Zu Konrad von Megenbergs "Buch der Natur"

Das kosmologische und das humoralpathologische Prinzip


Seminararbeit, 2018

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Aufbau des Kosmos – Betrachtung des Sphärenmodells

3. Medizin in der Mediävistik – Die Humorallehre
3.1 Basis der Humorallehre – Die vier Elemente im Menschen
3.2 Das Modell der Humorallehre – Die vier Säfte im Menschen

4. Konrad von Megenberg – Das „Buch der Natur“
4.1 Das „Buch der Natur“ – Kosmologische Prinzipien und die Anatomie des Menschen

5. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das „Buch der Natur“ von Konrad von Megenberg verkörpert einen wahren Meilenstein in der Geschichte deutscher Naturwissenschaft, da es die erste, auf Deutsch verfasste Naturgeschichte ist. Zwar gibt es anderssprachige und stellenweise sogar antike Vorbilder wie Cantimpré, Aristoteles und sogar Hippokrates, aber trotzdem ist diese erste Form einer deutschen Zusammenstellung der „natürlichen Dinge“ einmalig und in ihrem erstaunlichen Umfang geradezu beeindruckend. Allerdings wird in dieser Arbeit natürlich nur ein recht geringer Auszug aus dem „Buch der Natur“ zum Gegenstand werden, welcher sich mit dem Menschen, dessen Anatomie und deren Funktion auseinandersetzt. Diese Kapitel sind gleich in mehrfacher Hinsicht sehr spannend. In ihnen lassen sich nicht nur die Methoden damaliger Medizinpraktiken erkennen, welche tatsächlich durchaus an manchen Stellen geradezu wegweisend für die moderne Medizin wirken und vereinzelt eine, für damalige Zeiten, beeindruckende Kenntnis der menschlichen Anatomie enthüllen. Sie offenbaren darüber hinaus immer wieder auch den Versuch, die Naturgeschichte in ihren einzelnen Facetten bis auf den Ursprung zurückzuführen. Es wird also nicht nur geforscht, sondern auch erklärt. Für jede Beobachtung wird dem Leser eine „wissenschaftliche“ – mit diesem Wort muss man natürlich aus heutiger Sicht vorsichtig umgehen – Erkenntnis geboten, der eine Erklärung folgt, die das jeweilige anatomische Phänomen in einen globalen bzw. kosmischen Kontext setzt und somit eine Parallele eröffnet, die jede Beobachtung des menschlichen Ursprungs schlussendlich auf einen Nenner bringt, der sich auch in der Schöpfung der Welt und des Kosmos wiederfinden lässt.

Um aber diese beiden Aspekte bei Megenberg lesen und verstehen zu können, ist es notwendig, sich mit den Theorien auseinanderzusetzen, die den oben angesprochenen Prinzipien zu Grunde liegen. Im Falle der Rückführung und Gleichsetzung des Ursprungs aller Dinge im Menschen mit der Schaffung der Welt, beruft Megenberg sich auf das sogenannte „kosmologische Prinzip“. Die Grundlage für seine medizinischen Thesen entnimmt er dagegen den, durch viele Philosophen und Wissenschaftler bereits fortwährend geprägten Satzungen der „Humorallehre“, welche sich bis auf den „Corpus Hippocraticum“ zurückführen lassen. Um also Megenbergs Struktur und Aussagen nachvollziehen zu können, muss man sich zwangsweise mit den beiden genannten Prinzipen beschäftigen und diese ständig auf den Textkörper anwenden. So ergibt sich das Ziel dieser Arbeit, die Theorien darzulegen, sie mittels Arbeit am Text zu entschlüsseln und eine Aussage darüber treffen zu können, welchen Stellenwert sie für Megenbergs Naturgeschichte einnehmen und inwiefern sie nicht nur als erklärendes Element der Inhalte, sondern auch als tragende Stütze des Faktors der „Authentizität“ fungieren.

2. Der Aufbau des Kosmos – Betrachtung des Sphärenmodells

Wie bereits in der Einleitung erwähnt worden ist, folgt die geistige Auffassung und Vorstellung des Kosmos bei den Menschen besonders im Frühen- und Hochmittelalter nicht dem Kenntnisstand, den wir heute durch jahrhundertelange Forschungen und Wissenstradierungen als selbstverständlich empfinden. Durch die geistigen Errungenschaften früherer Zeitgenossen wie Keppler, Newton und vieler weiterer, sind wir, zumindest eine gesunde Mehrheit, mit einem umfangreichen Wissen über die kosmologischen Vorgänge in unmittelbarer Nähe und darüber hinaus informiert. Zweifelsohne ist der Teil an Geheimnissen, die der Kosmos zu bieten hat und welche der Mensch bisher erschließen und erklären konnte, nur eine verschwindet geringe Prozentuale. Dennoch ist heutzutage die eben bereits erwähnte „gesunde Mehrheit“ wohl doch der Überzeugung, dass sich unser Sonnensystem nicht in einem geozentrischen Zyklus befindet, sondern heliozentrisch, also mit der Sonne als Zentrum, ausgerichtet ist. Doch was in der Moderne durch hinlängliche Beweise als gegeben akzeptiert wird, ist lange Zeit anders interpretiert worden. Bevor das heliozentrische Verständnis unseres Sonnensystems den geozentrischen Ansatz ablöste, ging man davon aus, dass sich die verschiedenen Planeten und Himmelskörper auf kreisförmigen Bahnen um die Erde bewegen.1 Diese Denkweise kann man sich fast wie das Schalenmodell eines Atoms vorstellen, ganz so wie es später der Physiker Nils Bohr für sein Atommodell postulierte, nur dass man sich das kosmologische Prinzip auf der Basis verschiedener Sphären vorgestellt hat. Behält man diesen Vergleich also im Hinterkopf und führt sich das daraus hervorgehende Resultat vor Augen, erhält man ein Modell, in dem die Sterne, auf Basis einer geozentrischen Ausrichtung, in Sphären zirkulieren bevor dann die sogenannte Fixsternsphäre beginnt.2 Wenn man nun kurz über diese Ausrichtung des Kosmos nachdenkt, so drängt sich schnell die Frage nach der Sonne auf. Bildet diese nicht das Zentrum unseres Sonnensystems, so muss sie zwangsweise an anderer Stelle verordnet werden. Eudoxos von Knidos geht in seinem homozentrischen System davon aus, dass sich die Sonne in „der Mitte“ der Reihenfolge der Planeten befindet und ihre Sphäre sich zwischen denen von Venus und Mars finden lässt.3 Tatsächlich gibt es auch schon zu dieser Zeit Vorstellungen, die auf einen Kompromiss zwischen dem geozentrischen und dem heliozentrischen System hindeuten.4 Diese tiefergehend zu betrachten würde allerdings nicht dem Ziel dieser Arbeit dienen, weshalb im Fortlauf davon abgesehen wird.

Trotzdem bleibt die Frage danach bestehen, wieso es nun überhaupt wichtig ist, sich eingängig grundlegend mit dem kosmologischen Prinzip vertraut zu machen, um sich mit den Niederschriften und Gedanken Konrads von Megenberg auseinanderzusetzen und diese richtig zu verstehen. Diese Frage lässt sich zwar nicht in einem Satz beantworten, aber das Prinzip der Denkweise, welches der Antwort zugrunde liegt, lässt sich sehr wohl in einem Satz benennen. Das sogenannte „Argumentum a maiore ad minus“ ist lange Zeit das führende Argument im Punkto Beweisführung und generellem Umgang mit Vergangenem und den daraus resultierenden Ableitungen für die Auffassung und Handhabung von Situationen der jeweiligen Gegenwart. Bis weit in das 11./12. Jahrhundert hinein, war es üblich von der Satzung auszugehen, dass Dinge, die sich im Großen auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, erst recht auf der nächstkleineren Ebene so funktionieren müssen. Bis diese Ansicht im Verlauf der intellektuellen Debatten, die der Investiturstreit des 11. Jahrhunderts nach sich zog, langsam verblasste und durch die aufkommende Schule der Scholastik abgelöst wurde, nutzte man sie, um sich alles Erdenkliche herzuleiten und zu erklären. Ähnlich ist es auch bei Konrad von Megenberg. Wie bereits erwähnt, basiert die kosmologische Vorstellung und deren Prinzip auf verschiedenen Sphären. Im innersten des Kosmos befinden sich die Sphären der vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer.5 Der Zusammenschluss dieser vier Sphären, aus deren Vereinigung die Welt besteht, wird auch als sublunare Sphäre bezeichnet. Sie bilden also die Basis des Kosmos. Und tatsächlich lässt sich bereits an dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, elementaren Basis eine erste und gleichzeitig wegweisende parallele zum Buch der Natur erkennen. In seiner Einleitung formuliert Megenberg gleich im ersten Satz:

„Got beschuof den menschen an dem sehsten tag nâch andern crêatûren und hât in beschaffen âlso, daz seins wesens stük und seins leibes gelider sint gesetzet nâch dem satz der ganzen werlt,[…].“ 6

Er schreibt also, dass der Mensch nach dem „satz“, also nach dem Prinzip der Welt beschaffen worden ist und offenbart damit eine ganz entscheidende Sichtweise auf das zeitgenössische Verständnis der menschlichen Anatomie. Was damit im Einzelnen gemeint ist, soll an späterer Stelle beschrieben werden, wenn das Themenfeld der Humorallehre zum Gegenstand der Untersuchungen wird, aber es lässt sich bereits deutlich eine Betrachtung des Menschen als Mikrokosmos erkennen, welche das eben angeführte „Argumentum a maiore ad minus“ exakt in seinem Kern bestätigt. Direkt der erste Satz der Einleitung verrät also, dass die Gesamtheit der Erkenntnisse des Buchs der Natur in einer unablässigen Parallelität zwischen dem Prinzip des Kosmos und dem der menschlichen Anatomie zu betrachten sind, da diese in einer makro- bzw. mikrostrukturellen Proportion zueinanderstehen und daher zwangsweise Kongruenz aufwerfen. Doch ist diese Erkenntnis nicht die einzige wichtige Information, welche diesen einleitenden Worten zu entnehmen ist. Die Person „Gott“ hat ohne Zweifel eine sehr wichtige Rolle inne, denn die Nennung Gottes als erstes Wort überhaupt und der Verweis auf seinen allumfassenden Verdienst an der Schöpfung alles Existentem, sind sicherlich nicht willkürlich zur einleitenden Sequenz geworden. Im Gegenteil, sie bilden sogar ein Element, welches ein erneutes Pendant zwischen der Makroebene des Kosmos und der Mikroebene des Menschen aufdeckt. Die Rede ist von Gott als „schaffende Kraft“ und Initiator. Betrachtet man erneut das Sphärenmodell des Kosmos, erkennt man, dass auf die sublunare Sphäre die Sphären der Planeten folgen, bis die sogenannte Fixsternsphäre erreicht ist, über welcher sich die Sphäre des Kristallhimmels befindet, an welche sich die oberste Sphäre anschließt, nämlich die des „primum mobile“.7 Diese oberste Sphäre, zu Deutsch die Sphäre der „ersten Bewegung“, ist die Sphäre Gottes, der als Schöpfer und Initialisierung des gesamten Kosmos gesehen wird. Es wurde davon ausgegangen, dass Gott am Anfang von allem Existentem an der äußersten Sphäre wie an einem Rad gedreht habe und somit eine Art Initialzündung für den gesamten Kosmos gegeben habe, welche diesen für alle Zeit in Bewegung halten wird. Dieses Wissen per se, stellt zwar noch keine Referenz zwischen dem Kosmos und dem Menschen her, doch betrachtet man nun wieder Megenbergs Text, lässt sich dort folgende Passage lesen:

„[…] und kain ander crêatûr hât vernunft ân den engel und den menschen, und dar umb ist kain tier gelernich mit rehter kunst als der mensch ist. auch wegt diu sêl des menschen leib von stat ze stat recht als der himelweger tuot den himel.“8

Sinngemäß steht dort, dass Gott keinen anderen Kreaturen die Gabe der Vernunft verliehen hat, außer den Engeln und den Menschen. Sie haben als einzige Wesen die Möglichkeit zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und sich bewusst für eines davon zu entscheiden. Der stetige Antrieb in diesem Prozess, der den Menschen von „stat ze stat“, also von Stelle zu Stelle führt, bildet dabei die Seele des Menschen, die ihn so bewegt, wie der Himmelsbeweger es mit dem Himmel tut. Die erneute Analogie zwischen Kosmos und Mensch liegt also vollkommen auf der Hand und deckt erneut ein enorm interessantes Gedankengut der damaligen Zeit auf. Ruft man sich nämlich nochmal die Sphäre des „primum mobile“ und die damit verbundene Initialkraft Gottes für den gesamten Kosmos ins Gedächtnis und denkt dann über die eben zitierte Passage bei Megenberg nach, so kommt man nicht umhin zu bemerken, dass auch hier wieder das für den Menschen als Mikrokosmos gilt, was bereits für den gesamten Kosmos angenommen wird. Denn nicht nur die Summe aller Sphären wurde einst vom „Himmelsbeweger“ in Gang gesetzt, sondern auch im Menschen ist es, in Form von der vernunftbegabten Seele, die ihm von Gott geschenkt wurde und welche ihn von Stelle zu Stelle antreibt, etwas Göttliches, was ihn in Bewegung hält. Eine faszinierende Erkenntnis, die zum einen erneut das „Argumentum a maiore ad minus“ bekräftigt und zum anderen auch deutlich zeigt, wie unfassbar komplex die Vorstellung der Analogien und Kongruenzen zwischen dem Kosmos und der menschlichen Anatomie gewesen sind.

Doch sind die zeitgenössischen Annahmen im Bereich der menschlichen Anatomie und der Kosmologie in ihrer Komplexität noch zwingend um ein weiteres Themenfeld zu ergänzen. Gemeint ist der damalige Umgang mit dem Bereich der Medizin, denn basierend auf hippokratischen Lehren wurden, ins Besondere durch den Wissenschaftler Galen9, die Analogien des Menschen und des Kosmos auf medizinische Postulate abgewendet, welche das Bild der Humorallehre evozierten und die Vorstellungen der praktikablen Medizin für viele Jahrhunderte geprägt haben. Im folgenden Kapitel soll nun eben jenes Modell der Humorallehre zum Gegenstand der Untersuchung werden.

3. Medizin in der Mediävistik – Die Humorallehre

Beschäftigt man sich mit der Medizin, der Anatomie des Menschen oder dem allgemeinen Verständnis von Gesundheit und Wesen des Menschen im Mittelalter, so muss man sich beinahe zwangsweise mit den Thesen der Humorallehre auseinandersetzen. Wie sich zeigen wird, baut diese Theorie, ähnlich wie auch schon Teile des kosmologischen Prinzips im vorherigen Kapitel, ebenfalls auf die vier Elemente auf und entwickelt einen Ansatz, der sich „Säftelehre“ nennt und laut dem, mittels Ausgewogenheit dieser „Säfte“, für die Gesundheit des Menschen gesorgt wird.10

3.1 Basis der Humorallehre – Die vier Elemente im Menschen

Wie bereits erwähnt soll in diesem Kapitel der Arbeit das Prinzip hinter der Humorallehre betrachtet und erklärt werden. Wie schon im vorherigen Kapitel, ist auch hier das Ziel einen grundlegenden Einstieg und Überblick zu geben, auf dessen Basis sich dann später konkrete Textstellen finden lassen, die zeigen, wie Konrad von Megenberg diese Theorien in sein „Buch der Natur“ einfließen ließ. Wirft man nun also einen ersten Blick auf das Schema der Humorallehre, so lässt sich sofort bemerken, dass auch an dieser Stelle erneut die vier Elemente im Fokus stehen. Bei tiefergehender Überlegung lässt sich sogar erneut das bereits erkannte Bezugssystem zwischen den Elementen, dem Kosmos, dem Göttlichen und dem Menschen wiederfinden, welches bereits das vorherige Kapitel durchzogen hat. Interessant wäre es nun an dieser Stelle einen Ursprung für dieses Bezugssystem zu finden. Selbstverständlich gibt es viele Quellen, die aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen stammen und allesamt von der Komplexität berichten, die seit Anbeginn der Zeiten zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen herrscht, aber diese Quellen überspringen meist einen kleinen Schritt und präsentieren nur das Endergebnis in Form einer menschlich-göttlichen Korrelation. Diese ist zwar in der Summe ein Ergebnis zu dem auch, wie im vorherigen Kapitel am Beispiel der Seele erklärt11, Megenberg gekommen ist, aber dennoch gibt es eine weitere „Brücke“ zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen, welche ihre Basis in den selben vier Säulen findet, auf denen auch die Humorallehre beruht, nämlich den vier Elementen Erde, Luft, Wasser und Feuer.

Der antike Chronist Diodor berichtet in einem seiner zahlreichen Bücher von einer Zuordnung der alten Ägypter zwischen Göttern und den vier Elementen.12 Dass die Namen der gewählten Götter denen griechischer Götter entsprechen und somit nicht vollständig in die ägyptologische Natur von Diodors Quelle passen, ist der griechischen Abstammung Diodors geschuldet und tut an dieser Stelle nichts zur Sache. Wichtig und entscheidend ist die Erkenntnis darüber, dass sich das Göttliche nicht nur in der Seele widerspiegelt, sondern auch den verschiedenen Elementen innewohnt, was an dieser Stelle nun Anlass zu einem kleinen Rückblick in das vorherige Kapitel bietet. Dort wurde Megenbergs Textstelle zitiert, in der es heißt, dass Gott den Menschen nach der Satzung der gesamten Welt schuff.13 Eine Antwort, was damit genau gemeint ist, blieb das Kapitel allerdings absichtlich schuldig, es lieferte lediglich den Grundstein. Denn aus dem dort beschriebenen Sphärenmodell ging unter anderem deutlich hervor, dass der Zusammenschluss der vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft das Innerste des Kosmos bildet und somit die Welt ausmacht.14 Ist nun also der Mensch so beschaffen, wie es auch die Welt ist, gelangt man zwangsweise zu der Annahme, dass also auch der Mensch selbst aus den vier Elementen besteht. Und tatsächlich schreibt auch Megenberg in seinem Vorwort zum Buch der Natur:

„auch ist der mensch gemischet auz den vier elementen, die dâ haizent feur, luft, wazzer und erd.15

Zwar wird bei Megenberg kein direkter Bezug zwischen verschiedenen Göttern und Elementen gezogen, aber dies ist sicherlich dem, bereits zu diesem Zeitpunkt, vorherrschenden monotheistischen Glauben geschuldet. Was aber bleibt ist die Stellung der Elemente als Basis der Welt und des Kosmos sowie auch als Basis des Menschen, worin sich durchaus ein göttliches Moment verzeichnen lässt.

Nachdem nun die Frage nach dem Ursprung und der Basis der Humorallehre kurz behandelt worden ist und bevor das Modell der Humorallehre dargestellt wird, um im anschließenden Kapitel, in Kombination mit dem Wissen über das Sphärenmodell, ausgewählte Textstellen zu untersuchen, soll noch ein kurzer, zugegebenermaßen spekulativer, Gedankenansatz seinen Platz in dieser Arbeit finden. Megenberg beruft sich in seiner Schrift über die natürlichen Dinge immer wieder auf Autoritäten in Form von antiken Philosophen und Wissenschaftlern. So auch unmittelbar nach der Passage, in der er schreibt, dass der Mensch von Gott aus den vier Elemten geschaffen wurde, wo es heißt:

„dar umb als Aristotiles spricht: sô der mensch ain kindel ist, sô gêt er auf den henden, dar nâch gêt er aufreht auf den füezen unz an daz letzt alter, sô pückt er sich dan wider zuo der erden, dâ mit bezeugt er im selber, daz er von der erden komen sei und wider zuo erden werden muoz.“16

Zunächst sei bemerkt, dass sich in dieser Aussage auf ganz spannende Art und Weise eine Beweisführung mittels Logik finden lässt. Diese Aussage von Aristoteles ist keineswegs einfach nur eine reine Beobachtung, sondern vielmehr, aus der Perspektive der damaligen Zeit, ein von Logik durchdrungener Beweis dafür, dass der Mensch tatsächlich aus den vier Elementen zusammengesetzt wurde. Doch vielleicht steckt sogar noch mehr in dieser Aussage. Das Sphärenmodell, von dem auch Megenberg ausgeht, verordnet außerhalb des Gesamtbereiches der Sphären den sogenannten „habitaculum die“, was so viel heißt wie „Wohnraum Gottes“.17 Dort vermutet man den Aufenthaltsort Gottes und hat die Vorstellung, dass die Verstorbenen zu ihm in den „habitaculum die“ aufsteigen, beinahe so, wie wir Christen uns heutzutage den „Himmel“ im religiösen Sinne vorstellen. Und genau an dieser Stelle lässt sich eine interessante Parallele zu der Aussage von Aristoteles ziehen. Denn sowohl in der Vorstellung, dass eine verstorebene Seele zu Gott aufsteigt, als auch in jener Vorstellung, dass der Mensch sich im Alter bückt, weil er wieder zu dem zurückkehrt, woraus er einst entstanden war, offenbart sich das gleiche Prinzip. Der Mensch entsteht aus etwas von Gott gegebenen – im Altertum die Elemente und später dann das vernunftbegabte „Werkzeug“ der Seele – und kehrt auch wieder dorthin zurück. Möglicherweise steckt in dieser Aussage also schon eine Art „Vorreiter“ des christlichen Gedankens, dass der Mensch das Leben von Gott eingehaucht bekommt, um am Ende seines Lebens wieder zu Gott zurückzukehren.

3.2 Das Modell der Humorallehre – Die vier Säfte im Menschen

Wie nun bereits gezeigt wurde, ging man also davon aus, dass sich nicht nur der gesamte Kosmos, sondern auch der menschliche Körper, im Wesentlichen aus den vier Elementen zusammensetzt. Auf dieser Annahme beruht auch das Prinzip der Humorallehre. Allerdings ist es in seiner Komplexität weitaus tiefergehend und bemüht sich, auf jegliche Vorgänge des Körpers eine Antwort geben zu können. Zurückführen lässt sich dieses Konzept auf den griechischen Wissenschaftler Hippokrates, welcher bereits zu antiken Zeiten in seinem Werk „Corpus Hippocraticum“ von den vier Säften im menschlichen Körper sprach. Dieses Werk ist im Laufe der Zeit oft übersetzt, kommentiert und interpretiert worden, und so kommen bei Weitem nicht alle Abhandlungen und Rezensionen der verschiedenen Autoren zum selben Ergebnis.18 So bemerkt Schöner zum Beispiel, dass sich in den überlieferten Unterlagen des Hippokrates keine direkten Analogien zwischen den Elementen und den vier Körpersäften finden lassen19 und sich diese Korrelationen wohl erst im Zuge aristotelischer Schriften, die auf den Corpus Hippocraticum aufbauten, entwickelt haben.20 Wie sich das bei Megenberg verhält, gilt es also im späteren Verlauf der Arbeit dringend zu untersuchen, da solche divergenten Beobachtungen stets Hinweise darauf geben können, welche Quellen der Autor genutzt hat und über welche Stationen das Wissen tradiert worden ist. Doch soll an dieser Stelle zunächst die hippokratische Version den Grundstock bilden. Die Unterteilung der vier Säfte im Menschen beruht auf der Annahme, dass es Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle gibt21, welche im Einklang und richtigen Verhältnis sein müssen, damit der Körper gesund ist. Auch wenn dieser Ansatz aus moderner Sicht nahezu naiv wirken mag, steckt hinter diesem Konstrukt doch eine Komplexität, die durchaus beeindruckt und derer ein gewisses Maß an intrinsischer Logik nicht abzusprechen ist. Die Säfte werden nämlich nie für sich alleine betrachtet, sondern ständig in Relation zu anderen Faktoren. So kommt es, dass den Flüssigkeiten zum Beispiel schon von Hippokrates verschiedene Qualitäten und Abhängigkeiten von Jahreszeiten zugesprochen werden.22 Der Schleim wird als kühlste Flüssigkeit beschrieben und daher der Winterzeit zugeordnet. Demnach ist der Sommer, die heiße Jahreszeit, jene Zeitspanne, in der der Körper am wenigsten Schleim besitzt. Daher leidet der Mensch auch überwiegend im Winter an den „Schleimkrankheiten“ wie Erkältungen und Husten und bleibt im Sommer meist davon verschont. Was dieses Beispiel zeigt, ist nicht nur eine Demonstration des Grades der Komplexität und der Logik, sondern es impliziert zudem die Antwort auf die Frage, wie sich damals eine Krankheit und deren Entstehung überhaupt vorgestellt worden ist. Wenn die Schlussfolgerung dazu führt, dass sich zu gewissen Zeiten manche Flüssigkeiten vermehrt bilden und man dann erhöhte Gefahr läuft, an diesen zu erkranken, führt das zwangsweise zu der Erkenntnis, dass die Krankheit also als eine Art Ventil des Körpers verstanden worden ist. Wenn also von einem Gleichgewicht der Säfte gesprochen wurde, konnte das nur erreicht werden, wenn der überschüssige Saft „ablaufen“ konnte. Diese Erkenntnis ist gerade dann wichtig, wenn sich später bei Megenberg mit den einzelnen Organen befasst wird, da auch diese in Relation zueinanderstehen und sogar deren Anordnung im Körper nicht willkürlich ist, sondern teils kosmologischen, teils humoralpathologischen Gründen folgt. Um im Zuge dieser Betrachtung dann einen möglichst guten Blick für das Komplexe der Humoralpathologie haben zu können, sei nun an dieser Stelle eine kurze Aufzählung der wichtigsten Relationen gegeben, in denen sich die Säfte, die Jahreszeiten und die Qualitäten befinden. Dem Frühjahr wird ein Überschuss an Blut zugesprochen, welches feucht und warm ist. Das Pendent dazu bildet der Herbst, welchem ein Überschuss an schwarzer Galle zugeteilt wird, der die Qualitäten trocken und kalt zugeteilt worden sind. Der Sommer ist die Zeit der gelben Galle, welche als trocken und warm galt und findet seinen Gegensatz im bereits erwähnten, von Schleimüberschuss geprägten Winter, dessen Saft als feucht und kalt beschrieben worden ist.23

[...]


1 Vgl.: Becker, Oskar: Das mathematische Denken der Antike, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 2. Auflage, Göttingen 1998, S. 80 ff.

2 Vgl.: Mittelstraß, Jürgen: Geozentrisch. Geozentrisches Weltsystem, In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, Schwabe Verlag, Basel 1974, S. 329 ff.

3 Vgl.: Becker, Oskar: Das mathematische Denken der Antike, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 2. Auflage, Göttingen 1998, S. 80 ff.

4 Vgl.: Wehrli, Fritz: Herakleides Pontikus, In: Die Schule des Aristoteles. Texte und Kommentar, Heft 7, Schwabe Verlag, Basel 1953, Fr. 104-117.

5 Vgl.: Grant, Edward: Celestial Orbs in the Latin Middel Ages. Modern Views of Medieval Orbs, In: ISIS, Band 78, The University of Chicago Press, Chicago 1987, S. 152 ff.

6 Von Megenberg, Konrad: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, Dr. Franz Pfeiffer (Hrsg.), Karl Aue Verlag, Stuttgart 1861, S. 3.

7 Vgl.: Grant, Edward: Celestial Orbs in the Latin Middel Ages. Modern Views of Medieval Orbs, In: ISIS, Band 78, The University of Chicago Press, Chicago 1987, S. 152 ff.

8 Von Megenberg, Konrad: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, Dr. Franz Pfeiffer (Hrsg.), Karl Aue Verlag, Stuttgart 1861, S. 3.

9 Vgl.: Nickel, Diethard: Galenos von Pergamon, In: Enzyklopädie Medizingechichte, Gerabek/Haage/Keil/Wegner(Hrsg.), Walter de Gruyter Verlag, Berlin/New York 2005, S. 448 ff.

10 Duden, Werner Sholze-Stubenrecht(Hrsg.), Kapitel: Humoralpathologie, Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus, Mannheim 2006.

11 Vgl.: Von Megenberg, Konrad: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, Dr. Franz Pfeiffer (Hrsg.), Karl Aue Verlag, Stuttgart 1861, S. 3.

12 Vgl.: Diodor: Liber II, 243, 2.

13 Vgl.: Von Megenberg, Konrad: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, Dr. Franz Pfeiffer (Hrsg.), Karl Aue Verlag, Stuttgart 1861, S. 3.

14 Vgl.: Grant, Edward: Celestial Orbs in the Latin Middel Ages. Modern Views of Medieval Orbs, In: ISIS, Band 78, The University of Chicago Press, Chicago 1987, S. 152 ff.

15 Von Megenberg, Konrad: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, Dr. Franz Pfeiffer (Hrsg.), Karl Aue Verlag, Stuttgart 1861, S. 3.

16 Von Megenberg, Konrad: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, Dr. Franz Pfeiffer (Hrsg.), Karl Aue Verlag, Stuttgart 1861, S. 3 ff.

17 Vgl.: Grant, Edward: Celestial Orbs in the Latin Middel Ages. Modern Views of Medieval Orbs, In: ISIS, Band 78, The University of Chicago Press, Chicago 1987, S. 152 ff.

18 Vgl.: Schöner, Erich: Das Viererschema in der antiken Humoralpathologie, In: Sudhoffs Archiv. Für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Heischkel/Schimank/Steudel/Zaunick(Hrsg.), Heft 4, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1964, S. 16.

19 Vgl.: Schöner, Erich: Das Viererschema in der antiken Humoralpathologie, In: Sudhoffs Archiv. Für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Heischkel/Schimank/Steudel/Zaunick(Hrsg.), Heft 4, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1964, S. 20.

20 Vgl.: Link, Heinrich Friedrich: Über die Theorien der Hippokratischen Schriften: nebst Bemerkung über Aechtheit dieser Schriften, Abhdl. Kgl. Akadem. Wiss., Berlin 1814, S. 224-240.

21 Vgl.: Corp. Hip., Liber VI, 38-40.

22 Vgl.: Corp. Hip., Liber VI, 46-50.

23 Vgl.: Corp. Hip., Liber VI, 48.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Zu Konrad von Megenbergs "Buch der Natur"
Untertitel
Das kosmologische und das humoralpathologische Prinzip
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Note
1,7
Autor
Jahr
2018
Seiten
19
Katalognummer
V535713
ISBN (eBook)
9783346122506
ISBN (Buch)
9783346122513
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Megenberg, Konrad, Buch, der, Natur, humanistisches, kosmologisches, Prinzip, Mediävistik, humoralpathologisch
Arbeit zitieren
Niklas Klinkenberg (Autor:in), 2018, Zu Konrad von Megenbergs "Buch der Natur", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535713

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Titel: Zu Konrad von Megenbergs "Buch der Natur"



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