Georg Büchners "Dantons Tod". Liebe und Gewalt in der Revolution


Seminararbeit, 2015

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


In Dantons Tod thematisiert Georg Büchner das Scheitern der Französischen Revolution und versucht dabei dem/der Leser/in die geschichtlichen Fakten in einer literarischen Verpackung näherzubringen. Er bedient sich dazu einer Fülle von Motiven, durch die er veranschaulicht weshalb die Revolution an den drei großen Zielen, insbesondere der Freiheit, auf ganzer Linie scheitert. Die Analyse dieser Aspekte ermöglicht den Text Büchners ein Stück weit besser zu erfassen und sich einer angemessenen Deutung anzunähern. In diesem Sinne bietet die nähere Betrachtung der Thematik "Liebe und Gewalt in Büchners Revolution" die Chance, die Dynamik der gesellschaftlichen Struktur und die Natur des Individuums, Fakten, die wesentlich zum Scheitern der Revolution beigetragen haben, zu begreifen. Welche Beziehung besteht in diesem Zusammenhang zwischen den Begriffen Liebe und Gewalt und welche Auswirkungen hat dieser auf das Scheitern der Revolution, insbesondere deren Freiheitsziel?

Liebesbegriff

Um die Positionen der Begriffe Liebe und Gewalt und ihre Beziehungen zu einander wie zur Freiheit zu erläutern, ist es zunächst notwendig, die Begriffe anhand des Textes zu erläutern.

Der Liebesbegriff setzt sich dabei im Wesentlichen aus zwei Komponenten zusammen: "Coeur und Carreau". Bereits auf Seite 51 seiner Erzählung bedient sich Büchner dieser Kartenspiel-Metapher, um auf die strenge Teilung des Liebesbegriffs zur Zeit der Revolution aufmerksam zu machen.

Das Coeur steht hier für die geistige, reine, gute Liebe, die ihr Gegenüber auf keusche Weise verehrt und schätzt. Es handelt sich dabei auch um die sentimentale Liebe, die das Liebesobjekt idealisiert und verklärt. Dieser Begriff lässt sich gut mit der Aufklärungslehre vereinbaren und bezeichnet ein Liebesideal, nachdem die Allgemeinheit streben sollte. Die geistige Liebe stellt eine Liebe der Vernunft dar und hat als natürliche Folge die Ehe. Erst innerhalb der Ehe kann es eine physische Komponente geben, die allerdings nicht dem Vergnügen, sondern der Zeugung von Nachkommen zugedacht ist. Ein gutes Beispiel für diesen Liebesbegriff in der Erzählung stellt Dantons Liebe zu Julie dar. Lust am körperlichen Akt hat innerhalb dieses Liebesbegriffs keinen Platz und gilt als Laster und Sünde.

Das Carreau auf der anderen Seite steht für die Vagina2 und stellt auf die körperliche Liebe ab, die als schmutzig, böse und verwerflich betrachtet wird. Unter dem Begriff Unzucht verteufelt man den physischen Liebesakt als Laster. In der Erzählung wird dieser Liebesbegriff fast immer mit der Prostitution verbunden, die allein Raum für dieses Bedürfnis öffnet. Durch den Geschäftscharakter, der in diesem Zusammenhang dominiert, wird die Erotik durch Prostitution auf eine niedere Position weit unter der geistigen Liebe gedrängt. Der banalisierte Charakter der Sache, erleichtert der Gesellschaft das Bedürfnis nach sexueller Lust als niedere Charakterschwäche zu deklarieren und diese zu verurteilen. Wie präsent und bedeutsam die Erotik als Laster für den Verlauf der Erzählung ist, verdeutlicht Büchner durch zahlreiche unterschwellige Anspielungen und sprachliche Zweideutigkeiten wie ursprünglich offene Aussprüche, die jedoch zensiert wurden. Diese finden sich im gesamten Text und veranschaulichen wie sexuell aufgeladen eine Gesellschaft ist, die sich vor der Sexualität verschließt und wie viele Probleme sie damit eröffnet. Ein gutes Beispiel für die Verwendung zweideutiger Begriffe zur Verdeutlichung der Problematischen Stellung der Erotik stellt Lacroix Ausspruch im 1. Akt Szene 5 dar: „[...] die Nönnlein von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschößen und wollten den Segen.“3 Damit bezeichnet er Prostituierte, die auf Arbeit warten. Die Prostituierte wird hier zynisch als Nonne, der Inbegriff der Keuschheit, dargestellt und der sexuelle Akt als Segen. Büchner verwendet gezielt solche, möglichst provokante und Delikate Anspielungen, um unterschwellig und subtil auf die Doppelmoral und Selbstverleumdung der damaligen Gesellschaft anzuspielen.

Büchner stellt die beiden Aspekte des Liebesbegriffs einander oft oppositionell gegenüber wie in der Kartenspiel-Metapher. Es handelt sich quasi um verschiedene „Karten“, die nicht vereinbar sind, da man sich entweder der tugendhaften, keuschen Liebe oder der lasterhaften, ausschweifenden Erotik verschreibt. Diese strikte Trennung bedingt, dass die Menschen zur Zeit der Französischen Revolution in sich gespalten und uneins mit sich selbst sind, was die Liebe betrifft4. Denn die Jakobiner verlangen, dass man sich der Vernunft zuwendet und dem Laster abschwört. Doch die Abwendung von einem Bedürfnis verstärkt lediglich die Sehnsucht danach, anstatt das Verlangen zu töten. So erlebt die Prostitution trotz zunehmender Moralisierung des Volks eine Blütezeit und wird auch von vielen Revolutionären, vor allem den Dantonisten in Anspruch genommen. Diese Situation sorgt für Spannungen innerhalb der Jakobiner und trägt dazu bei, Dantonisten und Robespierristen einander zu entfremden.

Heute wissen wir durch Freud und seine Nachfolger, dass geistige und körperliche Liebe zwei Seiten einer Medaille sind und wertungsfrei in einem Menschen vereint existieren und dies Lehre der Jakobiner falsch und schädlich ist. Ein Mensch, der sich einem Aspekt der Liebe entzieht ist gespalten und riskiert psychisch krank zu werden. Anzeichen dieser Erkenntnisse finden wir auch bei Büchners Protagonisten Danton und Robespierre. Beide stecken in einem Liebesaspekt fest und vermögen nicht beide widerspruchsfrei in sich zu vereinen. Danton schafft es nicht sich der Prostitution zu entziehen und sich nur seiner Frau zu widmen, die er zwar liebt, bei der er aber nicht alles findet, was er sucht. Immer wieder kehrt er ins Bordell zurück, um seine Lust zu stillen und stellt so ein Beispiel für einen Menschen dar, der es nicht schafft sich der Erotik zu entheben. Er zerbricht für den Leser sichtbar an dieser Widersprüchlichkeit, dieser Misere und gibt den ewigen Kampf um Frieden auf. Sein Frieden ist hier als Einigkeit in sich selbst und mit der Welt zu deuten, ein Zustand der unerreichbar ist, solange die Gesellschaft die Sexualität tabuisiert.

Robespierre hingegen ist so in seinen moralischen Vorstellungen gefangen, dass er vor der Erotik flieht, indem er sie zu Feindbild erklärt und als Laster verurteilt. Robespierres Zusammenbruch wird in der Erzählung nur durch seine beginnende Depression angedeutet, die während seinem berühmten Monolog herauskommt. Danton und Robespierre sind Musterbeispiele einer Gesellschaft, die am Ende unter anderem an ihrer Selbstverleugnung scheitert.

Der Gewaltbegriff

Ein weiteres wichtiges Motiv Büchners in "Dantons Tod" stellt der Gewaltbegriff dar, der sich sehr präsent durch die Erzählung zieht. Der "Terreur" bezeichnet den Höhepunkt der Gewaltherrschaft während der Revolution. Diese Zeitspanne behandelt Büchner in seiner Erzählung. Im Gespräch mit Robespierre wirft Danton ein: "Wo die Notwehr aufhört fängt die Gewalt an"5. An diesem Punkt wird darauf hingedeutet, dass innerhalb der Erzählung zwei Gewaltbegriffe unterschieden werden. Einerseits existiert Konsens darüber, dass die Revolution grundsätzlich nicht ohne Gewalt auskommt. Alle handelnden Fraktionen sind sich einig, dass, um sich aus der Unterdrückung durch die Aristokratie zu befreien ein gewisses Maß an Gewalt notwendig und gerechtfertigt ist. Diese Art der Gewalt wird Notwehr genannt. Die Fraktionen unterscheiden sich lediglich in ihrer Auffassung darüber, wie weit diese Notwehr reicht.

Für die Dantonisten einerseits endet der Notwehrbegriff mit dem Sturz der Aristokratie und deren Sympathisanten. Einer Moralisierung der Gesellschaft stehen sie skeptisch gegenüber, da sie selbst dem Laster sehr zugeneigt sind und nicht daran glauben, dass der Mensch sich vollständig diesem Bedürfnis entheben kann. Den Blutrausch der Robespierristen betrachten sie im Gegensatz zur Notwehr als Mord, während sie das frei sein von Lastern für unnatürlich und unwahrscheinlich halten, was allerdings auch auf den Umstand zurückzuführen ist, dass sie selbst es nicht schaffen dem Laster zur Gänze abzuschwören. Aus ihrer Sicht ist die Zeit gekommen von der Gewalt abzusehen und den Staat zu reorganisieren.

Für die Robespierristen auf der anderen Seite beinhaltet der Notwehrbegriff nicht nur den Sturz der Aristokratie, sondern auch die gewaltsame Zurechtweisung aller Individuen, die nicht ihre moralischen und politischen Ansichten vertreten. Den Einsatz von Gewalt, vor allem der Guillotine, nennen sie Schrecken, der zur Säuberung der Gesellschaft dient und als tugendhaftes Mittel gilt. Dabei glauben sie im Sinne von Kants Aufklärungslehre zu handeln, obwohl sie tatsächlich immer weiter von diesem Weg abkommen und die Gesellschaft in die Arme eines Blutrausches treiben, der im Sinne von Kants Ethik als Laster und Unvernunft betrachtet werden muss. Indem sie sich immer mehr diesem Rausch ergeben und beinahe schon Willkür bei der Auswahl der Totgeweihten walten lassen, da zum Beispiel schon das Tragen eines Taschentuchs oder die Fähigkeit zu lesen jemanden als Aristokraten ausweisen und ihm den Kopf kosten kann, wählen sie den Weg in die Anarchie, ins Chaos. Denn so werden sie blind für den Augenblick, da die Zeit der Reorganisation gekommen ist und weisen der Revolution ihren Weg in den Zusammenbruch aus sich selbst heraus. Die zahllosen Hinrichtungen, die bald jeden ereilen können, erzeugen lediglich den Schein einer Veränderung und Hilfe für das Volk.

Tatsächlich tragen diese Gewaltakte in keiner Weise zur Verbesserung der Situation des Volks bei, da dieses immer noch unter Armut, Arbeitslosigkeit und Hunger leidet. Sie ähneln lediglich einem Gladiatorenspiel6, wie der Autor es ausdrückt, und sollen das Volk davon ablenken, dass das Spiel im Grunde nur einen leidiger Ersatz für das versprochene Brot darstellt. Die Zeit da das Volk die Täuschung begreift rückt näher und wird das Scheitern der Revolution begründen.

Aufgrund dieser unterschiedlichen Ansichten erscheint es nur eine natürliche Folge, dass die Fronten geräuschvoll aufeinanderprallen. Der Konflikt zwischen Dantonisten und Robespierristen erlebt jedoch keinen Höhepunkt. Es kommt nicht zur vollen Entfaltung durch offene Konfrontation, weil Danton davor zurückschreckt. Er hat mit der Gewalt bereits gebrochen und ist des Kampfes überdrüssig. Danton versucht Robespierre in der friedlichen Diskussion zur Vernunft zu bringen, doch dieser antwortet mit Unverständnis und Gewalt gegen Danton. Er betrachtet Dantons bloße Infragestellung und persönliche Verweigerung von Gewalt als Konterrevolution, als feindliches, die Ziele verratendes Handeln. Dieser Einwand reicht für ihn aus, um sämtliche Dantonisten das Schafott besteigen zu lassen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Georg Büchners "Dantons Tod". Liebe und Gewalt in der Revolution
Hochschule
Universität Salzburg  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Seminar für Textanalyse
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V514898
ISBN (eBook)
9783346104069
ISBN (Buch)
9783346104076
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Georg Büchner, Dantons Tod, Französische Revolution
Arbeit zitieren
Marina Molnar (Autor:in), 2015, Georg Büchners "Dantons Tod". Liebe und Gewalt in der Revolution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/514898

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