Historische Semantik des Begriffes "âventiure" im mittelhochdeutschen Artusroman


Masterarbeit, 2019

79 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hartmanns von Aue Erec
2.1 Âventiure als Ereignis
2.1.1 Ritterliche Bewährungsproben
2.1.1.1 Joie de la curt als Eigenname von âventiure
2.2 Âventiure als Erzählung eines Ereignisses
2.2.1 Quellennennungen

3. Wolframs von Eschenbach Parzival
3.1 Âventiure als Ereignis
3.1.1 Ritterliche Bewährungsproben
3.2 Âventiure als Erzählung eines Ereignisses
3.2.1 Quellennennungen
3.3 Âventiure als poetologisches Element
3.3.1 Âventiure innerhalb der poetologischen Passagen
3.3.2 Frou Âventiure

4. Wirnts von Grafenberg Wigalois
4.1 Âventiure als Ereignis
4.1.1 Ritterliche Bewährungsproben
4.2 Âventiure als Erzählung eines Ereignisses
4.2.1 Quellennennungen
4.2.2 Âventiure als Erzählung – Die âventiure von Lifort

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur
6.3 Internetquellen

1. Einleitung

‚Âventiure? waz ist daz?‘ (527)[1] So lautet eine der berühmtesten Passagen von Hartmanns von Aue Iwein, in der Kalogrenant vom Waldmensch nach der Bedeutung des Begriffes âventiure gefragt wird und dieser ihm daraufhin das Konzept der ritterlichen âventiure erläutert (528–537). Es handelt sich hier um die erste und einzige Stelle in einem mittelhochdeutschen Artusroman, in der eine explizite Erläuterung einer Bedeutungsfacette des Begriffes âventiure vorgenommen wird. Die Iwein -Passage zeigt, dass âventiure in der höfischen Kultur ein feststehender Begriff ist, der häufig formelhaft verwendet wird und im Grunde keiner Erläuterung bedarf. Die Komplexität dieses Begriffes eröffnet sich erst, wenn dessen Sinn in Frage gestellt wird.

Im Wesentlichen handelt es sich bei der âventiure um einen literarischen Kernbegriff, der in ein bestimmtes literarisches Konzept eingebunden ist.[2] Âventiure gehört zu den Ausdrücken, an denen sich in einer nicht präskriptiv, nicht terminologisch und nicht metasprachlich verfahrenen Poetologie infra- und intertextuell auszulotende und auszufüllende Bedeutungsspielräume eröffnen.[3] Das Bedeutungsspektrum von âventiure ist sehr facettenreich und ist allein hinsichtlich seines poetischen Kontextes zu bestimmen. Es lassen sich im Groben zwei Verwendungsweisen von âventiure festmachen: Geschehen und Wiedergabe eines Geschehens.[4] Seinen Ursprung hat âventiure in der höfischen Dichtung, wobei der Begriff vor allem in der Artusepik zu finden ist und in seiner Bedeutung als ritterliche Bewährungsprobe das strukturbildende Element des Artusromans darstellt.[5] Strohschneider betrachtet âventiure gar als „unverzichtbares wie zentrales Konstitutionsmoment des Hofes“.[6]

An dieser Stelle setzt mein Forschungsinteresse an, verdeutlicht anhand folgender Fragen: Welche Bedeutungen von âventiure finden sich im mittelhochdeutschen Artusroman? Gibt es semantische Erweiterungen bzw. Verschiebungen innerhalb der einzelnen Artusromane? Wie hat sich die Bedeutung von âventiure ausgehend vom klassischen bis zum nachklassischen Artusroman verändert? Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen stellen die folgenden drei Artusromane dar: Hartmanns von Aue Erec als der erste Artusroman in deutscher Sprache[7], Wolframs von Eschenbach Parzival als innovativ erweiterter ‚arthurischer Gralsroman‘ sowie Wirnts von Grafenberg Wigalois als Vertreter des sogenannten nachklassischen Artusromans. Das Ziel meiner Arbeit besteht darin, die Bedeutungsfacetten des Begriffes âventiure im Artusroman zwischen 1180 und 1220 herauszuarbeiten. Dabei soll gezeigt werden, dass sich bei Hartmann die Grundbedeutung von âventiure als Ereignis nicht allein auf der unmittelbaren Ebene der Handlung, sondern auch auf der poetologischen Ebene wiederfindet, also zugleich Ereignis und Wiedergabe eines Ereignisses bedeutet. In Wolframs Parzival verlaufen die verschiedenen Erzählebenen immer wieder ineinander, wie die Bedeutungsmöglichkeiten der âventiure miteinander verschmelzen, sodass dieser Begriff in seiner Bedeutung als Ereignis im Verlauf der Handlung selbst zur âventiure als Erzählung wird, indem diese erzählt wird. Folglich sind die Bedeutungen „Ereignis und Erzählung“ nur schwerlich voneinander abzutrennen. Bei Wolfram zeigt sich bereits deutlich die Komplexität des Begriffes âventiure. Wirnt von Grafenberg fügt dem Begriff âventiure in seiner Bedeutung als ritterliche Bewährungsprobe einige neue Komponenten hinzu, indem er beispielsweise den zur âventiure gehörenden Zufall durch göttliche Fügung ersetzt.

Zu den verschiedenen Bedeutungen sowie Bedeutungsverschiebungen von âventiure innerhalb des mittelhochdeutschen Artusromans lässt sich eine Vielzahl an Literatur finden. Volker Mertens zeichnet die Entwicklung der Bedeutungsmöglichkeiten der âventiure von Hartmann zu Wolfram nach, indem er die Texte einer hermeneutischen Analyse unterzieht.[8] Hartmut Bleumer vollzieht seine Untersuchung anhand Hartmanns Erec und Iwein sowie Wolframs Parzival mit einem anschließenden Exkurs zu Gottfrieds Tristan, um herauszustellen, inwieweit Bedeutung und Sinnkonstitution im Begriff âventiure miteinander korrelieren.[9] Die Arbeit von Cora Dietl hält unter Rückgriff der Methode der Hermeneutik die Bedeutungsmöglichkeiten von âventiure im Wigalois fest und geht insbesondere auf dessen verändertes Konzept der ritterlichen âventiure ein.[10] Des Weiteren hat Klaus-Peter Wegera sehr schematisch die konzeptionelle Verknüpfung der einzelnen Bedeutungsvarianten von âventiure herausgearbeitet, indem er vor allem Textpassagen aus der Artusliteratur einer genauen Wortfeldanalyse unterzieht.[11] Was in den bestehenden Arbeiten fehlt, ist meiner Ansicht nach eine Darstellung der mannigfachen Bedeutungsfacetten von âventiure, die sich im Verlauf vom klassischen bis hin zum nachklassischen Artusroman zeigen. Die vorliegende Arbeit soll diese Forschungslücke schließen, um einen Beitrag zur Wortgeschichte des Begriffes âventiure zu leisten.

Im Allgemeinen werden in der historischen Semantik zwei Bedeutungstheorien vertreten: die pragmatische Semantik und die kognitive Semantik.[12] Die Wort- bzw. die Begriffsgeschichte entwickelte sich vor allem aus den historischen und hermeneutischen Wissenschaften.[13] Dabei interessiert die historische Semantik die Relevanz und Funktion der Sprache in historischen Prozessen, also konkrete Begriffe sowie historische Bedeutungen und nicht die Suche nach allgemeinen und zeitlosen Ursachen, Kategorien, Klassifikationen und Regeln semantischer Veränderungen im Sprachsystem.[14] Bereits Karl Otto Erdmann hat darauf hingewiesen, dass sich die Bedeutung eines Wortes nicht lexikalisch, sondern nur kontextuell erschließt. Es geht also nicht um das Einzelwort, sondern um größere semantische Einheiten.[15] Jost Trier prägte in den 1930er Jahren den Begriff des Wortfeldes und entwickelte daraufhin die sogenannte Wortfeldtheorie. Das Wortfeld bezeichnet eine Gruppe von Lexemen, die gemeinsam einen Bedeutungsbereich abdecken und deren Bedeutungen sich in diesem Bereich gegenseitig abgrenzen.[16] Diese Methode der Wortfeldtheorie bzw. Wortfeldanalyse ist im Einzelnen vielfach kritisiert, in ihrem Kern aber akzeptiert und kontinuierlich erweitert worden.[17]

Um die Bedeutungsfacetten des Begriffes âventiure im mittelhochdeutschen Artusroman zu erfassen, bediene ich mich zum einen der bewährten Methode der Wortfeldanalyse und zum anderen der klassischen Hermeneutik. Hierfür werden im zweiten Kapitel zunächst die âventiure -Belege in Hartmanns Erec näher betrachtet. In Anlehnung an Klaus-Peter Wegeras dichotomen Verwendungsweise der âventiure in ihrer Bedeutung als Ereignis bzw. als Erzählung eines Ereignisses werden zuerst die ritterlichen Bewährungsproben untersucht. Anhand einer genauen Wortfeldanalyse wird das Konzept der ritterlichen âventiure skizziert. Im Erec wird mit der Phrase Joie de la curt der ritterlichen âventiure ein Eigenname verliehen, was eine neue Bedeutungsebene eröffnet. Hiernach liegt der Fokus auf Hartmanns Quellennennungen, die ebenfalls einer genauen Wortfeldanalyse unterzogen werden, um deren Funktionen zu bestimmen. Um die Funktion der Quellennennungen zu bestimmen, soll insbesondere der Kontext, in dem der Begriff âventiure steht, näher betrachtet werden.

Im dritten Kapitel liegt der Fokus auf Wolframs Parzival. Die zuvor vorgenommene zweiteilige Betrachtung der âventiure in ihrer Bedeutung als Ereignis bzw. Erzählung eines Ereignisses wird beibehalten, um zunächst die ritterlichen âventiuren im Parzival hinsichtlich ihres Konzeptes genauer zu untersuchen. Danach werden die Quellennennungen ebenfalls einer genauen Wortfeldanalyse unterzogen, um die vom Begriff âventiure aufgerufenen Formen der Quelle sowie deren vor allem im Kyot-Exkurs angedeutete Quellenfiktion zu erschließen. Des Weiteren sollen die poetologischen Passagen, insbesondere die sogenannten Frauenpassagen, in denen der Begriff âventiure häufig zu finden ist, untersucht werden, um die dort beschriebene Beschaffenheit von Wolframs Erzählung herauszustellen. Die Komplexität von âventiure demonstriert Wolfram, wenn er die Allegorie mit dem Namen Frou Âventiure einführt, welche als poetologisches Element seiner Erzählung fungiert. Anhand einer genauen Analyse des Beginns des IX. Buches soll gezeigt werden, wie durch Frou Âventiure die verschiedenen Erzählebenen des Parzival aufgerufen und dabei gleichzeitig miteinander vermischt werden. Zudem soll das Verhältnis der beiden Erzählinstanzen, Erzähler und Frou Âventiure, untersucht werden, um zu bestimmen, inwieweit âventiure den Verlauf der Erzählung bestimmt und dabei gleichzeitig als poetologisches Element fungiert.

Im vierten Kapitel konzentriert sich die Analyse auf Wirnts Wigalois, wobei auch hier die zweiteilige Betrachtung von âventiure in ihrer Bedeutung als Ereignis bzw. Erzählung eines Ereignisses beibehalten wird. Folglich stellen die ritterlichen âventiuren den ersten Untersuchungspunkt dar, welche im Wigalois ein neues Konzept aufweisen: Âventiure scheint nicht mehr vom Zufall bestimmt, sondern von Gott. Eine weitere neue Komponente der ritterlichen âventiure deutet sich in der Phrase ze rehter âventiure zît (V. 293 u. V. 389) an, anhand derer untersucht werden soll, inwieweit âventiure und Zeit miteinander verknüpft sind. Auch im Wigalois werden mit dem Begriff âventiure Quellennennungen wiedergegeben, welche wie die zuvor untersuchten Passagen einer genauen Wortfeldanalyse unterzogen werden, um einen Vergleich bezüglich der Funktionen von Quellenangaben innerhalb der drei Artusromane zu ziehen. Darüber hinaus verwendet Wirnt den Begriff âventiure in seiner Bedeutung als Erzählung, wenn er am Ende des Romans die âventiure von Lifort andeutet. Bei dieser als âventiure bezeichneten Erzählung handelt es sich eben nicht um eine für den Artusroman typische Quelle, sondern um das weitere Geschehen, das jedoch nicht genauer erzählt wird.

Am Ende der Arbeit soll herausgestellt sein, dass sich vom klassischen bis hin zum nachklassischen Artusroman ein Bedeutungswandel des Begriffes âventiure vollzieht, der sich vor allem durch semantische Erweiterungen auszeichnet.

2. Hartmanns von Aue Erec

2.1 Â ventiure als Ereignis

2.1.1 Ritterliche Bewährungsproben

In Hartmanns Erec zeichnen sich anhand des Begriffes âventiure verschiedene Komponenten des Konzepts der ritterlichen Bewährungsprobe ab. Dabei fällt eine Kombination mit bestimmten Verben auf. Am häufigsten wird âventiure mit dem Verb reiten verknüpft, wie folgendes Beispiel zu Beginn des Romans verdeutlicht:

nû ẹnweste Erec niht

umbe dise geschiht,

wan daz er im durch sîn leit

ûf âventiure nâch reit. (218–221)[18]

Das Verb reiten verweist auf die enge Verknüpfung von âventiure und Ritter. Der Ritter reitet los und bewegt sich auf diese Weise auf die âventiure zu.[19] In der vorliegenden Textstelle ist es der Ritter Erec, der der âventiure entgegen reitet. Grund für seinen Ritt ist sîn leit (220), welches im Verlust seiner êre durch die Schmach des Zwergs besteht. In dieser Passage steht jedoch nicht das Finden und Bestehen von âventiuren im Vordergrund. Denn Erec reitet nicht blind der âventiure wegen los, sondern um seine êre wiederherzustellen. Âventiure könnte sich hier auch auf die Wildnis beziehen, da sich Erec außerhalb der höfischen Sphäre befindet.

Während der Beschreibung von Enites Pferd findet sich erneut die Kombination von âventiure und reiten: dô er nâch sîner gewonheit. / ze walde nâch âventiure reit (7398–7399). Auch an dieser Stelle ist es der Ritter, der sich auf die âventiure zu bewegt, indem er nâch âventiure reit (7399). Dabei bewegt er sich gleichzeitig auf den walde (7398) zu, strebt dem Nicht-Höfischen entgegen, und entfernt sich somit vom Hof. Der wald stellt als Verkörperung des Nicht-Höfischen einen typischen Raum für die ritterliche âventiure dar, da diese zumeist außerhalb der höfischen Welt stattfindet. Gleichzeitig ist der wald ein Symbolraum, der auf Bedrohung und Gefahr verweist und sich damit als idealer Schauplatz der ritterlichen âventiure erweist.[20] Hof und âventiure sind gegeneinander abgegrenzt.[21] Im Gegensatz zur vorherigen Textstelle wird das Reiten nâch âventiure hier als bewusste Handlung beschrieben. Für den Ritter ist das Streben nach âventiure eine Gewohnheit, also eine regelmäßige Tätigkeit. Wegera spricht davon, dass des Ritters „ganzes Sinnen und Trachten auf âventiure gerichtet“ sei.[22]

Des Weiteren wird âventiure häufig mit den Verben suochen bzw. vinden verknüpft. Ähnlich wie beim Verb reiten zeigt sich anhand des Verbs suochen, dass der Ritter als der aktive Part der âventiure entgegenstrebt. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen:

dar zuo sît ir gewâfent wol,

als ein guot ritter sol

der ze deheinen stunden

werlôs enwil werden vunden

und der âventiure suochet. (4336–4340)

An dieser Stelle weist Guivreiz Erec als guot [ en ] ritter (4337) aus, indem er einerseits seine Rüstung und andererseits seine innere Einstellung, sprich seinen Drang nach âventiure zu reiten, hervorhebt. Die Rüstung des Ritters stellt eine wichtige Grundlage für das Bestehen der ritterlichen âventiure dar. Ein guot ritter (4337) sollte immer gut gewâfent (4336) sein, wenn er eine âventiure sucht. Denn er selbst möchte nicht wehrlos von einem anderen suchenden Ritter aufgefunden werden (4339). Zudem geht es, wenn zwei Ritter auf âventiure ziehen, stets um ein gegenseitiges suochen und vinden. Das genaue Ziel ist zu Beginn der Suche jedoch nicht bekannt, sondern wird stets mit dem Begriff der âventiure umschrieben. In der Joie de la curt -Episode, die im nachfolgenden Kapitel noch genauer untersucht wird, findet sich erneut die Kombination von âventiure und suochen:

alle die erslagen hât

die des enwolden haben rât

von tumben herzen stiure,

si ẹnsuochten âventiure. (8478–8481)

Hier werden alle Ritter, die die âventiure Joie de la Curt bestreiten wollten, als dumm beschrieben. Sie ließen sich von ihren tumben herzen (8480) leiten und nicht von ihrem Verstand. Die Tatsache, dass alle Ritter erslagen worden sind (8478), verdeutlicht, dass die ritterliche âventiure immer mit einem Wagnis verbunden ist. Die Ritter, die âventiure suchen, sind somit ständig der Gefahr ausgesetzt. Zudem scheint der Drang, âventiure zu suchen, stets emotional und niemals rational begründet zu sein. Ein Ritter reitet der âventiure entgegen, weil es ihm ein inneres Bedürfnis oder eine ständige Gewohnheit ist. Er würde niemals länger darüber nachdenken, sondern handelt vielmehr aus dem Affekt heraus.

Nach der Zwischeneinkehr beim Artushof ist Erec sogleich bestrebt weiterzuziehen, um âventiure zu finden. Sein Auszug wird folgendermaßen beschrieben:

nû reit der ritter Êrec

als in bewîste der wec,

er enweste selbe war:

sîn muot stuont niuwan dar

dâ er âventiure vunde. (5288–5292)

Erec reitet einfach los, ohne genau zu wissen, wohin. Es gibt ein Ziel, aber den genauen Weg kennt der Ritter nicht. Hier zeigt sich, dass die ritterliche âventiure stets einen Ritt ins Ungewisse darstellt. Zudem wird gezeigt, dass das Streben nach âventiure einen inneren Antrieb des Ritters darstellt. Es ist Erecs muot (5291), also sein Gemüt, sein Empfinden, das ihn antreibt und ihn erst dort wieder zur Ruhe kommen lässt, dâ er aventiure vunde (5292).

Eine weitere Komponente der âventiure in ihrer Bedeutung als ritterliche Bewährungsprobe stellt der Begriff wân dar. Die Kombination von wân und âventiure findet sich im Erec an zwei Stellen: Zunächst in der Koralus-Episode, wenn Erec an seinen Gastgeber die folgenden Worte richtet:

ûf solher âventiure wân,

als ich nû gesaget hân,

sô bin ich im her nâch geriten. (492–494)

Erec schildert Koralus den Grund für sein plötzliches Auftauchen und beschreibt die Verfolgung des Zwergs als âventiure wân (492). Die âventiure besteht für Erec darin, sich an dem Zwerg zu rächen, um seine êre wiederherzustellen. Mit wân sind die Bedeutungen Hoffnung, Zuversicht sowie Erwartung assoziiert.[23] Die âventiure wird an dieser Stelle mit Erecs Hoffnung, den Zwerg zu finden und seine êre wiederherzustellen, verknüpft. Stefan Bauer sieht mit dem Begriff wân die handlungsmotivierende Situation des Ritters beschrieben.[24] Es ist Erecs wân, all seine Hoffnung, âventiure zu finden, die ihn antreibt. Die zweite Stelle, an der sich die Koppelung von âventiure und wân findet, ist der Aufbruch Erec und Enites von Karnant, der folgendermaßen beschreiben wird:

nâch âventiure wâne

reit der guote kneht Êrec.

nû wîste si der wec

in einen kreftigen walt. (3111–3114)

Auch in dieser Passage ist es Erecs wân auf âventiure, der ihn zum Aufbruch antreibt. Nach Ansicht von Stefan Bauer stellt nâch âventiure wâne (3111) eine typische Phrase dar, mit der die âventiure eingeleitet wird.[25] Die Kombination von nâch und wâne (3111) lässt sich zudem mit ‚aufs Geratewohl‘ übersetzen, was sich wiederum in den Versen 3113 und 3114 wiederfindet: Erec gibt sich ganz seiner Hoffnung auf âventiure hin und lässt sich ‚aufs Geratewohl‘ vom wec (3113) leiten. Hieran zeigt sich, wie groß seine Zuversicht auf âventiure ist. Dass der Weg Erec in einen kreftigen walt (3114) sprich in die außerhöfische Sphäre führt und damit in das Gebiet der âventiuren, ist dabei wenig überraschend.

2.1.1.1 Joie de la curt als Eigenname von âventiure

In Hartmanns Erec findet sich das Phänomen, dass eine âventiure einen Eigennamen besitzt: Joie de la curt. Diese âventiure, die über eine längere Episode hinweg erzählt wird, stellt die alles entscheidende ritterliche Bewährungsprobe für Erec dar. Die sinntragende Bedeutung der Joie de la curt -Episode wird bereits mit Einführung der Weggabelung zu Beginn der Episode angekündigt, wodurch Erecs Weg nicht festgelegt, sondern vielmehr vom Zufall bestimmt zu sein scheint. Da sich niemand an der Weggabelung auskennt, müssen sich Erec und seine Begleiter auf gut Glück für einen Weg entscheiden. Erec entscheidet sich nicht für die rehte [ n ] strâze (7816), sondern für die baz (7817). Es wird zunächst nicht von einem richtigen oder falschen Weg gesprochen. Erst später, als Guivreiz die Gegend wiedererkennt, spricht er davon, dass er Erec und Enite den falschen Weg gewiesen habe: ich hân mich übele übersehen, / gezeiget zuo der winstern hant. (7905–7906). Ob der Weg nun richtig oder falsch war, dass Ziel wurde eben nicht, wie mit der Weggabelung angedeutet, vom Zufall gesetzt, sondern der vermeintliche Zufall wird zur Fügung und erscheint damit als ein besonderes Glück.[26] Dieses besteht darin, dass Erec die âventiure Joie de la curt findet. Diese Erkenntnis hat auch Erec selbst, der sich vom König Ivreins nicht abringen lassen möchte, die âventiure zu bestreiten, da er fest davon überzeugt ist, dass Gott ihn hergeschickt hat, damit er Joie de la curt besteht:

got hât wol ze mir getân

daz er mich hât gewîset her

dâ ich nâch mînes herzens ger

vinde gar ein wunschspil

dâ ich lützel wider vil

mit einem wurfe wâgen mac.

ich suochtez unz an disen tac: (8527–8533)

Der Begriff wunschspil erinnert an die ritterliche âventiure, die ebenfalls ein vom Zufall und Glück bestimmtes Spiel, das mit einem Wagnis verbunden ist, darstellt. Zudem wird an dieser Stelle wiederum das Motiv des Suchens (8533) und Findens (8530) aufgerufen, wodurch wiederum eine Assoziation zur ritterlichen âventiure hergestellt wird. Des Weiteren beschreibt Erec seine Suche als grôze [ r ] ungewisheit (8525). Er wusste also bis zu disen tac (8533) gar nicht, wonach er gesucht hatte. Und nun, am Ende seiner Suche, wird Erec das Ziel seines Weges offenbart: Joie de la curt, eine ritterliche âventiure, die einen eigenen Namen trägt und damit eine besondere Bedeutung innehaben muss. Irmgard Gephart ist der Ansicht, dass in dieser Episode bei Erec eine unmittelbare Lust am Abenteuer und der Gefahr in den Hintergrund getreten ist und sich bei ihm stattdessen männliche Charakterfestigkeit und vor allem eine Gottergebenheit abzeichnen.[27] Für Ruth Firestone hat Erec in dieser Szene „the highest level of development a human can attain” erlangt.[28] Ebenso Christoph Cormeau, der Erec in dieser Episode mehr auf die Erfüllung ethischer Normen um ihrer selbst willen bedacht sieht.[29]

Doch wie ist diese besondere âventiure beschaffen? Guivreiz beschreibt Joie de la curt folgendermaßen:

‚nû wil ich iuch wizzen lân,

wie diu âventiure ist getân,

und rehte wiez dar umbe stât,

sît irs enwellet haben rât.

sist Joie de la curt genant.‘

[…] sî stât ze solhem gewinne

als ich iu rehte wil sagen.

swer si hie sol bejagen,

daz hât er im ze rehte

daz er si an im ervehte. (7998–8017)

Es handelt sich um eine âventiure, die bejage [ t ] (8015) werden, also gejagt und dann ausgefochten werden muss – scheinbar eine klassische ritterliche Bewährungsprobe. Joie de la curt erscheint dadurch als ein Ort, der traditionell das Ziel des nach âventiure suchenden Ritters darstellt.[30] Auf den ersten Blick scheint es der Gewinn zu sein, der diese âventiure so besonders macht. Vor allem, wenn im Verlauf der Episode der Begriff gewinne stets wiederholt (8013; 8032; 8398) und gesteigert wird: starkem gewinne (8385). Doch dieser gewinne wird nie genauer erläutert. Am Ende ist es Erec selbst, der sich den Gewinn der âventiure folgendermaßen ausmalt: ob mir got der êren gan /daz ich gesigẹ an disem man, / sô wirdẹ ich êren rîche. (8560–8562). Im Grunde scheint es sich hier um eine gängige ritterliche âventiure zu handeln, bei der zwei Ritter gegeneinander kämpfen und dem Gewinner êre zuteil wird. Wobei Erec in seinen Worten hervorhebt, dass die bereits bestehende êre der beiden Kontrahenten von vornherein nicht gleich verteilt ist, da Erec viel weniger Siege errungen hat als sein Gegner Mabonagrin (8543–8572). Des Weiteren wird die starke, von Joie de la curt ausgehende Gefahr dadurch betont, dass alle versuchen, Erec vom Bestreiten dieser âventiure abzuhalten, wie beispielsweise der Burgherr: und si gar ûz der ahte lât, / umbe disẹ âventiure. (8413–8414). Er hat Angst, dass Erec sein Leben verliert (8403). Hier zeigt sich, dass der Burgherr gar nicht die Möglichkeit erwägt, dass Erec die âventiure bestehen könnte. Diese Hoffnungslosigkeit wird damit begründet, dass selbst die drei besten Ritter in deheinem lande (8501) beim Bestreiten von Joie de la curt den Tod gefunden haben. Erec lässt sich von all diesen Warnungen jedoch nicht beirren. Die Warnungen scheinen seinen Willen zum Ausfechten der âventiure vielmehr zu bestärken (8030).

Im Baumgarten kommt es schließlich zum erwarteten Kampf zwischen Erec und Mabonagrin. Dieser Kampf markiert die schwierigste und wichtigste âventiure für den Ritter Erec. Hartmann schildert den langen und intensiven Kampf sehr ausführlich (9077–9318). Dieser Kampf ist geprägt von krefte (9086), manlîcher ger (9099), grimmen slege (9139)[31] und offenbart dadurch eine große Brutalität. Die Intensität des Kampfes verdeutlicht Hartmann anhand einer Minnemetaphorik (9106–9117).[32] Bemerkenswert ist, dass beide Kämpfer Stärke und Ausdauer durch ihre Frauen erhalten: Mabonagrin schöpft neue Kraft, indem er seine Frau, die sich in der Nähe des Kampfplatzes aufhält, immer wieder anschaut (9175–9179). Erec profitiert von diesem Phänomen in ähnlicher Weise, indem er an Enite denkt und dadurch mit niuwer maht /nâch manlîcher tiure vaht (9186–9187). Nach einem dramatischen Ringen erlangt Erec schließlich den Sieg und schenkt Mabonagrin großmütig das Leben.

Nach dem Kampf folgt ein Gespräch zwischen Erec und Mabonagrin (9319–9621), das den Umfang der Kampfschilderung noch übertrifft. In diesem Gespräch wundert sich Erec, wie Mabonagrin all die Jahre derartig abgeschieden nur in der Gesellschaft seiner Frau in diesem Baumgarten leben konnte. Dabei wird Erecs neu gewonnenes Verständnis bezüglich des Zusammenlebens von Mann und Frau offenbar:

und swie deheiner slahte guot

sô sêre ringe den muot

sô dâ liep bî liebe lît,

als ir und iuwer wîp sît,

sô sol man wærlîchen

den wîben doch entwîchen

zetelîcher stunde. (9418–9424)

An dieser Stelle zeigt sich, dass Erec aus seinem verligen gelernt hat. Indem er Mabonagrin erklärt, dass es falsch sei, all seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Frau zu lenken und dabei seine gesellschaftlichen Verpflichtungen zu vernachlässigen, offenbart Erec, dass auch er selbst bereit ist, diese Erkenntnis in Zukunft praktisch anzuwenden. Vor allem hat Erec erkannt, dass das gesellschaftliche Leben von essentieller Bedeutung für einen Ritter ist: wan bî den liuten ist sô guot (9438). Im weiteren Verlauf des Gesprächs erzählt Mabonagrin, wie es dazu gekommen ist, dass er und seine vriundinne abgeschieden von der Gesellschaft in dem Baumgarten leben. Dabei wird deutlich, dass er diese Lebensweise von deheinem vrîen muotẹ erkorn (9446), sondern den Wunsch seiner Frau erfüllt hat (9550–9561). Dieses Verhalten erschien Mabonagrin nur natürlich, wie sein Verständnis der Beziehung zwischen Mann und Frau offenbart:

wie möhte diu gesellschaft

hân deheiner liebe kraft

under mannẹ und wîbe

diu niuwan mit dem lîbe

schînent gesellen guot,

und dâ sich scheidet sô ir muot

daz daz eine lützel oder vil

gert des daz ander niht enwil? (9510–9517)

Für Mabonagrin war es bisher die größte Freude, jedem Wunsch seiner Geliebten zu entsprechen, so wie es umgekehrt seine Geliebte als Glück empfand, ihm seinen Willen zu erfüllen. Mabonagrin vertritt also ein Liebesideal, dass auf der Grundlage völliger Übereinstimmung im Denken, Fühlen und Wollen besteht.[33] Dieses bedingungslose gegenseitige Geben führte dazu, dass Mabonagrin und seine Geliebte sich immer weiter von der Gesellschaft isolierten bis sie sich schließlich im Baumgarten wiederfanden, der ihnen als Paradies erschien. Denn dort konnten sie ihre gegenseitige Liebe ganz und gar auskosten. Nach dem verlorenen Kampf und dem Gespräch mit Erec wird Mabonagrin bewusst, dass die von ihm geführte Lebensweise falsch und er im Grunde ein Gefangener war, wie seine Worte gegenüber Erec verdeutlichen: hiutẹ ist mînes kumbers zil: / nû var ich ûz und swar ich wil (9588–9589). In dem Gespräch der beiden Ritter werden vor allem komplexe Haltungen aneinander gemessen und die Dominanz Erecs beweist die Überlegenheit seiner Haltung.[34]

Bei Betrachtung der Kampfschilderung und des darauffolgenden Gesprächs zwischen Erec und Mabonagrin fällt auf, dass Hartmann den Fokus mehr auf die Diskussion der Ritter als auf ihre kämpferische Auseinandersetzung legt. Cormeau sieht in dem Gespräch eine Offenlegung der Bedeutung des Kampfes.[35] Hieraus lässt sich folgern, dass das Gespräch die eigentliche âventiure darstellt, da Erec in diesem seine neu gewonnene Einstellung praktisch in die Tat umsetzt, sich dadurch bewährt und all die durch sein verligen verlorene êre zurückerlangt:

Noch einmal wird die Grundthematik in Szene gesetzt und die Lösung des Problems, die bislang unausgesprochen im Handlungsgang eingezeichnet war, in einem symbolischen Akt narrativ objektiviert.[36]

So auch Norbert Sieverding, der Joie de la curt als symbolische Überwindung von Erecs altem Selbstverständnis als Ritter bezeichnet.[37] Somit stellt die âventiure Joie de la curt nicht allein einen ritterlichen Kampf dar, sondern vor allem eine Reflexion über das rechte ritterliche Verhalten. Und es erscheint nur allzu verständlich, warum Hartmann dieser âventiure einen eigenen Namen gegeben hat.

2.2 Â ventiure als Erzählung eines Ereignisses

2.2.1 Quellennennungen

Der Begriff âventiure gehört zu den häufigsten Quellennennungen in Hartmanns Erec.[38] Die erste Nennung von âventiure in ihrer Bedeutung als Quelle findet sich in der Tulmein-Episode:

ez hete der herzogẹ Îmâîn

hôchzît dâ vor zwei jâr:

saget diu âventiure wâr,

sô hetẹ er si dô zem dritten. (183–186)

In der zitierten Stelle beruft sich der Erzähler auf die âventiure, aus welcher er das Erzählte schöpft. Dass es sich hierbei um eine Quellenberufung handelt, wird anhand des Worts saget (185) verdeutlicht. Wegera ist der Ansicht, dass durch die Kombination von âventiure mit bestimmten Verben eine „Öffnung hin zur Personifizierung der ‚Quelle‘“[39] entstehe. Ungeklärt bleibt jedoch, ob es sich bei der zitierten Quellenberufung um eine mündliche oder schriftliche Vorlage handelt, wobei mit dem Wort saget das Wortfeld „erzählen“ eröffnet wird und damit eher die Mündlichkeit der Quelle betont wird. Pörksen weist auf die Regelmäßigkeit der kurzen Berufung auf mündliche Tradition bei Hartmann hin.[40] Die Forschung geht jedoch davon aus, dass Hartmann eine schriftliche Vorlage verwendet hat, sodass sich die betonte Mündlichkeit als fingiert ausweisen lässt und damit als Stilmittel fungiert, das vor allem auf die Vortragssituation des Romans hinweist. Hartmanns Erzähler nutzt diese Quellenangabe, um zu betonen, dass das Fest von Herzog Imain bereits zum dritten Mal in Folge stattfindet. Auf diese Weise erhält jenes Fest einen „realen“ Charakter, der zudem durch die Betonung der Wahrhaftigkeit der âventiure anhand des wâr (185) unterstrichen wird. Gleichzeitig wird die betonte Wahrhaftigkeit der Quelle jedoch durch die Verwendung des Konjunktivs saget (185) infrage gestellt. Die Wahrheit kennt allein die âventiure.

Die Kombination von âventiure und dem Verb sagen findet sich an einer weiteren Stelle, wenn von Erecs Aufbruch aus Guivreiz Schloss erzählt wird:

[als uns der âventiure] sage

von dem tugentrîchen zalt,

kam er in einen schœnen walt, (46296–46298)

Wie bei der zuvor analysierten Passage betont der Erzähler anhand des Pronomens uns (46296) seine Nähe zum Publikum, indem er dieses in seine Quellenberufung mit einschließt. Sagen (46296) eröffnet erneut das Wortfeld „erzählen“, wobei durch die zusätzliche Anfügung des Verbs zalt (46297) der mündliche Charakter der Quelle verstärkt wird. Dennoch bleibt die Quellennennung so vage, dass deren Mündlichkeit nicht eindeutig belegt werden kann. Wenn man die nächsten Verse der zuvor zitierten Passage betrachtet, scheint sich der undurchsichtige Charakter dieser Quellenberufung aufzulösen:

dar in der künec Artûs

von Tintajôl sînem hûs

was geriten durch jaget,

als uns Crestiens saget.

mit schœner massenîe. (46299–2913)

An dieser Stelle findet sich die einzige Nennung des französischen Dichters Chrétien, der Hartmann nachweislich die Vorlage für seinen Text geliefert hat. Diese Berufung auf Chrétien stellt die genaueste Quellenangabe des Erec dar, wobei jedoch bei der Interpretation dieser Textpassage beachtet werden sollte, dass Handschrift A an dieser Stelle eine Lücke aufweist und durch das Fragment W ausgefüllt wird.[41] Deshalb bezweifeln Cormeau und Störmer, dass man diese Nennung Hartmann zuschreiben kann.[42] Scholz betont hingegen die große Nähe zwischen A und W und sieht keinen Anlass, diese Namensnennung nicht Hartmann zuzuschreiben.[43] Wenn wir davon ausgehen, dass der Verweis auf Chrétien von Hartmann stammt, ist es auffällig, dass der Erzähler gerade an dieser Stelle seine Quelle am genauesten benennt. Die Quellenberufung bezieht sich auf die schœner massenîe von König Artus und steht damit im Zusammenhang mit der Schönheit und Pracht des Hofes, die in den folgenden Versen jedoch nicht weiter beschrieben wird. Dass es sich bei dieser Quelle um eine Legitimation für die unbezweifelbare Pracht des Hofes handelt, ist eher unwahrscheinlich, da die übersteigerte Schilderung des prachtvollen Hofes von König Artus fehlt. Die Funktion der Quellenberufung ist mehr auf der formalen Ebene zu verorten, indem diese eine „Flickformel“ für das Reimschema darstellt: Der Vers alse uns Crestiens saget (462912) wird eingefügt, um das Reimschema zu erfüllen.

In der Koralus-Episode findet sich ein weiterer Beleg von âventiure in ihrer Bedeutung als Quelle:

nâch der âventiure zal

sô hete der selbe altman

eine schâfkürsen an

und des selben ûf einen huot:

diu wâren beidiu alsô guot,

als in sîn state leite:

er enphlac niht rîcheite.

sîn gebærde was vil hêrlîch,

einem edeln manne gelîch. (281–89)

Hier findet sich die typische Formel nâch der âventiure zal (281) wieder, mit der wiederum das Wortfeld „erzählen“ eröffnet wird. Den Bericht der âventiure aufgreifend, beschreibt der Erzähler die Kleidung von Koralus. Scholz ist der Ansicht, dass es sich an dieser Stelle aufgrund der wenigen bedeutsamen Details um eine fiktive Quellenberufung handelt.[44] Dem fiktiven Charakter dieser Quellenberufung kann nicht widersprochen werden, jedoch der wenig bedeutsamen Einzelheiten. Gerade diese Details hinsichtlich Koralus’ Kleidung sind bedeutsam, da dessen Kleidung seinen sozialen Status widerspiegelt. Koralus’ Kleidung ist gerade so gut, wie es seinen ärmlichen Verhältnissen entspricht und zeigt, dass er enphlac niht rîcheite (287). Trotz seiner einfachen Kleidung offenbart Koralus durch sein Verhalten, dass er einem edeln manne gelîch (289) ist, wodurch sich seine ursprünglich adelige Herkunft andeutet. Durch die Quellenberufung wird der Kontrast von Koralus’ Kleidung und seiner adeligen Herkunft unterstrichen sowie seine Bedeutung für den weiteren Verlauf der Geschichte hervorgehoben. In diesem Fall ließe sich die Quelle als Markierung betrachten, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf diese Stelle der Erzählung zu lenken. Denn was mit einer Quelle markiert wird, scheint wichtig zu sein.

In Hartmanns Erec findet sich eine weitere Stelle, in der die Berufung auf die âventiure im Zusammenhang mit der Beschreibung des Äußeren einer Figur steht:

als uns diu aventiure zalt,

sô was sîn harnasch lobelîch,

er selbẹ einem guoten ritter gelîch. (743–45)

In dieser Passage beschreibt der Erzähler den Ritter Iders, gegen den Erec beim Sperberkampf antritt. Iders ist im Gegensatz zu Erec einem guoten ritter gelîch (745) für den Kampf gerüstet. Durch die Quelle wird die ausgezeichnete Rüstung Iders und damit sein herausragender Status als Ritter hervorgehoben. Gleichzeitig offenbart sich bei dieser Hervorhebung der Kontrast zwischen Erec und Iders, wodurch in Hinblick auf den bevorstehenden Kampf eine Spannung hervorgerufen wird. Somit scheint auch an dieser Stelle die Quelle die Wichtigkeit des Erzählten zu betonen.

Während der Hochzeits-Episode beruft sich der Erzähler erneut auf die âventiure:

nâch der âventiure sage

sô solde der turnei sîn

zwischen Tarebrôn und Prûrîn: (2239–41)

Hier steht Quellenberufung im Kontext einer Ortsangabe: Z wischen Tarebrôn und Prûrîn (2241) soll das Turnier während der Hochzeitsfeierlichkeiten stattfinden. Es handelt sich um fiktive Orte, deren Lage aufgrund des Verweises auf die Quelle nicht weiter erläutert werden muss. Wie zuvor offenbart sich eine Formelhaftigkeit der Quelle sowie der Anklang fingierter Mündlichkeit: nâch der âventiure sage (2239). Das Publikum wird diesmal nicht mit in die Quellenberufung eingeschlossen. Es scheint sich also um eine exklusive Quelle des Erzählers zu handeln. Im Hinblick auf diese Passage verbürgt die vom Erzähler genannte Quelle den Wahrheitsgehalt der dargelegten Fakten, um kritische Einwände abzuwehren und ließe sich unter Rückbezug auf Kramer und Arndt als Legitimation des Erzählten bezeichnen. Die gleiche Konstruktion nâch der âventiure sage findet sich in Vers 2897. An dieser Stelle wird die Freundlichkeit, mit der Erec und Enite im Königreich Lac empfangen werden, hervorgehoben.

Einen weiteren Beleg des Begriffs âventiure als Quellenberufung findet sich in der Beschreibung der Burg Brandigan:

vil guot was daz burcstal:

als uns der âventiure zal

urkünde dâ von gît,

sô was ez zwelf huoben wît. (7834–37)

Diese Beschreibung der Burg erstreckt sich über knapp 60 Verse und ist damit sehr ausführlich. Der Erzähler betont in seiner Beschreibung die Exorbitanz dieser Burg[45], indem er folgende Eigenschaften dieses Gebäudekomplexes nennt: Das Innere der Burg stellt einen ritterlîche[n] aneblic (7847) dar, die Türme ragen aus quâdern grôz (7850) empor und sind obene mit goldes knophen rôt (7866) geschmückt, deren schîn (7871) aus weiter Ferne zu sehen ist. Die Burg ermöglicht den Bewohnern ein Leben nâch grôzer werdekeit (7860). Um die Wahrhaftigkeit der in dieser Beschreibung dargelegten exorbitanten Burg zu verbürgen, leitet der Erzähler diese Passage mit dem Begriff âventiure ein. Mit dem Begriff urkünde (7836) wird die Wahrhaftigkeit der âventiure bekräftigt: Die âventiure gilt als Beweis bzw. als Zeugnis für das Beschriebene. Wie bereits zuvor schließt der Erzähler das Publikum mit in seine Quellenberufung ein: als uns der âventiure zal (7835). Hierbei hebt er den allgemein gültigen Charakter der Quelle hervor. Auffällig ist, dass sich am Ende der Beschreibung ebenfalls eine Quellenberufung findet: des hôrte ich im den meister jehen (7893). Diese Passage wird von Quellenberufungen ganz und gar umschlossen – vermutlich um die Hyperbolik der Beschreibung zu legitimieren.

[...]


[1] Alle Zitate aus Hartmanns Iwein sind folgender Ausgabe entnommen: Hartmanns von Aue: Greogorius. Der arme Heinrich. Iwein. Hrsg. von Volker Mertens. Frankfurt am Main 2008.

[2] Wegera: „mich enhabe diu âventiure betrogen“, S. 233.

[3] Di>

[4] Ebd., S. 234.

[5] Mertens: Aventiure, S. 187.

[6] Strohschneider: Höfische Textgeschichten, S. 243.

[7] Hartmanns Iwein wird in dieser Untersuchung nicht weiter berücksichtigt, da er im Vergleich zum Erec nur eine sehr geringe Anzahl an Belegen von âventiure liefert.

[8] Mertens: Frau Âventiure klopft an die Tür … .

[9] Bleumer: Im Feld der âventiure.

[10] Dietl: Wunder und zouber als Merkmal der âventiure in Wirnts Wigalois ?

[11] Wegera: „mich enhabe diu âventiure betrogen“.

[12] Fritz: Historische Semantik, S. 2–3.

[13] Müller und Schmieder: Begriffsgeschichte und historische Semantik, S. 407.

[14] Ebd., S. 411.

[15] Ebd., S. 419.

[16] Strube: Wörterbuch der Kognitionswissenschaften.

[17] Müller und Schmieder: Begriffsgeschichte und historische Semantik, S. 468.

[18] Alle Zitate aus Hartmanns Erec sind folgender Ausgabe entnommen: Hartmann von Aue: Erec. Hrsg. von Manfred Günter Scholz. Übersetzt von Susanne Held. Frankfurt am Main 2004.

[19] Wegera: „mich enhabe diu âventiure betrogen“, S. 237.

[20] Schuler-Lang: Wildes Erzählen, S. 27.

[21] Cormeau: Wigalois und Diu Crône, S. 10.

[22] Wegera: „mich enhabe diu âventiure betrogen“, S. 237.

[23] Hennig: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 435.

[24] Bauer: Nâch âventiure wâne, S. 80.

[25] Bauer: Nâch âventiure wâne, S. 90.

[26] Haug: Joie de la curt, S. 289.

[27] Gephart: Das Unbehagen des Helden, S. 89.

[28] Firestone: Boethius, the Eighty Ladies, and the Erring Pair in the joie de la curt episode of Hartmann’s Erec, S. 23.

[29] Cormeau: Joie de la curt, S. 201.

[30] Cormeau: Joie de la curt, S. 195.

[31] Diese Phrase wird in den Versen 9152, 9211 und 9252 wiederholt.

[32] Cormeau: Joie de la curt, S. 198.

[33] Haug: Joie de la curt, S. 282.

[34] Cormeau: Joie de la curt, S. 199.

[35] Ebd.

[36] Haug: Joie de la curt, S. 288.

[37] Sieverding: Der ritterliche Kampf bei Hartmann und Wolfram, S. 68.

[38] Insgesamt finden sich im Erec sieben Belege der âventiure in ihrer Bedeutung als Quelle. Vgl. Arndt: Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 45.

[39] Wegera: „mich enhabe diu âventiure betrogen“, S. 240.

[40] Pörksen: Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 70.

[41] Scholz: Kommentar, S. 802.

[42] Cormeau/Störmer: Hartmann von Aue, S. 168.

[43] Scholz: Kommentar, S. 802.

[44] Ebd., S. 632.

[45] Mecke verweist hier auf die Hyperbolik der Raumangaben. Vgl. Mecke: Zwischenrede, Erzählerfigur und Erzählhaltung in Hartmanns von Aue „Erec“, S. 87.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Historische Semantik des Begriffes "âventiure" im mittelhochdeutschen Artusroman
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Deutsche Philologie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
79
Katalognummer
V513855
ISBN (eBook)
9783346103246
ISBN (Buch)
9783346103253
Sprache
Deutsch
Schlagworte
âventiure, Artusroman, mittelhochdeutsch, Erec, Parzival, Wigalois, Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Wirnt von Grafenberg, historische Semantik
Arbeit zitieren
Adriana Lütz (Autor:in), 2019, Historische Semantik des Begriffes "âventiure" im mittelhochdeutschen Artusroman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513855

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