Der Frauenverein in Jena im Spannungsfeld zwischen höfischen Impulsen durch Maria Pawlowna und der städtischen Gesellschaft


Examination Thesis, 2009

98 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ziel der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Quellen
1.4 Forschungsstand

2 Die Rolle der bürgerlichen Frauen
2.1 Einfluss der Französischen Revolution
2.2 Frauen in der Französischen Revolution
2.3 Bürgerrechte und Emanzipation
2.4 Die bürgerliche Frauenrolle

3 Patriotische Frauenvereine
3.1 Anfänge des bürgerlichen Vereinswesens
3.2 Die Patriotischen Frauenvereine

4 Das Patriotische Institut der Frauenvereine in Sachsen-Weimar- Eisenach
4.1 Weimar – Das patriotische Fraueninstitut
4.1.1 Vaterlandsliebe und Nationalbewegung
4.1.2 Weimar um 1800
4.1.3 Entstehung des patriotischen Instituts
4.2 Das „Patriotische Frauen-Institut“ von 1814
4.3 Das „Patriotische Frauen-Institut“ von 1815

5 Maria Pawlowna
5.1 Die Entstehung der „Gesetzlichen Bestimmungen“
5.2 Die „Gesetzlichen Bestimmungen“
5.3 Das „Central-Direktorium“
5.4 Ausblick und Fazit

6 Zentralverein Jena
6.1 Die Anfänge des Frauenvereins (1815 – 1817)
6.2 Organisation des Vereins
6.3 Zweck und Wirksamkeit
6.3.1 Fürsorge für Arme, Alte und Kranke
6.3.2 Vermittlung von Arbeit an Arbeitsfähige
6.3.3 Fürsorge für die weibliche Jugend
6.3.4 Kinderfürsorge
6.4 Einkünfte des Frauenvereins

7 Entwicklung der Frauenvereine
7.1 Die Revolution von 1848
7.2 Die bürgerliche Frauenbewegung
7.3 Resümee

8 Schluss

9 Anhang
9.1 Abkürzungsverzeichnis
9.2 Material
9.3 Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Ziel der Arbeit

Diese Arbeit soll die Entwicklung des Frauenvereins Jena, im Kontext des Patriotischen Frauenverein in Sachsen-Weimar-Eisenach, ausgehend von den antinapoleonischen Befreiungskriegen bis 1848/49 darstellen und analysieren.
Es soll aufgezeigt werden, dass Frauen vom Enthusiasmus für das Vaterland nicht unberührt blieben und sich während der Kriege gegen Napoleon zu Frauenvereinen formierten. Ihre Aktionen - Krankenversorgung, Spendensammeln und die Herstellung von Verbandsmaterial - waren politisches Bekenntnis und symbolische Kampfbeteiligung zugleich. Auch im weiteren Verlauf griffen Frauen immer wieder auf diese Aktionsformen zur Demonstration ihrer Gesinnung zurück.

Ein Ziel der Arbeit wird sein zu klären, welchen Einfluss Frauen in diesem Aufbruch hatten. Zunächst wird das Verhältnis der Frauenvereine zur Nationalbewegung analysiert und der Frage nachgegangen, ob sich die Frauenvereine als Teil der Nationalbewegung sahen und wie sich nationale und geschlechtsspezifische Identität gegenseitig beeinflussten. Auch werden die Konflikte analysiert, mit denen sich die Frauenvereine in der bürgerlichen Gesellschaft auseinandersetzen mussten, ihr schwieriges Verhältnis zu den Behörden, Öffentlichkeit und bürgerlichem Weiblichkeitsideal.

In diesem Zusammenhang sollen folgenden Punkte betrachtet werden. Zum einen soll die Stellung der Frau in gesellschaftlicher Hinsicht untersucht werden. Gerade hier scheint ein fundamentaler Widerspruch zwischen dem bürgerlichen Ideal des freien, emanzipierten Individuum, wie es in der französischen Revolution auch proklamiert wurde, und der sozial-gesellschaftlichen Praxis im Deutschland des 19. Jahrhunderts zu existieren. Zum anderen soll die Befreiung aus dem System, verkörpert durch die bürgerliche Frauenbewegung skizziert werden. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob es den Frauen wirklich um eine Gleichstellung und Gleichbehandlung nach bürgerlichem Ideal ging oder ob die Frauenbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht doch innerhalb der bereits existierenden gesellschaftlichen Struktur und damit in der klassischen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau verblieb.

1.2 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit besteht neben Einleitung (1) und Schluss (8) aus 6 Kapiteln. Im Kapitel 2 wird die Rolle der Frau dargestellt. Hier soll geklärt werden, welchen Einfluss die Französische Revolution und ihre Folgen ausgeübt und inwieweit Frauen dabei mitgewirkt haben. Des Weiteren soll untersucht werden, welche gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen Anfang des 19. Jahrhunderts bestanden haben und welche Rolle darin das weibliche Geschlecht gespielt hat.

Kapitel 3 betrachtet die Entstehung neuer Vereinsformen. Der Zeitraum vom ausgehenden 18. bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist eine Phase der praktischen Umsetzung der Ideen der Aufklärung und der Formierung des neuen Bürgertums als tonangebende Schicht. Hieraus entwickelten sich verschiedene Vereinsformen, so auch die Patriotischen Frauenvereine infolge der Befreiungskriege.

Die Entstehung des Patriotischen Frauen-Institutes soll in Kapitel 4 untersucht werden. Die patriotischen Frauenvereine in Sachsen-Weimar-Eisenach standen zum einen im Zusammenhang mit der nationalen Bewegung, da sie einen Beitrag an den gegen Napoleon geführten Freiheitskriegen leisteten und zum anderen boten die Kriege gegen Napoleon eine neue Gelegenheit zur Partizipation an der bürgerlichen Gesellschaft, das heißt eine Überschreitung traditioneller weiblicher Handlungsgrenzen.

In Kapitel 5 wird auf Maria Pawlowna, ihr soziales Engagement und deren Auswirkungen auf Sachsen-Weimar-Eisenach eingegangen. Dabei wird auf die Gründung des Patriotischen Institutes und deren organisatorische Struktur näher eingegangen.

Kapitel 6 beschreibt die Entwicklung des Frauenvereins Jena zwischen 1813 und 1848/49, das heißt seine Entstehung während der Befreiungskriege und sein Fortbestehen in Friedenszeiten. Dazu gehört eine Analyse seiner Mitgliederschaft, Organisation, Zweck und Wirksamkeit sowie der wirtschaftlichen Lage.

Das Kapitel 7 soll kurz die Entwicklung der Frauenvereine nach 1848/49 umreißen, unter anderem mit einem Ausblick auf den Allgemeinen Deutschen Frauenverein von 1865.

Im Schluss wird zusammenfassend das Verhältnis der Frauenvereine zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld beurteilt, des Weiteren ihre Anpassungsversuche und ihr Widerstand gegen äußere Zwänge.

1.3 Quellen

Die Arbeit beruht zum einen großen Teil auf Behördenakten und Zeitungsberichten über den Frauenverein. Die Akten enthalten die Korrespondenz der verschiedenen Verwaltungsebenen untereinander und mit dem Frauenverein. Es handelt sich dabei vor allem um Berichte, Mitteilungen und Gesuche der Frauenvereine an die Behörden und Entwürfe der Antworten. Die Quellen sind also einseitig, den die Schreiben der Frauenvereine verfolgen immer einen bestimmten, nach außen gerichteten Zweck und übermitteln dazu nur ganz bestimmte Informationen. Bei den Zeitungsartikeln handelt es sich in der Regel um Texte der Frauenvereine selbst, um Gründungsanzeigen, Spendenaufrufe oder Rechenschaftsberichte. Da Meinungsunterschiede oder Konflikte hier ausgeblendet wurden, vermitteln die Zeitungsartikel ein geschöntes Bild.

Des Weiteren wird Literatur von späteren Mitgliedern oder engen Vertrauten der einzelnen Vereine, so etwa Knotts Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Patriotischen Instituts in Sachsen-Weimar-Eisenach oder Glaues Buch Hundertzehn Jahre Haupt-Frauenverein Jena verwendet. Helga Glaue engagierte sich im Deutschen Roten Kreuz, dem sie seit 1914 angehörte, und wurde 1921 Vorsitzende des Frauenvereins in Jena.[1]

Ein ähnliches Ziel verfolgte 1844 der Pädagoge, Schulreformer und spätere liberale Abgeordnete Dr. Heinrich Gräfe. Gräfe stellte alle für ihn greifbaren Informationen über wohltätige Frauenvereine in Deutschland zusammen, um vor dem Hintergrund eines sich verschärfenden Pauperismus Werbung für Frauenvereine zu machen.

Während Gräfe sich als Pädagoge und Sozialreformer für die Frauenvereine interessierte, beschäftigte sich seit den 1860er Jahren angesichts des immer noch desolaten Zustandes des militärischen Lazarettwesens ein Militärarzt intensiver mit den Frauenvereinen. 1873 veröffentlichte der Chirurg Dr. Ernst Gurlt vor dem Hintergrund des deutsch-französischen Krieges eine Geschichte der internationalen und freiwilligen Krankenpflege im Kriege, die über weite Strecken eine Geschichte der Frauenvereine der Befreiungskriege ist.

1.4 Forschungsstand

Dem Thema Frauenvereine der frühen Nationalbewegung und dem Verhältnis von Frauen und Nation wurde bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Mit der Erforschung des Bürgertums geriet neben den Lebenswelten bürgerlicher Frauen auch die ideologische Konstruktion der Geschlechterrollen zwischen 1750 und 1850 in das Blickfeld der Forschung. Organisationsgeschichtlich dagegen wurde die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bislang wenig untersucht. Lediglich Dirk Alexander Reder beschäftigt sich in seinem Buch Frauenbewegung und Nation sehr intensiv mit genau diesem Thema. Zu Unrecht wurden die Frauenvereine der Befreiungskriege lediglich als Vorläufer der Vaterländischen Frauenvereine des Kaiserreiches betrachtet.

Die Frauenvereine von 1813/15 sind vor allem unter dem Aspekt ihrer Fernwirkung interessant. Bischoff (1984) hingegen betonte die Bedeutung der Vereine für die Entwicklung der Krankenpflege als Frauenberuf.[2]

Die Bewertung der Frauenvereine der Befreiungskriege ist sehr strittig. Sie reicht von der Bestreitung eines emanzipatorischen Potentials der Frauenvereine, weil sie sich auf 'typisch weibliche' Arbeitsfelder konzentrieren, über die Bewertung der Vereine als 'weiblicher' Teil der Nationalbewegung, bis hin zur Betonung des emanzipatorischen Charakters der Vereinsarbeit und der 'politischen' Funktion der Vereine.[3]

2 Die Rolle der bürgerlichen Frauen

Das 19. Jahrhundert in Deutschland wird in der Literatur als das „bürgerliche Zeitalter“[4] bezeichnet. Es schwankte zwischen Einengung und dem Festhalten an feudalen Werten einerseits und dem Aufbruch aus diesem verfestigten und überholten System andererseits.[5] Aber welche Rolle spielten die Frauen in diesem Aufbruch? Waren sie eine der treibenden Kräfte oder ist die zunehmende Emanzipation der Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert eher eine Nebenerscheinung des allgemeinen bürgerlichen Erstarkens und damit verbunden der idealen bürgerlichen Werte?
Es soll im Folgenden die Stellung der Frau in gesellschaftlicher Hinsicht untersucht werden. Gerade hier scheint ein fundamentaler Widerspruch zwischen dem bürgerlichen Ideal des freien, emanzipierten Individuum, wie es in der französischen Revolution auch proklamiert wurde, und der sozial-gesellschaftlichen Praxis im Deutschland des 19. Jahrhunderts zu existieren.
Betont sei an diese Stelle, dass der Fokus dieses Kapitels auf der Stellung der bürgerlichen Frau liegt.

2.1 Einfluss der Französischen Revolution

Die Französische Revolution mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist als Ursprung und Hoffnung der Frauenbewegungen in ganz Europa anzusehen. Infolge des Umsturzes forderten Frauen vor allem in England und Frankreich ihre Rechte ein.[6]

Von Anfang an waren Frauen aktiv an der Revolution in Frankreich beteiligt gewesen, bereits beim Sturm auf die Bastille werden Namen von mitrebellierenden Frauen überliefert. Doch nachdem sie der Revolution zum Sieg verholfen hatten, sahen sich die Frauen von den Revolutionären nicht nur aus dem politischen Leben ausgeschlossen, sondern auch von den staatsbürgerlichen Rechten blieben sie ausgegrenzt. Da war auch die Tatsache, dass sie ganz offiziell zu Heldinnen der Revolution ernannt wurden, ein äußerst schwacher Trost. Mehr noch, als die Frauen im Code Napoleon 1804 auf eine Ebene mit Kindern, Kriminellen und Geisteskranken zurückgestuft wurden.[7]

Doch ganz vermochten die Männer die weiblichen Ambitionen auf ihre Rechte nicht mehr auszulöschen. Schon während der Französischen Revolution hatten Frauen begonnen, eigene Vereine und Zeitungen zu gründen. Zwar ebbte diese Entwicklung bis zu den Juliereignissen 1830 in Frankreich wieder ab, doch gilt letztendlich festzuhalten, dass die Französische Revolution durch die Emanzipation des Dritten Standes auch auf die Emanzipation der Frauen, nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland eingewirkt hatte. Vor allem deshalb, weil die Errungenschaften im Bezug auf die Menschenrechte nach der Revolution nicht vollkommen waren, da sie die Frauen außen vor ließen.[8]

2.2 Frauen in der Französischen Revolution

„Man sollte erwarten, daß die Revolution die Lage der Frau geändert hätte. Das trat aber nicht ein.“[9]

Dieses Resümee zieht Simone de Beauvoir hinsichtlich der Auswirkungen der Französischen Revolution auf die gesellschaftliche Stellung der Frau während der Ereignisse und nach ihrem Ende.
Gerade bei dem Marsch nach Versailles am 05.10.1789, also zu Beginn der Revolution, hatten Frauen noch eine große Rolle gespielt, waren sie doch Initiatoren dieses Ereignisses.
An diesem Tag „zogen Tausende von Pariser Frauen [...] nach Versailles, um Brot und die Entlassung der Truppen zu verlangen. Und um den König nach Paris zu holen. [...] Aus zeitgenössischen Berichten geht aber deutlich hervor, daß Frauen aller gesellschaftlichen Klassen dabei waren. Fehlendes Brot war für sie alle ein Problem. [...] Die Männer waren die Helden des 14. Juli, die Frauen die des 6. Oktober. Die Männer haben die königliche Bastille eingenommen, die Frauen haben das Königtum selbst überwunden, haben es in die Hände von Paris, das heißt der Revolution gebracht.“[10]

Die Ereignisse des 5. Oktober werden in der Welt bekannt unter dem Namen des Zuges der Weiber nach Versailles. Wenn Frauen allerdings in der Folge organisatorisch, kulturell oder gar politisch in der Öffentlichkeit tätig wurden, stützten sie sich dabei auf das Wohlwollen und die Toleranz der betreffenden Behörden und örtlichen Autoritäten. Ihr neu gewonnener gesellschaftlicher Status blieb also mehr ein Privileg denn ein Rechtsanspruch.[11]

Doch den Frauen sollte wieder die Rolle im häuslichen Bereich zukommen, so die Sicht der Männer. Zur Begründung dieser Haltung wurden Rousseausche Denkmuster angeführt, nach denen es die Bestimmung der Frau ist, den Haushalt zu führen und die Kinder zu erziehen und nicht in der Öffentlichkeit tätig zu sein DEIN PROBLEM ☺: „Was den Mann zur Einsicht seiner Pflichten führt, ist nicht sehr kompliziert; was die Frau zur Einsicht ihrer Pflichten führt, ist noch einfacher. Gehorsam und Treue, die sie ihrem Ehemann, Zärtlichkeit und Fürsorge, die sie ihren Kindern schuldet, sind so natürliche und einleuchtende Folgen ihres Standes, daß sie, ohne unglaubwürdig zu werden, dem inneren Gefühl, das sie leitet, nicht ihre Zustimmung versagen noch die Pflicht verkennen kann, solange ihre Neigung nicht verdorben ist.“ [12]

Für Männer stellten Frauen, die weiterhin politisch aktiv sein wollten und sich nicht mehr der alt hergebrachten Geschlechterordnung unterordnen wollten, eine schreckliche Vision dar und eine Bedrohung ihrer eigenen Machtpositionen. Die im Zitat Rousseaus erkennbare Sichtweise der Rolle der Frau hatte zur Folge, dass die Frauenvereine, die sich seit 1790 gegründet hatten, im Oktober 1793 verboten wurden. Per Dekret wurde den Frauen auch untersagt, sich in größeren Gruppen auf Straßen zu versammeln. Diese Sanktionen begleitete eine regelrechte Hetzkampagne, die sich gegen alle politisch aktiven Frauen richtete. Durch die im November 1793 ausgesprochenen Todesurteile gegen Marie Antoinette, Manon Roland - die Gattin des ehemaligen Innenministers - und die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges erhielt die angestrebte Verbannung der Frau aus dem öffentlichen Raum neuen Auftrieb und Nachdruck. Die Verurteilungen stützten das Argument, dass Politik nicht Sache von Frauen sein konnte und durfte.[13]

Olympe de Gouges

Bei Olympe de Gouges handelt es sich um eine herausragende politisch aktive Frauenrechtlerinnen.

Die von Seiten der Männer geplante Wiedereinführung der alten Geschlechterordnung auf Basis des Rousseauschen Modells stieß bei ihr auf heftige Kritik und Widerstand. Sie verlangte konkrete Rechte, die in eine ganz andere Richtung gingen. De Gouges verfasst 1791 die ,,Déclaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne"[14]. Sie entlarvte mit ihrer Schrift die Menschenrechtserklärung der Revolution als ein Dokument, das nur die Bürgerrechte und Freiheiten der Männer meinte. Gleichheit bezog sich darin nur auf Männer, das Patriarchat blieb ungebrochen in seiner Geschlechterordnung bestehen.

In Artikel I heißt es bei de Gouges: ,,La femme naît libre et demeure égale à l′homme en droits."[15] Hier ersetzt sie in bewusster Analogie zur offiziellen Menschenrechtserklärung den Begriff homme durch femme. Daraus folgen die volle politische Souveränität der Frau als `Bürgerin´[16] und ihre gleichberechtigte Beteiligung an der Gesetzgebung: „La loi doit être l`expression de la volonté générale; ou par leurs représentants à sa formation, elle doit être la même pour tous“[17]. Jedes Staatswesen, das dieses Prinzip missachtet, ist für de Gouges illegitim, und in Bezug auf die historische Situation beinhaltet das `Widerstandsrecht´ für sie auch in erster Linie den Kampf der Frauen gegen die Männer, die sich mit der Revolution als Tyrannen entpuppt hatten.[18]

So sieht Olympe de Gouges in der Unterdrückung der Frau eine Verletzung der Prinzipien von 1789; indem man die Frau ihrer natürlichen Rechte beraube, schließe man sie unter Ausnutzung ihres ohnmächtigen Stillschweigens von denselben Grundrechten aus, die man für die Mitglieder des männlichen Geschlechts fordere.[19]
Hinter ihrem bekannten Satz vom Recht der freien öffentlichen Meinungsäußerung der `Bürgerin´[20] stand die Auffassung, dass die Frau (zumal als Mutter) besondere Rechte an ihrem Körper und ihren Kindern zu beanspruchen habe, sexuelle Freizügigkeit besitze und den Mann erst durch ihr freies Wort – nicht durch die Ehe – zum Vater mache: „Toute citoyenne peut donc dire librement, je suis mère d`un enfant qui vous appartient, sans qu`un préjugé barbare la force à dissimuler la vérité.“[21]

Für Männer stellte diese Vision der Umkehrung der Aufgaben und damit der Machtverhältnisse eine beängstigende Vorstellung dar. Die Reaktionen auf die Forderungen Olympe de Gouges gingen so weit, dass man sie am 3. November 1793 per Guillotine hinrichtete, die Frauenclubs wurden aufgelöst und Frauenversammlungen verboten. Schon im April des gleichen Jahres hatte der Nationalkonvent erklärt, dass Kinder, Irre, Frauen und Kriminelle keine Bürgerrechte hätten.[22]

2.3 Bürgerrechte und Emanzipation

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit war die Losung der Französischen Revolution, welche die politische Emanzipation des Bürgers signalisierte, nicht aber die der Bürgerin. Obwohl viele Frauen die Revolution aktiv unterstützt hatten, wurden sie nach anfänglicher Duldung ausdrücklich ausgeschlossen. Das neue bürgerliche Gesetzbuch, der Code Napoleon (1804), verfestigte noch einmal diese patriarchale Gesellschaftsordnung: Frauen hatten keine Bürgerrechte und waren rechtlich vom Mann abhängig, sie konnten keine Verträge abschließen, nichts selbstständig kaufen oder verkaufen und ihr Vermögen und Besitz unterstand der Verfügungsgewalt des Ehemannes. Damit war in Frankreich die Emanzipation der Frau, ihre rechtliche und politische Autonomie, gescheitert.[23]

Die rechtliche Gleichstellung der Frau, ihre Emanzipation aus der Vormundschaft des Mannes und ihre Rechte als Staatsbürgerin waren in Deutschland zur Zeit der Klassik und Romantik noch indiskutabel, kein Gegenstand intellektueller Auseinandersetzungen. Lediglich eine 1792 anonym veröffentlichte Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“[24], die von dem in Königsberg wirkenden Juristen, Staatspräsidenten und Schriftsteller Theodor Gottlieb von Hippel verfasst wurde, griff die Frage der sozialen und rechtlichen Gleichstellung der Frau auf. Hippels zwischen Satire, Polemik und juristischen Argumenten changierende Schrift war ein Produkt radikal-aufklärerischer Argumentation, welche die Herausforderung durch die Französische Revolution und die Proklamation der allgemeinen Menschenrechte weiterdachte. Gegenstand und Ausgangspunkt seiner Abhandlung war die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft.

Ironisch und weitschweifig unterläuft Hippel die traditionellen Argumente für die Unterschiede zwischen „Mann und Weib“[25] (Kapitel II), um dann in einem kulturhistorischen Überblick darzulegen, „woher die Überlegenheit des Mannes über die Frau entstanden“[26] sei (Kapitel III), und danach „nähere Angaben […] betreffen die neuere Zeit“[27] (Kapitel IV) zu machen. Zwei ausführliche Kapitel mit „Verbesserungsvorschläge(n)“[28] (Kapitel V) und zur „Nutzanwendung“[29] (Kapitel VI) beschließen die gedankenreiche Schrift, welche die Vorurteile der Männer lächerlich macht.

Es ist seine Absicht, nachzuweisen, dass es nicht eine „tätige Weiblichkeit gibt“[30], mit der man die Frauen in einem privaten Bereich festschreiben kann, sondern dass Frauen an allen öffentlichen, bürgerlichen Geschäften zu beteiligen sind: „Wir irren, wenn wir uns überreden, daß Weiber für die Ehrensache der Menschheit, für den Kampf der Freiheit mit der Alleingewalt, keine Sinne besitzen.“[31]

Männer werden ausschließlich durch ihr Machtstreben zu Taten veranlasst, die Motive von Frauen sind weitaus edler, auf das Wohl anderer ausgerichtet. Frauen, so Hippel, hätten eine Veranlagung zur Verkörperung einer natürlichen Religion der Freiheit: „Weiber haben Sitten, Männer Manieren“[32]. In dieser Gegenüberstellung steckt nicht nur Hippels Auffassung von der bürgerlichen Verbesserung der Weiber, sondern von der Verbesserung der Menschheit ganz allgemein.

2.4 Die bürgerliche Frauenrolle

Ausgehend von den naturrechtlichen Prinzipien der bürgerlichen Aufklärung im 18/19. Jahrhundert und den Menschenrechtsforderungen der französischen Revolution wäre mit der Durchsetzung bürgerlicher Verhältnisse die Emanzipation auch der Frauen denkbar gewesen. Die Auflösung der geschlossenen Strukturen der alten Gesellschaft, die veränderte Arbeitsteilung innerhalb des bürgerlichen Mittelstandes, die Aufklärung mit ihren Emanzipations- und Bildungsansprüchen, neue Geselligkeitsformen und der steigenden Lesefähigkeit hatten das Verhältnis der Geschlechter in Bewegung gebracht.

Die Aufklärung hatte eindeutig den Horizont der Frauen erweitert, so dass sie stärker am gesellschaftlichen Geschehen teilhatten und auch aktiv wurden. Die Französische Revolution löste einen weiteren Politisierungsschub der Frauen aus, der ihre Handlungsbereitschaft und ihr Interesse an öffentlichen Belangen verstärkte.[33]

Aber diese Tendenzen setzten sich nicht durch, stattdessen gerieten Frauen in eine neue Abhängigkeit. Die Frau wurde in der bürgerlichen Gesellschaft keine Bürgerin. Ihr fehlten die Voraussetzungen dazu: „Sie war nicht frei (über ihre Arbeitskraft zu verfügen), sie war nicht gleich (vor dem Gesetz), sie hatte kein Eigentum (das gehörte ihrem Ehemann).“[34] [35]

Bürgerliche Philosophen und Pädagogen, z.B. Rousseau, Fichte oder Knigge, bemühten sich intensiv um die Aufrechterhaltung und Re-Stabilisierung der alten Geschlechterrollen und versuchten, das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern neu zu legitimieren und die Geschlechtertrennung durchzusetzen, und das obwohl es im Widerspruch zu den aufklärerischen Ideen stand. Der aufgeklärte Jurist Adolf Freiherr von Knigge beschrieb in seinem Buch Über den Umgang mit Menschen (1788), dass die Frauen eigentlich gar keine Person in der bürgerlichen Gesellschaft ausmachten. Ihr exklusiver Wirkungsbereich war das Haus, oder, wie es seit dem späten 18. Jahrhundert hieß, die „Familie“[36].[37]

Die bürgerliche Aufklärungsliteratur bestimmte Familie eindeutig als einen Raum sozialer Kommunikation und Reproduktion außerhalb der Erwerbssphäre, der ausschließlich den Ehegatten und ihren Kindern vorbehalten war. Ammen und Kindermädchen sollten ganz aus der bürgerlichen Familie verbannt werden, denn sie infizierten den Nachwuchs mit Untugenden und Krankheiten, die in den sozialen Unterschichten heimisch waren.[38]

Diese „Aufgaben gingen jetzt auf die leibliche Mutter, die sich vorrangig um die liebe- und planvolle Aufzucht und Charakterbildung der Kinder zu kümmern hatte.“[39] Hilfestellungen und Handlungsanweisung für diese Arbeiten boten pädagogische und populärwissenschaftliche Aufklärungsschriften. In Journalen und Romanen, Traktaten und Zeitschriften wurden die Grundsätze aufgeklärt-bürgerlicher Moral und Erziehung verkündet und ein ausgefeilter Regelkatalog männlich-weiblicher Pflichten und Zuständigkeiten entworfen.[40]

So wurde die Erziehungsschrift Campes „Väterlicher Rath für meine Tochter“[41], die „vornehmlich für junge Frauenzimmer des glücklichen Mittelstandes“[42] bestimmt war, überwiegend von Pastoren, Rechtsanwälten und Apothekern gekauft.[43] Nach Campes Ansicht sollte die Frau um 1800 drei Hauptaufgaben erfüllen. Neben einer perfekten Hausfrau, der das ordnungsgemäße Führen des Haushaltes sowie die Aufsicht über Küche und Dienstpersonal oblag, hatte sie treusorgende Mutter und liebevolle Gattin zu sein.[44]

Demzufolge mussten die Frauen die Fertigkeiten beherrschen, die sie für das Führen eines Haushaltes benötigten. Handarbeiten und Kochen gehörten ebenso dazu wie Rechnen und Schreiben. Da eine Ehefrau gleichzeitig eine gute Unterhalterin sein sollte, hatte sie gut vorlesen zu können und außerdem wenigstens ein Musikinstrument zu beherrschen. Damit sie in angemessener Weise zu den häuslichen Gesprächsrunden beitragen konnte, sollte sie über ein gewisses Maß an Allgemeinbildung verfügen. Dazu gehörten „solche Kunstfertigkeiten und solche Kenntnisse aus Büchern und durch Unterricht“[45], die dazu dienten dem „Gatten das Leben zu versüßen“[46]. Hinzu kamen Grundkenntnisse in Geographie und Geschichte.[47]

Die bürgerliche Frau wurde von nun ab völlig mit der Familie identifiziert, während dem Mann die Öffentlichkeit als Wirkungsfeld offen stand. Die bürgerliche Frau wurde zur Trägerin der neuen „Kultur der Innerlichkeit“[48], sie wurde das Herz und das Statussymbol der bürgerlichen Familie.[49]

Demzufolge war der Mann für das öffentliche Leben, die Frau für das häusliche Leben bestimmt. Er stand für Rationalität, Geist und Verstand, sie für Emotionalität, Gefühl und Religion.

Wie ging nun die bürgerliche Gesellschaft mit dieser Geschlechterdifferenz um? In der politischen Theorie beruht die bürgerliche Gesellschaft auf der Freiheit der Individuen, welche sie besitzen unabhängig von Herkunft, Besitz, Rasse oder Geschlecht.[50]

Kant band allerdings den Status des vollberechtigten Staatsbürgers an die Position des Hausvaters[51], somit waren alle aktiven Staatsbürger männlichen Geschlechts. Der Staatsbürger zeichnete sich somit laut Kant durch zwei Merkmale aus. Zum einen erfüllte er das soziale Merkmal der ökonomischen Unabhängigkeit, zum andern das natürliche, nämlich männlich zu sein.[52] Der Frau sprach Kant, wie auch Rousseau[53] die sexuelle Überlegenheit zu, welche sie einsetzen könnte, um ihre Interessen und Ziele zu erreichen. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung sei das Ergebnis eines vernünftigen Arrangements. Dass es damals auch gegensätzliche Meinungen gegen solch eine doppelbödige Begründung gab, zeigt ein Ausspruch von Johann Adam Bergk, welcher bereits 1797 äußerte: „Ich weiß daher auch nicht, wie man rechtlicher Weise den Frauenzimmern die Staatsbürgerrechte verweigert, so lange man sie noch auf Treu und Glauben für Menschen hält. [...] Was geht denn dem Staate die Naturbestimmung jedes Geschlechts an, da er beide Geschlechter als gleich, frei und selbstständig behandeln soll.“[54]

Dieses moderne, angeblich `natürliche´ Geschlechterrollenkonzept war jedoch keine Beschreibung der Wirklichkeit, sondern ein angestrebter Idealzustand, eine durchzusetzende Norm, gegen die Emanzipationstendenzen der Frauen. Dennoch erreichte diese Vorstellung im Laufe des 19. Jahrhunderts eine fast allgemein anerkannte Gültigkeit. Es gab immer auch einen zweiten Dialog des Widerstands und der Widersetzlichkeit in der verborgenen Sprache des Handelns. Zu diesem Diskurs, der sich mehr im Handeln als im Reden oder Schreiben niederschlug, zählten auch die patriotischen Frauenvereine.[55]

3 Patriotische Frauenvereine

3.1 Anfänge des bürgerlichen Vereinswesens

Die Entwicklung des modernen Vereinswesens im Laufe des 18. Jahrhunderts gilt als ein wichtiges Element des Übergangs von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts prägten noch überwiegend berufsständische und korporative Zusammenschlüsse das soziale Leben der Stadt. Zunftstuben und Krameramtshaus waren der Mittelpunkt geselliger Veranstaltungen und zugleich lokales Organisationszentrum ständischer Interessen. Allgemeine, überständische Formen gesellschaftlicher Kommunikation existierten bis in die 1780er Jahre praktisch nicht.[56]

Anstelle der alten „Zwangsvergemeinschaftung“[57] trat nun die freiwillige Vereinigung unabhängiger Individuen zu genau festgelegten und begrenzten Zwecken. Die neue Form der Vergesellschaftung im Verein gilt als wesentliches Strukturmerkmal der bürgerlichen Gesellschaft. Ein wichtiges Ergebnis dieser bürgerlichen Organisierung war die Entstehung einer neuen Form von bürgerlicher Öffentlichkeit, die neben den Vereinen auch kulturelle und wirtschaftliche Treffpunkte (Salons[58], Börse) umfasste.[59]

So schufen sich auch die Frauen eine Öffentlichkeit, eine literarische Kleinöffentlichkeit, die im ausgehenden 18. Jahrhundert entstand. Es waren die Salons, die ausgehend von Frankreich von einzelnen Frauen geführt wurden. „Es macht Denken und gibt Bewegung.“[60] Männer und Frauen nahmen teil. In den Salons wurden sonst tabuisierte Themen diskutiert, man leistete sich eine eigene Meinung. Der Staat duldete solche Freiheiten sonst nicht. Sie existierten auch nur wenige Jahre und waren in einer Übergangszeit entstanden.[61]

Die gesellschaftliche Trennung war aber in der Regel nur in den Salons aufgehoben. Vom Professorenclub in Jena ist bekannt, dass Caroline Schlegel und Sophie Mereau ihn besucht haben. Man duldete es. Vermittelt und unvermittelt nahmen Frauen am Ideenaustausch, an den Informationen, am Kunstgenuss teil. Entweder ließen sie sich Literatur aus Bibliotheken mit öffentlichem Leihverkehr beschaffen oder sie lasen die Bücher ihrer Männer.[62]

Eine Geselligkeit, welche in die Literaturgeschichte einging, war die der Frühromantiker im Sommer und Herbst 1799 in Jena. Auch hier bildete eine Frau den Mittelpunkt: Caroline Schlegel. 1796 kam sie auf Einladung Schillers nach Jena. Die Gruppe junger schöpferischer Schriftsteller, Künstler, Naturwissenschaftler und Kritiker wollten ihre Ideen nicht nur denken, sondern auch leben, teilweise und vor allem in Carolines kleinem bürgerlichen Wohnhaus neben dem Roten Turm. Sprachrohr nach außen war die Zeitschrift Athenäum.

Jena war ein besonderes Pflaster. Hier und in Weimar hatte sich im ausgehenden 18. Jahrhundert die geistige Elite Deutschlands versammelt. Das kulturelle Niveau der Salons und Zirkel kann nicht als Beispiel für andere Städte stehen.[63]

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Zahlreicher und prägender für das Sozialleben waren die seit dem späten 18. Jahrhundert sehr verbreiteten Lesegesellschaften[64], die dem Bedürfnis nach Lektüre, Wissenserwerb, gegenseitigen Austausch und anspruchsvoller Unterhaltung entsprangen.[65]

Frauen waren als Mitglieder in Lesegesellschaften deutlich öfter ausgeschlossen als zugelassen. Frauen, die nicht auf diese Form der Kommunikation und gebildeten Geselligkeit verzichten wollten, konnten häusliche, meist informelle Lesezirkel einrichten oder an solchen teilhaben. Frauen wirkten als Leserin, Rezipientin, Briefschreiberin, Schriftstellerin, Künstlerin oder Organisatorin. Dieses Phänomen trifft in besonderem Maße auf Weimar-Jena zwischen 1770 und 1830 zu. Frauen beteiligten sich am abwechslungsreichen geselligen Leben in beiden Städten. Innerhalb der unzähligen Geselligkeitskreise diskutierten sie über Kunst, Literatur und Wissenschaft. Sie lasen neueste literarische Werke und abonnierten eine oder mehrere jener Zeitschriften, die in Weimar und Jena verlegt beziehungsweise herausgegeben wurden. Frauen wurden so zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor, der die Entstehung eines Buch- und Zeitschriftenmarktes entscheidend förderte. Es war ihnen möglich, eigene Arbeiten zu verfassen und zu veröffentlichen. Außerdem intensivierten sie persönliche Beziehungen und knüpften neue, sowohl private als auch berufliche Kontakte, um ihre Vorhaben zu verwirklichen.[66]

Die im späten 18. Jahrhundert in Weimar bestehenden städtischen Vereine waren von der sozialen Herkunft ihrer Mitglieder her meist streng nach Adel und Bürgertum getrennt. In einen Brief an Gottfried Körner berichtet Schiller am 6. Oktober 1787, dass es „seit dem 1. October eine Mittwochsgesellschaft von Damen und Herren (gibt) […] aber kein Adel wird zugelassen.“[67]

Geschlechtergemischte Abendgesellschaften waren um 1800 ein beliebtes Bildmotiv. Die gute Gesellschaft ließ sich bei ihren gemeinschaftlichen Erbauungstunden offensichtlich gern darstellen und regt auf diese Weise zu Nachahmung an. Bei diesen Zusammenkünften waren Frauen manchmal mit Handarbeiten beschäftigt.[68]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Abendgesellschaft bei Anna Amalia Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach (»Tafelrunde«) Die dritte Person von links soll Goethe darstellen, in der Mitte sitzt die Herzogin, rechts ist Herder zu sehen. - Aquarell von Georg Melchior Kraus, um 1795, Goethe-Nationalmuseum.

Das Bedürfnis nach Lektüre und Geselligkeit, das auch von Frauen verkündigt wurde, führte zwar im späten 18. Jahrhundert zu ersten Vereinsgründungen von Frauen, die Verbreitung war aber nicht sehr groß. Verschiedene Gründe dürften dafür verantwortlich sein, warum sich Frauengesellschaften wenig durchsetzten: zum einen der Mangel an gesellschaftlicher Akzeptanz, der Frauen zurückschrecken ließ. Denn die Bildung der Frauen geriet immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik, ihr Lesen wurde von Vätern, Brüdern und Ehemännern kontrolliert und eingeschränkt, musste hinter dem Strickrahmen versteckt und auf das Haus beschränkt werden. Zum anderen aber auch zu wenige Frauen, die die Voraussetzungen für derartige Unternehmungen mitbrachten. Um eine Vereinsgründungswelle unter Frauen auszulösen, bedurfte es eines relativ großen Kreises von Frauen, die entsprechende Bedürfnisse und Interessen durch eigene Organisationsbildung durchzusetzen wagten.[69]

Zur informellen Geselligkeitskultur gehörten selbstverständlich Frauen und Männer, bei Festen und Bällen der Vereine waren Frauen meistens willkommen, aber die feste Mitgliedschaft blieb in der Regel auf Männer beschränkt.[70]

In den letzten Jahren vor der Französischen Revolution kam es zu einer Politisierung des Vereinswesens, zahlreiche Klubs und Kaffeehäuser entstanden. Damit trennte sich die männliche Geselligkeit von der weiblichen. Die Forderungen der Frauen nach Einlass in den Verein wurden zurückgewiesen. Die politische Öffentlichkeit formierte sich also – anders als die literarische – ohne Frauen und zwar umso mehr, je formeller die Organisationsstrukturen wurden.[71]

[...]


[1] Vgl. Kolling, Hubert: Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. „Who was who in nursing history“. Band 4. Berlin u.a. 1997. S. 108.

[2] Vgl. Bischoff, Claudia: Frauen in der Krankenpflege. Zur Entwicklung von Frauenrolle und Frauenberufstätigkeit im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main/ New York 1992. S. 79f.

[3] Vgl. Reder, Dirk Alexander: Frauenbewegung und Nation. Patriotische Frauenvereine in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert (1813-1830). (= Kölner Beiträge zur Nationsforschung, Bd. 4), Köln 1998. S. 34-38.

[4] 1920 schrieb Kurt Tucholsky: „Das bürgerliche Zeitalter ist dahin, was jetzt kommt, weiß niemand.“ Tucholsky, Kurt: Politische Texte. Reinbek 1974. S. 104.

[5] Zwar läutete bereits die französische Revolution auch in Deutschland den Beginn des allmählichen Erstarkens des Bürgertums ein, allerdings erfolgte die Vollendung nach den theoretischen Idealen der Revolution über hundert Jahre später mit der Weimarer Verfassung. Ein Widerspruch zu Tucholskys Aussage, der zu diesem Zeitpunkt nicht die endgültige Umsetzung bürgerlich freiheitlicher Ideale sah, sondern vielmehr deren Ende. Vgl. Tucholsky, Politische Texte. S. 9f.

[6] Vgl. Hervé, Florence: „Dem Reich der Freiheit werb` ich Bürgerinnen“. Die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung von den Anfängen bis 1889. S.17.

[7] Vgl. Hervé: Die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung. S.19f..

[8] Vgl. Schulin, Ernst: Die Französische Revolution. München 1989. S. 141-145.

[9] Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlechte. Sitte und Sexus der Frau. Hamburg 1991. S. 150.

[10] Schulin: Die Französische Revolution. S. 79.

[11] Vgl. Schulin: Die Französische Revolution. S. 79f..

[12] Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder Über die Erziehung. Paderborn 1993. S. 415.

[13] Vgl. Huber-Sperl, Rita: Frauenvereine und Männervereine in historischer Perspektive (1750 bis 1850). S.222f; Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit. Frankfurt am Main. 1986. S. 15.

[14] Gouges, Olympe de: Declaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne. S. 101. (Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin)

[15] Gouges: Declaration. S. 102. (Artikel I).

[16] „Le principe de toute souveraineté réside essentiellement dans la Nation, qui n`est que la reunion de la Femme et de l`Homme“. Gouges: Declaration. S. 102. (Artikel III).

[17] Gouges: Declaration. S. 103. (Artikel VI).

[18] Vgl. Lange, Sigrid: Ob die Weiber Menschen sind. Geschlechterdebatten um 1800. Leipzig 1992. S. 112f.

[19] Vgl. Lange: Ob die Weiber Menschen sind. S. 116-119.

[20] „Nulle ne doit être inquiété pour ses opinions mêmes fondamentales, la femme a le droit de monter sur l′échafaud: elle doit avoir également celui de monter à la Tribune.” Gouges: Declaration. S. 102

[21] Gouges: Declaration. S. 106. (Artikel XI).

[22] Vgl. Frevert: Frauen-Geschichte. S.15f; Schulin: Die Französische Revolution. S. 142.

[23] Vgl. Hervé: Die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung. S.17-19; Frevert: Frauen-Geschichte. S.15f.

[24] Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin 1828.

[25] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 18.

[26] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 47.

[27] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 76.

[28] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 113.

[29] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 247.

[30] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 120.

[31] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 121.

[32] Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung. S. 158.

[33] Vgl. Bischoff: Frauen in der Krankenpflege. S. 45-48;

[34] Bischoff: Frauen in der Krankenpflege. S. 52. Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 21-23

[35] Vgl. Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 21-23; Bischoff: Frauen in der Krankenpflege. S. 50f.

[36] Der engere Begriff „Familie“ wurde erst um 1800 im deutschen Sprachgebrauch verwendet. Bisher hatte man die unter einem Dach versammelte Lebensgemeinschaft zumeist mit dem umfassenderen Begriff des „Hauses“ bezeichnet. Vgl. Kreutzmann, Marko: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach. 1770 bis 1830. (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe: Bd. 23), Köln u.a. 2008. S. 69.

[37] Vgl. Frevert: Frauen-Geschichte. S.16f.

[38] Vgl. Frevert: Frauen-Geschichte. S.17f.

[39] Frevert: Frauen-Geschichte. S.18.

[40] Vgl. Schmid, Pia: Hausfrau, Gattin, Mutter – zur bürgerlichen Definition von Weiblichkeit um 1800 im Spiegel deutschsprachiger Zeitschriften. S. 169-173.

[41] Campe, Joachim Heinrich: Väterlicher Rath für meine Tochter. Ein Gegenstück zum Theophron. Der erwachsenen weiblichen Jugend gewidmet. Frankfurt/ Leipzig 1789.

[42] Frevert: Frauen-Geschichte. S. 24.

[43] Vgl. Frevert: Frauen-Geschichte. S. 24.

[44] Vgl. Campe: Väterlicher Rath für meine Tochter. S. 86.

[45] Campe: Väterlicher Rath für meine Tochter. S.98.

[46] Campe: Väterlicher Rath für meine Tochter. S.99.

[47] Vgl. Campe: Väterlicher Rath für meine Tochter. S. 88-113.

[48] Simmel, Monika: Erziehung zum Weibe. Mädchenbildung im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main. 1980. S. 9.

[49] Vgl. Frevert: Frauen-Geschichte. S.20-23; Simmel: Erziehung zum Weibe. S. 9f.

[50] Vgl. Frevert: Frauen-Geschichte. S.20.

[51] Vgl. Frevert, Ute: Mann und Weib, und Weib und Mann. Geschlechter-Differenzen in der Moderne. München 1995. S. 16.

[52] Vgl. Frevert, Ute: Mann und Weib, und Weib und Mann. Geschlechter-Differenzen in der Moderne. München 1995. S. 69f.

[53] Rousseau verfocht die biologisch determinierte „Natur der Frau“ in sämtlichen Bereichen der bürgerlichen Kultur. Vgl. Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 23.

[54] Frevert, Ute: Mann und Weib, und Weib und Mann. S. 70.

[55] Vgl. Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 23.

[56] Vgl. Kreutzmann: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. S. 138.

[57] Kreutzmann: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. S. 138.

[58] „Die Salons waren Bindeglieder zwischen Familie und Verein, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Hier spielten Frauen eine entscheidende Rolle. Viele Frauen der Salons engagierten sich später im Befreiungskrieg. Ähnlich wie die späteren Vereine waren die Salons ein Freiraum, der Frauen Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten an den gesellschaftlichen Strömungen ihrer Zeit bot. Während der Befreiungskriege hatten die Salons als gesellschaftliche Organisationsform ausgedient und das patriotisch-aktive Engagement im Verein trat an ihre Stelle. Vgl. Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 16.

[59] Vgl. Kreutzmann: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. S. 138; Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 15f.

[60] Frevert: Frauen-Geschichte. S. 57.

[61] Vgl. Theml, Christine: Frauen und Öffentlichkeit um 1800. Das Beispiel schreibender Frauen und weiblicher Sozialarbeit in Jena. S. 294.

[62] Vgl. Marwinski, Felicitas: Von der `Societas litteraria´ zur Lesegesellschaft. Gesellschaftliches Lesen in Thüringen während des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts und sein Einfluß auf den Emanzipationsprozeß des Bürgertums. Diss. Jena 1982. S. 22-24.

[63] Vgl. Theml: Frauen und Öffentlichkeit um 1800. S. 296f.

[64] In Deutschland, Frankreich und England gab es nach dem heutigen Stand der Forschung circa 430 Lesegesellschaften, Lesebüchereien und Lesezirkel. In Deutschland lassen sich Lesegesellschaften flächendeckend antreffen. Vgl. Huber-Sperl: Frauenvereine und Männervereine in historischer Perspektive. S.223.

[65] Vgl. Marwinski, Felicitas: Lesen und Geselligkeit. Jena 1992. S. 22.

[66] Vgl. Marwinski: Lesen und Geselligkeit. S. 22-24; Huber-Sperl: Frauenvereine und Männervereine in historischer Perspektive. S.223f; Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 16.

[67] Schiller, Friedrich von: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd.24. Weimar 1989. S. 162.

[68] Vgl. Huber-Sperl: Frauenvereine und Männervereine in historischer Perspektive. S.223.

[69] Vgl. Huber-Sperl: Frauenvereine und Männervereine in historischer Perspektive. S.224f; Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 16-18.

[70] Der Titel eines Buches von Dagmar Yü-Dembski lautet: Die Macht der Männer ist das Schweigen der Frauen.

[71] Vgl. Kreutzmann: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. S. 140-142; Huber-Sperl: Frauenvereine und Männervereine in historischer Perspektive. S.224f Reder: Frauenbewegung und Nation. S. 18.

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Details

Title
Der Frauenverein in Jena im Spannungsfeld zwischen höfischen Impulsen durch Maria Pawlowna und der städtischen Gesellschaft
College
http://www.uni-jena.de/  (Historisches Institut)
Author
Year
2009
Pages
98
Catalog Number
V130947
ISBN (eBook)
9783640365760
ISBN (Book)
9783640365678
File size
827 KB
Language
German
Keywords
Frauenverein, Jena, Spannungsfeld, Impulsen, Maria, Pawlowna, Gesellschaft
Quote paper
Ramona Burkhardt (Author), 2009, Der Frauenverein in Jena im Spannungsfeld zwischen höfischen Impulsen durch Maria Pawlowna und der städtischen Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130947

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