Stellenwert der Parodie in der literarischen Behandlung von „Faust“. Bedeutung für die Ausbildung einer literaturwissenschaftlichen Kompetenz von Deutschlehrer-Studenten


Magisterarbeit, 2002

224 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung
0.1. Gegenstand der Arbeit
0.2. Forschungsstand
0.3. Aufbau und Ziel der Arbeit

1. Zur Begriffsklärung der Parodie
1.1. Lexikalische Untersuchung der Gattung „Parodie“
1.2. Bestimmung von Parodiemerkmalen anhand einiger Beispiele
1.2.1. Ausschluss von zufälliger Parodieproduktion
1.2.2. Parodieerkennung durch Behandlung desselben Sujets und die antithematische Behandlung der Parodie
1.2.3. Nennung der Vorlage in der Parodie
1.2.4. Merkmale des Parodierten
1.3. Entwicklungsgeschichte

2. Die Parodie im Rahmen verschiedener Literaturtheorien:
2.1. Der russische Formalismus und die Parodie
2.2. Die Dekonstruktionstheorie und die Parodie
2.3. Die Intertextualitätstheorie und die Parodie
2.4. Die Rezeptionsästhetik und die Parodie
2.5. Parodistisches Kommunikationsmodell
2.6. Die Parodie und die unterschiedlichen Theoriekonzepte

3. Faust in parodistischen Werken
3.1. Das Faust-Motiv als Gegenstand von Parodien
3.2. Analyse von Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (1808)
3.3. Analyse der Parodie „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (1985) von Uta Claus mit Karikaturen von Rolf Kutschera
3.4. Vergleich von Vorlage und Parodie

4. Didaktisches Modell zum Einsatz von Parodien im Literatur-unterricht und zur Ausbildung von literaturwissenschaftlicher Kompetenz bei ägyptischen Deutschlehrer-Studenten
4.1. Beschreibung und Auswertung der Didaktisierung
4.1.1. Erste Didaktisierungsphase – Vorbereitungs- phase im 2. Studienjahr
4.1.2. Zweite Didaktisierungsphase – Didaktisierung von „Faust“ im 3. Studienjahr
4.1.3. Beschreibung und Analyse des Didaktisierungsversuchs
4.2. Bewertung des Didaktisierungsversuchs
4.2.1. Bewertung durch die Studenten
4.2.2. Bewertung des Versuchs durch die Analyse der Arbeitsblätter
4.3. Ergebnisse des Didaktisierungsversuchs
4.3.1. Auf der Sprachebene
4.3.2. Auf der Textebene
4.3.3. Allgemeine Wissensebene
4.3.4. Interkulturelle Ebene

5. Schluss

Literaturverzeichnis

Anhang
A: Parodistische Textbeispiele zu Kapitel 1
B: Texte die im 2. Studienjahr unterrichtet wurden
C: Texte die im 3. Studienjahr unterrichtet wurden
D: Unterrichtsblätter für Teil 1 des Didaktisierungs- versuchs im zweiten Studienjahr
E: Beschreibung des Unterrichtsversuchs im zweiten Studienjahr
F: Unterrichtsblätter für Teil 2 des Didaktisierungs- versuchs im dritten Studienjahr
G: Beschreibung des Unterrichtsversuchs im dritten Studienjahr
H: Arbeitsblätter
I: Verschiedenes

0. Einleitung

0.1. Gegenstand der Arbeit

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Problem der Rezeption deutscher Literatur im fremdkulturellen[1] Literaturunterricht und mit der damit verbundenen Ausbildung einer literaturwissenschaftlichen Kompetenz. Kulturell gesehen bezieht sich die deutsche Literatur in der Regel auf einen verschiedenen Hintergrund, als dies in der ägyptischen Kultur der Fall ist, so dass ägyptische Studenten bei der Rezeption deutscher Literatur sich oft nicht in der Lage sehen, den Textsinn zu erfassen. Es fehlt ihnen einmal das kulturelle Wissen der Zielsprache, zum anderen könnte hierfür fälschlicherweise ein Vorwissen der Eigenkultur eintreten. Ziel dieser Arbeit besteht darin, durch den Einsatz der bisher vernachlässigten Gattung der Parodie diese Rezeptionsproblematik zu untersuchen, um herauszufinden, inwieweit die Parodie im fremdkulturellen Literaturunterricht an der Deutschen Abteilung der Pädagogischen Fakultät der Ain Shams Universität einen Beitrag zum Verständnis des literarischen Textes leisten kann.

Zunächst wird im Folgenden der Versuch unternommen, auf die Besonderheit der Parodie einzugehen, die noch bis vor kurzem eine in der Literaturwissenschaft vernachlässigte Form war und eine meines Erachtens unberechtigte Randstellung einnahm. Diese Randstellung rührte daher, dass die Parodie für lange Zeit nur als eine verzerrende oder verspottende Nachahmung eines bekannten Werkes betrachtet wurde. Schon Verweyen klagte 1979 in seiner Einführung in die Theorie und Praxis der Parodie darüber, dass die Parodie immer noch am Rande des literaturwissenschaftlichen Interesses stehe (Verweyen/Witting 1979a, S.1). Dass sich die Forschungslage in der jüngsten Zeit geändert hat, betonte aber schon Beate Müller, als sie 1994 bemerkte, dass die Parodie in der Literaturwissenschaft zum Thema geworden ist. Diese Aussage wird jedoch gleich relativiert, wenn die Autorin kritisch ergänzt, dass bis heute keine systematische Theorie zur Parodie entwickelt wurde (Müller 1994, S.14). Die Intensivierung der Parodieforschung in neuester Zeit gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Untersuchung von Texten der Parodie und ihr verwandter Formen wie die Travestie[2] oder das Pastiche[3] in naher Zukunft mehr Interesse finden wird. In dieser Arbeit wird es hauptsächlich um die Parodie gehen. Es wird sich dabei vor allem um ihre Funktion als eine Form kritischer Textverarbeitung handeln, die zum Verständnis des Originaltextes und zur Förderung der literarischen Kompetenz beitragen kann. Um diese Funktion auch empirisch zu untersuchen, werden wir im Rahmen dieser Arbeit auch einen Didaktisierungsversuch durchführen, der diesen Aspekt bestätigen soll.

Es gibt bereits erste Ansätze, die darauf hindeuten, dass die Wichtigkeit bzw. die Besonderheit der Parodie für das Literaturverständnis erkannt worden ist und die somit die von mir gestellte Annahme unterstützen. So erläutert Fricke zum Beispiel:

Man hat aber einen Versbau erst wirklich durchschaut, wenn man Verse von entsprechender Art selber bauen kann; man hat einen literarischen Stil erst gründlich analysiert, wenn man ihn parodistisch imitieren kann; man hat das Komödiantische einer Komödie erst hinreichend erkannt, wenn man zu erproben vermag, wie das entsprechende Stück als Tragödie aussehe. In diesem Sinne geht Parodieren über Studieren, oder genauer: Das Studieren der Literatur geht am besten übers Parodieren von Literatur.

(Fricke 1993, S.14)

Es wird aus dieser Aussage deutlich, dass die Parodie bzw. das Parodieren von literarischen Texten einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis von Literatur leisten kann. Da die Parodie dem Rezipienten von Literatur einen neuen Blickwinkel auf die Wirklichkeit ermöglicht, so kann sie unter Umständen auch seine Einstellung verändern (Karrer 1977, S.29). Von dieser Annahme ausgehend, soll die Stellung der Parodie im Bereich des fremdkulturellen Literaturunterrichts näher untersucht werden. Hierzu wird die Gattung der Parodie untersucht, und der Versuch unternommen, einen theoretischen Ansatz für ihren Einsatz im fremdkulturellen Literaturunterricht zu entwickeln. Es wird hierzu versucht, empirisch festzustellen, ob die Parodie in ihrer Funktion als kritische Textverarbeitung tatsächlich dazu beitragen kann, den parodierten Originaltext besser und intensiver zu verstehen und somit zur Ausbildung einer erhöhten literaturwissenschaftlichen Kompetenz der Deutschlehrer-Studenten an der Deutschen Abteilung der Pädagogischen Fakultät der Ain Shams Universität führen kann. Dabei wird unter anderem von der Annahme ausgegangen, dass der Verfasser einer Parodie sich mit dem Originaltext, den er zu bearbeiten beabsichtigt, intensiv auseinandersetzen muss, um ihn überhaupt parodieren zu können. Er muss den Text kritisch analysieren, um die Stellen oder die Thematik zu bestimmen, die er für das Ziel seiner Parodie wählt. Diese parodierten Stellen des Originals sind es, die als eine Art Literaturkritik betrachtet werden und Ansatzpunkte für eine kritische Analyse des Originalwerks liefern. Von diesem Ansatzpunkt geht auch unsere Annahme aus, dass die Parodie einen Beitrag zum Verständnis des Originaltextes leistet, da sie die Stellen oder Hauptaussagen hervorhebt, an denen unsere Analyse ansetzt mit dem Ziel, ein tieferes Verständnis des literarischen Textes zu erreichen. Es wird des weiteren davon ausgegangen, dass es besonders Fremdsprachenlernern Schwierigkeiten bereitet, diese Aussagen selbst aufzudecken, da sie Defizite sowohl im sprachlichen als auch im Wissensbereich haben. Eine literaturdidaktische Aufarbeitung mit Hilfe von Parodien bezweckt, Fähigkeiten der Lerner so weit zu entwickeln, dass solche Schwierigkeiten überstanden werden können.

Für diese Arbeit wird das Werk „Faust. Der Tragödie erster Teil“ von Goethe gewählt. Das Faust-Motiv wurde, wie sich später noch zeigen wird, von vielen Autoren literarisch behandelt. Weltberühmtheit erlangte jedoch nur Goethes „Faust“. Da es sich um ein Werk von Weltrang handelt, verwundert es nicht, dass es von unzähligen Autoren parodiert wurde. Es muss angemerkt werden, dass Goethes „Faust“ einen besonderen Anspruch an unsere Deutschlehrer-Studenten stellt und auch Muttersprachler kann man in dieser Hinsicht nicht ausnehmen. Hierbei gehen wir von der These aus, dass die Wahl eines so anspruchsvollen Werkes wesentlich deutlicher das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein eines effektiven Beitrags der Parodie zum Verständnis des entsprechenden literarischen Textes belegen kann. Ein weiterer Aspekt für die Wahl dieses Werkes sind die zahlreichen Parodien, die seit seiner Veröffentlichung entstanden sind und bis heute immer noch entstehen. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, dass Parodien ebenso wie die Originalwerke in der Regel gesellschaftsbedingt entstehen. Für Fremdsprachenlerner stellt es immer ein Problem dar, diese kulturell bedingte Hürde zu überbrücken, und dies muss bei unserer literarisch-didaktischen Behandlung der Parodie berücksichtigt werden.

0.2. Forschungsstand

Es muss zu Anfang betont werden, dass es eine beträchtliche Diskrepanz zwischen der literaturwissenschaftlichen Behandlung der Parodie und der Entstehung von Parodien gibt. So finden wir, obwohl die Parodie als literarische Gattung immer noch nicht theoretisch fundiert ist, eine zahlreiche Anzahl von Parodisten, die ständig neue Parodien verfassen. Zu bemerken ist auch, dass immer noch Parodien in heutiger Zeit entstehen.[4]

Zur Gattung der Parodie gibt es eine Anzahl von literaturwissen-schaftlichen Untersuchungen, wobei zu beobachten ist, dass sich nur wenige davon mit den Theorien zur Parodie selbst befassen. Die meisten Werke der Parodieforschung beschäftigen sich mit der Frage der Definition der Parodie und ihrer Abgrenzung zu den ihr verwandten Formen, wobei auch ein geschichtlicher Abriss mit enthalten sein kann (siehe auch: Müller 1994, S.14). Karrer beklagte schon 1977, dass keine umfassende Theoriekonstruktion über Parodie, Travestie und Pastiche existiere (Karrer 1977, S.23 ).

In den verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit der Theorie der Parodie beschäftigen, werden unterschiedliche Aspekte behandelt. So gibt es Arbeiten, die sich mit den verschiedenen parodistischen Formen beschäftigen, sich dabei jedoch auf die Hauptform Parodie konzentrieren und ihre Merkmale im Gegensatz zu den anderen Formen besonders hervorheben (z.B. Hempel 1965 und Karrer 1977). In anderen Arbeiten geht es weniger um die Merkmale der Parodie, als um ihre historische Aufarbeitung (z.B. Lehmann und Freund 1981). Es gibt auch Arbeiten, die sich mit nur einem, jedoch sehr wichtigen Aspekt der Parodietheorie befassen, wie zum Beispiel die Intertextualität (z.B. Broich 1985 und Müller 1994). Die wichtigsten und repräsentativsten Untersuchungen im Bereich der Sekundärliteratur zur Parodie, die in dieser Arbeit auch des öfteren herangezogen werden, da sie eine ausführliche Einführung zum Studium der Parodie, die sowohl eine geschichtliche Entwicklung als auch eine Funktionsbestimmung der Parodie enthalten, stammen von Verweyen und Witting (1979). Als letzte und meines Wissens neueste Arbeit ist noch die Untersuchung von Wünsch (1999) zu nennen. In seinem Werk versucht er die Parodie begrifflich einzugrenzen, sowie sie von den ihr verwandten Formen abzuheben.

Es ist noch wichtig anzumerken, dass es meines Wissens fast keine Arbeit gibt, die sich mit der praktischen Verwendung der Parodie im Literaturunterricht befasst und somit also auch keine, die ihre Funktion als Mittel der kritischen Textarbeit im Unterricht berücksichtigt. Zu erwähnen ist aber, dass es Studien gibt, die diese Aspekte der Parodie theoretisch zu behandeln versuchen. Die mir bekannten Studien hierzu sind: „Parodie als komische Textverarbeitung“ (Witting 1985) und das Forschungsvorhaben zum Thema „Die Parodie als besondere Form kritischer Textverarbeitung“ (Verweyen / Witting 1998). Zu bemerken ist auch, dass es keine praktischen Modelle zur Textanalyse von Parodien gibt. Wobei nicht zu vernachlässigen ist, dass theoretische Modelle zur Parodieanalyse vorliegen.[5] Es ist des weiteren anzumerken, dass es, so weit mir bekannt ist, keine empirischen Studien zur Funktion der Parodie gibt. Schließlich muss noch betont werden, dass es nach meiner Kenntnis weder theoretische noch empirische Studien gibt, die sich mit der Parodie im fremdkulturellen Literaturunterricht befassen.

0.3. Aufbau und Ziel der Arbeit

In vier Kapiteln untersucht diese Arbeit, ob die Parodie dazu dienen kann, den Rezeptionsprozess von Literatur zu fördern und zur Ausbildung einer literaturwissenschaftlichen Kompetenz von Deutschlehrer-Studenten im fremdkulturellen Literaturunterricht beizutragen. Der Begriff „Parodie“ wird selbstverständlich im ersten Kapitel behandelt. Es geht dabei sowohl um eine Worterklärung als auch um eine lexikalische Untersuchung des Begriffs. Die meines Erachtens wichtigsten Definitionen zur Parodie werden hier angeführt und kritisch diskutiert. Es wird bei dieser Untersuchung festzustellen sein, dass der Parodiebegriff sehr weit gefasst werden kann, und dass im Grunde bis heute keine einheitliche Parodiedefinition existiert. Die bis heute vorhandenen Definitionen, so scheint es mir, sind zu global konzipiert und bedürfen daher der weiteren Fundierung. Im Anschluss an diese lexikalische Untersuchung erfolgt eine Darstellung der historischen Entwicklung der Parodie vom Mittelalter bis heute. Diese Entwicklungsgeschichte umfasst die Entstehung der Parodie, sowie ihre Funktionsveränderung in den verschiedenen zeitlichen Abschnitten. Die historische Untersuchung dient dazu, mit dem Gegenstand dieser Arbeit, vertraut zu machen, um seine Funktion besser zu verstehen.

Die meines Erachtens wichtigsten Theorien, die auch die Parodie mit einbeziehen, werden im zweiten Kapitel behandelt. Diese sind der Russische Formalismus, als dessen Vertreter Jurij Tynjanov und Viktor Sklovskij gelten. Wie bereits erwähnt wurde, spielt die Form von Vorlage und Nachahmung eine wichtige Rolle bei der Parodie und so war es unerlässlich diese Theorie miteinzubeziehen, da sie sich ins Besondere mit der Form befasst. Auch die Rezeption spielt eine wichtige Rolle und so war es notwendig auch die Rezeptionsästhetik insbesondere bei Theodor Verweyen heranzuziehen, da er sich speziell auf die Parodie bezieht. Als eine weitere wichtige Theorie, die für unsere Untersuchung von Bedeutung ist, gilt die Intertextualitätstheorie als deren Hauptvertreter Julia Kristeva sowie Manfred Pfister behandelt werden. Sie wird bei der Gegenüberstellung von Original und Parodie eine besondere Rolle einnehmen. Und schließlich die Dekonstruktionstheorie (Jacques Derrida), die im analytischen und empirischen Teil dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielen wird. Im Anschluss daran folgt eine Diskussion der Parodie in Auseinandersetzung mit diesen Theoriekonzepten, aus der die heutige Bedeutung der Parodie als literarisches Werk erkenntlich werden soll. Diese Theorien sind im Bezug auf die Parodie von großer Bedeutung, da sie uns die Funktionsweise und Technik der Parodie verdeutlichen, die im Anschluss an diese Theorien dargestellt werden. Das soll dazu beitragen, das Verständnis von Parodien als auch das selbständige Erstellen dieser zu unterstützen.

Im dritten Kapitel wird dann der Korpus dieser Arbeit, die Faust-Parodie behandelt. Zur Einführung dieses Kapitels wird zuerst das Faust-Motiv als Gegenstand von Parodien dargestellt, sowie die wichtigsten Faust-Werke. Darauf folgt eine überblicksmäßige Darstellung des hier behandelten Werkes „Faust“ von Goethe. Eine Analyse der in dieser Arbeit behandelten Szenen aus dem Originalwerk „Faust“ von Goethe schließt sich daran an. Eine Analyse der Parodie erfolgt ebenfalls in diesem Kapitel. In der darauffolgenden Gegenüberstellung von Vorlage und Parodie wird das parodistische Verfahren erläutert.

Das vierte Kapitel befasst sich schließlich mit der praktischen Ausführung des Didaktisierungsversuchs. Die gewählten literarischen Szenen aus Goethes „Faust“ wurden im 3. Studienjahr (1999/2000) der Deutschen Abteilung der Pädagogischen Fakultät der Ain Shams Universität unterrichtet. Die Wahl fiel auf diese Gruppe, da die Studenten dieser Jahrgangsgruppe ausreichend sprachliche Fähigkeiten erworben haben, um mit literarischen Texten umzugehen. Wie noch in diesem Kapitel zu sehen sein wird, so wurde aber mit diesen Studenten eine Vorarbeit bereits im zweiten Studienjahr (1998/1999) geleistet. Es wurde zuvor ein didaktisch-methodischer Aufbau einer literarischen Parodieanalyse erarbeitet.

Im fünften und letzten Kapitel werden die Ergebnisse der Arbeit dargestellt, diskutiert und ausgewertet.

Im Anschluss an dieses Kapitel befindet sich das Literaturverzeichnis, sowie der Anhang mit weiteren Textbeispielen, Lehrskizzen und Arbeitsblättern.

1. Zur Begriffsklärung der Parodie

1.1. Lexikalische Untersuchung der Gattung „Parodie“

Beim Versuch, eine konzeptionelle Erfassung der Parodie zu leisten, stoßen wir auf das Problem, keine einheitliche Definition zu finden. Wie wir in der Entwicklungsgeschichte verdeutlichen werden, hat sich der Parodiebegriff im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt. Eine einheitliche Definition für die Parodie ist aber bis jetzt noch nicht gefunden worden. Es gibt sogar ein Postulat, nach dem ein möglichst weiter Parodie-Begriff gefordert wird, der alle je realisierten Wortverwendungen umfaßt. Diesem historischen Interesse steht jedoch eine auf Anwendungsbezogenheit gerichtete Orientierung gegenüber, und die Notwendigkeit, restriktiv verfahrende Rekonstruktionen von vornherein mit einzukalkulieren (Verweyen/Wiiting 1979a, S.125).

Dass es tatsächlich einige Gegensätzlichkeiten in den Parodiedefinitionen gibt, soll an den folgenden Beispielen verdeutlicht werden. Im neuen Brockhaus wird die Parodie als eine komisch-satirische Darstellungsart bezeichnet. Sie zieht ganze Dichtungsgattungen ins Komische, indem sie Form und Ton des Vorbildes beibehält, den Inhalt jedoch ändert (Neuer Brockhaus 1971, 4. Bd., S.128).

Im Funkkolleg wird die Parodie als verspottende Nachahmung bezeichnet. Diese Wirkung wird dadurch erreicht, dass der Inhalt eines Werkes durch einen anderen, der auf lächerliche Art unpassend ist, ersetzt wird (Funkkolleg 1977, S.38).

In diesen beiden Definitionen finden sich einige Ähnlichkeiten, wovon die wichtigste die Verspottung ist. Diese Ähnlichkeiten könnten zur Annahme verleiten, dass es sich hier um eine allgemeingültige Parodiedefinition handelt. Wenn wir aber dazu übergehen, etwas spezialisiertere Definitionen zu analysieren, so finden wir jedoch einige Abweichungen, wie im Folgenden zu sehen sein wird.

Flögel vertritt in seiner Definition zur Parodie die Ansicht, dass „parodieren“ mit nachahmen gleichbedeutend ist. Er geht davon aus, dass man, wenn ein ernsthafter Gegenstand auf eine ernste Weise nachgeahmt wird, unzählige Nachahmungen von guten Gedichten erhält. Diese beabsichtigen jedoch nicht zu spotten oder lächerlich zu machen. Sie nutzen die Vorlage nur dazu, um ein Gedicht in derselben Qualität zu verfassen (Flögel 1784, 1.Bd., S.84). Der Gegensatz befindet sich hier in der Ansicht Flögels, dass eine Parodie nicht zu spotten oder lächerlich zu machen versucht, obwohl dies in den beiden vorigen Definitionen als ein Hauptmerkmal galt.

Auch Ebelings Definition von 1869 beschränkt sich darauf, zu betonen, dass die Parodie nur einen Teil der alten Ausdrücke (der parodierten Vorlage) beibehält und neue Verbindungen (z.B. zu gesellschaftlichen Problemen) herstellt. Dadurch entsteht ein neues Produkt mit entgegengesetzten Inhalten. Diese verfolgen jedoch keinen komischen Zweck, sondern können durchaus ernst sein (Ebeling 1971, 3.Bd., S.448). Auch hier wird der Gegensatz zwischen den beiden zuerst genannten Definitionen deutlich. Der komische Zweck tritt hier in den Hintergrund, obwohl er in den ersten beiden Definitionen als Hauptmerkmal betont wurde.

Die oben genannten Definitionen weisen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf. Die Uneinigkeiten bestehen hauptsächlich darin, ob die Parodie einen verspottenden Charakter hat oder nicht. Einigkeit besteht dagegen darin, dass die Form der Vorlage überwiegend beibehalten wird, während der Inhalt auf unpassende Weise verändert wird. Als Folge dessen können wir uns hier vorläufig nur der Meinung von Müller anschließen, dass die bisherigen Definitionen der Parodie zu allgemein und daher von geringem heuristischem Wert sind (1994, S.15). Ob wir uns aber der Schlussfolgerung von Müller anschließen, dass die Hauptaussage der gängigsten Parodiedefinitionen darauf beruht, dass die Parodie eine auf Komik und Kritik ausgerichtete Nachdichtung sei, die die Form der Vorlage beibehalte, deren Inhalt jedoch verändere, so dass zwischen Form und Inhalt eine Diskrepanz entstehe, muss vorläufig noch in Frage gestellt bleiben (1994, S.15). Die von Müller gemachte Eingrenzung der Definition berücksichtigt nämlich nicht, dass es auch Definitionen gibt, die nicht in diesen Rahmen eingeordnet werden können.[6]

Wir können aber vorläufig die Parodie in Übereinstimmung mit Braak als eine „verzerrende, übertreibende oder verspottende Nachahmung eines bekannten dichterischen Werkes unter Anwendung der beibehaltenen Form auf einen anderen nicht dazu passenden Inhalt“ definieren (Braak 1969, S.166). Sie ist also ein Werk, das aus einem anderen den Gegenstand übernimmt, das Entlehnte aber so weit verändert, dass eine deutliche Diskrepanz entsteht, die meist eine komische Wirkung hat. Diese Veränderung des Originals, das auch ein fiktives sein kann, geschieht nach Rotermund „durch totale oder partiale Karrikatur, Substitution (Unterschiebung), Adjektion (Hinzufügung) oder Detraktion (Auslassung) und dient einer bestimmten Tendenz des Parodisten, zumeist der bloßen Erheiterung oder der satirischen Kritik“ (Rotermund 1963, S.9). Diese Bestimmung der Parodie vernachlässigt nach Verweyen/Witting eine genaue Bezeichnung der Beziehung von Parodie und Original zueinander (Verweyen/Witting 1979a, S.88).

Des weiteren sollte berücksichtigt werden, dass verschiedene Parodietypen unterschieden werden, so dass es nicht sinnvoll ist, diese Typen in eine einzige allgemeine Definition zu pressen. Es muss zudem in Betracht gezogen werden, dass der Gegenstand der Parodie nicht nur eine Vorlage sein muss, sondern darüber hinaus auch ein Individualstil, ein Gruppenstil, ein Epochenstil oder ein Genre sein kann (Verweyen/ Witting, 1979a, S.97).

Es wird hier die Ansicht vertreten, dass die vorhandenen Definitionen zur Parodie einen wichtigen Aspekt vernachlässigen. Keine der hier analysierten Parodiefinitionen hat den Rezipienten einbezogen. Wir nehmen jedoch, dass der Rezipient berücksichtigt werden muss, da die Parodie rezeptionsabhängig ist. So ist zum Beispiel eine Bedingung für das Verstehen der Parodie die Kenntnis der Vorlage, sowie das Entschlüsseln der verwendeten Textsignale (Gast 1975, S.5) und ohne dieses Erkennen verliert die Parodie ihre Funktion und Eigenschaft als Parodie und wird zu einem normalen literarischen Werk.

Eine endgültige Definition der Parodie kann und soll hier an dieser Stelle nicht gegeben werden. Es ist auch nicht das Ziel dieser Arbeit eine neue Parodiedefinition zu erstellen. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Parodie Kritik am Originalwerk ausübt und dass diese Kritik einen didaktischen Wert hat, der dem Verständnis des Werkes dient und zur Ausbildung einer literaturwissenschaftlichen Kompetenz der Deutschlehrer-Studenten beiträgt.

1.2.

1.2. Bestimmung von Parodiemerkmalen anhand einiger Beispiele

Im folgenden wird versucht einige der wichtigsten und repräsentativsten Merkmale der Parodie darzustellen und parodiefremde Merkmale auszuschließen.

1.2.1. Ausschluss von zufälliger Parodieproduktion

Ein erstes wesentliches Merkmal der Parodie besteht darin, dass sie Vorlagen adaptiert, und dass diese in der Parodie erkennbar werden. Im heutigen Computerzeitalter, ist es dem Computer möglich, Texte zu „verfassen“, in denen eine Identität auf der Reim- und Metrumebene sowie auf der syntaktischen Ebene mit der gespeicherten Vorlage vorherrscht. Auf der semantisch-thematischen Ebene ist dies jedoch noch nicht möglich.

Als Beispiel hierzu soll der folgende Ausschnitt aus „Das Herz träuft“ dienen, als dessen Vorlage das „Abendlied“ von Claudius gilt.

Es mag vielleicht etwas seltsam wirken, die Vorlage ist jedoch deutlich zu erkennen, da die allgemeine Textkonstruktion der Vorlage beibehalten wurde (Verweyen/Witting 1979a, S.112). Es ist auch zu erkennen, dass diese beiden Texte thematisch nicht in Verbindung zu bringen sind und dass dieser Text in sich keine einheitliche Thematik enthält. Diese Nachahmung kann also nicht als Parodie bezeichnet werden.

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Um solche ‚Nachahmungen‘ von Parodien zu unterscheiden, wurde für Parodien die Bedingung ergänzt, dass die Adaption der Vorlage bewußt geschehen muss. Die Übernahme von Verfahren, Sujet und Thema sind wichtige Merkmale, an denen die Parodie erkannt werden kann. Die Verwendung der allgemeinen Textkonstruktion der Vorlage in der Nachahmung ist ein Kriterium dafür, ob es sich um eine Parodie handelt oder nicht. Eine endgültige Entscheidung, ob es sich bei der Nachahmung um eine Parodie handelt, kann aber erst auf der semantisch-thematischen Ebene getroffen werden. Es muss festgestellt werden, welche Formen von Rekkurenz und Okkurenz es in Relation zur Vorlage gibt und wie diese im einzelnen zu bewerten sind.

1.2.2. Parodieerkennung durch Behandlung desselben Sujets und die antithematische Behandlung der Parodie

Die Adaption des folgenden Textes „Astern“ geschah zu einer Zeit, in der sich Benn großer Wertschätzung erfreute, was ihn zu einem beliebten Ziel für Parodisten machte. Es ist zu erkennen, dass beide Gedichte das gleiche Sujet (die Astern) als Verkünder von Herbst und Winter behandeln. Eine partielle Identität der Parodie mit der Vorlage ist schon daran ohne Schwierigkeit zu erkennen. Diese liegt nicht nur auf der syntaktischen Ebene vor, sondern auch bei bestimmten Verfahren der Sekundärstrukturierung (Reimschema, Strophenform), im Gebrauch eines gemeinsamen Vokabulars und auf der semantisch-thematischen Ebene. Beide Gedichte sind auch nach dem Prinzip der Gegenbildlichkeit strukturiert. Es gibt aber auch Unterschiede, so fehlt zum Beispiel in der Parodie die Einbettung des Naturvorgangs in mythologische Vorstellungen. Auch gibt es eine große Anzahl von Lexemen, die in der Vorlage nicht verwendet werden und die unter wortsemantischem Aspekt als okkurrent gelten müssen. Auf der thematischen Ebene liegt dagegen Rekkurrenz vor, da beide Gedichte den Paradigmen Herbst und Sommer zugeordnet werden können (Verweyen/Witting 1979a, S.116 f).

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Ein Problem, das immer wieder vernachlässigt wird, ist, dass die Parodie ein selbständiges Werk darstellt, das in freier Benutzung des parodierten Werkes entstanden ist. Es wird deshalb oft von Unwissenden als ein selbständiges Werk betrachtet und nicht als eine Nachahmung. Und dies passiert oft in dem Fall, in dem die Signale in der Parodie, die auf die Vorlage verweisen, nicht deutlich erkennbar sind, oder falls die Vorlage keinen großen Bekanntheitsgrad hat und aus diesem Grunde dem Rezipienten unbekannt ist. Dieser Irrtum führt dann dazu, dass die Absicht der Parodie nicht erkannt wird und dass vielleicht ironisch gemeinte Äusserungen als ernst gemeinte Aussagen verstanden werden, oder auch umgekehrt.

Nach Verweyen ist die antithematische Behandlung der Vorlage ein kennzeichnendes Merkmal für die Parodie (Verweyen/Witting 1979a, S.122). Mit antithematischer Behandlung ist eine strikt gegen die Thematik der Vorlage gerichtete Operation gemeint. Es erfolgt also eine Auseinandersetzung mit der Vorlage, in der ihr kommunikatives Potential eingeschränkt oder zumindest einer kritischen Überprüfung unterzogen wird. Der Bezug zur Vorlage wird durch den Gebrauch bestimmter Verfahren (Selektion) deutlich. In einigen Fällen ist nur eine Teilidentität mit der Oberflächenstruktur des adaptierten Textes zu erkennen.

1.2.3. Nennung der Vorlage in der Parodie

In der folgenden Parodie wird die Vorlage explixit genannt. Es handelt sich jedoch nicht um einen bestimmten Text als Vorlage, sondern um einen gesamten Stil. Es ist zu beachten, dass die hier gewählte Vorlage durch ihren eigentlich schon komischen Stil ausgezeichnet ist. Sie stellt deshalb ein extremes Beispiel dar, da die Parodie komischer Vorlagen in der Regel wegen ihrer besonderen Schwierigkeit vermieden wird.

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Es darf von einer Parodie jedoch nicht erwartet werden, dass sie immer ihre Vorlage explizit im Text nennt. Auch Namen aus den Prätexten müssen nicht unbedingt übernommen werden, sondern können abgewandelt werden. Anspielungen auf Sachverhalte müssen nicht als deutliche Hinweise betrachtet werden. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass semantische und syntaktische Markierungen für die Konstitution des parodistischen Textes besonders wichtig sind, denn auf diesen Textebenen werden die Analogien und Differenzen zum Parodierten erzeugt. Die semantischen Markierungen sind deutliche Merkmale auf den Textebenen der Handlung, der Charaktere und der Welt. Es ist auch wichtig, dass die typischen Stilmerkmale des Parodierten in der Parodie wiederzufinden sind, da sie das Strukturgerüst für den parodistischen Text bilden (Müller 1994, S.221).

1.2.4. Merkmale des Parodierten

Im Gegensatz zu den Merkmalen der Parodie, die bis heute immer noch nicht eindeutig sind, und die erst durch die Abgrenzung der Parodie zu den ihr verwandten Formen deutlicher werden, so können wir doch einige wichtige Merkmale für das Parodierte, also die Vorlage, angeben. Die Vorlage sollte auf textexterner Ebene zur Entstehungszeit der

Parodie sehr bekannt sein. Auf der formalen Ebene sollte sie überstrukturiert sein, das heißt nachahmbare und wiedererkennbare Strukturen enthalten, stilistische Elemente sollten deutlich sein und regelmäßig wiederholt werden.

Im Folgenden werden wir dann aufzeigen, wie sich diese Aspekte im Laufe der Geschichte der Parodie entwickelt haben.

1.3. Entwicklungsgeschichte

Ursprünglich stammt der Begriff Parodie vom griechischen Wort ‚parodos‘ bzw. ‚parodeo‘ ab und ist nach Lamping fast zweieinhalbtausend Jahre alt, die Sache selbst womöglich noch älter (Lamping 1981, S.293). Die Nachsilbe ‚ode‘ bezeichnet das Medium des Parodierens, während die Vorsilbe ‚para‘ mehrere Bedeutungen hat, aus denen teilweise auch die verschiedenen Arten der Parodie entstanden sind. Die verschiedenen Bedeutungen sind: „entsprechend“, woraus Nebengesang wurde; „wider“, woraus sich Gegengesang bildete und „zuzüglich zu“ woraus Beigesang entstand (Verweyen/ Witting 1979a, S.4).

Es wird aus diesen Bedeutungen ersichtlich, dass der Begriff ursprünglich aus der Fachsprache der Musik stammt und die Umformung eines vorhandenen Tonsatzes zu einem neuen Werk bedeutet. Die Parodie wurde als Eingriff in die Komposition betrachtet, um sie einem neuen Zweck zuzuführen oder einer anderen Klangvorstellung anzupassen (Brockhaus Rieman Musiklexikon). Sie war deshalb zu Anfang eine Neuerung in der epischen Vortragskunst, denn statt der üblichen gesungenen Rezitation von Versen in der Antike wurde die gewöhnliche Vortragsweise der Schauspieler benutzt. Und erst später entwickelte sie sich zu einer Schreibweise, nach dem sich die Wortkunst von der Tonkunst getrennt hatte. Sie entwickelte sich dann als Form in allen Gattungen, und blieb seit ihrer Entstehung zu allen Zeiten bestehen.

Im Mittelalter, der Renaissance, sowie im Barock behandelten die Parodien hauptsächlich religiöse Aspekte, wobei sich die Themen von Epoche zu Epoche teilweise veränderten.

So war es das Ziel der Parodie im Mittelalter eine Lebensweise darzustellen, die den christlichen Idealen widersprach. Es wurden zum Beispiel geistliche Gebräuche, Ordensregeln und Predigten parodiert.[7] Durch sie drückte sich der Wunsch nach Befreiung von der christlichen auf das Jenseits gerichteteten Lebensweise aus.[8] Lehmann vertrat die Ansicht, dass es ihr hauptsächlich darum ging Komik hervorzurufen (Lehmann 1963, S.3).

Im Mittelpunkt der Parodie zur Zeit der Renaissance standen die konfessionalistischen Spannungen zwischen den Katholiken und den Protestanten. Beide Konfessionen benutzten die Parodie als Mittel, sich gegenseitig anzugreifen, bzw. um die andere Konfession bei der Bevölkerung lächerlich zu machen. Einer der wichtigsten Parodisten dieser Zeit war Scaliger (1484-1558). Er betrachtete die Parodie als einen ins scherzhafte gewendeten rhapsodischen Vortrag epischer Dichtung. Darüberhinaus führte er als erster die Bezeichnungen ernste Vorlage und komische Nachahmung ein.

Auch im Barock spielte der Konfessionalismus, wie bereits zuvor erwähnt, weiterhin eine bedeutende Rolle. Die Parodie fordert den Lebensgenuss als Ziel menschlichen Daseins und nicht die religiöse Entsagung. Ein weiteres nicht minder wichtiges Thema war der Angriff gegen die höfische Welt und die Forderung der bürgerlichen. Dies war schon als Andeutung auf das kommende bürgerliche Zeitalter zu verstehen.[9] Zudem gewann die zuvor wenig beachtete parodistische Romanform eine besondere Stellung.[10]

Nachdem Scaliger in der Renaissance die Begriffe ernste Vorlage und komische Nachahmung eingeführt hatte, wurde nun in der Aufklärung die Parodie selbst in ernst und komisch eingeteilt. Interessant für unsere Untersuchung ist, dass schon Sulzer 1775 die komische Parodie als Mißbrauch gegenüber der Vorlage betrachtet hat, und die Parodie nur als sinnvoll ansieht, wenn sie den didaktischen Zielen der aufgeklärten Literatur folgt. Sie sollte der Kritik und der Korrektur dienen. Diese Ansicht Sulzers fand jedoch leider keine große Zustimmung, und dies lässt sich leicht an den vorhandenen rein komischen Parodien feststellen. Wir greifen diese Ansicht Sulzers in dieser Arbeit jedoch wieder auf und betonen die besondere Bedeutung dieser Art von Parodien. Die Parodie dieser Zeit richtete sich hauptsächlich gegen das unvernünftige Verhalten, das der Verbreitung der aufklärerischen Vernunft im Wege stand. Ihr Angriffsziel waren unter anderem auch die Heiligenlegenden. Als parodierbar galten vor allem die schwärmerischen Verhaltensweisen, die sich von der Vernunft entfernten.

Auch die Kirche blieb weiterhin Gegenstand der Parodie, da sie ja das Vernunftdenken ablehnte.[11]

Da wir in dieser Arbeit Goethes Faust behandeln, so ist es unerlässlich, auch die Epoche der Klassik in diesen Überblick mit einzubeziehen, obwohl diese Epoche die Parodie größtenteils ablehnte, weil sie gegen die Forderungen der Klassik verstieß und sich nicht durch Originalität auszeichnete. Goethe selbst hielt es für angemessen, sich zur Parodie zu äußern, so dass wir diese wichtige Ansicht hier nicht vernachlässigen können. Er betrachtete sie als ein Mittel um „das Hohe, Große, Edle, Gute, Zarte“ herunterzuziehen und ins Gemeine zu verschleppen (Goethe 1824, S.55). Da die Parodie als sekundäre Form betrachtet wird, stand sie somit im Gegensatz zur in der Klassik geforderten Originalität. Es ist also nicht verwunderlich, dass weder bei Goethe noch bei Schiller Parodien zu finden sind. Dies steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass Goethe die Parodie auf der Theorieebene in prinzipieller Hinsicht befürwortet, wenn sie einen wirklich schwachen Punkt aufdeckt oder etwas Verstecktes aufzeigt. Sie wird also von ihm befürwortet, wenn sie einen Bestandteil der Literaturkritik darstellt und dies ist es, was wir unter anderem in dieser Untersuchung beweisen wollen.

Ihren ersten wirklichen Höhepunkt in der Geschichte der deutschen Literatur erreichte die Parodie in der Romantik (Freund 1981, S.69). Sie wurde von den Romantikern als wichtigste Ausdrucksform betrachtet, weil sie ihrem dialektischen Geschichtsbewusstsein entsprach. Sie wurde dazu benutzt, die Bornierungen des Bewusstseins aufzulösen bzw. wendete sie sich gegen rationalistische Bewusstseinsverengungen.[12] Auch Grillparzer betont die Parodie als Mittel der Kritik, obwohl er sie in drei Typen einteilt. Die bloß ergötzliche, die belehrende und die persiflierende Parodie (Grillparzer 1960, S.294).

Im 19. Jahrhundert wurde die Parodie zur Bewusstseinskritik eingesetzt und bis zum Ende dieses Jahrhunderts hatte sie eine antiidealistische Tendenz, sie richtete sich auch gegen die politischen Zustände der Zeit.[13] Es gab eine Neigung dazu, religiöse Orientierungsmuster zu verspotten (sinnliche Entsagung, Heiligenverehrung), und vor allem die Spiritalisierung des Sinnlichen.[14] Zur Zielscheibe von Parodien wurde auch der Bildungsroman.[15]

Wenn wir die Parodie im 20. Jahrhundert betrachten, so müssen wir zwischen der Parodie vor 1945 und danach unterscheiden. Thomas Mann als einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts[16] äußerte sich positiv zur Parodie. Nach Freund schließt sie „für ihn die Liebe zur Tradition und den Zweifel an ihr mit ein, sie belächelt das Alte und Fromme, doch [eher melancholisch als frivol]“ (Freund 1981, S.93). Parodieren bedeutet hier also das souveräne Verfügen über eine große geistige Tradition in der melancholischen Gewissheit über ihren unweigerlichen Untergang. Es muss noch angemerkt werden, dass Thomas Mann schon zu Lebzeiten parodiert wurde. Die Parodie hatte vor allem eine antiideologische Tendenz und parodierte die politischen Zustände,[17] sowie die bürgerlichen Moralbornierungen. Sie diente aber auch immer noch der religiösen Kritik.[18] Die Trivialliteratur wurde zum beliebten Ziel von Parodien, insbesondere da sie zu dieser Zeit eine große Leserschaft hatte.[19] Die Zeitungspresse wurde als gefährliches Instrument der Manipulation betrachtet, da sie den Menschen während des Weltkrieges falsche Hoffnungen bereitete, infolgedessen wurde sie zur Zielscheibe von Parodien.[20] Die Parodie wurde auch hier als eine Form von Nachahmung bzw. Nachdichtung betrachtet, wobei im Laufe der Zeit Merkmale dieser Nachdichtung festgelegt wurden. Nach der Niederlage des Faschismus 1945 wendet sich die Kritik der Parodie dann von den ideologischen Auswirkungen ab und wendet sich den intellektuellen Ideologieproduzenten zu. Kritisiert wird in dieser Zeit auch die Realitätsflucht und mit Ende der 60er Jahre wächst die Kritik an der kapitalistischen Ideologie.[21] Das Ziel ist die Befreiung des einzelnen von der Herrschaft ideologischer Bornierungen, wobei die Nachahmung in der Parodie hier meist verspottenden Charakter hat (Lamping 1981, S.292).

Erwähnenswert ist in dieser Zeit auch die nun entstehende Parodie in der DDR-Literatur. Sie dient hier vor allem der Kritik an der totalitären Zensur im nationalsozialistischen Staat. Beliebt sind vor allem volkstümliche Erzählungen und Märchen als Vorlagen von Parodien. Die Autoren von solchen Parodien blieben jedoch unbekannt.[22]

Die zuvor genannten Definitionen und die Entwicklungsgeschichte der Parodie sind sich schließlich darin einig, dass die komische Wirkung dadurch erzielt wird, dass die Form der Vorlage beibehalten, aber auf einen nicht dazu passenden Inhalt angewendet wird.

Zu der Frage, was parodiert wird, äußerte Kunz 1840 die Ansicht, dass wahre Poesie durch ihre Parodierung nicht an Wert verliert, sonst wäre es keine wahre Poesie. Die Parodie wurde als „möglichst treue Nachahmung irgend eines bekannten Gedichts durch fremdartigen Stoff“ angesehen (Beyer 1870, S.134f.). Neumann vertrat eine hierzu gegensätzliche Meinung. Er behauptete, dass hauptsächlich das künstliche Mittelmaß parodiert werden solle, jedoch weder das ganz Große, noch das ganz Niedrige (1927). Daraus folgt, dass Goethe den Parodisten unzulänglich sein sollte. Dass er mit seiner Ansicht allein zu stehen scheint, wird deutlich, wenn wir die verschiedenen Parodieanthologien betrachten und dort Parodien zu allen Formen von Literatur finden und insbesondere, wenn wir die Parodiesammlungen zum „Faust“ betrachten, einem Werk, das ohne Zweifel zu den Meisterwerken der deutschen Literatur zählt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Parodieentwicklung betrifft ihren beginnenden Einsatz im DaF-Unterricht, wo die Fremdsprachenlerner aufgefordert werden, kurze Texte nachzuahmen, indem sie nur eine bestimmte Wortart oder ein bestimmtes Wort ersetzen.[23] Diese Form des Spracherwerbs ist eine wirkungsvolle Methode, da sie dem Lerner das Gefühl vermittelt einen neuen, teilweise schweren Text – wenn auch nur teilweise – selbst verfasst zu haben. Auch der Ansatz von Fricke, dass Lernende selbstständig Parodien verfassen, ist eine wichtige Entwicklung in der Parodie-Geschichte, auch wenn Fricke diesen Ansatz nicht für Fremdsprachenlerner entwickelt hat.

Nicht zu vernachlässigen ist hierbei auch ihre wichtige Funktion für die Kulturvermittlung, denn dies ist ein Problem, dass uns im fremdkulturellen Literaturunterricht immer wieder begegnet. Die Auseinandersetzung mit der Parodie und ihrer Vorlage ist zugleich immer eine Konfrontation der Parodie mit der Ausgangskultur der Vorlage und der Zielkultur der Parodie. Diese Zielkultur kann eine Fremdkultur sein, oder auch die Eigenkultur, aber in einer verschiedenen zeitlichen Epoche. Auf jeden Fall wird die Parodie immer ein kulturelles Problem reflektieren. Dies wird im folgenden mit Hilfe der Parodietheorien festzustellen sein.

2. Die Parodie im Rahmen verschiedener Literaturtheorien:

Im vorhergehenden Kapitel haben wir uns mit der Begriffsklärung und mit der Entwicklungsgeschichte der Parodie vertraut gemacht. Dies war notwendig, um den Gegenstand dieser Arbeit genauer zu bestimmen und bekannt zu machen. Im folgenden werden nun die meines Erachtens wichtigsten Theorien dargestellt, die sich mit der Parodie befasst haben. Sie sind zumindest in der Hinsicht die wichtigsten, dass sie für die Entwicklung dieser Arbeit eine bedeutende Rolle spielen. Es war notwendig mehrere Theorien heranzuziehen, die die Parodie behandeln, da diese, wie bereits zuvor erwähnt wurde, von der Literaturwissenschaft ziemlich vernachlässigt ist. Es gibt also keine spezifische Theorie, sondern nur solche, bei denen die Parodie als eine von mehreren Gattungen betrachtet wird. Mit Hilfe dieser Theorien soll versucht werden, verschiedene Aspekte der Parodie hervorzuheben, um festzustellen, inwieweit man diese Theorien auf Texte wie die Parodie sowohl auf der Ebene der literaturwissenschaftlichen Interpretation als auch auf der Ebene der Vermittlung anwenden kann.

2.1. Der russische Formalismus und die Parodie

Die folgende Darstellung des russischen Formalismus dient vor allem dazu, seine Einstellung zur Parodie zu untersuchen, und festzustellen wie man seine Theorien auf die Parodie anwenden kann. Zuvor soll jedoch ein kurzer allgemeiner Überblick gegeben werden.

Der russische Formalismus ist 1915 entstanden und gelangte in den zwanziger Jahren zu seiner vollen Entfaltung. Um 1930 wurde der russische Formalismus wieder unterbunden, fand aber seit den 60er Jahren wieder Beachtung (auch im Westen). Er ist keine reine Parodietheorie, aber im Rahmen dieser Arbeit wird es hauptsächlich darum gehen, die Aspekte zu behandeln, die sich mit der Parodie befassen.

Nach Striedter betrachtet der russische Formalismus seine Formulierungen von Anfang an weder als Wesensbestimmungen noch als unumstößliche Wahrheiten. Er betrachtet sie vielmehr als Arbeitshypothesen, die der Verifikation und der Falsifikation bedürfen. Die Verifikation stellt jedoch ein Problem dar, da wiederholbare Experimente im Bereich der Literaturtheorie nur sehr bedingt vorhanden sind. Im russischen Formalismus wurde die dialogische Form des Theoretisierens zur Verifikation verwendet, was den dialogischen Charakter des Formalismus betont. Für den Formalismus gilt, dass die Literatur als eine besondere Form der Sprache von anderen Formen und Funktionen der Sprache abgegrenzt werden muß[24] (Striedter1969, S.XVIII).

Der Hauptmangel des russischen Formalismus besteht im Ausklammern aller nicht sprachlich formalen Aspekte der Literatur (Striedter 1969, S.XIX). Sie verwarfen den Begriff ‚Inhalt des literarischen Werkes‘ und stellten die Behauptung auf, Literatur bestehe nur aus Form.[25] Ziel des russischen Formalismus ist es, diese Form zu erforschen. Der Inhalt des Werkes ist ihrer Meinung nach nur ‚Material‘, das der Schriftsteller für formale Zwecke benötigt (Pospelow 1980, S.20/21). Und gerade dies widerspricht dem Wesen der Parodie, da diese durch ihren neuen Inhalt auch gleichzeitig eine neue Aussage erhält. Die Parodie ist also nicht nur ein Spiel mit der Form, bei der man den Inhalt völlig unbeachtet lassen kann.

Ein charakteristisches Verfahren der Literatur ist für Sklovskij das „Verfahren der Verfremdung“ und dies trifft ins Besondere auf die Parodie zu (Sklovskij 1969, S.XXII). Sie dient dazu, die durch sprachliche und gesellschaftliche Konventionen „automatisierte“ Wahrnehmung zu erschweren und dadurch ein neues Sehen der Dinge zu erzwingen. Dieses neue Sehen, soll das eigene Verhältnis zur Umwelt korrigieren. Die Parodie ist im Sinne des Formalismus also eine gesellschaftskritische Verfremdung, die sich innerhalb des Bereichs der Literatur bewegt[26] (Sklovskij 1969, S.XXII f).

Nach Tynjanov wird ein Kunstwerk „wahrgenommen auf dem Hintergrund und auf dem Wege der Assoziierung mit anderen Kunstwerken. Die Form des Kunstwerks bestimmt sich nach ihrem Verhältnis zu anderen, bereits vorhandenen Formen. Eine neue Form entsteht nicht, um einen neuen Inhalt auszudrücken, sondern um eine alte Form abzulösen, die ihren Charakter als künstlerische Form bereits verloren hat“ (Tynjanov 1969, S.XXX). Dies gilt insbesondere für die Parodie, aber auch für jedes andere Kunstwerk. Denn jedes Kunstwerk wird nach Tynjanov als Parallele und Gegensatz zu einem vorhandenen Muster geschaffen (Tynjanov 1969, S.63). Da jedes Kunstwerk nur als Form, jede Form aber nur als „Differenzqualität“, als „Abweichung“ von einem „geltenden Kanon“ angemessen wahrgenommen werden kann, muss das Vorgegebene jeweils mitberücksichtigt werden. Wird die Parodie nämlich nicht aufgedeckt, so ändert sich das Werk. Das heißt, es wird nur auf einer Ebene wahrgenommen, wie jedes andere künstlerische Werk auch. Die Parodie verliert also ihren parodistischen Charakter, wenn ihr Verhältnis zur parodierten Vorlage nicht erkannt wird. Und umgekehrt gilt, je enger und bestimmter die zweite Ebene (die parodierte Vorlage) durchschimmert, je deutlicher alle Details des Werkes eine doppelte Nuancierung besitzen, desto ausgeprägter ist der Parodie-Charakter[27].

Für Sklovskijs Verständnis von der Kunst ist die Parodie ein Mittel des Spottes oder des spielenden Bloßlegens automatisierter Verfahren, d.h. primär ein Mittel der Destruktion. Indem die Parodie in vielen Fällen ihre Vorlage destruiert, so macht sie auf diese Weise auf vorhandene Mängel in der Vorlage aufmerksam. Dies soll der Kritik an der Vorlage dienen und meistens werden dabei vom Autor ständig verwendete Vefahren aufgedeckt. Nach der Meinung von Sklovskij ist ein parodistisches Kunstwerk bereits immer selbst konstruierte Destruktion, „und nur als solche Konstruktion durch Dekonstruktion kann sie konstruktiv wirken, vermag sie die Tradition die sie ‚durchparodiert‘, gleichzeitig ‚von Grund auf [zu] veränder[n]‘“ (Sklovskij 1969, S.XLII).[28]

Tynjanov vertritt eine von Sklovskij verschiedene Ansicht, was die Parodie betrifft. Er ist der Ansicht, dass das Wesen der Parodie in der Mechanisierung eines bestimmten Verfahrens liegt, das bekannt sein muss, damit die Mechanisierung spürbar wird. Auf diese Weise erfüllt die Parodie eine doppelte Aufgabe: Sie dient erstens der Mechanisierung eines bestimmten Verfahrens und zweitens der neuen Organisation des alten Materials, zu dem auch das mechanisierte alte Verfahren gehört. Ein Wortverfahren kann zum Beispiel durch eine Wiederholung mechanisiert werden, die nicht mit dem kompositionellen Plan übereinstimmt. Es kann auch durch die Umstellung der Teile mechanisiert werden.[29] (Tynjanov 1969, S.331). Tynjanov betont auch, dass „jede literarische Nachfolge doch primär ein Kampf ist, die Zerstörung eines alten Ganzen und der neue Aufbau aus alten Elementen“. (Tynjanov 1969, S.301).

Aus der Darstellung des Parodieverständnisses bei den beiden Formalisten Sklovskij und Tynjanov lässt sich feststellen, dass sie in einigen Aspekten die gleichen Ansichten vertreten, in anderen jedoch unterschiedliche Meinungen haben.

Beide Formalisten arbeiten mit dem Begriffspaar ‚Verfahren‘ und ‚Material‘; beide sehen die Parodie als ein Bloßlegen konventieller Verfahren, die dadurch ihrerseits zum Material gleichsam ‚potenzierender‘ Verfahren werden; beide erkennen darin eine Gleichartigkeit zwischen der Parodie und der allgemeinen literarischen Evolution. Aber während bei Sklovskij der Akzent auf der Destruktion liegt, rückt bei Tynjanov die Neukonstruktion in den Mittelpunkt; während für Sklovskij die Parodie in erster Linie der Erprobung und Bestätigung seiner vorher formulierten Ausgangsthese von der Kunst als Verfremdung dient, ist für Tynjanov die literarhistorische Analyse parodistischer Texte und die daran skizzierte ‚Theorie der Parodie‘ Ausgangspunkt für eine (...) Theorie der literarischen Evolution.

(Striedter 1969, S.XLIII)

Es soll noch einmal betont werden, dass für Tynjanov bei der Analyse eines Kunstwerks als ‚System‘, die Angewiesenheit dieses Systems auf den Zusammenhang der literarischen Evolution von großer Bedeutung ist.

Wie sich in dieser Theorie gezeigt hat, interessieren sich die Formalisten für die Form des literarischen Werkes. Dies hat seine Wichtigkeit, insbesondere für die Parodie, da diese oftmals von der Form ihrer Vorlage ausgeht. In unserer Untersuchung können wir aber nicht auf den Inhalt des literarischen Werkes verzichten, sondern werden diesen einbeziehen müssen. Hierbei sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen Sklovskij und Tynjanov eher komplementär zu verstehen, das heißt wir werden soweit möglich bei der Analyse die Aspekte beider Formalisten berücksichtigen. Wir werden uns, bei der literaturwissenschaftlichen Analyse der Vorlage, mit Goethes Faust destruktiv auseinandersetzen, wie es Sklovskij, fordert und auch bei der behandelten Parodie werden wir destruktiv

vorgehen, damit die Studenten ihren strukturellen Aufbau erkennen, um dann wie es Tynjanov fordert, in einer Neukonstruktion selbständig eine Parodie zu verfassen.

2.2. Die Dekonstruktionstheorie und die Parodie

Die von Derrida 1967 eingeführte Theorie der Dekonstruktion ist ursprünglich eine Theorie, die sich damit beschäftigt, philosophische Texte auf innere Widersprüche hin zu lesen und diese mit den formulierten Absichten der Texte zu konfrontieren. Er zeigt damit, dass diese dekonstruierten Texte auf der einen Seite etwas behaupten, was auf der anderen Seite genau diese Behauptung untergräbt. Und daraus folgert er, dass eine Behauptung nur funktioniert, wenn ihr Gegenteil ausgeschlossen wird. Anders ausgedrückt kann man sagen, dass die Interpretationsstrategie im Dekonstruktivismus darauf beruht, den Widerspruch zwischen dem was der Autor glaubt zu sagen, und dem, was der Text wirklich sagt, zum Vorschein zu bringen.

Als philosophischer Begriff kann die Dekonstruktion nach Zima definiert werden als ein Versuch „das kritische Denken von der instituionalisierten Philosophie zu lösen und die Herrschaft des Begriffs sowie der systematischen Begrifflichkeit radikal in Frage zu stellen“ (Zima 1991, S.1). Er soll keinesfalls als eine Form der Interpretation von Texten und auch nicht als eine Theorie des gezielten „Misreading“ von Texten, sondern als ein Begriff zur Charakterisierung des literarischen Textes selbst gebraucht werden. Die Dekonstruktion bedeutet hier für uns aber kein Verfahren der philosophischen oder literarischen Interpretation von Texten, auch nicht eine Methode, um Widersprüche aufzudecken, sondern ein Verfahren zur Charakterisierung des literarischen Textes. Das heißt, wir benutzen die Dekonstruktion als ein Verfahren zur Beschreibung von literarischen Texten (Vietta 1992, S.195). Mit ihr soll versucht werden, die Funktionsweise der literarischen Formen Parodie, Satire und Ironie zu erschließen.

Sprachlich gesehen beinhaltet der Begriff Dekonstruktion zwei Bedeutungen: die Bedeutung „der Destruktion, also des Niederreißens, Zerstörens einer gegebenen Struktur und das Moment der Konstruktion, also des Erbauens, Errichtens einer Struktur“ (Vietta 1992, S.193). Und genau diese Bedeutungen sind es, die uns hier in dieser Arbeit interessieren. Der Verfasser einer Parodie muss nämlich zuerst die von ihm gewählte Vorlage analysieren und dies geschieht dadurch, dass er diese Vorlage destruiert, um im Anschluss daran seine Parodie zu verfassen bzw. zu konstruieren.

Bei der Parodiedefinition im Dekonstruktivismus wird die kritische Funktion des Begriffs besonders hervorgehoben.[30] Ihr aufklärerisch-kritischer Charakter wird für die moderne Parodie sehr betont[31] (Vietta 1992, S.197). Die Parodie ist als Instrument der Kritik und Entlarvung gleichsam die Kehrseite der Utopie der literarischen Moderne und dient der kritischen Entlarvung des Parodierten. Sie unterminiert das parodierte Sprach- und Wertesystem von innen. Nach Vietta liegt die moderne geschichtsphilosophische Funktion der Parodie in ihrer Teilhabe am Gesamtprozess der modernen Dekonstruktion der Metaphysik (Vietta 1992, S.197). Parodistisch sind hier alle Texte oder Textteile, die Gattungsmerkmale der Parodie aufweisen.

Im Dekonstruktivismus spielt die Ironie eine wichtige Rolle für die Parodie. So ist sie nach Vietta als dekonstruktive Haltung und Stilform das wichtigste Stilmittel der Textgattung der Parodie und Satire in ihrer modernen dekonstruktiven Funktion. Auch wird die dekonstruktive Parodie und ihr Instrument die Ironie zu einer dominanten Ausdrucksform der literarischen Moderne (Vietta 1992, S.197).

Die parodistische Destruktion verfährt in der Weise, dass sie in der gewählten Vorlage nach Schwachpunkten sucht, um diese dann in verzerrender Übertreibung so zu vergrößern, dass das Objekt der Kritik von der dort sich einnistenden Kritik gesprengt wird und ins Lächerliche zerfällt (Vietta 1992, S.215). Das heißt also, dass das Verfahren der Dekonstruktion, dort wo es einsetzt, die Vorlagen rücksichtslos zersetzt.

Ein weiterer Aspekt der Dekonstruktion, der teilweise vernachlässigt wird, besteht meiner Ansicht nach auch beim Rezipienten. Und zwar führt die Übertreibung oder Kritik in der Parodie dazu, dass die bestehenden Ansichten des Rezipienten über das Originalwerk durch die Parodie destruiert werden. Die Parodie versucht beim Rezipienten das alte Wissen zu destruieren und gleichzeitig das neue von ihr vermittelte Wissen beim Rezipienten zu konstruieren. Es besteht die Annahme, dass dieser Aspekt der Dekonstruktion in den Theorien noch zu selten berücksichtigt wird, da sich die Dekonstruktion bis jetzt nur auf die Zerlegung eines Werkes durch den Autor bzw. Verfasser konzentriert. Wir werden versuchen diesen Aspekt im didaktischen Teil dieser Arbeit näher zu behandeln.

2.3. Die Intertextualitätstheorie und die Parodie

Der Intertextualitätsbegriff mag auf den ersten Blick keiner weiteren Erläuterung benötigen, da er sich geradezu von selbst erklärt. Der Autor eines literarischen Werkes steht beim Verfassen seines Textes unter dem Einfluss einer Reihe von Vortexten (Texte, die er bereits früher gelesen hat). Dann fügt er noch sein eigenes Weltwissen (eigene Erfahrungen) hinzu. Die Gesamtmenge der Vortexte und das Weltwissen des Autors bilden also den neuen Text. Umgekehrt kann man auch sagen, dass der Rezipient eines literarischen Textes beim Leseprozess zusätzlich zu seinem Weltwissen von einer Anzahl von Vortexten beeinflusst ist. Und diese Texte beeinflussen sein Verständnis des neuen Textes. Wissenschaftlich gesehen ist der Intertextualitätsbegriff jedoch viel problematischer, da trotz seiner großen Verbreitung keine exakte Definition existiert. Heinemann geht sogar soweit, von einer Gefahr zu sprechen, dass bald keiner mehr genau weiß, was mit diesem Begriff gemeint ist (Heinemann 1979, S.21). Die allgemeine Bedeutung, dass es sich um eine Theorie der Beziehungen zwischen Texten handelt, ist hier vollkommen unzureichend, da die Art der Beziehungen dadurch nicht bestimmt wird. Was dieser Intertextualitätsbegriff bedeutet, woher diese Problematik stammt und in welchem Zusammenhang er zur Parodie steht, soll im folgenden erläutert werden.

Der Intertextualitätsbegriff wurde 1967 von Julia Kristeva in die Literaturwissenschaft eingeführt. Ihr Verständnis von der Intertextualität war jedoch sehr weit gefasst, wie aus der folgenden Definition erkennbar ist:

(...) jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität, und die poetische Sprache läßt sich zumindest als eine doppelte lesen.

(Kristeva 1996, S.337)

Dieser Begriffsauffassung Kristevas zufolge wäre also jeder Text durch intertextuelle Bezüge gekennzeichnet, also kann er nicht ohne die Kenntnisse dieser anderen Texte verstanden werden. Der Intertextualitätsbegriff Kristevas ist demnach praktisch mit Textualität gleichzusetzen. Jeder Text wäre also als ein Intertext zu betrachten. Nach Heinemann besteht in dieser Definition die Forderung, dass man das Universum der Texte kennen muss, um einen einzelnen Text zu verstehen (Heinemann 1997, S.23). Dies ist eine vollkommen irreale Forderung. Würde man dieser Ansicht Kristevas zustimmen, so wäre Intertextualität als Eigenschaft aller Texte gemeinsam zu betrachten, woraus folgt, dass kein Text isoliert stehen würde.

Dieses globale Verständnis der Intertextualität bei Kristeva führt die Intertextualitätsforschung zu der Schlussfolgerung, dass dieser Begriff nicht für die literatur- oder sprachwissenschaftliche Textanalyse geeignet ist. Kristevas Definition zufolge wäre die Aussage: Text A steht in einer intertextuellen Beziehung zu Text B immer eine wahre Aussage. Wie unmöglich eine solche Schlussfolgerung ist, soll am folgenden Beispiel deutlich gemacht werden.

Zwischen dem Bericht über das gestrige Fußballänderspiel zwischen Deutschland und Portugal und Goethes „Wahlverwandtschaften“ besteht eine intertextuelle Relation.

(Tegtmeyer 1997, S.57)

Diese Aussage müsste Kristevas Intertextualitätsbegriff zufolge analytisch wahr sein. Dass dies jedoch nicht stimmt, ist wohl offensichtlich. Es ist nicht anzunehmen, dass der Fussballbericht in Relation mit Goethes „Wahlverwandtschaften“ zu bringen ist. Diese Theorie erlaubt es uns also nicht, zwischen wahren und falschen Aussagen zu unterscheiden und ist somit wissenschaftlich unbrauchbar. Daraus folgt die Forderung nach einer engeren Begriffsfassung und einem lokalen Konzept von Intertextualität, welches erlaubt Aussagen über das Bestehen oder Nichtbestehen von intertextuellen Bezügen zu machen.

Da der Intertextualitätsbegriff Kristevas, wie aus dem obigen Beispiel hervorgeht, zu allgemein ist, so wird seine Eingrenzung gefordert. Es wird unter anderem vorgeschlagen, dass Intertextualität nur für die nachweisbare Relation zwischen zwei oder mehreren Texten gelten soll. Des weiteren wird vorgeschlagen, die Intertextualität nur auf die Rezeption von Texten einzuschränken und sie im Bezug auf die Textproduktion auszuschließen. Diese Ansicht betont auch Heinemann, wenn er hervorhebt, dass die Intertextualität keine den Texten inhärente Eigenschaft ist, und erst durch die Interaktion von Leser und Text zustande kommt. Er unterstreicht also die Bedeutung der Rezeption für das Zustandekommen der Intertextualität (Heinemann 1997, S.62).

Dass man diese Ansicht nicht verallgemeinern kann, bestätigt zum Beispiel die Textform der Parodie. Die Produktion von Parodien beruht nämlich auf der Tatsache, intertextuelle Bezüge herzustellen. Eine Einschränkung der Intertextualität auf die Rezeption ist also nicht akzeptabel.

Die Parodie stellt aber auch ein ebenso ideales Beispiel im Bezug auf die Rezeption dar, da sie nahezu ein vorbildliches Modell der Intertextualität darstellt. Dies aber nur unter der Bedingung, dass der Rezipient die vom Autor gesetzten expliziten und impliziten Indikatoren bzw. die Intertextualitätssignale auf die Vorlage identifiziert und interpretiert. Erkennt der Rezipient diese Signale nicht, so verliert der Text nämlich seine intertextuelle Eigenschaft für diesen Rezipienten und wird zu einem ‚normalen‘ Text. Dass der Text trotz allem intertextuell ist, kann meiner Ansicht nach nicht abgestritten werden, da der Text die intertextuellen Signale enthält, die von einem anderen Rezipienten erkannt werden können.

Sehr weit gefasst ist auch Kristevas Verständnis vom Textbegriff, der für die Bestimmung der Intertextualität von Wichtigkeit ist, da Texte unter anderem nur noch als Variablen verstanden werden, weil sie keine selbständige Bedeutung und keine Funktion an sich haben, sondern immer nur relativ zu bestimmten Interaktionstexten stehen. Dies gilt insbesondere für die literarischen Textsorten, da diese funktional offen sind. Sie werden immer subjektiv interpretiert, je nach der unterschiedlichen Verstehensweise der verschiedenen Rezipienten. Würde man diese Annahme weiterverfolgen, so wäre die Folge davon, dass Texte im allgemeinen und literarische Texte im besonderen für den Kommunikationsprozess unbedeutend sind, da es nicht darauf ankommt, was der Autor sagen will, sondern welchen Sinn der Rezipient im Text erfasst.[32] Es gibt auch nicht nur eine einzige richtige Interpretation für literarische Texte und auch keine im voraus bestimmte Anzahl von richtigen Interpretationen, sondern eine unendliche Anzahl. Diese Aussage widerspricht jedoch der Tatsache, dass Texte als Grundeinheiten der sprachlichen Kommunikation fungieren. Denn sie sind die Basis für die Kommunikationsprozesse. Sie sind aktuelle grammatisch-lexikalische Äußerungseinheiten mit entsprechender Textbedeutung (Tegtmeyer 1997, S.77) Es ist deshalb falsch, Texte als beliebig versteh- bzw. interpretierbare Einheiten zu betrachten. Zwar können mehrere Rezipienten ein und denselben Text auf unterschiedliche Weise rekonstruieren, aber der originale Text bleibt der feste Orientierungspunkt für das Textverstehen und -verarbeiten. Jede adäquate Auslegung ist immer an die konkrete Textstruktur, an die konkrete Textvorgabe gebunden. Die Bedingung für die Richtigkeit einer Interpretation ist, dass sie nicht selbstwidersprüchlich ist und dem interpretierten Text eine einheitliche Bedeutungsstruktur zuweist. Ein praktisches Beispiel hierfür bildet die Parodie, die als Ausdruck verschiedener Lesarten von den Autoren erstellt wird. Für ein und dieselbe Vorlage können wir zahlreiche Parodien finden, die einen jeweils anderen Aspekt der Vorlage parodieren, oder eben gleiche Aspekte dieser Vorlage verschieden interpretieren.

Wie aus der Darstellung von Kristevas Intertextualitätsbegriff zu erkennen war, war er zahlreicher Kritik ausgesetzt. Dies führte Pfister (1985) dazu, ein neues Konzept der Intertextualität darzustellen. Er betrachtet die Intertextualität als intendierte und markierte Bezüge zwischen einem Text und vorliegenden Texten oder Textgruppen. Er bezeichnet dies als prägnantes und strukturalistisches oder hermeneutisches Modell. Und dieses engere Modell des Intertextualitätsbegriffs wird in der Literaturwissenschaft als das „heuristisch fruchtbarere“ bezeichnet, weil es sich leichter in operationalisierte Analysekategoerien und Analyseverfahren überführen lässt. Um dieses Modell zu fundieren, hat Pfister eine Reihe von qualitativen und quantitativen Kriterien erstellt. Zu den qualitativen Kriterien gehören u.a. die Referentialität und die Kommunikativität. Bei der Referentialität gilt, dass eine Beziehung zwischen Texten umso intensiver intertextuell ist, je mehr der eine Text den anderen thematisiert. Bei der Komunikativität handelt es sich um den Bewusstheitsgrad des intertextuellen Bezugs, sowohl beim Autor als auch beim Leser. Der maximale Bewusstheitsgrad ist erreicht, wenn der Autor sich des intertextuellen Bezugs bewusst ist und er davon ausgeht, dass der Prätext auch dem Rezipienten geläufig ist und er durch eine bewusste Markierung in seinem Text deutlich und eindeutig darauf verweist. Bei der Autoreflexivität setzt der Autor nicht nur bewusste und deutlich markierte intertextuelle Verweise ein, sondern reflektiert über die intertextuelle Bedingtheit und Bezogenheit seines Textes in diesem selbst. Weiterhin zu den qualitativen Kriterien gehören die Strukturalität, welche die syntagmatische Integration der Prätexte in dem Text ausdrückt. Die maximale Intensität der Intertextualität wird erreicht, wenn ein Prätext zur strukturellen Folie eines ganzen Textes wird. Die Selektivität drückt das Vorhandensein von unterschiedlichen Graden in der Prägnanz der intertextuellen Verweisung aus. Wie pointiert wird ein bestimmtes Element aus einem Prätext als Bezugsfamilie ausgewählt und hervorgehoben. Und als leztes sei noch die Dialogizität genannt, die im Ursprung die Grundlage für diese Theorie darstellt. Ein Verweis auf vorgegebene Texte oder Diskurssysteme ist von umso höherer intertextueller Intensität, je stärker der ursprüngliche und der neue Zusammenhang in semiotischer und ideologischer Spannung zueinander stehen.[33]

Von den qualitativen Kriterien seien hier nur die Dichte und die Häufigkeit der intertextuellen Bezüge, sowie die Zahl und Streubreite der ins Spiel gebrachten Prätexte genannt (Pfister 1985, S.26ff).

Betrachten wir die oben genannten zwei Theoriekonzepte von Kristeva und Pfister in Bezug auf das Thema dieser Arbeit – die Parodie –, so werden wir uns bei dieser Arbeit wohl für das zweite Konzept von Pfister entscheiden. Beim Modell von Kristeva müssen wir uns der allgemeinen Kritik anschließen, die besagt, dass diese Theorie zu global ist und uns einen definierten Umgang mit den Merkmalen und Eigenschaften der Parodie nicht erlaubt. Der Kristevas Theorie zugrunde liegende, weite Textbegriff würde die genauere Bestimmung des Parodiebegriffs eher problematisch machen. Die Forderung oder Annahme, dass man das Universum der Texte kennen muss, um einen einzelen Text zu verstehen, ist zu allgemein und vollkommen irreal. Für den Fall der Parodie wird z.B nur die Kenntnis der Vorlage vom Rezipienten gefordert, um die intertextuellen Verweise der Parodie zu verstehen. Auch wenn manchmal der Stil eines Autors parodiert wird und man zum Verständnis einer solchen Parodie mehr als nur eine Vorlage kennen muss, so ist es immer noch eine akzeptable Anzahl von Werken, deren Bekanntheit gefordert wird und nicht eine unendliche. Wenn wir nun die Kenntnis der Vorlage des parodierten Textes fordern, ist zu bedenken, dass er hier keine reduzierende Rolle spielt, sondern eine eingrenzende und verpflichtende, denn ohne die Kenntnis dieser Vorlage verliert die Parodie ihre Wirkung, und die intertextuelle Beziehung wird nicht hergestellt. Würde der Rezipient also das Universum der Texte, mit Ausnahme dieses einen Textes kennen, so würde er die Aussage dieses parodistischen Textes nicht erkennen.

Bei Pfisters Eingrenzung des Intertextualitätsbegriffs finden wir einige Kriterien angeführt, die es uns ermöglichen die Parodie als eine Textart mit maximaler intertextueller Intensität zu bestimmen. Es ist somit naheliegend, das von Pfister verwendete Intertextualitätsverständnis für diese Arbeit zu verwenden. Und demzufolge können wir hier einige Eigenschaften von Parodien im Rahmen dieses Intertextualitäts-verständnisses anführen.

Die für Parodien verwendeten Vorlagen werden nicht einfach nur verwendet, sondern es wird auch auf diese im Text hingewiesen. Die somit hervorgehobenen intertextuellen Bezüge zwischen der Vorlage und der Parodie sind von hoher kommunikativer Relevanz, da sie eine Grundlage für das Verständnis der Parodie bilden. Zusätzlich zu diesen intertextuellen Bezügen werden manchmal auch Zitate verwendet. Diese dienen dann aber in der Regel den Anspielungen auf strukturelle Muster (Pfister 1985, S.30).

Einen weiteren wichtigen Aspekt des Intertextualitätsbegriffs finden wir bei Broich, der einige Markierungsarten für die Intertextualität festgelegt hat. Diese Marker spielen eine wichtige Rolle für die intertextuelle Intensität und auch gleichzeitig für das Erkennen der Parodie. Wir können mit Sicherheit sagen, dass eine enge Beziehung zwischen der Intensität der Intertextualität und dem Erkennen der Parodie besteht. Genauso wie die intertextuelle Intensität von der Anzahl der Marker, deren Explizitheit bzw. Lokalisierung im Text, sowie vom zeitlichen Abstand der Texte abhängig ist, so ist das Erkennen bzw. das Gelingen der Parodie von eben diesen Eigenschaften abhängig (Broich 1985, S.30).

Für die Markierung von Intertextualität werden verschiedene Formen verwendet, von denen einige ebenfalls auf die Parodie zutreffen, und auf diese werden wir hier näher eingehen. Einige von diesen Markierungsformen, die Broich anführt, sind zum Beispiel Markierungen in Nebentexten (Klappentexten), und dies ist eine für die Parodie nicht übliche Form. Der Abdruck beider Texte nebeneinander ist eine schon eher bekannte Form für die Parodie und kommt vor allem im schulichen Gebrauch vor.[34] Und schließlich gibt es noch die Markierung im Titel bzw. Untertitel, und dies ist eine bevorzugte Form bei Parodien[35] (Broich 1985, S.35ff).

[...]


[1] Ich schließe mich hier der Terminologie von Wierlacher „fremdkulturell“ (1980, S.146) an, da das Verständnisproblem der hier gewählten Texte nicht nur ein sprachliches ist, sondern auch ein kulturelles.

[2] Die Travestie ist eine Unterform der Parodie, die sich jedoch nur auf das Mittel der totalen Substitution beschränkt.

[3] Das Pastiche ist ebenfalls eine Unterform der Parodie, wobei sie sich hauptsächlich auf die stilistische Nachahmung der Vorlage beschränkt.

[4] Die neueste mir bekannte Parodiesammlung wurde 1996 von Duderstadt herausgegeben.

[5] Siehe hierzu z.B. die Arbeit von Gast (1975).

[6] Siehe die Definitionen von Liede 1966; Lotman 1972; Freund 1981.

[7] Es bedankt sich der Teufel z.B. bei den Geistlichen für ihre Unterstützung bei der Verbreitung der Höllenbotschaft. Genuss von Würsten statt Hostien am Altar. Beispiele hierfür findet man in den Höllen- und Teufelsbriefen von Lehmann, die den Stil päpstlicher und kaiserlicher Schreiben nachahmen.

[8] So finden wir zum Beispiel bei Lehmann, dass die Ordensregeln parodistisch nachgeahmt werden. An die Stelle des heiligen Augustin tritt zum Beispiel der heilige Liederlich, bei dem Tanz, Zeche und Völlerlei an der Tagesordnung stehen (siehe Lehmann 1963).

[9] In der Parodie „Curiose und sehr gefährliche Reiße. Beschreibung zu Wasser und zu Land“ wird der barocke Reiseroman parodiert. Verspottet werden auch die höfischen Formen und Feste, die Kavalierstouren und die galanten Abenteuer und schließlich die Bürger, die es dem Adel gleichtun möchten. Es wird auch die höfische Überzivilisation kritisiert und das Heraufziehen des bürgerlichen realistischen Zeitalters wird deutlich. Eine beliebte Vorlage für dieses Thema war „Der Asiatische Omogambo“ von Happel 1673.

[10] In Beers Romanen wie z.B. „Printz Adimantas“ als dessen Vorlage der Ritterroman „Amadis“ gedient hat, wird das Motiv der „Adieu Welt“ parodiert, was die Abwendung vom Irdischen und die Weltentsagung bedeutet.

[11] Die Heiligenlegenden der Kirche widersprachen mit ihrem Wunderglauben der aufklärerischen Überzeugung, dass alles auf vernünftige Weise zu erklären sei und waren deshalb ein beliebtes Angriffsziel für Parodien.

Blumauer benutzte den Rahmen der antiken Mythologie für parodistische Attacken gegen das Papsttum, die katholische Kirche und die Jesuiten.

[12] Ludwig Tieck parodiert in der Parodie „Der gestiefelte Kater“ durch die Einführung eines fiktiven Publikums die spätaufklärerische Rezeptionshaltung, die empfindsame Tugendschwärmerei, die pedantische Betonung der Regeln und die schauspielerische Effekthascherei.

[13] Heine benutzt die Gespensterballade, um durch ihre parodistische Verzerrung die hilflosen und unwirksamen Schwärmereien bloßzustellen. So äußert zum Beispiel das Gespenst kritische und wirklichkeitsnahe Ansichten, während die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung in ihrer reaktionären Haltung wie Gespenster wirken. Als Vorlage für diese Parodie diente „Die weiße Frau“ von Freiligraths 1844.

Eine weitere Parodie, die die Vorgänge in der Frankfurter Nationalversammlung kritisierte, ist die Parodie „Mignon als Volks-Kammer-Sängerin“, die das „Mignon Lied“ von Goethe als Vorlage benutzt (siehe Anhang B Text 2, S.158).

[14] In den „Schöpfungsliedern“ äußert Heine Religionskritik. Der Himmel ist aus der Erde geschaffen worden, die irdischen Frauen standen Modell für die Erschaffung der Engel. Es ist eine deutliche Parallele zu Feuerbachs Religionskritik zu erkennen.

Keller wendet sich im „Jesuitenlied“ gegen den katholisch-konservativen Schweizer Sonderbund (1843). Er spottet über die frömmelnde Schwärmerei und den weltabgewandten Innerlichkeitskult seiner Vertreter.

[15] Bei Weerth werden die Merkmale der Bildungsdichtung auf eine antiidealistische Ebene übertragen. Die kostbar eingebundenen Bücher, die im Kaufmannsbüro stehen, dienen nicht der Bildung, sondern sind das Kopierbuch, das Kundenbuch und das Kalkulationsbuch.

Bei Busch werden die moralischen Vorhaben von der angeborenen menschlichen Triebhaftigkeit durchkreuzt. Das idealistische Menschenbild befindet sich in der Auflösung.

[16] Thomas Mann bewertete die Parodie positiv. Seine Werke selbst wurden parodiert. Aber auch er selber verfasste Parodien, von denen hier die folgenden genannt seien: „Josephs-Tetralogie“, „Lotte in Weimar“ „Doktor Faustus“.

[17] Die Parodie „Kälbermarsch“ von Bertolt Brecht ist eine der bekanntesten Parodien gegen den Faschismus. In ihr werden die marschierenden Kämper aus dem bekannten ‚Horst Wessel Lied‘ durch Kälber ersetzt, die dumpf und ohne eigenen Willen zum Schlachthof trotten. Hitler erscheint als brutaler Metzger. In dieser Parodie wird besonders deutlich, dass die Komik nicht zu den ausschließlichen Kriterien der Parodie gehören kann (siehe Anhang A Text 1, S. 151).

[18] Diese Kritik wird besonders in Brechts Frühwerk deutlich. Als Beispiel hierzu dient der “Große Dankchoral”, in dem das deutsche Kirchenlied “Der Lobende” parodiert wird (siehe Anhang A Text 2, S. 152)

[19] Neumann parodiert in seinem Werk „Ich lasse mich nicht“ die beliebteste und erfolgreichste Trivialautorin Hedwig Courths-Mahler. Er parodiert hier hauptsächlich den stereotypen Schluss des Romans, wo sich die Verwicklungen regelmäßig auflösen.

Eine weitere Parodie von Neumann „Die Assessorsbraut“, in der ebenfalls die Trivialliteratur kritisiert wird, hat „Das Geheimnis der alten Mamsell“ von Eugenie Marlitt zur Vorlage (siehe Anhang A Text 3, S. 154).

In der Parodie „Der fröhliche Schweinberg“ wird Carl Zuckmayers Komödie „Der fröhliche Weinberg verspottet“.

[20] Kraus kritisiert in seiner Parodie „Noch ist Polen nicht verloren“, dass die Presse allein in den Menschen Hoffnungen oder Enttäuschungen weckt. Die journalistischen Informationen werden den Menschen zum Wahrheitsersatz. Angeklagt wird auch die Verblendung der Massen durch die verantwortlichen Redakteure während des Weltkrieges.

Kurt Tucholsky schlägt in seiner Parodie „Die Tabellenzeitung“ vor, in Zukunft nur noch eine Zeitung in Tabellenform zu veröffentlichen, weil die Informationen sich ständig wiederholen. In seiner Parodie nennt er zum Beispiel die Zahl der Beinbrüche, der Wortbrüche, der Zeppelinlandungen, der Banditenüberfälle u.a., er stellt die Presse somit als sensationslüsternes Sammelsurium dar.

[21] Bei Manfred Ach und Manfred Bosch werden volkstümliche Formen wie Volks-, Kinder-, Weihnachtslieder und allgemeine Redensarten parodiert. Das Ziel der Parodie solcher volkstümlichen Formen besteht darin, weite Leserkreise zu erreichen und ihren Blick für die aktuelle Situation zu schärfen.

Beispiele hierfür finden wir auch bei Uwe Wandrey, der das bekannte Kinderlied „Sonne, Mond und Sterne“ als Vorlage benutzt, um gegen den Militarismus anzukämpfen. Das Weihnachtslied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ von Dieter Süverkrüp beschreibt die Desillusionierung des Arbeitnehmers durch den sinnentleerten weihnachtlichen Konsum. (10+1 Gebote für den Konsumenten).

[22] Die Parodie „Zehn kleine Meckerlein“ stellt eine Kritik am DDR-Regime dar und nutzt als Vorlage dazu den bekannten Kinderreim „Zehn kleine Negerlein” (siehe Anhang B Text 1, S.156 ).

[23] Beispiele hierfür finden sich in Schümann (2000): Tangram Deutsch als Fremdsprache (siehe Anhang, Text 4, S. 155 ).

[24] Meines Erachtens gilt dies natürlich nicht nur für den Formalismus, da auch allgemein gilt, dass nicht jede Beschäftigung mit Literatur, auch wenn sie wissenschaftlich ist, mit Literaturwissenschaft gleichzusetzen ist.

[25] In seinem Aufsatz „Was ist Formalismus“ widerspricht Brecht dieser Aussage, indem er die Annahme vertritt, dass die Form so sehr zum Inhalt gehört, dass sie dem Künstler oft schon selbst als Inhalt vorkommt. Er gesteht zwar, dass die Form in der Kunst eine große Rolle spielt, grenzt sie jedoch insofern ein, dass sie nicht alles ist (Brecht 1975, S.272).

[26] Für Verweyen dient die Parodie dagegen dazu, den älteren Text der Lächerlichkeit preiszugeben (Verweyen 1979, S.67). Wir sehen uns hier zwei Gegensätzen gegenübergestellt, wobei wir eine Verallgemeinerung dieser Aussagen auf alle Formen der Parodie ablehnen müssen. Ohne Zweifel kommt es vor, dass die Parodie eine rein ironische Absicht hat, bei der es darum geht, lächerlich zu machen, und ebenso gibt es Parodien, die eine gesellschaftskritische Verfremdung beabsichtigen, jedoch darf nicht davon ausgegangen werden, dass dies die einzige Form von Parodie ist. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Lächerlichkeit eine kritische Absicht beinhaltet. Es muss hier also betont werden, dass wir uns im Rahmen dieser Arbeit für die Parodie interessieren, die eine kritische Intention beinhaltet. Es muss keine gesellschaftskritische sein und sie muss nicht durch Verfremdung erzielt worden sein. Es kann sich z.B. auch um eine Werkkritik handeln, die durch Übertreibung erzielt worden ist, um nur eine Möglichkeit zu nennen.

[27] Wir haben für diese Arbeit deshalb besonders darauf geachtet eine Parodie zu wählen, die besonders viele Signale enthält, die auf ihre Vorlage, Goethes Faust hinweisen.

[28] Was die Dekonstruktion betrifft, so werden wir diese im folgenden Abschnitt noch ausführlich behandeln.

[29] Striedter sieht in dieser Doppelfunktion der Parodie den Hauptgrund dafür, dass sie als generelles Bewegungsprinzip der literarischen Evolution betrachtet wird.

[30] Dabei berufen sie sich auf Eschenberg, der diesen Aspekt der Parodie in seiner Definition des 18. Jahrhunderts hervorhebt und sie als Instrument der moralischen Kritik definiert (Verweyen 1983, S.302).

[31] Diesen aufklärerisch-kritischen Charakter bezeichnet Verweyen als kritische, antithematische Textverarbeitung (Verweyen 1979, S.121).

[32] Auch Haßler betont diesen Aspekt der Mehrdeutigkeit von Texten und fordert dazu auf zu berücksichtigen, dass Texte als Intertexte oft anders wirken können, als vom Autor beabsichtigt. Es ist somit notwendig die Bedingungen für das Verstehen von Texten zu untersuchen (Hassler 1997, S.25).

[33] Eine Textverarbeitung die sich gegen die Vorlage (das Original) wendet, oder das Anzitieren eines Textes um diesen ironisch zu relativieren und seine ideologischen Voraussetzungen zu unterminieren ist ein Beispiel für besonders intensive Intertextualität. Die treue Übersetzung von einer Sprache in die andere oder die Imitation eines Originals als Folge seiner Bewunderung, sind Beispiele für sehr geringe intertextuelle Intensität.

[34] Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit Parodie. Deutsche Literatur- und Gebrauchsparodien mit ihren Vorlagen von Gast 1975, und diese Arbeit hat natürlich vor allem didaktische Ziele.

[35] Wie z.B. Die Parodien: „Faust. Der Tragödie erster Teil“, „Faustel als Erzieher“ oder „Faust und Margarethe“ als Beispiele für Parodien

Ende der Leseprobe aus 224 Seiten

Details

Titel
Stellenwert der Parodie in der literarischen Behandlung von „Faust“. Bedeutung für die Ausbildung einer literaturwissenschaftlichen Kompetenz von Deutschlehrer-Studenten
Hochschule
Ain Shams University
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
224
Katalognummer
V113782
ISBN (eBook)
9783640143894
ISBN (Buch)
9783640144013
Dateigröße
1406 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stellenwert, Parodie, Behandlung, Bedeutung, Ausbildung, Kompetenz, Deutschlehrer-Studenten
Arbeit zitieren
Mag Midhat Suleiman (Autor:in), 2002, Stellenwert der Parodie in der literarischen Behandlung von „Faust“. Bedeutung für die Ausbildung einer literaturwissenschaftlichen Kompetenz von Deutschlehrer-Studenten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113782

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