Spätmittelalterliche Pilgerfahrtserzählungen am Beispiel von Felix Fabris Evagatorum


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Pilgerfahrten
1. Allgemeines – Motive, Umstände, Wege
2. Autoren und Erzählstile
3. Bildliche Umsetzung, Medien der Zeit

III. Zur Person Felix Fabris

IV. Das Evagatorum
1. Das Werk – Aufbau und Inhalt
2. Literarische Vorbilder, Sprache & Stil
3. Gottesglaube oder Neugier

V. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Das ebenso kostspielige wie gefährliche Wagnis in Franken, Sachsen, Bavaria oder vielleicht sogar in Frankreich oder Flandern begonnen, unter Anstrengungen über die Alpen bis nach Norditalien gezogen und dort in Venedig eingeschifft. Wochenlang Wind - nicht selten Sturm – Wetter und Piraten getrotzt und das Mittelmeer überquert, um dann innerhalb weniger Tage die heiligen Stätten in Jerusalem zu besichtigen. Für nicht Wenige endeten diese Strapazen mit dem Tod oder finanziellen Ruin. So oder ähnlich muss es sich damals abgespielt haben, damals, zur Zeit der spätmittelalterlichen Pilgerfahrten. Die vielfach vorhandenen und oftmals sehr detaillierten Erlebnisberichte lassen uns zumindest darauf schließen – auch wenn so mancher Autor, wie man heutzutage weiß, gar nicht im heiligen Land gewesen ist, sondern sein Wissen aus anderen Quellen übernahm oder „recycelte“. Dennoch ist es interessant, einen Blick auf die Pilgerfahrtsliteratur der damaligen Zeit zu werfen, gerade zum jetzigen Zeitpunkt, da religiöse Animositäten des „Abendlandes“ mit dem „Morgenland“ mehr denn je im Zentrum vieler kultureller wie politischer Betrachtungen stehen.

In dieser Seminararbeit soll es nun darum gehen, nach einem Überblick über die Pilgerfahrtsliteratur der damaligen Zeit, in dem auch - des besseren Verständnisses halber - der Ablauf einer solchen Pilgerfahrt skizziert und auf unterstützend wirkende bildliche Darstellungsmöglichkeiten hingewiesen werden soll, das Evagatorum von Felix Fabri, als wohl bedeutendste Schilderung zu diesem Thema, stellvertretend näher vorzustellen. Auf die Person Felix Fabris soll dabei ebenso eingegangen werden, wie auch auf literarische Vorbilder und Ähnlichkeiten zu anderen Werken hinzuweisen. Fabris Stil, seine Sprache und die sich in seinem Werk widerspiegelnde epochengeschichtliche Stellung zwischen Spätmit-telalter und Renaissance darf dabei nicht ausgeklammert werden, stellt die Verfasser dieser Arbeit jedoch vor ein Problem: Die verwendeten Primärtexte liegen größtenteils lediglich in lateinischer Sprache vor; mittelhochdeutsche Pilgerfahrtstexte existieren zwar, besitzen aber einen deutlich geringeren Anspruch und sind deshalb weniger ergiebig als das Evagatorum Fabris. Aus diesem Grunde stützen wir uns in erster Linie auf - leider teils unvollständige - deutsche Übersetzungen zu Fabris Werk, in der Hoffnung, dass die wissenschaftliche Qualität dieser Arbeit nicht darunter leiden möge…

II. Pilgerfahrten

1. Allgemeines – Motive, Umstände, Wege

Pilger (8-15Jh.) – das lateinische Wort, bezeichnete die nach Rom wallfahrenden Ausländer und bedeutet eigentlich „der Fremde“.[1]

Spätestens seit Auffindung des Heiligen Grabes (326 n.Chr.), zu Beginn des vierten Jahrhun-derts durch Helena, der Mutter Kaiser Konstantins, pilgerten Christen aus dem Abendland in den Orient, um mit eigenen Augen die Orte, an denen Jesus lebte und predigte, gekreuzigt und begraben wurde, von den Toten auferstand und zum Himmel fuhr, zu sehen.[2]

Im Christentum, wie auch in den anderen Religionen, bedeutet „peregrinatio religiosa“ das fromme Unterwegssein zu einem besonders heilsmächtigen Ort. Nach dem Apostel Paulus (der zweite Brief des Paulus an die Korinther 5,6) befindet sich der gläubige Christ zeitlebens auf einer Pilgerfahrt. Es existieren folgende drei Pilgerstätten, die als besonders heilig gelten, bzw. auch schon seinerzeit galten:

1.Jerusalem ( der sogenannte „Urpilgerort“)[3], wo sich das Grab Christi befindet.
2.Santiago de Compostela, wo der Apostel Jacobus der Ältere begraben ist.
3. Rom, wo sich vermutlich das Grab des Apostelfürsten Petrus befindet.

Dazu gibt es weitere, unzählige kleinere Pilgerstätten.

Die Motive zur Pilgerfahrt waren dabei durchaus verschiedener Natur: Zunächst ging es natürlich darum, das Heilige Grab Christi zu besuchen. Zu späterer Zeit war es vor allem der Wunsch nach Heilung von Krankheit, Gebrechen, Aussatz und die Bitte um Hilfe in blanker Not. Manche reisten auch in Erfüllung eines Gelübdes, nach Verurteilung zu einer Strafpilger-fahrt, oder als Stellvertreter für einen anderen. Im 12.Jahrhundert begegnet uns noch ein weiteres Phänomen, das als Motiv hinzutritt: der Ablasshandel.[4] Dies bedeutet, dass Sünden auch durch gute Taten oder durch fromme Werke erlassen werden konnten - die zeitlichen Sündenstrafen, die der Mensch nach seinem Tode eventuell im Fegefeuer zu verbüßen gehabt hätte, konnten durch gute Taten und vor allem durch Pilgerfahrten abgelöst werden.

Die religiösen Motive der Reise schlossen dabei andere Komponenten keineswegs aus: die Bereitschaft Gefahren und Risiken auf sich zu nehmen, Abenteuerlust und Aufgeschlossen-heit für neue Erfahrungen. Mit dem 12 Jahrhundert war das Pilgerwesen zur Massenbewe-gung geworden.

In der Regel war der gewöhnliche Pilger in größeren Gruppen und zu Fuß unterwegs, bestenfalls mit einem Esel oder mit einem Boot zu Wasser. Die Pilgerfahrten dauerten lange, etwa sechs bis acht Monate. Natürlich bedeutete dies ein höchst gefährliches Unterfangen, setzte man sich doch den Naturgewalten nahezu schutzlos aus. Der Fernpilger bereitete sich sorgfältig auf die Reise vor, war sich keineswegs sicher, lebend zurückzukommen und machte deshalb oft schon vorher sein Testament. Im Spätmittelalter war es ein elitäres Phänomen nach Jerusalem zu pilgern. Nicht jeder konnte sich die Reise leisten. Die Gesamtkosten der Pilgerreise betrugen etwa 300 Gulden. Dies war ein Betrag, für den man damals ein Haus in einer bevorzugten Lage jeder größeren Schweizer Stadt hätte erwerben können.[5]

Zwischen 1350 und 1450 reisten besonders die Deutschen häufig als Pilger. Aber auch andere Nationalitäten waren ins heilige Land unterwegs: Engländer, Schotten, Polen, Ungarn, Italiener, darunter auch Frauen und Kinder, sowie Angehörige aller Stände, von Königen bis hin zu Bettlern.

Die Berichte dieser Pilgerfahrten waren von großer Bedeutung für die Literatur (Reiseliteratur) und Geistesgeschichte des Mittelalters. Es waren allerdings typische Situationen, von denen die Wallfahrer zu berichten wussten, zumeist die typische Stationen, den typischen Verlauf der Reise: von Venedig aus, entlang der dalmatinischen Küste, über Rhodos, Kandia, Cypern und Jaffa bis zu den heiligen Stätten und nach deren Besuch oft auf dem gleichen Wege wieder zurück.[6]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Städteansichten und das Schiffsleben, die Beschreibung der heiligen Stätten, Aufbruch und Heimkehr, das waren die typischen Bestandteile dieser Berichte.

2. Autoren und Erzählstile

Geistliche und weltliche Motive traten in den Pilgerschriften nebeneinander: Hervorzuheben ist das religiöse Motiv der Wallfahrt, dem als weltlicher Gegenpart das Motiv der Niederschrift sowie das Element der Darstellung gegenüberstand. Das Motiv der Wallfahrt, als allgemein religiöses Motiv, erhielt dabei eine allegorische Gleichsetzung des Lebens überhaupt mit einer Pilgerfahrt. Die Sehnsucht nach fremden Ländern und Meeren wurde noch bestärkt durch die fabelhaften, lange nachwirkenden Erzählungen der Kreuzzugsteil-nehmer.[7]

Seit der Mitte des 14 Jahrhunderts nahm die Verweltlichung des Wallfahrtmotivs stetig zu. Selbst Felix Fabri bemerkte, dass er mit der Abfassung seines „Evagatorums“ neben religiös-erbaulichen und pädagogisch-didaktischen Zwecken die Absicht verfolgt hätte, seinen Ordensbrüdern eine schlechthin unterhaltsame Lektüre für die Mußestunden zu geben.[8]

Es sind drei Quellen zu unterscheiden, aus denen der Pilger schöpften konnte:

1. Der geschriebene, später auch gedruckte, lateinische Pilgerführer, bzw. das Reisehandbuch (welches man in Venedig erstehen konnte). Einige Pilger beschrieben nach jenem Pilgerführer diese Stätten, ohne sie selbst je gesehen zu haben.[9]
2. Andere Quellen stellten die Reisebeschreibungen früherer Pilger dar, aus denen man Einzelheiten der eigenen Reise in einem anderen Licht betrachtet wiederfinden konnte. Auch Felix Fabri hat bei der Niederschrift seines Evagatorums mehrere Pilgerfahrtsberichte benutzt.[10]
3. Am wichtigsten waren aber die selbst erworbenen Kenntnisse und Beobachtungen. Vor allem Felix Fabri bewies, dass intensive Benutzung schon verarbeiteter Reiseerlebnisse dem eigenen unvoreingenommenen Erfahren nicht im Wege stehen musste.

Viele Pilgerreisen wurden nach Tagebuchaufzeichnungen gestrickt. Aber fast überall war ein unterwegs genauestens geführtes Ausgaben- oder Tagebuch - dass auch statistische Nach-weise über die zurückgelegten Entfernungen, Zeit- und Zahlenangaben sowie über die Mitpilgernden enthielt – die Grundlage für die später verfassten Berichte. Schon seit der Mitte des 14.Jahrhunderts begegnen uns zwei Darstellungstypen bei der Betrachtung der Pilger-fahrtberichte. Entweder wurde nach der „loca sancta“ nach Tagen geordnet - ein fortlaufender Bericht durch zeitlich bedingte Abschnitte gegliedert, führte wechselnde Bilder vor (hier zu zitierende Vertreter sind Peter Faßbender, Peter Rindfleisch, Ottheinrich). Es waren vor allem diejenigen Reisenden, die ihre Darstellung daheim nach einem unterwegs genau geführten Tagebuch aufzeichneten.[11]

[...]


[1] Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/New York 2002, S.702-703.

[2] Carls, Wieland (Hsg.), Felix Fabri. Die Sionpilger, Berlin 1999.

[3] Lexikon des Mittelalters, München 1993, Bd.VI, S.2148.

[4] Schmugge, Ludwig, Jerusalem, Rom und Santiago. Fernpilgerziele im Mittelalter, in: Matheus, Michael (Hsg.), Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 1999, S.16.

[5] Ebd., S.26.

[6] Sommerfeld, Martin, Die Reisebeschreibungen der deutschen Jerusalempilger im ausgehenden Mittelalter, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 2, 1924, S.818-819.

[7] Im Jahre 1333 unternahm Wilhelm von Boldensele seine Pilgerfahrt, die er als Reisebericht in einem sehr gelehrten Latein schrieb. Sein Bericht begann mit einer umfangreichen geographischen Beschreibung des ganzen Gebietes und erzählte über den Wein aus Zypern, den Reichtum und das Leben von Damaskus, Giraffen und Elefanten, berichtete von Troja, von Ägyptens Edelsteinen und arabischen Wohlgerüchen. Stolz beschrieb er, wie er vom Sultan empfangen wurde.

[8] Sommerfeld, Martin, 1924, S.828.

[9] Im Jahre 1356 entstand das in französischer Sprache verfasste Werk von Jean de Mandevill, einem gebildeten, in England geborenem Ritter, in dem über die 34 Jahre dauernde Pilgerreise (1322-1356) des Erzählers berichtet wird, die diesen angeblich in das Heilige Land, nach Ägypten, Asien, Indien und zu den Inseln des Indischen Ozeans führte. Seine Reise erfahrungen wurden allerdings nie von ihm persönlich erlebt, sondern aus den verschiedensten Quellen der Zeit (vor allem aus den Reiseberichten des Wilhelm von Boldensele und des Odericus von Pordenone, sowie aus den Enzyklopädien, Erzählungen und Kreuzzugsberichten) zusammengestellt. Der Autor wollte die gesamte Welt mit allen Ländern und Völkern beschreiben, was zu seiner Zeit wohl einmalig war. Dieses Werk war eines der populärsten Bücher des ausgehenden Mittelalters, war wissenschaftlich sehr fundiert und wies zudem eine sehr ausgeprägte Bildtradition auf, die ihrerseits wieder andere Berichte beeinflusste. Über 250 Berichte von Jean de Mandevill sind noch heute in den verschiedensten Sprachen erhalten.

[10] Schon im 15.Jahrhundert war “Die Reise ins Heilige Land“ (1483) des Mainzer Domdekans Bernhard von Breydenbach der am weitesten verbreitete Pilgerbericht. Dieser reiste mit Felix Fabri zur selben Zeit von Venedig nach Jerusalem, zum Sinai und nach Alexandria. Nach der lateinischen Erstausgabe erschienen elf weitere Veröffentlichungen auf lateinischer, deutscher, französischer und spanischer Sprache. Diese Popularität hatte der Bericht zu nicht geringem Teil den großformatigen, teilweise aus mehreren Druckstöcken zusammengesetzten, Holzschnitten des Malers Erhard Reuwich zu verdanken. Die Nacherzählung der Reise wurde teilweise vom Bericht Walther von Guglingens, der gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstand, abgeschrieben. Dieser Bericht enthielt hauptsächlich Orts- und Gebäudeskizzen.

[11] Sommerfeld, Martin, 1924, S.835.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Spätmittelalterliche Pilgerfahrtserzählungen am Beispiel von Felix Fabris Evagatorum
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Ältere deutsche Philologie)
Veranstaltung
HS Natur- und Landschaftsbeschreibungen im Mittelalter u. in der Frühen Neuzeit
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
21
Katalognummer
V116615
ISBN (eBook)
9783640186860
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spätmittelalterliche, Pilgerfahrtserzählungen, Beispiel, Felix, Fabris, Evagatorum, Natur-, Landschaftsbeschreibungen, Mittelalter, Frühen, Neuzeit
Arbeit zitieren
Stephan Kilter (Autor:in), 2003, Spätmittelalterliche Pilgerfahrtserzählungen am Beispiel von Felix Fabris Evagatorum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116615

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Spätmittelalterliche Pilgerfahrtserzählungen am Beispiel von Felix Fabris Evagatorum



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden