Paul Kanut Schäfer: JADUP

... DIE HÖLLENFAHRT EINES HELDEN UNSERER TAGE, NEBST DEM KUNSTSTÜCK, SICH MIT DEM LINKEN AUGE INS RECHTE ZU BLICKEN, WOBEI AUCH DIE ÜBRIGEN SINNE NICHT ZU KURZ KOMMEN, BESONDERS DER SECHSTE

Jadup – fast ein Schlüsselroman der DDR-Gesellschaft ist das, in ihrer traditionell spießbürgerlichen Variante der Kleinstädte und Dörfer zwischen 1945 und 1970, mit ihren durch spezielle staatstragende Ideologeme entstandenen spezielle Entfremdungsformen. Es ist ein bitter humoristisches, herzzerreißendes Buch über Fremdsein, Außenseiter-Sein, über ganz normalen zwischenmenschlichen Verrat, über Vergewaltigung und Trägheit des Herzens im alltäglichen Normendruck. Subtile Momente der Dissonanz durchziehen sämtliche Szenen dieses Romans, der eigentlich eher eine Parabel ist. In ihrem versponnen-skurrilen Klang erinnert (mich) die Geschichte an E.T.A. Hoffmann. Manches kommt rüber wie ein innerer Monolog des Autors. Wie nebenbei scheinen in dieser Melange unzählige Momente der ländlichen DDR-Alltags jener Zeit auf, Kneipenkalauer, dramaturgische Kabinettstücke und DDR-hopperistische Szenerien gehen ineinander über, hintergründig irisierend zwischen realistisch und surrealistisch. Andere Formulierungen empfand ich wie ein Schattenboxen mit imaginierten Funktionären der Genehmigungsorgane. – Die vielfältige Fremdheit all dieser Versatzstücke ist eingebettet in den Anfang 1945 bis in die 60er Jahre der DDR. "Die Leute fingen an, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen. Wie unglaublich sie sich mühten, endlich den Zusammenhang zu begreifen zwischen ihrem täglichen Kleinkram und der großen Politik!"

Auch um das sozale und psychologische Phänonen von Gerüchten geht es und um ihre zerstörerische Wirkung sowie – nicht zuletzt – um die Vergewaltigung eines vierzehnjährigen Mädchens – und wie die Menschen in der dörflichen Kleinstadt damit umgehen.

Paul Kanut Schäfers "Jadup" gehört zweifellos zu den bedeutenden belletristischen Werken der DDR-Gesellschaft. Hier bricht soziale, gesellschaftliche Realität in großer Wahrhaftigkeit hervor. Eine seltene Schöpfung!

Schäfers lebenslange Beschäftigung mit Alexander v. Humboldt führte zur Zusammenarbeit mit dem Regisseur Rainer Simon; es entstand  - noch in der DDR - der Film DIE BESTEIGUNG DES CHIMBORAZO (1989); 1992 veröffentlichte Paul Kanut Schäfer  (1922–2016) eine umfassende Dokumentation der Reiseberichte und Tagebücher Alexander v. Humboldts (teilweise als Erstveröffentlichung):  "Die Wiederentdeckung der Neuen Welt" (1992). 

Ebenfalls mit Rainer Simon entstand 1980/81 nach dem hier wiederveröffentlichten  Roman der Film JADUP UND BOEL. Erwurde trotz Überarbeitung nach seiner Fertigstellung 1981 verboten. Dieses Verbot wurde erst 1988 aufgehoben, sodaß der Film doch noch in der DDR uraufgeführt wurde. Er kam allerdings nur mit wenigen Kopien in den Verleih, weshalb das breite Publikum kaum eine Chance hatte, ihn zu sehen.

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