Landwirtschaft im Kriegsjahr 1944 aus mikrohistorischer Sicht


Hausarbeit (Hauptseminar), 1994

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 "Blut und Boden" - Die Bedeutung der Landwirtschaft in der nationalsozialistischen Ideologie
2.2 Alltagsleben auf landwirtschaftlichen Betrieben und Gutshöfen im Kriegsjahr 1944 - Eine mikrohistorische Betrachtung -
2.2.1 Lage der Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft
2.2.2 Kriegswirtschaftliche Anforderungen an die Landbevölkerung
2.2.3 "Wiegeschwein" und Schwarzschlachtung - Unterschlagung und Betrügereien im ländlichen Leben -

3. Schluß

4. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

" Der Bauernhof ist wie der Rüstungsbetrieb ein Bestandteil der Front[1] ". Dies ist eine der Parolen, die von der NS - Propaganda in den Frühjahrsaufrufen zu den " Kriegserzeugerschlachten " von 1939 bis 1945 an die Landbevölkerung gerichtet wurden.[2] Rüstung und Ernährung waren wichtige Pfeiler, die den Kampf und den Sieg Deutschlands tragen sollten.

Diese Arbeit über die "Landwirtschaft im Jahre 1944", die ohne die freundliche Mithilfe der Familien von der Malsburg und von Carlowitz so hätte nicht entstehen können, wird sich einerseits mit der wichtigen Bedeutung der Landwirtschaft im Nationalsozialismus beschäftigen, andererseits mit dem Alltagsleben der Landbevölkerung im Krieg, speziell im Jahr 1944. Um ein Bild von der ländlichen Situation im Jahr 1944 zu entwerfen, wird das Alltagsleben anhand einiger Beispiele aus verschiedenen Regionen des damaligen Deutschlands beschrieben.

Seit der Niederlage und Vernichtung der 6. Armee bei Stalingrad am 1./2. Februar 1943 und nach dem Scheitern der Operation "Zitadelle" am 13. Juli 1943, als bei Kursk und Orel ein sowjetischer Frontvorsprung zu einem großangelegten Zangenangriff genutzt werden sollte, begann das Zurückweichen der deutschen Ostfront nach Westen. Am 13. Mai 1943 kapitulierte die "Panzerarmee Afrika" unter General von Arnim in Tunesien[3]. Mit dieser Niederlage verlor Deutschland seine Position auf dem afrikanischen Kontinent an die westlichen Alliierten. Durch die deutsche Niederlage in Nordafrika verschafften sich die Alliierten eine strategisch günstige Ausgangsposition, um die "Festung Europa" von Süden anzugreifen.

Das Gesetz des Handelns befand sich seit Mitte 1943 auf Seiten der Alliierten, die von Süden und Osten die von den Deutschen besetzten Gebiete zurückeroberten. Im Januar 1944 war die Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung gedämpft, längst waren die Zeiten vorbei, als die Siegesfanfaren aus dem Volksempfänger erklungen und die Sondermeldungen von großen Siegen berichteten. Nun wurden Begriffe wie "Frontrücknahme" oder "Ausweichgefechte" gehört und tagtäglich berichtete man von anglo-amerikanischen "Terrorangriffen" auf das Reichsgebiet, die die Deutschen nach der Ansicht des Reichspropagandaministers Goebbels noch härter und entschlossener gegen den gemeinsamen Feind vereinen sollte. Weiterhin wird sich diese Arbeit nicht nur mit der Landbevölkerung selbst beschäftigen, sondern sie wird übergreifend auch den Stellenwert der Landwirtschaft in der nationalsozialistischen Ideologie und Gesellschaft beschreiben.

2. Hauptteil

2.1 "Blut und Boden" - Die Bedeutung der Landwirtschaft in der nationalsozialistischen Ideologie

Die letzten Jahre der Weimarer Republik waren geprägt von der anhaltenden wirtschaftlichen Depression des Landes und durch Regierungen, die keine Unterstützung von seiten des Parlaments erhielten. Vom 30. März 1930 bis zum 28. Januar 1933 regierten vier Präsidialkabinette, die vom Reichspräsidenten eingesetzt wurden.[4] Keines der vier Kabinette hatte das entsprechende politische Konzept, um die innenpolitische und wirtschaftliche Ordnung herzustellen.

Diese innenpolitische Krise in Deutschland nutzten die Nationalsozialisten in ihrem Wahlkampf: Zunächst wurde der Bauernstand mit den Auswirkungen der Krise konfrontiert. Bereits in den zwanziger Jahren zeichnete sich eine Agrarkrise in Deutschland ab, die 1927 ihren Höhepunkt erreichte.[5] In der Kaiserzeit wurde den Produkten der deutschen Landwirtschaft eine "Schutzzoll-Protektion"[6] auferlegt, die jedoch nach dem Ersten Weltkrieg durch die verstärkten Einfuhren aus anderen Ländern hinfällig wurde. Die Modernisierung und Rationalisierung in den USA, Kanada und Australien verdrängten die deutschen Produkte vom Weltmarkt. Als 1925 die Handelsbeschränkungen gegen Deutschland aufgehoben wurden, kamen noch zusätzlich Niedrigpreisexporte aus Osteuropa auf den deutschen Markt. Die deutsche Landwirtschaft hatte es nicht verstanden, sich am Markt zu orientieren. Dies war ein Ergebnis der "traditionellen, vorkapitalistischen Produzenten-mentalität"[7], in der trotz sinkender Nachfrage die Konzentration auf der Produktionssteigerung lag. Die hieraus resultierenden Folgen waren, daß die Produktionskosten für die Produkte immer teurer wurden, und aufgrund des weitaus billigeren Weltmarktpreises nicht verkauft werden konnten. Hinzu kamen in der Weimarer Republik die erhöhten Zinslasten und gesteigerten Lohnkosten und Sozialleistungen, die sich ebenfalls negativ auf die Landwirtschaft auswirkten.

Im Jahre 1929 lernte Adolf Hitler durch die Vermittlung von Rudolf Heß den Agrarsachverständigen Richard Walter Darré kennen[8]. Der Diplomlandwirt Darré war schon früher mit Heinrich Himmler befreundet und propagierte in den zwanziger Jahren eine "Zurück-aufs-Land-Bewegung". Darré machte Eindruck auf Hitler, nicht zuletzt durch seine 1928 verfasste Schrift "Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse". Hitler gab Darré den Auftrag, ein Agrarprogramm aufzustellen. Am 6. März 1930 wurde das Programm veröffentlicht; es enthielt nicht nur praktische Vorschläge zur Unterstützung der Landwirtschaft, sondern hob den Bauernstand als den vornehmsten im Volke hervor.[9].

Die Veröffentlichung dieses Programms wirkte sich positiv aus für die Nationalsozialisten: Zum einen erhielt Hitler die entsprechende Unterstützung aus den landwirtschaftlichen Gebieten Deutschlands, zum anderen war 1930 der richtige Zeitpunkt, um beim Bauerntum und beim Großgrundbesitz um Wahlunterstützung zu werben, denn die wirtschaftlichen Interessen und Forderungen waren bei beiden gleich[10].

Am 30. Januar 1933 ergriffen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht, und bis zum März 1933 war Hitler zum unumschränkten Führer Deutschlands geworden. Der Reichsminister für Wirtschaft und Ernährung, Alfred Hugenberg, war am 28. Juni 1933 zum Rücktritt gezwungen worden. Hugenbergs Nachfolger als Wirtschafts-minister wurde Dr. Kurt Schmitt, und das Amt des Ernährungs- und Landwirtschafts-ministers bekleidete Richard Walter Darré[11]. Bereits am 4. April 1933 ernannte Hitler Darré zum Reichsbauernführer und blieb es auch während der folgenden zwölf Jahre. Darré sah im deutschen Bauern die wahre Triebfeder der Geschichte und in der nordischen Rasse den wahren Schöpfer der europäischen Kultur[12]. Nach seiner Vorstellung sollte der Ständestaat durch einen wiedergeschaffenen germanischen Bodenadel - eine neue Herrenschicht, deren Wurzeln aus der bäuerlichen Gemeinschaft wuchsen - beherrscht werden.[13] In den Jahren 1930 bis 1933 war Darré die treibende Kraft der nationalsozialistischen Agrarpolitik, wobei er die Enttäuschung und Unzufriedenheit des Bauernstandes ausnutzte und diesen in die Arme des Nationalsozialismus trieb. Die romantische, antiindustrielle Blut-und Boden-Lehre Darrés hatte einen großen Stellenwert in der nationalsozialistischen Ideologie. Nach der Änderung der Agrarpolitik 1933 standen besonders Hitler und Himmler unter ihrem Einfluß.[14]

Nach seiner Ernennung zum Landwirtschaftsminister verkündete Darré 1933 das sogenannte "Erbhofgesetz"[15]. Das Bauerntum sollte als privilegierte Klasse ein Bollwerk gegen den Kapitalismus und die Industriegesellschaft bilden. Nach Darrés Ansicht konnten nur diese abgesicherten Erbbesitztümer die "Reinheit und Gesundheit" des deutschen Volkes sichern. Diese Ansichten führten jedoch zu einem innenpolitischen und wirtschaftlichen Konflikt mit der Finanzpolitik der Reichsbank und der Marktpolitik Hjalmar Schachts. Das System Darrés funktionierte aber auch in anderen Bereichen der Landwirtschaft nicht: So konnte Darré durch seine ideologische Politik weder die Geburtenrate erhöhen noch die Landflucht verhindern. Ebenfalls konnte er nicht verhindern, daß der Bauer zu einem profitorientierten Unternehmer in der Landwirtschaft wurde[16].

Durch seine Unfähigkeit, pragmatisch zu arbeiten, verlor der Ernährungsstratege Richard Walter Darré bei Hitler immer mehr an Vertrauen und Einfluß. Im Zweiten Weltkrieg kristallisierte sich zunehmend Darrés Unfähigkeit heraus, die Lebensmittelversorgung im deutschen Reich sicherzustellen. Die Entscheidungsgewalt über die landwirtschaftlichen Siedlungen in den besetzten Gebieten oblag dem Reichsführer SS Heinrich Himmler[17]. Im Krieg standen Pragmatismus und militärische Erwägungen im Vordergrund, somit war ein Mann wie Darré, handlungsunfähig und fern jeglicher Praxis, für das Regime untragbar geworden. Im Mai 1942 entließ man Richard Walter Darré aus seinem Ministeramt und ersetzte ihn durch den Landwirtschafts- und Rußlandexperten Herbert Backe. Als neuer Leiter des Landwirtschaftsministeriums war es Backes vorrangige Aufgabe, den Lebensmittelnachschub für den Krieg gegen die Sowjetunion zu organisieren. Anders als Darrés "Blut-und-Boden"- Ideologie führte Backe mit hartem, zielorientiertem Pragmatismus, der sich am Erfolg maß, die Dienstgeschäfte des Landwirtschaftsministeriums. Am 1. April 1944 ernannte Hitler ihn zum Reichsernährungsminister, ein Posten, den er bis zum Kriegsende, auch in der Regierung Dönitz, beibehielt[18]. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der vollständigen Niederlage Deutschlands, sowie der Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes mit seiner gesamten menschenverachtenden Ideologie, verschwand auch der mystische Geist der Blut-und Boden-Lehre Darrés.

[...]


[1] Herlemann, Beatrix: Der Bauer klebt am Hergebrachten, Hannover 1993, S. 235 (zit. als Herlemann, B. , Der Bauer ).

[2] Herlemann, B., Der Bauer, S. 235, " Die Frühjahrsaufrufe zu sechs Kriegserzeugerschlachten, die Ansprachen und Appelle an das Landvolk zwischen September 1939 und März 1945 waren erfüllt von Parolen wie `Nahrung ist Waffe´, `Arbeit in der Landwirtschaft ist Kriegsdienst´, `Pflug und Schwert die Garanten des Sieges´...".

[3] Vgl.: Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, Bd. 1, Abschnitt 7, Neugebauer, Karl-Volker: Militärgeschichte 1933 bis 1945, Freiburg 1993, Die Wehrmacht im nationalsozialistischen Regime, S. 392 - 394.

[4] Vgl.:Beck, Reinhardt: Sachwörterbuch der Politik, Stuttgart 1986, S. 758, "Die Kabinette der Reichskanzler Brüning, Papen und Schleicher waren Präsidialkabinette (...), vom Reichspräsidenten eingesetzt und nur von ihm, nicht aber vom Reichstag abhängig; der Reichspräsident leitete in Übereinstimmung mit dem Reichskanzler mit Hilfe sog. Notverordnungen mit Gesetzeskraft (Präsidialverordnungen) die Regierung."

[5] Herlemann, B., Der Bauer, S.19: "Nach mehreren Mißernten infolge nasser Sommer sowie einem ersten katastrophalen Verfall der Schweinefleischpreise sehen Agrarhistoriker das Zusammenfallen struktureller wie konjunktureller Krisenfaktoren."

[6] Schutzzoll-Protektionismus: "Schutzzoll, zum Schutze inländ. Industriezweige erhobener Einfuhrzoll. Nach 1870 wurden in fast allen europ. Ländern Sch.- Systeme entwickelt, die bes. nach der Weltwirtschaftskrise ausgebaut wurden.", Der Große Knaur, Bd. 4, Stuttgart, Hamburg 1968, S. 109.

[7] Gessner, D.: Agrarverbände in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966, S. 87.

[8] Vgl.:Wistrich, Robert: Wer war wer im Dritten Reich, München 1983, S. 48f., (zit. als Wistrich, R., Wer war).

[9] Bullock, Alan: Hitler - Eine Studie über Tyrannei, Düsseldorf 1959, S. 150f., (zit. als Bullock, A., Hitler), "...praktische Vorschläge (...) - Staatskredite, Steuerermäßigung und Steuererlaß, höhere Zölle, billigeren Kunstdünger, billigeren Strom und Neugestaltung der Erbgesetze - ...".

[10] Vgl. 7.) S. 151, "Schutzzölle und höhere Preise".

[11] Darré hatte bereits, bevor er Ernährungs- und Landwirtschaftsminister wurde, seinem "Agrarpolitischen Apparat der NSDAP" den einflußreichen Reichslandbund angeschlossen. Wegen angeblicher Korruption entließ man den Vorsitzenden des Bundes, Graf Kalckreuth.

[12] Vgl.: 8.).

[13] Diese Gedanken sind einer der früheren Schriften Darrés: Neuadel aus Blut und Boden (1930) entnommen ; Vgl.: Wistrich, R., Wer war, S. 49.

[14] Der Hauptakzent in der Änderung der Agrarpolitik bestand darin, daß die bodenbesitzenden Bauern und der städtische Mittelstand gewonnen werden sollte.

[15] Erbhofrecht: (preußisches Erbhofrecht vom 15.5.1933, Reichserbhofgesetz vom 29.9.1933) zum Schutz vor Zersplitterung und Überschuldung kraft zwingenden Rechts nicht belastbar war und geschlossen auf einen Erben (Anerbenrecht) übergehen mußte. Im Jahre 1947 wurde das Reichserbhofgesetz teilweise durch das Kontrollratsgesetz (Höferecht) aufgehoben. Vgl.: Der Große Knaur, Bd. 1, S. 734.

[16] Herlemann, B., Der Bauer, S. 224f., "Reichsbauernführer Darré, erster Propagandist der 'Blubo' (Blut und Boden)- Ideologie, blieb die mangelnde Akzeptanz, ja ein weit verbreitetes Desinteresse der bäuerlichen Bevölkerung an diesem Thema (sic!) nicht verborgen. Von den nordwestdeutschen Informanten der SPD wird berichtet: `Der ganze Unsinn der Blut und Boden-Propaganda läßt den Bauern kalt.´ Weiterhin wird von Verballhornungen und Witzen berichtet und über die Erbhof-Bezeichnung `Odal´ aus dem nordischen Sprachraum als `O du arme Landwirtschaft´.".

[17] Himmlers Konzept der sogenannten "Wehrbauernhöfe" stieß bei Darré auf Widerstand. Der praxisfremde Theoretiker Darré wurde bis zu seiner Entlassung im Mai 1942 immer deutlicher isoliert. Vgl.: Wistrich, R.: Wer war, S.49.

[18] Herbert Backe nahm sich am 6. April 1945 durch Erhängen im Nürnberger Kriegsverbrechergefängnis das Leben. Vgl.: Wistrich, R.: Wer war, S. 14f. .

Richard Walter Darré wurde im Mai 1945 durch die Amerikaner gefangengenommen und am 14.4.1949 zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. 1950 wurde er entlassen und starb am 5. 9. 1953 in einer Münchener Privatklinik. Vgl.: Wistrich, R.: Wer war, S. 49.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Landwirtschaft im Kriegsjahr 1944 aus mikrohistorischer Sicht
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Das Kriegsjahr 1944 – eine mikro- und makrohistorische Betrachtung
Note
1,0
Autor
Jahr
1994
Seiten
25
Katalognummer
V135306
ISBN (eBook)
9783640431069
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Landwirtschaft, Kriegsjahr, Sicht
Arbeit zitieren
Michael Karl (Autor:in), 1994, Landwirtschaft im Kriegsjahr 1944 aus mikrohistorischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135306

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