache und dem Gebrauch der Sprachteilnehmer, die sich daran orientieren, dass Geltungsadverbien in der Regel in die Binnenstruktur des Satzes integriert werden. Dass das so ist, ist u.a. aus den Ergebnissen unserer Recherchen zu schließen. In deren Verlauf haben wir festgestellt, dass bei allen Geltungsadverbien, die wir in die Untersuchung einbezogen haben, die Anzahl der integrierten Vorkommen die der nicht integrierten bei weitem überstieg. Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, warum Sprecher (oder auch Schreiber) in bestimmten Konstellationen die Stellung außerhalb des Satzes und speziell die Stellung vor dem Satz bevorzugen. Eine mögliche Antwort auf die gestellte Frage lautet vor dem Hintergrund des Konzepts der Operator-Skopus-Struktur: Der Sprecher wählt die nicht-integrierte Variante, weil er dem Hörer eine Verstehensanweisung geben will, die er in vergleichbar effektiver Weise nicht geben kann, wenn er das Geltungsadverbial in den Satz integriert. Die besondere Leistung der Operator-Skopus-Struktur, bezogen auf Geltungsadverbiale, besteht darin, dass der Sprecher dem Hörer seine Einstellung zum Inhalt der von ihm geplanten Äußerung zum frühestmöglichen Zeitpunkt und bis zu einem gewissen Grade von dieser Äußerung separiert mitteilt. Er liefert damit dem Hörer den Interpretationsrahmen für die folgende Äußerung, bevor hörerseitig die Verarbeitung dieser Äußerung begonnen hat. Die Mitteilung der Sprechereinstellung bekommt dadurch Die Operator-Skopus-Struktur 399 im Prozess der Verständigung größeres Gewicht und mehr hörersteuernde Kraft. Diese Kraft ist um so größer, je deutlicher der Sprecher den betreffenden Ausdruck durch prosodische Mittel (Akzentuierung, Pause usw.) gegenüber der Bezugsäußerung hervorhebt und dadurch die hörersteuernde Qualität unterstreicht. (2) Betrachtet man die sprachlichen Mittel, die Sprechern zur Verknüpfung von Äußerungen in Diskurs und Text zur Verfügung stehen, nimmt die Gruppe der Adverbiale eine wichtige Stellung ein. Auch einige Geltungsadverbiale können, neben ihrer primären Funktion, die Einstellung des Sprechers zur Geltung der Bezugsproposition anzeigen, Äußerungen zu Äußerungen in Beziehung setzen, also zur Äußerungsverknüpfung beitragen. Dazu gehören z.B. freilich, gewiss, sicher, tatsächlich, wirklich (vgl. Engel 1988, S. 228f.). Dass diese Ausdrücke äußerungsverknüpfende Funktion haben können, bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie außerhalb ihres Bezugssatzes stehen müssten. Wenn sie es aber tun, wird natürlich auch die Verknüpfungsfunktion deutlicher, als wenn dies nicht der Fall wäre. (3) Schließlich ist die Operatorstellung in allen Situationen vorteilhaft, in denen es dem Sprecher darum geht, sich das Rederecht zu sichern und/ oder Planungszeit zu gewinnen. Nachstehend werden wir die Diskursfunktionen von Geltungsoperatoren anhand von Beispielen betrachten. Indem wir bereits auf Analyseergebnisse vorgreifen, gliedern wir diesen Teilabschnitt in die folgenden vier Unterabschnitte: (a) die geltungsbekräftigende Funktion, (b) die einschränkungsmarkierende Funktion, (c) die einräumungsmarkierende Funktion und (d) die geltungsabschwächende Funktion. (a) Die geltungsbekräftigende Funktion Eine Bekräftigung der Geltung einer Äußerung, genauer: ihres propositionalen Gehalts, ist vor allem dann angezeigt, wenn der Sprecher befürchten muss, dass der Hörer in Bezug auf die Gültigkeit bzw. Wahrheit der entsprechenden Proposition unsicher sein oder möglicherweise eine andere Meinung vertreten könnte als der Sprecher. Der folgende Diskursausschnitt demonstriert dies sehr überzeugend. Er stammt aus einer der Transkriptionen des Freiburger Korpus, und zwar aus einer Reportage über die zweite Halb- Eigenschaften gesprochener Sprache 400 zeit eines Fußballspiels zwischen dem Hamburger SV und Manchester United. Es geht um einen Spieler aus der englischen Mannschaft, Nobby Stiles. Stiles steht in dem Ruf, „Rauhbein-Fußball“ zu spielen, und ist daher von dem Hamburger Publikum bereits bei Beginn des Spiels mit Pfiffen bedacht worden. Der Bemerkung, die der Reporter in dem nachfolgenden Diskursausschnitt über das Spiel von Nobby Stiles macht, gehen zwei Äußerungen voraus (S. 5 und S. 16 des zur Aufnahme existierenden Transkripts), in denen er diese und weitere Pfiffe des Publikums angesichts der zwar nicht untadeligen, aber im Großen und Ganzen moderaten Spielweise von Stiles als „wenig angebracht“ bzw. „ein wenig unfair“ charakterisiert hatte. Nachdem er ein erstes echtes Foul von Stiles vermerken musste (S. 20), produziert der Berichterstatter etwas später, als das Publikum wieder einmal wegen Stiles pfeift, die unten wiedergegebene Passage: (3) M1: auf der * rechten verteidigungsseite i"m strafraum am M1: strafraumeck wird jetzt die englische mannschaft ein M1: bißchen l behandelt einer der spieler ist zu boden M1: gegangen å dann ist er wieder auf den beinen und das spiel M1: geht weitermit einem abstoß å von tormann l stepney ç nun M1: äh krämers aktionen in dieser ersten phase der zweiten M1: halbzeit waren recht ordentlich die pfiffe gelten jetzt M1: wieder nobby stiles sie sind ein bißchen unverständlich * -> M1: denn wirklich ç * er hat sich heute l im grunde genommen å M1: doch nicht vorbeibenommen ç * denn das ein oder andere M1: leichte foul das kann doch einmal im spiel * vorkommen- [...] (FKO/ XAN, S. 22) Die Äußerung, um die es geht, lautet: denn wirklich ç er hat sich heute l im grunde genommen å doch nicht vorbeibenommen ç . Die Teiläußerung er hat sich heute l im grunde genommen å doch nicht vorbeibenommen ç ist eine Begründung, die der Sprecher durch den kausalen Konnektor denn als solche ankündigt. Er stützt mittels dieser Begründung sowie der daran angehängten zweiten Begründung denn das ein oder andere leichte foul das kann doch Die Operator-Skopus-Struktur 401 einmal im spiel * vorkommenseine vorhergehende Feststellung, dass die (wieder einmal) Nobby Stiles geltenden Pfiffe der Zuschauer ein bißchen unverständlich seien. Zwischen dem die Begründung markierenden denn und der Bezugsäußerung ist der Operator wirklich eingeschoben. Er bildet mit dem vorausgehenden denn eine intonatorische Einheit (mit Akzent auf wirklich). Sie ist durch fallendes, aber nicht tief fallendes Tonmuster und eine minimale Pause von der gemeinsamen Bezugsäußerung abgehoben. Auch die Bezugsäußerung endet mit leicht fallendem Tonmuster, womit der Sprecher anzeigt, dass er weiter reden möchte. Im Übrigen ist sie „zweigipflig“. Durch Akzent hervorgehoben sind das doch, mittels dessen der Sprecher auf möglicherweise bestehende gegenteilige Erwartungen oder Meinungen seiner Zuhörer bzw. eigene Zweifel Bezug nimmt, und das bei in vorbeibenommen. Die Verstehensanweisung im grunde genommen, die den in der Bezugsäußerung genannten Sachverhalt als den für die Meinungsbildung wesentlichen charakterisiert, realisiert der Sprecher nicht nur schneller, sondern auch mit tieferer Stimmlage. Bei der Bestimmung der Funktion des wirklich in diesem Diskursausschnitt ist die Äußerungssituation in Rechnung zu stellen, in der der Reporter sich befindet. Einerseits ist er nach wie vor der Meinung, dass Stiles an diesem Tage nicht aggressiv spielt. Andererseits haben sich im Verlauf des Spiels die Voraussetzungen geändert: Stiles hat inzwischen tatsächlich ein Foul begangen, und der Reporter hat die Zuhörer davon auch pflichtgemäß in Kenntnis gesetzt. Das heißt: Die Faktenlage, auf die er eine positive Bewertung gründen kann, ist nicht mehr so unzweideutig wie vorher. Der Sprecher muss also bestrebt sein, seine Einschätzung, die er nach wie vor für gerechtfertigt hält, so mitzuteilen, dass sie von den Zuhörern an den Radioapparaten auch unter den veränderten Voraussetzungen akzeptiert wird. So erklärt sich zum einen die Doppelung der Begründungen, von denen die zweite die erste erläuternd in ihrer Wirkung verstärkt. Zum anderen spiegelt sich das Bemühen des Kommentators, die Akzeptanz seiner Äußerung zu erhöhen, in der Verwendung des Geltungsoperators wirklich wider, der die nämliche Funktion hat: Er verstärkt ebenfalls die Wirkung der ersten Begründung, indem er die darin enthaltene differenzierte Sachverhaltsbeschreibung (er hat sich heute l im grunde genommen å [...] nicht vorbeibenommen ç ) zusätzlich zum assertiven Satzmodus als der Realität entsprechend kennzeichnet und damit Eigenschaften gesprochener Sprache 402 den Nachdruck, mit dem der Geltungsanspruch für dieses Urteil erhoben wird, verstärkt. Das Beispiel belegt auch, dass der Gebrauch eines bekräftigenden Geltungsoperators durch einen Sprecher nicht notwendig voraussetzt, dass es im Ablauf der Gesprächssequenz eine vorangehende sprachliche Äußerung gegeben hat, die die Verwendung des Operators gewissermaßen induziert hat. Damit der Sprecher sich veranlasst sieht, einer geplanten Äußerung eine Verstehensanweisung voranzustellen, die die Geltung der darin enthaltenen Aussage zusätzlich unterstreicht, genügt es, dass er lediglich annimmt, beim Hörer könnten diesbezügliche Vorbehalte oder Zweifel bestehen. Unter den Satzadverbialen mit Bekräftigungscharakter gibt es solche, deren lexikalische Bedeutung einschließt, dass der Sprecher die Geltung einer Aussage bekräftigt, indem er zusätzlich darauf verweist, dass der Geltungsanspruch, den er erhebt, keiner besonderen Begründung bedarf, weil die Wahrheit des Gesagten auf unmittelbarer Wahrnehmung oder gesichertem Wissen beruht. Zu diesen Adverbien mit Evidenzbetonung gehören Ausdrücke wie nachweislich, offensichtlich, selbstverständlich, bekanntlich, zweifellos und andere. Einige von ihnen können im Vor-Vorfeld stehen, also als Operatoren verwendet werden. Relativ am häufigsten trat in unserem gesprochensprachlichen Analysekorpus natürlich in dieser Funktion auf (4 Fälle). In je einem weiteren Fall verwendeten die Sprecher selbstverständlich und sicherlich. Wir besprechen zunächst ein Beispiel für die Verwendung von sicherlich, dann ein Beispiel für die von natürlich. Der folgende Diskursausschnitt ist einem Interview entnommen, das am 4.1.1971 im Zweiten Deutschen Fernsehen gesendet wurde. Der Gesprächsleiter hatte darin einen Vertreter der Kriminalpolizei nach vorbeugenden Maßnahmen gegen die gestiegene Zahl von Eigentumsdelikten befragt, worauf der Befragte auf das bestehende Netz von Beratungsstellen hingewiesen hatte. Auf die Frage des Interviewers, ob es genügend Beratungsstellen gäbe, hatte er - sinngemäß - geantwortet, dass durch die intensive Aufklärung der Bevölkerung der Besuch der Beratungsstellen so stark zugenommen habe, dass besonders auf dem Lande noch mehr Beratungsstellen gebraucht würden. Daraufhin schloss der Vertreter des Fernsehens diesen Teil des Interviews mit der folgenden Passage ab (der Ausdruck publikation bezeichnet hier nicht ein bestimmtes Druckerzeugnis, sondern das Bekannt-Machen von Fakten, wie man sich gegen Eigentumsdelikte schützt): Die Operator-Skopus-Struktur 403 (4) M1: wolln wir hoffen daß diese einrichtung weiterhin früchte M1: trächtman kann den erfolg zwar nicht messen nicht zählen- -> M1: ATMET EIN aber- * sicherlich ç * die publikation hilft dazu M1: beitragen daß die leute ein l bißchen mehr aufpassen ihr M1: eigentum zu sichern çå schönen da"nk herr z. ç (FKO/ XGG, S. 4) Der Gesprächsleiter drückt zunächst die als gemeinsam unterstellte Hoffnung bzw. den Wunsch aus, dass die Institution der Beratungsstellen weiterhin Früchte tragen möge. Dann initiiert er - das Interview endgültig abschließend - eine kurze monologische Argumentation: 195 Er wendet sich gewissermaßen an einen unbestimmten Opponenten und räumt ein, dass man den Erfolg, den Beratungseinrichtungen haben, nicht messen und zählen könne. Nachdem er dadurch einen möglicherweise zu erhebenden Einwand entkräftet hat, verleiht er seiner festen Überzeugung Ausdruck, dass die Verbreitung von Wissen über Eigentumsdelikte geeignet sei, dazu beizutragen, dass die Leute ihr Eigentum besser sichern. Die Funktion von sicherlich ist bei diesem Beispiel im Zusammenhang mit der Funktion von zwar ... aber zu klären, einer Kombination aus Einräumungspartikel und Konjunktor. Der Konnektor aber dient hier (wie immer, wenn Sprecher ihn im Anschluss an Einräumungen verwenden) dazu, dem Hörer bzw. den Hörern zu verdeutlichen, dass der Sprecher im Begriff ist, einen Wechsel seiner unmittelbaren Handlungsziele vorzunehmen: nämlich von partieller Stützung der Position des Gegners überzugehen zu einem die eigene Position stützenden (Gegen-)Argument. Die Eigenschaft von aber, dem Hörer diesen (und andere) Übergänge anzuzeigen, wird auch als Funktion des „Fokuswechsels“ (Kallmeyer 1987, S. 60f.) bzw. der „Fokusumlenkung“ beschrieben (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, Bd. 3, S. 2403). Die Einräumungspartikel zwar in der vorhergehenden Äußerung verstärkt diese Wirkung, indem sie deren Relevanz relativiert (vgl. ebd., S. 2410). 195 Zum Muster des Argumentierens s. auch Teilabschnitt (c). Eigenschaften gesprochener Sprache 404 Die Fokusumlenkung schließt ein, dass der Inhalt der durch aber angeschlossenen Äußerung in seiner Relevanz gegenüber dem der vorhergehenden Äußerung hervorgehoben wird. So schreibt Kallmeyer mit Bezug auf derartige zweiteilige Konstruktionen: In diesen Äußerungen repräsentiert der zweite Teil das, ‘worauf der Sprecher hinaus will’ und worauf der Partner reagieren soll, und der erste Teil bearbeitet Dinge, die auch/ nebenbei/ vorher zu erledigen sind (...). (Kallmeyer 1987, S. 60). Mit anderen Worten: In unserem Beispiel kombiniert der Sprecher die fokusumlenkende Kraft des Konnektors aber bzw. der Kombination zwar ... aber mit der geltungsbekräftigenden Wirkung des Operators sicherlich, der unterstreicht, dass der Sprecher die Proposition der Äußerung, die in seinem Skopus steht, als unbezweifelbar gültig bzw. zutreffend betrachtet. Auf diese Weise erhalten die Adressaten der Äußerung, zu denen der Gesprächspartner, aber auch die Zuhörer gehören, den komplexen Hinweis: der Inhalt der Äußerung, die jetzt folgt, ist wahr und im gegebenen Zusammenhang wichtig. Dass der Sprecher eine so nachdrückliche Relevanzhochstufung vornimmt, hängt vielleicht damit zusammen, dass er eine Aussage, die vor dem Hintergrund seiner eigenen vorhergehenden Äußerung als nicht exakt beweisbar erscheint, für seine Hörer klar als eine Sachverhaltsdarstellung kennzeichnen will, von deren Realitätsgehalt er überzeugt ist. Gleichzeitig deutet er durch die Wahl des evidenzbetonenden Adverbs sicherlich an: dass man den Erfolg nicht messen und zählen könne, sei deshalb irrelevant, weil er offensichtlich nach allgemeiner Kenntnis als vorhanden anzusehen sei. In der Tat: Der Vertreter der Kriminalpolizei hatte ja eben als ein Faktum berichtet, dass auf Grund der „intensiven Aufklärung der Bevölkerung“ sehr viel mehr Menschen die Beratungsstellen aufgesucht hatten (s.o.). Auch in diesem Fall bezeichnet der nach unten gerichtete Pfeil nach dem Operator leicht fallende Intonation. Gegenüber den vorangegangenen Beispielen fällt auf, dass der Sprecher aber und sicherlich getrennt akzentuiert (im Transkript nicht gekennzeichnet) und dass er nicht nur zwischen sicherlich und der Bezugsäußerung eine Pause macht, sondern auch zwischen aber und sicherlich. Der Geltungsoperator weist damit die typischen Merkmale eines Einschubs auf. Konjunktor und Operator erhalten dadurch auch formal einen je eigenständigen Charakter. Die Operator-Skopus-Struktur 405 Das Beispiel für die Verwendung von natürlich in bekräftigender Funktion stammt aus dem Pfeffer-Korpus. Eine Geschäftsfrau berichtet, wie es dazu gekommen ist, dass sie und ihre Familie ihre freie Zeit regelmäßig in Tirol verbringen. Ausschlaggebend dafür ist, dass sie durch Vermittlung einer ihrer Kundinnen die Bekanntschaft eines Bauernehepaars machte, als sie mit ihren beiden Kindern während des Krieges in dem Tiroler Ort Schutz vor den Bombenangriffen in ihrer Heimatstadt suchte. (5) W1: [...] und å da bi"n ich eben mi"t dieser kundin l ** bin ich M1: hmhm W1: eben auf die"sem platz gekommen zu dem bau"ern wo |wi"r jetzt | M1: |ja ja | -> W1: schon eben so lange jahre verkehrn ç und natürlichdie hatten M1: hmhm W1: keine ki"nder- * jetzt warn sozusagen mei"ne kinder i"hre kinder W1: und und des war ein families/ familiäres verhältnis- * und äh M1: ja W1: *2,0* |somit sind wir ins landl gekommen M1: |da sind sie nach (langen? landl) gekommen auf die W1: | und seitdem verke"hrn wir dort ç M1: weise | (PFE/ BRD, fx021) Die Äußerung, die hier zur Debatte steht, lautet: und natürlichdie hatten keine ki"nder- * jetzt warn sozusagen mei"ne kinder i"hre kinder und und des war ein families/ familiäres verhältnis- *. Sie enthält eine Operator- Skopus-Struktur, die wie folgt isoliert werden kann: (und) natürlich- * jetzt warn sozusagen mei"ne kinder i"hre kinder. Die angeschlossene kommunikative Einheit und des war ein families/ familiäres verhältnisist eine thematisch weiterführende Verallgemeinerung des Mitteilungsgehalts der Vorgängeräußerung und gehört nicht mehr zum Skopus. Interessant ist der Einschub zwischen Operator und Skopus die hatten keine ki"nder-. Wir erklären ihn uns als Ergebnis der funktionalen Eigenschaften des Operators natürlich einerseits und der für den mündlichen Diskurs charakteristischen linearen Prozessierung der sprachlichen Handlungen andererseits. Die Sprecherin beginnt ihre Äußerung mit natürlich. Sie gibt ihrem Eigenschaften gesprochener Sprache 406 Gegenüber damit vorgreifend zu verstehen, dass er den propositionalen Gehalt der folgenden Äußerung als der Realität entsprechend verstehen soll. Sie macht - durch die Wahl des Adverbs natürlich - darüber hinaus deutlich, dass der angesprochene Sachverhalt in der Natur der Sache liegt, also auch für den Zuhörer offenkundig sein muss. Genau in diesem Moment jedoch fällt ihr ein, dass der Interviewer nicht wissen kann, dass das Ehepaar, von dem die Rede ist, keine eigenen Kinder hatte. Dies ist aber ein wesentlicher Punkt, wenn es darum geht, die (verkürzte) Äußerung jetzt warn sozusagen mei"ne kinder [in einer Position, als wären sie] i"hre kinder als wahr und die Existenz des entsprechenden Sachverhalts als naturgegeben zu akzeptieren. Die Sprecherin schiebt also das fehlende Stück Wissen noch ein, bevor sie die eigentliche Aussage macht. Die Operator-Skopus-Struktur wird dadurch modifiziert, bleibt aber gut erkennbar. Insgesamt wird auch hier wieder deutlich, dass die Sprecherin den Geltungsoperator einsetzt, um eine Aussage zu bekräftigen, deren Glaubwürdigkeit nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, da sie gängigen Klischees zuwiderläuft: Normalerweise ist es nicht selbstverständlich, dass fremde Kinder wie eigene behandelt werden. (b) Die einschränkungsmarkierende Funktion Dass bestimmte im Prinzip geltungsbekräftigende Adverbien sich nicht selten auf Propositionen beziehen, die im Hinblick auf die Aussage einer vorhergehenden Äußerung eine Einschränkung bedeuten, ist nichts Neues. Eine in der Sprachwissenschaft gängige Erklärung für diese Erscheinung ist, dass die Bedeutung der entsprechenden Adverbien eine Abschwächung erfahren habe. Zum Beispiel lautet der Eintrag für sicherlich im Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache: sicherlich / Adv./ gewiß, bestimmt (...); / weist in abgeschwächter Bedeutung auf eine nachfolgende Einschränkung hin (...). (Wörterbuch der Gegenwartssprache Bd. 5, 1 1976, S. 3408). Andere Sprachwissenschaftler sprechen davon, dass die betreffenden Geltungsadverbien eine zusätzliche Bedeutungskomponente aufweisen. So heißt es z.B. bei Helbig/ Helbig 1993 bei ihrer Beschreibung der Bedeutung von freilich, der Sprecher stimme zwar immer p (= dem propositionalen Gehalt) zu und bestätige seine Richtigkeit und Gültigkeit, signalisiere aber auch, Die Operator-Skopus-Struktur 407 dass er Vorbehalte, Bedenken habe und Einschränkungen mache (Helbig/ Helbig 1993, S. 128, Anm.). Entsprechend heißt es bei der Beschreibung der Bedeutung von natürlich: Der Sprecher „stimmt uneingeschränkt (oder mit Einschränkungen) p zu“ (ebd., S. 171). Obwohl in der Literatur teilweise wie selbstverständlich davon gesprochen wird, dass bestimmte Geltungsadverbien Vorbehalte und Bedenken des Sprechers signalisieren bzw. auf eine nachfolgende Einschränkung hinweisen, ist in Bezug auf die Funktion entsprechender Operatoren Folgendes zu bedenken: Wie ja in der Bedeutungsbeschreibung, die Helbig/ Helbig für natürlich geben, zum Ausdruck kommt und wie auch die nachstehend analysierten Beispiele zeigen werden, kann ein und derselbe Operator, in diesem Fall natürlich, sowohl zum Anzeigen von uneingeschränkter wie eingeschränkter Zustimmung verwendet werden. Wenn das so ist, wie unterscheidet der Adressat einer entsprechenden Äußerung, welche der zwei möglichen Bedeutungen des Operators vorliegt bzw. welche Einstellung der Sprecher hat? Es liegt auf der Hand, dass der Hörer diese Entscheidung nur treffen kann, indem er die Operator-Skopus-Struktur zunächst als Ganzes rezipiert und den propositionalen Gehalt der Bezugsäußerung zu den im Diskurs vorhergehenden wie zu den darauf folgenden Äußerungen in Beziehung setzt. Der Operator als solcher enthält für den Rezipienten zunächst nur die Verstehensanweisung, dass er die Proposition der Bezugsäußerung als gültig betrachten soll/ kann. Die genauere Differenzierung der Funktion ist Ergebnis der Verarbeitung auch der Bezugsproposition (einschließlich ihrer Komplemente und eventueller weiterer Supplemente), der Bestimmung ihres Beitrags zum inhaltlichen Zusammenhang des Diskurses und der Interpretation des Kontextes insgesamt. Das gilt sowohl im Hinblick auf die einschränkungsmarkierende als auch in Bezug auf die im folgenden Abschnitt zu behandelnde einräumungsmarkierende Funktion. Wir wenden uns damit Diskursbeispielen für die einschränkungsmarkierende Funktion von Geltungsoperatoren zu. In unserem gesprochensprachlichen Analysekorpus kommen in dieser Funktion die Adverbien freilich und natürlich vor. Der Operator freilich ist mit nur einem Beleg vertreten, natürlich mit 18 Belegen. Wir illustrieren im Folgenden den Gebrauch dieser Geltungsoperatoren an je einem Beispiel. Eigenschaften gesprochener Sprache 408 In dem aus dem Pfefferkorpus stammenden Diskursausschnitt antwortet eine Münchner Historikerin auf die Frage des Interviewers, was sie von der Art des Wiederaufbaus in München halte: Gott sei Dank sei vieles vom alten München stehen geblieben oder sehr schön wiederhergestellt worden. Sie fährt fort: (6) W1: münchen ist halt eine stadt * die doch se"hr aus ihrem W1: altstadtke"rn heraus lebt auch heute noch ç und darum kann W1: man mit å ga"nz mode"rnen projekten l i"n der altstadt W1: selbst sich nicht recht befreunden ç so sehr man sich freut W1: wenn an den rändern gro"ßzügik gebaut wird ç also im großen -> W1: und ganzen * sind wir schon zufrie"den ç * freilich ç W1: manchmal tut einem ein einzelfall bitter weh ç wenn etwas W1: å plö"tzlich l verschwunden ist was man halt doch * seit W1: jahrzehnten gekannt hat- und äh * vor allem wenn man äh W1: die geschichte um jahrhunderte zurück kennt dann tut=s W1: einem halt weh wenn man sich heute entschließt l es über K STOCKEND # W1: nacht abzureißen ç aber das passiert in jeder alten stadt å W1: und damit findet man sich ab- (PFE/ BRD, gh021) Die Operator-Skopus-Struktur ist: * freilich ç manchmal tut einem ein einzelfall bitter weh ç . Prosodisch ist anzumerken, dass die beiden nach unten weisenden Pfeile für leicht fallende Intonation stehen. (Der Pfeil nach dem zufrieden unmittelbar davor symbolisiert dagegen (tief) fallendes Grenztonmuster.) Der Operator trägt einen eigenen Akzent. Obwohl die Sprecherin die Bezugsäußerung nicht mit Grenztonmuster abschließt, gehört - semantisch gesehen - das folgende mit wenn beginnende Satzgefüge nicht mehr zum Skopus, weil es eine Exemplifizierung des von ihr erwähnten „Einzelfalles“ ist und insofern eine weiterführende Informationseinheit darstellt. Die Operator-Skopus-Struktur 409 Funktional gesehen fordert die Sprecherin den Hörer mittels des Operators freilich auf, die Proposition der folgenden Äußerung als gültig zu rezipieren. Wenn man davon ausgeht, dass Sprecher(innen) Geltungsoperatoren dann verwenden, wenn sie annehmen, dass die Rezipienten mit der Geltung der Bezugsäußerung irgendwelche Probleme haben könnten, dann ist die Frage, was in einem Falle wie dem vorliegenden das Problem ist. Offensichtlich besteht es nicht darin, dass der Sprecher eine mögliche Unstimmigkeit antizipiert, die zwischen seiner Einstellung zur Geltung der von ihm aktuell zu prozessierenden Proposition und der entsprechenden Einstellung seiner Kommunikationspartner bestehen könnte - so wie wir bei den drei im vorigen Teilabschnitt besprochenen Diskursbeispielen festgestellt hatten. Die Diskrepanz besteht hier und in vergleichbaren Fällen vielmehr darin, dass der Geltungsanspruch, den der Sprecher mit einer bereits realisierten Äußerung(sfolge) erhoben hat, und der Geltungsanspruch, den er mit einer folgenden Äußerung erheben will, einander zwar partiell ausschließen, aber in der Sicht des Sprechenden dennoch miteinander vereinbar sind. Im konkreten Beispiel betrifft dies die beiden Äußerungen also im großen und ganzen * sind wir schon zufrie"den ç und manchmal tut einem ein einzelfall bitter weh ç . Der Geltungsoperator vor der zu prozessierenden Äußerung (hier: freilich) dient dem Sprecher dazu, für den Hörer klarzustellen, dass die Bezugsproposition gültig ist, auch wenn sie vorher Gesagtem teilweise widerspricht. Der Hörer ist damit aufgefordert, die beiden Propositionen so zu verarbeiten, dass bei ihm ein entsprechend differenziertes Wissen über den in Rede stehenden Sachverhalt entsteht. 196 Wie bereits erwähnt, verwenden Sprecher auch das Geltungsadverb natürlich häufig im Zusammenhang mit Einschränkungen. Es funktioniert dann wie freilich in dem eben analysierten Diskursausschnitt. Wir fügen ein entsprechendes Verwendungsbeispiel an. Es stammt ebenfalls aus dem Pfefferkorpus. Eine junge Studienrätin berichtet über ihr Verhältnis zu ihren Schülern und Schülerinnen. Der Tenor ihrer Ausführungen ist, dass sie nichts von zu großer Strenge hält, sondern es bevorzugt, mit Vernunftgründen auf die Kinder einzugehen und ein kameradschaftliches Verhältnis zu ihnen zu pfle- 196 Im aktuellen Fall wird die Leistung des Operators dadurch unterstützt, dass die Sprecherin bereits in der vorausgehenden Äußerung explizit darauf verweist, dass die Proposition nur eine eingeschränkte Geltung hat. Zu diesen Hinweisen gehören die einschränkende adverbiale Wendung im großen und ganzen und die Partikel schon. Eigenschaften gesprochener Sprache 410 gen; die Kinder kämen einem dann auch ihrerseits sehr nett entgegen. Es folgt eine Passage, die die Sprecherin mittels der beiden Operatoren überhaupt und natürlich in zwei Abschnitte gliedert, die im Kontrast zueinander stehen: (7) W1: <überhauptmein to"n im unterricht-> der is sehr sehr äh * W1: äh l wie soll ich sagn å mehr familiär kameradschaftlich ç ne æ W1: nich so * wie=s sonst vielleicht ist hier lehrer da schüler ç -> W1: ne æ <natürlich> wenn mer einer da irjendwat ausbockt da kann W1: i auch sehr ernst und sehr >streng sein ç < ne æ LACHT ja ç (PFE/ BRD, cs010.n) In dem ersten, durch überhaupt eingeleiteten und bis zu dem zweiten ne æ reichenden Äußerungsabschnitt fasst die Sprecherin die Essenz ihrer vorhergehenden Ausführungen verallgemeinernd zusammen. Der Operator überhaupt kündigt diesen verallgemeinernden Charakter der Bezugsproposition(en) an. 197 Im gegebenen Zusammenhang interessiert aber vor allem die zweite in der Passage vorkommende Operator-Skopus-Struktur mit dem Operator natürlich. Sie lautet: <natürlich> wenn mer einer da irjendwat ausbockt da kann i auch sehr ernst und sehr >streng sein ç < ne æ . Funktional betrachtet ist natürlich eine Anweisung der Sprecherin an den Hörer, die Proposition, dass sie, die Lehrerin, gegebenenfalls „auch sehr ernst und sehr 197 Dies ist wiederum ein Fall, in dem es nicht leicht ist, zu entscheiden, welchen Umfang der Skopus des Operators hat. Einerseits ist die auf den Operator unmittelbar folgende Äußerung mein to"n im unterrichtder is sehr sehr äh * äh [...] mehr familiär kameradschaftlich ↓ ne ↑ durch das fallende Grenztonmuster und das nachgestellte ne ↑ formal als abgeschlossen gekennzeichnet. Das legt den Gedanken nahe, hier auch das Skopusende anzusetzen. Andererseits ist der darauf folgende Satz mit dem vorhergehenden Satz strukturell verzahnt, weil die Sprecherin bei ihrer Formulierung zuvor Geäußertes als präsent voraussetzt und deshalb das identische Subjekt und Finitum nicht ein zweites Mal verbalisiert: [mein to"n im unterrichtder is] nich so * wie=s sonst vielleicht ist hier lehrer da schüler ↓ ne ↑ . Auch semantisch schließt der zweite Satz eng an den vorhergehenden an, weil derselbe Gegenstand - der „Ton“ - auf dieselbe Art und Weise charakterisiert wird, nur dass diese Charakterisierung diesmal auf negative Weise erfolgt: „mehr familiär kameradschaftlich“ versus „nicht wie es sonst vielleicht zwischen Lehrer und Schüler [üblich] ist“, und das heißt, eben nicht familiär kameradschaftlich. Die Operator-Skopus-Struktur 411 streng“ sein könne, als gültig und als in der Natur der Profession begründet zu betrachten. Mit diesem Diktum schränkt sie ein, was sie gerade vorher verallgemeinernd gesagt hatte. Der Hörer ist wiederum aufgefordert, die widersprüchlichen Sachverhaltsdarstellungen miteinander abzugleichen und ein entsprechend differenziertes Wissen darüber aufzubauen, wie die interviewte Lehrerin ihre institutionelle Rolle ausgestaltet. Formal gesehen ist der Bezugsbereich des Operators in diesem Beispiel eine Äußerungsfolge aus vorgeschaltetem Konditionalsatz und darauf bezogenem Hauptsatz. Was die Intonation betrifft, trägt der Operator natürlich einen Hauptakzent; die Sprecherin hebt ihn aber hier nicht durch eine Pause von der Bezugsäußerung ab, sondern durch die erhöhte Lautstärke, mit der sie ihn im Vergleich zur vorangehenden und folgenden Äußerung realisiert. (c) Die einräumungsmarkierende Funktion Einräumungshandlungen kommen häufig in Redezusammenhängen vor, denen das Handlungsmuster Argumentieren zugrunde liegt. Zu den Charakteristika des Handlungsmusters Argumentieren gehört, dass es mindestens zwei Parteien gibt, die in Bezug auf einen strittigen Sachverhalt unterschiedliche Standpunkte vertreten und sich durch geeignete sprachliche Handlungen wechselseitig dazu zu bewegen versuchen, den jeweils anderen Standpunkt zu akzeptieren. Ein zentraler Handlungstyp sind dabei Äußerungen, deren propositionaler Gehalt geeignet ist, die Position des jeweiligen Sprechers zu stützen bzw. die des Kontrahenten zu schwächen und die deshalb als Argumente zählen. Im Zusammenhang mit Argumenten spielen Einräumungen eine spezifische Rolle. Wenn man sagt, dass ein Sprecher eine sprachliche Handlung des Einräumens vollzieht, dann bedeutet dies, dass er eine Sachverhaltsdarstellung, die von der Gegenpartei vorgenommen wurde, als wahr bzw. gültig und damit als ein zulässiges Argument anerkennt. Dabei ist das Anerkennen eines Arguments der Gegenpartei im Rahmen einer Argumentation häufig ein Verfahren, das der Sprecher anwendet, um seine(n) Kontrahenten bereitwilliger zu stimmen, einen folgenden Einwand bzw. ein folgendes Gegenargument zu akzeptieren. Anders ausgedrückt: Wenn ein Sprecher eine Einräumung realisiert, tut er dies oft nur, um ein durch adversative Konnektoren wie aber, (je)doch, nur usw. angeschlossenes Gegenargument vorzubringen, das den eigentlichen Mitteilungsschwerpunkt seiner Eigenschaften gesprochener Sprache 412 aktuellen Äußerung darstellt. Entsprechend gibt es ein verbreitetes Argumentationsmuster der folgenden Art: Einer durch einen Geltungsoperator markierten Einräumung folgt ein durch adversativen Konnektor eingeleitetes Gegenargument. „Die Antizipation und das Einräumen möglicher Einwände in Verbindung mit dem entscheidenden (Gegen-)Argument macht eine Argumentation stark“ (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, Bd. 3, S. 2407). Zur Veranschaulichung der beschriebenen Verwendungsweise soll das folgende Beispiel dienen, das aus den von Brons-Albert aufgenommenen und veröffentlichten Telefondialogen stammt. Die interaktive Vorgeschichte des Ausschnitts ist die folgende: C möchte eine Gewichtsabnahme erreichen und lässt sich von B beraten, was sie essen und trinken darf und was nicht. B hat als Getränk die Cola „Pepsi leicht“ empfohlen, die C offenbar kein Begriff ist. Sie hat deshalb nicht verstanden, dass es sich um ein Diät-Getränk handelt, und äußert Bedenken: (8) C: Ja, also, ich hab immer gehört, wenn ich zum Beispiel, wenn ich sa "Ich trink kein Bier, ich trink Cola, das hat weniger Kalorien", da lachen die mich alle aus, B: Jaja, das/ C: ne, Cola hat nämig viel! -> B: Sicher, normaler/ ganz normale Cola hat mehr als, als Bier, aber es gibt ne ganz spezielle, die heißt Pepsi leicht, heißt die, gibt's kaum zu kaufen, ich glaub im Kaufhof in Köln die . ham se. Is auch viel . teurer, un die hat ganz wenig Kalorien. C: Hm, hab schon verstanden. (Brons-Albert 1984, S. 156, Originaltranskription) Der Gesprächsausschnitt hat, schematisch gesehen, die folgende argumentative Struktur: C: EINWAND : Die von B vorgeschlagene Cola kommt als Getränk für jemanden, der Kalorien zählen muss, nicht in Frage, denn sie hat mindestens so viele Kalorien wie Bier. B: SICHER ( EINRÄUMUNG : normale Cola hat mehr Kalorien als Bier) ABER ( GEGENARGUMENT : es gibt eine spezielle Cola mit Die Operator-Skopus-Struktur 413 dem Namen Pepsi leicht, die hat ganz wenig Kalorien (sie kann also von jemandem, der Kalorien zählen muss, durchaus getrunken werden). C: akzeptiert das Gegenargument, so dass ihr Einwand entkräftet ist. Die Kontroverse ist beigelegt. Das Argumentationsmuster SICHER/ GEWISS/ ... + ( EINGERÄUMTES) ARGU- MENT - ABER/ DOCH/ ... + (GEGEN-)ARGUMENT ist so verbreitet, dass Thim- Mabrey zu der Meinung kommt, gewiss und sicher hätten sich als Mittel durchgesetzt, „an der Nullstelle auf ein noch folgendes aber, doch, freilich ... vorzubereiten“ (Thim-Mabrey 1985, S. 113; mit „Nullstelle“ wird hier das Vor-Vorfeld bezeichnet). Das ist aber eine zu starke Annahme. Sie ist wahrscheinlich dadurch bedingt, dass Thim-Mabrey vor allem den schriftlichen Gebrauch des Argumentationsmusters vor Augen hat. In mündlicher dialogischer Kommunikation folgt auf eine durch gewiss oder sicher markierte Einräumung keineswegs immer ein mit einem adversativen Konnektor angeschlossenes Gegenargument. 198 Im Rahmen des Handlungsmusters des Argumentierens kann eine durch einen Geltungsoperator markierte Einräumung auch die Funktion haben, eine Kontroverse beizulegen bzw. sich in Richtung eines Kompromisses zu bewegen. Ein Beispiel für eine solche akzeptierende Einräumung repräsentiert der folgende Diskursausschnitt. Er stammt aus einer privaten Unterhaltung zwischen Medizinern. M1 erzählt von seinem Bruder, der bei einem Skiunfall so unglücklich gestürzt ist, dass er einen dauernden Hüftschaden davongetragen hat. Er verallgemeinert diese Erfahrung, indem er behauptet, dass Skifahren sehr gefährlich werden kann (die Äußerung ist nicht voll verständlich): (9) M1: [...] und außerdem noch ein bru"ch unten ** des=s sehr M1: unglücklich ç * (unten? und und) mit dem ç * zum beispiel * M1: da gibt=s doch so viel knie"verletzungen und so viel 198 Von diesem Fall ist der Fall zu unterscheiden, in dem der Sprechende zwar die zur Debatte stehende Verbindung von Einräumung und Gegenargument realisiert, das Gegenargument aber nicht durch einen adversativen Konnektor einleitet. Verantwortlich für diese unvollständige Realisierung des Musters sind in der Regel die aktuellen Interaktionsbedingungen. Eigenschaften gesprochener Sprache 414 M1: knö"chelverletzungen beim skifahrn ç | (... 1,0) M2: des is |kann ja M1: | sehr gefährlich |werden ç | M2: auch immer | |ja aber| durch M2: sicherheitsbindungen kann man sehr viel ausschalten ç ** -> M1: na: die sind n=ja=sicher ç es gibt sehr gu"te M1: sicherheitsbindungen jetzt neuerdings ç * M2: ne äh besonders M2: diese ähm * spira"lbrüche werden ausgeschaltet ne æ [...] (FKO/ XAZ, S. 76) Wie ersichtlich, stimmt M2 mit der Einschätzung von M1 nicht überein. Nachdem er mit einem vorhergehenden Beitrag nicht zum Zuge gekommen ist, fällt er M1 mit ja aber ins Wort, um einzuwenden, dass man durch Sicherheitsbindungen Unfälle ausschalten kann. Etwas zögernd beginnt M1 mit na: die sind, bricht ab, gibt sich gewissermaßen einen Ruck (das n=ja wird deutlich lauter gesprochen als das vorhergehende Äußerungsstück) und gesteht mit der durch sicher eingeleiteten Phrase zu, dass es neuerdings gute Sicherheitsbindungen gibt. Damit ist wieder Konvergenz hergestellt, was durch das bestätigende ne bekräftigt wird, mit dem M2 seinen folgenden weiterführenden Redebeitrag beginnt. In den bisher besprochenen Beispielen wurde das Argumentationsmuster SICHER/ GEWISS/ ... + (EINGERÄUMTES) ARGUMENT - ABER/ DOCH/ ... + (GEGEN-)ARGUMENT (im Prinzip) turneinleitend verwendet. Häufiger war aber in dem von uns erhobenen Material der turninterne Gebrauch. Während bei turneinleitender Position sicher als Einräumungsmarkierer dominierte, 199 verwendeten die Sprecher(innen) bei turninterner Realisierung neben relativ häufigem sicher (11 Fälle) auch andere Geltungsoperatoren als Einräumungsmarkierer, und zwar natürlich (5-mal), gewiss (3-mal), selbstverständlich und sicherlich (je 1-mal). Das Geltungsadverb sicher war demnach in unserem gesprochensprachlichen Analysekorpus der bei weitem am häufigsten verwendete Einräumungsmarkierer (17 Fälle von insgesamt 28 Fällen). Wie bereits erwähnt, zählt sicher grammatisch gesehen zu den modal abschwächenden Satzadverbialia. Es bringt einen hohen Grad an subjektiver 199 In den 7 Fällen, in denen das Muster turneinleitend vorkam, war der Einräumungsmarkierer 6-mal sicher und 1-mal natürlich. Die Operator-Skopus-Struktur 415 Wahrscheinlichkeit bzw. einen geringen Unsicherheitsgrad zum Ausdruck (vgl. Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997, Bd. 2, S. 1133; Helbig/ Helbig 1993, S. 197). Diese Eigenschaft macht es zu einem idealen Einräumungsmarkierer, besonders was seine Funktion in dem oben erwähnten Argumentationsmuster angeht: sicher verleiht der Proposition der Einräumung einen leicht unsicheren Charakter. Die sprachliche Gestaltung unterstreicht damit die relativ schwächere Geltung der Proposition der Einräumung gegenüber der Proposition des (Gegen-)Arguments, das der Proponent hauptsächlich zur Geltung bringen will. Allerdings ist der Gebrauch von sicher keine unerlässliche Bedingung, da auch die anderen genannten Adverbien diese Funktion übernehmen können. 200 Wenn das Argumentationsmuster SICHER/ GEWISS/ ... + (EINGERÄUMTES) ARGUMENT - ABER/ DOCH/ ... + (GEGEN-)ARGUMENT nicht turneinleitend, sondern innerhalb eines Gesprächsbeitrags vorkommt, liegt das Argument der Gegenpartei, auf das die Einräumung sich bezieht, entweder zurück und wird vom Sprecher wieder aufgegriffen, oder es handelt sich um ein mögliches Argument, das der Sprechende zur Sprache bringt, um es anschließend zu widerlegen. Ein Beleg für die Wiederaufnahme und Spezifizierung eines Arguments der Gegenpartei ist der bereits in Abschnitt III.2.3.2b in anderem Zusammenhang besprochene Diskursausschnitt (Beispiel 15), den wir hier nochmals im Wortlaut wiedergeben. (10) M1: es wurde hier dau"ernd gesagt ja die technik hat=s ja M1: immer schon gegeben und technik hat sich weiter M1: entwickelt und es is eine evolution und so weiter ç ** 200 Im Unterschied zu sicher werden diese Adverbien grammatisch als assertiv und damit als (im Prinzip) geltungsbekräftigend eingeordnet. In grammatischen Beschreibungen wird mit der Tatsache, dass an sich assertive bzw. geltungsbekräftigende Adverbien als Einräumungsmarker und damit in abschwächender Funktion verwendet werden können, unterschiedlich umgegangen. Manchmal wird, wie bereits in Teilabschnitt (b) erörtert, von einem Nebeneinander einer „zustimmenden“ und „abgeschwächt zustimmenden“ Bedeutung gesprochen, die gemeinsam die Bedeutung des betreffenden Geltungsadverbs ausmachen. Manchmal werden aber auch zwei Varianten eines Geltungsadverbs angesetzt. Das ist z.B. der Fall, wenn Helbig/ Helbig (1993) in Bezug auf bestimmt und gewiss zwischen einem Gewissheitsindikator bestimmt 1 bzw. gewiss 1 und einem Hypothesenindikator bestimmt 2 bzw. gewiss 2 unterscheiden. Eigenschaften gesprochener Sprache 416 -> M1: gewiß ç ** man hat auch früher staudämme gebaut man hat M1: auch früher aquädukte gebaut man hat äh * M1: belagerungsmaschinen gebaut l un=so weiter å aber es gibt M1: einen ga"nz entscheidenden unterschied [...] (FKO/ YAA, S. 32) Der Ausschnitt stammt aus einer Diskussion im Rahmen des „Bergedorfer Gesprächskreises“ aus dem Jahre 1965, in der es darum ging, ob die „Automatisation“ als technische Revolution anzusehen sei oder nicht. Sprecher M1 ist, wie ein Vorredner, auf den er sich aktuell bezieht, ein Befürworter der Revolutionsthese, weicht allerdings in der Frage ab, worin das revolutionäre Element der Technik-Entwicklung besteht. Während der Vorredner die Meinung vertreten hatte, das Revolutionäre bestünde darin, dass der Mensch aus dem Fertigungsprozess ausscheiden werde, ist für M1 der entscheidende Punkt, dass die Technik dazu übergegangen ist, sich ihre Zwecke selbst zu setzen. Dieses in seinen Augen ga"nz entscheidende Argument ist er im Begriff anzubringen, und er bereitet diese Aktion sorgfältig vor, indem er durch eine mittels des Operators gewiss gebündelte Reihung von Einräumungshandlungen schon im Vorfeld alle möglichen Einwände gewissermaßen aus dem Weg räumt. Bei einer Verwendung wie der eben beschriebenen wird das an sich auf den Dialog bezogene Argumentationsmuster SICHER/ GEWISS/ ... + (EINGE- RÄUMTES) ARGUMENT - ABER/ DOCH/ ... + (GEGEN-)ARGUMENT gewissermaßen monologisch. Es dient dem Sprechenden dazu, eine strittige oder widersprüchliche Angelegenheit in ihrem Für und Wider zu erörtern und Argument und Gegenargument kontrastierend einander gegenüberzustellen. Das wiederum ist die Funktion, die es auch bei schriftlicher Verwendungsweise erfüllt. Wir belegen dies abschließend mit einem Beispiel aus dem „Mannheimer Morgen“. Konkret geht es darin um die Schließung eines Kaufhauses. Der Reporter legt dar, dass diese einerseits bereits seit längerem feststand und die betroffenen Arbeitnehmer dies auch wussten, dass sie aber andererseits bis zuletzt Hoffnungen nährten, ihren Arbeitsplatz behalten zu können. Auch hier wird mithilfe des Musters ein widersprüchlicher Gesamtsachverhalt für den Leser aufbereitet: Die Operator-Skopus-Struktur 417 (11) „Am 31. Januar 1996 gehen bei Hertie die Lichter aus. Sicher, die eisenharte Haltung der Unternehmensleitung ließ schon seit etlichen Wochen deutlich werden, daß dieses Aus nicht mehr abzuwenden war. Doch gehofft, gehofft haben die Menschen dort bis zum Schluß. Für diese Hoffnungen haben sie gekämpft [...].“ ( MMM / 511.29806: Mannheimer Morgen vom 12.10.1995) (d) Die geltungsabschwächende Funktion Während wir in den vorhergehenden Teilabschnitten Adverbien behandelt haben, die die Geltung der Bezugsproposition entweder bekräftigten oder höchstens leicht einschränkten, wenden wir uns nun den genuin geltungsabschwächenden Adverbien vielleicht und wahrscheinlich zu. In mündlicher Kommunikation können auch sie unter bestimmten Umständen im Vor- Vorfeld ihrer Bezugsäußerung stehen, und es ist die Frage, wie weit sie dann in vergleichbarer Weise wie geltungsbekräftigende Adverbien als Operatoren betrachtet werden können. Die Erörterung dieser Frage macht es erforderlich, nochmals einen Blick auf die im Prinzip geltungsbekräftigenden Adverbien und ihre abgeschwächten Varianten zu werfen. Für die bisher behandelten Adverbialia gilt: Wenn sie nicht zu der Gruppe von Geltungsadverbien gehören, die grundsätzlich nur satzintegriert vorkommen, d.h., wenn sie als Operatoren vor und gegebenenfalls auch nach dem Satz platziert werden können, der die Bezugsproposition enthält - dann wird diese Positionierungsmöglichkeit von Sprecher(inne)n des Deutschen als grammatisch korrekt angesehen. Sie ist von der Sprachgemeinschaft offensichtlich akzeptiert, auch wenn sie in den Standardgrammatiken nicht besonders erwähnt wird. Die Akzeptanz dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass die Satzrandstellung bei diesen Ausdrücken mindestens seit frühneuhochdeutscher Zeit nicht ungewöhnlich ist. Joachim Schildt hat uns freundlicherweise gestattet, das nur handschriftlich vorliegende Korpus durchzusehen, das er als Grundlage für seine Arbeiten zur Entwicklung des deutschen Modalwortbestandes von 1570 bis 1730 angelegt hatte (vgl. Schildt 1987 und 1992). Unter den von ihm untersuchten modalen Ausdrücken fanden wir insgesamt 6 verschiedene Geltungsadverbialia, die mit mehr oder weniger großer Häufigkeit in der Position vor dem Satz verwendet Eigenschaften gesprochener Sprache 418 wurden (die Zahl in Klammern gibt die absolute Vorkommenshäufigkeit in dieser Stellung an, die Verhältniszahl den Anteil der so positionierten Geltungsadverbiale im Verhältnis zum Vorkommen des betreffenden Ausdrucks insgesamt): fürwa(h)r (11; 1: 2); gewißlich (2; 1: 25); wahrhaf(f)tig (4; 1: 1,75); in Wahrheit (1; 1: 5); warlich (6; 1: 3,3); ohne zweiffel (1; 1: 47). Während also die Vor-Vorfeld-Stellung bei den geltungsbekräftigenden Adverbien als im Rahmen der Norm liegend angesehen wird, ist dies bei den geltungsabschwächenden nicht der Fall: Wenn wahrscheinlich und vielleicht in das Vor-Vorfeld des Satzes gestellt werden, auf den sie sich beziehen, wird dies als inakzeptabel und als ein Verstoß gegen die standardsprachliche Norm empfunden. Nichtsdestoweniger kommen beide Ausdrücke in gesprochener Sprache gelegentlich in dieser Stellung vor (vgl. Abschnitt III.4.1.5, Tabelle 1). Wir besprechen im Folgenden Beispiele, bei denen vielleicht im Vor-Vorfeld steht; den einzigen entsprechenden Beleg für wahrscheinlich haben wir bereits in Abschnitt III.2.3 in anderem Zusammenhang analysiert, vgl. ebd., Beispiel 12. Der erste Diskursausschnitt stammt aus einem der Schlichtungsgespräche („Die Mopeds“, SG 3001.08). Der Sprecher ( BB ) ist der Antragsgegner. Sein Nachbar wirft ihm vor, ihn beleidigt zu haben. Dies war bei einem Wortwechsel geschehen, der dadurch zustande gekommen war, dass ( BB ) sich bei dem Nachbarn beschwerte, dass dessen Sohn und die Freunde des Sohnes vor seinem Hause Lärm machten. Der Schlichter ( CC ) hat gerade einen Vergleich vorgeschlagen: BB soll sich für den verbalen Ausrutscher beim Antragsteller entschuldigen und dieser sich im Gegenzug dazu verpflichten, so weit möglich mäßigend auf die Jugendlichen einzuwirken. CC fragt BB , wie er zu diesem Vorschlag steht: (12) CC: herr boos hawwe sie hawwe sie mitkriggt was isch: |vor|geschlache BB: |ja ç | CC: hab was sache sie dezu ç BB: ja (...) mi entschuldigen net æ * i ich BB: bi"n fir a gude nachbarschaft ç * mir ham- * anander i"mmer BB: ausgeholfe die einanzwanzich johr er is bei mir einganga und aus CC: |(...)| BB: und ich auch bei ihm ç * |wa=ma| kleinichkeiten braucht hat net æ Die Operator-Skopus-Struktur 419 -> BB: * also ç * worum soll=mer jetz die letzte ç vielleichti leb BB: noch zwei joahr oder drei oder fimfi ç CC: |a: isch wünsch isch | wünsch ihne daß |se (...) alt werre ç | * BB: |warum soll ma si do-| |nei"n ich sag nur ç | CC: ähähä un |noch älder ç | |ähähähä | K LACHT# LACHT # BB: |des will a je|der mensch ç * |va den abgesehe| net æ * BB: * awwer a bissel frieden und a bissel a rescht steht mer auch zu BB: ne æ (SG, 3001.08, Z. 516-537) Die Äußerung, um die es geht, ist vielleichti leb noch zwei joahr oder drei oder fimfi-, Akzente liegen auf viellEIcht, zwEI, drEI und fImfi. Es handelt sich um einen spontanen Einschub. Das Redestück folgt unmittelbar auf eine vorausgehende, nicht zu Ende formulierte Äußerung, mit der der Sprecher seine vorhergehenden Überlegungen auf den Punkt bringt: Er ist für gute Nachbarschaft und hat so viele Jahre einvernehmlich mit dem betreffenden Nachbarn zusammengelebt - also ç * worum soll=mer jetz die letzte ç - „die letzte Zeit“ oder „die letzte(n) Jahre“ wollte er vielleicht fortfahren. Er bricht aber ab. Er hat in diesem Moment offenbar, aus welchem Grund auch immer, den Eindruck, dass der Ausdruck letzte erklärungsbedürftig ist, und er schiebt eine entsprechende Erläuterung ein. Das intonatorische Kennzeichen, dass etwas Neues kommt, ist eine leicht fallende Tonbewegung auf letzte und anschließend ein Wechsel in eine etwas tiefere Tonlage: vielleichti leb noch zwei joahr oder drei oder fimfi ç . Der Einschub schließt ebenfalls mit leicht fallender Tonbewegung ab. Danach will der Sprecher, in etwas modifizierter Form, den ursprünglichen Äußerungsplan realisieren. Er beginnt: warum soll ma si do-, kann die Äußerung jedoch auch jetzt nicht vollenden, weil er sich genötigt sieht, auf einen Einwurf des Schlichters zu reagieren. Nachdem die Nebensequenz abgearbeitet ist, kommt er auf diese Äußerung nicht mehr zurück, sondern bringt - mittels Fokusumlenker awwer bzw. aber - den anderen Gesichtspunkt ins Spiel, auf den er die ganze Zeit zugesteuert ist und den er vor allem zur Geltung bringen will: awwer a bissel frieden und a bissel a rescht steht mer auch zu ne æ . 201 201 Damit erweist sich alles Vorhergehende als eine ausgedehnte Passage des Einräumens, die in diesem Fall aber nicht durch ein entsprechendes Geltungsadverb markiert ist. Eigenschaften gesprochener Sprache 420 Wir kommen damit zu dem Einschub und zu seiner Realisierung als Operator-Skopus-Struktur zurück. Sie scheint hier nicht - wie in den oben besprochenen Fällen geltungsbekräftigender Adverbiale - absichtsvoll produziert worden zu sein. Sie „passiert“, weil der Sprecher mitten in der Abwicklung eines Äußerungsplans spontan eine neue Äußerung plant und deren Bestandteile in der Hitze des Gefechts nicht auf die normgemäß „richtige“ Reihenfolge bringt - was die mündliche Verständigung nicht im Geringsten beeinträchtigt. Bei dem folgendem Beispiel dagegen scheint man eher von einem absichtsvollen Gebrauch des vielleicht als Operator ausgehen zu können. Der Ausschnitt stammt aus dem Freiburger Korpus, aus einer Diskussion zu Fragen der Verkehrssicherheit: (13) M1: ich kann lediglich sagen daß: äh und der herr doktor M1: seehum mag mich berichtigen ich glaube bisher haben M1: fünfunddreißig prozent aller autofahrer schon einen M1: autoradio |und| da ist eigentlich schon l eine ganze XM: |hm | M1: menge getan å wenn dieses * bundesweite rundfunkprogramm M1: dann kommt ç -> M2: ähm was sehr zu begrüßen ist ç l vielleicht å zum M2: thema autoradio darf ich auch etwas sagen ç ich habe äh * M2: grade in der * vorletzten woche in genf gesehn daß die M2: japa"ner ** von vornherein å alle autos mi"t autoradio K STOCKEND M2: ausrüsten çl aber da kommt etwas interessantes auf uns zu" K # M2: * äh daß nämlich beispielsweise derjenige der ein M2: autoradio hat ja auch dafür eine gebü"hr * |entrichten| XM: |so ist es | M2: muß ç (FKO/ XCG, S. 100) Die Operator-Skopus-Struktur 421 In diesem Diskursausschnitt will der Sprecher (M2), nachdem er die Ausführungen seines Vorredners (M1) zustimmend kommentiert hat (ähm was sehr zu begrüßen ist ç ) unmittelbar anschließend einen eigenen Beitrag zum Thema leisten. Dazu muss er sich zunächst das weitere Rederecht sichern. Er schließt daher eine Äußerung an, in der er auf seine Absicht hinweist: l vielleicht å zum thema autoradio darf ich auch etwas sagen ç (der Pfeil ‘ ç ’ steht in diesem Fall für leicht fallendes Tonmuster). Die Gewährung des Rederechts ist einerseits abhängig von der Zustimmung der übrigen Gesprächsteilnehmer. Das erklärt die Tatsache, dass (M2) seine Äußerung mit Elementen einer höflichen Bitte versieht: er benutzt das Hilfsverb dürfen, die Partikel auch und geltungsabschwächendes vielleicht. Andererseits spielt dafür auch die Schnelligkeit eine Rolle, mit der ein Sprecher seinen Anspruch auf das Rederecht geltend macht. (M2) löst dieses Problem, indem er das vielleicht seiner Äußerung voranstellt und beschleunigt realisiert. Damit signalisiert er schnellstmöglich seinen Anspruch auf das Rederecht und stuft diesen gleichzeitig in seiner Relevanz herunter, indem er dafür das abschwächende Adverb verwendet. Es gibt jedoch eine weitere mögliche Begründung dafür, dass (M2) vielleicht in der Vor-Vorfeld-Position realisiert. Der Sprecher hat nämlich auch ein Reihenfolgeproblem. Da er den Hörern als Begründung für seine Beanspruchung des Rederechts ferner deutlich machen möchte, dass er einen Beitrag zur behandelten Sache leisten will, realisiert er nicht nur das Adverb an hervorgehobener Stelle, sondern auch die Themenangabe (zum thema autoradio), die als Verbergänzung ihren regulären Platz innerhalb des Satzrahmens hätte. Er setzt sie in das Vorfeld des Bezugssatzes. Diese Stellungsmöglichkeit, bei der das Adverb Bestandteil des Satzes wäre und dennoch an herausgehobener Position realisiert würde, steht damit für das vielleicht nicht mehr zur Verfügung. Das heißt aber: Eventuell wählt der Sprecher die nicht der Norm entsprechende Vor-Vorfeld-Position für vielleicht auch deshalb, weil er damit die Hervorhebungsdomäne „Vorfeld“ frei hält und die Möglichkeit gewinnt, die Hörer auf doppelte Weise „voreinstellen“ zu können. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass eine Operatorstellung von geltungsabschwächenden Adverbien vor allem dann funktional gerechtfertigt und dementsprechend akzeptabel ist, wenn Sprecher bemüht sind, einen komplexen Sachverhalt in für den Rezipienten nacheinander zu verarbeitende Informati- Eigenschaften gesprochener Sprache 422 onspäckchen aufzugliedern. Das ist zum Beispiel bei dem früher besprochenen Beleg für wahrscheinlich der Fall, bei dem auf das vorangestellte Adverb sogar zwei Thematisierungen folgen (vgl. Abschnitt III.2.3, Beispiel 11). Die entscheidende Phrase lautet dort: (14) -> GG: [...] ATMET EIN <und wahrschein>lich ç *2,3* was die GG: juden angeht i"n deutschland ç * ihr beitrag * zu dem was GG: wir deutsche kultur nennen * das is überhaupt nicht mehr GG: aufzuholen ç *1,5* das macht auch aus deutschland * so GG: eine schreckliche provi"nz ç 4.1.6 Zusammenfassung Gegenstand des vorliegenden Teilkapitels waren Geltungsoperatoren, d.h. Geltungsadverbiale, die von Sprechern vor bzw. nach dem Satz/ der sprachlichen Handlung realisiert werden, auf dessen/ deren propositionalen Gehalt sie sich beziehen. Genauer untersucht haben wir allerdings nur die vorgeschalteten Operatoren. (1) Unsere Recherchen in den Gesprächskorpora des Instituts für Deutsche Sprache ergaben, dass Geltungsadverbiale in der Regel in ihren Bezugssatz integriert werden. Mit anderen Worten: Operator-Skopus- Strukturen mit einem Geltungsadverb als Operator sind in mündlicher Kommunikation selten. Mit nennenswerter Häufigkeit kamen nur die Adverbien natürlich und sicher in Vor-Vorfeld-Position vor. Dies gilt allerdings relativ zu dem hier ausgewerteten Material: Die von uns in Bezug auf Geltungsadverbien durchgesehenen Gesprächskorpora decken den Zeitraum von 1960 bis 1990 ab. Was die vertretenen Diskursarten betrifft, sind darin Interviews, Diskussionen, Unterhaltungen, Vorträge, Reportagen, Erzählungen und Schlichtungsverhandlungen vertreten. Öffentliche bzw. halböffentliche Kommunikationssituationen wie Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie Schlichtungsverfahren überwiegen. Jedoch ist dies nicht als Nachteil zu betrachten. Es gibt Gründe anzunehmen, dass die entsprechenden Strukturen im privaten Gespräch eine noch geringere Rolle spielen (vgl. Abschnitt III.4.1.3 bzw. Auer 1997, S. 57). Die Operator-Skopus-Struktur 423 (2) Was die schriftliche Kommunikation angeht, verwendeten die Schreiber die Geltungsoperatoren, die wir in den gesprochensprachlichen Korpora ermittelt haben, teilweise relativ häufiger (freilich, gewiss, sicherlich, wirklich), teilweise relativ weniger häufig als in den Gesprächskorpora (natürlich, selbstverständlich). Sicher wurde in beiden Arten von Korpora mit gleicher Häufigkeit realisiert. Die Adverbien vielleicht und wahrscheinlich können offenbar in gesprochener Sprache als vorangestellte Operatoren verwendet werden, was den schriftsprachlichen Normen noch zuwiderläuft. Darüber hinaus fanden wir in den Zeitungskorpora eine Reihe von Geltungsoperatoren, für die wir in den Gesprächskorpora keine Belege gefunden haben. (3) In unseren Funktionsanalysen sind wir auf bestimmte Unterschiede in der Gebrauchsweise von Geltungsoperatoren bzw. Geltungsadverbien gestoßen. Bekräftigend und einschränkungsbzw. einräumungsmarkierend verwendete Operatoren wie freilich, gewiss, natürlich, selbstverständlich, sicher, sicherlich, wirklich werden von Sprechern gezielt eingesetzt, um möglichen Verstehensproblemen ihrer Zuhörer vorzubeugen. Die Probleme, die mithilfe von Geltungsoperatoren bearbeitet werden, sind unterschiedlicher Art. Ein Problemtyp ist z.B., dass der Sprecher befürchtet, der Hörer könnte Schwierigkeiten haben, den Wahrheitsanspruch zu akzeptieren, den er mit einer unmittelbar geplanten Äußerung (bzw. mit der darin enthaltenen Proposition) erheben will. Ein weiterer Problemtyp liegt vor, wenn der Sprecher dem Hörer mittels Geltungsoperator verdeutlichen will, dass er im Begriff ist, eine im gegebenen sprachlichen Handlungskontext nicht ohne weiteres erwartbare sprachliche Handlung zu produzieren. Das ist der Fall, wenn der Sprecher vorausgegangene eigene Äußerungen bzw. damit verbundene Implikationen einer Einschränkung unterziehen will. Oder auch, wenn er in einem Streitgespräch mittels Geltungsoperatoren, vorzugsweise sicher oder gewiss signalisiert, dass er im Begriff ist, der Gegenseite ein (begrenztes) Zugeständnis zu machen. Als ein drittes Problemfeld schließlich, das wir relativ kurz behandelt haben und das nicht nur bei schriftlicher Kommunikation eine Rolle spielt, kann man die argumentierend-monologische Darstellung widersprüchlicher Sachverhaltszusammenhänge ansehen. Darstellungen dieser Art können durch Verwendung des argumentativen Musters SICHER/ GEWISS/ ... + (EINGERÄUMTES) ARGUMENT - ABER/ DOCH/ ... Eigenschaften gesprochener Sprache 424 + (GEGEN-)ARGUMENT auf rezeptions- und akzeptanzbefördernde Weise aufbereitet werden. Rezeptionsbefördernd deshalb, weil das Muster eine klare Gegenüberstellung von Argument und Gegenargument erlaubt. Akzeptanzbefördernd, weil es gestattet, antizipierend auf mögliche Einwände des Hörers einzugehen und dennoch das eigene Argument wirkungsvoll dagegen zu setzen. Im Gegensatz zu den unter (3) genannten adverbialen Ausdrücken, die von Sprechern gezielt als Operatoren und damit als ein bewusst eingesetztes Mittel vorgreifender Verdeutlichung verwendet werden, scheinen die stärker geltungsabschwächenden Adverbien vielleicht und wahrscheinlich mehr situativ bedingt in die Vor-Vorfeld-Stellung zu gelangen - z.B. deshalb, weil die jeweiligen Sprecher den spontanen Umbau einer geplanten Äußerung nicht perfekt bewältigen, sich das Rederecht sichern oder Planungszeit gewinnen wollen. Darüber hinaus spielt für die Positionierung am Satzrand auch die Absicht von Sprechern eine Rolle, die verschiedenen Gewichtungsmöglichkeiten, die die Stellungsfelder bieten, zu nutzen, um dem Hörer die Verarbeitung komplexer Mitteilungsinhalte zu erleichtern. 4.2 Gegensatzoperatoren 4.2.1 Auswahl und Einordnung Als Gegensatzoperatoren bezeichnen wir die Operatoren, mit deren Hilfe der Sprecher dem Hörer signalisiert, dass das Folgende zum vorher Geäußerten in der Relation einer - wie auch immer gearteten - Gegensätzlichkeit steht. Beziehungen zwischen zwei Äußerungen als gegensätzlich darzustellen, ist ein ständig angewandtes sprachliches Verfahren, und es sind eine ganze Reihe sprachlicher Mittel ausgebildet worden, diesen Gegensatz anzuzeigen. Der allgemeinste Ausdruck von ihnen ist aber. Die meisten der sprachlichen Elemente, die einen Gegensatz zwischen zwei Äußerungen indizieren, bewegen sich, was ihre Wortklassenzugehörigkeit betrifft, in dem unübersichtlichen Feld von Adverbien, Konjunktionen und Partikeln. Je nach grammatischer Ausrichtung und Untersuchungszielen werden verschiedene Klassifizierungen und Bezeichnungen gewählt. Ge- Die Operator-Skopus-Struktur 425 meinsam ist den meisten, dass in irgendeiner Weise die verbindende Eigenschaft dieser Elemente betont wird (denn Gegensatz bedeutet zunächst, dass überhaupt eine Verbindung zwischen zwei Äußerungen besteht), so z.B. bei den Bezeichnungen Konjunktionaladverb (Helbig/ Buscha 1991), Nexusadverb (Weinrich 1993) oder Konnektivpartikel (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997). D.h., die Elemente verbinden zwei Aussagen, indem sie zwischen ihnen eine Gegensatzrelation herstellen. Der Ausdruck „Gegensatz“ ist dabei in einem sehr allgemeinen Sinne zu verstehen; er ist quasi das gemeinsame Dach oder der kleinste gemeinsame Nenner, unter dem sich diese Elemente auf einer semantisch-funktionalen Ebene zusammenfassen lassen. Zu ihnen gehören beispielsweise solche Lexeme wie aber, allerdings, andererseits, dennoch, dessen ungeachtet, gleichwohl, hingegen, immerhin, indes, jedoch, nichtsdestotrotz, obwohl, nur, trotzdem. Sie sind als Gruppe sicher nicht fest abgrenzbar, trotzdem bleiben die Elemente überschaubar und lassen sich nach verschiedenen Kriterien jeweils unterschiedlich gruppieren. 202 Oft wurde beklagt, dass die Beschreibung dieser Lexeme in Grammatiken und Wörterbüchern zu vage und undifferenziert ausfällt; realistischerweise ist aber auch angemerkt worden, dass sich daran in absehbarer Zeit kaum etwas Grundlegendes ändern werde und differenziertere Darstellungen anderen linguistischen Präsentationsformen wie Monografien etc. vorbehalten blieben. 203 Uns interessiert nun an diesen Lexemen in erster Linie ihre Fähigkeit, die Position des Operators in der von uns analysierten Operator-Skopus-Struktur einnehmen zu können. Die Operator-Skopus-Struktur wird vor allem dadurch erzeugt, dass die Lexeme nicht in das Syntagma der folgenden Äußerung integriert sind, sondern vor der Äußerung stehen und so eine spezifi- 202 Dass auch solche Elemente wie jedenfalls, höchstens oder wenigstens unter den Begriff der Gegensatzkonnexion subsumiert werden, wie Lötscher (1989) das tut, ist vielleicht nicht unmittelbar einleuchtend, prinzipiell aber durchaus möglich. 203 So Kunzmann-Müller (1988, S. 3). Eine solche andere Form wird z.B. das Konnektoren- Handbuch von Pasch/ Brauße/ Breindl/ Waßner (i.V.) sein. Eigenschaften gesprochener Sprache 426 sche Zweigliedrigkeit entsteht. 204 Sie kündigen dem Hörer durch ihre exponierte Stellung an, dass jetzt zum vorher Gesagten ein Gegensatz hergestellt werden wird. Wir wollen im Folgenden einige der Elemente, die besonders produktiv als Operatoren in der Operator-Skopus-Struktur auftreten (allerdings, immerhin, nur, bloß, trotzdem, obwohl), genauer analysieren und versuchen, zu differenzierteren Aussagen über die Art des hergestellten Gegensatzes zu kommen. In einem weiteren Abschnitt sollen dann andere Gegensatzoperatoren, deren Vorkommen weniger frequent ist, kurz vorgestellt werden. 4.2.2 Einzelanalysen ausgewählter Gegensatzoperatoren allerdings Mit dem Operator allerdings gibt der Sprecher dem Hörer zu verstehen, dass die Argumentation nicht so weitergehen wird wie bisher. Das bis jetzt Gesagte behält zwar seine Gültigkeit, aber mögliche Schlussfolgerungen, die der Hörer daraus ziehen könnte und die - setzt man einen normalen Verlauf der Dinge voraus - auch nahe liegend erscheinen, werden durch die mit allerdings angekündigte Fokussierung auf einen bisher nicht berücksichtigten Aspekt eingeschränkt bzw. verhindert. (1) M1: nur noch etwa se"chs kilometer * hat gaston rolands aus M1: belgien zu laufen bis zum ziel- * des marathonlaufes * der M1: neunten europameisterschaften in athen * in- * ma"rathon dem- M1: ort der ja berühmt geworden ist durch den läufer von marathon M1: der von dort aus seine botschaft nach athen getragen haben M1: so"lles ist ja nicht historisch nachgewiesenerfolgte der 204 Die Fähigkeit, diese besondere Stellung einzunehmen, und die zunehmende Verbreitung dieses Phänomens ist von manchen Autoren, die sich speziell mit diesen Lexemen beschäftigen, schon früh erkannt worden. So heißt es bei Brauße (1983, S. 24): „Man kann feststellen, daß die Hauptsatzstellung, die ursprünglich nur für koordinierende Konjunktionen korrekt war, zunehmend auch nach den Adverbien in konjunktionaler Verwendung gebraucht wird, vor allem in der Umgangssprache.“ Fünfzehn Jahre nach dieser Äußerung scheint uns die Beschränkung auf die Umgangssprache nicht mehr erforderlich. Die Operator-Skopus-Struktur 427 M1: start- * und * gaston rolands hat jetzt eine strecke von mehr M1: als zwanzig kilometer allei"n an der spitze laufend l M1: zurückgelegt ç < l allerdingser wird verfolgt å > * von dem M1: engländer ron hillder nu"r noch etwa fünfzig sekunden hinter M1: gaston rolands zurückliegt- (FKO/ XGB) Die Äußerung, die dem Operator allerdings vorausgeht, baut eine bestimmte Erwartung auf: Wenn in einem Marathonlauf sechs Kilometer vor dem Ziel ein Läufer an der Spitze ist, der diese Spitzenposition schon zwanzig Kilometer lang innehat, dann ist die Möglichkeit seines Sieges nahe liegend. Diese Erwartung schränkt der Sprecher ein, indem er ein Faktum nennt, das den nahe liegenden Sieg möglicherweise gefährden könnte: allerdingser wird verfolgt * von dem engländer ron hillder nu"r noch fünfzig sekunden hinter gaston rolands zurückliegt-. 205 (2) M1: ob das nun * gewollt war * * oder ob des äh * un"beabsichtigt M1: gewesen ist daß dieses blatt verloren/ l in meiner M1: klassenarbeit å verloren ging das kann ich nicht genau M1: beurteilen- * * aber auf jeden fall * * besteht die tatsache M1: * daß sie" zu mir sagte ja (...) sie äh entschuldigen sie M1: bitte * (...) äh * ihre äh/ sie ham versucht mich zu täuschen M1: und sie haben/ sie haben dieses blatt verschwi"nden lassen ç M1: * das/ * dieser tatbestand/ * * tatbestand beste"ht ç * * >und M1: äh l da blieb mir natürlich nichts andres übrig als mich zu l M1: beschwe"rn ç allerdings der erfolg å * war sehr geri"ng ç * * M1: denn * wie man so sagt * der< * paragraph eins der lehrer hat M1: i"mmer recht- * paragraph zwei der schüler hat nie" recht- und M1: paragraph drei sollte der schüler einmal recht haben siehe M1: paragraph ei"ns ç (PFE/ BRD, cp010) 205 Tatsächlich wird am Ende Ron Hill der Sieger des Marathonlaufes sein. Eigenschaften gesprochener Sprache 428 In diesem Beispiel erzählt ein Schüler vom Verhalten seiner Lehrerin, das in einer ungerechtfertigten Beschuldigung gipfelt. Ein Blatt seiner Klassenarbeit war verloren gegangen, und er wurde bezichtigt, er habe dieses Blatt absichtlich verschwinden lassen. Der Schüler beschwert sich daraufhin. Wenn man davon ausgeht, dass man sich in der Regel dann beschwert, wenn man sich im Recht zu befinden glaubt und deshalb mit einer gewissen Hoffnung den Erfolg der Beschwerde antizipiert, dann ist nach dem allerdings keine Erfolgsmeldung mehr zu erwarten, sondern eine Störung des erwarteten Verlaufs. (3) M1: und dann steh ich manchmal am schraubstock dann wird so gekleppert M1: die einlagen- * l und dann hab ich immer å neben dran mein notizblock M1: liegen- * * und da krieg ich so meistens meine ei"nfälle wenn ich so M1: gegenüber schau auf die kahle wand- und da kommen mir die dinger ç * K # LACHEND # M2: reizend K #LACHEND# l M1: allerdings mein vater der isch nicht groß begei"stert wenn ich diese M1: ei"nfälle während dem a"rbeite hab- * l da laß ich mein notizblock M1: immer å verschwinden- <aber er> meint es alles nicht so- * der isch ja M1: ganz anders auch veranlagt- * denn er kommt auch aus der M2: ja M1: ka"rnevalsgesellschaft heraus wie ich- (FKO/ XGA) Im Beispiel (3) ist die Annahme nahe liegend, dass es für den Humoristen Karl Steuer überhaupt kein Problem sei, Arbeit und Freizeitbeschäftigung miteinander zu verbinden. Diese Schlussfolgerung, die der Hörer aus dem Gesagten fast zwangsläufig ziehen muss, wird - angekündigt durch allerdings - dadurch eingeschränkt, dass eine andere Sicht auf die Dinge - nämlich die des Vaters - eingeführt wird, womit sich die Annahme der Problemlosigkeit relativiert. Die Operator-Skopus-Struktur 429 In den meisten Fällen geschieht das Umorientieren der geweckten Erwartungen dadurch, dass ein Aspekt eingeführt wird, der bisher nicht im Fokus stand oder der bisher nicht genügend berücksichtigt wurde. Aufgrund des neu eingeführten Aspekts muss die Aussage der vorhergehenden Äußerung bzw. die Erwartung, die mit ihr geweckt wurde, eingeschränkt werden. Was im Skopus steht, d.h., wodurch genau die vorher geweckten Erwartungen gebremst werden, kann mehr oder weniger nahe liegend sein; dieser Prozess korrespondiert mit alltagsweltlichen Erfahrungen. So ist in Beispiel (1) der einschränkende Aspekt vielleicht nahe liegender als der in Beispiel (3), weil es in Sportwettkämpfen normal ist, dass der Sportler, der sich an der Spitze befindet, von anderen Wettkämpfern bedrängt wird, während es vielleicht weniger auf der Hand liegt, dass gerade vom Vater eine Einschränkung ausgeht. Komplizierter wird das Verhältnis von Erwartung und Einschränkung in den Fällen, wo der Operator allerdings Teil eines so genannten Ja-aber-Formativs ist. Dabei beinhaltet der dem Operator vorausgehende Teil die einräumende Reformulierung der Aussage des Kommunikationspartners (vgl. auch III. 4.1.5.c). Die Ja-aber-Technik gilt in der Rhetorik als eine flexible Form des Widersprechens, in der zunächst dem Kommunikationspartner zugestimmt wird, seine Argumente z.T. als gültig eingeräumt werden, damit gleichzeitig aber die eigene Position besonders gewichtet und offensiv vertreten wird (vgl. Kallmeyer 1987, S. 57). Das Besondere an ‘ja aber’ liegt in der Kombination von rezipierender und ggf. bestätigender Berücksichtigung der vorausgehenden Partneräußerung und der Präsentation einer eigenen thematischen Relevanzsetzung. (ebd.) Kallmeyer fragt allerdings zu Recht, was diese Zustimmung, da sie in ihrer Relevanz eben zurückgestuft werde, eigentlich noch wert sei (vgl. ebd., S. 67). (4) M1: ja ç also die geschwindigkeitsbegrenzungen in frankreich sind M1: ja zunächst versuchsweise für ein halbes jahr eingeführt Eigenschaften gesprochener Sprache 430 M1: wordenauf ganz bestimmten straßen ç und äh nach den l M1: pressemitteilungen soll tatsä"chlich allerdingsder M1: zeitraum ist nicht genanntäh die un/ die unfalltoten soll M1: gesunken sein aber æ der zei"traum um wi"rklich M1: aussagekräftige erkenntnisse zu gewinnen ist zu kurz ç (FKO/ XCG) In einer Radiosendung wird ein ADAC -Vertreter von einem Hörer nach seiner Meinung zu den erfolgreichen Geschwindigkeitsbegrenzungen in Frankreich gefragt. Der ADAC -Vertreter beginnt zunächst zustimmend das Faktum zu reformulieren. Gleichzeitig schwächt er die Zustimmung sofort wieder ab, indem er in diese Reformulierung sein Gegenargument in Form einer Operator-Skopus-Struktur einbaut: allerdingsder zeitraum ist nicht genannt-. Danach führt er die Reformulierung zu Ende und paraphrasiert im anschließenden Aber-Teil sein schon vorher gebrachtes Gegenargument. Es entsteht eine Parallelität zwischen dem Allerdings-Teil und dem Aber-Teil, auch wenn die Argumente nicht völlig deckungsgleich sind. Gegensatzoperatoren, die Bestandteil eines Ja-aber-Formativs sind, kündigen, wie die anderen Gegensatzoperatoren auch, eine Einschränkung des zuvor Gesagten an. Ihre Ankündigungskraft ist aber insofern abgeschwächt, als die eigentliche Ankündigung der Einschränkung schon mit dem Beginn des Ja-aber-Formativs erfolgt. Diese Struktur hat eine solche Projektionskraft, dass schon mit dem Reformulierungsteil die Erwartung geweckt wird, dass eine Einschränkung folgen wird. trotzdem Das sprachliche Element trotzdem gehört zu den Elementen, die besonders häufig als Operator in der Operator-Skopus-Struktur auftreten. Das zeigt ein Blick in die quantitativen Betrachtungen (vgl. III.4.2.4), wo die Prozentzahlen des Vorkommens durchgängig höher als bei den anderen sprachlichen Elementen liegen; das zeigt aber auch die Tatsache, dass trotzdem in Operatorposition schon in literarischen Werken des 19. und des frühen 20. Jahr- Die Operator-Skopus-Struktur 431 hunderts zu finden ist. 206 D.h., die Fähigkeit, die Operator-Position einnehmen zu können, existiert für trotzdem nicht erst als ein Ergebnis der neueren Sprachentwicklung wie z.B. bei obwohl. Allgemein signalisiert der Operator trotzdem: Obwohl der Sachverhalt x gilt, gilt auch der Sachverhalt y. Dabei erhält der Sachverhalt y ein stärkeres Gewicht, auch wenn er zum Sachverhalt x in einem widersprüchlichen Verhältnis steht. (1) W1: ich muß ehrlich sagen ich komme da bei bei ma"the und so da komm W1: ich se"lber schon nicht mehr mit obwohl ich mein hab ja W1: keine äh höhere schule besucht außer die handelsschule na das is l W1: schon so lange her aber ich steh ja noch im beruf aber tro"tzdem W1: das schaff ich auch nicht daß ich/ es is schwer und es is nun eben W1: das A und O bei den kindern sie mü"ssen aufpassen (DSK/ DCS.00000) Bei der Verwendung des Operators trotzdem lässt sich häufig ein mehrteiliges Muster erkennen, so auch in diesem Beispiel. Eine Mutter erzählt von den Schwierigkeiten, ihrem Kind bei den Mathematik-Hausaufgaben helfen zu können. Zunächst werden Begründungen dafür aufgeführt, warum dies schwierig ist. Zum einen hat die Mutter selbst keine höhere Schule besucht, zum anderen liegt ihr eigener Schulbesuch schon lange zurück (Teil 1). Danach folgt ein Argument, nach dem es eigentlich doch möglich sein müsste zu helfen: ich steh ja noch im beruf (Teil 2). Das Im-Beruf-Stehen gilt hier 206 „Der Spuk bedeutet mir nichts, aber an Ahnungen glaub ich, wiewohl die Herrnhuter auch davon nichts wissen wollen, und werden wohl auch recht damit haben. Trotzdem, man steckt nun mal in seiner menschlichen Schwachheit, und so bleibt einem manches im Gemüt, was man mit dem besten Spruch nicht loswerden kann.“ (Theodor Fontane: Unwiederbringlich. Frankfurt 1977, S. 12). „Er mochte mich zwar wohl leiden und trieb seinen Spaß mit mir. Ich durfte die Laterne ausblasen, mit der er sich zu uns geleuchtet hatte, ... , aber trotzdem: ihn Onkel zu nennen, dazu war er doch zu sehr Respectsperson, nicht nur für mich, sondern auch für die Erwachsenen ...“ (Thomas Mann: Lotte in Weimar. Stockholm 1939, S. 485). Eigenschaften gesprochener Sprache 432 als Synonym für geistige Beweglichkeit. Mit aber trotzdem 207 wird signalisiert, dass dieses Argument nicht ausreicht, es bleibt bei der Gültigkeit der zuerst getroffenen Feststellung über die Schwierigkeiten bei der Hilfe (Teil 3). (2) 208 HN: temperamentesendung æ ** und=äh äh * bi"n äh daher * 209 JB: gut ç |das is/ | ** |das| 210 HN: dagegen ç >nich< |a"ber | |ich| hätte gerne æ äh 211 K& BUHEN, EINZELNER KLATSCHER, MURREN 212 HN: die sachen gezeigt äh ** ich hätte gerne die sachen gezeigt 213 K& IM STUDIOPUBLIKUM # 214 HN: wenn man mir das selber äh wenn man mir das 215 JB: |herr nitsch æ | das akzeptieren wir æ oder i"ch æ als 216 HN: |vorher=äh | l 217 JB: gastgeber hab ich das zu akzeptieren trotzdem ç unsere ** 218 JB: zu"schauer æ wollen sich ja * ein bild da"rüber machen æ was 219 JB: sie ma"chen ç ** deswegen äh z/ zum zitieren æ äh * denk ich 220 JB: mal muss ich sie ni"ch fragen æ ich zitiere mal * aus ** die (GF, 4050.021) Auch in diesem, bereits in anderem Zusammenhang besprochenen Beispiel (vgl. III.2.2.2) ist eine mehrteilige Struktur im Argumentationsgang erkennbar, auch wenn die Argumente, die den einzelnen Strukturbestandteilen zugrunde liegen, nicht immer von derselben Person ausgeführt werden müssen. In diesen Fällen besteht die Argumentation meist sogar aus vier Teilen, wobei der dritte Teil den Charakter einer Einräumung des Gegenarguments erhält. D.h., dieses Verfahren von Einräumung und anschließendem Beharren oder Bekräftigen der eigenen Haltung - angekündigt durch den Operator trotzdem - wird häufig dann angewendet, wenn die eigene Position vom Gesprächspartner unterminiert wird. 207 Hier wie in vielen anderen Fällen wird trotzdem mit einem aber kombiniert; die Gegensatzrelation wird also schon durch das aber angezeigt Auch andere Kombinationen, z.B. mit und oder doch, kommen häufiger vor. Die Operator-Skopus-Struktur 433 Der Moderator JB möchte einen Videoausschnitt über die Arbeit seines Talk- Show-Gastes HN einspielen (Teil 1). Dieser verweigert das Ansinnen (Teil 2). Daraufhin räumt der Moderator ein, diesen Wunsch zu akzeptieren (Teil 3), kündigt aber mit dem folgenden trotzdem an, dass die Fortsetzung seiner Argumentation jetzt in eine andere Richtung gehen wird, dass er an seiner ursprünglichen Absicht (Teil 1) festhalten will. Dies tut er schließlich in Form eines Kompromissverhaltens, indem er zwar nicht den Videoausschnitt zeigt, aber ein Zitat vorliest (Teil 4). (3) 1 M1: wieviel eimer müssen sie dort täglich schleppen 2 W1: ach gott wenns 3 W1: sehr kalt is vierzig fuchzig eimer 4 M1: vierzig fünfzig eimer 5 W1: ja 6 M1: sie ham zwar n aufzug æ 7 W1: ja des merkt mer schon aber trotzdem in 8 W1: die flur und in n schreibmaschinensaal müss mers doch 9 W1: naufschleppen (PFE/ BRD, gm022) Dieses Beispiel weist eine ähnliche Struktur wie Beispiel (2) auf; auch hier wird das vierteilige Muster von verschiedenen Personen realisiert. Der Interviewer fragt eine Reinigungskraft nach ihrer schweren Arbeit. Der erste Teil besteht aus der gemeinsam produzierten Feststellung, wie schwer das Kohlenschleppen ist (Z. 1-5). Im zweiten Teil bringt der Interviewer eine Relativierung der Schwere der Arbeit durch das Vorhandensein eines Aufzugs ins Spiel (Z. 6). Diese Relativierung wird im dritten Teil von der Befragten eingeräumt (ja des merkt mer schon), dann aber mit aber trotzdem angekündigt, dass diese Einräumung so nicht stehen bleiben wird. Im vierten Teil schließlich wird die zuerst getroffene Feststellung als die eigentlich gültige bestätigt (Z. 7-9). Eigenschaften gesprochener Sprache 434 (4) 160 WH: also 161 ED: verständigung danach nie wieder ç da sitz ich 162 ED: a"nderthalb jahre lang und schreibe brief um brief herr 163 ED: erzbischoff lassen sie uns re"den æ wir bekämen jedes 164 ED: theologische thema vom tisch genau das tut er nicht die 165 ED: antwort ist ein dekret nach dem andern ç * und zwar im 166 ED: außergerichtlichen strafverfahren jetzt ç der wird 167 WH: herr drewermann 168 ED: bestraft ç in einer familie die l 169 WH: |trotzdem wir| sollten nicht jetzt über ein verfahren 170 ED: zerbro|chen ist ç | 171 WH: reden wo einer der beiden beteiligten nämlich bischoff 172 WH: degenhard nich da" is æ |der kern| is ja 173 ED: aber der kern is da|bei das | (GF, 4050.254) Nicht immer ist eine mehrteilige Struktur erkennbar, und nicht immer kündigt der Sprecher durch trotzdem die Änderung der Argumentationsrichtung seiner eigenen Rede an. Das trotzdem kann auch turneinleitend verwendet werden, um ein Gegenargument zum Redebeitrag des Kommunikationspartners einzubringen, sei es auf inhaltlicher oder - wie in Beispiel (4) - auf der Verfahrensebene. Nachdem der Moderator WH schon zweimal erfolglos versucht hat, seinen Talk-Show-Gast ED zu unterbrechen (Z. 160 und 167), gelingt es ihm beim dritten Mal mit der Äußerung trotzdem wir sollten jetzt nicht über ein verfahren reden wo einer der beiden beteiligten nämlich bischoff degenhard nich da" is. Der rückwärts gerichtete Bezugsbereich (Gelenkfunktion) bleibt dabei vage, 208 das trotzdem ist hier nur als „Globalverweis auf den vorausgehenden Zusammenhang des Wissens“ zu verstehen. 209 208 Ähnlich vage bleibt der Bezugsbereich des trotzdem im folgenden (schriftlichen) Beispiel, in dem der Operator nachgestellt ist: „Ein reines Vergnügen waren dann die Kalle Blomquist-Filme, und Eva-Lotte - hübsch war sie in ihren Shorts und mit den langen Beinen, fast wie ein Junge - hatte diese wunderbaren Eltern, großzügig und schwedisch, womit ich natürlich nichts gegen meine Eltern sagen will, aber trotzdem.“ (taz, 5.12.96). 209 Vgl. dazu Rehbeins (1995) Aufsatz über ‘zusammengesetzte’ Verweiswörter. Die Operator-Skopus-Struktur 435 immerhin Auch immerhin gehört zu den sprachlichen Elementen, die häufiger als andere Ausdrücke dieser Gruppe in Operator-Position vorkommen und ist von daher mit trotzdem vergleichbar. Gemeinsam ist beiden Elementen auch, dass sie häufig mit aber kombiniert werden. Beschreibt man die Verstehensanweisung des Operators immerhin auf allgemeiner Ebene, so signalisiert dieses Element, dass nun ein Aspekt folgt, den es trotz des eben Gesagten (das seine Gültigkeit behält) auch zu beachten gilt, wobei es dabei meistens so ist, dass die durch immerhin angekündigte Aussage dem zuvor Gesagten noch einen positiven Aspekt abgewinnt, also das Positive im Negativen betont wird. Weydt (1979, S. 343) spricht davon, dass man immerhin dort findet, wo Anteil nehmend und wohlwollend ein etwas enttäuschendes Geschehen kommentiert wird. (1) W1: der kleine spielt klavier allerdings nicht so intensiv der muß W1: immer mal wieder daran erinnert werden und ich spiele cello W1: und klavier und auch früher akkordeon und mein mann leider nur l W1: flöte ç LACHEN das ist nunnich æ aber immerhin er freut sich immer W1: wenn er denn auch mal auch mitspielen kann nich æ mit der flöte nich æ (PFE/ BRD, ap003) In diesem Beispiel geht es um die Freizeitinteressen einer Familie, speziell um das aktive Musizieren. Die Befragte zählt zunächst auf, welche Musikinstrumente ihre Kinder, sie selbst und ihr Mann beherrschen. Dabei wird die Tatsache, dass ihr Mann Flöte spielt, mit leider nur, dem Lachen und der abgebrochenen Bewertung das ist nunin ihrer Bedeutung explizit zurückgestuft, als weniger wert gekennzeichnet als das Können der anderen. Das nachfolgende aber immerhin und die anschließende Äußerung heben diese Negativwertung zum Teil wieder auf, indem auf einen positiven Aspekt, den das Flötespielen dennoch hat, hingewiesen wird. Eigenschaften gesprochener Sprache 436 (2) M1: also der verrückteste fall wäre natürlich die abendmaturität ç M1: dann ist er der ganze abend beschäftigt bis bis elf oder zwölf M1: uhr und dann mit der zeit kommts zum ersten und zum zweiten l M1: nervenzusammenbruch aber immerhin ç also von zeit zu zeit schaffen M1: es einige- und der staat se"lbst veranstaltet diese abendkurse- M1: scheidet auch unterwegs im lauf der jahre die äh schlechteren aus- M1: so daß also eine gewisse wenn man den kurs besteht äh der weg zur M1: matur offensteht ç (PFE/ SUI, rp057) In diesem Beispiel wird über die Möglichkeiten, das Abitur nachzuholen, gesprochen. Als ein besonders schwerer und beinahe nicht gangbarer Weg wird der über die Abendschule beschrieben, bis schließlich durch aber immerhin eine Wende angekündigt wird: trotz aller Widrigkeiten schaffen es einige, auf diesem Weg das Abitur zu erreichen. Die vorher beschriebenen Schwierigkeiten werden damit nicht außer Kraft gesetzt, erscheinen aber durch das eingeführte positive Argument nachträglich in einem anderen Licht. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass der Gebrauch von immerhin (unabhängig von seiner Funktion als Operator) gut dazu geeignet ist, ironisch-spielerisch 210 mit den Dingen umzugehen: Sicher sind es trotz all der beschriebenen Schwierigkeiten doch mehr als nur „von Zeit zu Zeit ... einige“ Schüler, die das Abitur an der Abendschule schaffen. 210 So auch im folgenden schriftlichen Beispiel: „Kurt Cobain, einer der wenigen Tragöden, die die Grunge-Generation hervorgebracht hat, soll sich umgebracht haben, um seiner Tochter den Anblick eines dahinsiechenden Junkies zu ersparen. Heißt es ‘aus seiner Umgebung’. Immerhin: Drogen im allgemeinen und Heroin im besonderen sind plötzlich wieder ein Thema.“ (taz, 18.7.96, S. 3). In diesem Beispiel wird durch immerhin nicht die Aussage relativiert, sondern auf ihren Modus Bezug genommen. Der Gebrauch des Konjunktivs und die Anführungszeichen vor dem Operator lassen auf einen distanzierten, ironischen Umgang mit der Aussage schließen, deren Wahrheitsgehalt offensichtlich bezweifelt wird. Das immerhin signalisiert, dass ihr dennoch ein positiver Aspekt abgewonnen werden kann: ein lange Zeit nicht populäres Thema wird wieder aufgegriffen. Die Operator-Skopus-Struktur 437 (3) 338 RS: unwahrscheinlich ç < >ne * sehr unwahrscheinlich ç < * * 339 BR: >ja: < 340 RS: ja: " *2* äh: dann- *3* >ja was wollt ich denn eigentlich l 341 RS: noch wissen jetzt ç < * * immerhin das entscheidende war schon 342 RS: also * äh=n/ daß man (also? da so) ab sofort- * äh: * auch 343 RS: über sie" da diese zwischenfinanzierung machen kann nich æ 344 BR: mhm mhm (BG, 1404.02) Hier handelt es sich um ein Beratungsgespräch in einer Bausparkasse. Nachdem schon einige Fragen abgearbeitet worden sind, ist das Gespräch ins Stocken gekommen, worauf die längere Pause und die abgebrochene Äußerung in Z. 340 verweisen. Schließlich macht der Ratsuchende ( RS ) in einer Art Selbstgespräch sein Nachdenken offenkundig (ja was wollt ich denn eigentlich noch wissen jetzt ç ), d.h., er orientiert den Hörer auf seine eigenen gegenwärtigen Aktivitäten. Nach der anschließenden Pause erfolgt nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, die Formulierung einer neuen Frage, sondern es wird mit immerhin ein Fokuswechsel angekündigt. Nicht mehr die eigenen Aktivitäten stehen jetzt im Vordergrund, sondern es wird das konstatiert, was inmitten der allgemeinen Unsicherheit in jedem Fall schon feststeht, nämlich, dass die entscheidende Frage geklärt sei. Hier dient die mit immerhin angekündigte Äußerung der Vergewisserung von Fakten in einem ansonsten unsicheren Kontext. (4) 185 WR: der deutschunterricht * was die rechtschreibung betrifft 186 WR: eigentlich schwierigkeiten gemacht æ *2,5* 187 AB: also wenn 188 K& GELÄCHTER 189 AB: ick mir jetz meine fehler angucke anschei"nend ick hatte 190 K& IN DER RUNDE# 191 AB: nich dat jefühl l ick meine ick habe- å * weniger fehler als l 192 AB: dieser leh"rer aber immerhin also * es reicht mir Eigenschaften gesprochener Sprache 438 193 AB: ** det reicht mir- * ick ka"nn mich nich nich erinnern daß 194 K& GE#LÄCHTER IN DER RUNDE 195 WR: |m | 196 AB: es mir schwierigkeiten |be|reitet hat es hat mir große (GF, 4050.58) Bisher wurde davon ausgegangen, dass die mit immerhin angekündigte Äußerung einen im Vergleich zum vorher Geäußerten doch noch positiven Aspekt betont. Es gibt aber auch Beispiele (wenngleich sie selten sind), wo mit immerhin auf etwas Negatives verwiesen wird. So ist es auch in Beispiel (4). In einer Talkshow von 1989, in der das Für und Wider der geplanten Rechtschreibreform diskutiert wird, beginnt man mit einem kleinen Test, an dem mehrere Gäste - u.a. auch ein Lehrer - teilnehmen. Eine Teilnehmerin ( AB ) wird vom Moderator gefragt, ob sie in der Schule Rechtschreibprobleme gehabt hätte. Darauf antwortet sie mehrstufig: Zunächst konstatiert sie, dass sie angesichts ihres schlechten Testergebnisses wohl Probleme gehabt haben müsse, dann antwortet sie auf die gestellte Frage mit ick hatte nich dat jefühl und führt zur Begründung ihr Testergebnis an, welches besser war als das des teilnehmenden Lehrers. Dieser an sich positive Aspekt, dass sie im Test besser abgeschnitten hat als der Lehrer, wird durch das aber immerhin, das eine Umfokussierung ankündigt, und die anschließende Äußerung relativiert: Auch, wenn sie weniger Fehler als der Lehrer hat, bleibt es ein schlechtes Ergebnis. Es ist hier schwer entscheidbar, ob aber immerhin eher als nachgestellter Operator (als der immerhin häufig vorkommt) oder als vorangestellter Operator zu es reicht mir anzusehen ist. Auch die Rolle des also ist mehrdeutig; es kann als Bestandteil des Skopus oder als weiterer Operator zu es reicht mir angesehen werden. nur Nur ist ein sprachliches Element, das in den Grammatiken sowohl als Adverb als auch als Partikel oder auch als Konjunktor geführt wird. Diese Zuordnungen werden dann oft mit entsprechenden Spezifizierungen versehen (Modalpartikel, Gradpartikel, Abtönungspartikel, Konnektivpartikel, Fokusadverb, Nexusadverb, Konjunktionaladverb, adversativer Konjunktor). Ausgangsbedeutung aller dieser verschiedenen Verwendungsweisen von nur ist die der Einschränkung. Im Zusammenhang mit der Operator-Skopus-Struk- Die Operator-Skopus-Struktur 439 tur interessiert uns nur in seiner Eigenschaft als Element, das die Fähigkeit hat, die Rolle des Operators einzunehmen und in dieser Rolle die sprachliche Handlung der Einschränkung vorgreifend zu verdeutlichen. Wie das genau erfolgt, soll anhand der folgenden Beispiele näher erklärt werden. (1) 521 CC: zu werden- * vielleicht werden sie auch dauernd belästicht- 522 AA: ja: - |mhm ç | 523 CC: fühlen sich jedenfalls belästicht |ob et| jeschehn is 524 CC: oder net- ** (will isch mir denken) ç ** un: - ** dann ruft 525 CC: er ihre freundin an un sie" schimpfen dann weil sie eh" l 526 CC: schon auf ihn sauer sind zurück ç ** nur æ ** blö"d æ * is ne 527 AA: ja: ç 528 CC: beleidigung ç sie beleidigen also i"hn- * zue"rst- * 529 CC: obwohl- * erstmal ihre freundin dran wäre sich zu (SG, 3002.01) In einem Nachbarschaftsstreit, in dem es um gegenseitige Beleidigungen geht, versucht der Schiedsmann, Klarheit in den Ablauf des Streits zu bringen, indem er die nächtliche Streitsituation rekapituliert. Aus der Art und Weise seines Resümees kann man zunächst schließen, dass er Verständnis für das Verhalten der einen Streitpartei hat, da diese in der Vergangenheit schon öfter beschimpft worden war. Mit dem deutlich abgesetzten nur wird dann angekündigt, dass jetzt der bisherige Part der Rekapitulierung abgeschlossen ist und ein neuer Aspekt eingeführt wird: nur æ * * blö"d æ * is ne beleidigung ç . 211 D.h., aus dem Verständnis, das der Schiedsmann zunächst aufbringt, kann nicht geschlussfolgert werden, dass das Verhalten toleriert wird bzw. folgenlos bleibt. Das nur kündigt dem Hörer einen Wechsel in der Perspektive an, setzt das vorher Gesagte nicht außer Kraft, beugt aber falschen Erwartungen vor und führt zusätzlich den neuen Aspekt des Straftatbestandes ein. 211 Bei dem „blöd“ in dieser Aussage, das sehr prononciert gesprochen wird (prosodische Hervorhebung durch Vokaldehnung, Stimmhebung und Absetzung durch Pausen), handelt es sich um das Zitat eines Wortes, das im Streit von einer Partei zur Bezeichnung der anderen Partei verwendet wurde und jetzt eine Rolle bei den Beleidigungsvorwürfen spielt. Eigenschaften gesprochener Sprache 440 Nur in Operator-Funktion wird häufig dazu verwendet, einen neuen, bisher nicht berücksichtigten Aspekt in die Diskussion einzuführen; oder es dient dazu, den Hörer vor falschen Erwartungen, die dieser durch das zuvor Gesagte möglicherweise aufbauen könnte, zu bewahren. Oft laufen diese Prozesse - wie auch im eben besprochenen Beispiel - gleichzeitig ab. Im folgenden Beispiel überwiegt wahrscheinlich die Operatorfunktion der Fokussierung eines bisher nicht berücksichtigten Aspektes. Dieser wird mit dem Operator nur angekündigt, wobei die Einführung dieses Aspekts hier den Charakter einer Rechtfertigung erhält. (2) 46 A1: +ich persönlich hab ja mit dem ding ja 47 CC: folgendes machen- 48 A1: ga"r nich so sehr anjeckt des sind ja nu"r immer die mieter l 49 A1: im haus l gewesen nur es haben mir dann meh"rere 50 A1: mietparteien gesagt å entweder <die" ziehn jetz aus oder 51 A1: wir ç > * |und da muß | man hat mal 52 CC: |ja is klar-| 53 A1: |äh ne linie ziehn sonst | das ging halt 54 CC: |und sie mußten als hausherr eben hier-| (SG, 3002.45) Der Vermieter eines Mehrfamilienhauses ist gegen eine Mietpartei vorgegangen, woraufhin er von dieser als „Verbrecher“ bezeichnet wurde. Gegen diese Beleidigung setzt er sich anwaltlich zur Wehr. Bei der Verhandlung vor dem Schiedsmann begründet er sein Verhalten mit dem Einfluss der anderen Mieter des Hauses. Zunächst stellt er dar, dass er selbst gar keinen Anstoß am Verhalten der umstrittenen Mietpartei genommen habe (Z. 46- 49). Dann wird ein neuer Aspekt eingeführt, der begründen soll, warum er trotzdem eingreifen musste (Z. 49-51). Die mit nur angekündigten Äußerungen schränken - im Gegensatz zu obwohl - die Gültigkeit der vorangegangenen Äußerungen in der Regel nicht ein, sondern fügen einen neuen, für die Beurteilung oft entscheidenden As- Die Operator-Skopus-Struktur 441 pekt hinzu. Insofern ist es kein Widerspruch, wenn eingangs gesagt wurde, dass der Operator nur die sprachliche Handlung der Einschränkung ankündige. Die vorangegangenen Äußerungen werden in ihrer Relevanz für die Argumentation eingeschränkt, nicht aber in ihrer Gültigkeit. Manchmal wird mit nur und der anschließenden Äußerung ein Aspekt geliefert, der eigentlich schon vorher hätte eingebracht werden müssen, wie es im folgenden Beispiel der Fall ist. (3) M1: den- * den obere/ der obere Bodenwar sehr flachaber er war M1: breit ç elf meter breit undlang und drei meter breit ç dort l M1: konnt ich nun die züge sausen lassen- * nures war ein bißchen M1: stau"b dort und denhaben wir nun weggewischt (PFE/ BRD, ij028) Ein Junge erzählt von seinem Hobby, einer elektrischen Eisenbahn, die er besonders gut auf dem Hausboden hatte fahren lassen können (dort konnt ich nun die züge sausen lasssen-). Mit dem nur kündigt er einen Perspektivenwechsel an. Er schiebt ein - zumindest temporär - einschränkendes Moment für die Möglichkeit, die Eisenbahn auf dem Boden fahren lassen zu können, ein: nures war ein bißchen stau"b dort. Nachdem dieses Hindernis beseitigt worden ist, erhält die vorhergehende Äußerung wieder ihre volle Gültigkeit. Im folgenden Beispiel dient der Operator nur als Ankündigung einer prononcierten Zusammenfassung bisher erörterter Fragen. (4) 2092 MG: hinten dazwischen- na"türlich müssen se=s 2093 MG: aufnehmen- aber wer dazwischenruft- macht ei"nen- 2094 MG: ein wo"rt oder einen satz * und sagt sie ham wohl 2095 WS: mhm 2096 MG: n vogel oder so- nicht- und das pa"ssiert- Eigenschaften gesprochener Sprache 442 2097 MG: da"s ist angenehm ç * also zwischenruf ist 2098 WS: mhm l 2099 MG: angenehm- nu"r- eigene beiträge aus=em 2100 WS: aber ist die 2101 MG: publikum- das * ist problematisch ç (GF, 4051.08) Ein Interviewer befragt nichtöffentlich einen Talkshowmaster über verschiedene Aspekte bei der Produktion seiner Show. Zuletzt wurde das Thema Umgang mit Wortbeiträgen aus dem Studiopublikum während der Sendung behandelt. Nach ausführlicher Erörterung fasst der Moderator seine Haltung zunächst so zusammen: also zwischenruf ist angenehm. Von diesem Fall will er den anderen - eigene Beiträge aus dem Publikum - deutlich unterschieden wissen und schließt ihn explizit vom angenehmen Fall aus, wobei er den Gegensatz zwischen den beiden Aspekten der Zuschauerbeteiligung durch ein nur ankündigt: nureigene beiträge aus dem publikum das * ist problematisch. Wenn nur die Position des Operators in der Operator-Skopus-Struktur einnimmt, funktioniert dieses Element wie ein (adversativer) Konjunktor. Als solcher wird nur in neueren Grammatiken auch behandelt (vgl. Zifonun/ Hoffmann/ Strecker et al. 1997). Stärker als andere Konjunktoren in Operator-Position (wie z.B. allerdings oder immerhin) bedarf es bei nur einer prosodischen Markierung, einer Absetzung vom Skopus, um die für die Operator-Skopus-Struktur erforderliche Zweigliedrigkeit wahrnehmbar zu machen. Damit gilt für nur das Gleiche, was sonst nur für die klassischen Konjunktionen wie aber, doch, und usw. gilt, nämlich, dass die prosodische Markierung für ihre Operator-Funktion ausschlaggebend ist. In dieser Hinsicht stellt Beispiel (2) einen Grenzfall dar. Auch wenn in der Transkription grafisch keine Markierung vermerkt ist, ist sie akustisch aber durchaus noch wahrnehmbar. Insofern gilt (2) für uns noch als ein Beispiel für eine Operator- Skopus-Struktur. Anders ist es bei folgendem Materialausschnitt: Die Operator-Skopus-Struktur 443 (5) 213 A2: |der ersatz für ne- | l 214 CC: |de=s richtig wenn=s| dazu kommt natürlich ç * nur s=is dazu 215 A3: |ja un wenn=s nich| dazu kommt dann sitzt ma=in der 216 CC: |nich gekommen ç | ( SG , 3001.99b) Hier wird die Äußerung nur s=is dazu nich gekommen ç als Einheit wahrgenommen; nur ist nicht abgesetzt und kann daher seine Funktion, dem Hörer eine Verstehensanweisung für die folgende Äußerung zu geben, bevor er deren Verarbeitung beginnt, nicht so prononciert erfüllen. 212 bloß Vieles von dem, was für den Operator nur gesagt wurde, trifft auch für bloß zu, wobei bloß als der mehr umgangssprachliche Ausdruck gilt. Der Operator bloß signalisiert, dass jetzt ein Perspektivenwechsel erfolgen wird, bei dem das vorher Gesagte zwar seine Gültigkeit behält, nun aber ein neuer Gesichtspunkt eingeführt wird, den es ebenfalls zu berücksichtigen gilt, so dass aus dem zuerst Gesagten keine falschen Schlüsse gezogen werden können. (1) 730 TR: augen- * manche bekommen * äh 731 KR: l halsweh kopfweh 732 TR: andere mhm beschwerden * l es ist hochgradig 733 KR: kopfschmerzen å 212 In der Schriftsprache funktioniert nur als Operator ähnlich wie im Mündlichen, und ähnlich wie bei den meisten Operatoren wird die Operator-Funktion durch einen Doppelpunkt (seltener durch Bindestrich oder Komma) markiert Ein Beispiel aus der Rezension eines Rolling-Stones-Konzerts (Mannheimer Morgen, 24.8.1995): „Keith Richards merkt man die durchlebten Jahre schon mehr an; immer noch ist er Kult, keiner zweifelt an seiner Kunst - nur: Das Sex-Symbol war einmal, morgen wird der Krückstock kommen.“ Eigenschaften gesprochener Sprache 444 734 TR: plausibel * und=s hat auch å * ähm sicherlich * in sta"rk l 735 TR: verräucherten räumen ein belä"stigungscharakter ** bloß ** 736 TR: die * gesundheitssch: ädigende wirkung des passivrauchens * 737 TR: l ist nachdem was wir bisher an wissenschaftlichen 738 TR: untersuchungen haben æ * sowohl epidemiologischen 739 TR: untersuchungen wie to"xikologischen untersuchungen çå * 740 TR: nicht * beweisbar- |nicht bewiesen| * |wenn wir 741 KR: |warum (...) | das geht |(... .. (GF, 4050.206) An dieser Stelle der Talkshow, in der es um die Toleranz zwischen Rauchern und Nichtrauchern geht und die über weite Strecken sehr turbulent verläuft, wird über die Schädlichkeit des Passivrauchens diskutiert. Der Sprecher TR konstatiert in einem längeren Redebeitrag die Plausibilität der Annahme, dass das Passivrauchen gesundheitsschädigend und belästigend sei. Mit bloß in Z. 735 wird dann eine Umfokussierung angekündigt: Auch, wenn die gesundheitsschädigende Wirkung des Passivrauchens plausibel ist, beweisen lässt sie sich nicht (Z. 736-740). (2) 20 A1: offensichtlich ni"ch der fall- * der wagen hatte doch 21 A1: erhebliche mängel die sich erst im laufenden betrieb 22 A1: herausstellten ç * dann jeweils auch reklamiert wurden 23 A1: teilweise äh im einvernehmen mit der firma heissenbühl- * 24 A1: wurden die mängel dann auch behoben- * äh aber dann der 25 A1: hinweis daß jede kulanz auch einmal ein ende hat äh mach/ l 26 A1: vertretbar sein bloß- * der wagen is ja praktisch nach 27 A1: sechs wochen zurückgegeben worden- und äh- * der wagen 28 XM: mhm ç 29 A1: hatte einen motorschaden wobei zwei tage vorher schon auf: 30 A1: klingelgeräusche aufmerksam gemacht worden is ç * äh ich (SG, 3005.02) Die Operator-Skopus-Struktur 445 Der Ausschnitt ist einem Schlichtungsgespräch entnommen, in dem Probleme bei einem Gebrauchtwagenkauf verhandelt werden. Der Vater (A1) bemüht sich, die Verluste, die seinem Sohn entstanden sind, zu verringern. Aus seiner Sicht waren die Mängel des Wagens größer, als man sie bei einem solchen Kauf hätte erwarten können. Deshalb räumt er die allgemeine Gültigkeit des Hinweises, dass jede Kulanz auch einmal ein Ende hat (Z. 24-26), zwar ein, kündigt mit dem bloß aber eine Einschränkung an: für seinen speziellen Fall gilt das nicht, da der Wagen so schlecht gewesen sei, dass der Sohn ihn hatte zurückgeben müssen. Hier ist es der Unterschied zwischen allgemeiner Aussage und dem speziellen Fall, der durch das bloß in ein Gegensatzverhältnis gebracht wird. Im folgenden Beispiel ist die Reihenfolge genau umgekehrt. Hier wird erst der spezielle Fall verhandelt, der dann zum Allgemeinzustand ins Verhältnis gesetzt wird. (3) 1245 SH: da" nichts verändert hat- ** 1246 DO: ich kenne genug leute die: 1247 DO: sich mit mir zusammengesetzt haben und gesagt haben komm- 1248 DO: ** wir unterhalten uns darüber wir versuchen- ** dieses 1249 DO: sogenannte versuchen äh: * wir suchen bessere lösungswege l 1250 DO: und es hat auch schon funktionie"rt bloß * ä=es sind * 1251 DO: we"nige- es sind noch zu wenige die sich äh: dieser sache 1252 DO: bewußt werden denn so wie es jetzt weitergeht dieser kampf 1253 DO: untereinander zwischen den ossis und wessis ** wird=s 1254 DO: irgendwann wieder mal n knall geben und dann kommt alles (GF, 4050.207) In einer Talkshow werden junge Leute aus Ost- und Westdeutschland nach ihrem Verhältnis zueinander befragt. DO beschreibt zunächst ihre eigene Situation, die sie als positiv erlebt hat (Z. 1246-1250). Das folgende bloß kündigt einen Fokuswechsel an. Auch wenn es in ihrer speziellen Situation positiv mit der Verständigung läuft, ist es doch im Allgemeinen nicht so, wodurch die Bewertung der Situation insgesamt eher negativ ausfällt. Eigenschaften gesprochener Sprache 446 Für bloß gilt ebenso wie für nur, dass es einer besonderen prosodischen Markierung bedarf, um den Operator vom Skopus abzuheben und damit die für die Operator-Skopus-Struktur typische Zweigliedrigkeit wahrnehmbar zu machen. In den besprochenen Beispielen ist diese Zweigliedrigkeit jeweils durch die Pausen nach dem bloß gewährleistet. Viele andere Fälle stellen Übergangsphänomene dar, bei denen man nur nach genauer Analyse und auch dann oftmals nicht eindeutig entscheiden kann, ob eine Operator- Skopus-Struktur vorliegt oder ob bloß zusammen mit der folgenden Äußerung so sehr als Einheit wahrgenommen wird, dass es seine Funktion als vorgreifende Verstehensanweisung nicht mehr erfüllen kann. obwohl Obwohl nimmt in der Gruppe der Elemente, die wir als Gegensatzoperatoren bezeichnen, insofern eine besondere Rolle ein, als es grammatisch aus der Gruppe der subordinierenden Konjunktionen stammt, also normalerweise die Verbletztstellung in der folgenden Äußerung fordert. Da der angestammte Platz für obwohl von vornherein das Vor-Vorfeld ist (im Gegensatz zu allerdings, immerhin, bloß, nur und auch aber), bedarf es einer besonderen Markierung der für die Operator-Skopus-Struktur geforderten Zweigliedrigkeit. Diese Zweigliedrigkeit ergibt sich dann, wenn auf obwohl eine Äußerung mit Verbzweitstellung folgt, d.h., nur in diesen Fällen ist obwohl ein Operator in unserem Sinne. Diese Eigenschaft teilt obwohl mit weil, und beide Konjunktionen werden auch oft im Zusammenhang behandelt, wenngleich sich die meisten Arbeiten auf weil in Verbzweitstellung konzentrieren und obwohl - wenn überhaupt - nur am Rande erwähnen (z.B. Küper 1991, Wegener 1993). 213 In einer neuen Arbeit, die sich speziell mit obwohl beschäftigt (Günthner 1999), werden die Funktionen von obwohl in Verbzweitstellung aufgeführt, die sich auch aus unseren Beispielanalysen ergaben: Indizierung von Perspektivenwechseln bzw. Korrekturen. 213 Ein Grund dafür, dass vor allem weil mit Verbzweitstellung im Mittelpunkt der Betrachtung steht, mag der schlichten Tatsache geschuldet sein, dass weil rein statistisch um ein Vielfaches häufiger auftritt als obwohl. Ein Vergleich in einem Korpus von ca. 1,1 Millionen Wörtern ergab ein Verhältnis von 14 zu 1. In schriftlichen Korpora kommt obwohl zwar verhältnismäßig häufiger vor, liegt aber auch hier weit unter dem Vorkommen von weil. Eine mögliche Ursache für die ungleich höhere Frequenz von weil liegt vielleicht darin, dass die deutsche Sprache viel weniger lexikalische Elemente zur Begründungsmarkierung ausgebildet hat als solche, die einen Gegensatz anzeigen, d.h., dem Sprecher stehen für die Gegensatzmarkierung mehr Wahlmöglichkeiten zur Verfügung. Die Operator-Skopus-Struktur 447 Während Äußerungen mit nachfolgendem obwohl und Verbletztstellung trotz der Konzession, d.h. der Einräumung eines unerwarteten Sachverhalts, ihre Gültigkeit behalten, ist das bei nachfolgendem obwohl in Operatorposition anders. Eine Äußerung mit obwohl und anschließender Verbzweitstellung ist mindestens ebenso gültig wie ihre Vorgängeräußerung bzw. schränkt sogar deren Gültigkeit ein. Günthner (1999, S. 415) spricht von einer „diskursfunktionalen Aufwertung“ der obwohl-Äußerung. Die Äußerungen Ich komme mit ins Kino, obwohl ich eigentlich keine Lust habe und Ich komme mit ins Kino, obwohl ich habe eigentlich keine Lust unterscheiden sich dadurch, dass im ersten Fall das Mitgehen ins Kino trotz Unlust unbestritten ist, während im zweiten Fall das Mitgehen unsicher wird; der Aspekt der Unlust wird nicht mehr nur eingeräumt, sondern er bekommt einen eigenen Wert, der möglicherweise die davor geäußerte Absicht korrigiert. Der Operator obwohl signalisiert also einen Wechsel der Perspektive, der die Gültigkeit der zuvor gemachten Äußerung in mehr oder weniger starkem Maße einschränkt, wie an den folgenden Beispielen zu zeigen sein wird. (1) 670 HM: aber jeder von uns so im affekt |und | da sitzt man wütend 671 JS: |mhm æ | 672 K #KURZES# HUSTEN IM PUBLIKUM 673 HM: an der schreibmaschine und will eigentlich in frankfurt 674 HM: seine ruhe haben über das was in münchen passiert=n denn 675 HM: pass/ läuft/ unterläuft einem vielleicht auch schon mal 676 K #SCHNI#PPT MIT DEM FINGER l 677 HM: so=ne formulierung obwohl æ HOLT LUFT in so=m fall * muß man 678 K # BLÄTTERT # 679 HM: sich des=n bißchen überlegen ç HOLT LUFT herr schulze 680 K #BLÄTTERT# 681 HM: melling- * sie sind unser juri"stischer fachmann der uns 682 HM: immer wieder * ein klein wenig zur seite sch*pringen 683 K # BLÄTTERT # (SG, 3002.082) Eigenschaften gesprochener Sprache 448 HM ist Moderator einer Talkshow, die sich mit dem Thema Nachbarschaftsstreitigkeiten beschäftigt. Eine Mieterin hat im Zusammenhang mit solchen Streitigkeiten einen ihrer Meinung nach diffamierenden Brief von ihrem Vermieter erhalten. Beide sind in der Talkshow anwesend und hatten bereits Gelegenheit, die Dinge aus ihrer jeweiligen Sicht darzustellen. An dieser Stelle resümiert und bewertet der Moderator das Verhalten des Vermieters, bevor er das Wort dem Fachmann übergibt. Zunächst zeigt er Verständnis für den Vermieter, indem er dessen Verhalten als eine Affekthandlung darstellt, die jedem passieren könne (Z. 670-677). Mit obwohl wird angezeigt, dass jetzt die Perspektive geändert wird. Die nächste (selbstständige) Äußerung in so=m fall * muß man sich des=n bißchen überlegen nimmt das vorher geäußerte Verständnis zumindest teilweise zurück, sie bleibt aber als die zuletzt geäußerte Aussage als eigentlich gültig stehen. 214 (2) 1695 MG: au"ch schon- nicht- aber allerdings * nicht in so 1696 WS: |mhm | 1697 MG: ner form- |nicht-| ich sage dann nicht während 1698 MG: der sendung hören se mal- rutschen sie von ihrem 1699 MG: elfenbeinturm doch jetzt mal runter oder so- l 1700 MG: obwohl- das würde ich gar nicht mal ausschließen- 1701 WS: mhm * 1702 MG: keineswegs- nicht- nur wenn johnny klein (GF, 4051.08) In diesem Beispiel funktioniert der Perspektivenwechsel ähnlich wie in Beispiel (1). Ein Fernsehmoderator wird in einem (nichtöffentlichen) Interview gefragt, ob er in seinen Sendungen auch seine persönliche Meinung äußern würde. Er betont zunächst, dass er das zwar täte, es aber nicht besonders direkt formulieren würde (Z. 1695-1699). Mit obwohl wird dann ein Perspektivenwechsel angekündigt. Die folgende Äußerung das würde ich gar 214 In diesem Fall wäre es nur schwer möglich, die obwohl-Äußerung mit Verbletztstellung zu formulieren, d.h., sie ließe sich nicht ohne weiteres in eine Einräumung in Bezug auf die vorangegangene Äußerung umwandeln, da nicht beide Äußerungen gleichzeitig Gültigkeit haben können. Sie sind nur in ihrem Nacheinander als Perspektivenwechsel formulierbar. Die Operator-Skopus-Struktur 449 nicht mal ausschließen keineswegs kommt einer Korrektur des vorher Gesagten gleich. Hier wäre keine Verbletztstellung möglich, da beide Äußerungen sich eigentlich ausschließen und nur in ihrem Nacheinander, als Korrekturvorgang, nicht aber gleichzeitig gelten können. Nicht immer läuft der durch den Operator obwohl angezeigte Perspektivenwechsel auf eine vollständige Korrektur des vorher Gesagten hinaus. Auch einfache Einschränkungen oder Relativierungen sind möglich. (3) 481 GE: ah mir kumme gar net mehr dursch ç s=war ä bißl eng ç 482 K # ZITIERT # 483 IN: LACHT l 484 GE: >s=war ä bißl eng ç < * obwohl * im kaisersaal * war=s 485 IN: ja ç 486 GE: no"ch enger ç (MA, 2001.15A) Eine Frau erzählt von einer Feier. Ihre Einschätzung der Örtlichkeit s=war ä bißl eng wird durch die Aussage obwohl * im kaisersaal war=s noch enger nicht außer Kraft gesetzt, nur in gewissem Sinne relativiert. Nicht nur die eigenen Äußerungen, auch die der Kommunikationspartner lassen sich einschränken bzw. korrigieren. Wenn diese Nichtübereinstimmung mit den Äußerungen der Kommunikationspartner durch obwohl angezeigt wird, erfolgt das nach Günthner (1999) gesichtsschonender als durch andere sprachliche Markierungen: Obwohl eignet sich insofern als Vorlaufelement einer Nichtübereinstimmung, als es keinen expliziten Dissens (wie nein oder stimmt nicht) markiert, sondern aufgrund der potentiellen Zugeständnisoption (des rhetorischen Einräumungscharakters) eine abgeschwächte Dissensmarkierung darstellt. (ebd., S. 422). Tendenziell gilt, dass durch den Operator obwohl ein Perspektivenwechsel angezeigt wird und die Sprecher ihre zuvor gemachten Äußerungen in irgendeiner Weise korrigieren, während bei Äußerungen mit obwohl und Eigenschaften gesprochener Sprache 450 Verbendstellung die vorangegangene Äußerung uneingeschränkt weiter Gültigkeit hat. Es gibt allerdings Übergangsphänomene. Günthner (1999, S. 427ff.) analysiert Beispiele, in denen auch durch obwohl-Konstruktionen mit Verbletztstellung Korrekturvorgänge erfolgen können. In unseren Materialien gibt es Beispiele für den umgekehrten Fall: Auch durch obwohl-Konstruktionen mit Verbzweitstellung, also unserer Operator-Skopus-Struktur, müssen nicht immer Korrekturvorgänge ausgelöst werden, sondern es können - wie bei obwohl-Konstruktionen mit Verbendstellung - die zuvor gemachten Äußerungen ihre Gültigkeit behalten. Dies ist im folgenden Beispiel der Fall. (4) 1763 MG: |ja und| ich meine groß 1764 WM: bißchen ç in manchen- * berichterstat|tungen| 1765 MG: und kleinschreibung fassen sie gar nicht erst mal a"n nich æ l 1766 MG: * obwohl da: " haben die meisten leute ja nun allergrößte 1767 MG: schwie"rigkeiten nich æ (GF, 4050.57) Der Moderator einer Talkshow zur Rechtschreibreform konstatiert, dass die Groß- und Kleinschreibung von einer Reform nicht berührt werden würde (Z. 1763-1765). Diese Feststellung wird durch die darauf folgende, mit obwohl eingeleitete Äußerung da: "haben die meisten leute ja nun allergrößte schwie"rigkeiten in ihrer Gültigkeit nicht eingeschränkt oder korrigiert, sondern eher eine indirekte Kritik an diesem Tatbestand geübt. Paraphrasieren ließe sich diese Sequenz so: Obwohl viele Leute Schwierigkeiten mit der Groß- und Kleinschreibung haben, betrifft die Rechtschreibreform dieses Gebiet der Schreibung leider gerade nicht. Was Wegener (1993) für das Vorkommen von weil mit Verbzweitstellung in schriftlichen Texten schreibt, dass nämlich das Phänomen nur dort auftaucht, wo Mündlichkeit simuliert werden soll, trifft (bisher) auch für obwohl mit Verbzweitstellung zu. Beispiele finden sich u.a. in der Dramatik („Ich bin ja auch nicht dafür, daß man den Juden die Scheiben einschlägt und sie werden behandelt wie Vieh. Es sind auch Menschen. Obwohl, ich liebe sie auch Die Operator-Skopus-Struktur 451 nicht.“), 215 in der Belletristik bei der Darstellung von inneren Monologen („Das rote Gesicht hat er nicht vom hohen Blutdruck, obwohl, er hat zu hohen.“), 216 in den Kommentaren von Zeitungen („Dagegen wirkt selbst Diepgen charismatisch. Obwohl, wir wollen nicht ungerecht sein: Klaus Böger hat auch einiges gesagt.“) 217 oder, wenn mündliche Rede zitiert wird („Diesmal hat sie 50 Karten für Freunde reserviert (‘obwohl, die müssen auch zahlen.’) und singt dann nochmal Anfang Januar im Prater.“). 218 Der Korrekturvorgang durch die obwohl-Äußerung in schriftlichen Texten unterscheidet sich der Tendenz nach etwas von der Korrektur der eigenen zuvor gemachten Äußerung, die sich aus dem Nacheinander der gesprochenen Sprache ergibt. Bei den hier aufgeführten schriftlichen Beispielen sind es eher Korrekturen von nicht gewollten Schlussfolgerungen, die der Hörer aus dem Gesagten ziehen könnte und denen man vorbeugen will, weniger die Korrektur der Vorgängeräußerung selbst, die hier ihre Gültigkeit weitgehend behält. So will der Sprecher, der sich zunächst gegen die unmenschliche Behandlung von Juden ausspricht, verhindern, dass man ihn für einen wirklichen Judenfreund hält; die Aussage, dass jemand sein rotes Gesicht nicht vom hohen Blutdruck habe, legt die Schlussfolgerung nahe, er hätte generell keinen hohen Blutdruck, und aus der Äußerung, dass 50 Karten für die Freunde reserviert seien, ließe sich annehmen, sie würden den Freunden geschenkt. All diesen Annahmen wirken die Sprecher mit den durch den Operator obwohl angekündigten nachfolgenden Äußerungen entgegen. 4.2.3 Andere Gegensatzoperatoren Neben den behandelten Gegensatzoperatoren gibt es darüber hinaus auch noch andere sprachliche Elemente, deren allgemeinste Funktion es ist, einen Gegensatz anzuzeigen und die ebenfalls in Operatorposition vorkommen können. Einige von ihnen sollen im Folgenden kurz vorgestellt und anhand jeweils eines Beispiels in ihrem Vorkommen illustriert werden. 215 Heiner Müller, Szene aus einem Stück über Werner Seelenbinder, Entwurf von 1952. 216 Gabriele Wohmann „Aber das war noch nicht das Schlimmste“, Piper-Verlag 1995, S. 67. 217 taz, die tageszeitung, 20.1.1999. 218 taz, die tageszeitung, 21.12.1996. Eigenschaften gesprochener Sprache 452 Wie eingangs bereits erwähnt wurde, ist der allgemeinste Ausdruck des Gegensatzes aber. Das Element aber, dessen gewöhnliche Position als koordinierende Konjunktion sich von vornherein im Vor-Vorfeld befindet, bedarf einer besonderen prosodischen Hervorhebung, um zum Operator zu werden. Erst in diesem Fall wird die für die Operator-Skopus-Struktur typische Zweigliedrigkeit erreicht, und das aber kann die Aufmerksamkeit des Hörers in verstärktem Maße auf den im Skopus zu erwartenden Gegensatz lenken, so wie es im folgenden Beispiel der Fall ist: (1) 1470 JK: u"nd vor allen dingen- dass man eh"rlich ist- * 1471 JK: verständlichkeit haben sie genannt æ dass man fai"r l 1472 JK: miteinander umgeht ç a"ber æ ** oft ist es für die politiker 1473 JK: riska"nt- * ehrlich zu sein- * es gibt wahrheiten die sehr 1474 JK: schme"rzlich oder unangenehm sind für ne partei æ ich will (GF, 4050.078) Ein anderer Gegensatzoperator kann das als adversativer Konnektor gebrauchte allein sein, das z.B. in einem bekannten Goethezitat vorkommt: Die Botschaft hör' ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube. Da ein solcherart verwendetes allein in den Wörterbüchern meist als „gehoben“ 219 oder „poetisch“ 220 gekennzeichnet wird, ist es nicht verwunderlich, dass wir in unseren Korpora der gesprochenen Sprache keine Belege gefunden haben. Schriftlich kommt allein als Gegensatzoperator gelegentlich vor: Der Containerhafen hat die modernste Infrastruktur, allein: Es fehlen die Container (Die Zeit, 31.10.1997). Ein häufig verwendeter Gegensatzoperator ist andererseits. Die Tatsache, dass das Lexem andererseits statistisch häufiger vorkommt als sein Pendant einerseits, verweist möglicherweise darauf, dass es nicht einfach um das Nebeneinanderstellen zweier Äußerungen geht, sondern dass der mit andererseits angekündigte Sachverhalt in einem Gegensatzverhältnis zum vorher Gesagten steht. Dabei kann sich der mit andererseits angekündigte Gegen- 219 Kempcke (1984). 220 Wahrig (1985). Die Operator-Skopus-Struktur 453 satz auch auf etwas beziehen, was zuvor vom Gesprächspartner eingebracht wurde, so wie es in diesem Beispiel - das Merkmale einer Ja-aber-Struktur enthält - der Fall ist: (2) 988 RS: halt * man steckt wieder * m man ist wieder am anfang mit l 989 BR: <is klar is klar andererseits> so=n wechsel ist 990 RS: allem ç (... ...) 991 BR: oft mal ganz gut denn 992 RS: doch ich find=s jetzt (...) (BG, 1400.32) Auch das Lexem außer kann als Gegensatzoperator angesehen werden, wenn es in entsprechender Position innerhalb der Operator-Skopus-Struktur vorkommt. Es kündigt einen Sachverhalt an, der zum Vorhergehenden nicht nur in einem Gegensatz steht, sondern darüber hinaus auch den Charakter des Sonderfalls, der Ausnahme erhält. (3) 1309 YL: in der we"rbung tätig hauptsächlich und die werbung ist 1310 YL: etwas unkonventioneller als industrie" ç * das heißt eine 1311 YL: frau hat- * l sagen wir mal å es noch ein stück lei"chter ç 1312 WB: mhm 1313 YL: SCHNALZT etwas zu erreichen ** aber- ** es gi"bt keine l 1314 YL: karriere die reibungslos geht außer man wird plaziert ç ** 1315 K LACHEND # 1316 WB: |mhm| 1317 YL: und |das| gilt für die frau æ wie für den mann ç ** und da (GF, 4050.156) Eine Hinwendung zu etwas, das zum vorher Gesagten in einem Gegensatz steht, lässt sich auch durch die Formel davon abgesehen ankündigen. Das folgende Beispiel enthält zwar keine ausgebaute Operator-Skopus-Struktur, da durch den Einwurf eines anderen Sprechers der Skopus, auf den sich davon abgesehen bezieht, nicht vollständig ist, zeigt aber den Gebrauch von davon abgesehen als möglichen Operator. Eigenschaften gesprochener Sprache 454 (4) 503 DO: eingesperrt warst oder wie" äh ich wa: r=s nich- ** ich 504 K QUIETSCHEN 505 DO: konnte in mei"nem land * d d r * das tun was ich wollte äh 506 K ABK.,# BETONT l 507 DO: davon abgesehen- also ich |hatte ne aus/ | 508 MA: |ja zum beispiel| konntest du in 509 MA: we"sten reisen ç *3* (GF, 4050.207) Das Lexem dennoch, das in seinen Eigenschaften dem ausführlicher behandelten trotzdem ähnlich ist, kommt ebenfalls häufig als Gegensatzoperator vor. (5) 1498 HL: gibt=s nicht mehr die| multiple choice texte- die gibt=s 1499 MF: man dreißig diktate- | 1500 HL: wi"rklich kaum mehr ç die sie eben nennen ç l 1501 MF: aber äh de"nnoch ç 1502 MF: äh ich de"nke æ * d/ das da darf nicht das alleinige 1503 MF: kriterium sein ç sie haben auch schon drauf hingewiesen ç der (GF, 4050.058) Über die hier mit Beispielen aufgeführten Gegensatzoperatoren hinaus gibt es weitere Lexeme wie dessen ungeachtet, gleichwohl, hingegen, hinwiederum, indes(sen), jedoch, nichtsdestotrotz, nichtsdestoweniger, vielmehr, die ebenfalls als Operator in einer Operator-Skopus-Struktur auftreten können. Hier verweisen wir auf die Operatoren-Liste im Anhang 1. Dass für einige dieser Operatoren nur schriftliche Beispiele belegt sind bzw. dass für dessen ungeachtet und hinwiederum überhaupt kein Beispiel gefunden werden konnte, hängt vermutlich mit dem grundsätzlich selteneren Vorkommen dieser Lexeme überhaupt zusammen. Zum Vergleich: In einem schriftsprachlichen Korpus von über 342 Millionen Wortformen ist dessen ungeachtet 65 Mal und hinwiederum 47 Mal belegt. Dem steht ein Vorkommen von z.B. 22078 Mal trotzdem oder 132805 Mal allerdings gegenüber. Die Operator-Skopus-Struktur 455 4.2.4 Einige quantitative Betrachtungen Zeitraum Wortanzahl BZK 1949-74 3.148.628 HBK 1985-88 10.864.773 MMM 1989-96 27.133.375 TAZNEO 1991-98 111.168.100 ZEIT 1995-97 16.965.336 Summe absolut obwohl Operator Prozent 473 0 0 % 2066 0 0 % 3855 9 0,23 % 23552 116 0,49 % 3461 28 0,8 % 33407 153 0,46 % absolut trotzdem Operator Prozent 218 3 1,3 % 1045 64 6,12 % 1981 164 8,3 % 16291 535 3,3 % 1845 90 4,9 % 21380 856 4 % absolut allerdings Operator Prozent 675 10 1,5 % 5519 79 1,4 % 12755 137 1,1 % 57805 474 0,8 % 7457 169 2,3 % 84211 869 1,03 % absolut immerhin Operator Prozent 183 16 8,7 % 1539 113 7,3 % 2840 158 5,6 % 17173 677 3,9 % 3089 263 8,5 % 24824 1227 4,94 % Tabelle 1: Gegensatzoperatoren in schriftlichen Korpora Zeitraum Wortanzahl PFE Anfang 60er 676.339 FKO 1966-1972 697.852 DSK 1968-1977 227.809 SG (Teilkorpus) 1983-1986 197.755 GF (Teilkorpus) 1989-1996 299.099 Summe absolut obwohl Operator Prozent 105 2 1,9 % 105 3 2,8 % 39 5 12,8 % 13 1 7,7 % 38 1 2,6 % 300 12 4 % absolut trotzdem Operator Prozent 108 16 14,8 % 68 4 5,8 % 34 3 8,8 % 18 1 5,5 % 36 3 8,3 % 264 27 10,2 % absolut allerdings Operator Prozent 258 8 3,1 % 160 5 3,1 % 57 0 0 % 20 3 15 % 25 6 24 % 520 22 4,2 % absolut immerhin Operator Prozent 94 10 10,6 % 69 6 8,7 % 16 2 8 % 6 0 0 % 13 3 23 % 198 21 10,6 % Tabelle 2: Gegensatzoperatoren in mündlichen Korpora Eigenschaften gesprochener Sprache 456 Um einen Eindruck von den Vorkommenshäufigkeiten von Operatoren zu erhalten, haben wir einige Wortformen, die als Gegensatzoperatoren auftreten können, in verschiedenen Korpora gezählt und zu ihrem Auftreten als Operator ins Verhältnis gesetzt. Dabei ging es einerseits um einen Vergleich zwischen mündlichem und schriftlichem Vorkommen und andererseits um die Frage, ob der Operator-Anteil in den verglichenen Zeiträumen größer geworden ist. Die gewonnenen Zahlen lassen allerdings nur sehr bedingt Tendenzaussagen zu; dazu sind zum einen die verglichenen Korpora zu verschieden (bei den schriftlichen Korpora ist es die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Zeitungen, bei den mündlichen die Verschiedenheit der Kommunikationsereignisse, die miteinander verglichen werden); zum anderen entsteht ein Missverhältnis auch dadurch, dass die verglichenen Mengen unterschiedliche Größenordnungen haben: ein schriftliches Gesamtkorpus von 167 Millionen Wortformen steht einem mündlichen von nur 2 Millionen Wortformen gegenüber, und durch die dort meist nur im einstelligen Bereich liegenden Zahlen bezüglich der gefundenen Operatoren sind die sich daraus ergebenden Prozentsätze nicht sehr aussagekräftig. Trotzdem lassen sich einige Beobachtungen anstellen. Zunächst fällt auf, dass die grundsätzliche Vorkommenshäufigkeit von Operator zu Operator unterschiedlich ist. Trotzdem und immerhin kommen von vornherein - ungeachtet der zeitlichen Entwicklung und des Unterschiedes zwischen mündlichen und schriftlichen Korpora - häufiger in Operator-Position vor als obwohl und allerdings. Am eindeutigsten ist die Entwicklung von obwohl im schriftlichen Bereich. Während es bis zum Ende der achtziger Jahre schriftlich gar nicht als Operator vorkommt, lässt sich danach eine stetige Zunahme verzeichnen. Auch im mündlichen Gebrauch lässt sich tendenziell eine Zunahme konstatieren, trotz des geringen Prozentsatzes im Medienkorpus. Von einer Zunahme des Gebrauchs in Operator-Position lässt sich auch bei allerdings sprechen, wenngleich die Verhältnisse hier nicht so eindeutig sind und - beinahe überraschenderweise - schon in den Korpora aus den sechziger und siebziger Jahren ein gewisser Prozentsatz der Vorkommen von allerdings Operatoren sind. Die Operator-Skopus-Struktur 457 Bei trotzdem und immerhin sind bezüglich der zeitlichen Entwicklung keine klaren Tendenzen auszumachen. Was aber auf jeden Fall deutlich wird, ist die Tatsache, dass die Prozentzahlen in den mündlichen Korpora fast durchgängig höher sind als in den schriftlichen. Das bestätigt unsere These, dass die Operator-Skopus-Struktur zunächst ein Phänomen der gesprochenen Sprache ist, da diese Struktur den Produktions- und Rezeptionsbedingungen beim Sprechen besonders entgegenkommt. Von dort aus wird sie dann auch - zunächst in geringerem Umfang - in die geschriebene Sprache übernommen. 5. Abschließende Bemerkungen Gegenstand des vorliegenden Hauptteils III waren Analysen zu einer sprachlichen Erscheinung, die wir als Operator-Skopus-Struktur bezeichnen. Sie stellt eine sequentiell isolierbare, komplexe kommunikative Einheit dar, die formal betrachtet aus einem Kurzausdruck, dem Operator, und einem potenziell selbstständigen, in der Regel satzförmigen Ausdruck besteht. Funktional betrachtet ist der Operator eine Verstehensanweisung für die zugeordnete(n) Bezugsäußerung(en). (Vgl. im Einzelnen die Abschnitte III.1. und III.2.). In der Operator-Skopus-Struktur konvergieren Konstruktionen, die ihrer syntaktischen Charakteristik nach unterschiedlich sind. In Abschnitt III.5.1 gehen wir zusammenfassend noch einmal auf diesen Punkt ein und geben einen Überblick über die verschiedenen Bildungsmöglichkeiten von Operator-Skopus-Strukturen. Im abschließenden Abschnitt III.5.2 behandeln wir dann die Ergebnisse unserer empirischen Untersuchungen vor dem Hintergrund der Entwicklungstendenzen der Gegenwartssprache, indem wir sie unter dem übergreifenden Gesichtspunkt diskutieren, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Gebrauch von Operator-Skopus-Strukturen in gesprochener und geschriebener Sprache bestehen. Eigenschaften gesprochener Sprache 458 5.1 Die verschiedenen Bildungsmöglichkeiten von Operator-Skopus-Strukturen: eine Übersicht Hervorstechendes strukturelles Merkmal der Operator-Skopus-Struktur ist ihre Zweigliedrigkeit. Diese Zweigliedrigkeit kann auf der Grundlage unterschiedlicher syntaktischer Basisstrukturen und mit unterschiedlichen Mitteln hergestellt sein. Syntaktische Basisstrukturen für die Operator-Skopuns-Strukturbildung können sein: (1) zwei für sich genommen kommunikativ eigenständige Äußerungen; (2) eine Kombination aus einem Satz und einem dazugehörigen Komplementsatz bzw. ein Satzgefüge; (3) ein einfacher erweiterter Satz; (4) ein mit Subjunktor eingeleiteter Komplementsatz; (5) ein mit Konnektor angeschlossener Satz. Die Mittel, auf die Sprecher und Schreiber zurückgreifen, um Zweigliedrigkeit herzustellen, sind vielfältig. Je nach Ausgangsstruktur werden sie in unterschiedlichen Kombinationen angewendet. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild: (1) Die Operator-Skopus-Struktur entsteht aus zwei für sich genommen kommunikativ eigenständigen Äußerungen. Das ist z.B. der Fall, wenn der Operator die Form eines Imperativs bzw. Aufforderungsausdrucks hat. Das Mittel der Strukturbildung ist in diesem Fall die Gestaltung des finalen Tonhöhenverlaufs: Der Sprecher bindet Operator- und Bezugsäußerung zusammen, indem er an der jeweiligen Übergangstelle zwischen den beiden Teiläußerungen nicht ein abschließendes, sondern ein weiterführendes Tonmuster realisiert und damit die Zusammengehörigkeit der beiden für sich genommen selbstständigen Bestandteile der Struktur signalisiert (zu Einzelheiten vgl. Abschnitt III.2.4). Im Falle schriftlicher Kommunikation wird die Übergangsstelle entsprechend durch Komma bezeichnet. Zusätzlich kann die Bildung der Operator-Skopus-Struktur eine Modifizierung der lexikalischen Bedeutung des Operators im Sinne einer Abschwächung Die Operator-Skopus-Struktur 459 des ursprünglichen semantischen Gehalts mit sich bringen. Eine weitere Gruppe von Operatoren, die hierher gehört, sind redekommentierende Formeln, die durch Verkürzung bzw. Verdichtung aus einer selbstständigen redekommentierenden Äußerung entstanden sind: mit anderen Worten (ausgedrückt/ gesagt); zunächst (ist festzustellen); dazu (möchte ich) Folgendes (bemerken) und so weiter. 221 Auch in diesem Fall dient ebener bzw. nur leicht fallender bzw. steigender finaler Tonhöhenverlauf dazu, an der Übergangsstelle nach dem Operator (bzw. bei Nachstellung des Operators am Ende der Bezugsäußerung) die Zusammengehörigkeit der beiden Teiläußerungen anzuzeigen. (2) Ein Satzgefüge ist Ausgangspunkt für die Bildung derjenigen Operator-Skopus-Strukturen, bei denen der Operator ein Matrixsatz mit Verben des Denkens, Meinens und Sagens bzw. eine performative Kurzäußerung und die Bezugsäußerung ein Satz mit Verberstbzw. Verbzweitstellung des Prädikats ist. Wie man sich die Entstehung dieses Typs von Operator-Skopus-Struktur aus dem ursprünglichen Satzgefüge möglicherweise erklären kann, hat Auer dargestellt (1998, S. 301-303). Auer zufolge weisen Matrixsatzkonstruktionen mit Komplementsatz einen inhärenten Widerspruch auf: Die eigentlich wichtige Information ist nicht im Hauptsatz, sondern in dem formal untergeordneten Nebensatz enthalten. Indem der Sprecher für das Prädikat des abhängigen Satzes statt der Verbletztstellung Verbzweitstellung und einen asyndetischen Anschluss wählt, verleiht er dem Komplementsatz Hauptsatzform, was Auer zufolge einer pragmatischen Relevanzhochstufung des Komplementsatzes gleichkommt. Der genannte Widerspruch wird dadurch bis zu einem gewissen Grade aufgehoben. Eine Folge davon ist, dass der Matrixsatz seinerseits an Relevanz einbüßt und sich zur pragmatischen Formel, z.B. zum Unsicherheitsmarkierer entwickelt. Man kann auch sagen: Durch die Umwandlung des untergeordneten Komplementsatzes in einen Verberst-/ Verbzweitsatz wird der Matrixsatz zum Operator mit asyndetisch an- 221 Einige dieser formelhaften Verkürzungen sind bereits relativ lange gebräuchlich. So ist im ‘Deutschen Wörterbuch’ für das Mittelhochdeutsche neben kurz zu sagen, kurz darvon zereden, ums kurz zu machen auch schon die verdichtete Form kurz belegt (ebd., 1984, Bd. 11, Sp. 2839 und 2841), neben der älteren geltungsbekräftigenden Formel es ist kein zweifel wurde auch deren reduzierte Form kein Zweifel verwendet (ebd., 1984, Bd. 32, Sp. 1003). Eigenschaften gesprochener Sprache 460 geschlossener Bezugsäußerung. Die Operatorposition bringt es mit sich, dass er Prozessen der semantischen Veränderung, der Stereotypisierung und formalen Reduktion unterliegen kann und Stellungsfreiheit gewinnt (er kann beispielsweise in die Bezugsäußerung eingeschoben oder ihr nachgestellt werden). (3) Zu einem dritten Typ gehören Operator-Skopus-Strukturen, bei denen der Operator auf ein Satzadverbiale oder auf einen adverbialen Konnektor zurückgeht. Die Untersuchung dieser Operator-Skopus-Strukturen war ein Schwerpunkt des vorliegenden Buches (vgl. die Abschnitte III.4.1 und III.4.2). Bei diesen Arten von Operatoren handelt es sich um Ausdrücke, die beim gegebenen Stand der Sprachentwicklung normalerweise als integrierter Bestandteil der Binnenstruktur des Satzes realisiert werden (vgl. ebd.), so dass man sagen kann: Ausgangspunkt der Bildung der Operator-Skopus-Struktur ist in diesem Fall der einfache erweiterte Satz, das Mittel der Strukturbildung Desintegration. 222 Indem der Sprecher die adverbialen Ausdrücke der Bezugsäußerung voranstellt, ermöglicht er dem Hörer ein sukzessives Verarbeiten der modalisierenden und/ oder textverknüpfenden Funktionen dieser Ausdrücke und der propositional organisierten Information, auf die sie sich als Verstehensanweisung beziehen. Insgesamt gilt: Auch bei desintegrierten Operatoren wird deren Operatorstatus in der Regel zusätzlich zur Positionierung im Vor-Vorfeld prosodisch markiert; auch hier spielen Veränderungen der lexikalischen Bedeutung und Stereotypisierungsprozesse eine Rolle (vgl. z.B. Abschnitt III.4.1.5b und 5c). (4) Ein mit Subjunktor eingeleiteter Komplementsatz ist Ausgangspunkt für die Bildung einer Operator-Skopus-Struktur, wenn die Subjunktoren weil oder obwohl im Vor-Vorfeld eines Verbzweitsatzes erscheinen, anstatt einen entsprechenden untergeordneten Satz einzuleiten. Wie schon bei den von Matrixsätzen eingeleiteten abhängigen Hauptsätzen wird auch die Herausbildung dieser Struktur von einigen 222 Viele der hierher gehörenden Ausdrücke werden bereits seit frühneuhochdeutscher Zeit überwiegend in satzintegrierter Position verwendet, sind aber auch in Satzrandposition belegt (vgl. die Bemerkungen zum Vorkommen von Geltungsoperatoren im Frühneuhochdeutschen in Abschnitt III.4.1.5d bzw. die Angaben zu relevanten Stichwörtern im Deutschen Wörterbuch). Die Operator-Skopus-Struktur 461 Wissenschaftler(inne)n damit erklärt, dass die Umwandlung des Verbletzt-Satzes in einen Verberst- oder Verbzweitsatz mit einer Erhöhung des pragmatischen Gewichts dieses Satzes einhergehe. Das führe dazu, dass auch der Subjunktor seine Funktionen ändere und sich zu einer Diskurspartikel fortentwickele (vgl. Gohl/ Günthner 1999). Formales grammatisches Mittel der Strukturbildung wäre in diesem Fall, wie bei den Adverbialen, die Desintegration eines ursprünglich in einen Satz integrierten Satzteils, kombiniert mit einer prosodischen Verselbstständigung des Subjunktors und einer Differenzierung der lexikalischen Bedeutung. 223 (5) Schließlich kann ein Konnektor vom Typ der beiordnenden Konjunktion (und, aber, denn usw.) und das auf ihn folgende Konjunkt Ausgangspunkt einer Operator-Skopus-Struktur sein. Zweigliedrigkeit wird in diesem Falle mittels prosodischer bzw. grafischer Separierung des Konnektors erzielt (vgl. Abschnitt III.2.4). 5.2 Operator-Skopus-Strukturen in gesprochener und geschriebener Sprache Sprachliche Interaktion gelingt effektiv nur dann, wenn die Teilnehmer ein bestimmtes Quantum ihrer kommunikativen Aktivitäten und der zur Verfügung stehenden Zeit darauf verwenden, das gegenseitige Verstehen sicherzustellen. Diese kommunikative Aufgabe besteht sowohl im Hinblick auf 223 Möglicherweise ist es nicht zutreffend, von Desintegration zu sprechen. Das kann man nur, wenn man davon ausgeht, dass sich sprachgeschichtlich gesehen die Endstellung des Verbs im Komplementsatz seit etwa dem 17. Jahrhundert allgemein durchgesetzt hat (in der Zeit davor wurden bekanntlich Komplementsätze mit Verbletztstellung und Verbzweitstellung gleichberechtigt nebeneinander verwendet). Dass die Verbletztstellung als standardsprachliche Norm angesehen werden kann, gilt jedoch vermutlich nur für die Schriftsprache. In der gesprochenen Sprache wurden - wie viele Linguisten annehmen - über die Jahrhunderte hinweg kontinuierlich Komplementsätze mit Verbzweitstellung gebildet (vgl. Sandig 1973, S. 41f.). Es kann sich bei den entsprechenden Operator- Skopus-Strukturen also auch um die Wiederaufnahme eines in die gesprochene Sprache zurückgedrängten Musters in die Schriftsprache und seine Operationalisierung für bestimmte kommunikative Zwecke handeln. Eigenschaften gesprochener Sprache 462 mündliche wie schriftliche Kommunikation. Da die beiden Kommunikationsmodalitäten aber durch spezifisch unterschiedliche Grundbedingungen gekennzeichnet sind (vgl. die Abschnitte I.4. und I.5.), stellt die Lösung dieser Aufgabe je nach Kommunikationsmodalität teilweise auch unterschiedliche Anforderungen an die Kommunizierenden. (1) In diesem Buch stellen wir einen engen Zusammenhang zwischen den Grundbedingungen der mündlichen Kommunikation und dem Auftreten von Äußerungen her, die nach dem Prinzip der Operator-Skopus- Struktur gebildet sind. Die zeitlichen Restriktionen, denen die spontane mündliche Interaktion unterliegt, und die mangelnde Dauerhaftigkeit der produzierten Äußerungen lassen eine Strukturbildung günstig erscheinen, die einerseits ökonomisch ist und andererseits ein bestimmtes Maß an inhaltlicher und struktureller Transparenz garantiert (vgl. Abschnitt I.3.1 sowie Abschnitt III.1.1.1). Dieser Forderung werden Äußerungen, die den Kriterien einer Operator-Skopus- Struktur entsprechen, gerecht. Ausgangspunkt unserer Untersuchungen war deshalb die Annahme, dass Äußerungen mit Operator- Skopus-Struktur eine charakteristische Erscheinung gesprochener Sprache sind und dass sich dies in einer Vielfalt von Formen und einer entsprechenden Vorkommenshäufigkeit niederschlägt. Dass Operator-Skopus-Strukturen für mündliche Kommunikation charakteristisch sind, geht unseres Erachtens unter anderem aus der Tatsache hervor, dass sie in gesprochener Sprache auch dann akzeptiert werden, wenn sie den Normen der Schriftsprache zuwider laufen. Das ist zum Beispiel bei Operator-Skopus-Strukturen mit den Operatoren vielleicht und wahrscheinlich der Fall (siehe dazu Abschnitt III.4.1.5d). Auch für die Operator-Skopus-Struktur weil plus Verberstbzw. Verbzweitsatz gilt, dass sie in mündlicher Kommunikation verbreiteter ist als in schriftlicher Kommunikation, und dass ihre Auftretenshäufigkeit zunimmt, verbunden mit der Ausdifferenzierung eines ganzen Spektrums von Funktionen. Dass Äußerungen mit Operator-Skopus-Struktur in mündlicher Kommunikation in vielfältiger Form vorkommen, illustriert unsere Analyse des Schlichtungsgesprächs „Gegen Gotteslohn“. Das entsprechende Transkript hat einen Umfang von 30 Seiten. Wie in Abschnitt III.3.3 Die Operator-Skopus-Struktur 463 dargestellt, enthält es 13 verschiedene vorangestellte bzw. insertierte Operatoren, die von den Sprecher(inne)n z.T. mehrfach realisiert wurden. Dazu kommen die nachgestellten Operatoren des Typs ne, nicht, nicht wahr und ihre dialektalen Varianten. Was die Häufigkeit von Äußerungen mit Operator-Skopus-Struktur betrifft, liegt sie in dem von uns ausgewerteten Schlichtungsgespräch bei etwa 1,2 Fällen pro Transkriptseite, wenn man die Problemfälle nicht berücksichtigt. 224 Um in der Frage der Häufigkeit einen Vergleichsmaßstab zu haben, haben wir in unseren Einzeluntersuchungen auch einen partiellen Vergleich mit dem Vorkommen von Operator- Skopus-Strukturen in geschriebener Sprache durchgeführt. Die Ergebnisse sind in den entsprechenden Tabellen der Abschnitte III.4.1 und III.4.2 enthalten. Dort haben wir angegeben, mit welchen absoluten und relativen Häufigkeiten Geltungs- und Gegensatzoperatoren verwendet wurden - und zwar zum einen in den Gesprächskorpora, zum andern in verschiedenen Zeitungskorpora. Wie in den Tabellen und unseren Ausführungen dazu jeweils genauer nachgelesen werden kann, haben unsere Recherchen ergeben, dass bei einer ganzen Reihe von Operatoren die relative Häufigkeit in den gesprochensprachlichen Korpora im Verhältnis höher war als in den schriftsprachlichen Korpora. Das stützt die Annahme, dass Operator-Skopus-Strukturen primär eine Erscheinung mündlicher Kommunikation sind. Allerdings ist der Befund, dass Operator-Skopus-Strukturen in mündlicher Kommunikation häufiger vorkommen als in schriftlicher, mit Blick auf die einzelnen Ausdrücke zu differenzieren. Insbesondere unter den Geltungsoperatoren gibt es Ausdrücke, die entweder vergleichbar häufig in beiden Arten von Korpora vorkommen oder die sogar umgekehrt in geschriebener Sprache häufiger verwendet werden als in gesprochener Sprache. Wir erklären uns diesen Sachverhalt damit, dass die Entwicklung offenbar dahin geht, dass Kommunikationsmuster der Mündlichkeit an Prestige gewinnen. Entsprechend lässt der Einfluss schriftsprachlicher Normen auf den mündlichen Ausdruck nach und mündliche Ausdrucksmuster werden in die Standardsprache über- 224 Insgesamt ermittelten wir 19 Äußerungseinheiten mit vorangestelltem bzw. insertiertem Operator und 18 mit nachgestelltem (vgl. ebd.). Eigenschaften gesprochener Sprache 464 nommen, was letztlich auf eine Annäherung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache hinausläuft (Eggers 1973, Sieber 1998 u.a.). 225 (2) Eine zweite Annahme, die wir durch die Untersuchung bestätigen wollten, betrifft die Entwicklung der Vorkommenshäufigkeit von Operator-Skopus-Strukturen in mündlicher Kommunikation. Sie besagt, dass in den letzten Jahrzehnten die Anzahl realisierter Operator- Skopus-Strukturen in gesprochener Sprache zugenommen hat. Im Gegensatz zur schriftlichen Kommunikation (s.u.) existieren für die mündliche Kommunikation keine Untersuchungen, die eine solche Annahme direkt stützen. Eine Ausnahme bilden lediglich die inzwischen zahlreichen Arbeiten zu Konstruktionen vom Typ Subjunktion plus Bezugssatz mit Verbzweitstellung, die in der Literatur weitgehend als ein Phänomen behandelt werden, das sich vor allem in der gesprochenen Sprache verbreitet hat und von da zunehmend in die Schriftsprache eindringt. Was unsere Ergebnisse betrifft, ist Folgendes festzuhalten: Wie in den Tabellen und den dazugehörigen Auswertungen in den Abschnitten III.4.1 und III.4.2 deutlich wird, haben unsere Recherchen kein einheitliches Bild ergeben. Einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Operator-Skopus-Strukturen innerhalb der Zeitspanne, die unsere Quellen abdecken, können wir nur im Hinblick auf einige wenige Ausdrücke konstatieren. In der Gruppe der Geltungsoperatoren gab es gar keinen derartigen Ausdruck; in der Gruppe der Gegensatzoperatoren nimmt die Anzahl der Verwendungsfälle nur bei allerdings von den früheren zu den späteren Quellen hin durchgängig zu. (Entsprechendes gilt, der dazu vorhandenen Literatur zufolge, für weil plus Verbzweitstellung.) Fälle, in denen ein Ausdruck in der frühesten Quelle, dem Pfefferkorpus, am häufigsten war, sind nicht selten. Offensichtlich ist die Häufigkeit der Verwendung von Operator-Skopus- Strukturen von mehreren Faktoren abhängig, nicht nur von den generellen Bedingungen verbaler Interaktion und einer gewandelten Ein- 225 Als Ursachen für diese Entwicklung betrachten die genannten Autoren gesellschaftliche Demokratisierungsprozesse und eine zunehmende Präsenz von Rundfunk, Fernsehen und elektronischen Medien im Alltag. Die Operator-Skopus-Struktur 465 stellung der Kommunikationsteilnehmer zur Mündlichkeit und zur Verbindlichkeit bestimmter schriftsprachlicher Normen. Weitere Faktoren scheinen zu sein: ♦ die an einen bestimmten sprachgeschichtlichen Zeitpunkt gebundene Bevorzugung eines bestimmten Lexems, 226 ♦ der Typ der mündlichen Praktik und ♦ die Beteiligungsrollen, die mit einer bestimmten mündlichen Praktik verbunden sind. 227 Schriftliche Kommunikation ist bekanntlich im Unterschied zu mündlicher Kommunikation dadurch gekennzeichnet, dass die Äußerungsproduzenten von ihren Adressaten räumlich und zeitlich getrennt agieren und dass sie dauerhafte Äußerungsprodukte in Form von Texten hervorbringen. Die Zeit, die für die Formulierung einerseits und die Rezeption andererseits zur Verfügung steht, ist im Prinzip unbegrenzt. Damit entfallen die zeitlichen Restriktionen, die die mündliche Kommunikation bestimmen. Man könnte daher annehmen, dass Äußerungen, die nach den Kriterien der Operator- Skopus-Struktur konstruiert sind, für geschriebene Sprache nicht typisch und daher weniger häufig oder gar nicht anzutreffen sind. Dieser Umkehrschluss ist aber so einfach nicht möglich. Dagegen sprechen die bereits oben erwähnten Befunde, dass bestimmte Operator-Skopus-Strukturen in geschriebener Sprache häufiger sind als in gesprochener Sprache und dass die mit weil gebildete Operator-Skopus-Struktur zunehmend auch in schriftsprachlichen Texten verwendet wird. Das Paradox, dass eine als originär mündlich einzuschätzende sprachliche Erscheinung auch in schriftliche Texte Eingang findet und sich darin ausbreitet (vgl. dazu Ortner 1983, Sturm 1998) löst sich auf, wenn man, wie ebenfalls bereits erwähnt, annimmt, dass wir es hier mit einem sprachgeschichtlichen Prozess zu tun haben, der bewirkt, dass mündliche Sprachmuster in die Schriftsprache übergehen. Übereinstimmend mit dieser These haben unsere Recherchen ergeben, dass (fast) alle im Mündli- 226 Fürwa(h)r zum Beispiel war in dem von uns durchgesehenen Korpus von Leipziger Frühdrucken der am häufigsten verwendete Geltungsoperator (vgl. Abschnitt III.4.1.5d). Er ist auch in unseren gegenwartssprachlichen Daten belegt, und zwar in den Zeitungskorpora, nimmt aber zahlenmäßig keine vergleichbar dominierende Stelle mehr ein. 227 Zu den beiden zuletzt genannten Faktoren vgl. die Analyse in Abschnitt III.3.3.: Funktion und Platzierung der Operator-Skopus-Strukturen im Schlichtungsgespräch. Eigenschaften gesprochener Sprache 466 chen möglichen Formen von Operator-Skopus-Strukturen auch schriftsprachlich vorkommen. Das gilt sogar für Operator-Skopus-Strukturen, bei denen der Operator ein Aufforderungsausdruck oder ein Vokativ ist, also für Ausdrücke, deren Gebrauch eigentlich nur bei Kopräsenz der beteiligten Partner sinnvoll ist, weil ihre funktionale Leistung darin besteht, beim Adressaten direkte Reaktionen hervorzurufen. 228 Darüber hinaus zeigen die Recherche-Ergebnisse, die wir beim Vergleich des mündlichen und schriftlichen Gebrauchs z.B. von Geltungsoperatoren erzielten, dass in den schriftlichen Texten eine größere Bandbreite verschiedener Ausdrücke verwendet wurde als im mündlichen Gespräch. Was allerdings die Zunahme der Häufigkeit von Operator-Skopus-Strukturen, bezogen auf die Zeitungskorpora, betrifft, ergibt sich, wie schon im Fall der Gesprächskorpora, ein eher widersprüchliches Bild (vgl. die entsprechenden Tabellen in den Abschnitten III.4.1.4 und III.4.2.4). Es scheint vor allem der (die Ausdrucksgewohnheiten einzelner Journalisten mehr oder weniger dominierende) Stil einer bestimmten Zeitung zu sein, der den Gebrauch von Operator-Skopus- Strukturen beeinflusst. Eine im Vergleich hohe Frequenz vorangestellter Geltungsadverbiale lässt sich zum Beispiel im Falle des „Spiegels“ feststellen. In geschriebener Sprache tritt die Operator-Skopus-Struktur deutlicher hervor als in gesprochener Sprache. Sie erscheint gewissermaßen in prototypischer Gestalt. Dass dies so ist, ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass Schreiber Operator-Skopus-Strukturen unter den Bedingungen schriftlicher Kommunikation kalkulierter einsetzen. Auf Grund ihrer Beschaffenheit eignet der Operator-Skopus-Struktur eine Prägnanz des Ausdrucks, die dazu einlädt, stilistisch genutzt zu werden. Zum anderen wurden in der schriftlichen Kommunikation im Hinblick auf Operator-Skopus-Strukturen Interpunktionsnormen ausgebildet, die besagen, dass der Operator jeweils durch 228 Einschränkend ist allerdings dazu zu sagen, dass der Gebrauch von Aufforderungsausdrücken und Vokativen als Operatoren in schriftlichen Texten begrenzt ist. Sie kommen nur vor, wenn im Text mündliche Rede zitiert wird oder wenn diese simuliert werden soll - wie es z.B. bei Anreden in Briefen der Fall ist. Die anderen von uns genannten Operatoren erfordern bei schriftlicher Verwendung nicht unbedingt einen Kontext von zitierter oder simulierter mündlicher Rede - was nicht ausschließt, dass sie kraft der mündlichen Konnotierung der Operator-Skopus-Struktur schriftlichen Äußerungen einen Anstrich von Mündlichkeit verleihen. Die Operator-Skopus-Struktur 467 Komma, Doppelpunkt oder Gedankenstrich von seinem Bezugssatz zu trennen ist - die Struktur ist dadurch im grafischen Medium besser erkennbar als im lautlichen, wo ihre Realisierung oft durch andere aktuelle Formulierungsanforderungen, begleitende Sprechereignisse und weitere äußere Faktoren überlagert und gestört wird. Literatur Abraham, Werner (1988): Vorbemerkungen zur Modalpartikelsyntax im Deutschen. In: Linguistische Berichte 118, S. 443-465. Altmann, Hans (1981): Formen der „Herausstellung“ im Deutschen. Tübingen. Ammon, Ulrich (1987): Language - Variety/ Standard Variety - Dialect. In: Ammon, Ulrich/ Dittmar, Norbert/ Mattheier, Klaus J. (Hg.): Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. 1. Halbbd. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 3.1). Berlin/ New York. S. 316-335. Auer, Peter (1991): Vom Ende deutscher Sätze. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 19, S. 139-157. 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Die Liste ist strikt alphabetisch geordnet. Es wurden nur solche Formen aufgenommen, für die mindestens ein authentisches Beispiel nachgewiesen werden konnte. Schriftliche Beispiele fanden nur dann Aufnahme, wenn kein mündliches zur Verfügung stand. Selbstverständlich erhebt diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Natürlich wäre es wünschenswert, die Operator-Skopus-Struktur eingebettet in ihrem sprachlichem Umfeld zu betrachten, so wie es in den systematischen Abschnitten mit den meisten Beispielen auch geschehen ist. An dieser Stelle haben wir jedoch aus Gründen der Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit darauf verzichtet und jeweils nur die reine Operator-Skopus-Struktur aufgenommen. Bei Beispielen, die an anderer Stelle des Buches ausführlicher besprochen werden, wird auf den entsprechenden Abschnitt verwiesen. aber a"ber æ * * oft ist es für die politiker riska"nt- * ehrlich zu sein (GF, 4050.078, Z. 1708) [vgl. III.2.4.2] aber gemach Aber gemach. Das kleine Labor kann große Dinge. (Geist und Wissenschaft, 10.1.95) allein allein, es wird sie nicht geben: Das EU-Recht steht dagegen. (Der Spiegel, 2/ 97) allerdings allerdings der erfolgwar sehr gering ç (PFE/ BRD, cp068) [vgl. III.4.2.2] also also- * ist er vom glauben abgefallen æ ja oder nein ç (GF, 4050.254, Z. 141) Eigenschaften gesprochener Sprache 490 also noch einmal also noch ei"nmal- * die hexadezimalzeichen dienen dazu vier bits zu einem zeichen zusammenzufassen ç (FKO/ XGF) andererseits andererseitses ist notwendig und wichtig neue ausbildungsstätten weiterbildungsstätten zu äh zu gründen- (FKO.XCN) anders ausgedrückt anders ausgedrücktgeht das französische besser als das deutsche æ ich weiß es nicht ç (GF, 4050.078, Z. 63) anders gesagt anders gesagtwir werden uns in dieser und auch in der nächsten sendung mit einer reihe von hardwarevoraussetzungen für die programmierung beschäftigen ç (FKO/ XGF) apropos Apropos: Das gilt nicht nur für das Geschehen auf der Bühne, sondern auch für die Probenarbeiten. (MMM/ 410.04545, 14.10.94) außer außer sie haben sich ihnen also * stundenlang aufgedrängt (FKO/ XCW) außerdem außerdem- * äh: wenn hier in einem solchen fall- * erst einmal ein stra"fverfahren anläuft und wir ham=s ja hie"r mit der vorstufe eines strafverfahrens zu tu"n ç * dann sind oft die verhältnisse- * so verhärtet daß es also- * fast nischt mehr- * weitergehen kann- (SG, 3001.03, S. 1, Z. 27) Beispiele vorab Beispiele vorab: Über das Rußland von heute vor dem Hintergrund seiner Geschichte referiert Dmitri Fürst Sacharain am 28. September im Hack-Museum. (MMM/ 409.00057, 6.9.94) Anhang I: Operatoren-Liste 491 beispielsweise beispielsweise vor kurzem die stadt hannover hat achthunderttausend mark als verlorenen zuschuß gezahlt und außerdem für eine größere summe gebürgt ç (FKO/ XGS) besser Besser: Er ist Teil des monatelangen Spektakels geworden. (MMM/ 602.08161, 21.2.96) beziehungsweise beziehungsweise- * ich hab dann sogar den letzten versuch gemacht (SG, 3005.21, Z. 96) bloß bloß- * der wagen is ja praktisch nach sechs wochen zurückgegeben worden- (SG, 3005.02, Z. 26) [vgl. III.2.4.2] dabei Dabei, Gelder stellten von deutscher Seite weder Land noch die Wirtschaftsorganisation zur Verfügung. (MMM/ 505.00133, 26.5.95) daraus folgt daraus folgt: Man muß sie töten. (taz, 3.6.93, S. 21) das heißt das heißtzunächst einmal sieht das ganz merkwürdig aus- (FKO.XXA.) davon abgesehen davon abgesehen: ich kenne keine Reporter, die sich so fahrlässig vorbereiten, wie Sie es beschreiben. (IKO/ TE3.61401, stern, 5.8.93) dazu Folgendes Dazu folgendes: Der Betriebsrat ist ja der Betriebsrat der Boehringer Mannheim GmbH (MMM/ 506.04517, 23.6.95) denn denn æ * * ähm so viele neue talkshows æ das bedeutet richtig viel arbeit (GF, 4050.196, Z. 21) Eigenschaften gesprochener Sprache 492 dennoch dennoch - die Menschen rücken einander auf die Pelle, und wer zimperlich ist, findet hier kaum Erholung. (Der Spiegel, 48/ 96) deshalb noch einmal deshalb no"cheinmal es geht doch nicht darum hier antieuropa * zu sagen sondern es geht darum- * eine ein gro"ßes konzept da stimm ich zu- * zu einem erfo"lg zu machen (GF, 4050.241, Z. 1007) deswegen Deswegen: Das Theatertreffen ist, so wie es ist, entbehrlich. (T95/ FEB.14217, taz 14.2.95) doch andererseits Doch andererseits: Nicht nur jene, die Sozialpolitik wollen und nicht bekommen, sind die Geprellten. (Neues Deutschland, 17.6.97) drittens drittens frau düster zahlt außerdem ein bußgeld in höhe von dreihundert d mark an d r k karlsberg (SG, 3002.03, Z. 596) ehrlich gesagt ehrlich gesacht ich hab=s direkt in mein notizbuch deswegn ich hab aufge aufgeschriem hab ich (...) (SG, 3002.40, Z. 26) einerseits Einerseits: Uns geht es glänzend. (MMM/ 911.44451, 27.11.89) Einschränkung Einschränkung: Er schreibt zu selten, der faule Sack! (taz, 15.8.88) erstens erstens frau düster hat mit hat mit bedauern alle gegen f/ äh gegen frau may am achtundzwanzigsten achten neunzehnhundertvierundachtzig begangenen handlungen zurückgenommen (SG, 3002.03, Z. 591) Anhang I: Operatoren-Liste 493 Fakt ist Fakt ist: Wagner hat seine 50,4prozentige Beteiligung zum Nulltarif einem Treuhänder übertragen. (MMM/ 602.08880, 24.2.96) Fazit Fazit: Das Internet-Zeitalter wird Journalisten brauchen - für aufregende, aber auch für ein paar fade Aufgaben. (taz, 15.10.98) ferner ferner ç * die äh große wirtschaftskrise * der jahre * um neunzehnhundertdreißig ist bekanntlich von anfang bis zu ende * * nicht nur eine kla"ssische krise eine zy"klische * krise gewesen- * (FKO/ YBT) fraglos Fraglos, das Bundesland Sachsen geht neue Wege, ein Schulfach Medienerziehung gibt es aber als Modellversuch im Bundesland Bremen schon seit August 1993 als dreijährigen Grundkurs in der gymnasialen Oberstufe. (S94/ H.22.02570) freilich freilich manchmal tut einem ein einzelfall bitter weh (PFE/ BRD, gh021) [vgl. III.4.1.5b] fünftens fü"nftens die kosten des verfahrens vor dem schiedsmann trägt jede partei zur hälfte (SG, 3002.46, Z. 1148) fürwahr Fürwahr, sie ist nicht umzubringen, die Königin der Operetten. (MMM/ 601.00546, 5.1.96) ganz einfach Ganz einfach: Es geht um Sportsgeist und Würde. (FAZ/ 320.00020, 93) ganz klar Ganz klar, wir steuern in die Klimakatastrophe. (MMM/ 912.46295, 9.12.89) Eigenschaften gesprochener Sprache 494 gewiss gewißäh äh man kann (die gefahr) laufen etwas zu sehr * in bequemlichkeit zu geraten ç (FKO/ XHD) gleichwohl gleichwohl ç in einer grenzsituation * menschlicher entscheidungen sozialer konflikte äh da gibt es zweifellos * la"gen in denen gewalt u"nvermeidlich ist und legitimiert ist ç (FKO/ YBS) grundsätzlich Grundsätzlich: Gerechtigkeit ist immer nur ein Moment, zu rasch verkehrt sich alles zu Mechanismen der Willkür und der Machterhaltung. (Neues Deutschland, 22.11.95) gut gut des hab ich versäumt des wußt ich auch nich daß ich das- * die möglichkeit >gehabt hätte ç < (SG, 3005.21, Z. 813) hingegen Hingegen: Viele Soldaten haben in den Urlauberzügen eine Menge gruseliger Erzählungen gehört. (Z95/ 503.01484, 17.3.95) hören sie hörn sie für ihn wär doch de/ is doch des au"ch en wert wenn er einen nachfolger ha"t ç (SG, 3003.99a, S. 17, Z. 14) [vgl. III.3.2] ich finde ich finde hier haben wir einmal einen ganz ty"pischen fall wo eine mutter ihren sohn nicht hergeben will ç (DSK-DAM) ich glaube ich glaube HOLT LUFT er hat uns die reichtümer die schätze des seelischen und der bilder die dort angelegt sind wieder erschlossen (GF 4050.254, Z. 697) Anhang I: Operatoren-Liste 495 ich meine ich meine wir können hier in diesem kleinen rahmen heute abend nicht klären ob man nun ne geschwindigkeitsbegrenzung einführen soll oder nich (FKO/ XCG) im Gegenteil im ge"genteiles ist noch ein ganz gewaltiger nachholbedarf da ç (FKO/ XCN) immerhin immerhin das das is progressiv (FKO/ YBR) im Übrigen Im übrigen: Ein literarisches Werk ist unabhängig vom Autor. (Neues Deutschland, 22.11.95) indes Indes, alle diese Aussagen haben einen rationalen Kern. (Neues Deutschland, 23.7.96) indessen Indessen: Hat dieses Urteil aus dem Abstand eines Jahrzehnts noch Bestand? (Neues Deutschland, 15.7.96) insgesamt Insgesamt: Der rasante Anstieg der Mieten ist vorläufig gestoppt. (MMM/ 507.05978, 21.7.95) jedenfalls jedenfalls die frau hat ni"chts damit zu tunabsolutga"r ni"x ç (SG, 3001.22) jedoch jedochdat muß ich wieder dabei beto"nendie sachen die sind eben zu teu"er dafür- (PFE/ BRD, bn040) keine Frage keine Frage: das Quartett hat sich erfreulich weiterentwickelt und berechtigt zu schönen Zukunftshoffnungen. (FAZ/ 304.00004, 93) kein Zweifel kein zweifel es=is dasselbe wo"rt (DSK/ DBP) klar klar da da da kann man * schon ungeheuer die mentalität von sonem menschen beeinflussen ç (DSK/ DBU) Eigenschaften gesprochener Sprache 496 kurzum Kurzum: Man wird Sie umschwirren wie Motten das Licht! (Cosmopolitan, 7/ 96) kurz und gut kurz und gutwir können uns das * a"benteuer nicht leisten (GF, 4050.241, Z. 240) [vgl. III.2.2.2] mal davon abgesehen Mal davon abgesehen: die altgedienten Gärtner wechseln ihre Parzellen ja nicht wie unsereins sein Hemd. (MMM/ 904.12777, 20.4.89) mein Ehrenwort „Mein Ehrenwort, ich wußte von nichts“, (FAZ/ 536.00036) mehr noch Mehr noch: Seiters hat das so arg verdüsterte Bild des deutschen Politikers wiederaufgehellt. (FAZ/ 302.00002, 93) mit anderen Worten mit anderen wortenunsere luft wäre dann * absolut rei"n ç (FKO/ YBA) mit einem Wort Mit einem Wort: Wer Dylan Thomas antastet, kriegt`s mit Swansea zu tun. (MMM/ 104.01618, 4.4.91) mithin mithin: Vögel sind noch da, kommen aber wegen der Beunruhigung nicht zum Brüten, oder die Jungen werden nicht mehr flügge. (H88/ UM7.10071, MM, 9.1.88) nämlich nämlich es gab * einige * befürworter der sogenannten mi"nikoalition- (FKO/ XAR) natürlich natürlich sie tu"n es (FKO/ DSK) nebenbei Nebenbei: Mangelndes Machtbewußtsein hat mir noch keiner nachgesagt, der mich kennt. (S93/ H23.02687) Anhang I: Operatoren-Liste 497 nichtsdestotrotz Nichtsdestotrotz, man unterliegt immer irgendwelchen Zwängen. (IKO/ SI3.65971 Spiegel, 29.3.93) nichtsdestoweniger Nichtsdestoweniger: Wer Freude am Umgang mit seinen Mitmenschen hat, dem stehen nach seiner Lehre auf der ganzen Welt die Türen offen. (MMM/ 903.06944, 15.3.89) nur nur es haben mir dann meh"rere mietparteien gesagt entweder die" ziehn jetz aus oder wir ç (SG, 3002.45, Z. 49) [vgl. III.4.2.2] obwohl obwohl es hat auch seine nachteile ç (DSK/ DBX) oder oder æ n wichtiger punkt ist da muss man für die politiker verständnis habenç es gibt ja auch das * <klare wort zur unrechten zeit> (GF, 4050.78, Z. 1713) [vgl. III.2.4.2] offen gestanden Offen gestanden: Ich weiß es nicht. (MMM/ 409.02370, 4.9.94) ohne Frage Ohne Frage: 1995 war das Jahr der Ohrwürmer. (MMM/ 512.36520, 31.12.95) ohne Zweifel Ohne Zweifel: Die Oppositionsgruppen könnten vereint Milosevics siebenjährige Herrschaft beenden. (S93/ H50.06162) okay Okay, ein paar der hie und da eingestreuten netten kleinen Witzchen waren abgekupfert. (MMM/ 511.29213, 16.11.95) richtig Richtig, letzten Festspielsommer hatten sich beide Herren über die Qualität einer „Titus“- Inszenierung zerstritten. (S93/ H.29.03514) Eigenschaften gesprochener Sprache 498 richtiger Richtiger: Es gibt zu viele Antworten, die einander widersprechen. (Z95/ 511.09049, 24.11.95) sagen sie sagen sie st/ stimmen denn die stunden die da angegeben worden sind- (SG, 3003.99a, S. 3, Z. 11) [vgl. III.3.2] schließlich Schließlich: Das private Bauerntum hat in Rußland, sieht man von der Zeit der Neuen Ökonomischen Politik der zwanziger Jahre ab, keine Tradition. (FAZ/ 342.00042, 93) Schlussfolgerung Schlußfolgerung: möglicherweise ist ein mehr oder weniger bedeutender Teil vorhandener Untersuchungsergebnisse nichts anderes als ein methodischer Artefakt. (H86/ JZ4.51099, ZEIT, 3.10.86) sein Versprechen Sein Versprechen: „Wir werden uns nicht aufgeben.“ (FAZ/ 342.00042) sicher sicher der staat hat nicht nur mittel sondern der hat auch die ma"cht die mittel ei"nzutreiben * die nötig sind ç (FKO/ XCI) sicherlich sicherlich * die publikation hilft dazu beitragen daß die leute ein bißchen mehr aufpassen ihr eigentum zu sichern ç (FKO/ XGG) [vgl. III.4.1.5a] sondern sondern- * sie bekommen die kurse bezahlt ç (SG, 3003.99a, S. 15, Z. 18) [vgl. III.3.2] statt dessen Statt dessen: Es sei ja routinemäßig gelaufen.(MMM/ 602.07151, 14.2.96) Anhang I: Operatoren-Liste 499 Tatsache ist Tatsache ist: für einige dezimierte Großwalarten kam die freiwillige Selbstbeschränkung im allerletzten Moment. (S93/ H32.03885) tatsächlich Tatsächlich: Himmelblaue Wölkchen schweben auf den Bildern vor sich hin. (MMM/ 905.15251, 9.5.89) trotzdem trotzdem ç unsere * * zu"schauer æ wollen sich ja * ein bild da"rüber machen æ was sie machen ç (GF, 4050.021, Z. 254) [vgl. III.2.2.2 und III.2.4.2] überhaupt überhau"pt * und das möchte ich mal hier ausdrücken das freiburger klima ist keineswegs ein günstiges- (FKO/ YAD) übrigens übrigens damit is der- * rechtsstreit erledigt die verfahrenskosten wern gegeneinander aufgehoben ç (SG, 3003.99a, S. 28, Z. 19) [vgl. III.3.2] und u: nd- * dann hat der herr may gesagt ja wenn sie das machen wollen- * * ich such en geeigneten nachfolger- (SG, 3003.99a, S. 6, Z. 20) [vgl. III.3.2] und wirklich und wirklich- * * als wir dann das ventil untersuchten war das ventilgummi * * zerstört ç (PFE/ BRD, bj006) und zwar und zwar- * * am nä"chsten morgen ç also gestern morgen ç * * hat mich die karin reindel angerufen die * schwester von ihr ç (FKO/ XDD) vielleicht vielleicht i leb noch zwei joahr oder drei oder fimfi (SG, 3001.08, Z. 526) [vgl. III.4.1.5d] Eigenschaften gesprochener Sprache 500 vielmehr Vielmehr: Der Einfluß der UN zur internationalen Konfliktbewältigung muß gestärkt werden. (T91/ JAN.10141, 10.1.91) viertens viertens ç * nachweislich haben au"ßer und nicht biblische gründe zum zustandekommen dieser zölibatsverpflichtung geführt ç (FKO/ XCO) viertens und letztens viertens und letztens * im grunde geht es nicht * in dieser frage um ein pfarrerproblem sondern um die glaubwürdigkeit der kirche ç und letzten endes um eine frage die uns alle jeden menschen angeht ç nämlich was auf unserer erde die freiheit und würde einer entscheidung und das glück eines einzelnen menschen wert sind ç (FKO/ XCO) vorab Vorab: Ich bin ein politischer Gegner der rotgrünen Koalition und keineswegs unglücklich über deren Desaster bei der Nicht-Wahl ihres neuen Umweltdezernenten. (FAZ/ 327.00027, 93) vor allen Dingen vor allen dingen ich mein diese diese (unterstellungen) da sind typisch männlich ç (FKO/ XBF) wahrhaftig Wahrhaftig, ein weitläufiger Uferstreifen ohne Bebauung wäre ja so schön gewesen. (MMM/ 604.16711, 16.4.96) wahrlich Wahrlich, auf dem Marktplatz gab es eine schwere Geburt. (MMM/ 911.44811, 29.11.89) weil weil der sachbearbeiter sitzt zur zeit an=ner größeren strafsache und * äh ich weiß net wann er dazu kommt (SG, 3001.07, Z. 1423) Anhang I: Operatoren-Liste 501 wie gesagt wie gesacht wir hätten das a"bgelehnt (SG, 3003.99a, S. 2, Z. 28) [vgl. III.3.2] wohlgemerkt Wohlgemerkt: Es geht nicht um Wohlstandsverzicht, allenfalls um etwas weniger Wohlstandswachstum. (MMM/ 106.26894, 29.6.91) zudem zudem ç die assoziationen sind irgendwie leichter wogegen da angegangen werden soll ç (DSK/ DBP) zugegeben Zugegeben: Auf den ersten Blick hat die Idee etwas Verführerisches (FAZ/ 321.00021, 93) zum Beispiel zum Beispiel ç * ich kenne priester- * die wiederverheiratete zulassen zu den sakramenten ç (GF, 4050.254, Z. 1240) [vgl. III.2.4.2] zum einen zum einenäh man muß in der lage sein zu erkennen wann das kind in nem leistungstief drin ist ç ja æ (DSK/ DCR) zunächst Zunächst: Musil ist kein einfacher Autor. (taz, 4.10.97) zunächst einmal zunächst einmal- * unsere- * rischter- * s/ sind ja auch nischt wenig beschäftigt- und sollten sisch also mit schwerwiegenderen dingen beschäftigen (SG, 3001.03, Z. 29) zweifellos Zweifellos: Die Schatten der „Schattengesellschaft“ haben sich über Europa gelegt. (S94/ H38.04644) zweitens zweitens ç *1,5* die zölibatsverpfli"chtung läßt sich nicht auf die bibel zurückführen ç (FKO/ XCO) Anhang II Transkript „Gegen Gotteslohn“ (vgl. Schröder 1997, S. 193-223; s. auch S. 238 im vorliegenden Band zur Verfügbarkeit der zugehörigen Tonaufnahme) Titel Gegen Gotteslohn Nummer SG , 3003.99a Dauer 39 min Ort Arbeitsgericht einer süddeutschen Großstadt Sprecher A1 Anna Leopold und A2 Gero Abel (das klagende Studentenpaar - fühlen sich vom Reformhausbesitzer Herrn May getäuscht ; hatten gegen die Zusage von Ausbildungskosten für Herrn Abel unentgeltlich Aushilfsarbeiten im Reformhaus geleistet ; klagen nach fristloser Kündigung Lohn und Ausbildungskosten ein) B Herr May (der Beklagte - streitet entsprechende Absprachen und Zusagen ab; sah sich menschlich schwer enttäuscht) C Herr Bergdorf (Arbeitsrichter) Eigenschaften gesprochener Sprache 504 Transkript Seite 1 01 C leopold gegen may æ * und abel gegen may ç #*11*# K DIE BETEILIGTEN NEHMEN C ja ç * herr may was sagen se zu der kla: ge die klägerin sagt K IHRE PLÄTZE EIN B dazu is zu sagen- ** daß ähm- C sie hätt noch geld zu kriegen ç ** 05 B ** der kläger- C #äh wir reden nur über de frau leopold jetz ne æ # K UNDEUTLICH GESPROCHEN B RÄUSPERT SICH >bitte æ < C <wir reden über die frau leopold jetzt ç > B >+nein (red ich nicht) ç < * für den jungen mann da ç 10 C <nei"n wir B ach so: - C reden jetzt von der frau" leopold ç > sie" sagt sie sei vom C siebten e"rsten bis zwölften zwoten als au"shilfe gegen einen C stundenlohn von zehn mark beschäftigt gewesen sie rechnet 15 C sich vier/ zweihundertvierunddreißig stunden au"s für C zweitausenddreihundertvierzig mark netto- * hat s=es gekriggt B mhmdas stimmt ni"scht æ * C l wenn ja å wenn nei: n warum nicht- B l es warå es war bei- * der- ** frau leonhardt 20 C wa"s stimmt nicht æ B >oder so- * bei< frollein- * leonhardt- ** #kei"nerlei- * K STAKKATO B bezahlung- * vereinbart-# K C sie hat u"nentgeltlich gearbeitet ç B +jawolles ging- * #ja ç # * es ging von K KURZ 25 C um gotteslohn ç B vornerein- * so an æ * wenn de wann de- * hier- * äh- * der B junge mann- * zunächst mal meine frau angesprochen hat- * ob er- * B bei uns nicht äh sich- * über- * die- * produkte und so weiter B informiere kö"nnte- * er möchte gern da bissel- * öh: - ** 30 C mhm ç B hierherkommen net wahr- * und äh sein weil/ sein wi"ssen- * hier Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 505 Transkript Seite 2 01 B etwas auszubauen- ** #von- * einer- * bezah"lung-# ** l von K STAKKATO B eim å von eim stu"ndenlohn > l oder so å < war nie" die rede B gewesen ç * C äh: - * versteh ich sie richtig ç * i"st davon gar nich 05 C gespro"chen worden o: der hat man vereinbart daß nichts B es: der junge mann hat von vornerein- * schon C bezahlt wird ç * B gar nicht von einer- * bezah"lung gespro"chen daß er sie B verlangt hätte- * wäre des der fall gewesen dann hätten wir=s 10 B abgelehnt ç * C ja herr may also ei/ eins versteh ich jetz nich so C richtig ç äh #ge/ ge/ gewöhnlicherweise æ # * äh- * leben die K STOTTERT C menschen von dem was sie verdie: nen nur wenige können von ihrm C vermö"gen leben ç * deswegen ist es doch ein wär=s doch 15 C u"ngewöhnlich daß er sagt ich komm jetz mal zu ih"nen und äh: - * B genau so war=s ç C will kein geld haben- * wie soll denn des gehn sogar C au"szubildende kriegen noch geld und die können ja au" nix ç B so war=s gewesen nur über bezah"lung war nicht die 20 C ne æ B rede ç * a"bsolut nicht ç ** wir ham ja auch von vornerein gesacht B daß die situation æ * äh- * zunächst also jetzt mal so" is- * B im hinblick auf die umsätze die also- * um- * wie sie jetzt im B viertel letzten jahr der fall war fünfundzwanzig prozent 25 B na"chgelassen haben ç * un wir sind nicht in der la: ge- * B personal- * äh z/ dazunehmen un=nach dem was wir haben- * B nicht wahr æ * und äh damit war der fall erledigt es war B keinerlei- * forderung gestellt worden ç * wir wie gesacht wir B hätten das a"bgelehnt ç ** aber die wollten- * so bitte sie können 30 B sich hier inform/ - C ja ein welcher in äh als was äh sin denn die Eigenschaften gesprochener Sprache 506 Transkript Seite 3 01 B sie wollten sich informie"ren was C beiden gekommen so: ç ** B im reformhaus vor sich geht nicht æ * is dann- * lediglisch æ * B äh: - * zum ersten januar- * äh die annahme als leh"rling- * 05 B das ham wir vereinbart- * mit ih: "m ç nicht wahr- ** C #ja ç # K KURZ B und äh dementspreschend ham=mer die- * bezah"lung wie das das B äh- * industrie und handelskammer- * schon festgelegt hat B da daran ham wir uns gehalten- * ab januar ç *3* das war- ** 10 B der- * we"rdegang ç C + l sagen sie å st/ äh stimmen denn B dann allerdingsdie treffen C die stunden die da angegeben worden sind ç * B ab/ äh absolut nicht zu was hier behauptet wird- 15 C auch B nicht wahr und da großartige summe da rauszuschlie/ C nichtja æ B zu schlagen nischt wahr- * sind a"bsolut- * nischt C >ja ç < 20 B in der- >ja ç < * lehnen wir gla"ttweg ab ç C sind überhöht ç ** B nicht wahr- und äh: isch bin C ja des interessiert mich weniger ob s=es ablehnen äh ob=s B möschtebitte æ 25 C richtig ist nach der behauptungob des ob die zahlen- C * zutreffend sind <also pf/ ganz konkret zu werden å ähm> * C sagt der herr abel er habe zweihundertsiebenunddreißig stunden- C * bei ihnen gearbeitet ç * vo"r dem lehrlingsverhältnis ç l *3* B isch äh wir haben die stunden die stunden nischt gezä"hlt- * äh 30 B die stunden æ die stunden hat er bis C und die frau leopold die sagt zweihundertvie"runddreißig B ende des jahres so eingeteilt wie er wollte ç * er C stunden ç >mhm ç < B is fortgegangen nischt wahr- * und is gekommen- * wie=s ihm grad Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 507 Transkript Seite 4 01 B beliebte- und wir haben auch da*zu keine stellung C #>mhm ç <# K ENTRÜSTETES KOPFSCHÜTTELN BEI A1 UND A2 B genommen weil wie gesacht des verhältnis ja äh sehr äh B sach=mer mal- * äh- * nichts besonderes war nicht æ * >wir haben 05 B gsagt bitte hier sie können da lesen und hier is des und so B weiter ç * das war=s ç < * als leh"rling- * hab ich bestimmte B ri"schtlinien gegeben- * nischt wahr- * und #da"ran# hat er K KLOPFT AUF DEN TISCH B sisch nischt gehalten ç * er hat immer gemacht was er wollte ç ** B nischt wahr ç ** und es hat sisch systematisch- * erweitert- * 10 B nachdem isch- * persönlisch- * mir im klaren war- * welschen B charakter un welsche einstellung er hat- * #das da war# dann K UNDEUTLICH B auch die ursache dafür- * das frollein- ** wegzuschicken ç * B so war das ç * und im februar- * hab isch die kündischung C >mhm ç < ** 15 B ausgesprochen ç ** ich kann- C das is nich gegenstand des streits ç es C geht hier wirklich nur um um um- * die frage nicht ob die C beiden wirklich kostenlos und wie lange gearbeitet haben ç ** B bis dahin- 20 C ob sie überhaupt gearbeitet haben s wird ja immer C schwieriger ne æ * >ja ç < * jetz ham sie lang genug jetz äh mal A1 +ja jetz würd ich mal gern sprechen- C bitte- >(...)< was is bei A1 wir ha"ben kei"nen 25 C der ei"nstellung- * besprochen worden ç A1 stundenlohn von zehn d. mark vereinbart ç * wir haben aber bei A1 der einstellung un=s war nämlich so" n gespräch zwischen he"rr A1 und frau may- * daß wi"r vereinbart haben- * vielleicht- * also A1 wir ham=s konkre"t öh vereinbart als å na"chfolger in das 30 A1 reformgeschäft eingeführt zu werden l wir wollten das geschäft Eigenschaften gesprochener Sprache 508 Transkript Seite 5 01 A1 überneh"men weil herr may en nachfolger gesucht hat æ wi"r beide ç A2 ja also des C sie beide- A1 so war=s ç 05 A2 die äh die darstellung die herr may eben gegeben hat- A1 wir wollten nicht die produ"kte kennenlernen- A2 anna wenn ich des mal sagen darf- * A2 der herr may hat gesagt ich hätte- C sie wollten des geschäft übernehmen ç 10 A1 #ja ç # K WIE UNTER LEICHTEM LACHEN A2 + l ja also es is soå * wir- C ja dazu wird ma aber A1 wir wollten die f/ ausbildung C gewöhnlich nich a"rbeitnehmer ç * 15 A1 bei herr may machen u"m danach das geschäft zu übernehmen zu A1 einem späteren zeitraum ç * irgendwann in der zukunft ç A2 also in der chronologie A2 war=s doch so ç * un der herr may hat eben gesagt ich hätt mit A2 seiner frau gesprochen äh ich wollte produkte kennenlernen- * 20 A2 des: stimmt nicht ç äh ich hab herrn may angesprochen- * weil äh- * A2 ich #kann/ die anna# und ich kannten herrn may und seine frau- K STOTTERT LEICHT A2 als kunden- B das stimmt nischt ç C sie durften lange reden- * >jetz 25 A2 also wir k/ äh sind- * sa=mer mal seit=em C darf er reden ç * ne æ < A2 dreiviertel jahr bei may herrn may und frau may kunden gewesen- * A2 un kannten sie von gesprächen her- * un nach=em sommer- * hab ich A2 mit herrn may gesprochen so über- * situationen die man halt 30 A2 als kunde- * äh über die man als kunde spricht ç * un da ham A2 wer auch über die luft in pfarrheim gesprochen und der herr may A2 hat gesagt- * ja" ich möcht auch sehn daß ich: jetzt- * ich A2 such ja n geeigneten nachfolger- * daß ich dann in=en A2 schwarzwald ziehn kann ç * und auch mal hier rauskomm ç * Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 509 Transkript Seite 6 01 A2 un daraufhin hab ich dann- * äh mit der anna auch drüber A2 gesprochen der herr may sucht en nachfolger n geeigneten- * A2 ei"gentlich is=es doch so- * de"s möcht ich machen ç * des A2 war- * unsere überlegung æ * ich bin dann an herrn may 05 A2 herangetreten hab gesagt- * herr may sie haben mir gesagt sie A2 suchen en geeigneten nachfolger- ** da kann kommen was will A2 de"s möcht ich machen un der auf: gabe- * äh- * möcht ich mich A2 stellen der möcht ich auch gewachsen sein und äh wenn ich auch A2 schwierigkeiten haben mag des is mein des darauf können sie sich 10 A2 verlassen- * des is mein- * wille de"s möcht ich schaffen ç * A2 bei allen schwierigkeiten die=s geben mag ç * äh- * weil man A2 so was ja auch erst lernen muß ç * um en geschäft zu führen und A1 +>ausbildung ç < A2 auch die- +neuform äh die ausbildung bei der 15 A2 neuform gesellschaft zu machen- ** äh ich hab halt äh der A2 herr may wußte von mir- * ja: " des is jemand- * äh der l der A2 will des wirklich machen un der der herr may kannte mich auch A2 als kunde daß ich sehr interessiert binå * und immer sehr A2 viel fragen stell un mich äh über die materie- * erkundige un 20 A2 damit befasse- * u: nd- * dann hat der herr may gesagt #ja# wenn K KURZ A2 sie das machen wollen- ** ich such en geeigneten nachfolger- ** A2 dann äh: - * ich hab dann auch gesagt daß des meine freundin die A2 gleichen ziele hat un wir des gemeinsam machen wollen- * un A2 sich des bietet sich ja auch an in dem fall dann- * un hat herr 25 A2 may gesagt- * l wenn sie das machen wollen æ å * da gibt=s A2 folgende probleme- * ich kann sie nich als: - * arbeitnehmer A2 einstellen- * ich kann=s äh ihnen also nich- ** äh- *2* sie A2 als angestellten übernehmen- * sie mü"ßten in rebenhausen vier A2 kurse machen æ * un des äh um berechtigt zu sein en reformhaus Eigenschaften gesprochener Sprache 510 Transkript Seite 7 01 A2 zu beführn un sie würden bei mi"r- * des geschäftsgebaren A2 lernen- * also sie würden die äh- * ähm- * kaufmännischen- * A2 dinge lernen und des äh- * die buchhaltung- * alles was A2 dazugehört um en geschäft z=übernehm da soll ich reinwachsen ç * 05 A2 #das de is# die ausgangssituation- * un hat herr may gesagt K STOCKEND A2 kommen sie doch mit ihrer freundin- ** äh- * bezeichnenderweise A2 weiß der herr may den namen von meiner freundin noch nich mal- * A2 äh und sprechen sie mit mir und meiner frau darüber ç * meine A2 frau is in kur ç * un dann sind wir ne woche später- * äh zum 10 A2 gespräch gewesen zu viert der herr may und seine frau die anna A2 und ich- * und da warn die ausgangslage- * da hat der is der A2 herr may an uns rangetreten hat gesagt- * also- * sie machen A1 >(mhm) ç < A2 das- * sie machen auch die kurse in rebenhausen un die werden 15 A2 ihnen finanziert ç * sie machen beide diese ausbildung bei mir- * A2 als angestellte äh nehm ich sie ni"cht- * ich finanziere ihnen A2 die kurse der neuform gesellschaft- * die sind ja sehr teuer æ * A2 wie sie auch wissen- * und äh- * sie machen das um das geschäft A2 zu übernehmen æ * äh bekommen natürlich ihre unkosten erstattet 20 A2 ich mußte mir dann ne monatskarte kaufen und die kleider reinigen- A2 * u"nd so weiter- * und sie bekommen weil sie auch leben müssen A2 en taschengeld ç ** also=s waren zunä"chst mal >die die-< C (...) A2 und 25 C (...) bekommen weil sie auch leben müssen æ A1 also- * es war kein A2 taschengeld ç <also die C #ein taschengeld ç # >ja-< K SEHR BETONT GESPROCHEN A1 praktikantenverhältnis kein lehrverhältnis es war nur so- * 30 A2 finanzierung-> A1 abgemacht ç A2 und ich hab natürlich mi"r auch ge*dacht un=mit meinen Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 511 Transkript Seite 8 01 A2 eltern drüber gesprochen- * wie is denn des ich geb meine äh- * A1 (...) A2 ich hab ja auch ne berufsausbildung- * äh gemacht- * ich geb A2 das auf- * was ich bisher gemacht hab des is ja ne entwicklung 05 A2 der letzten ich bin vierundzwanzig jahre alt- * der letzten vier A2 fünf jahre- * daß sich auch ergeben konnte æ * daß ich äh A2 gelernt hab im lauf der jahre nein auf dem äh berufsweg kann A2 ich des: liegt mir nich da kann ich nich weitermachen- * das A2 hat sich herausgestellt an der hochschule- * und #äh# ich K KURZ 10 A2 bin mit dem reformhaus großgeworden durchs elternhaus und es A2 hat sich äh in den letzten jahren hab ich mich viel damit A2 befaßt- * und es hat sich an*äh*gebahnt daß- * und gezeigt des A2 is das was ich wirklich machen möchte ç * mir war auf einmal A2 ich hab l meinen eltern gsa/ also å ist es möglich daß ich so" 15 A2 ein glück hab- * daß ich jetz auf einmal i"ch derjenige bin- * A2 der bei herrn may des lernen darf der- * als sein nachfolger- * A2 eingearbeitet wird und- * des- * war alles im <besten C >wie lange soll-< A2 einvernehmen> darf ich grad mal- 20 C wie lange sollte denn das dauern diese A2 die einarbeitung der herr may- * ja der herr C einarbeitungszeit bis zur übernahme ç A1 >zwei jahre ç < A2 may hat mir gesagt also wissen sie- ** äh- * normalerweise 25 A2 brauchen se drei jahre um so was zu lernen in ner lehre die n A2 siebzehn oder achtzehnjähriger macht- ** sie sind so intelligent A2 un ich kenn sie als kunden ich weiß von ihnen daß sie- * daß wir A2 in der lage sind sie in anderthalb bis zwei jahren so weit zu A1 und die kurse zu machen ç 30 A2 bringen ç +in anderthalb bis zwei jahren A2 sind sie in der lage bei ihrer intelligenz das alles geschafft A2 zu haben ç * und herr may hat eben noch äh angesprochen æ * daß Eigenschaften gesprochener Sprache 512 Transkript Seite 9 01 A2 des keine besondere sache gewesen wär und- * wir hä/ äh- * herr A2 may hätte zugelassen daß wir uns da halt auf*äh*halten und was A2 lesen und n bißchen gucken- * des is au"ch nicht zutreffend- * A2 meine mutter hat mit frau may ei"ne woche bevor der herr may- * 05 A2 die anna fortgeschickt hat æ * noch gesprochen- * darüber A2 gesprochen des war jetz hab ich falsch dargestellt- * ei"ne A2 woche bevor i"ch entlassen worden bin- * hat meine mutter- * noch A2 mit frau may telefoniert und die frau may hat ihr gesagt- ** äh- A2 * wir sind ja so froh daß wer die beiden jungen leute haben- * 10 A1 ich war ja schon entlassen trotz allem ç * A2 und versch/ tja- * mhm- * A2 <jaja> es war aber so daß nachdem du entlassen worden bist- * A2 haben wir ja auch mit frau may weiter drüber gesprochen wie es A1 (...) 15 A2 sich so entwickeln konnte daß jetzt die anna weggeschickt A2 wird und da hat die frau may daraufhin dann gesagt- * #naja K STAKKATO A2 äh des jetz warten se mal# mein mann is im moment äh- * ich K A2 selber hab darunter auch zu leiden mein mann is im moment sehr A1 >einer mieslichen laune (...) 20 A2 aggressiv un in e/ einer verfassung- A1 wissen wir nicht ç < A2 #+na gut# einer verfassung in der eben so was jetz passiert K STOTTERT A2 is- * wir werden des schon wieder klären ç ich sprech ich nehm A2 da einfluß auf mein mann- * des wird sich scho"n wieder glätten ç * 25 A2 es wär ja auch möglich- * äh- * daß- * nachdem meine mutter mit A2 frau may gesprochen hat- * hat sie gesagt sie sind froh: das hat A2 sie das war auch während der ganzen monate auch im januar- * A2 wenn kunden da warn- * haben die äh hat frau may gesagt wir s/ A2 haben jetz zwei sehr je/ nette junge leute die sehr interessiert 30 A2 sind- * die uns sehr entgegenkommen die uns sehr behilflich sind Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 513 Transkript Seite 10 01 A2 die keine arbeit scheuen und alles auf sich nehmen- * die A2 äh anna hat sich bereit erklärt die putzarbeiten der putzfrau A2 zu übernehmen- * die hilfs und putzkräfte sind ja entlassen A2 worden weil wir da gearbeitet haben- * und arbeitskraft da" war ç 05 A2 * wir sind so froh daß die beiden da sind un wir auch würdige A2 nachfolger ham denen wer des äh mit denen wer n sehr gutes A2 einvernehmen haben- * u: nd äh BETONTES AUSATMEN * sie sollen sich A2 mal keine sorgen machen um ihre kinder- ** ihr sohn und die anna- A2 * äh mein mann is im moment ich hab darunter selwer zu leiden 10 A2 sehr aggressi"v und in ner äh schwierigen verfassung- * des A2 gibt sich wieder ich werd da einfluß drauf nehmen- * des kommt A2 schon wieder in die reihe- * wenn äh ihr sohn im geschäft is A2 und- * äh mein mann is sehr unfreundlich un barsch- * dann A2 soll er des nich so sich zu herzen nehmen nich so persönlich 15 A2 nehmen des wird wieder ç * also so mal zu/ zunächst zu C ja- A2 denvielen dingen die herr may gesagt hat ç C äh- * jetztja: ç * B ja ç 20 C ja des war fast no"ch mehr ç * sie wollten noch kurz was: - B das verhalten meiner das meiner- C zurückerwidern ç * aber bitte nicht so ausschweifend sonst hätten B verhalten das verhalten meiner frau so C wir nicht wenig zu tun ç 25 B is wie das wie=s geschildert wurde- C ja ç +interessiert mich weniger B trifft nicht zu ç trifft absolut C (...) klar ç es is auch egal ç l äh B nicht zu ç nicht wahr ç 30 C passen sie auf passen sie auf å alsoes is doch C ga"nz offensichtlich sie sin ja bei"de enttäuscht über den lauf A2 #ja ç # K SEUFZEND C der entwicklung sie haben=s sich ursprünglich beide ganz C a"nders vorgestellt und zwar in einem sehr viel positiveren Eigenschaften gesprochener Sprache 514 Transkript Seite 11 01 C sinne ç * nich æ dementsprechend fühlen sie sich jetz vermutlich C un das is auch des was ich selber spüre und zwar an an- * an C äh an aggressionen herauskommt des mag durchaus sein des is auch A2 ach aggression gar nich mal ich bin 05 C legitim ç * un verständlich ç <aber A2 halt (unzufrieden)- C jetz is ei"nes> sie haben eigentlich ihrer klage C weitgehend selber den boden entzo"gen ç * denn die behauptung C en stundenlohn von zehn mark netto oder dergleichen is ja nich 10 A2 nee ich habe von mi"r aus eine den äh- * zugrun/ C wah"r ç mh æ A2 äh stundenlohn von zehn mark zugrunde gelegt- * ersa"tzweise A1 >mir ham kein geld gekriegt ç < A2 für die zusagen die herr may mir gemacht hat ç * ich habe- * 15 A2 wir haben nie über n stundenlohn gesprochen ç B <das stimmt nischt ç > C einen moment moment moment B (...)- C #<jetz hören se doch mal auf> dauernd immer nur mit# K VERÄRGERT 20 C stimmt nicht des ist doch jetzt lassen se doch mal bißchen die C luft raus ç * sie kommen doch deswegen net zu eim besseren recht B #>(...)<# K KURZER AUSRUF C nur wenn sie hier furchbar- * >öh: draufhaun ç < * C äh- ** sie ham wollten- * bei"de daß des geschäft übernommen 25 C wird von ihnen nach einer gewissen übergangsphase und damit sie C leben können sagten sie hätten sie n taschengeld kriegen sollen C taschengeld is sicherlich aber keine zweitausendvierhundert ma"rk A2 nein ich habe ein taschengeld C im monat netto ç * das is doch ein (...) verdienst ç 30 A2 zugesprochen bekommen- * und die finanzierung der kurse in A2 rebenhausen l das war für mich (geld) å damals die C okay ç A2 situation war ja die des hatt=ich äh: - C ja gut aber zu den kursen Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 515 Transkript Seite 12 01 A1 nein ç A2 aber äh die C is es schon nich gekommen offenbar >nich æ < * A2 kurse waren für mich der we: "rt æ * de/ den die arbeit ausmacht ç * 05 A2 ich hab mir doch überlegt mutter #was mach ich jetzt ç # * K EINZELN BETONEND C vorausgesetzt des klappt auch alles aber daß ma=in C vertragsverhandlungen ist und des letzten endes scheitert is C des normalste der welt ç * vielleicht daß sie da besonders A2 ja aber die äb/ äh: - * die kurse machen 10 C frustriert sind des- * kann schon sein A2 en wert aus äh von für mich zehntausend mark und die müssen A2 doch- * äh im zeitraum von anderthalb bis zwei jahren gesehen A2 werden und auf die" monate verrechnet werden- C aber die kurse haben doch für 15 C sie bei"de nur sinn wenn es auch zur übernahme des geschäfts A2 nei: n die kurse- C ko"mmt nachdem des so frühzeitig gescheitert sin is natürlich C #de de de die# voraussetzung für die kurse auch längst gefallen ç K STOTTERT A1 aber die sollten 20 A2 do"ch die kurse ham für mich n großen wert die kurse- C des mag schon A1 doch auch eineraber- C sein aber von wem aber dann machen sie sie aber C müssen sie selber bezahlen sie könn do net sagen- * weil ich mich 25 C bereit erklärt hab da mal n monat zu arbeiten mit der chance des A2 nee die C geschäft zu übernehm muß er mir die kurse jetzt zahlen (...) A2 müssen ver/ äh vergl/ äh ersatzweise verrechnet werden ç C #nei"n ç * nei"n ç # ** überhaupt net ç * da gehn sie da"nn K GEHAUCHT 30 A2 ja des C hätten sie des aber vertraglich vereinbaren müssen ç * dann setzt A2 war- C mer sich #hi"n un macht en schriftlichen vertra"g wo die K C UNTERSTÜTZT JEDEN AKZENT (") DURCH KLOPFEN AUF Eigenschaften gesprochener Sprache 516 Transkript Seite 13 01 C we"chselseitigen re"chte un pfli"chten haa"rgenau" dri"nstehn# K DEN TISCH A1 ja des war naiv C l würd ich ihnen in zukunft sowieso" raten ç å * A1 aberaber wir ham doch ta"tsächlich 05 A2 +ja aber des war ja was was herr may- A1 gearbeitet man kann doch nich arbeiten fü/ für ohne geld ç C in der A1 weil wir ham ja ausgemacht daß wir- C in der hoffnung und erwartung l so wird=s doch sein å in der 10 C hoffnung und erwartung später des gschäft übernehmen zu können ç C * zu bedingungen die offenbar au"ch no=net besprochen worden A1 über bedingungen- A2 tja wir haben ja wir haben ja (kein)- * aber C sin- * selbst <wenn herr may das sacht (...) bei der übergabe 15 A2 wir ham- >ja ç < C nachher gesacht hätt so und für des gschäft un die C kundschaft un klientel so weiter hunderttausend mark ç A2 ja aber wir ham doch herrn may auch gebeten- * daß er da C (...) 20 A1 immer wieder ç * >haben wir ihn A2 äh was klärendes daß auch was schriftlich gemacht i"ch hab A1 gebeten ç < >immer wieder ç < * unheimlich A2 herrn may angesprochen- * ob es nich auch A1 oft ç 25 A2 möglich is des war ja die situation im november im oktober A2 schon ich hab mein eltern gesagt- * ich geb meine ausbildung A2 aufja (...) ich C mein gott >es is wirklich schlimm ç < * äh ja gut ich will A2 versteh des schon- 30 C bloß sagen is völlig wurscht was sie #ih: "m# vorlegen- * K SEHR BETONT C als vertragsentwurf zum beispiel sie haben doch als A2 ja ç nä ç C glei"chberechtigte mitnander gsprochen sie sollten doch C au"ch der der chef werden der der kaufmann der händler ç * sie 35 C wo/ sie hätten sie können doch au"ch nachher wenn sie mit C kunden sagen da net ihrer mutti und was erzählen sondern da muß Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 517 Transkript Seite 14 01 C ma >ra"n an den vertra"gspartner un muß mer de"m> äh: muß dem was C vorlegen was man wi"ll ç * un net warten legen s=es mir vor ç * A2 ja- C das is ganz falsch angefangen worden von ihnen ich will mich 05 A2 mhm ç C hier net zum lehrmeister machen aber- * äh sie sie denken sie- * C die rechtsordnung stellt ihnen was zur verfügung sie brauchen C nur ne erwartung haben hinterher wird=s auch bezahlt ç * das is C nich so ç * da müssen se ne glasklare vereinbarung treffen ç * 10 A2 ja aber auf=m arbeitsgericht C un wenn se des net gemacht habendann wird=s schwer ç A1 wir haben hier gefragt ç A2 hat man mi"r gesagtwir ham uns er/ wir ham jetz A2 die situation is ja die"- * wir äh- * äh klagen gegen eine partei 15 A2 wir ham=s mit ner partei zu tun von der wir wissen- * die kommt A2 äh- * äh ihren verpflichtungen nich nach die hat uns zusagen A2 gemacht æ * daß wir äh als- * für unsere arbeit- * entschädigt A2 werden und diesen zusagen- * is: äh die partei nich nachgekommen ç A2 taschengeld- 20 C +welche zusagen können sie=s bitte konkretisieren æ A2 ja nee #sagen wa=s mal# konkretisierend K GENUSCHELT C taschengeld gut einverstanden ç einverstanden A1 (...) A2 de die anna hat sich nein die äh der herr may und 25 C ja ç A1 >(haben was) æ < A2 frau may wir haben zu viert darüber gesprochen- * bei der A2 finanzierung äh der arbeiten die die anna macht- * daß die anna A2 wenn sie sich bereit erklärt die putzarbeiten zu übernehmen die 30 A1 so war=sweil er die putzfrau (...) A2 arbeitenübernehmen die bisher die putzfrauen A1 braucht- A2 gemacht hatten- +daß diese putzarbeiten auf der basis C ja und æ 35 A2 entschädigt werden ç * die frau may hat des noch im nachhinein Eigenschaften gesprochener Sprache 518 Transkript Seite 15 01 A2 noch gesagt (...) C nee darüber ka=ma reden das drüber ka=ma reden ç A2 äh und äh über die weiteren zusagen warn- * daß wir unsere C (nich) æ 05 A2 unkosten erstattet bekommen daß wir äh ein entge"lt bekommen- A1 taschengeld ç A2 +u"nddaß wir- * aber wir sin haben doch C taschengeld ç A2 die arbeit unter der zusage gemacht æ * daß wir die kurse der 10 A1 also als ausbildung wenn wirklich nichts von A2 neuform gesellschaft in rebenhausen bezahlt bekommen ç A1 dem geschäft hängenbleibt daß wir ne ausbildung haben- A2 und des is eine A2 ein we"rt für mich gewesen auf den ich mich berufen kann es is 15 A2 äh ersatzweise wie wenn der herr may zu mir gesagt hätte- * die A2 kurse müsse se selber finanzieren sie bekommen zehn mark ç * es A2 is aber kei"ne abmachung über en stundenlohn gemacht worden in A2 de"r hinsicht- * sondern- * sie bekommen die kurse bezahlt ç was A2 nützt es ihnen hat herr may mir gesagt æ * wenn ich ihnen ein gehalt 20 A2 gebe æ * und sie müssen die kurse dann selber bezahlen die kurse A2 sind ein eine eine eine- * gro: "ße summe das wissen sie- * also A2 äh machen wer=s so sie bekommen äh- * daf/ keine äh vereinbarung A2 übern stundenlohn- * sondern sie bekommen die kurse in B ich- 25 A2 rebenhausen finanziert bei"de ç * un des is doch für mich der A2 wert un ne zusage- * vergleichbar- * äh eines wertes- * wie wenn A2 mir jemand en zehn mark stunden/ wenn ich ne inventur mach- * der A1 am wochenende am sonntag- A2 herr may hat uns ähgesagt unabhängig von den äh 30 A2 dingen die ich als entschädigung zu bekommen habe- * wird uns die A1 vergütet ç A2 inventur bezahlt ç äh SEUFZT während der f/ zw/ nach A2 den zwischen=en feiertagen und neujahr ç * d/ des hat der herr may A2 may äh unterlassen ç * äh wenn ich jetz bei der superkauf ne äh Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 519 Transkript Seite 16 01 A1 >samstag sonntag ç < A2 inventur mache ç * un dann sagt mir der äh äh A2 geschäftsmann des hab ich als äh früher als achtzehnjähriger A2 gemacht- * äh sie bekommen sie machen das an zwei tagen sie 05 A2 bekommen zehn mark die stunde- * wir rechnen ab dann is des für A1 (kommt man hin)- A2 mich ne zusage- ** was ich bekomme ç C ja ç * dann klagen sie diese C zusage ein und beweisen sie sie vor allem aber die behauptung es 10 A2 nee äh die C seien zehn mark- * vereinbart die stimmt halt nicht ç A2 des hab ich nich behauptet sondern ich hab des äh äh mir- * ich A2 habe- * einen stundenlohn möch/ ich möchte einen stundenlohn von A2 zehn d. mark beanspruchen æ * da: " seine gegenleistungen die herr 15 A2 may mi"r zugesagt hat nicht erbracht sind nicht erbracht werden A2 können æ * da die zusammenarbeit aufgekündigt ist ç C +richtig ç * A2 eben aber äh ich hab zwei monate gearbeitet ç ich hab auch zwei A2 monate als lehrling ich hab insgesamt vier monate gearbeitet- 20 A2 und sollte die kurse für einen zeitraum von C ja is richtig ç A2 anderthalb bis zwei jahren bekommen ç C +hätten sie so lang C gearbeitet oder wär des verhältnis nich gestört worden dann wär=s 25 A2 ja aber äh- C sicherlich auch zu diesen ku"rsen gekommen ç aber A2 die/ dieser zeitraum von anderthalb bis zwei jahrenläßt C des kam nicht dazu ç hm: ç A2 sich doch dividieren in die einzelnen monate die ich gearbeitet 30 C ja aber A2 habe ç C wer sagt ihnen daß des richtig ist daß mer des jetz einfach A2 erstens äh- >(ja) ç < C dividiert æ ham sie des vereinbart æ * 35 C sie ham doch was ganz anderes vereinbart ç * sie ham doch Eigenschaften gesprochener Sprache 520 Transkript Seite 17 01 C vereinbart daß sie daß sie äh mit dem ziel einer späteren C geschäftsübernahme sich dort ei"narbeiten- * und dafür taschengeld C kriegen ç * und jetz geht die ganze geschichte aus welchen gründen C auch immer schie: f æ * ja dann bleiben sie doch auf dieser 05 C vereinbarung sitzen- * da ka=mer doch net sagen ja jetz müss=wer A1 aber- A2 +aber die die kurse müssen doch ver/ C aber was andres machen ç A2 dieser we"rt der- * no=nich mal- * des versteh ich 10 C nein ç nein ç A2 nich des isfind ich unglaublich ç * der äh für C wieso denn ç A2 mich is des en/ äh die motivation die arbeit- * äh anzunehm- C hörn sie 15 C für ihn wär doch de/ is doch des au"ch en wert wenn er einen C nachfolger ha"t ç * un wenn der sukzessive ins geschäft C hineinwächst ç l hörn se bitte mal weiter zu ç å * da"nn is doch C de/ für ihn des auch sinnvoll daß der die kurse finanziert und C wenn sie zehndausend mark kosten weil er dann sagt ich kann des 20 C geschäft mit einigem gewinn übernehmen wenn er=s nämlich nur C liquidie"rt ç * dann zahlt er drau"f ç * wenn er des aber übergeben C kann unter umständen gegen entsprechend l ich weiß net was da C üblich ist bei solchen geschäftenå * wenn er=s übergeben kann C mit entsprechend schönem kaufvertrag oder auf auf rentenbasis oder 25 C sonst irgendwie- * da hat es doch für ihn au"ch en wert ç * er is C nämlich genau"so geschädigt durch dies des scheitern der ganzen A2 aber ich bin doch nicht nur finanziell geschädigt sondern C geschichte ç A2 ich bin doch auch da"durch geschädigt daß ich die zusage bekommen 30 A2 hab- * äh: des gesch/ vergleichsweise bin ich geschädigt wie A2 #herr herr herr# may weil ich keine berufsausbildung hab ç K SETZT NICHT AB C sie Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 521 Transkript Seite 18 01 A2 um beizeiten- C wollen nun mal unternehmer werden und des is nich ganz ge/ C es hat nich geklappt ç ** es hat nich geklappt sie wollten den C laden übernehmen nach ner einarbeitungszeit des hat nich 05 C funktioniert ç * wa"rum soll der andre dafür dann nichts A1 ja wir haben uns aber doch C zahlen ç * nur mal ganz kurz (...) æ A1 vorm a/ beim arbeitsgericht hier erku"ndigt ç * un da hat man C ja ç 10 A1 uns- C ach hören sie was sie- * des muß ich ihnen sagen die die C die damen die da draußen sitzen ham mit sicherheit ne wesentlich A1 ja ja: aber auf- C schlechtere ausbildung als ich dieaber des is n 15 A1 ih"ren rat hin ham wir des ja gemacht ç C ganzah ja was soll A1 weil wir ja- C se denn auch machen aus dem kuddelmuddel normalerweise hätt se C se wegschicken müssen oder sagen wieviel taschengeld stellen sich 20 C vor- * ne æ ich weiß auch net was sie ihr gesagt haben ç * l sie C ham wahrscheinlich å die briefe hier vorgelegt wo se sich zehn C mark vorstellen STOTTERT klagen wer halt mal zehn mark ein- A1 nein ç nein sie hat A2 nee nee nee- 25 C warten se mal ab was der richter sagt ç A1 gesagt- * normal wird der tarifliche stundenlohn (von) zehn C also ich kann=s A1 mark- C ihnen nich ich kann des des gewinnen se mit zehn mark nie ç * 30 C was sie krie"gen is des taschengeld sofern=s: äh nich bestritten C wird oder von ihnen bewiesen wird ç * dann müssen mer ermitteln A2 herr may hat C in welcher höhe des wohl- * gemei"nt sein ko"nnte ç A2 mir- 35 C taschengeld kleine kinder kriegen drei mark größre kriegen Eigenschaften gesprochener Sprache 522 Transkript Seite 19 01 A2 herr may hat mir äh dann- * äh nachdem C entsprechend mehr ç * mh æ A2 er im november und dezember mir kein geld gegeben hat- * mir A2 ende so um die weihnachtszeit rum gesagt- * sie bekommen 05 A2 fünfhundert mark ç * ei"nmal ç ** nur nur einmal die äußerung sie A1 da war A2 bekommen dann fünfhundert mark ç * >ja des is alles ç < B mh stimmt nischt ç A1 des weiß ich >(noch) da war ich krank< (nich) ç 10 B stimmt nischt ç ** C ja ich mein die sache hat bislang noch ei"ne relativ äh günstige C wendung un des is die: - * daß sie nich gleich zu eim rechtsanwalt C gerannt sind ç so kann man noch ohne größere kostenrisiken C wenigstens miteinander reden ç * äh denn wenn sie jetz von der 15 C güteverhandlung völlig unbefriert äh friedigt rausgehn und sagen C also das laß ich mer net gefallen ich such mein recht un wenn=s C beim bundesverfassungsgericht ist- * oder sonstige dinge äh sich C sagen nich- * dann zahlen se vollends drauf denn so" viel- * wie C des kostet können sie aus dem verfahren niemals rausholen ç ** 20 C un=deswegen würde i"ch ihnen also ganz dringend folgendes empfehlen C daß man für die: - ** die zei"t- * wo ja tatsächlich was gemacht C worden is nur gefaulenzt haben wern sie ja wohl nicht auch wenn A2 äh darf ich da bitte noch was (einbringen) ich meine C sie des jetzt vielleicht (hören müssen) ne æ 25 A2 der herr may is von uns hervorragend bedient worden mit be"ster A2 arbeit ç * der herr may hat an u"ns verdient ç * wir haben als A2 angestellte sachen eingekauft im wert während der vier monate A1 (...) A2 von zweieinhalbtausend mark- * und der herr may hat uns zehn äh 30 A2 üblich ist daß angestellte æ * die sachen zum einkaufspreis A2 bekommen ç * wir ham zehn prozent ermäßigung bekommen das heißt A2 der herr may hat an u"ns fünfhundert mark- * verdient an unserm A2 einkauf ich mach da jetz grobe schätzungen kann da auch Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 523 Transkript Seite 20 01 A2 noch im einzelnen drauf eingehn ç * es is doch u"nvorstellbar ç A2 wi"r h/ herr frau may hat- C ja warum warum sin se dann net woanders hingegangen wenn ihnen C des jetz so weh tut also ich versteh das nicht ç * was wolln se 05 A2 ja ich möchte damit aufrechnen C denn da" wieder mit aufrechnen ç * A2 es geht doch äh ich hab de äh die einladung bekommen- * daß es zu A2 einer güter*einigung kommt und einer güterabwägung ç C +richtig ç 10 A2 +und die güter die wir äh da da muß ich doch meine güter ne"nnen ç A1 >gü"te ç < C nein des heißt güte"verhandlung nicht güte"rverhandlung ç A2 ja mei/ ja da muß ich auch noch die dinge- C güte aber nich- * das soll ne gütliche einigung 15 A2 ja ç C das gut die einigung besteht darin daß jeder bissel nachgibt ç * C ne æ * un der der herr may der bestreitet auch n taschengeld B ich hab kein C zugesprochen zu haben so jedenfalls versteh ich seine mimik- 20 B taschengeld zugesprochen ç C +war nix ne sagt er- * und daß der C insoweit würd ich ihn überreden wollen nich daß er da mal nachgibt C und sagt es sei ja auch das normalere nicht daß man da sich auf C so n betrag einigt und sie versuch ich mal von dem- * äh seh"r- * 25 C sehr hohen anspruchsdenken herunterzuholen æ * nur weil etwas nich C geklappt hat was s=ich gemeinsam vorgenommen haben daß sie den C a"nderen dann dafür gewissermaßen voll zur rechenschaft ziehn ç * C sie sin als gleichberechtigte partner auf sich zugegangen A1 >das war unser fehler ç * nichts schriftlich ç < 30 C und wollten eigentlich als kaufleute C mitnander einen dea"l machen ç * der hat aber nich geklappt ç * hn- A2 naja ich weiß nich ç das=s nich ç >richtig< C * pech ç * großes unglück ç * aber aber an sich C könn sie nur da"s beanspruchen was sie vertraglich auch vereinbart Eigenschaften gesprochener Sprache 524 Transkript Seite 21 01 C haben ç *2* wenn sie als aushilfe tä"tig gewesen wären ç * wie=s C in der klage steht- * dann sieht des a"nders aus ç * (selbst sie) C sagen doch auch sie: - * wollten sich einarbeiten um des geschäft C dann zu übernehmen ç * ja da investiert ma=n aller regel etwas ç 05 C und zum beispiel es is sehr sinnvoll zu investieren- * daß man C dann als arbeitnehmer hingeht- * weil zwei arbeitnehmer s geschäft C vielleicht gar nicht tra"gen kann ç ** weil die einnahmen viel C zu gering sind ç *6* wieviel warn denn die putzarbeiten is C sti/ trifft=en de"s zu daß die putzkräfte entlassen worden sind 10 A2 (stimmt doch nich) ç C weil- * die- * frau- * leopoldsich bereit erklärt A2 (...) C hat die putzarbeiten zu übernehmen ç ** oder wird das au"ch A1 >nee das geht nich das geht (...) wir ha"m (...)< 15 B das äh das putzen das putzen war einmalig- C bestritten ç A1 #was æ # K ENTRÜSTET A2 >des is unglaublich ç < B s is ei"nmal geputzt worden ç * ei"nmal 20 B ham sie geputzt des war alles ç bitte æ C in fünf fünf bis sechs wochen æ A1 (...) ich hab des geschäft- B ja ç * des war des war im januar C in fünf bis sechs wochen æ de=s aber 25 A1 (...) de=s unverschämt ç A2 >des is zu viel ç < C de=s aber für n reformhaus keine empfehlung hörn sie mal wenn A2 (...) B eben ç des war (...) 30 C so wenig geputzt worden ist ç ne ham sie net A1 nei"n (...) A2 (...) (...) B und äh da war mir schon C drum gekümmert herr may æ 35 B klar gewesen daß des mit dem- * jungen mann da net klappt ç * B daß des nischt der mann is- * den wir brauchen als nachfolger ç * B ich hab als ernährungs und diätberater- * en- * gu"ten ruf Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 525 Transkript Seite 22 01 B gehabt- * zu mir sin leute vom- * vom odenwald und von der pfalz A2 (...) B gekommen nicht wahr- * ich wollt ja nur drauf hinweisen ç * C hat damit nix zu tun mag sein- 05 B und ich habe- * erhofft und erwartet daß wir n nachfolger B bekommen- * der als ernährungs und diätberater- * die akademie B besucht- * und hier- ** das ablegt ç C +hätt ja noch dazu kommen B ja eben ç (...) 10 C können net warum denn net ç jaja aber das- A2 des stimmt nich was er da behauptet ç B er war nicht er hat nicht die f/ die fasten/ die die B möglischkeiten- * nischt wahr absolut nischt ç C +äh ich hab des 15 A2 >das stimmt alles nich ç < C gefühl daß sie daß sie >also (...)-< A1 <ich hab immer des geschäft gesaugt jeden tag hab naß gewischt> A2 des stimmt nicht ç A1 jede woche hab abgestaubt hab den müll rausgetragen aber- 20 A2 also des is net aber die C >mhm ç < A2 die die sachen die herr may sagt des is ni"cht zu fassen ç ** C ja also für mi"ch is des net so außergewöhnlich leute die im C prozeß stehen die: ham plötzlich n ganz andere: ganz andere- * äh 25 A2 >nee es is nicht zu fassen ç < B äh- * herr vorsitzender- * ich C sicht der dinge æ ** B möschte- * bitten- * daß sie im hinblick auf die äußerung B bezüglich meiner frau da gefallen sind daß meine frau eingehört 30 A1 wird dann auch frau abel B wird ç * denn das sti"mmt nischt ç C äh- A1 angehört ç A2 >hah des is doch ganz 35 C herr may äh dazu folgendes ich- A1 deine mutter hat (...) A2 uninteressant ç < C werde- * zeugen hörn hörn se Eigenschaften gesprochener Sprache 526 Transkript Seite 23 01 C doch mal bissel zu anstatt sich hier nur aufzuregen ç * A2 >des is doch auch verständlich ç < C å äh ich werde zeugen dann hören wenn ein C tatsachenvortrag kommt und die als zeugen benannt ist sind- * 05 C u"nd es für die entschei"dung auf die wahrheit oder unwahrheit C der behaupteten tatsachen a"nkommt ç * nur dann ç l * daran C fehlt=s noch meilenweit æ * äh wenn hier vorgetragen werden C so"llte æ * es ist das un jenes vereinbart un sie=s bestreiten und C äh die- * beiden ihre frau als zeugin benennen- * dann werd ich 10 C sie anhörn ç * aber äh täuschen sie nicht drüber hinweg für C vie: le- * å menschen ist der auftritt als zeuge vor gericht- * B also eins bezahl ich C n ziemlich aufregende angelegenheit ç l ** also mer B net das is die- 15 C sollten da net des- +nur aus rechthaberei oder oder äh: - * C gewissen kohlhaasschen gefühlen- * da jetzt alle möglichen leute B >ja-< C noch ins feuer schicken ne æ n bißchen bißchen niedriger A2 wenn ich jetz in n reformhaus 20 C >hängen das is auch- * besser ç < ** A2 reingeh dann spricht mich die- * der geschäftsführer an und sagt A2 was denn los gewesen is bei mays- * ich hätt mich unmöglich A1 stiefel mitgenommen die wir A2 aufgeführt und geklaut und <hätte>- 25 A1 geschenkt bekommen haben- A2 un hätte un hätte deswegen äh: - * A1 neue stiefel fehlen für zweihundertfünfzig mark- A2 entlassen werden müssen ç C +naja des wird aber noch schlimmer werden je länger der prozeß 30 C jetz dauert weil eine behauptung die nächste ablöst und äh- * die A1 aber ich hab noch eine frage C erbitterung wird größer und größer werden ç A1 der gero- * durfte seinen alten arbeitsplatz nach der kündigung A1 des lehrvertrags ni"cht mehr aufsuchen ç * dort stehen ein paar Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 527 Transkript Seite 24 01 A1 na"gelneue schnürstiefel für zweihundertfünfzig ma: rk- C ja richtig was is denn mit den A1 die kommen nicht mehr bei ç die B bitte æ also ç * 05 C schuhen ç was is denn mit den schuhen ç A1 steh"n da hinten ç ah B es: handelt sich darum ç * um en altes paar- * schuhe- A1 <die sind #neu: " ç ># * ich hab noch die quittung oben- * K HYSTERISCH A2 also so 10 A1 vom letzten jahr æ A2 ne- B so ç * wenn des neue schuh sin dann möcht B ich den nachweis haben ç des war- C nee moment herr (...) gehören ihnen die 15 A1 +ihm ç A2 mir gehören C schuhe oder gehören die äh der frau leopolddie A2 die ç C gehören dem herrn abel ç * wenn sie ihm gehörn dann <müssen sie 20 A1 die haben die niemals C rausgeben> könn doch net behalten ç * egal ob A1 gekauft ich hab die rechnung noch B ich hab doch gott ich hab doch die schuh C sie alt sind oder neu ç 25 B was soll denn mich die schuhe- * die eben en junger mann hat net A1 #ja" we"g mülltonne ç # K WÜTEND B wahr und wenn entsprechend lang gebraucht getragen C ja ja ç A1 (...) 30 B sin- * daß ich die zurückhalte ç * ich hab ja A2 (...) B ausdrücklich gesacht er soll seine ganzen- * sachen- * mitnehmen ç A1 nein ç B au"sdrücklich hab ich des gesagt ç 35 C +kann er se abholen- +gehen B nicht wahr ç C sie heut mittag ins geschäft un holen sie die A2 nei"n ç nei"n ç * ich weiß nicht ob ich sie jetz abholen kann herr B ausgerechnet- 40 C dinger ç Eigenschaften gesprochener Sprache 528 Transkript Seite 25 01 A2 may hat eben nur gesagt- * ich hätte meine sachen abholen können ç A2 *ich konnte sie abholen ç * ich bin äh mit meinem bruder in des A2 geschäft un da hat un hab gesagt wollt meine sachen holn da hat A2 herr may gesagt bitte sehr- * in den kisten steht alles drin ç 05 A1 an der tür ç A2 nehmen sie sie ç B +von den von den schuhen hab isch gar B nichts gewußt æ C >gut ja ç < * kann er die schuhe jetzt abholen ç ** 10 B des des wir hawwe k/ alles durchgschaut s is nicht mehr zu sehn ç * A1 l er hatå wir B ich muß also annehmen er hat=s mitgenommen ç * A1 durften doch nichtwir durften nicht A2 ich konnt sie nicht mitnehmen ç 15 B ich weiß es nischt ç A1 also (...) B wir wissen=s nicht ç was sollen wi"r denn mit so n paar B schuhen anfangen ç is ja zum la"chen is ja des ç C s richtig ja ich weiß es auch nicht ç 20 A1 (...) A2 ja aber i"ch habe- B so ne behaupte/ so so n ding da stellen A1 (...) <geschenkt B aber von uns hat er en neues paar schuhe- * #solche K ZEIGT AUF ABELS SCHUHE 25 A1 bekommen von ihrer frau ç > B schuhe-# die hundertachtzig und zwo"hundert K A1 ach ç B mark des hat meine frau ni"cht gemacht ç * hat er einfach A1 ach gott ich kann=s nicht fassen ç 30 B angezogen ç ohne zu fragen vorher ç C ja ç A1 ja ja ç A2 +also ich mein mein bruder is- B das is sein charakter ç 35 C gut also C bevor wir hier noch weiter rum ich glaube daß ich ihnen nich C helfen kann ç * laß mer=s laufen ç * machen sie ihrn streit ç * A1 ja aber wo komm wo komm bekomm wir jetz unseren neuen schuh für Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 529 Transkript Seite 26 01 A1 zweihunnertfünzig mark her ç die sind weg ç C >ich weiß es nicht ç < A2 ich habe herr may hat mich äh ich habe- C also wenn wenn wennwenn die 05 A1 aber- C gegenseite bestreitet die schuhe zu ha"ben müssen sie A1 die mü"ssen dort sein <sie warn nicht C beweisen daß sie sie #ha"t-# K MIT SEHR HOHER STIMME A1 in den kisten æ > 10 C ah stelln sich vor sie könnten st/ stellen sich vor A1 nei"n ç C sie würden behaupten der hätte ihren mercedes in der garage und A1 <aber ist aber ist es üblich daß wenn man seine C er hat en nicht (...) 15 A1 sachen holt am a"rbeitsplatz bei dem man entlassen worn is- * A1 daß man den alten platz nicht mehr aufsuchen da"rf æ * er durfte A2 ich hab herr may A1 nicht mehr hin ç > A2 gebetenanna laß mich doch mal- 20 B is ja dummes zeug ç K UNTERBRECHUNG DURCH KASSETTENWECHSEL A2 (...) was äh liegen hab oder des des- * der herr may hat A2 gesagt- * ich hab ihnen in die geschichten die kisten A2 alles eingepackt- * hinten ist nichts mehr- * verlassen A1 ja ç * der bruder war dabei ç * da geh"t man und 25 A2 sie das geschäft ç A1 hat man ja auch angst ç rausschmiß ç B un ichun ich persönlich C ah is ja klar ç A1 und zwei"mal bei meiner mutter angerufen wir sollen 30 B hab von den schuhen gar nix gewußt ç A1 die kist/ die sachen abholen ç A2 (...) C also jetz bitt ich sie um eins bevor C hier noch n herzinfarkt passiert- * äh un gucken sie zuhaus 35 C nomal na"ch ob n paar schuhe rumstehn die mit ihnen nicht A2 (...) C gehörn- * nicht und äh und in drei tagen kommt er vorbei und holt Eigenschaften gesprochener Sprache 530 Transkript Seite 27 01 B (...) C die dinger ab å es is doch lä"cherlich- * für erwachsene B ach- C menschen darüber ernsthaft zu streiten ç l es gibt doch 05 B ja ja und herr C wohl n bissl wichtigeres als gerade n paar schuh egal ob B vorsitzender ç herr vorsitzender ç * wir haben- * nachdem die C neu oder alt ç B äh des die klage da gekommen is zu mir- * hab ich zu meiner 10 B frau gsagt was is denn mit den schuhen da- * wir ham a"lles B durchgschaut ç * ni"cht zu finden ç * und wi"r ham keine C (...) A1 des- B weder meine frau noch ichhaben da an so was äh: - * in/ 15 B interesse ç ** ja ç C klar könnt ich mir au=net denken wozu ç C sicher ç ** >klar schon soweit< okay also äh- *2* #ergeht folgender K VERSCHLUCKT C beschluß termin# zur verhandlung vor der kammer wird bestimmt ç K EINZELNE SILBEN DIESER ROUTINEFORMEL C #*5* auf- *3*# freitag ç ** den siebzehnten mai K BLÄTTERT IM KALENDER 20 B siebzehnter fünfter ç C neunzehnhundertachtundachtzig ç * vormittags elf uhr fünfzehn ç A1 >schreibst du=s auf æ < A2 >ich hab B siebzehnter fünfter ja æ 25 C jawoll- A1 ich hab auch nix zu schreiben ç *4* A2 nix zu schreiben da ç < A1 nen zettel ç *5* K PROTOKOLLANTIN GIBT IHNEN BLEISTIFT UND ZETTEL B welche uhrzeit herrelf uhr fünfzehn ç 30 C zweitenself uhr fünfzehn ç A1 siebzehnter fünfter æ * C zweitens ç dem kläger wird aufgegeben- *5* C den tats/ *na*sachenvortrag im einzelnen unter bewei"santritt C entsprechend dem heute in der güteverhandlung geäußertem- * 35 C zu ergänzen und zu korrigiern ç *5* frist hierfür- ** dritter Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 531 Transkript Seite 28 01 C fünfter ç ** der beklagte soll hierauf erwidern- ** bis- * zum- * A2 >des is doch net möglich ç < B von meiner C elften fünften ç *2* achtunachtzig æ ** 05 B seite ç C ja ç * viertens ç ** im hinblick auf den tatsachenvortrag- A1 >(...)< C ** daß ein taschengeld- * vereinbart worden ist- *3* und C die"s angesichts der gsamtumstände auch nicht unplausibel 10 C erscheint- * >nicht total unplausibel-< verpflichtet sich C schlägt das b/ äh gericht- * vor sich wie folgt zu vergleichen- * A2 >die putzfrau hat=s (...)< C der beklagte- * zahlt an- * den kläger C abel und die klägerin leopold- * für- * die zeit- *2* der- ** 15 C anführungszeichen beschäftigung anführungszeichen- * ein C taschengeld in höhe von d. m. *3* sechshundert- *6* und an die C klägerin leopold- * für putzarbeiten- * zusätzlich d.m. A2 (...) (...) (...) C dreihundert ç *3* paragraph zweiübrigens damit is der- * 20 A1 die schuhe- C rechtsstreit erledigt die verfahrenskosten wern gegeneinander A1 des is n- C aufgehoben ç mein vorschlag geb ich ihn mit überlegen C s=es und besprechen s=es mit freunden- * oder anwälten oder 25 C gewerkschaftssekretären oder wen immer sie für kompetent halten ç * A1 darf ich noch was sagen æ gut äh- ** der C möchten ç * bitte sehr ç A1 wert der schuhe die sind noch die ham wir ni"cht bekommen in den A1 kisten ich hab die kisten ausgepackt- * die schuhe warn nicht drin ç 30 A1 was bekomm ich denn da ç * >wie komm-< C frau leopold ich will=s ihnen ← e: benso gerne glauben ç A1 aber wie wie komm ich an die neuen- A2 (...) C wie ich verpflichtet bin dem herrn may zu glauben er habe au"ch 35 C alles durchgeguckt- * und habe sie ni"cht gefunden ç ich habe Eigenschaften gesprochener Sprache 532 Transkript Seite 29 01 A1 >mhm ç < C kei"ne veranlassung- * hier und heute ç einer partei von A1 ja ç mhm sicher ç C ihnen mehr- oder weniger zu glauben ç l das müssen sie 05 A1 ja des is klar ç C einfach mal annehmen ç * und wenn die schuhe dort sind was ja C sehr gut möglich ist nicht- * und es wird bestritten müssen sie=s C nach allgemeinen zivilprozessualen grundsätzen beweisen ç A1 mhm ç (...) 10 C führt kein weg dran vorbei ç auch wenn sie=s no"ch so C innerlich umtreibt ç * so is=es halt einfach ç ** aber besser wär=s A1 gelassener C wenn sie n bissel- * versuchen=s gelassener zu sehn ç A1 wir ham en dreiviertel jahr in unserm leben zum e"rsten mal 15 A1 (...) C gelassener deswegen weil die aufregung ihnen nicht hilft C sondern nur schadet ç * un=daß sie anlaß haben zum ä"rger- * das C glaub ich schon des nehm ich auch dem herrn may ab ç * des i"s A1 ja als student lebt man halt zufällig von- 20 A2 nee nee ich seh des anders ç * äh C ärgerlich (...) A2 (wir ham)- C >ja das glaub ich daß sie=s anders sehn des glaub ich ç < * C natürlich sehn sie=s anders sie sin doch der betroffene ç ** 25 A2 wir sind getäuscht worden ç C gut also äh überlegen=s sich das und sehn uns denn wieder- C * der kammertermin- * vielleicht auch wenn sie beide die C zustimmungserklärung zu dem vergleichsvorschlag abgeben denn A2 >des letzte 30 C sehn wir uns nicht mehr des wäre auch ganz gut ç ** A1 wenn (...) A2 hab ich net verstanden ç < C ich hab ich hab ihnen dieses protokoll C was sie zugeschickt kriegen wo die terminsbestimmung einen 35 C vergleichsvorschlag gemacht den sie den ich sie bitte sich mal Anhang II: Transkript „Gegen Gotteslohn“ 533 Transkript Seite 30 01 A1 >ja ç < C zu überle"gen ç * ne æ * da sollen sie sechshundert mark C taschengeld kriegen für die zeit und sie noch zusätzlich C dreihundert mark für die putzarbeiten ç * sie brauchen des net 05 A1 (...) C zu akzeptiern is n vorschlag von mir mhm æ * sie können auch C stattdessen sagen ich will ne millio"n haben des is völlig legitim C sie können a"lles verlangen ç * bloß ob s=es krie"gen ç * de=sch e C andere frag ç ** so" jetz ham wer aber viel zeit aufgewendet ç 10 C #<in der sache (...)# K RUFT NÄCHSTEN FALL AUF Anhang III Verwendete Korpora und Transkriptionskonventionen 1. Verwendete Korpora des Instituts für Deutsche Sprache Gesprächskorpora BG Beratungsgespräche-Korpus DSK Dialogstrukturen-Korpus FKO Freiburger-Korpus GF Gespräche im Fernsehen PFE / BRD Pfeffer-Korpus BRD PFE / DDR Pfeffer-Korpus DDR PFE / SUI Pfeffer-Korpus Schweiz MA Stadtsprache: Mannheim SG Schlichtungs- und Gerichtsverhandlungen Textkorpora BZK Bonner Zeitungskorpus FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung HBK Handbuchkorpora 1985-1988 IKO Interviewkorpus MMM Mannheimer Morgen SPIEGEL Der Spiegel 1993-1994 TAZNEO die tageszeitung 1991-1998 ZEIT Die Zeit 1995-1997 Eigenschaften gesprochener Sprache 536 2. IDS -Transkriptionskonventionen ja |aber | simultane Äußerungen stehen übereinander; Anfang und |nein nie|mals Ende werden auf den jeweiligen Textzeilen markiert | l herr huber| Synchronisationssymbol in Simultanpassagen mit mehr | ver\such | als zwei Beteiligten, um in einer anderen Sprecherzeile | ja | den Anfang oder das Ende von simultan Gesprochenem zu markieren + unmittelbarer Anschluss/ Anklebung bei Sprecherwechsel * kurze Pause (bis max. ½ Sekunde) ** etwas längere Pause (bis max. 1 Sekunde) *3,5* längere Pause mit Zeitangabe in Sekunden *4: 30* lange Pause mit Zeitangabe in Minuten und Sekunden = Verschleifung (Elision) eines oder mehrerer Laute zwischen Wörtern (z.B. sa=mer für sagen wir ) / Wortabbruch (... ...) unverständliche Sequenz (drei Punkte = Silbe) (...2,5) unverständliche längere Sequenz mit Angabe der Dauer (war) vermuteter Wortlaut (gunst? kunst) Alternativlautungen æ steigende Intonation (z.B. kommst du mit æ ) ç fallende Intonation (z.B. jetzt stimmt es ç ) schwebende Intonation (z.B. ich sehe hier- ) ææ Echofrage " auffällige Betonung (z.B. aber ge"rn ) : auffällige Dehnung (z.B. ich war so: fertig ) Anhang III: Verwendete Korpora und Transkriptionskonventionen 537 å immer ich l langsamer (relativ zum Kontext) l immerhin å schneller (relativ zum Kontext) >vielleicht< leiser (relativ zum Kontext) <manchmal> lauter (relativ zum Kontext) LACHT Wiedergabe nichtmorphemisierter Äußerung auf der Sprecherzeile in Großbuchstaben IRONISCH Kommentar zur Äußerung (auf der Kommentarzeile) QUIETSCHEN nicht-kommunikatives (akustisches) Ereignis in der Gesprächssituation (auf der global. Kommentarzeile) [...] Auslassung in Transkripten (ggf. mit näheren Angaben zum Umfang o.Ä., Erläuterung auf der Kommentarzeile) 3. GAT -Transkriptionskonventionen Sequenzielle Struktur [ ] Überlappungen und Simultansprechen [ ] = schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Turns oder Einheiten und=äh Verschleifungen innerhalb von Einheiten : , : : , : : : Dehnung, Längung, je nach Dauer äh, öh Verzögerungssignale, sog. „gefüllte Pausen“ ’ Abbruch durch Glottalverschluss Eigenschaften gesprochener Sprache 538 Pausen (.) Mikropause (-), (--), (---) Pausen von ca. 0.25 - 0.75 Sek.; bis ca. 1 Sek. (2.0) geschätzte Pause, bei mehr als ca. 1 Sek. Dauer (2.85) gemessene Pause Ein- und Ausatmen .h, .hh, .hhh Einatmen je nach Dauer h, hh, hhh Ausatmen je nach Dauer Lachen so(h)o Lachpartikel beim Reden haha hehe hihi silbisches Lachen ((lacht)) Beschreibung des Lachens Rezeptionssignale hm, ja, nein, nee einsilbige Signale hm=hm, ja=a zweisilbige Signale nei=ein, nee=e ’hm’hm mit Glottalverschlüssen, meist verneinend Anhang III: Verwendete Korpora und Transkriptionskonventionen 539 Akzentuierung akZENT primärer Akzent bzw. Hauptakzent akzEnt sekundärer Akzent ak! ZENT! extra starker Akzent Tonhöhenbewegung am Einheitenende ? hoch steigend , mittel steigend - gleichbleibend ; mittel fallend . tief fallend Lautstärke- und Sprechgeschwindigkeitsveränderungen <<f> > =forte, laut <<ff> > =fortissimo, sehr laut <<p> > =piano, leise <<pp> > =pianissimo, sehr leise <<all> > =allegro, schnell <<len> > =lento, langsam <<cresc> > =crescendo, lauter werdend Eigenschaften gesprochener Sprache 540 <<dim> > =diminuendo, leiser werdend <<acc> > =accelerando, schneller werdend <<rall> > =rallentando, langsamer werdend Sonstige Konventionen ((hustet)) para- und außersprachliche Handlungen u. Ereignisse <<hustend> > sprachbegleitende para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse mit Reichweite <<erstaunt> > interpretierende Kommentare mit Reichweite ( ) unverständliche Passagen je nach Länge (solche) vermuteter Wortlaut al(s)o vermuteter Laut oder Silbe (( )) Auslassung im Transkript l Verweis auf im Text behandelte Transkriptzeilen Auffällige Tonhöhensprünge æ nach oben ç nach unten Verändertes Tonhöhenregister <<t> > tiefes Tonhöhenregister <<h> > hohes Tonhöhenregister Anhang III: Verwendete Korpora und Transkriptionskonventionen 541 Intralineare Notation von Akzenttonhöhenbewegungen `so fallend ´so steigend ØVR gleichbleibend ˆso steigend-fallend ßVR fallend-steigend æ ` kleiner Tonhöhensprung hoch zum Gipfel der Akzentzeile ç ´ kleiner Tonhöhensprung herunter zum Tal der Akzentsilbe l ` Tonhöhenanschluss auf gleicher Tonhöhe Sachregister Abstraktion (von der Praktikengebundenheit) 16-20, 108, 124, 126, 128 Äußerung 189-191 Äußerungseinheit 185-189 Augment/ Sprechhandlungsaugment 167, 191, 193, 208, 212, 217, 256, 260 Auswirkungen (der Grundbedingungen) 81-98 Basiseinheiten, syntaktische 195-196 Bezugspunkt (der Kommunikation) 556, 69, 70, 74, 80, 81, 92-94 Brackets 28, 255, 256, 260 Einheiten, funktionale 204-237 Flüchtigkeit 20, 45, 48, 54-59, 78, 80, 81-86, 96, 159, 239 Gambits 254-256 Gegensatzoperatoren 424-457 Gegenstandsbestimmung, medial-extensionale 21, 50-53 Gegenstandsbestimmung, prototypisch-graduierende 21, 50-52 Gelenkfunktion (des Operators) 86, 243, 259, 261, 278-282, 434 Geltungsoperatoren 277, 383-424, 460, 463-466 Gemeinsamkeit (der Situation) 28, 40, 54-56, 63-68, 73-80, 81, 88, 90, 91 Geräte, technische 47, 54-56, 59, 63-66, 88, 126-129 Gesprächsbeitrag/ Beitrag 68, 79, 174, 191, 197, 200-204, 204-237, 300, 392 Gesprächsformeln, äußerungskommentierende 28, 256, 257 Gesprächsforschung 7, 31, 43, 44, 83, 87, 92, 165 Gesprochene-Sprache-Forschung 7, 13, 30, 42, 96, 165, 253 Eigenschaften gesprochener Sprache 544 Grundbedingungen (mündlicher Kommunikation) 53-72 Handlung, sprachliche/ kommunikative 182-185 Handlungstyp, Verdeutlichung des ~s 262-263 Herausstellung 167-172 Homogenisierung 107-109, 140, 157, 158 Institutionalität 56, 57, 70-71, 72-76, 80, 81, 94 Interaktivität 23, 27, 40, 44, 54, 56, 64, 68-69, 73, 74, 78, 80, 81, 83, 88, 91-92, 104, 165-168 Intonation unit 192-193 Kategorien (Analyse- und Beschreibungs-) 8, 25-27, 45, 157-173 Konnektoren 28, 258-260, 387, 411, 425 Konservierung 46, 47, 55, 59 Konventionen (offene Systeme von ~) 150-153 Kopräsenz (der Parteien) 54, 56, 63-64, 67, 68, 73, 74, 76, 81, 88, 165 Kraft, projektive/ Projektionskraft 207, 208, 214, 217, 218, 247-250, 258, 306, 346, 359, 378, 430 Kurzlebigkeit 22, 56, 58-59, 61, 78, 80-82, 83, 96 Linksherausstellung(en) 169, 170-172 Medium 21, 77, 110, 117-118 Merkmallistenkonzept 146 Multimodalität (mündlicher Verständigung) 54-56, 64, 66-68, 74, 76, 80, 81, 88, 89, 91 Operator 250-252, 271-283, 283-310 Operator, insertiert 271-275, 277, 244, 278, 340, 350, 352, 359, 373, 463 Operator, nachgestellt 244, 271, 273, 275, 278, 340, 342, 350, 352, 356, 438, 463 Sachregister 545 Operator, Position des ~s/ Stellungseigenschaften 271-278 Operatorenliste 489-502 Operator-Skopus-Struktur(en) 239-467 Operator-Skopus-Struktur(en), in geschriebener Sprache 461, 465, 466 Partei(en) 41, 53-57, 61-74, 81, 87-88, 90, 91, 100, 378-382, 411, 439 Performanz-/ Gebrauchskonzept 139-141 Praktik(en), kommunikative 16, 21, 45, 53, 56, 57, 61-73, 81, 87, 91, 94, 99-104, 126, 137, 138, 158, Primat (gesprochener Sprache) 35, 41, 50 Produktorientierung 26, 172 Prototypisierung 107-108, 157, 158 Prozessorientierung 26-27 Rede 12, 15, 26, 32-34, 40, 50, 56, 79, 107, 121, 141, 169, 253, 270, 273, 291, 434, 451, 466 Referenz-Aussage-Struktur(en) 170-171, 219, 236, 299-301 Relation(en) (zwischen Äußerungen), Verdeutlichung der ~ 266-271 Rhetorik 32-36, 429 Satz 175-181 Schriftlichkeitsbias/ written language bias 25, 43, 45, 49, 158 Schriftlichkeitsforschung 31, 42-44, 125, 126 Skopus 296-310 Sprachbewusstsein, gesellschaftliches 15, 24, 25, 45, 49, 158-165, 173/ 174 Sprache, gesprochene 11-28 Sprachsystem 118-125 Status, kommunikativer (Verdeutlichung des ~) 262, 265-266 Eigenschaften gesprochener Sprache 546 Status, mentaler (Verdeutlichung des ~) 261, 263-264 Stil(konzept) 147-149 Talk unit 193-194 Technisierung (der Kommunikation)/ Kommunikation, technisierte 46, 126-129 Thematisierung-Aussage-Strukturen 299, 300 Transkriptionskonventionen 535-542 Transkriptionssystem(e) 47-48 Turn 197-200 Varianz (gesprochener Sprache) 129-156 Varianten (gesprochener Sprache) 12, 130, 136-139, 150, 245 Varietät(enkonzept) 124, 142-145, 149 Verbalisierungs- und Thematisierungsrecht(e) 56, 71, 73, 74, 81, 94-95 Verbalitätsorientierung 107, 109 Vergleich 12, 18, 24, 25, 35, 42, 44, 72, 97, 110-116, 122, 138, 143, 148, 149, 157, 176, 291, 313, 390, 393, 454, 456 Verstehensanweisung(en)/ -anleitung(en) 242-243 Verstehensanweisung(en), Klassifikation der ~ 261-271 Vorformuliertheit (von Beiträgen) 56, 72, 74, 81, 95 Vor-Vorfeld(besetzung/ en) 242, 258, 276, 277, 287, 293, 322, 325, 385-388, 390, 391, 393-397, 402, 413, 417-424, 446, 452, 460 Wechselseitigkeit (der Wahrnehmung) 23, 56, 64-66, 68, 73-76, 80, 81, 89-91, 165 written language bias/ Schriftlichkeitsbias 25, 43, 45, 49, 158 Zäsurierung 196-197 Zweigliedrigkeit (der Operator-Skopus-Struktur) 244-246 ISBN 3-8233-6027-2 Das Buch reflektiert die Entwicklung der Erforschung gesprochener Sprache in den letzten 30 Jahren und erarbeitet auf dieser Grundlage eine eigene theoretische Konzeptualisierung des Gegenstandes. Zunächst wird die Spezifik mündlicher Kommunikation und gesprochener Sprache charakterisiert. Dazu werden die Grundbedingungen mündlicher Verständigung herausgearbeitet und in ihrem Einfluss auf die Ausbildung kommunikativer Verfahren und sprachlicher Mittel beschrieben. Der zweite Teil behandelt die methodologische Frage, ob und inwieweit die Untersuchung gesprochener Sprache spezifische Analyse- und Beschreibungskategorien erfordert. Dabei wird insbesondere das Problem der Einheiten in gesprochener Sprache diskutiert. Die empirische Untersuchung und theoretische Modellierung einer bestimmten grammatischen Konstruktion, der Operator-Skopus-Struktur, die in den letzten Jahren in der gesprochenen Sprache stark expandiert, stehen im Zentrum der exemplarischen Analysen des Schlussteils.