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Unterwegs mit und für Deutsch

50 Jahre DaF und Germanistik in Ostafrika

von William Wagaba (Band-Herausgeber:in) Steven Heimlich (Band-Herausgeber:in)
©2020 Andere 178 Seiten

Zusammenfassung

Seit der Gründung des ersten germanistischen Studiengangs in Ostafrika vor mehr als 50 Jahren haben die hiesigen Literaturwissenschaftler, Linguisten und Didaktiker vielfältige regionalspezifische Themen und Forschungsansätze hervorgebracht. Literarische Übersetzungen, verstanden als interkulturelle Begegnungsmomente, gehören dabei ebenso zu den charakteristischen Schwerpunkten wie Analysen der fachlichen Legitimation und Relevanz. Der vorliegende Band greift diese Themen in der Unterrichtspraxis auf. Er ist Prof. Manuel Muranga gewidmet, der als Lerner und Lehrer der deutschen Sprache gleichsam den Grundstein für die Entwicklung der Germanistik in Ostafrika gelegt hat.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Vorwort
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Das Geheimnis vom Kuckuckshof: 50 Jahre als Lernender und Lehrender der deutschen Sprache in Ostafrika
  • Kalkül und Ekstase. Bilderwelt und „innermost idea“ von Philipp Nicolais „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ als Herausforderung für Übersetzungen aus dem Deutschen
  • Das Problem der Sprachen Afrikas
  • Von Emilia Galotti zu Emiriya Garoti: Probleme und Potential der Übersetzung von Gotthold Ephraim Lessings bürgerlichem Trauerspiel vom Deutschen ins Runyankore-Rukiga
  • Eine kritische Evaluation der deutschen Übersetzung von Timothy Wangusas Roman Upon This Mountain
  • „Dieses Deutsch ist kaputtes Englisch“: Eine prozessorientierte Untersuchung zur Motivationsveränderung im Verlauf des Deutschlernens afrikanischer Germanistinnen und Germanisten
  • „Taking Stock“ – das Germanistikstudium an der University of Nairobi
  • Empowerment und Ownership – Zum Aufbau eines Deutsch-Programms an der Gonder University
  • Deutsch im Warteraum: Zur Entwicklung der DaF-Unterrichtsmethoden an der University of Zimbabwe
  • Was wird aus den Lernenden nach dem Deutschstudium? Eine Studie über den Verbleib der Absolventen der Makerere University
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Reihenübersicht

Manuel Muranga (Kabale)

Das Geheimnis vom Kuckuckshof: 50 Jahre als Lernender und Lehrender der deutschen Sprache in Ostafrika

Abstract: The author narrates his fortuitous encounter with the German language as a sixteen-year-old African schoolboy in Anglophone Uganda, his curiosity for books and encounter in 1967 with a book written in a strange language. Words such as „Mann“, „Vater“, „Mutter“ and „Name“ produce an echo of distant, yet near, resemblance to English. Even before he discovers that the language is German, the fascination generates within him the energy to explore the strange language without a teacher. After seven months of self-immersion into the new language, he begins to seek external help from German expatriates in Uganda. This turns out to be the beginning of a fifty-year long career through school and university in Uganda, further training at the Goethe-Institut in Munich, and eventually doctoral studies in German literature at the University of Bayreuth. He becomes the first Ugandan to teach German at Makerere University, and eventually gets promoted to the rank of professor. He collaborates with colleagues in French and English to establish mother tongue studies at Makerere University. He later introduces a Master’s degree course in translation and language development targeting the intellectualization of African languages and promotion of intercultural learning.

Keywords: Encounter with German language, self-immersion, doctoral studies, linguistic patriotism in Europe, intellectualization of African languages, degree course in translation

1 Faszinosum Deutsch: als Schüler in Westuganda

Im Dezember 1967, zum Ende meines ersten Schuljahres an der Ntare School, eines ziemlich elitären Internats im westugandischen Mbarara, verbrachten wir 15–16-jährigen Jungen noch ein paar Tage der Muße, ehe wir in die Weihnachtsferien geschickt wurden. Um mich zu beschäftigen – Bücherwurm, der ich war – ging ich, Emmanuel John Kamugisha (wie ich damals offiziell hieß), täglich in die gute alte Schulbibliothek und sah mir die Bücher eins nach dem anderen an, Regal um Regal, die Titel und die Autoren prüfend, die Seiten wendend und die Bilder betrachtend, wenn es in dem jeweiligen Buch welche gab. Ich stellte dann das Buch wieder ins Regal und nahm das nächste auf. Bei dieser Art Forschungsvergnügen entdeckte ich ein Buch, welches weder auf Englisch noch auf Französisch verfasst war. Schließlich kannte ich diese Sprachen bereits aus dem Unterricht. Dies hier war eine ganz andere Sache, eine andere Sprache. Der Titel ←13 | 14→und Untertitel lauteten so: Das Geheimnis vom Kuckuckshof. Eine Detektivgeschichte aus dem Schwarzwald.

Natürlich konnte ich diese Worte nur auf Englisch sozusagen „flüsterlesen“, wie man sich vorstellen kann. Aus Neugier blätterte ich um bis zu der Seite, auf welcher der eigentliche Text begann. Da gab es Satzgefüge wie diese: „Sein Name ist Johann. Er ist groß. Er ist stark. Er hat blaue Augen“. Diese Strukturen schienen bei mir einen nicht ganz unvertrauten Klang zu besitzen. Und als ich mir andere Einzelheiten auf dieser Seite anschaute, da fand ich Phänomene wie „Name“, „Mann“, „Vater“ und „Mutter“, deren rein physische Erscheinung mich an die englischen Wörter „name“, „man“, „father“ und „mother“ denken ließen. Aber war meine Vermutung richtig? Das Bedürfnis, die Wahrheit herauszufinden über diese fremdartige und offensichtlich selbstständige Sprache und über die einzelnen Wörter und Satzgefüge, die mich unausweichlich zum Raten verführten, war so stark, dass ich das Buch kaum wieder ins Regal zurückbringen wollte.

Ich „las“ mich ungefähr drei Tage lang in das Buch hinein, ehe Mr. William Crichton, unser schottischer Schulrektor, uns in die Ferien entließ. Ich lieh mir das Buch kurzerhand aus, da ich inzwischen vollkommen bezaubert war von dem, was ich tat, oder wie auch immer man es nennen mag. Nach zwei Wochen wusste ich noch immer nicht, wie diese Sprache hieß; immerhin, ein Glossar, welches ich eines Tages am Ende des Buches entdeckte, half mir, die Bedeutung bestimmter Einzelwörter zu erfahren, sowohl derer, die bei mir einen gewissen „englischartigen“ Nachklang hinterließen, als auch derer, die wie aus einem Buch mit sieben Siegeln erschienen, ganz und gar undurchsichtig waren. Ich saugte auf, was mir ohne Weiteres bekömmlich schien und versuchte, es zu verdauen. Endlich begegnete mir das Wort „deutsch“, welches in meinen Augen zunächst zu den undurchsichtigen zählte, mir nach einem Blick ins Glossar aber meine neue Leidenschaft bezeichnete. Von nun an, wusste ich, was ich als Nächstes wollte, nämlich jedes deutschsprachige Buch, welches sich in egal welcher Ecke der Ntare School befand, zu suchen und zu „studieren“.

Und ich tat genau das, nachdem wir aus den Weihnachtsferien zurückgekommen waren. Ich begann, aus dem „Geheimnis“-Buch herauszuwachsen und mich mit grammatikalischer Materie auseinanderzusetzen. Auch mein Wortschatz vermehrte sich. Aber ich hatte noch immer keinerlei Ahnung, wie Deutsch lautete oder klang, auch wenn ich wusste, wie es aussah. Also las ich Deutsch mit englischer Phonologie auf meinen Lippen. Bald bekam ich in der Schule den durchaus harmlosen Ruf, jener seltsame Junge zu sein, der Deutsch im Selbstunterricht lernte. Ich aber war ganz stolz darauf, dass man sich wunderte zu sehen, wie ich in gebrochener (oder gotischer) Schrift geschriebene Bücher aus ←14 | 15→den frühen 1900er Jahren las. Mithilfe eines dieser Bücher lernte ich die deutsche Grammatik. Man gab mir den Spitznamen „German“.

Eines Tages, wahrscheinlich im Juli 1968, erzählte mir ein Mitschüler aus dem dritten Jahr (Deus Kananura, heute Arzt in Ibanda, Südwestuganda), von einer deutschen Krankenschwester im staatlichen Krankenhaus Mbarara, die mir eventuell beim Deutschlernen helfen könnte. Ich suchte und fand sie. Ihr Name war Ute Homeyer. Sie sagte, sie wüsste nicht, wie sie mich unterrichten sollte. Aber ich bestand so höflich wie möglich darauf, dass ich z.B. von Zeit zu Zeit kleine Aufsätze auf Deutsch schreiben könnte und sie mich korrigieren würde. Sie war gutherzig, aber es wurde mir schnell klar, dass meine Bitte sie überforderte. Immerhin durfte ich mir bei ihr aber einmal die Sendung von Radio Deutsche Welle anhören. Ich hörte zu, kapierte aber überhaupt nichts. Auch der Empfang war schlecht und voller Seitengeräusche. FM-Sender gab es damals noch nicht.

Tatsächlich lernte ich erst zwei Jahre später, im August 1970, als ich im vierten Jahr war, wie man Deutsch richtig ausspricht. Ute Homeyer war inzwischen nach Norduganda versetzt worden. Sie schrieb mir aber ab und zu eine Postkarte auf Deutsch, manchmal auch einen kurzen echten Brief. Und ich war wirklich stolz auf mein neues Stück „Besitztum“: eine neue Sprache, in der ich einen Brief lesen und sogar schreiben konnte, so zaghaft und imperfekt dies auch zunächst geschah. Ute Homeyer verdanke ich auch meinen ersten Brieffreund, Sigurd Schuster, einen Gymnasiasten aus dem kleinen süddeutschen Ort Pöttmes bei Augsburg, von wo sie selber anscheinend gebürtig war.

Nach der ersten Phase des gegenseitigen Kennenlernens bat ich Sigurd Schuster vorsichtig, mir Exemplare der deutschsprachigen Lehrbücher, die man in deutschen Schulen für Biologie, Chemie, Physik, Geographie und Geschichte gebrauchte, zu schicken. Zu meiner Freude tat er es mithilfe seiner Eltern. Diese Bücher eröffneten mir eine neue Wirklichkeit und Perspektive. Ich stellte in meiner Unschuld fest, dass Englisch keineswegs die einzige Bildungs- und Unterrichtssprache war, die es auf der Welt gab. Vielmehr: Hier war Deutschland mit seiner eigenen Welt, seinem Wissen über die Welt und das Universum, welches adäquat, ja robust und sogar mit Stolz in seiner eigenen Sprache zum Ausdruck kommt.

Details

Seiten
178
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631807699
ISBN (ePUB)
9783631807705
ISBN (MOBI)
9783631807712
ISBN (Hardcover)
9783631800829
DOI
10.3726/b16382
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
Übersetzung Interkulturalität Ostafrika Verbleibstudie Motivationsstudie Legitimationsfrage Literaturrezeption Unterrichstmethodik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 178 S., 4 farb. Abb., 2 Tab.

Biographische Angaben

William Wagaba (Band-Herausgeber:in) Steven Heimlich (Band-Herausgeber:in)

William Wagaba ist Interkultureller Germanist und Leiter der Deutschabteilung an der Makerere University. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die deutsche Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, DaF-Lehrmaterialien, Deutsch für den Beruf und kreatives Schreiben. Steven Heimlich ist Dozent für DaF/Germanistik und DAAD-Lektor an der Makerere University. Seine Schwerpunkte sind Literaturdidaktik sowie die Vermittlung von historischen Themen und das Konzept der Erinnerungsorte im kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht.

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