Die deutsche Interessenvertretung auf europapolitischer Ebene


Seminararbeit, 2008

10 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Fragestellung

2. Die Verfahrensebene

3. Die Vertretungsorganisation

4. Lösungsvorschläge

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Fragestellung

Die Europäische Union bewegt sich seit ihrer Gründung in einem Spannungsfeld zwischen supranationaler und intergouvernementaler Organisation. Der Vertrag von Lissabon legt für die mittelfristige Zukunft eine relative Stärkung der intergouvernementalen Entscheidungsebene fest.1 Darüber hinaus kann die Ausweitung qualifizierter und Einführung doppelter Mehrheitsentscheide2 aufgrund ineffizienter und unflexibler nationaler Verhandlungs- und Entscheidungsverfahren zu einer deutlichen Schwächung der deutschen Position in Europa führen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, die Effizienz und Effektivität der deutschen Interessenvertretung auf europapolitischer Ebene genauer zu betrachten.3

In diesem kurzen Aufsatz möchte ich zunächst die Effizienz- und Effektivitätsdefizite der deutschen Verfahrens- und Vertretungsorganisation aufzeigen, um anschließend Lösungsvorschläge zu unterbreiten.4 Auf der Verfahrens ebene konzentriere ich mich dabei auf die nationalen und intergouvernementalen Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse in Verbindung mit dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat). Für die Analyse der Vertretungsorganisation stelle ich die dezentrale Struktur der Länderbüros der zentralen Organisation der Bundesrepräsentanz gegenüber, um so widersprüchliche und redundante Arbeitsabläufe aufzuzeigen. Die Lösungsvorschläge orientieren sich an der Maxime der größtmöglichen Entscheidungseffizienz und -effektivität bei Wahrung der demokratischen Legitimation und der im Grundgesetz verankerten föderalen Ordnung.5

2. Die Verfahrensebene

Eine nationale Interessenvertretung ist dann effizient, wenn bereits in der Frühphase der europäischen Gesetzgebung eine klare Position definiert wird und diese zügig an Entwurfsmodifikationen angepasst werden kann. Sie ist effektiv, wenn der nationale Akteur während der gesamten Entwurfs- und Verhandlungsphasen Mehrheiten durch Koalitionen und Tauschgeschäfte bilden kann (Fischer/ Hirscher et al.: 2004). Im Gegensatz dazu führt in Deutschland eine ineffiziente nationale Positionsbestimmung zu einer ineffektiven Positonsvertretung auf europäischer Ebene. So überrascht es nicht, dass Deutschland im Zeitraum von 1986 bis 2004 von allen Mitgliedsstaaten am häufigsten im Ministerrat überstimmt wurde (Verbeet 2004: 80).

Auf der nationalen Ebene führen die mangelnde Ressortkoordination des Bundes und die notwendige Berücksichtigung einer Stellungnahme des Bundesrates in einem langwierigen Prozess zu einer starren, unklaren Position (Schneider 2004a: 158f). Ein europapolitischer Gesetzesentwurf durchläuft die Europareferate mehrerer Ministerien und wird dort um Verhandlungsanweisungen erweitert. Das Endprodukt ist ein oft ausufernder, unzusammenhängender Text (Große Hüttmann 2005: 30/32). Gleichzeitig bereitet der Bundesrat eine Stellungnahme vor, die der Bund, je nach Fragestellung, minder or stärker berücksichtigen muss. Dadurch entstehen drei Probleme: Erstens wird der nationale Positionsbestimmungsprozess verlängert, da die Bundesregierung zunächst die Meinung des Bundesrates abwarten muss (vgl. Art. 23 Abs. 3 GG); Zweitens wird die Stellungnahme häufig bereits vor dem regulären Verfahren durch einstimmig gefasste Beschlüsse der Fachministerkonferenzen, der Europaministerkonferenz und der Ministerpräsidenten­konferenz entscheidend eingeschränkt (Bertelsmann 2004: 12); Und drittens muss die Bundesregierung ggf. Positionsänderungen mit dem Bundesrat abstimmen. Im Extremfall würde also eine bindende, eingeschränkte Position praktisch unverhandelbar.6 Die erste Föderalismusreform 2006 reduzierte die bindende Wirkung der Stellungnahmen. Im Gegenzug vertreten die Länder nun zwingend die Inhalte schulische Bildung, Kultur und Rundfunk im Ministerrat (vgl. Art. 23, Abs. 3 und 6 GG). Dieser Lösungsversuch wirft allerdings zwei Probleme auf: Zum einen wird der Prozess der Positionsabstimmung kaum beschleunigt (der Bund wartet weiterhin auf die Stellungnahmen des Bundesrates), zum anderen ist ein Ländervertreter (z.B. ein Landesminister) kaum ausreichend in die informellen europapolitischen Verhandlungsnetzwerke eingebunden, um die Positionen anderer Mitgliedsstaaten entscheidend zu beeinflussen (Pernice 2004: 2).

Auf der europäischen Ebene konzentriert sich die deutsche Vertretung fast ausschließlich auf die vierte und letzte Phase der Entscheidungsfindung - die Ministerratstreffen - und vernachlässigt die Mehrheitsbildung in den drei vorausgehenden Phasen (Schneider 2004a: 158). So können in der (1) Initiativphase neben der Kommission auch Mitgliedsstaaten Gesetzesentwürfe einbringen. Deutschland hat bisher von allen Mitgliedsstaaten die geringste Anzahl an Vorschlägen eingereicht. In der (2) Planungsphase können Mitgliedsstaaten auf die nun konkretisierten Projektentwürfe reagieren. Deutschland hat dies bisher kaum getan, obwohl die Information zu diesem Zeitpunkt öffentlich zugänglich sind (Schneider 2004a: 158). In der (3) Verhandlungsphase beginnen die Mitgliedsstaaten, Mehrheiten über Koalitionen und Tauschgeschäfte zu bilden (Große Hüttmann 2005: 30). Dies reicht von Treffen von Ministerialbeamten bis zu der Festsetzung der Ministerratsagenda durch den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV). Die deutschen Vertreter erhalten hier aufgrund der unklaren Positionsvorgabe kaum Verhandlungsspielraum und enthalten sich daher häufig (Eppler 2006b: 78). In der letzten Phase, den (4) Ministerratssitzungen, bestätigen die Minister der Mitgliedsstaaten die im Vorfeld erfolgreich verhandelten Beschlüsse (A-Punkte) und versuchen ungelöste Probleme (B-Punkte) zu klären7 (Schneider 2004a: 159). Bei der Anwendung von Mehrheitsentscheiden ist es nun aus Zeitgründen für eine umfassende Durchsetzung nationaler Interessen zu spät.

3. Die Vertretungsorganisation

Die deutsche Vertretungsorganisation spiegelt die Komplexität des nationalföderalen Abstimmungsverfahrens wider. Siebzehn verschiedene Repräsentationen - die Ständige Vertretung des Bundes, sowie sechzehn Länderbüros - vertreten deutsche Gesamt- und Teilinteressen gegenüber der Europäischen Union in Brüssel.8

[...]


1 Die Ernennung eines hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates und die Aufwertung des Hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik führen zu stärkerer Kontinuität und effektiverer Repräsentanz, während die Ausweitung qualifizierter und Einführung doppelter Mehrheitsentscheide im Ministerrat eine höhere Entscheidungseffizienz bewirken. Die Reformen des Europäischen Parlamentes (Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens) und der Europäischen Kommission (Reduzierung der Kommissarenzahl) nehmen sich dagegen vergleichsweise gering aus.

2 Der Vertrag von Lissabon sieht eine Ausweitung des qualifizierten Mehrheitsentscheids auf 44 zusätzliche (insgesamt 181) Politikfelder vor (vgl. EUV/ CEP 2008). Sowohl der Europäische Rat, als auch der Ministerrat können bei Bedarf einen Großteil der verbliebenen Einstimmigkeits- in Mehrheitsbeschlüsse umwandeln (vgl. Art. 48 §7 EUV).

3 Während sich Effizienz auf die Optimierung der Verfahrens- und Vertretungsorganisation bezieht, misst Effektivität die Durchsetzungsfähigkeit der Inhalte.

4 Eine Diskussion der Implementierungsproblematik klammere ich hier bewusst aus.

5 Ich verstehe also die Strukturierung der europapolitischen Verfahrens- und Vertretungsorganisation als ein Optimisierungsproblem mit zwei Randbedingungen. Diese Darstellung basiert auf einer Analyse von Arthur Benz (2004: 7ff). Benz betrachtet jedoch die drei hier vorgestellten Kriterien als unabhängige Variablen, die situationsabhängig mit unterschiedlichen Gewichtungen kombiniert werden. Dies stellt meiner Meinung nach eine unnötige Verkomplizierung dar.

6 Bisher haben die Länder ihre Mitwirkungsmöglichkeiten nicht voll ausgeschöpft. So hat der Bundesrat zwischen 1998 und 2002 lediglich in 28 Fällen eine ,maßgebliche Berücksichtigung’ seiner Stellungnahme verlangt; 17 dieser Forderungen wurden aufgrund unzureichender Bedingungen abgelehnt (Große Hüttmann 2005: 31). Das Hauptproblem ist hier also eher das notwendige Abwarten des Bundes auf eine Stellungnahme.

7 Ich klammere die Rolle des Europäischen Parlamentes (Mitentscheidung, Anhörung) in diesem Aufsatz bewusst aus.

8 Art. 23 GG beschränkt das Mitwirkungsrecht der Länder nicht auf die nationale Ebene.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Die deutsche Interessenvertretung auf europapolitischer Ebene
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Das politische System der Bundesrepublik Deutschland
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
10
Katalognummer
V146912
ISBN (eBook)
9783640568963
ISBN (Buch)
9783640569106
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische Union, Deutschland, System der Bundesrepublik Deutschland
Arbeit zitieren
Nicolas Mildenstein (Autor:in), 2008, Die deutsche Interessenvertretung auf europapolitischer Ebene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146912

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