Zusammenfassung
Der Beitrag diskutiert die Rolle von Tastaturen für Schreiben und Schrift und behandelt die Tasten und die Tastatur als übersehene Kulturtechnik. Während der Digitalisierung des Schreibens große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, blieb das zentrale Mittel dieser Veränderung unbemerkt: die Tastatur. Sie ist das zentrale Bindeglied zwischen Gutenbergs Erfindung der beweglichen Type und den modernen mobilen Schreibgeräten wie Smartphones und Tablets. Der Beitrag zeigt, wie Schreibapparate und Tastaturen entstanden sind, wie sie sich in das Berufsleben und den Alltag ausgebreitet haben und wie sie zur Mechanisierung und Rationalisierung des Schreibens geführt haben. Durch den Auszug der Tastaturen aus den Büros und ihrer heutigen Allgegenwart auf mobilen Schreibgeräten sind Tastaturen ein fester Bestandteil alltäglichen Lebens geworden.
Abstract
The paper discusses the role of the keyboard for writing and script and addresses keys and the keyboard as a neglected cultural technology. While much attention has been paid to the digitalization of writing, the central device of this transformation has gone widely unnoticed: the keyboard. The technology is the crucial link between Gutenberg’s invention of the movable type and modern portable writing devices like the smartphone or the tablet PC. The paper will outline how writing devices and keyboards emerged, how they proliferated in professional and everyday life, and how they contributed to the mechanization and rationalization of writing. Following their exodus from the office, keyboards are now ubiquitous and have become an integral part of everyday life.
1 Einleitung
Erste Versionen dieses Textes wurden auf verschiedenen Tagungen präsentiert und diskutiert: dem XIII. Kongress der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG) »Germanistik zwischen Tradition und Innovation« in Shanghai 2015, der Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) in Koblenz 2016 und im Kolloquium des Department of German Language der Universität Helsinki 2016.
Als im Januar 2001 beim Amtsantritt von George W. Bush die neuen Mitarbeiter ihre Diensträume im Weißen Haus bezogen, bemerkten sie, dass sie Opfer eines Streichs geworden waren: Die scheidenden Clinton-Mitarbeiter hatten, als sie ihre Büros räumten, bei hunderten von Tastaturen die Taste mit dem Buchstaben W außer Gefecht gesetzt – abgeklebt, ausgebaut oder durch Entfernung der Tastenfederung untüchtig gemacht. Den vollständigen Namen des neuen Präsidenten George W. Bush konnten die Mitarbeiter auf diesen Tastaturen schwer oder gar nicht schreiben.
Der »›Dabbelju‹-Diebstahl« (so die Tageszeitung Die Welt; siehe Lehnartz 2001) macht deutlich, welche Rolle Tasten und Tastaturen für heutige Schreibprozesse haben. Unser Schreiben am PC, aber auch an anderen Apparaten, Smartphones oder Tablets, kommt ohne Tastatur nicht aus. In der Medien- und Techniksoziologie wird das Schreiben an Tastaturen allerdings kaum beachtet: Die Science and Technology Studies und die Studies of Work befassen sich zumeist mit hochspezialisierten Arbeitskontexten wie Flughafenkontrollräumen, Laboren, U‑Bahn-Systemen und anderen hochtechnisierten Bereichen. Alltagsgegenstände sind eher nicht in ihrem Fokus. In der Mediensoziologie spielte zwar in den vergangenen Jahren der Medienwandel zu den neuen und sozialen Medien eine ganz besondere Rolle. Die Tastatur, ohne die all diese neuen Medien gar nicht bedient werden können, blieb dabei aber unbeachtet. Für die Medienwissenschaft wiederum endet mit dem Aufkommen der visuellen und elektronischen Medien das »Gutenberg-Zeitalter«. Dessen wesentliche Errungenschaft, die bewegliche Letter, ist aber konstitutives Merkmal der Tastatur. Tastaturen und das Schreiben auf Tastaturen werden nicht nur in den Wissenschaften ignoriert. Auch im Alltag nehmen wir sie kaum wahr: Sie stellen Alltagspraktiken dar, die unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle liegen.
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dieser übersehenen Technologie und diskutiert die Rolle von Schreibapparaten, ihre Tastaturen und das Schreiben an diesen Tastaturen. Er zeigt zunächst in Abschnitt 2 die Kultur- und Alltagsgeschichte der Schreibapparate und die historische Bedingtheit des heutigen Schreibens an Tastaturen. Abschnitt 3 behandelt die Rolle der Tastatur(en) für die Mechanisierung und Rationalisierung des Schreibens. Seine zentrale These lautet, dass der »typographische Mensch« mehr denn je Bedeutung hat und die typographische Erfahrung für das heutige Schreiben zentral ist. Abschnitt 4 diskutiert die sozialen und alltagspraktischen Konsequenzen und Praktiken des Schreibens an (heutigen) Tastaturen: Mit dem Auszug der Tastaturen aus den Büros werden die Tastaturen allgegenwärtig und verändern die Kulturtechnik des Schreibens nachhaltig. In einer Verbindung von Alltagssoziologie und Techniksoziologie präsentiert der Beitrag eine Soziologie der Tastatur.
2 Die Entstehung der Tastatur
»Mehrere Geschichten der Schrift sind möglich«, schreibt Roland Barthes in Variationen über die Schrift, »diejenige, die man uns gewöhnlich vorträgt, ist die Geschichte der Formen und Stile; eine andere, wahrscheinlich aufschlussreichere Geschichte folgt nicht der Evolution der Schriftzüge, sondern der Mutation der Instrumente« (2006, S. 159). Die Entwicklung der Schreibapparate und der Tastaturen ist eine vergleichsweise späte ›Mutation‹ der Schreibinstrumente, jedoch eine ausgesprochen folgenreiche, wie zu zeigen sein wird.
2.1 Vorläufer: Kugel, Lineal, Klavier
Wie viele andere technische Erfindungen auch (Fotografie, Glühbirne), ist die Entstehung der Schreibmaschine nicht auf einen exakten Zeitpunkt datierbar und nicht nur einem einzelnen ›Erfinder‹ zurechenbar. Schreibapparate wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts an mehreren Orten von mehreren Personen gebaut (in England, in Süddeutschland, in Tirol, in Dänemark, in den USA). Mit großer Wahrscheinlichkeit hatten ihre Erfinder keinerlei Kenntnis voneinander. Die Schreibmaschine ist damit, wie die Schrift auch, autonom an mehreren Orten der Welt entstanden.
Die erste Erwähnung eines Apparats zum Schreiben geht allerdings schon auf den englischen Wasserbauingenieur Henry Mill (ca. 1683–1771) zurück. Ihm wurde 1714 ein Patent für ein Gerät erteilt, das sich als Schreibmaschine bezeichnen lässt. Von diesem Vorläufer sind nicht einmal Zeichnungen überliefert, das Patent beschreibt es aber als eine Maschine zum »Eindrücken oder Übertragen von einzelnen oder fortlaufenden Buchstaben auf Papier oder Pergament, so sauber und exakt, dass es nicht von Druck unterscheidbar ist« (zitiert nach Eye 1941, S. 7). In den darauf folgenden Jahrzehnten wurden Schreibmaschinen bzw. etwas, was als ihre Vorläufer verstanden werden kann, an verschiedenen Orten Europas gebaut. Diese Entwicklungen sind vergleichsweise gut dokumentiert. Ab Mitte, vor allem aber ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Apparate, die mechanisches Schreiben ermöglichen, weitgehend zugleich entwickelt. Im beginnenden 20. Jahrhundert setzten sich die modernen Schreibapparate durch; in den 1910er und 1920er Jahren hatten sich die Schreibmaschinen in (bürgerlichen) privaten und in geschäftlichen Kontexten schon etabliert. Es handelt sich also um eine Entwicklung, die vergleichsweise jung ist: Die einschneidenden Veränderungen unseres Schreibverhaltens, welche die Schreibapparate und ihre Tastaturen herbeiführen, sind keine hundert Jahre alt.
Zunächst konkurrierten verschiedene Modelle und Entwürfe miteinander, die sich in mehreren Punkten voneinander unterschieden und nur wenig Ähnlichkeit miteinander aufwiesen. Die äußere Form und der innere Aufbau dieser Prototypen waren voneinander grundverschieden: die Anordnung der Buchstaben (die entstehende Tastatur), die Lage des Papiers und seine Positionierung zu den Typen u. a. m. An einigen wenigen Beispielen lässt sich zeigen, wie verschieden diese ersten Entwürfe voneinander sind und worin sie sich ähneln:Footnote 2
Das Schreibklavier: Der badische Forstbeamte Karl Freiherr von Drais (1785–1851), in erster Linie als Erfinder des Fahrrads bekannt, entwickelte 1821 (vier Jahre nach dem »Laufrad«) ein sogenanntes »Schreibclavier«, eine Tastenschreibmaschine mit 25 Buchstaben, die im Quadrat angeordnet waren (fünf mal fünf Tasten). Das Papier wurde dabei mit einer Walze in die Schreibmaschine gezogen. (Weder Gerät noch Zeichnungen sind erhalten.)
Die Schreibkugel: Der dänische Pastor Rasmus Malling-Hansen (1835–1890) entwickelte 1865 ein Gerät, das er »Skrivekugle« (Schreibkugel) nannte. Die Schreibkugel (Abb. 1) zeichnete sich durch eine kugelförmige Anordnung der Tasten auf der Oberseite der Maschine aus. Das Papier lag an der Unterseite des Geräts flach auf einem Halbzylinder. Malling-Hansens Schreibkugel war die erste kommerziell hergestellte Schreibmaschine, das Patent des ersten Modells datiert auf das Jahr 1870. Friedrich Nietzsche, der zunehmend mit Augenproblemen kämpfte, schrieb auf einer solchen Schreibkugel (Schreibmaschinen wurden ursprünglich dazu entwickelt, Blinde zum Schreiben zu befähigen).Footnote 3
Das Lineal: Wie wenig zu diesem Zeitpunkt die äußere Form und die Arbeitsweise der Schreibapparate standardisiert sind, zeigt die »Odell 1B« aus dem Jahr 1888 (Abb. 2). Ihr Erfinder, Levi Judson Odell (Wisconsin, USA) (1855–1919), ließ sie zum Patent anmelden; der Apparat ging in Chicago in Produktion. Ziffern und Buchstaben sind hier anders als in den bisherigen Beispielen nicht blockartig oder (halb-) kugelförmig angelegt. Sie sind vielmehr wie bei einer Waage oder einem Lineal horizontal gereiht (und dies nicht in alphabetischer Ordnung). Von einer Tastatur im eigentlichen Sinne kann man hier nicht sprechen. Damit eine Type ausgelöst wurde, musste wie bei einer mechanischen Waage der Zapfen von Hand verschoben und der Hebel Buchstabe für Buchstabe eingerastet werden.
Der Telegraph: Auch die von Friedrich von Hefner-Alteneck entwickelte Zeigerschreibmaschine »Mignon« (produziert 1903–1933) hat wenig Ähnlichkeit mit den späteren Schreibmaschinen, sie erinnert mit ihrem beweglichen Hebel eher an einen Schreibtelegraphen bzw. Morseapparat (Abb. 3). Statt einer Tastatur verfügte sie über ein Tableau mit Buchstaben, auf dem ein Zeiger an die richtige Position des Buchstabens platziert werden musste und auf einer kleinen Buchstabenwalze (bei genauerer Betrachtung ein Typenzylinder, der die späteren Zylinderköpfe elektrischer Schreibmaschinen um viele Jahre vorwegnimmt) den entsprechenden Buchstaben bediente.
Die Beispiele machen deutlich, wie verschieden die ersten Schreibapparate waren. Ihre Ähnlichkeit mit anderen Geräten ist nicht weiter verwunderlich: Ihre Konstrukteure bastelten als Feinmechaniker, die sie meist waren, mit vorhandenem Material und dem Wissen über die ihnen vertrauten Apparate. Die Maschinen unterscheiden sich darin, wo sich das Papier befindet, wie die Type ihren Weg dorthin findet, ob das Papier bewegt wird und darin, wie und wo die Typen angeordnet sind (Zylinder, Typenhebel etc.). Vor allem aber ist die Verortung der Tasten auf der Maschine sehr verschieden gelöst: Wir finden quadratische, halbkugelartige und auch reihenförmige Anordnungen von Tasten. Schließlich finden sich viele Variationen in der Art der Anordnung der Buchstaben des Alphabets auf diesen Tasten. Manche Tastaturen folgen dem Alphabet, aber dies ist beileibe nicht überall der Fall. Die uns heute vertraute und selbstverständlich gewordene Tastatur – die Anordnung in drei Buchstabenreihen und die normierte Buchstabenfolge – entsteht erst nach und nach.
2.2 Normierung: Die QWERTZ-Tastatur
Die Entstehung dieser sogenannten QWERTZ-Tastatur (bzw. auf der amerikanischen Tastatur: QWERTY) lässt sich recht genau datieren: In den 1860er Jahren bauten Christopher Sholes und Carlos Glidden, Drucker der eine, Mechaniker der andere, gemeinsam an einer Schreibmaschine. Sie hatten schon zuvor gemeinsam Schreibapparate entwickelt (das erste Patent datiert auf Juni 1868). Ihre neue Maschine wies eine lineare Anordnung der Tasten in drei Reihen auf, die vorne an der Maschine in leicht versetzten Reihen übereinander angebracht waren. Der Nutzer saß vor dieser Apparatur wie vor einer Nähmaschine und bediente über diese Tasten sogenannte Typenarme, welche den Buchstaben auf einer Walze anschlugen (Abb. 4).
Dieser Apparat war mit einer bislang unbekannten Anordnung der Tasten, der QWERTY-Tastatur, versehen. Wegen Geldmangel verkauften Sholes und Glidden das Patent für diese Maschine an die Firma »E. Remington and Sons« in Ilion, New York, die dem Gerät künftig seinen Namen gab und ab 1873 in Produktion ging. Die erste »Remington« (die erste Schreibmaschine mit dieser neuen Tastatur) konnte wie viele andere Apparate nur Großbuchstaben schreiben, aber schon die »Remington 2« aus dem Jahr 1878 verfügt über einen Umschalter für Groß- und Kleinbuchstaben (die »Shift«-Taste). Die »Remington 2« ging in Serienproduktion und wurde auf dem US-amerikanischen Markt ein großer Erfolg. Das mehrreihige Tastenfeld mit der QWERTY-Tastatur breitete sich dadurch aus und setzte sich gegenüber anderen Modellen durch. In den 1880er Jahren tauchte auch das »at«-Zeichen (»@«) als fester Bestandteil auf den Tastaturen der Schreibmaschinen auf. Als kaufmännisches Zeichen seit Jahrhunderten gebräuchlich, diente es zur Benennung von Maßeinheiten (›das Stück zu …‹; daher auch ›commercial a‹).Footnote 4 Die »Remington 2« gilt als »archetype of the typewriter« (Robert/Weil 2016, S. 36).
Die QWERTZ-Tastatur entstand ursprünglich wegen einer mechanischen Anforderung: Sowohl bei der »Remington 1« wie auch der »Remington 2« lagen die Typen in einem Halbrund in einem sogenannten Typenkorb gebettet. Wenn die langen und dünnen Typenarme auf dem Weg von ihrer Position im Korb zum Anschlag auf der Walze und wieder zurück mit anderen Typen in Berührung kamen, konnten sie sich verhaken. Durch die QWERTZ-Tastatur wurden die Typen im Typenkorb nun so angeordnet, dass häufig verwendete Buchstaben nicht nebeneinander lagen – die Tastatur entspricht also der Anordnung der Typenarme im Typenkorb. Auch die versetzte Anordnung der Buchstabenreihen auf der Tastatur geht auf diesen Umstand zurück.
Die QWERTZ-Tastatur und ihre Beharrlichkeit gelten als Beispiel par excellence für die sogenannte Pfadabhängigkeit. Mit diesem Begriff wird in der Techniksoziologie das Phänomen bezeichnet, dass Entscheidungen künftige Entscheidungen determinieren. »Die Gründe, die einst für die spezifische Anordnung der Tasten sprachen, sind längst nicht mehr relevant, und es kann daher angenommen werden, dass es Tastaturen gibt, die aus ergonomischen Gründen besser für die Eingabe von Text geeignet wären.« (Beyer 2006, S. 9). Allein ihre gegenwärtige Verbreitung sorgt für ihre weitere Verbreitung und ihren Bestand. Die QWERTZ-Tastatur hat sich damit institutionalisiert, und Institutionen werden bekanntlich als legitime Ordnungen wahrgenommen und nicht hinterfragt, so wie auch die QWERTZ-Tastatur als selbstverständlich hingenommen wird. Die sozialen und ökonomischen Kosten einer Umstellung wären zudem inzwischen enorm – wie auch Linksverkehr nicht einfach auf Rechtsverkehr umgestellt werden kann.Footnote 5 Als elektrische Schreibmaschinen entwickelt wurden, wurde die Tastatur übernommen, auch wenn es in den neuen elektrischen Apparaten keine Typenarme mehr gab, die voneinander fernzuhalten wären. Für die Anordnung der Tasten zum QWERTZ bestand damit eigentlich keine Notwendigkeit mehr. Inzwischen werden mechanische Schreibmaschinen nicht einmal mehr hergestellt. Was sich änderte, ist die Technik hinter der Tastatur. Die Tastatur auf der Frontseite der Geräte ist hingegen gleichgeblieben – bis heute.
Diese Institutionalisierung der Tastatur hat weitreichende Konsequenzen. Sie verändert das Schreiben auf der ganzen Welt.
2.3 scriptura universalis und die Romanisierung des Schreibens
Die von »Remington« und anderen Firmen wie »Underwood« entwickelten Schreibmaschinen wurden in amerikanischen Behörden und Betrieben innerhalb kurzer Zeit populär. 1887 schreibt das Penmans’ Art Journal: »Five years ago the typewriter was simply a mechanical curiosity. Today its monotonous click can be heard in almost every well regulated business establishment in the country. A great revolution is taking place, and the typewriter is at the bottom of it.« (hier zitiert nach Davies 1982, S. 37) Mit den Maschinen breitete sich die QWERTZ-Tastatur im amerikanischen und europäischen (Wirtschafts‑) Raum innerhalb weniger Jahre aus. Schon im Jahr 1903 merkt das Brockhaus’ Konversations=Lexikon (o.J.) an, dass diese Tastenanordnung der »Remington« (»Remingtonklaviatur«) »von fast allen andern Systemen als Universalklaviatur acceptiert wurde«.
Die Schreibmaschinen und die Remington-Tastatur verdanken ihren wirtschaftlichen Erfolg der enormen Nachfrage seitens der Büros und Schreibkontore in Betrieben und Behörden. In den Büros sind die Schreibmaschinen tragendes Element der Ökonomisierung von Arbeitsprozessen im Allgemeinen und Schreibprozessen im Speziellen (vgl. Abschnitt 3). Dieser Erfolg ist möglich aufgrund eines Umstands, der mit der Ökonomisierung und Rationalisierung der Arbeitsprozesse in modernen Betrieben nur auf den ersten Blick nichts zu tun hat: die Zeichenzahl des griechischen Alphabets. Goody/Watt (1981, S. 56 ff.) und Havelock (2007, S. 5 ff.) betonen die Leistung des griechischen Alphabets, vor allem im Vergleich mit der ägyptischen Hieroglyphenschrift oder der mesopotamischen Keilschrift. Havelock schreibt den enormen Erfolg des griechischen Alphabets der »drastische(n) Vereinfachung« zu, die es durch seine reduzierte Zeichenzahl erreicht. Verglichen mit dem eher unhandlichen visuellen Zeichen-Repertoire der ägyptischen Hieroglyphenschrift beweist das griechische Alphabet eine »beispiellose Effektivität« (Havelock 2007, S. 57 und 56).
Die Tastaturen machen sich genau diese Effektivität zu Nutze. »It was in fact the alphabet that made the typewriter possible.« (Daniels 1996, S. 888) Eine Tastatur, die zum Schreiben der deutschen Sprache taugt, benötigt 26 Tasten, drei weitere für Umlaute, eine weitere für das scharfe ß sowie eine Umstelltaste für Großbuchstaben. Um alle Wörter der deutschen Sprache inklusive Groß- und Kleinschreibung und Umlauten schreiben zu können, benötigt man somit insgesamt lediglich 31 Tasten. Für germanische, romanische und andere Sprachen erweist sich die Standardtastatur als ungemein praktisch. Die US-amerikanische Urfassung der QWERTY-Tastatur wurde dabei verschiedentlich an andere Sprachen angepasst, die sich aber nur in Details von ihrem Ursprung unterscheiden: das deutsche »QWERTZ«, das französische »AZERTY«, die Schweizer Tastatur, die eine deutsch-schweizerische (mit Umlauten, kein scharfes ß) und eine französisch-schweizerische Variante (ohne Umlaute, dafür Akzente) kennt. Diese länderspezifischen Tastaturbelegungen bilden aber lediglich Variationen über den Standard. Der Kern der Tastatur – die Tastenbelegung mit den Buchstaben des griechisch-lateinischen Alphabets – bleibt dabei stabil.
Diese Stabilität der QWERTY-Tastatur zeigt sich im Vergleich mit Sprachen, deren Schriften nicht auf dem lateinischen Alphabet beruhen.Footnote 6 Die Standardtastatur hat sich auf der ganzen Welt durchgesetzt. Sie wird sowohl in Sprachen verwendet, die sich des griechisch-lateinischen Alphabets bedienen, aber auch in Sprachen, die andere Schriftsysteme haben. Damit aber auch diese Sprachen überhaupt auf der Standardtastatur geschrieben werden können, müssen größere Anpassungen unternommen werden. An drei Beispielen soll dies gezeigt werden: (1) an Sprachen, die einen Schriftwechsel zum lateinischen Alphabet unternommen haben (Türkisch, Vietnamesisch), (2) an Sprachen, die sich anderer Buchstabensysteme bedienen als das lateinische Alphabet (Kambodschanisch), und (3) an logographischen Schriften (Chinesisch) und Silbenschriften (Japanisch).
- 1.
Sprachen, die einen Schriftwechsel zum lateinischen Alphabet vollzogen haben, müssen die Tastaturen anpassen. Kleine Anpassungen werden zwar schon bei europäischen Sprachen nötig, etwa bei der französischen oder der Schweizer Tastatur, um Akzente, Cedilles etc. anzuzeigen.Footnote 7 Aber wie zum Beispiel die vietnamesische Tastatur (Abb. 5) zeigt, ist es hier mit kleineren Anpassungen und Sonderzeichen nicht getan. Die vietnamesische Sprache kennt zum Beispiel allein drei verschiedene Laute des ›a‹ – ⟨a⟩, ⟨ă⟩, ⟨â⟩ – und drei verschiedene Laute des ›o‹ – ⟨o⟩, ⟨ô⟩, ⟨ơ⟩ –, welche mit der Tastatur erzeugt werden müssen. Zudem ist das Vietnamesische eine tonale Sprache, die sechs Töne kennt, welche zusätzlich durch Diakritika markiert werden müssen. Die vietnamesische Tastatur muss all diese Zeichen abbilden können. Sie löst dies durch Kombinationen der klassischen Tastatur-Buchstaben mit Diakritika auf sogenannten Tottasten, welche die Kürze der Aussprache markieren, die Geschlossenheit des Lauts oder die Töne anzeigen. Diese Kombinationen führen entsprechend zu Mehrfachbelegungen von Tasten (was die ursprüngliche QWERTZ-Tastatur nicht kennt), vor allem aber zu Tastenkombinationen (was die QWERTZ-Tastatur anfangs nur im Zusammenhang mit der Umstelltaste für Großbuchstaben kennt). Die türkische Tastatur zeigt (Abb. 6), dass hier die Tastenbelegungen der Sprache angepasst und Tasten kurzerhand anders belegt werden (siehe »ç«, ğ« und »ş«). Auffällig ist jedoch, dass sich auf der türkischen wie der vietnamesischen Tastatur die Anpassungen an die eigene Schrift am äußeren Rand drängeln, dort zu Mehrfachbelegungen der Tasten führen und damit insgesamt eine marginale Position auf der Tastatur einnehmen.
- 2.
Ein Blick auf Tastaturen weiterer Sprachen zeigt, welche Zwänge die begrenzte Tastenzahl der Alphabet-basierten Schreibmaschine ausübt, vor allem dort, wo kein Schriftwechsel vorliegt. Die kambodschanische Khmer-Schrift zum Beispiel verfügt über 33 Konsonanten, 24 Vokale und 14 Initialvokale, welche sich den begrenzten Platz auf der Tastatur teilen müssen. Entsprechend kommt es zu komplizierten Mehrfachbelegungen der Tasten (Abb. 7). Hier zeigt sich besonders deutlich, welche Konsequenz die universelle Ausbreitung der QWERTZ-Tastatur für andere Sprachen hat: Geschrieben wird, sofern auf einer Schreibmaschine geschrieben wird, in der Logik eines Apparates, der für eine andere Schrift entwickelt wurde, und dadurch in der Logik dieser anderen Schrift. Die Tastatur repräsentiert andere Schriften ausschließlich in der Logik des griechisch-lateinischen Alphabets und zwingt somit nicht-lateinische Schriften auf die griechisch-lateinische Tastatur.
- 3.
Sogar nicht-phonographische Schriften werden in die Logik des Alphabets und der Tastatur gezwungen. Für Silbenschriften oder logographische Schriften – das Japanische, das Chinesische – ist der Anpassungsdruck, den die Tastatur erzeugt, noch größer. Für das Chinesische wurden mehrere auf Typen und Tastaturen basierende mechanische Schreibmaschinen entwickelt: Einer dieser Apparate (Abb. 8) verfügt über zunächst 2500(!) Schriftzeichen, die in einer flachen Kiste liegen, welche allerdings bei weitem nicht alle Zeichen enthält und bei Bedarf gegen weitere flache Kisten mit weiteren ebenso großen Zeichensätzen ausgetauscht werden muss. Mit der Schlichtheit einer »Remington«-Tastatur kann diese unhandliche Apparatur nicht konkurrieren (wie auch nicht Schreibapparate mit japanischer Silbenschrift). In Konsequenz passte sich das chinesische Maschine-Schreiben an das griechisch-lateinische Alphabet an: Mit der phonetischen Umschrift Pinyin wurde 1956/1957 offiziell eine Schreibweise des Hochchinesischen eingeführt, die auf dem griechisch-lateinischen Alphabet beruht. Mit dieser Umschrift kann nun Chinesisch auf einer QWERTZ-Tastatur geschrieben werden.
Die Beispiele zeigen, wie sich über die Tastatur das griechisch-lateinische Alphabet weltweit verbreitet. Tastaturen sind »alphabetozentrisch«.Footnote 8 Bekanntlich wird immer wieder die Dominanz und Allgegenwart des Englischen beklagt, insbesondere dem Internet und dem Computer wird ein großer Einfluss auf Schrift und Sprechsprache zugeschrieben. Übersehen wird dabei, dass weder Internet noch Computer ohne die griechisch-lateinische Tastatur auskommen. Was im wörtlichen Sinn ›unter der Hand‹ geschieht, ist keine Anglisierung des Sprechens, sondern vielmehr eine Romanisierung des Schreibens und der Schrift. Die »beispiellose Effektivität« des griechischen Alphabets (Havelock 2007, S. 56) setzt sich auf der Schreibmaschine fort. Sie trägt weiter zu seiner »einzigartigen Ausbreitung« bei (ebd.). Die Persistenz des Alphabets auf der Tastatur führt zu einer scriptura universalis, also einer Schrift, die für Menschen der unterschiedlichsten Sprachen zugänglich ist. Die Idee einer Universalschrift mit für allen verständlichen Schriftzeichen geht ursprünglich auf Gottfried Wilhelm Leibniz zurück (Arndt 1967). Die Tastatur stellt tatsächlich – wenn auch weitgehend unbemerkt – eine Art pasigraphischen Zustand her: eine Schrift, deren Zeichen für alle Menschen verfügbar sind. Das Medium dieser scriptura universalis ist die Tastatur. Mit den Tastaturen hat sich das Schreiben standardisiert – sie wurden selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen Gebrauchs.Footnote 9
Die weltweite Verbreitung der Schreibapparate und der QWERTZ-Tastatur hat jedoch Konsequenzen über die bloße technische Normierung der Tastaturen und die Romanisierung der Maschinenschrift hinaus. Sie verändert das Schreiben. Es entsteht der »typographische Mensch«.
3 Die Tastatur und die Rationalisierung des Schreibens
3.1 Der typographische Mensch
Die Formulierung vom »typographischen Menschen« geht auf Marshall McLuhan zurück, der diesen Ausdruck im 1962 erschienenen Buch The Gutenberg Galaxy einführte (The Making of Typographic Man lautete der Untertitel). Der typographische Mensch scheint damit als Zeitgenosse der Gutenberg-Galaxis an das Medium Buch und den Buchdruck gebunden: Das Buch dient ihm als Leitmedium. Dieses Zeitalter ist, so McLuhan, mit dem Aufkommen der neuen elektronischen Medien mit der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert beendet. Film, Rundfunk und später das Fernsehen brechen die Vorherrschaft des geschriebenen Wortes und beenden die Gutenberg-Galaxis (McLuhan 2011 [1962], für weitere Diskussionen siehe Giesecke 1991; Bolz 1995). Auch Friedrich Kittler schließt mit seinem Buch Aufschreibesysteme 1800/1900 an die These vom Ende des Buchdrucks an. Das »typographische Aufschreibesystem«, so seine zentrale These, endet mit der Jahrhundertwende (genauer etwa 1880). Mit dem Aufkommen der technischen Medien, so Kittler, endet das Zeitalter der Typographie, es endet das »alphabetische Monopol« und es dominieren nunmehr – über Hörfunk und Fernsehen – das Bild und der Ton (Kittler 1995).
An beiden Thesen fällt eine erhebliche Unschärfe auf. Zum einen gibt es für die These vom Ende des Buchs keine belastbaren empirischen Belege (auch nicht für das Ende des Buchdrucks). Vor allem aber ist die These hinsichtlich der Bedeutung des typographischen Menschen nicht richtig: Der typographische Mensch ist zwar mit dem Buchdruck entstanden. Er hat sich jedoch längst verselbständigt und von diesem unabhängig gemacht. Vom angekündigten Ende des Buchdrucks ist er nicht betroffen. Denn es ist Gutenbergs Idee der beweglichen Type, die ihn möglich macht. Die Schreibmaschine und ihre Mechanik der isolierten Typen auf beweglichen Typenarmen greifen Gutenbergs Idee der beweglichen, isolierten Type auf und setzen sie fort. Die Tasten der Schreibmaschine bedienen letztlich ja einzelne Typen und schlagen diese nacheinander an. An Gutenbergs Druckerpressen entstand ein neues Handwerk, ein neuer Beruf: der Drucker. An der Schreibmaschine sind Schreiben und Drucken eins; jeder Schreibende ist hier auch ein Druckender. (Erst bei Computern schlagen Schreib- und Druckmaschine wieder getrennte Wege ein.) Bis zu diesem Zeitpunkt war das Drucken ein Privileg von professionellen Druckern. Mit der Schreibmaschine geht die Fähigkeit, ›wie gedruckt‹ zu schreiben, auf den einzelnen über. Hier entsteht der typographische Mensch. Gutenbergs Zeitalter endet keineswegs mit den neuen technischen Möglichkeiten. Im Gegenteil: Die Idee der beweglichen Lettern kommt mit der Erfindung der Schreibmaschine erst richtig zur Geltung und setzt sich, bedenkt man den Triumphzug der Tastatur, unaufhaltsam fort. Mehr denn je ist der heutige Mensch ein typographischer Mensch.
3.2 Mechanisierung des Schreibens
Was aber machte dieses Schreiben an der Maschine und an der Tastatur so erfolgreich? Das Schreiben an der Maschine war ein neuartiges Geschehen. Der Mechanismus aber, auf dem das Schreiben an der Schreibmaschine beruht, war für die Zeitgenossen der ersten Modelle kein völlig neuartiger Vorgang. Er bediente sich nämlich einer durchaus etablierten Kulturtechnik, dem Klavierspielen. Tasteninstrumente standen für eine Reihe der frühen Schreibmaschinenmodelle Pate, wie man an der zweireihigen Tastenanordnung zum Beispiel der »Crandall« und anderer Maschinen erkennen kann. Freiherr von Drais, einer der schon genannten Erfinder der ersten Tastenschreibmaschinen, bezeichnete seinen Apparat nicht von ungefähr als »Schreibclavier« (1821). Im italienischen Novara entwickelte Giuseppe Ravizza wenig später (1855) ein Gerät, das er als »cembalo scrivano« bezeichnete. Das ›schreibende Cembalo‹ verfügte bereits über einen Typenhebel, einen Papierzylinder, der die Schrift schon beim Schreiben sichtbar machte, einen Umschalthebel für Majuskeln und ein Farbband. Das Brockhaus’ Konversations=Lexikon in der 14. Auflage von 1903 bezeichnet Schreibmaschinen entsprechend als »Klaviaturmaschinen«. Der Einsatz von Fingern auf nebeneinander und übereinanderliegenden Tasten, den die Schreibmaschine forderte, war aus der Tradition des Klaviers und des Cembalos vertraut. (Das Akkordeon oder »Schifferklavier« hat sicherlich zu seiner weiteren Verbreitung beigetragen.) Das Klavier als Instrument wird vom Standardwerk Musik in Geschichte und Gegenwart wie folgt beschrieben:
Im engeren Sinne aber wird der Begriff Klavier für die durch eine Spielmechanik zu betätigenden Tasteninstrumente gebraucht und bedeutet bei den älteren Schriftstellern soviel wie Griffbrett (ital. tastatura, span. teclado, frz. clavier, engl. keyboard). (Riedel/Henkel 1996, S. 283/284)
Die Taste der Schreibmaschine stammt also vom Klavier. Das lateinische Substantiv clavis bezeichnet einerseits den Schlüssel, aber auch die Taste, das französische clavier bedeutet Klavier und auch Tastatur. Auch in der Bezeichnung ›Anschlag‹ zeigt sich die Verwandtschaft der Schreibmaschine zu den Tasteninstrumenten: Lange vor der Schreibmaschine hatte das Pianoforte einen ›Anschlag‹.Footnote 10 Aber die Parallele von Tastatur der Schreibmaschine und Klaviatur des Instruments endet nicht bei der Mechanik des Hebels und den nebeneinanderliegenden Tasten. Zum einen waren die Tasten des Klaviers mit Buchstaben verbunden: Mit den Tasten des Klaviers oder der Orgel werden Töne erzeugt, und diese Töne wiederum werden im musikalischen Notensystem sowohl als Notenzeichen wie auch mit den Buchstaben des Alphabets wiedergegeben – in den Stammtönen der C‑Dur-Tonleiter: C‑D-E-F-G-A-H‑C. Zur Illustration der Tastenbelegung wurden und werden (nicht nur) für Klavierschüler Buchstaben auf Tasten angebracht (siehe auch Abb. 9). Die Kombination von Taste und Buchstabe wird damit nicht erst von der Schreibmaschine hergestellt.Footnote 11 Zum anderen macht die Schreibmaschine auf ihre Weise auch Musik. Das Stakkato der Anschläge, zusammen mit dem Klingelton der Walze, ist ein Klang, der fest mit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verbunden ist. (Vor den Schreibmaschinen hatte ein anderes Gerät, das der Übermittlung von Buchstaben diente, die Verbindung zwischen Buchstabe, Taste und Geräusch hergestellt: das Morsegerät.) 1917 baute Eric Satie in das Ballett »Parade« verschiedene Alltagsgeräusche ein: Sirenen, Klingeln, Nebelhörner und auch das Klappern von Schreibmaschinen. Leroy Anderson schließlich verwendete die Schreibmaschine als eigenständiges Musikinstrument in der Komposition »The Typewriter« (1950).Footnote 12 Das Schreiben an Schreibmaschinen war immer mit Geräuschen verbunden. Noch heute imitieren künstlicher Tastenhub und ›Tastentöne‹ den ursprünglich mechanischen ›Anschlag‹.
Die Tastatur der Schreibmaschine verbindet also letztlich zwei Kulturtechniken: die Idee der beweglichen Type aus Gutenbergs Buchdruck und die Idee der Taste. Die Taste selbst ist wiederum keineswegs nur auf den Tastaturen der Schreibmaschinen auffindbar. Schalter, die umgelegt, Tasten oder Knöpfe, die gedrückt werden müssen, befinden sich überall: an Klingeln, Aufzügen, Geldautomaten (siehe auch Heilmann 2010, S. 133). Mit Blick insbesondere auf die Omnipräsenz von Tasten auf digitalen Geräten bezeichnet Heilmann das Tastendrücken als »die basale Kulturtechnik unserer Zeit« (ebd.). Tasten haben auch andere Bedienelemente abgelöst: Die Taste des Lichtschalters ersetzte den Drehschalter der Beleuchtung; die Wählscheibe des Telefons wurde vom Tastenfeld verdrängt (ebd.). Der Drehschalter war auch auf Waschmaschinen vorhanden, bevor er zunehmend von der Taste abgelöst wurde (H. Weber 2009, S. 242). Auch an Küchenherden verschwinden die Drehknöpfe zusehends und werden von berührungssensiblen Induktionsfeldern abgelöst, die mit der Fingerkuppe bedient werden. Die Omnipräsenz der Bedienelemente ging in die Alltagssprache ein (›wie auf Knopfdruck‹, ›als habe man einen Schalter umgelegt‹ etc.). Manche Elemente bestehen praktisch nur aus Tasten, etwa die Fernbedienung – hier sind die Bedientasten, die sich ursprünglich auf dem Fernsehgerät selbst befanden, auf die Fernbedienung ausgewandert, die erlaubt, das Gerät von ›fern‹ zu ›bedienen‹ (siehe hierzu Ayaß 2012). Auch die Schreibmaschine ist auf der Vorderseite ein reines Tasteninstrument; auf ihrer ›Rückseite‹, wo die Tasten auf die Walze schlagen, ist die Schreibmaschine eine kleine Druckerpresse.Footnote 13
Auf den Prozess des Schreibens nun bezogen: Was bedeutet es für den Schreibenden, nicht länger mit bis dahin traditionellem Werkzeug – einem Stift, einer Kreide –, sondern an einer Tastatur und einem Schreibapparat zu schreiben? Im Unterschied zum bis dahin üblichen Schreibwerkzeug, bei dem die Hand das Schreibwerkzeug führt und Hand und Werkzeug gemeinsam den Buchstaben formen, werden bei der Schreibmaschine einzelne Tasten durch einzelne Finger bedient. Beim handschriftlichen Schreiben entsteht Buchstabe um Buchstabe durch die Verbindung von Augen, Hand und Schreibzeug. Zwischen den Schreibenden und das Papier tritt nun aber das Gerät, dessen Bedienungslogik eine völlig andere ist als dies bei den bisherigen Schreibwerkzeugen der Fall war. Die unveränderliche Anordnung der Tasten auf der Tastatur entindividualisiert den Schreibvorgang. Beim Schreiben an der Schreibmaschine wird das Geschriebene gleichmäßig. Mit dem Anschlag wird der Vorgang des Schreibens der Maschine überantwortet. An der Schreibmaschine verliert sich die ›Hand‹-Schrift; jeder Schreibende erzeugt hier dasselbe Schriftbild. In diesem einheitlichen Druckschriftbild gehen die individuellen handschriftlichen Prägungen verloren.Footnote 14 Als Schreibende an der Maschine sind wir abhängig von der Tastatur. Schreibmaschinen sind ein hervorragendes Beispiel für »verteilte Handlungsträgerschaft« im Sinne der Techniksoziologie (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002): Weder kann der menschliche Akteur ohne die Maschine noch die Maschine ohne den menschlichen Akteur schreiben. Es bedarf des Zusammenspiels von menschlichem und nicht-menschlichem Aktanten.
Das Eigenleben des nicht-menschlichen Anteils wird von den Schreibenden immer wieder bemerkt. Eine unklare Koordination der Finger seitens des Nutzers erzeugt gerätespezifische Schreibfehler, die über einen eigenen Namen verfügen: den ›typo‹Footnote 15 oder ›Tippfehler‹, ein Fehler, der nur an der Tastatur erzeugt werden kann. Die Maschine wird durchaus als widerständig erfahren: »O unberachenbere Schreibmischane«, heißt es in einem Gedicht von Josef Guggenmos aus dem Jahr 1971, »was bist du für ein winderluches Tier? Du tauschst die Bachstuben günz nach Vergnagen und schröbst so scheinen Unsinn aufs Papier!« Das Eigenleben der Apparate zeigt sich bei heutigen digitalen Geräten in der selbsttätigen Korrektur, der Autokorrektur, die bekanntlich durchaus unsinnige Vorschläge machen kann.
Man darf den Einfluss der Technik für das Schreiben an der Schreibmaschine aber nicht überbetonen. Schreiben ist eine Kulturtechnik, die, anders als Tanzen oder Singen, auf Hilfsmittel angewiesen ist. Denn Schreiben kam nie ohne Technik im weitesten Sinn aus, sofern man das griechische τέχνη (téchne, Kunst, Handwerk, Kunstfertigkeit) zum Ausgangspunkt nimmt. Schrift war dabei von Anfang an auf Werkzeuge angewiesen. Die Werkzeuge wurden ausschließlich dazu hergestellt, etwas zu schreiben: ein Griffel für die Erstellung der mesopotamischen Keilschrift, mit dem die Kerben in den weichen Lehm gegraben wurden; ein Schreibrohr aus Schilf, mit dem die Farben aufgetragen wurden im Fall der ägyptischen Hieroglyphenschrift. Als materielle Grundlage diente dabei zunächst Vorhandenes, also Stein, Ton und Blätter. Mit jeder Schriftentwicklung ging eine Entfaltung der Schreibutensilien einher. Was die Tastatur und die Schreibapparate dem nun Neues beisteuern, ist die Mechanisierung des Schreibens. Stifte werden von einer Hand ›geführt‹, die Tastatur wird ›bedient‹. Es ist eben eine Schreibmaschine, und sie mechanisiert das Schreiben: »Die Mechanisierung der Schreibkunst war wahrscheinlich die erste Zerlegung einer Handfertigkeit in mechanische Glieder.« (McLuhan 2011, S. 172)Footnote 16 Doch bei der Mechanisierung allein bleibt es nicht. Sie führt zu einer Rationalisierung des Schreibens.
3.3 Rationalisierung des Schreibens
Goody und Watt haben in ihrem einflussreichen Text über die »Konsequenzen der Literalität« (1981) aufgezeigt, wie die Schrift die Kulturen veränderte, in denen sie entstand: »Sobald den Wörtern jedoch durch die Schrift eine materielle Gestalt verliehen wird, nehmen sie ein eigenes Leben an.« (1981, S. 82) Sie zeigen dies daran, dass sich die Vergangenheit dem Menschen im geschriebenen Wort anders präsentiert als in ihrer mündlich überlieferten Version und mittels Schrift zu etwas Unabänderlichem wird. Dem Alphabet kommt dabei eine besondere Rolle zu: Es ist »Ursache oder notwendige Bedingung der zukunftsträchtigen intellektuellen Innovationen« (1981, S. 85). Goody und Watt sehen einen »unmittelbaren Kausalzusammenhang von Schrift und Logik« (1981, S. 83). Schrift erleichtert das formale Denken und das Denken in abstrakten Kategorien, sie trägt bei zur Disziplinierung des Geistes. Goody und Watt sprechen von einem »Prozeß der Zergliederung in abstrakte Kategorien«, den die Schrift, speziell das Alphabet, zu leisten imstande ist (1981, S. 84).
Die Schreibmaschine betreibt nun diese Zergliederung mit der Schrift. Die Schreibmaschine uniformiert die Buchstaben und egalisiert sie: Jede Taste erhält gleich viel Platz auf der Tastatur – sie sind gleich groß, und künftig braucht es zur Erzeugung jedes Buchstabens gleich viel Kraft und gleich viel Zeit. Die Tasten weisen auch untereinander eine geordnete räumliche Struktur auf: Sie sind äquidistant auf der Tastatur angeordnet. Die Tastatur zwingt so den Menschen von vornherein in eine lineare, geordnete Struktur. In seinem Aufsatz zu den Rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik (1972) beschreibt Max Weber, durch welche rationalen Prinzipien die Musik unserer Kultur bestimmt wird. Er beschreibt das »Prinzip der Gleichheit der (Ganzton-)Schritte« (Hervorhebung im Original) und bezeichnet dieses als »Distanzprinzip« (1972, S. 11). Diesem Distanzprinzip folgt auch die Tastatur in ihrer Anordnung der Tasten. Die Tastatur ist ein höchst rationales Ordnungsinstrument.
Die Schreibmaschine rationalisiert aber das Schreiben noch auf einer anderen Ebene: Schreibmaschinen ersetzen in vielen Bereichen, wirtschaftlichen vor allem, die vergleichsweise langsame Handschrift. Das Tempo des Schreibens, welches das Schreiben auf der Tastatur ermöglicht, spielt für die Verbreitung der Schreibmaschinen eine ganz zentrale Rolle. In Werbeanzeigen für Schreibmaschinen aus den 1920er und 1930er Jahren wird immer wieder auf das Tempo und die Schnelligkeit hingewiesen, welche das neue Produkt ermöglicht. Insbesondere die Analogie zur Eisenbahn macht deutlich, dass die Schreibmaschine Teil eines allgemeinen Prozesses der Industrialisierung ist, in dem das Verhältnis der Menschen zu Raum und Zeit massiven Veränderungen unterworfen wird. Schivelbusch zeigt in seiner Geschichte der Eisenbahnreise, wie die Eisenbahn das Reisen und das Verhältnis der Reisenden zu Zeit und Raum veränderte. Die Eisenbahn werde als »Raum und Zeit vernichtende« Kraft empfunden. Im 19. Jahrhundert werden Züge als »Projektile« und »Geschosse« beschrieben und der Reisende als »Paket« (2000, S. 52 und 53). Etwas durchaus Vergleichbares macht die Schreibmaschine mit dem Schreiben. Auf einem Werbeplakat der Firma »Olivetti« aus dem Jahr 1923 überholt eine auf Gleisen dahinrasende Schreibmaschine einen fahrenden Zug. Der Zug kann ihr nur mehr dabei hinterherschauen, wie ihr Blatt um Blatt aus der Walze wehen (Abb. 10).
Durch die Schreibmaschine wird das Schreiben der Rationalisierung und Industrialisierung unterworfen. Bei dieser Umwälzung der Herstellungsmittel zählt das Tempo der Produktion, dies gilt für die Schreibmaschine wie für den mechanischen Webstuhl gleichermaßen: Auch das maschinisierte Schreiben folgte dem Prinzip höherer Produktivität. Was zählt, ist die schiere Zahl der Anschläge pro Minute. »Bedenke, daß die Zeit Geld ist.« Max Weber zitiert diesen Satz Benjamin Franklins gleich auf den ersten Seiten der Protestantischen Ethik, um das Berufsethos des »modernen Wirtschaftsmenschen« zu beschreiben (1988, S. 31). Das Schreiben in den Büros wird mechanisiert und dem Diktat des Zeitdrucks unterworfen. So schreibt der moderne Wirtschaftsmensch, so funktioniert sein Büro. Die Taste und der mechanische Typenhebel machen es möglich.
Es ist aber nicht erst die Industrialisierung, die das Schreiben zur Maschine und die Schreibenden zum Schnellschreiben drängte: Es ist das Schreiben selbst. Schreiben war in seiner ganzen Kulturgeschichte einem Ökonomisierungsdruck unterworfen: »In der ganzen Geschichte der Schrift ist eine ökonomische Obsession spürbar: Zeit gewinnen – aber auch Raum gewinnen (denn Beschreibstoff ist teuer): man erfindet Abkürzungen, weil sie das Pergament ökonomisch nutzen (…).« (Barthes 2006, S. 131) Abkürzungen, Kurzschriften, Stenographie sparen Material, vor allem aber sparen sie Zeit. Schreibmaschinen haben diese Ökonomisierung des Schreibens auf eine weitere Stufe gehoben. Im Büro führt die Schreibmaschine zum Geschlechtswechsel eines Berufs: dem des Sekretärs. Für die Sekretärin im Büro ist das Schreiben an der Tastatur von größter Bedeutung: Das 10-Finger-Schreibsystem an der QWERTZ-Tastatur, vor allem aber die Zahl der Anschläge pro Minute sind Qualitätskriterium und Leistungsnachweis für den neuen weiblichen Berufsstand. Auf den frühen Werbeannoncen für die neuen Schreibapparate sind durchaus auch Männer abgebildet. Eine Werbung für eine der ersten tragbaren »Remington«-Schreibmaschinen, die »Remington Portable«, zeigt einen Mann mit Mantel und Hut, der einen Koffer und eine Kofferschreibmaschine trägt (siehe Abb. 12). Doch relativ schnell führt die Schreibmaschine zur Entstehung eines neuen Berufs, der Sekretärin, und trägt wesentlich dazu bei, dass Frauen in Büros arbeiteten, dort aber eine untergeordnete und schlechter bezahlte Position einnehmen (zur Feminisierung der Büroarbeit siehe Davies 1982). Die Tastatur hat sich mit der Büroarbeit zunächst komplett ver-geschlechtlicht: als Ort und Gegenstand weiblichen Schreibens. Mit dem Auszug der Tastaturen aus dem Büro und auf die mobilen Geräte hat sich das Schreiben an Apparaten allerdings wieder ent-geschlechtlicht: Die Tastatur, sofern an ihr nicht mehr nur untergeordnete Büroarbeit verrichtet wird, ist Männern wieder zugänglich.
4 Das Schreiben auf Tastaturen
4.1 Der Auszug der Tastaturen aus dem Büro
Die historischen Apparate haben eine weitere interessante Eigenschaft: Einige von ihnen sind wie ein Möbelstück gebaut, etwa durch einen tischähnlichen Unterbau, der dem einer Nähmaschine ähnelt (Abb. 11). Die Schreibmaschine als Möbelstück erinnert an das Möbeldasein anderer Geräte, an die ›Radiotruhe‹ oder den ›Fernsehschrank‹. Die Ähnlichkeit mit der Nähmaschine zeigt, wie sich das neue Gerät zunächst vorhandener Dispositive bedient, bevor es seine eigene Form findet. Die Anleihe an die Nähmaschine kommt nicht von ungefähr. Viele Unternehmen, die mit Schreibmaschinen erfolgreich wurden, hatten zunächst durchaus ein anderes Produktionsportfolio, das sie aber, aufgrund ihrer Kompetenz in Feinmechanik, zur Fabrikation von Schreibmaschinen befähigte: Fahrräder (»Triumph«, »Crandall«), Nähmaschinen (»Seidel & Nauman«) oder Waffen (»Remington«).Footnote 17 Sobald der Apparat aber seinen Tisch- bzw. Möbelcharakter verliert, zeigt er eine andere Eigenschaft auf, die im Gerät ursprünglich nicht angelegt war: Mobilität. In den 1910er Jahren entstanden vergleichsweise kleine und leichte ›Reiseschreibmaschinen‹.Footnote 18 Die Schreibmaschinen folgten in Koffern aus Holz (später wurden die Gehäuse aus dem sehr viel leichteren Bakelit hergestellt) ihren Nutzern; sie waren äußerst beliebt (Abb. 12). Als Reiseschreibmaschine konnte das Gerät wie ein Gepäckstück mitgeführt werden: Das Gerät folgt seinen Besitzern. Mit ihnen zieht die Tastatur aus dem Büro aus. »For every man, woman and child who writes« bewirbt »Remington« die »Remington Portable« (Abb. 13). Die tragbaren Reiseschreibmaschinen nehmen die Mobilität der modernen Schreibgeräte – Notebook, Tablet und Smartphone – um fast ein Jahrhundert vorweg. Durch die mobilen Geräte wurden die Tastaturen allgegenwärtig. Tastaturen finden sich aber nicht nur auf Tablets und auf Smartphones. Sie sind auch auf andere Geräte ausgewandert, auf elektronische Lesegeräte (auf vielen von ihnen kann durchaus auch geschrieben werden), auf Navigationsgeräte, auf Beschriftungsgeräte und viele andere mehr.Footnote 19 Die Schreibapparate haben sich aber dadurch nicht einfach nur vervielfacht und pluralisiert, sie haben sich, weil sie in die Hände aller übergingen, demokratisiert und individualisiert.Footnote 20 Mit dieser Entwicklung vervielfachen sich die Optionen der Schreibenden. Diese Apparate sind in der Regel handliche, mobile Geräte. Sie sind nicht nur tragbar wie vielleicht einst ein ›Kofferradio‹ auch, sondern auf eine bestimmte Art transportabel, die Thiele und Stingelin als »pocketability« bezeichnen (2010, S. 9; zur Tragbarkeit von Medien schon H. Weber 2008, S. 27 f.). In Hosen‑, Hand- und Jackentaschen folgen sie ihren Nutzern zur Arbeit, in die Küche, ins Fitnesscenter, ins Zugabteil, in die Eisdiele. Die Omnipräsenz mobiler Tastaturen auf Schreibgeräten aller Art führt dazu, dass unser Alltag von ihnen durchdrungen ist. David Altheide spricht in diesem Zusammenhang von einer »keyboard rationality in everyday life« (1983, S. 104): »Virtually all new machines and procedures for a wide range of communication have keyboard interfaces.« (ebd.) Durch ihre Allgegenwart verändern die Schreibapparate das Verhältnis des Einzelnen zum Schreiben und zum Geschriebenen. Hinsichtlich der modernen Schreibapparate Smartphone und Tablet sind vor allem die veränderten Schreibstile schon vielfach beschrieben worden (auch bei SMS und Twitter gilt zum Beispiel der Zwang zur Kürze). Auch heben die neuen Schreibapparate das ›one-to-many‹-Verhältnis der klassischen Verbreitungsmedien wie Zeitungen auf. Aber der Wandel im Verhältnis zu Schreiben und Schrift setzt schon deutlich früher ein – mit der Demokratisierung der Schreibapparate und der Allgegenwart der Tastaturen. Nicht von ungefähr bemerkt Walter Benjamin 1935 im Kunstwerk-Aufsatz irritiert:
Jahrhunderte lang lagen im Schrifttum die Dinge so, daß einer geringen Zahl von Schreibenden eine vieltausendfache Zahl von Lesenden gegenüberstand. Darin trat gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Wandel ein. […] Es begann damit, daß die Tagespresse ihnen ihren Briefkasten eröffnete, und es liegt heute so, daß es kaum einen im Arbeitsprozeß stehenden Europäer gibt, der nicht grundsätzlich irgendwo Gelegenheit zur Publikation einer Arbeitserfahrung, einer Beschwerde, einer Reportage oder dergleichen finden könnte. Damit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff, ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren. […] Der Lesende ist jederzeit bereit, ein Schreibender zu werden. (Benjamin 1963, S. 33)
Dass ›der Lesende jederzeit bereit ist, ein Schreibender zu werden‹, hat mehr denn je mit der Allgegenwart der Schreibapparate und ihrer Tastaturen zu tun. In den gängigen Darstellungen der Medien- und Technikgeschichte von Mobiltelefon und Smartphone wird immer wieder die ständige Erreichbarkeit betont, welche durch diese Geräte hergestellt wird. Dabei wird komplett übersehen (eine Ausnahme ist Levinson 2004, S. 21), dass diese Geräte die Nutzer nicht nur zur Produktion von Bildern und Texten befähigen, sondern dass das auschlaggebende Instrument hierzu Tasten und Tastaturen sind.
4.2 Die Finger auf den Tasten: Ways of the Hand
Mit den allgegenwärtigen Geräten ändern sich die »Schreibszenen« (Campe 1991) und die Prozesse des Schreibens selbst grundlegend (siehe hierzu Thiele/Stingelin 2010): Sie elektrifizieren sich – und werden »elektrische« Schreibmaschinen; in den 1980er Jahren breiten sich schließlich in den Büros die Personalcomputer aus, wo sie zunächst als reine Schreib- und Rechenapparate eingesetzt werden. Mit ihnen verändert sich der Prozess des Schreibens insofern, als neue Formen der fortlaufenden Veränderlichkeit des Geschriebenen entstehen. Aber auch die digitalen Schreibapparate sind weiterhin über Tastaturen und diese mit den Fingern beider Hände zu bedienen, wofür es Anleitungen und Vorschriften gab: das ›Zehn-Finger-System‹ (genau genommen acht Finger für die Buchstaben und ihre Tasten und beide Daumen für die »Leertaste«).
Dies ändert sich mit den neuen mobilen Geräten (Smartphones etc.), an denen die Bedienung mit zehn Fingern unmöglich wird. Mit der Miniaturisierung der Geräte werden auch die Tastaturen immer kleiner und sind nur mehr wenige Zentimeter groß. Die Tastaturen sind nun so klein, dass sie nur noch mit einzelnen Fingern bedient werden können (zumal das Gerät ja auch noch gehalten werden muss): Die neuen Geräte fordern andere Gebrauchsweisen der Tasten, aber es ist weiterhin die klassische QWERTZ-Tastatur wie sie 1873 von Sholes und Glidden entwickelt wurde, die hier bedient werden muss. Angesichts der miniaturisierten Tastaturen – die Tasten sind teils nur wenige Millimeter groß – entwickeln die Schreibenden neue Eingabemethoden und Gebrauchsweisen: Ein-Finger-Systeme, Zwei‑, Drei- oder Vier-Finger-Systeme, Ein-Daumen-Systeme, Zwei-Daumen-Systeme sowie Mischformen aus allem. Dabei zeigt sich: Zwar sind es die Nutzer, welche die Geräte ›bedienen‹. Doch fordern Geräte ihnen je ganz eigene Eingabesysteme ab. An verschiedenen Geräten entwickeln die Nutzer verschiedene Eingabemethoden wie die Bilderfolgen 14 bis 19 zeigen. Sie passen sich den Tastaturen – notgedrungen – an. Einerseits zeigt dies: Die Technik schreibt mit.Footnote 21 Andererseits sieht man aber, wie im konkreten Gebrauch individuelle, an das Gerät angepasste Praktiken entstehen, die sich um Vorgaben nicht scheren und das Schreiben an Tastaturen wieder individualisieren (Abb. 14, 15, 16, 17, 18 und 19).
Insbesondere Daumen und Doppeldaumen werden nun für die Buchstabentasten verwendet, eine Eingabemethode, die wiederum von anderen Tastengeräten bekannt und vertraut ist, nämlich den Fernbedienungen, den Joysticks und den Gameboys.Footnote 22 Einzelne Tasten, etwa am Aufzug oder bei der PIN-Eingabe am Geldautomaten, werden weiterhin mit dem einzelnen ausgestreckten (Zeige-)Finger bedient. An den Schreibapparaten aber zeigen sich Mischformen. Dies wird verstärkt durch das Hinzukommen berührungssensitiver Displays. Schon Notebooks kombinierten Touchpads mit Tastaturen. Das Touchpad (wie auch die Tasten der ›Maus‹ – sie sind nichts anderes als ausgelagerte Tasten) wird mit dem Zeigefinger bedient. An mobilen Geräten wird mit einzelnen Fingern ›gewischt‹, aber oft mit mehreren geschrieben. ›Wischen‹ und ›Blättern‹ lassen sich mit einzelnen Fingern bewerkstelligen, aber schon das Vergrößern und Verkleinern benötigen zwei Finger; die Nutzer verwenden hierzu eine Kombination aus Daumen und Zeigefinger.
Bezeichnenderweise setzen sich ›Wischtastaturen‹ nicht durch.Footnote 23 An modernen berührungssensiblen Screens aller Art zeigt sich vielmehr, wie robust die Idee der Taste ist. Nach wie vor sind die Tasten als Tasten sichtbar.Footnote 24 Ihre Sichtbarkeit wird über Konturen hergestellt, und nach wie vor müssen sie ausgelöst werden (wenn auch mehr berührt und weniger ›gedrückt‹). Dies ist umso beeindruckender, als die Taste als mechanisches Element auf Tablets und Smartphones längst ausgedient hat. Schon auf Tastaturen von Notebooks zum Beispiel wurde der Tastenhub flacher und flacher (und immer leiser). Als Teil der Mechanik ist der Tastenhub inzwischen obsolet (seine ursprüngliche Funktion bestand darin, den Typenhebel mechanisch zu bewegen). Dennoch verwenden noch die flachsten Notebook-Tastaturen eine Federung, die einen Widerstand und damit das Gefühl erzeugen, einen Anschlag auszulösen. Trotzdem scheint es verkürzt, vom Ende der Taste zu sprechen. Heike Weber etwa bezeichnet die Drucktaste als das »zentrale Interface des elektrischen Zeitalters« (2009, S. 247), das nunmehr ausgedient habe: »Nicht mehr die Taste, sondern der Screen ist die zentrale Abwicklungsstelle der Mensch-Technik-Interaktion.« (H. Weber 2009, S. 250) Bei genauer Betrachtung aber kommt gerade der Screen nicht ohne die Taste aus:Footnote 25 Auf Notebooks, die nur mehr über einen flachen Tastenhub verfügen, werden der mechanische Anschlag und das Geräusch, das die Taste einst auslöste, verstärkt; auch Tasten auf Computermäusen erzeugen klickende Geräusche. Digitale Geräte wie Smartphones bilden Tasten graphisch ab und zeigen den ›Anschlag‹ visuell an: Werden diese ›Tasten‹ berührt, ändern sie häufig die Farbe oder ihre Kontur. Sie erzeugen künstliche Tastentöne, welche dem Nutzer anzeigen, dass das Bedienen der ›Taste‹ erfolgreich war.Footnote 26
Es ist aber nicht nur die Taste an sich, die sich auch und gerade auf Displays und Screens behauptet, es ist vor allem die Tastatur und das Schreiben auf Tastaturen, die sich durchgesetzt haben. Mit dem Schreiben auf Tastaturen verändert sich die Kulturtechnik des Schreibens: Es drängt das Schreiben mit der Hand zurück (Hensher 2012, Trubek 2016). In der Allgegenwart all dieser großen und kleinen Tastaturen und der Souveränität der Nutzer im Umgang mit ihnen wird deutlich, wie selbstverständlich und unhinterfragt ihr Gebrauch in nur – vergleichsweise – kurzer Zeit geworden ist: Noch 1925 kommt David Katz’ Analyse »betastlicher Objekte« ohne einen einzigen Bezug auf Tastaturen und Schreibapparate aus. Seine Darstellung des Schreibvorgangs erwähnt lediglich die »harte Glätte des Schreibpapiers, die faserige Weichheit des Löschkartons« etc. (1925, S. 1). Das Schreiben auf der Tastatur ist inzwischen eine Form von embodied knowledge geworden, ein Wissen, das in unseren Körpern wohnt wie das Fahrradfahren oder Binden von Schnürsenkeln. Genau genommen sitzt das Wissen dabei in einem bestimmten Körperteil: Das Schreiben auf Tastaturen ist ein Wissen, das wir, um eine Formulierung von Merleau-Ponty zu benutzen, »in den Händen« haben.Footnote 27
Unsere Hände sind dabei, vor allem an vertrauten Tastaturen, fast selbstständig. Ratlosigkeit stellt sich eher beim Bedienen unvertrauter Tastaturen ein oder einer unbekannten Fernbedienung. David Sudnow beschreibt in einer Studie über das Improvisieren beim Jazz, wie sich die Hände der Musiker beim Musizieren bewegen (1978; 2001). Sudnow bezeichnet diese Wege als »the fingers’ journey« (2001, S. 63). Die Hände finden ihren Weg beim Spielen nach Noten, aber auch bei der Erzeugung von neuen, bislang nicht gespielten Tonfolgen.Footnote 28
The process is not unlike the change from that point when a beginning typist must hover over a home territory and reach out gingerly for each digit’s particular assignments, to where positions are very fluidly sustained in ongoing reconfigurational work well above the keyboard, hands hovering over the whole terrain ›typefully‹. (2001, S. 135)
Es bedarf großer Routine und Erfahrung – beim Schreibenden und beim Musizierenden –, bis die Hände so wissend (so »typefully«) über die Tasten gleiten, dass sie nicht nur ihren Schreibern gehorchen, sondern ihre Wege selbst finden. Wenn dies bei einem erfahrenen Schreibenden geschieht, dann ist die Ordnung der Tastatur in die Hände übergegangen.
5 Schluss
In den gängigen Darstellungen der Mediengeschichte wird der Übergang von analogen Medien zu digitalen Medien vielfach als vollständiger Bruch dargestellt. Dabei wird völlig übersehen, dass das Arbeiten an digitalen Geräten von einer Technologie abhängig ist, die für mechanische Apparate entwickelt wurde und auf Gutenbergs Typographeum zurückgeht. Vom klösterlichen Scriptorium, dem geschlossenen, für das Schreiben eingerichteten Raum, hat sich das Schreiben in den Alltag emanzipiert und ist zu einer alltäglichen Praxis geworden. Mit den Tastaturen schließlich ist aber auch, was vormals im Typographeum die Arbeit von Experten war, tief in den Alltag eingedrungen. Das Bindeglied in diesem Prozess der Veralltäglichung des Schreibens ist die Tastatur und die Logik der beweglichen Type.
Die Tastatur selbst ist dabei ein Artefakt, das von den meisten verwendet, aber dessen Relevanz kaum registriert wird. »The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.« (Weiser 1991, S. 94) Die Tastatur ist ein solches entschwundenes Objekt, es hat sich in die Praxis des Alltags eingewoben: ein Objekt, das wir tagein tagaus verwenden, aber so wenig wahrnehmen wie die Brille auf unserer Nase.
Notes
Die hier aufgelisteten Beispiele bilden die ersten Prototypen nur ansatzweise ab; es gibt noch viele weitere Apparaturen mit ganz anders arrangierten Tastaturen (etwa steuerradförmig). Es existieren mehrere historische Darstellungen zur Geschichte der Schreibmaschine: Eye (1941), Beeching (1974) sowie der Bildband von Robert und Weil (2016) mit exzellenten fotografischen Abbildungen u. a. Allein in Deutschland gibt es mehrere Schreibmaschinen-Museen, die oft auf der Basis privater Sammlungen entstanden sind. Viele beherbergen Raritäten: Das »Wilhelm-Heinlein-Schreibmaschinenmuseum« in Hoffenheim zum Beispiel besitzt 200 Exponate, darunter einen Nachbau der hölzernen (!) Schreibmaschine des Südtiroler Tischlers Peter Mitterhofer aus dem Jahr 1804. Das »Deutsche Schreibmaschinenmuseum« in Bayreuth, ca. 600 Exponate, ist im Besitz einer »Bar Lock« aus dem Jahr 1888 (mit Umlauten und einer sogenannten Volltastatur, also einer doppelten Tastenreihe für Groß- und Kleinbuchstaben). Viele Museen zeigen die Schreibmaschinen im Kontext weiterer technischer Entwicklungen ihrer Zeit, vor allem Rechenmaschinen, so zum Beispiel das »Heinz Nixdorf Museums-Forum« in Paderborn, das eine der wenigen noch existierenden »Schreibkugeln« beherbergt; das »Deutsche Museum« in München besitzt ca. 680 alte Schreibmaschinen, darunter eine seltene rote »Mignon«; das »Museum für Kommunikation« in Berlin besitzt mit über 1000 historischen Apparaten die wohl größte Sammlung historischer Schreibgeräte im deutschen Sprachraum (darunter einen »Unterschriftenautomat«, der einst dem Bundespostminister Bötsch gehörte); das »Zentrum für Kunst und Medien ZKM« in Karlsruhe zeigte 2014/2015 die Ausstellung »Schl@gfertige Typen. Historische Schreibmaschinen im Wandel der Zeiten«.
Bekannt wurde Nietzsches Formulierung, die aus einem Brief an den Freund und Sekretär Heinrich Köselitz Ende Februar 1882 stammt: »SIE HABEN RECHT – UNSER SCHREIBZEUG ARBEITET MIT AN UNSEREN GEDANKEN.« Die Schreibkugel verfügte ausschließlich über Majuskeln. Nietzsche und seiner Schreibkugel wird auch der folgende Vierzeiler zugeschrieben: »SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN / UND DOCH LEICHT ZU VERDREHN ZUMAL AUF REISEN. / GEDULD UND TAKT MUSS REICHLICH MAN BESITZEN / UND FEINE FINGERCHEN, UNS ZU BENUETZEN.« Zur einer »poetologischen Reflexion« des Schreibwerkzeugs bei Nietzsche siehe Stingelin (2012).
Weil Schreibmaschinen sehr bald in Ämtern, Büros und im Gewerbe verwendet wurden, befand sich auf vielen dieser Apparate das »at«-Zeichen (»@«). Es findet sich erstmals 1882 auf einer Tastatur des »Modell 2 Commercial« des US-amerikanischen Schreibmaschinenherstellers »Caligraph« als eigenständiges Zeichen auf einer Taste und breitete sich von dort nach Europa aus. Robert und Weil (2016, S. 47) zufolge wurde das »at«-Zeichen (»@«) allerdings nicht auf die standardisierte Tastatur für alle Apparate übernommen: »(…) typewriter companies usually offered the symbol only on specific models of commercially designed machines and on typewriters made for accounting purposes.« Erst mit Internet und E‑Mail wurde das »at«-Zeichen (»@«) fester Bestandteil von Tastaturen – allerdings nur bedienbar mit der Umschalttaste »AltGr«, als sogenannte Drittbelegung also.
Alternativen konnten sich nicht durchsetzen. Der einzige Gegenentwurf, die Dvorak-Tastatur aus dem Jahr 1932, die mit einer ergonomischen Tastenbelegung aufwartete, blieb erfolglos. Siehe hierzu im Detail Liebowitz/Margolis (1990), die Beiträge in Liebowitz/Margolis (2002) und die Beiträge im »Special Issue: QWERTY« der Zeitschrift Research Policy (Kenny 2013).
Zur Rolle nicht-europäischer Tastaturen und der Rolle der Computer für die Latinisierung von Schriften siehe auch Weingarten (2002).
Deutsche Firmen wie »Triumph« und »Adler« boten im Dritten Reich Sonderanfertigungen an: Schreibmaschinen mit Tastaturen, welche auf der Taste der Ziffer 5 die SS-Rune als Sonderzeichen enthielten.
Roland Barthes verwendet diesen Begriff hinsichtlich der Sprachwissenschaft: Sie pflege ein alphabetozentrisches Vorurteil. Barthes bezieht sich damit auf den Umstand, dass es »keinen westlichen Gelehrten« gebe, »der in der Erfindung des Alphabets kein fortschrittliches Medium sähe« (Barthes 2006, S. 71 und 75). Der »Alphabetozentrismus«, den Roland Barthes beklagt, hat aber längst eine sehr viel weitreichendere materiale Entsprechung in der Tastatur. Nicht einmal die Klage über den Alphabetozentrismus selbst kommt ohne die Tastatur aus.
Zur Rolle von Standards und Standardisierungen siehe vor allem Star/Lampland (2017): Sie beschreiben den Prozess des Standardisierens (»Mit Standards leben«) als »zentrales Merkmal des sozialen und kulturellen Lebens der Moderne« (2017, S. 491). Standards würden so beherrschend, »dass sie in unserer Alltagswelt für selbstverständlich gehalten werden«, »eingebettet in Dingen des alltäglichen Gebrauchs« (2017, S. 492).
Woher die Bezeichnung ›Anschlag‹ exakt kommt, ist unklar. Wahrscheinlich stammt sie aus dem Orgelspiel; diese wurde früher nicht gespielt, sondern »geschlagen«: »Ungewöhnlich große, nur mit den Fäusten zu schlagende Tasten soll nach Praetorius die Halberstädter Orgel besessen haben.« (Riedel/Henkel 1996, S. 285). Siehe hierzu Abb. 9.
Weil auch Noten geschrieben werden, gab es Versuche, Schreibmaschinen für Noten anzufertigen: Als Rarität gilt heute der Notenschreiber, den Robert H. Keaton entwickelte und 1936 als »Keaton Music Typewriter« patentieren ließ.
Dieses Arrangement wurde insbesondere durch Jerry Lewis’ Sketch im Film »Der Ladenhüter« bekannt [USA 1963, »Who’s Minding the Store«].
»Auch die Schreibmaschine war ursprünglich eine kleine Setzmaschine«, so Coy (1987, S. 136).
In gewisser Weise geht die Individualität des Schreibens auf die Maschine über, denn während sich das Schreiben der Schreibenden angleicht, sind die Schriftbilder der Schreibmaschinen durchaus voneinander unterscheidbar.
Typo ist eine Kurzform von typographical error. Typograph (gr. typografikós, τυπογραφικώς) wiederum ist eine Zusammensetzung aus týpos (Abdruck, Schlag) und gráphein (schreiben).
Vom »Einbruch des Mechanismus in den Bereich des Wortes« spricht schon Heidegger: »Daß die Erfindung der Druckerpresse mit dem Beginn der Neuzeit zusammenfällt, ist kein Zufall. Die Wortzeichen werden zu Buchstaben, der Zug der Schrift verschwindet. Die Buchstaben werden ›gesetzt‹, das Gesetzte wird ›gepreßt‹. Dieser Mechanismus des Setzens und Pressens und ›Druckens‹ ist die Vorform der Schreibmaschine. In der Schreibmaschine liegt der Einbruch des Mechanismus in den Bereich des Wortes.« (Heidegger 1982, S. 125 f.)
Die Rolle des feinmechanischen Sachverstands für diese Erfindung zeigt sich auch in einem anderen Beispiel: Freiherr Karl von Drais, der wie oben schon erwähnt einen der ersten Schreibapparate überhaupt gebaut hatte, hatte mit seiner anderen feinmechanischen Erfindung, dem Laufrad (genauer: der »Laufmaschine«), sehr viel mehr Erfolg.
Sie wurden auch »Kofferschreibmaschinen« genannt. Schon die ›Schreibkugel‹ wurde in einem (quadratischen) Holzkoffer ausgeliefert.
Auf Navigationsgeräten und Etikettierapparaten sind die Tasten allerdings nicht immer in der QWERTZ-Folge, sondern oft alphabetisch angeordnet.
Demokratisierung und Individualisierung sind zwei Entwicklungen, die Boerdam und Martinius (1980) für den Gebrauch von Fotoapparaten beschreiben. Man sieht aber gerade am Beispiel der Schreibmaschinen, dass diese Entwicklung keineswegs auf Fotoapparate beschränkt ist, sondern auf viele weitere ›Apparate‹ zutrifft.
Zur »Wiederentdeckung des Daumens« siehe auch H. Weber (2009, S. 253 ff.).
Eine interessante Ausnahme ist China, wo die berührungssensiblen Displays ermöglichen, die Tastatur zu umgehen: Das Aufkommen der berührungssensitiven Displays führte in China nämlich dazu, dass die Schriftzeichen nun nicht mehr mit der auf dem griechischen Alphabet beruhenden Pinyin-Umschrift auf einer Tastatur (s. o.) erzeugt werden müssen, sondern mit der Fingerspitze auf Displays gemalt werden können. Wie in auf dem Alphabet beruhenden Eingabesystemen auch, macht die Software Wort- bzw. Zeichenvorschläge, aus denen ausgewählt werden kann. Auf gewisse Weise kehrt damit das Zeichnen von Schriftzeichen zurück, auch wenn diese Art der Kalligraphie nun nicht mehr mit dem Pinsel, sondern mit der Fingerkuppe erfolgt.
Sie sind teils sogar spürbar: Die US-amerikanische Firma »Tactus« hat Displays entwickelt, auf denen die Tasten physisch emergieren, als fühlbare Tasten für Tablets und Smartphones.
Das sieht auch der Ansatz der »Keyboard-to-screen Communication« (Jucker/Dürscheid) so, der sich allerdings in erster Linie mit den kommunikativen Formaten an sich befasst und weniger mit den konkreten Prozessen ihrer Herstellung: »However, although the basic equipment (keyboard, screen) is usually the same on either side, the starting point of the message transmitted is always the producer’s keyboard.« (2012, S. 41)
Zudem sind Tastaturen nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Spielen nötig: Routinierte (und auch weniger routinierte) Computerspieler weisen im Umgang mit Ziffernblock, Tastatur und Maus größte Sicherheit und Vertrautheit auf. Viele Spiele unterwerfen sich in ihrer Bedienlogik der Logik der Taste(n) und sind ohne diese Bedienelemente nicht spielbar.
»Meine Wohnung ist für mich nicht eine Reihe stark miteinander assoziierter Bilder, sie bleibt mir nur eine vertraute Umgebung, solange ich ihre wesentlichen Richtungen und Abstände noch ›in den Händen‹ oder ›in den Beinen‹ habe und von meinem Leibe eine Vielzahl intentionaler Fäden zu ihr hinausgehen.« (Merleau-Ponty 1966, S. 158)
Auf Sudnows Text greift auch Moores zurück, der ihn allerdings nur (raum-) metaphorisch interpretiert und kaum auf das Schreiben an sich eingeht (2014).
Literatur
Altheide, David L.: »Keyboarding as a Social Form«. In: Computers and the Social Sciences 1 (1983), Heft 2, S. 97–106.
Arndt, Hans W.: »Die Entwicklungsstufen von Leibniz’ Begriff einer Lingua Universalis«. In: Hans G. Gadamer (Hg.): Das Problem der Sprache. München 1967, S. 71–79.
Ayaß, Ruth: »Zur Sozio-Logik der Fernbedienung«. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 168 (2012), S. 28–45.
Barthes, Roland: Variations sur l’écriture. Variationen über die Schrift. Französisch-Deutsch. Mainz 2006.
Beeching, Wilfred A.: Century of the Typewriter. New York 1974.
Benjamin, Walter: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«. In: Ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt am Main 1963, S. 7–64.
Beyer, Jürgen: Pfadabhängigkeit. Über institutionelle Kontinuität, auffällige Stabilität und fundamentalen Wandel. Frankfurt am Main/New York 2006.
Boerdam, Jaap/Martinius, Warna O.: »Family Photograph. A Sociological Approach«. In: The Netherlands’ Journal of Sociology 16 (1980), Heft 2, S. 95–119.
Bolz, Norbert W.: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München 1995.
Brockhaus’ Konversations=Lexikon. 14. Aufl. (1901–1904). Bd. 14: »Rudera – Soccus« (1903), Lemma: »Schreibmaschine«, S. 614–615 (mit einer doppelten Sonderseite »Schreibmaschine«).
Campe, Rüdiger: »Die Schreibszene. Schreiben«. In: Hans U. Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie. Frankfurt am Main 1991, S. 759–772.
Coy, Wolfgang: »Von QWERTY zu WYSIWYG – Texte, Tastatur & Papier«. In: Sprache im technischen Zeitalter 25 (1987), Heft 102, S. 136–144.
Daniels, Peter T.: »Analog and Digital Writing«. In: Peter T. Daniels/William Bright (Hg.): The World’s Writing Systems. New York/Oxford 1996, S. 883–892.
Davies, Margery W.: A Women’s Place Is at the Typewriter: Office Work and Office Workers, 1870–1930. Philadelphia 1982.
Eye, Werner von: Kurzgefaßte Geschichte der Schreibmaschine und des Maschinenschreibens. Breslau 1941.
Giesecke, Michael: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt am Main 1991.
Goody, Jack/Watt, Ian: »Konsequenzen der Literalität«. In: Jack Goody (Hg.): Literalität in traditionalen Gesellschaften. Frankfurt am Main 1981, S. 45–104.
Havelock, Eric A.: Als die Muse schreiben lernte. Eine Medientheorie. Berlin 2007.
Heidegger, Martin: Parmenides. Freiburger Vorlesung Wintersemester 1942/43. Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1923–1944. Bd. 54. Frankfurt am Main 1982.
Heilmann, Till A.: »Digitalität als Taktilität. McLuhan, der Computer und die Taste«. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft 3 (2010), Heft 2, S. 125–134.
Hensher, Philip: The Missing Ink. The Lost Art of Handwriting (and Why It Still Matters). London 2012.
Jucker, Andreas H./Dürscheid, Christa: »The Linguistics of Keyboard-to-Screen Communication. A New Terminological Framework«. In: Linguistik online 56 (2012), Heft 6, S. 39–64.
Katz, David: Der Aufbau der Tastwelt. Leipzig 1925.
Kenny, Martin (Hg.): Special Issue: QWERTY.Research Policy 42 (2013), Heft 6 und 7.
Kittler, Friedrich A.: Aufschreibesysteme 1800 · 1900. München 1995.
Lehnartz, Sascha: »Der ›Dabbelju‹-Diebstahl«. In: Die Welt, 25.1.2001 (https://www.welt.de/print-welt/article430051/Der-Dabbelju-Diebstahl.html [letzter Zugriff 26.1.2020]).
Levinson, Paul: Cellphone. The Story of the World’s Most Mobile Medium and How It Has Transformed Everything. New York 2004.
Liebowitz, Stan J./Margolis, Stephen E.: »The Fable of the Keys«. In: Journal of Law & Economics 33 (1990), Heft 1, S. 1–25.
Liebowitz, Stan J./Margolis, Stephen E.: The Economics of QWERTY. History, Theory and Policy. Houndsmill u. a. 2002.
McLuhan, Marshall: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters. Hamburg 2011 (orig.: The Gutenberg Galaxy. The Making of Typographic Man. Toronto 1962).
Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966.
Moores, Shaun: »Digital Orientations: ›Ways of the Hand‹ and Practical Knowing in Media Uses and Other Manual Activities«. In: Mobile Media & Communication 2 (2014), Heft 2, S. 196–208.
Rammert, Werner/Schulz-Schaeffer, Ingo: »Technik und Handeln. Wenn soziales Handeln sich auf menschliches Verhalten und technische Abläufe verteilt«. In: Dies. (Hg.): Können Maschinen handeln? Soziologische Beiträge zum Verhältnis von Mensch und Technik. Frankfurt am Main 2002, S. 11–64.
Riedel, Friedrich W./Henkel, Hubert: »Klavier«. In: Ludwig Finscher (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, begründet von Friedrich Blume. Bd. 5. Kassel u. a. 1996, S. 283–313.
Robert, Paul/Weil, Peter: Typewriter. A Celebration of the Ultimate Writing Machine. New York 2016.
Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2000.
Schubert, Cornelius: »Die Technik operiert mit. Zur Mikroanalyse medizinischer Arbeit«. In: Zeitschrift für Soziologie 40 (2011), Heft 4, S. 174–190.
Smith, Clarence C.: The Expert Typist. New York 1922.
Star, Susan L./Lampland, Martha: »Mit Standards leben«. In: Sebastian Gießmann/Nadine Taha (Hg.): Grenzobjekte und Medienforschung. Bielefeld 2017, S. 483–509.
Stingelin, Martin: »›Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken‹. Die poetologische Reflexion der Schreibwerkzeuge bei Georg Christoph Lichtenberg und Friedrich Nietzsche«. In: Sandro Zanetti (Hg.): Schreiben als Kulturtechnik. Frankfurt am Main 2012, S. 283–304.
Sudnow, David: Ways of the Hand. The Organization of Improvised Conduct. Cambridge, MA 1978.
Sudnow, David: Ways of the Hand. A Rewritten Account. Cambridge, MA/London 2001.
Thiele, Matthias/Stingelin, Martin: »Portable Media: Von der Schreibszene zur mobilen Aufzeichnungsszene«. In: Martin Stingelin/Matthias Thiele (Hg.): Portable Media. Schreibszenen in Bewegung zwischen Peripatetik und Mobiltelefon. München 2010, S. 7–27.
Trubek, Anne: The History and Uncertain Future of Handwriting. New York u. a. 2016.
Weber, Heike: »Stecken, Drehen, Drücken. Interfaces von Alltagstechniken und ihre Bediengesten«. In: Technikgeschichte 76 (2009), Heft 3, S. 233–254.
Weber, Heike: Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy. Bielefeld 2008.
Weber, Max: Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik. Tübingen 1972.
Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen 1988.
Weingarten, Rüdiger: »Der Computer als Schriftenmuseum. Latinisierung von Schriften durch computertechnische Zwänge?«. In: Erika Greber/Konrad Ehlich/Jan-Dirk Müller (Hg.): Materialität und Medialität von Schrift. Bielefeld 2002, S. 165–182.
Weiser, Mark: »The Computer for the 21st Century. Specialized Elements of Hardware and Software, Connected by Wires, Radio Waves and Infrared, Will Be So Ubiquitous That No One Will Notice Their Presence«. In: Scientific American 265 (1991), Heft 3, S. 94–104.
Funding
Open Access funding provided by Projekt DEAL.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
About this article
Cite this article
Ayaß, R. Schreibapparate. Z Literaturwiss Linguistik 50, 115–146 (2020). https://doi.org/10.1007/s41244-020-00157-0
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s41244-020-00157-0
Schlüsselwörter
- Schreiben
- Taste
- Tastaturen
- Technik
- Alltag
- Mechanisierung des Schreibens
- Rationalisierung des Schreibens
- Schreibmaschinen
- Schreiben mit Smartphones
- Mobile Medien