Sprechstile in Videospielen: Am Beispiel der deutschen Produktion Risen 2


Masterarbeit, 2012

127 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Sprache aus wissenschaftlicher Perspektive
2.1. Wirkung von Sprache auf den Hörer
2.2. Wichtige Faktoren bei der Bildung und Beeinflussung eines Sprechstils
2.3. Besonderheiten und Einschränkungen bei virtuellen Sprechstilen

3. Videospiele im Wandel
3.1. Die Anfänge der Videospiele
3.2. Bedeutung sprachlicher Mittel für den virtuellen Raum
3.3. Technische Neuerungen und Ausblick

4. Risen 2 im Fokus
4.1. Vorstellung des Titels
4.2. Die wichtigsten Charaktere
4.2.1. Chani
4.2.2. Di Fuego
4.2.3. Jaffar
4.2.4. Sebastiano
4.2.5. Stahlbart

5. Untersuchung
5.1. Analyse der Sprechstile
5.1.1. Aufbau der Analyse
5.1.2. Durchführung
5.1.2.1. Chani
5.1.2.2. Di Fuego
5.1.2.3. Jaffar
5.1.2.4. Sebastiano
5.1.2.5. Stahlbart
5.1.3. Umgang mit den Nachteilen virtueller Darstellung
5.1.4. Umsetzung von Emotionen
5.1.4.1. Arbeitsdefinition Emotion
5.1.4.2. Beobachtungen im Spiel
5.2. Analyse exemplarischer Aufnahmen mit Praat
5.2.1. Aufbau der Analyse
5.2.2. Ergebnisse
5.3. Theorie zur Sprecherzuweisung

6. Abgleich der Ergebnisse anhand eines Interviews mit einem Entwickler
6.1. Vorstellung Interviewpartner
6.2. Interview
6.2.1. Sprecher und Allgemeines
6.2.2. Videospiel und Technik
6.2.3. Persönliches
6.3. Zusammenfassender Vergleich

7. Schlusswort

8. Quellenverzeichnis und Anhang
8.1. Literaturverzeichnis
8.2. Abbildungsverzeichnis
8.3. Analysebögen
8.4. Interviewfragen
8.5. Sinngemäßes Protokoll des Interviews mit Mattias Filler

1. Einleitung

Seit es die ersten Computer gibt, gibt es auch Videospiele. Was 1946 an raumfüllenden Rechnern nur wenigen beteiligten Wissenschaftlern vorbehal- ten war, begeistert inzwischen viele hundert Millionen Spieler auf der ganzen Welt. Natürlich haben sich die Spiele parallel zu der Weiterentwicklung der Hardware ebenso verändert und an Komplexität stets zugenommen. Wäh- rend das erste namentlich bekannte Spiel OXO, besser bekannt als Tic-Tac- Toe, nur eine simple Darstellung eines Rasters mit neun Feldern war, auf de- nen zwei Spieler sich mit X und O duellierten, bis einer eine Reihe komplet- tiert hatte, erleben Spieler 2012 ganze Romane in interaktiver Form. Die Ab- grenzung zwischen Realität und Spiel ist längst nicht mehr derart deutlich wie früher. Durch gezielten Einsatz von Emotionen und audiovisuellen Mitteln erreichen die Titel der letzten zwanzig Jahre immer mehr Spieler auch auf einer intimen und emotionalen Ebene.

Erreicht wird dies vor allem durch die Vermischung menschlicher Interaktion mit den Spielfiguren. Das betrifft die grafische Darstellung der Charaktere, die Außenwelt der Spiele und seit vielen Jahren auch die sprachliche Ausdrucksweise der Figuren. Moderne Spiele schaffen es, dem Spieler ein realistisches Umfeld zu bieten, welches mit sozialen Zusammenhängen, politischen Auseinandersetzungen und oftmals übernatürlichen Geschehnissen eine spannende und aufregende Parallelwelt schafft.

Die Sprache spielt hierbei seit vielen Jahren eine zentrale Rolle. Wortwitz, äußerlich unsichtbare Charaktereigenschaften, Hierarchie-Gebilde und emo- tionale Signale werden dem Spieler über Dialoge, Monologe und Erzähler- stimmen vermittelt. Anders als bei Filmen oder realen Personen jedoch, kämpfen Videospiele auch heute noch mit gewissen Einschränkungen. Trotz zahlreicher Errungenschaften auf dem Gebiet der realistischen Darstellung ist ein Spiel eben nur ein Spiel. Die gezielte Vermittlung von Gefühlen, Inten- tionen und Informationen ist trotz der fortschreitenden Entwicklung mit realen Unterhaltungen nicht vergleichbar. Die Künstlichkeit der Figuren und ihrer Interaktionen ist immer noch sichtbar. Um den Spieler dennoch zu erreichen und ein möglichst glaubhaftes Szenario zu kreieren, bedarf es also großer Mühe seitens der Entwickler.

Die Auswahl der Stimmen für einzelne Spielcharaktere ist daher neben der grafischen Darstellung von größter Bedeutung für eine moderne Spielwelt. Sofern die audiovisuelle Erfahrung also unbefriedigende Ergebnisse hervorruft, ist der Titel in seinem Vorhaben gescheitert, den Spieler mit auf eine Reise durch abenteuerliche Welten zu nehmen.

Die vorliegende Arbeit wird unter diesem Aspekt die deutsche Produktion Ri sen 2 untersuchen und den Schwerpunkt auf die Analyse der Sprechstile ausgesuchter Charaktere legen. Nach der Erarbeitung einer wissenschaftlichen Perspektive der menschlichen Sprache und einer Untersuchung von Möglichkeiten und Problemen virtueller Darstellung, folgt eine Betrachtung der Geschichte der Videospiele und heutiger technischer Hilfsmittel.

In der anschließenden Vorstellung des Titels Risen 2 und der ausgesuchten Charaktere, deren Stimmen in der nachfolgenden Analyse behandelt werden, werden Persönlichkeitsprofile erstellt, die später dabei helfen sollen, die je- weiligen Sprechstile nach abgeschlossener Untersuchung zu bewerten. Die Untersuchung selbst wird unter Berücksichtigung eines Musters von Sendlmeier, einer Differenzierungstabelle nach Ekman/Friesen und eines Ka- talogs von Miosga versuchen, die einzelnen Sprecher, das Zusammenspiel virtueller Gestik und Mimik und die Umsetzung von Emotionen im Spiel nach ausgesuchten Kriterien zu bewerten. Der anschließenden Bildung einer The- orie über mögliche relevante Sprechereigenschaften im Zusammenhang mit den Spielcharakteren folgt ein ausführliches Gespräch mit einem haupt- verantwortlichen Entwickler des Spiels.

In einem Vergleich der Ergebnisse aus den theoretischen Beobachtungen mit den Erfahrungen eines Entscheidungsträgers bei der Findung passender Sprecher soll es das Ziel der Arbeit sein, die Entwicklung von Sprechstilen in Videospielen und die Probleme virtueller Übertragung von reellen Erfahrungsmomenten aufzudecken.

Abschließend soll ein Ausblick in die nahe Zukunft der Softwareentwicklung gegeben und Ansätze für Lösungen aufgedeckter Probleme im Zusammenhang mit Charakterbildung im virtuellen Raum genannt werden.

2. Sprache aus wissenschaftlicher Perspektive

2.1. Wirkung von Sprache auf den Hörer

„ Die Möglichkeit, dem Gesagten durch die Sprechmelodie und den Klang der Stimme einen bestimmten Ausdruck zu verleihen, hebt die gesprochene Sprache von der Schriftsprache hervor. Die gesprochene Sprache erfüllt mehr kommunikative Funktionen als die nur rein linguistischen. Diese Mög- lichkeit ist gleichzeitig Notwendigkeit, denn ein Sprecher kann gar nicht ver- hindern, dass mit jederÄußerung auch Informationenüber ihn selbst preis- gegeben werden. “ 1

Kommunikation zwischen Menschen ist ein komplexer Vorgang. Zwar ist der Sprechvorgang an sich durch einfache physikalische Prozesse erklärbar, a- ber die Wahrnehmung der Angesprochenen variiert stark. Ein Sprechstil selbst ist per Definition erst dann als solcher zu bezeichnen, wenn neben der natürlichen Lautproduktion auch ein sprachlautgeprägter und hirngesteuerter Vorgang, welcher komplexe Informationen und/oder Emotionen vermittelt, vorzufinden ist.2 Eine Vielzahl bewusster und unbewusster Faktoren, in der Gesamtheit unter den Begriffen Prosodie, Phonation und Artikulation gefasst, sorgen dafür, dass wir Sprache nicht nur als rein informativen Akt wahrneh- men, sondern in uns zahlreiche Gefühle unterschiedlichster Art geweckt wer- den, abhängig vom Sprechstil des Gegenübers. Diese verbalen, paraverba- len und extraverbalen Mittel sind es, die die letztendliche Wahrnehmung des Sprechers definieren. Wie Walter Sendlmeier im obigen Zitat von mehr kommunikativen Funktionen spricht, ist es auch eine damit einhergehende Verantwortung des Sprechers, die Absichten hinter einer Aussage korrekt zu vermitteln. Bei sprachlichen Besonderheiten wie Ironie, Sarkasmus oder Witz ist die Gefahr daher ausgesprochen hoch, bei falschen Signalen des Spre- chers, die erzielte Wirkung zu verfehlen oder im schlimmsten Fall umzukeh- ren. Die Prosodie bestehend aus Komponenten wie Akzent, Intonation, Tem- po und Rhythmus, den Merkmalen Stimmqualität, Tonhöhe, Lautstärke, Lautdauer und Sprechpausen3, sowie körpersprachliche Ausdrucksformen wie Gestik, Mimik, Haltung, Augenkontakt, Körperkontakt und Proxemik, spielen je nach Situation eine wichtigere Rolle als der Inhalt des Gesagten. Den Einfluss auf den Hörer nennt man auch paralinguistischen Effekt, also ein Effekt neben der Sprache selbst.

Die genannten Merkmale bestimmen am Ende mit mehrheitlichem Anteil, wie etwas Gesagtes aufgefasst wird. Die Stimmqualität wird unterteilt in den Stimmklang, das heißt ob die die Stimme klar, knarrend, verhaucht, flüsternd, rau, gespannt oder gepresst ist, in Register, also Merkmale, die durch ver- schiedene Masse- und Spannungsverhältnisse in den Stimmlippen zustande kommen, Stimmeinsatz und -absatz, sprich dem stimmlichen Ausdruck bei Anfang und Beenden des Sprechens und die Klangfarbe, welche durch Attri- bute wie dunkle oder helle Farbe, nasale, knödelnde, sonore Färbung oder klangvolle und klangarmen Ausdruck unterschieden wird.

Die Stimmhöhe wird eingeteilt in Eigenschaften wie fordernd, winselnd oder grummelnd. Dies überschneidet sich in vielen Punkten mit der Lautstärke, da diese ebenso unterteilt wird in schreiend, flüsternd, murmelnd, und rufend. Die Lautdauer spielt bei der Bildung eines paralinguistischen Effekts ebenso eine Rolle. Sie ermöglicht einen Effekt durch das Deutlichkeitsniveau, also die Präzision der Artikulation, einen Deutlichkeitswechsel bei besonderer Hervorhebung auf globaler oder lokaler Ebene, Lautbindung und Lautungsstufe, also zum Beispiel einem Dialekt.

Die Effekte sind derart bedeutungstragend für die Wahrnehmung eines Spre- chers, dass einzelne Mittel erweitert unterschieden werden können. Die Va- rietät wird beispielsweise unterteilt in eine diatopische, also geographischen Ebene, eine diastratische Ebene, welche in Bezug auf die Gesellschafts- schicht steht, eine diaphasische Ebene mit Bezug auf die Intention des Spre- chers und eine diasituativen Ebene, also einer situationsabhängigen Varietät.4

Geschwindigkeit und Pausen sind für das Gesagte ebenso bedeutungsträch- tig. Durch Pausen, die gemessen werden am Anteil an der Gesamtsprech- zeit, der Dauer, Häufigkeit, Position, Aktivität und der Art, ändert sich die Ü- bermittlungsgeschwindigkeit der Inhalte entweder in eine positive Richtung, sprich die Nachvollziehbarkeit bei komplexen Inhalten wird erleichtert, oder eine negative Richtung, in der ein Sprecher das Interesse eines Zuhörers verliert.

Konkrete Untersuchungen zu Wirkung von Sprache auf den Hörer führte Sendlmeier im Jahr 2005 durch. Mittels einfacher Beobachtung von Hörerre- aktionen auf diverse Aufnahmen stellte er fest, dass Hörer in der Lage sind, schnell zwischen positiven und negativen Absichten zu unterscheiden. In einer Reihe von auditiven Analysen war zu beobachten, dass „ positiveÄußerungen in einer stark erhöhten Stimmlage gesprochen werden und mit großer Tonhöhenvariation. “ Bei negativen Aussagen, so die Ergebnisse, sei „ die Häufigkeitsverteilung sehr schmal [...], da hier kaum höhere Tonlagen vorkommen.5 Interessant für die Gesamtwahrnehmung von Sprechausdruck ist die Tatsache, dass sich Sendlmeiers Ergebnisse teilweise mit einer ähnli- chen Forschungsreihe aus 2002 decken, die sich jedoch nicht mit der deut- schen, sondern der russischen Sprache beschäftigte. Die Stimmlage scheint international ein wichtiges Merkmal bei der Auswertung sprachlicher Absich- ten zu sein. Andere Merkmale der Prosodie jedoch, wie zum Beispiel Sprechpausen, erscheinen jedoch sprachspezifisch und variabel hinsichtlich der Hörerwahrnehmung.

Die Gesamtheit der Differenzierungsmerkmale fasst auch Hellmut Geißner in seinem Großen Katalog der sprecherischen Ausdrucksmittel6 zusammen. Ähnlich wie Miosgas Ansatz zur Unterscheidung prosodischer Mittel steht vor allem die Differenzierung im Vordergrund. Laut Geissner ist die akribische Analyse einer Sprechstimme im Labor keine Option. Ein natürlicher Sprech- stil sei nur in vivo, also im Alltag, auffindbar und die Beurteilung dessen ge- schehe nicht auf einer analytischen Ebene mit allen im Katalog genannten Kriterien, sondern durch die Urteilsfähigkeit des Hörers, basierend auf Erfah- rung und der Differenzierung gegenüber anderen Sprechstilen. Sowohl die vollständige Analyse, als auch der Versuch seinen Sprechstil lückenlos unter Beachtung aller prosodischen Merkmale zu lenken, sei daher im Alltag schwer bis unmöglich.7

Körpersprache, ebenso ein wesentlicher Bestandteil des Sprechaktes und auch Teil der Analyse im späteren Verlauf der Arbeit, ist bei direktem Spre- cher-Hörer-Kontakt ähnlich wichtig. Insbesondere bei der Äußerung von E- motionen, hervorhebender Bedeutung oder zusätzlichen Informationen kommt es genau darauf an, wie sich der Gesprächspartner verhält. Marita Pabst-Weinschenk spricht in diesem Zusammenhang von einer Me- tamitteilung an den Hörer. Das Zusammenspiel aus Sprechausdruck und Körpersprache vermitteln Signale, die nicht über den gesprochenen Inhalt ausgedrückt werden können. Ein Beispiel: „ Sagt jemand z.B. mit leiser, zittri- ger Stimme, dass sie/er von etwas festüberzeugt sei, sodass dieseÄuße- rung wie eine schüchterne Frage klingt, glaubt niemand den Worten [...] “.8 Selbiges gilt auch für körpersprachliche Signale. Der scheinbar freundliche Satz „Ich werde dir helfen“ kann, sofern man ihn mit grimmigem Ausdruck und vorwurfsvoller Geste äußert, als Bedrohung verstanden werden.9 Die Zusammenhänge dieser Beobachtungen werden in der Rede-Pyramide nach Pabst-Weinschenk eingehend zusammengefasst: Beschrieben werden drei Seiten, die voneinander abhängig, das Zusammenwirken der verschiedenen Komponenten der Sprache darstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Rede-Pyramide nach Pabst-Weinschenk10

Seite 1, der Fu ß, ist die rhetorische Oberfläche. Als Fundament dient die At- mung. Zusammen mit der Körpersprache bildet sie die Grundlage für den Ausdruck. Der Aufbau der rhetorischen Seite basiert auf der menschheitsge- schichtlichen Entwicklung der Sprache. Zuerst, so wird es angenommen, war die Körpersprache da. Als universelles und instinktiv verständliches Aus- drucksmittel diente sie als universelle Kommunikationsform. Der Sprechaus- druck baut unmittelbar auf der Körpersprache auf. Noch vor dem eigentlichen Inhalt legt er fest, wie und mit welcher tatsächlichen Absicht etwas geäußert wird. Erst ganz am Schluss, wenn Intention und Absicht feststehen, folgt die Wortsprache, also die endgültige Formulierung. Diese Reihenfolge ist rück- wärts nachvollziehbar. Sofern ein Bestandteil der Pyramide ausfällt (Aphasie, etc.) greift die darunter liegende Ebene. Die Rückbesinnung auf Körperspra- che ist zunehmend sichtbar bei internationalen Gesprächen mit Sprachbar- rieren. Kinder bedienen sich ebenso der Körpersprache - lange vor der Sprachentwicklung.

Seite 2 der Rede-Pyramide ist der Kopf, die rhetorische Tiefenstruktur. Diese betrifft vor allem auch den direkten Einfluss des Sprechers auf das Gesagte. Die Basis bildet das Konzept der Situation. Der Sprecher verfolgt ein Ge- sprächsziel, welches beim Hörer erreicht werden soll. Das Konzept beinhal- tet eine Gesprächsphasenstruktur (Meso), also eine Gliederung der Rede, und eine Microstruktur, welche geeignete Sprechoperationen wie Frage, Ap- pell, Argument oder einfaches Zuhören beinhaltet. Im Zusammenspiel mit Seite 1 entsteht somit eine komplexe Abhängigkeit der beschriebenen Fakto- ren, die zwischen Zuhörer und Redner Inhalte austauscht. Das von der äu- ßeren Präsentation beeinflusste Inhaltskonzept bestimmt rückwirkend die Darstellung. Aus den geänderten Darstellungsdetails zieht der Gesprächs- partner wiederum Rückschlüsse auf Seite 2, also die inhaltliche Struktur des Gesagten und somit auf die Absichten des Sprechers.

Seite 3, der Bauch, beschreibt die Redner-Persönlichkeit. Fundamental für die Bildung einer solchen Persönlichkeit ist die Wahrnehmung des Hörers von rhetorischer Oberfläche und Tiefenstruktur. Die dadurch wahrnehmbare Einstellung des Sprechers gibt dem Hörer die Möglichkeit, die Kommunikati- on als Konkurrenz oder Kooperation einzuschätzen. Die Persönlichkeit des Sprechers ist das Ergebnis der eigenen Biografie, weshalb Seite 3 jene als Basis festsetzt. Die mittelbare Beeinflussung gelingt nur durch Selbstreflexi- on und Änderung einzelner Komponenten der ersten Seite.11 Sprache ist einfach, die Wahrnehmung komplex. Die Rede-Pyramide ist ein gutes Beispiel dafür, wie kompliziert einzelne Zusammenhänge entstehen und wie viele Faktoren für die Sprecherwahrnehmung verantwortlich sind. Die Abhängigkeit der rhetorischen Kategorien ist umso deutlicher, denkt man sich einzelne Komponenten weg. In einem Telefonat, wo Körpersprache un- möglich ist, werden Aussagen teilweise missverstanden oder müssen um- ständlich erklärt werden. Bei einem Ausfall der Sprache kann nicht durch körpersprachliche Signale ausgeglichen werden - es kommt zu Kommunika- tionsproblemen.

Noch extremer wird diese Problematik bei einer reinen Inhaltsvermittlung, beispielsweise elektronisch über E-Mail oder SMS. Fehlt den Informationen jeglicher Ausdruck, sowohl beim Sprechausdruck, als auch auf visueller E- bene, werden trotz präziser Beschreibung der Absichten oftmals Inhalte voll- kommen falsch gewertet. Dies führt dazu, dass viele Nutzer selbst bei offizi- ellen E-Mails auf sogenannte „Smilies“ zurückgreifen, die neben dem Text in der Lage sind, Informationen zu Intentionen weiterzuleiten. Die reine Infor- mation ist in ihrer Absicht enorm gehemmt, sollten einzelne Faktoren eines natürlichen Dialoges fehlen.

Die Wirkung von Sprache auf den Hörer hängt also von einer großen Anzahl verschiedener Faktoren ab, die, teils bewusst, teils unterbewusst, eine geäu- ßerte Intention, Aktion oder Information zwischen Sprecher und Gesprächs- partner variieren lassen können. Neben Sprechausdruck und der Art und Weise der jeweiligen Äußerung ist es außerdem fundamental wichtig, wie das Gegenüber die Aussage körpersprachlich präsentiert. Hinzu kommt, dass die Sprechsituation in vielen Szenarien entscheidend dafür ist, ob und wie bestimmte Signale übermittelt werden. Trotz all dieser Faktoren, haben geübte Redner manchmal den Vorteil, dass sich einige Sprechmerkmale durch Übung bewusst ändern lassen.

2.2. Wichtige Faktoren bei der Bildung und Beeinflussung eines Sprechstils

Insbesondere für Sprecher ist es wichtig, bestimmte Merkmale der Ausspra- che zu variieren, damit die gesprochene Rolle authentisch wirkt. Die Suche nach der passenden Stimme geschieht im Normalfall mit Beachtung der un- ter Kapitel 2.1. genannten prosodischen Bausteine, welche dem Hörer ent- weder passend vorkommen oder die Rolle ad absurdum führen. Um dies zu verhindern gilt es, bestimmte Variablen bewusst zu verändern. Wenn im Spiel zum Beispiel der Piratenkapitän mit hoher oder freundlicher Stimme spricht, wird es für den Spieler in der Rolle als Kontrahent schwieriger, die- sen Charakter als Gefahr wahrzunehmen. Das Sprichwort „Der Ton macht die Musik“ passt an dieser Stelle ganz gut. Die Metamitteilung, also die In- formation, die dem Hörer neben dem Inhalt des gesagten zugetragen wird, ist mitverantwortlich für das Verständnis. Der Stimmklang gibt Aufschluss ü- ber Empfindungen des Sprechers. Um ein besseres Bild von beeinflussbaren Faktoren zu erhalten, scheint es wichtig, sich die Entstehung von Stimme vor Augen zu führen:

Die menschliche Stimme wird durch die beiden Stimmlippen im Kehlkopf und den Ansatzräumen, also Rachen, Mundraum, Nasenhöhlen und Lippen, er- zeugt. Die beiden Stimmlippen im Kehlkopf, komplexe Muskel- und Gewebe- schichten, bilden den Primärschall der Stimme. Die Öffnung der im entspann- ten Zustand weit geöffneten Stimmlippen kann bis auf einen kleinen Spalt verengt werden. Diese Öffnung nennt man Glottis, die Stimmritze. Sie be- stimmt, wie Töne primär erzeugt werden. Die aus der Lunge strömende Luft beim Ausatmen kann, sofern die Glottis nicht weit geöffnet ist, die Stimmlip- pen in Schwingung versetzen. Diese Schwingung erzeugt einen bestimmten Ton. Je langsamer die Schwingung, desto tiefer der Ton. Durch den Vokal- trakt kommend, kann der Ton zusätzlich abgeändert werden. Es entsteht ein sprachlicher Laut.

Je nach Geschlecht und Alter ändert sich der Grundton und somit auch die Stimmlage deutlich. Gemessen wird diese Tonhöhe in Hertz. Eine männliche Stimme hat etwa 125 Hz, eine weibliche 250 Hz. Kleine Kinder erreichen bis zu 440 Hz im Grundton. Eine ausgeprägte Stimme kann Frequenzen zwi- schen 80 Hz und 12.000 Hertz erreichen.12 Durch Krankheiten wie Heiser- keit, oder Überbeanspruchung der Stimme kann es zu größeren Störungen kommen, die die eigene Stimme temporär oder dauerhaft stark verändern. Bemüht man die eigene Stimme zu sehr oder arbeitet zu hart an einer Ver- fälschung, kommt es im schlimmsten Fall zu einer Aphonie, also einer tonlo- sen Stimme.

Es stellt sich die Frage, wie diese stimmbildenden Faktoren bewusst im Sin- ne einer Rolle beeinflusst werden können. Durch gezielte Atmung, abwei- chende Spannung der Stimmlippen von der eigentlichen Stimme und nicht zuletzt unterstützt von Gestik ist es möglich, die eigene Stimme einer be- stimmten Rolle anzupassen. Die Anstrengung für den Kehlkopf sind je nach Abweichung enorm, aber ein geübter Sprecher erreicht so die nötige Vielfalt der möglichen Stimmen. Entscheidend für eine glaubhafte Änderung der Stimme ist die Tonhöhe, der Stimmklang und die prosodischen Komponenten Akzent und Intonation. Im Laufe der Analysen wird festzustellen sein, dass einige Rollen sich in diesen Punkten sehr stark unterscheiden und dies unter anderem auf den vorhandenen Vorstellungen derartiger Charaktere beruht. Die Identifikation durch Stimme eines virtuellen Charakters ist mit einer guten Stimmimitation zu vergleichen. Mit einem bestimmten Dialekt, einem ent- sprechenden Soziolekt oder einem Idiolekt sowie einer bestimmten Sprech- geschwindigkeit oder dem Einsatz extremer Pausen ist es möglich, einem Charakter die „passende“ Stimme zu verleihen. Die Glaubhaftigkeit der Stimmen hängt dabei nicht zuletzt von Erfahrungen ab, die der Spieler im Vorfeld gemacht hat. Ältere Menschen reden tief und langsam, Frauen reden höher, hektische Personen reden schnell, Herrscher reden eher langsam und präzise. Die gleichen Kriterien, die also ein Schauspieler setzt, wenn ihm ei- ne bestimmte Rolle zugesprochen wird, muss auch der Sprecher einer virtu- ellen Rolle beachten. Für einen Sprecher ist es daher enorm wichtig, sich seiner natürlichen Sprechstimme bewusst zu sein. Die Beeinflussung der ei- genen Stimme, so Miosga, kann nur durch die korrekte Selbstwahrnehmung der eigenen Stimme erfolgen. Die prosodischen Präferenzen eines jeden Sprechers werden während der Sozialisation gebildet. Es ist also davon aus- zugehen, dass jeder Sprecher im Alter von circa 15 Jahren einen ersten, ganz eigenen Stil entwickelt hat, in dem er sich unterhält. Dieser ist abhängig von der Erziehung, dem Umgang mit anderen Menschen, der geographi- schen Lage und vielen weiteren Einflüssen, die den Alltag eines jungen Sprechers prägen. Dieser Habitus, von dem Miosga spricht, ist ein ganz per- sönlicher und tief im Unterbewusstsein verankerter Teil des Menschen. Ver- ändert werden kann er nicht, jedoch können einzelne Schemata innerhalb des Habitus ‘ verändert und/oder angepasst werden. Zunächst durch fremde Einflüsse aufgedeckt, wird der Sprecher auf seinen eigenen Sprechstil auf- merksam gemacht. Erst durch diese zweifache Reflexion, sprich durch Fremd- und Selbstreflexion, gelingt es, einzelne Schemata zu alternieren. Ein guter Sprecher wird daher zwar einen ganz eigenen Sprechstil behalten, innerhalb seines Habitus jedoch auf eine Vielzahl verschiedener Möglichkei- ten zurückgreifen können, seinen Ausdruck situationsgerecht anzupassen.13 Ähnlich wichtig wie der Einfluss auf die Sprache ist auch der bewusste Ein- satz körpersprachlicher Merkmale. Insbesondere bei sprachlichen Beson- derheiten wie der Ironie oder bei sarkastischen Äußerungen ist es schwierig, diese ohne entsprechendes visuelles Feedback wiederzugeben. Was uns später im Verlauf der Analysen noch mehrfach begegnen wird, ist die Tatsa- che, dass wir an dieser Stelle im virtuellen Raum auf Grenzen stoßen. Um diese Grenzen jedoch aufzeigen zu können, bedarf es einer genaueren Ein- grenzung der körpersprachlichen Merkmale.

Ekman und Friesen unterscheiden zwischen fünf Klassen nonverbalen Ver- haltens. Embleme sind körpersprachliche Ausdrücke, für die es eine direkte Übersetzung gibt, beispielsweise ein Kopfnicken. Illustratoren sind Bewe- gungsabläufe, die das Gesagte verdeutlichen. Diese Form der Kommunikati- on ist besonders häufig in Reden oder Gesprächen zwischen zwei Personen anzutreffen, die der Sprache des Gegenübers nicht mächtig sind. Regulato- ren sind körpersprachliche Merkmale, die den Verlauf eines Gesprächs regu- lieren, beispielsweise ein ständiges Schauen auf die Uhr. Von Adaptoren spricht man, wenn körpersprachliche Merkmale dazu dienen, die eigenen E- motionen zu kontrollieren. Es gibt Selbstadaptoren, zum Beispiel das Kratzen am Kopf während eines Gesprächs, Fremdadaptoren, also Vorgänge, die das Anfassen eines Anderen involvieren, oder Objektadaptoren, sprich das Hantieren mit Gegenständen, zum Beispiel das berühmte Klicken mit einem Kugelschreiber. Emotionsausdrücke, oder Affekt-Darstellung, sind eine Form der gesprächsbegleitenden Reaktion, die sich durch nonverbale Ausdrucksformen wie Mimik, Stimme und Haltung äußern.14

Genauer klassifiziert werden die Illustratoren, also die sprachverdeutlichenden Gesten, welche besonders im virtuellen Raum eines große Rolle spielen, in einer weiteren Arbeit von Ekman und Friesen:

Batons sind Bewegungen, die ein Wort besonders unterstreichen. Ideogra- phen sind Bewegungen, die die Richtung der Gedanken anzeigen. Deikti- sche Bewegungen sind objektbezogene Bewegungsabläufe, meist mit direk- tionaler Funktion. Spatiale Bewegungen sind Bewegungen, die eine räumli- che Relation bilden. Kinetographen sind zu verstehen als aktionsabbildende Bewegung. Pictographen sind Luftzeichnungen eines Gegenstandes und emblematische Bewegungen sind dazu da, verbale Aussagen zu illustrieren.15

Die Autoren Ekman & Friesen, Krauss, Kendon und McNeill greifen bei ihren Unterteilungen körpersprachlicher Merkmale auf den Forscher David Efron16 zurück. Prinzipiell decken sich viele der Gestenklassen, Unterscheidungen dienen meist nur der genaueren Spezifikation.

Teile der körpersprachlichen Funktionen sind international, andere sind län- derspezifisch unterschiedlich. Ein Schauspieler oder ein virtueller Charakter muss daher für den jeweiligen Kulturkreis passend agieren und kann seine Körpersprache je nach Absicht nicht willkürlich einsetzen. Stark verfälschte Körpersprache führt dazu, dass entweder der Inhalt des Gesagten oder die Person gänzlich missverstanden wird.

Ein Beispiel aus den Anfängen der Rollenspiele: Ein wildes Fuchteln mit den Armen, zum Beispiel beim Sargverkäufer Stan aus Monkey Island (siehe Abb. 2), signalisiert dem Gegenüber zum Beispiel eines Art Unzurechnungs- fähigkeit, welche die Hoffnung auf erfolgreiche Interaktion mindert, wildes Umherschauen signalisiert dem Spieler Nervosität und drohende Gefahr. Ab- hängig vom Entwicklungsstand und Alter des Titels, sind die besprochenen Merkmale entweder stark ausgeprägt und teils übertrieben, oder feiner und detailreicher, dadurch auch natürlicher. Sicherlich spielt hierbei auch der An- spruch der Macher eine Rolle, da es entscheidend für die Darstellung ist, ob ein Titel möglichst realistisch oder sehr abstrakt werden soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Übertriebener Gestus als Ersatz für fehlende Mimik in Monkey Island (1990)17

In Videospielen sind derartige Übertreibungen aufgrund zahlreicher Ein- schränkungen hinsichtlich einer realistischen Darstellung ausgesprochen wichtig.

2.3. Besonderheiten und Einschränkungen bei virtuellen Sprechstilen

Bei virtuellen Sprechstilen gibt es neben den ohnehin zahlreichen Besonder- heiten eines individuellen Sprechstils zusätzliche Herausforderungen, die bei einem normalen Gespräch kaum ins Gewicht fallen. Der virtuelle Raum ist anfangs leer. Jede einzelne Bewegung, sei sie in der realen Welt noch so selbstverständlich, muss bewusst programmiert werden. Egal ob es sich da- bei um das Zwinkern der Augen handelt, das angestrengte Atmen, bestimmte Merkmale wie Gesichtsverletzungen, die zu einer veränderten Sprache füh- ren, oder ein einfaches Lächeln. Jeder Bewegungsablauf muss im Vorfeld beobachtet, analysiert und ausgewertet werden, um ihn später möglichst rea- listisch umzusetzen. Im Laufe der Zeit wurden für diese Aufgabe immer auf- wändigere Verfahren eingeführt, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzie- len. Sofern es um ein Gespräch zwischen Menschen geht, müssen alleine für das Gesicht 26 Muskeln bedacht werden. Für einen Aufbau eines virtuel- len Charakters bedeutet dies einen extrem hohen Arbeitsaufwand, da man selbstverständliche Abläufe zurück entwickeln muss, um den genauen Ver- lauf zu verstehen. Seit den ersten nennenswerten Computerspielen hat sich besonders auf dem Gebiet der Angleichung von Charakterzügen, Sprechsti- len und Bewegungsabläufen viel getan. Während in einem der folgenden Kapitel ein Einblick in die verwendete Technik gewährt wird, werden in die- sem Teil der Arbeit die Besonderheiten erarbeitet, die es bei der Analyse zu beachten gilt.

Da bei der Darstellung menschlicher Unterhaltungen eine Unzahl von gleich- zeitigen Abläufen zu beobachten ist, stehen Entwickler vor großen Proble- men. Angenommen die erwähnte Beobachtung und die anschließende Aus- wertung der prosodischen und körpersprachlichen Merkmale ist erfolgt, ist aktuelle Hardware kaum dazu in der Lage, die programmierten Abläufe auf den heimischen Geräten der Spieler umzurechnen. Vergleicht man ein aktu- elles Spiel mit einem Animationsfilm, so fällt auf, dass der Film dem Spiel trotz zeitgleichen Erscheinens technisch weit voraus zu sein scheint. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Während ein Animationsfilm wie Toy Story nur für die Anzeige hergestellt wird, und daher die Berechnung der komplizierten Abläufe nur auf einem Großrechner erfolgen kann, müssen Videospiele we- sentlich flexibler sein. Ein Film variiert nicht in seiner Darstellung, sondern zeigt an einer bestimmten Stelle immer eine bestimmte Szene. Ein Video- spiel muss man sich hinsichtlich der Abläufe vorstellen wie ein Schachspiel. Während Anfang und Ziel in jeder Situation identisch sind (=Film), ist das Spiel selbst oft hochvariabel. Entscheidet sich der Spieler in einer bestimm- ten Situation für einen bestimmten Weg, verläuft in heutigen Spielen der Rest der Geschichte anders. Dieser Verlauf wird jedoch nicht vorgefertigt berech- net, sondern je nach Situation erst im Moment des Spielens. Sowohl bei dem Verlauf der Geschichte, als auch bei Dialogen der Charaktere, muss jede einzelne Bewegung der Muskeln, jedes gesprochene Wort und jeder Zu- sammenhang auf den Endgeräten der Spieler berechnet werden. Dieser Umstand führt dazu, dass man sich heute noch nicht auf eine vollkommen realistische Darstellung der Charaktere konzentrieren kann, sondern einen Mittelweg finden muss, Realismus und die Grenzen virtueller Darstellung zu verbinden. Beobachtet man Titel aus den frühen neunziger Jahren, und ver- gleicht diese mit heutigen Veröffentlichungen, so kann man, sofern man sich im selben Genre befindet, die einzelnen Lösungsansätze gut verfolgen. Die Merkmale, die man durch einfache Mittel beeinflussen kann, beispielsweise Teile der Prosodie wie Lautstärke, Tonhöhe oder Stimmqualität, werden in älteren Titeln ausgesprochen überzogen dargestellt, sodass körpersprachli- che Metainformationen für das Verstehen der Absicht des Sprechers nicht unbedingt nötig sind. Sofern Körpersprache zum Einsatz kam, war die Ver- wendung meist rudimentärer Natur (siehe Abb.2). Mit zunehmendem Fort- schritt gelang es jedoch, die einzelnen Komponenten einer Unterhaltung de- tailreicher darzustellen. Insbesondere auf dem Gebiet der Körpersprache konnte die Spieleindustrie große Fortschritte machen. Im folgenden Vergleich sehen wir zwei Spiele aus dem Abenteuer-Genre, in denen Konversation ein wesentlicher Bestandteil des Verlaufs ist. Anhand der Bilder kann man er- kennen, welche Unterschiede es in der Ausprägung der Merkmale gibt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Typische Szene in Day of the Tentacle (1993)18

sehr offensichtlicher Charakteristika zur Verdeutlichung von Inhalten. Die Stimmen sind, ähnlich wie bei Zeichentrickfilmen, meist überzogen und recht deutlich in ihrer Absicht und der Beziehung zum Spieler.

Anders 2011: In L.A. Noire, einem Krimi-Spiel, muss man in ähnlicher Szenerie auf Verbrecherjagd gehen und das Gegenüber anhand der Sprache und körpersprachlichen Merkmalen einschätzen, um angemessen zu reagieren. Aufgrund aufwändiger Technik sieht das inzwischen jedoch anders aus, als es im Vergleichstitel der Fall ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Szene aus L.A. Noire (2011)19

Dank moderner Technik wurden die Übertreibungen gemindert und es wurde versucht, den virtuellen Gesprächspartner realistischer darzustellen. Spielt man den Titel jedoch unter diesem Gesichtspunkt, bemerkt man auch heute noch starke Schwächen. Oftmals werden sehr offensichtliche körpersprachli- che Signale verwendet, damit der Spieler in der Lage ist, diese zu erkennen. Lügt ein Charakter, schaut er nahezu in jeder Situation auffällig zur Seite.

Zusammenfassend kann die These aufgestellt werden, dass Prosodie und Körpersprache in Videospielen zunehmend wichtig für die Spieler werden.

Die einfache Interaktion mit der Hardware, oder das bloße Bewegen von Ge- genständen, reicht nicht mehr aus. Man möchte Spiele erleben, wie man die Realität erlebt. Viele moderne Titel machen es sich daher zum Ziel, möglichst exakte Nachbildungen der Realität zu bieten und insbesondere menschliche Merkmale in Sprache und Gestus zu kopieren. Die Einschränkungen für die- ses Vorhaben liegen nach wie vor ganz deutlich bei der extremen Komplexi- tät des menschlichen Körpers und der enormen Anzahl verschiedenster Sig- nale, die man als Beobachter zunächst von der natürlichen Selbstverständ- lichkeit lösen muss.

3. Videospiele im Wandel

3.1. Die Anfänge der Videospiele

Seit den frühen 1950er Jahren entwickeln sich Videospiele konstant weiter. Mit 1,99 Milliarden Euro gehört die deutsche Spieleindustrie inzwischen zu den erfolgreichsten Medienbranchen weltweit.20 Jedes Jahr gewinnen Video- spiele neue Anhänger und der Kult rund um die interaktiven Bilder wächst. Zu Beginn der Geschichte waren es einfache Titel, die vor allem dazu ge- dacht waren, technische Möglichkeiten zu demonstrieren. Das erste nament- lich bekannte Spiel OXO aus dem Jahre 1952 wurde auf einem britischen Hochleistungsrechner namens EDSAC mit einer Wählscheibe und einer Tastatur gesteuert.21 Da sich Spiele hervorragend eigneten, um die Technik auch themenfremden Interessenten näherzubringen, wurde auch auf ande- ren Rechnern eifrig programmiert. Tennis for Two, ein 1958 vom amerikani- schen Physiker William Higinbotham entwickeltes Spiel, wurde beispielswei- se auf einem Oszillographen angezeigt.22 Bis in die 1970er Jahre wurden die meisten Spiele auf universitären Großrechnern betrieben, was dazu führte, dass der öffentliche Zugang zu diesem neuen Medium sehr eingeschränkt war.

Der Einzug von Videospielen in die Gesellschaft vollzog sich mit der Grün- dung zahlreicher Spielautomaten. Durch vergünstigte Fernsehtechnologie waren Anfang der siebziger Jahre viele öffentliche Orte mit solchen Geräten ausgestattet. Erste Entwicklerstudios wie Atari begannen, kurzweilige Spiele für den Massenmarkt zu entwickeln. Eins der ersten, bis heute bekannten Videospiele, war Pong, ein Titel aus dem Jahre 1972. Grafisch sehr einfach und technisch kein komplexer Vorgang, wurde das Spiel aufgrund gezielter Vermarktung schnell zum Erfolg.23 Durch das nun geweckte Interesse der breiten Öffentlichkeit wurden Heimkonsolen für Fernsehgeräte zunehmend erfolgreicher. Den endgültigen Durchbruch feierte Atari 1978 mit der Konsole 2600 und dem Titel Space Invaders.24 Der parallele Erfolg von Spielhallen und Heimkonsolen dauerte bis in die 1990er Jahre an. Spiele wie Pac Man, Donkey Kong, Dragon ‘ s Lair und Star Wars wurden in dieser Zeit berühmt und zu einem wichtigen Teil kontemporärer Popkultur.

1983 kam es schließlich zu einer Wende der Videospielgeschichte. Aufgrund zahlreicher schlechter Titel, aufkommender Produktpiraterie und der Konkurrenz durch kleine Heimcomputer wie den Commodore 64, sanken die Einnahmen der Branche innerhalb eines Jahres von drei Milliarden US-Dollar auf nur 100 Millionen US-Dollar.25

Erst 1985 mit Aufkommen der Heimkonsole Nintendo Entertainment System des japanischen Herstellers Nintendo und dem Titel Super Mario erhielten Videospiele eine zweite Chance. Mit mehr als 40 Millionen verkauften Einhei- ten ist der erste Teil der Reihe eines der erfolgreichsten Videospiele aller Zeiten.26

Da der Erfolg der Videospiele in den Folgejahren wieder zunahm, wurde auch die Bandbreite der erhältlichen Titel größer. Genres wie Rollenspiele, Rennspiele, Jump ‘ n ‘ Runs, Beat ‘ em ups und Adventures wurden in dieser Zeit erfunden. Mit den Spielen der ersten Stunde hatte die neue Generation nicht mehr viel gemein: Zwar war die audiovisuelle Darstellung aufgrund der Hardware noch immer sehr beschränkt, aber mit der Zeit entwickelten sich komplexe Geschichten hinter den Spielen, die den Nutzer als Teil der Lösung einbanden. Das bloße Bewegen von Gegenständen auf einem Display reich- te nicht mehr.

In der ersten Hälfte der 1990er Jahre war auch in Europa ein wachsendes Interesse an Videospielen vorhanden. Durch Konsolen wie das Super Nin- tendo Entertainment System (kurz SNES) oder der ersten PlayStation aus dem Jahre 1995 gewannen die komplexen Titel auch hierzulande an Bedeu- tung und erfreuten sich zunehmender gesellschaftlicher Akzeptanz. Durch immer mehr netzwerkfähige Endgeräte und die Lust an Spielen mit anderen Personen, entstand Ende der 1990er Jahre eine weitere Generation der Videospiele. Sogenannte LAN-Parties, also Zusammentreffen mehrerer Spieler mitsamt Computer im Netzwerkverbund auf öffentlichen Veranstal- tungen, wurden zunehmend beliebter. Der Erfolg in virtuellen Welten wurde immer wichtiger für die Nutzer und sorgte für die Entstehung elektronischer Sportligen, heute unter anderem vertreten durch die ESL, Europas größtem kompetitivem Zusammenschluss von Spielern.

Der Anspruch der Nutzer und die Lust auf neue Formate sorgten insbeson- dere in den letzten 20 Jahren dafür, dass sich die Geschichten und vor allem deren Umsetzung in Spielen einer enormen Entwicklung gegenübersahen. Was mit einfachen Titeln wie Pong begann, wurde mit der Zeit zu immer komplexeren Spielen, die durch eine stete Verbesserung der Darstellung und der Vertonung nicht nur an Tiefe, sondern auch an Realitätstreue gewannen. Besonders Abenteuer- und Rollenspiele, vertreten durch berühmte Titel wie Monkey Island, Simon the Sorcerer, Gothic, The Elder Scrolls und Baldur ‘ s Gate feierten große wirtschaftliche Erfolge. Aufgrund dieser Tatsache bemü- hen sich die Hersteller immer mehr, den Maßstäben der Spieler gerecht zu werden und bedienen sich immer neuer Techniken. Ähnlich wie die Ge- schichte des Films, zeigt auch die Entstehung der Videospiele eine konstante Entwicklung. Die Entwicklungszeit für ein einziges Videospiel beträgt je nach Titel inzwischen bis zu vier Jahre und beschäftigt ein Team von 300 Mitarbeitern.27 Zum Vergleich: OXO entstand innerhalb weniger Monate durch die Arbeit des Professoren Alexander Shafto Douglas an der Cam- bridge Universität.

3.2. Bedeutung sprachlicher Mittel für den virtuellen Raum

Die wachsende Beliebtheit von Videospielen führte Ende der 1990er Jahre zu einem großen Entwicklungssprung der audiovisuellen Ebene. Spiele dienten nicht einzig und allein der Unterhaltung, sondern sollten dem Konsumenten auch die Möglichkeit vermitteln, sich mit den Charakteren und der Geschichte des Spiels zu identifizieren. Dank der Annäherung an realistische Szenerien und der Umsetzung von prosodischen und körpersprachlichen E- lementen gelang es, mit einem Videospiel ähnliche Gefühle zu wecken, wie es bei Filmen schon lange der Fall war.

Die Schaffung einer Atmosphäre, die dem Spieler ein realistisches Umfeld vermittelt, wurde zunehmend wichtiger. Besonders bei Abenteuer- und Rollenspielen der letzten 15 Jahre kam es darauf an, die Spielwelt möglichst glaubhaft zu gestalten.

Wenn also ein Titel abläuft wie ein Stummfilm, eventuell noch mit unpassen- der musikalischer Begleitung, kann die Geschichte, oder das Ziel des Spiels nicht zum Spieler vordringen. Um Inhalte passend zu vermitteln, muss man sich in den virtuellen Raum versetzen können und die einzelnen Handlungs- stränge aus eigenem Antrieb erkunden und erleben wollen. Die Bedeutung sprachlicher Mittel ist daher exorbitant. Ein Gespräch, sei es rein informativer oder auch gefühlsgeladener Natur, erreicht den Hörer zu- nächst nur über die primären Äußerungsmerkmale des Sprechers. Spricht dieser mit einer angemessenen Stimme und gestikuliert passend, kann der Inhalt durch unterstützende Metainformationen besser verstanden und um- gesetzt werden. Denn der Mensch besitzt von Natur aus die Fähigkeit, emo- tionale Zustände oder situative Komik in Gesprächen allein durch die Sprechweise zu erkennen. Die unterbewusste Wahrnehmung bestimmter Signale, sei es die Tonhöhe, die Sprechgeschwindigkeit, herablassende Mimik oder ausladende Gestik, funktioniert nicht nur in realen Konversationen. Die Darstellung von Charakteren in Videospielen muss daher exakt sein und die Signale bewusst weitergeben.

Wie in Kapitel 2.3. beschrieben, birgt der virtuelle Raum die Schwierigkeit, dass keines dieser Signale, sei es noch so selbstverständlich in alltäglicher Kommunikation, existiert. Jedes Detail, was einen Charakter im Lauf des Spiels ausmacht, muss von den Entwicklern beachtet und umgesetzt wer- den. Scheitert dies, wird die Wichtigkeit sprachlicher Mittel für den virtuellen Raum sofort deutlich. Ohne das Spiel umfassend zu analysieren, wird den Spielern bereits nach kurzer Zeit auffallen, dass die Umsetzung gesprächsre- levanter Merkmale nicht gelungen ist.

Vergleicht man dies mit erfolgreichen Konzepten, wird es umso deutlicher. Ähnlich wie in bewegenden Filmen kann es auch bei Spielen passieren, dass der Nutzer am Ende eines Titels reale Gefühle für die Charaktere empfindet. Die Identifikation, ein wesentlicher Baustein für eine erfolgreiche Geschichte, wird erst durch prosodische und körpersprachliche Verhaltensweisen der vir- tuellen Avatare erreicht. Durch den Einsatz sprachlicher Mittel gelingt es also, den Spieler nicht nur für einige Stunden zu unterhalten, sondern ihn in einen komplexen Verlauf oder geschichtliche Wendungen eines Spiels zu integrie- ren. Der Spieler steuert das Spiel also nicht mehr „von außen“, sondern wird „Teil der virtuellen Welt“. Jürgen Fritz beschreibt dies wie folgt:

„Im sensumotorischen Funktionskreis belebt der Spieler einen elektroni- schen Stellvertreter mit seiner eigenen Körperlichkeit: Ein Teil meines Kör- pers wird zur „elektronischen Marionette". [...] Der Spieler schlüpft in den elektronischen Stellvertreter wie in einen Handschuh und lernt, die Finger angemessen zu bewegen und mit der behandschuhten Hand zielorientiert zu handeln.“28

Setzt man nun Sensomotorik als treibende Kraft hinter der Identifikation des Spielers mit einer Spielfigur und somit auch mit dem Titel an sich voraus, wird klar, dass der Grad der Identifikation entscheidend dafür ist, wie gut es dem Nutzer gelingt, sich in den „ elektronischen Stellvertreter29 hineinzuver- setzen. Die hierfür benötigten Sinnesrückmeldungen können durch den Ein- satz von realistischen und bekannten Signalen verstärkt oder gemindert werden. Bedient sich ein Spiel lediglich abstrakter Laute, ist der Grad der Identifikation wesentlich geringer als in einem Spiel, welches sprachliche Mittel unterschiedlicher Art zur Schaffung einer real-wirkenden Welt einsetzt.

3.3. Technische Neuerungen und Ausblick

Im Laufe der Jahre änderten sich sowohl die Methoden der Entwickler zur Schaffung eines Spiels, als auch die Konsumgewohnheiten der Spieler. Rol- lenspiele haben in der Geschichte der Videospiele eine verhältnismäßig lan- ge Tradition. Seit Ende der 1980er Jahre werden Geschichten durch die Dar- stellung fantastischer Welten und abstrakter Figuren erzählt. Der nachfol- gende Vergleich ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich technische Neuerungen auf einzelne Genres auswirken.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Prince of Persia in der Urfassung 198930

Die einfache Darstellung ohne individuelle Vertonung der Charaktere war 1989 der Maßstab für Rollenspiele. Die Interaktion mit der Spielfigur reichte, um die Spieler für die Geschichte hinter dem Prinzen zu begeistern. Die in Kapitel 3.2. erwähnte Bedeutung sprachlicher Mittel für Videospiele jedoch, sorgte innerhalb relativ kurzer Zeit für eine enorme Entwicklung auf dem Ge- der Reihe, aus der später der Titel Risen 2 entstand, erschien 2001 unter dem Namen Gothic. Die Sprachausgabe der Charaktere war vollständig vertont und den Textinhalten angepasst. Einfache, aber aussagekräftige körpersprachliche Merkmale sorgten für eine vollkommen neue Stufe der Wahrnehmung von Spielfiguren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Dialog in Gothic (2001)31

Insbesondere in puncto Körpersprache haben die technischen Neuerungen der letzten Jahre erneut für einen größeren Entwicklungsschub hinsichtlich der Darstellung von Charakteren in Videospielen gesorgt. Aktuell nutzt die Branche ein Verfahren namens Motion Capturing, zu deutsch „Bewegungs- Erfassung“. Mittels zahlreicher Sensoren ist es bei dieser Technologie mög- lich, insbesondere Gestik und Mimik realitätsgetreu nachzubilden.

Am häufigsten wird für Motion Capturing mit einem optischen Verfahren ge- arbeitet. Bestimmte Marker am Körper eines Schauspielers werden dabei von einer bestimmten Anzahl Kameras gefilmt und auf ein 3D-Gittermodell übertragen.

Nach der Aufnahme wird das Ergebnis mit spezieller Software mit einer dar- zustellenden Spielfigur kombiniert und verbunden. Es entsteht ein realitäts- nahes Abbild der gefilmten Person mit der Außenhülle der Spielfigur. Das Motion Capturing Verfahren ist ausgesprochen komplex und relativ elle Figuren, ist jedoch sehr aufwendig in der Anwendung. Je nach Abweichung zwischen realer Person und Spielfigur, wirken die Ergebnisse trotz natürlichem Ursprung recht künstlich.

Eine konsequente Weiterentwicklung ist das so genannte Performance Cap- turing. Die grundsätzliche Idee der beiden Verfahren ist identisch, aber der Ablauf variiert. Während Motion Capturing die Bewegungen einer realen Person auf eine beliebige virtuelle Figur übertragen werden, übertragt man in diesem neuen Verfahren die reale Person möglichst genau in die virtuelle Welt. Der Schwachpunkt der älteren Technik, nämlich die fehlerbehaftete Ü- bertragung von Person auf Figur, entfällt somit. Neben vielen aktuellen Fil- men nutzen auch zunehmend Spielentwickler das Performance Capturing für sich.32 Doch die in Kapitel 2.3. beschriebenen Probleme hinsichtlich der Hardware heimischer Nutzer und nicht zuletzt die hohen Kosten für Technik und Personal machen das Verfahren noch zu einer Seltenheit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Performance Capturing bei L.A. Noire 33

In Zukunft ist damit zu rechnen, dass neben einer immer besseren Vertonung der Spiele auch körpersprachliche Merkmale zunehmend realistischer wer- den. Die einfachen und meist wiederholenden Elemente früher Darstellun- gen, die sich immer den gleichen Mustern bediente, wird sich in feinere und abwechslungsreichere Abläufe wandeln, die einer menschlichen Konversati- on immer näher kommen. Die Vertonung der virtuellen Charaktere wird, un- terstützt durch eine immer größer werdende Branche, zunehmend professio- neller. Die Sprecher für ein Videospiel kommen oft aus der Filmbranche und wirken zunehmend echter. Unterstützt durch die grafische Darstellung wie etwa durch das Performance Capturing, wirken Videospielfiguren immer we- niger künstlich.

4. Risen 2 im Fokus

4.1. Vorstellung des Titels

Risen 2 ist der Nachfolger des 2009 erschienenen Risen, einer umbenannten Fortsetzung der erfolgreichsten deutschen Rollenspielproduktion Gothic. Der Titel wird vom 1997 gegründeten Essener Studio Piranha Bytes entwickelt und durch die Deep Silver GmbH in München vertrieben. An der Produktion waren insgesamt 20 festangestellte Entwickler und fünf externe Dienstleister beteiligt. Das Studio ist in der Szene vor allem bekannt durch seine eigene Interpretation von Computerspielen, auch genannt „Ruhrpott Fantasy“.34 Der Titel ist am 27. April 2012 in Deutschland erschienen. Gegenüber dem Vor- gänger wurde in zweiten Teil der Reihe der Fokus auf ein neues Setting und eine bessere Grafikengine gelegt. Typisch für das Genre des Rollenspiels begibt sich der Spieler in die Rolle des Protagonisten (in diesem Fall ein na- menloser Held) und muss entweder alleine oder mit computergesteuerten Teammitgliedern Aufgaben lösen, Gegner besiegen oder wertvolle Gegen- stände finden, um schlussendlich die Spielwelt vor dem Untergang zu retten. Während die Grundbausteine für ein Rollenspiel seit jeher unverändert sind, variiert jeder Titel die Auslegung dieser Ankerpunkte. In Risen 2 steuert der Spieler einen anonymen Helden, der trotz seiner zahlreichen Errungenschaf- ten im Vorgänger weiterhin namenlos bleibt. Inzwischen ein Schatten seines einstigen Selbst, findet sich der Held in einer lebensfeindlichen Umgebung wieder, die an das Ende des Vorgängers erinnert. Die „letzte Bastion der al- ten Welt“, namentlich Caldera, befindet sich in der Krise: Um dem drohenden Untergang durch sogenannte Titanen zu entgehen, müssen die Menschen der umliegenden Inseln evakuiert werden und in die „Neue Welt“ gebracht werden. Das Problem: Einer der Titanen, genannt Mara, kontrolliert sämtliche Seewege und kentert jedes Schiff, dass versucht sich in Sicherheit zu brin- gen.

Eine alte Legende besagt, dass es über Umwege möglich sei, Mara zu ver- bannen. Dafür benötigt der Spieler vier legendäre Gegenstände, die am En- de in der richtigen Kombination gegen den Titanen verwendet werden kön- nen. Da jedoch die Piraten im Besitz dieser Gegenstände sind, und der Held zur Inquisition, also der feindseligen Partei gehört, wird er prominent aus den eigenen Reihen verwiesen und in Absprache mit wenigen Eingeweihten in die Welt der Piraten integriert.

Über unzählige Aufgaben schafft es der Held schließlich, mit den Bewohnern der einzelnen Inseln zu sprechen und somit das Geheimnis um die legendä- ren Gegenstände Stück für Stück zu lüften. Sowohl eingeborene Stämme, als auch Expeditionen der Inquisition, dienen dem Spieler als ständige Infor- mationsquelle. Nach dem Prinzip „eine Hand wäscht die andere“ muss der Held jedoch erst kleine und große Aufgaben für die anderen Charaktere lö- sen, um an sein Ziel zu gelangen. Im Laufe des Spiels erhält der Spieler sein eigenes Schiff, eine stetig wachsende Crew und somit auch mehr Macht in- nerhalb der Welt.

Risen 2 legt den Fokus nicht nur auf den Kampf, sondern vor allem auch auf geschickte Kommunikation. Das Talent „Silberzunge“ dient dem Spieler dazu, in den verschiedenen Dialogen dank ausgefeilter rhetorischer Fähigkeiten leichter an sein Ziel zu gelangen. Jeder Dialog im Spiel wurde von professio- nellen Sprechern eingesprochen und vertont. Ob Gnom, Eingeborener, Mensch oder Geist: Im Spiel erhält jede Fraktion ihre ganz eigene Art zu sprechen und zu interagieren. Kulturelle Hintergründe der einzelnen Völker spielen beim kommunikativen Umgang eine ebenso große Rolle wie der Ruf des namenlosen Helden innerhalb der Spielwelt. Da in Risen 2 vor allem auch der Fokus auf eine verbesserte Darstellung gelegt wurde, unterstützen körpersprachliche Merkmale die Dialoge zusätzlich.

4.2. Die wichtigsten Charaktere

Wichtig für die Analyse ist die genauere Beleuchtung der einzelnen Figuren. Da es bei der Beurteilung von Sprechstilen unter anderem auch auf die Sprechsituation ankommt, ist es äußerst wichtig zu wissen, in welche Rolle sich der jeweilige Sprecher hineinversetzen musste. Nachfolgend werden die Charaktere und deren Sprecher, die im nächsten Kapitel analysiert werden, vorgestellt.

4.2.1. Chani

Chani ist Ende 20 und gehört zu den Eingeborenen der Schwertküste. Als Kriegerin ihres Stammes ist sie es gewohnt, Befehle zu erteilen und Respekt zu erfahren. Chani ist in der Rolle der Tochter des Häuptlings ein empfindli- cher Charakter, wenn es um den Umgang mit ihrer Person geht. Ihre Gefühle über die der Anderen stellend, ist der Umgang mit diesem Charakter oft nicht leicht und erfordert Einfühlsamkeit. Trotz ihrer Herkunft denkt Chani logisch, geradeaus und findet in allem eine irdische Ursache. Für die Überwältigung ihrer Feinde sucht Chani strategisch nach deren Schwachstelle.

Als Eingeborene muss Chani sich in einer Welt voller Piraten und Inquisito- ren zurechtfinden und ihren Platz als Verfechterin alter Bräuche finden. Mo- derne Erfindungen lehnt sie ab und beruft sich als Voodoo-Schamanin auf die Mächte der Natur. In den Augen der fremden Völker nimmt Chani stets eine Außenseiterrolle ein und versteht oft nicht, wie einzelne Zusammenhän- ge entstehen konnten. Im Verlauf des Spiels erhält sie jedoch zunehmend Einblick in die Welt der anderen Völker und beginnt, auch deren Kultur zu verstehen.

Ihre Natur macht es Chani niemals leicht, sich sozial zu integrieren. Da sie durch ihr Geburtsrecht innerhalb des eigenen Volkes stets hierarchisch über den anderen Stammesmitgliedern stand, fällt es ihr schwer, sich nun anderen Meinungen und Entscheidungen unterzuordnen.

[...]


1 Sendlmeier, Walter (Hrsg.): Stimmlicher Ausdruck in der Alltagskommunikation in Sendlmeier, Walter (Hrsg.): Mündliche Kommunikation Band 4. Berlin, 2005, S. 1.

2 Geissner, Helmut K.: Sprechstimmen systematisch beurteilen in Sprechen 49, 27.Jg./2010. Regensburg, 2010, S. 24.

3 Vgl. Miosga, Christiane: Interdisziplinäre Perspektiven auf Sprechen und Sprechstil in Sprechen 49, 27.Jg./2010. Regensburg, 2010, S. 73ff.

4 Vgl. Hoffmann, Michael: Funktionale Varietäten des Deutschen - kurz gefasst. Potsdam, 2007, S.5ff.

Seite 6 von 126

5 Sendlmeier, Walter (Hrsg.): Stimmlicher Ausdruck in der Alltagskommunikation in Sendlmeier, Walter (Hrsg.): Mündliche Kommunikation Band 4. Berlin, 2005, S. 35ff.

6 Vgl. Geissner, Helmut K.: Sprechstimmen systematisch beurteilen in Sprechen 49, 27.Jg./2010. Regensburg, 2010, S. 24ff.

7 Ebd.

8 Pabst-Weinschenk, Marita: Die Sprechwerkstatt - Sprech- und Stimmbildung in der Schule. Braunschweig, 2004, S.11.

9 Ebd.

10 Pabst-Weinschenk, Marita: Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung. München, 2004, S.16.

11 Pabst-Weinschenk, Marita: Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung. München, 2004, S.16ff.

12 Pabst-Weinschenk, Marita: Die Sprechwerkstatt - Sprech- und Stimmbildung in der Schu le. Braunschweig, 2004, S.47ff.

13 Vgl. Miosga, Christiane: Interdisziplinäre Perspektiven auf Sprechen und Sprechstil in Sprechen 49, 27.Jg./2010. Regensburg, 2010, S. 77ff.

Seite 13 von 126

14 Vgl. Ekman, Paul / Friesen, Wallace: The Repertoire of Nonverbal Behavior: Categories, Origins, Usage and Coding. San Francisco, 1969, S. 62ff.

15 Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita: Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherzie hung. München, 2004, S.51ff.

16 Vgl. Ekman, Paul / Friesen, Wallace: The Repertoire of Nonverbal Behavior: Categories, Origins, Usage and Coding. San Francisco, 1969, S. 62ff.

17 Adler, Holger: Monkey Island - Guybrush ‘ s Memoiren. <http://www.monkeyisland.de/mi2.shtml> (22. März 2012)

18 Stüber, Daniel: Maniac Mansion - Day of the Tentacle. <http://www.tentakelvilla.de/dott/dott.html> (22. März 2012) Das Kultspiel Der Tag des Tentakels aus dem Jahr 1993 bedient sich oftmals

19 LANoireVision.com: Neues Bildmaterial: Streifendienst. <http://www.lanoirevision.com/index.php?section=news&site=detail&NewsID=48> (22. März 2012)

20 Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V.: Gesamtumsatz mit Computer- und Videospielen steigt 2011 u m 3,5 Prozent. <http://www.biu-online.de/de/presse/newsroom/newsroom-detail/datum////gesamtumsatz-mit- computer-und-videospielen-steigt-2011-um-35-prozent.html> (23. März 2012)

21 Vgl. Campbell-Kelly, Martin: The Edsac Simulator. <http://www.dcs.warwick.ac.uk/~edsac/> (23. März 2012)

22 Vgl. Research and Development of the U.S. Department of Energy: Video Games - Did they Begin at Brookhaven?. <http://www.osti.gov/accomplishments/videogame.html> (23. März 2012)

23 Vgl. Winter, David: The Pong Story. <http://www.pong-story.com/intro.htm> (23. März 2012)

24 Butler, Kevin: Space Invaders. <http://www.arcade-history.com/?n=space-invaders&page=detail&id=2537> (23. März 2012)

25 Vgl. Sheff, David: Game Over. New York, 1999, S.149.

26 Vgl. Rohrer, Gerhard: Verkaufszahlen: Mario führt sämtliche Highscore-Listen an. <http://www.gamgea.com/2010/09/14/verkaufszahlen-mario-fuhrt-samtliche-highscore-listen- an/> (23. März 2012)

27 Zahlen zum Spiel Assassin ‘ s Creed via IMK: UbisoftEntertainment. <http://www.mediadb.eu/datenbanken/game-publisher/ubisoft-entertainment.html> (23. März 2012)

28 Fritz, Jürgen: Computerspiele, Virtuelle Spiel- und Lernwelten. Bonn, 2003, S. 21ff.

29 Ebd.

30 Riven, Ethud: Real Life Prince of Persia. <http://walyou.com/real-life-prince-of-persia/> (23. März 2012) biet der audiovisuellen Darstellung inhaltlicher Spielelemente. Der erste Teil

31 Entnommen aus dem Spiel Gothic, 2001, Piranha Bytes. Aufgenommen 24. März 2012. kompliziert. Zwar erleichtert es die Übertragung natürlicher Abläufe auf virtu-

32 Vgl. Kitagawa, Midori: MoCap for Artists. Amsterdam, 2008, S. 1ff.

33 Battles, Matthew: MotionScan Gives the Lie to the Uncanny Valley. <http://www.gearfuse.com/motionscan-gives-the-lie-to-the-uncanny-valley/) (24. März 2012)

34 Vgl. Otte, Carsten: Risen 2 Backgrounder. Krefeld, 2012, S.5.

Ende der Leseprobe aus 127 Seiten

Details

Titel
Sprechstile in Videospielen: Am Beispiel der deutschen Produktion Risen 2
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Sprechstile im Wandel der Zeit
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
127
Katalognummer
V199271
ISBN (eBook)
9783656292296
ISBN (Buch)
9783656294351
Dateigröße
3880 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sprechstile, videospielen, beispiel, risen
Arbeit zitieren
Christian Blum (Autor:in), 2012, Sprechstile in Videospielen: Am Beispiel der deutschen Produktion Risen 2, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199271

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