Lanzelets Kindheit im Feenreich - eine funktionsorientierte Analyse


Hausarbeit, 2006

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Beweggründe der Meerfee für die „Rettung“ Lanzelets

2. Motivationen Lanzelets für die Trennung vom Feenreich

3. Wichtige Funktionen der Erziehung für Lanzelet

4. Bestimmung Lanzelets Aventiure- und Minneweg durch die Meerfee
4.1 Der Aventiureweg
4.2 Der Minneweg

Resümee

Literaturverzeichnis

Einleitung

Johannes Chrysostomus […]: ‚Prägt man die guten Lehren in die Seele ein, solange sie noch zart sind, so wird niemand sie herauszureißen vermögen[1], sobald sie fest geworden sind wie ein Siegelabdruck’[2]

Wenn man dieses Zitat liest, dann erinnert es an die Kindheit Lanzelets im Feenreich. Denn Lanzelet war noch ein Kleinkind, als er auf die Insel entführt wurde, und seine Ziehmutter prägte ihn fürs Leben.

Vor diesem Hintergrund interessiert sich die bisherige Forschung für Motive der Erziehung Lanzelets im Feenreich. Kurt Ruh zum Beispiel bringt ‚Lanzelet’ mit der keltischen Sage in Verbindung und vermutet, dass „hier zweifelsohne die Vorstellung jener glückseligen, von Siden bewohnten Inseln zugrunde [liegt], zu der gelegentlich Männer gelangen oder, zumeist, hergelockt werden […]. Sie genießen für eine beschränkte Zeit die Liebe einer Sidenfrau, fahren wieder in die Menschenwelt zurück, vielfach mit schwer erfüllbaren Aufgaben.“[3] Da keinerlei Gefühlsbindung zwischen der Meerfee und Lanzelet vom Autor Ulrich von Zatzikhoven beschrieben wird, kann man wohl diese Vermutung nicht zweifelsfrei belegen. René Pérennec vermutet das Prinzip der Heiratsordnung als zugrunde liegend, nach der nur außerhalb des eigenen sozialen Verbandes geheiratet werden darf, das heißt im Kontext des Werkes: „damit der Held nicht in Versuchung gerät, sich innerhalb des vertrauten Lebenskreises eine Frau auszusuchen, wird er vorsorglich schon im Kindesalter von der Heimat entfernt.“[4] Trotz das hier die Motive der Meerfee zu einseitig betrachtet werden, gab es in der späteren Forschung Zustimmung. Durch Dieter Welz, „der vom ‚exogame[n] Tatendrang des Romanhelden’ sprach, und durch SCHMID, nach deren […] Meinung sich die Meerfee ‚engagiert in den Dienst des exogamen, dynastischen Prinzips gestellt’ hat.“[5] Barbara Thoran hingegen, zieht intertextuelle Parallelen, sie behauptet, dass die Meerfee Lanzelet bewahrt hat, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Da ich bei meiner intertextuellen Analyse zu derselben Ansicht gekommen bin, werde ich mich Barbara Thorans Meinung anschließen. Denn ich bin ebenfalls zu der Feststellung gekommen, dass Lanzelet für die Meerfee nur Mittel zum Zweck gewesen ist. Deshalb gilt es zu beweisen, welche Motive die Meerfee hatte Lanzelet zu entführen und inwiefern sie dadurch Lanzelets Schicksal und damit auch sein späteres Leben beeinflusst hat. Aus diesem Grund müssen wir die Frage stellen: Welche Funktion hat Lanzelets Kindheit im Feenreich für den Gesamtroman?

Zuerst werden wir anhand ausgewählter Textbelege feststellen, welche Motive die Meerfee für Lanzelets Entführung gehabt haben könnte. Danach betrachten wir die Motivationen für Lanzelets Auszug aus dem Feenreich. Hinterher wird die Auswirkung der Erziehung für Lanzelet erläutert, wobei positive wie auch negative Aspekte angesprochen werden. Zuletzt wird aufgezeigt, welche Bedeutung der Einfluss der Meerfee auf Lanzelets Aventiure- und Minneweg hat.

1. Beweggründe der Meerfee für die „Rettung“ Lanzelets

Im Hinblick auf die Motive der Meerfee, dass Lanzelet im Feenreich seine Jugend verbringt, treten in der Forschung die verschiedensten Meinungen auf. Grundsätzlich ist man sich sicher, dass „in der Figur der Meerfee […] der Typ der mütterlichen Fee mit dem dazugehörigen Motivrepertoire gestaltet“[6] wird. Diesem Grundsatz werde ich mich anschließen, denn aus dem Text gehen mehrere Motive hervor. Damit wir uns in die Motivation der Meerfee besser hineinversetzen können, müssen wir uns die Frage stellen: Warum die Meerfee Lanzelet „rettet“? Zum einen wurde der Meerfee vor der Geburt ihres eigenen Sohnes prophezeit, dass dieser immer ein Feigling sein würde:

dirre künigîn was vor geseit,

ê si disen sun gebaere,

daz er imer ein zage waere.[7]

Daraus lässt sich schließen, dass die Meerfee von der Geburt ihres Sohnes an, also ihr ganzes Leben lang ihn beschützen muss, weil dieser allein nicht in der Lage ist in der Männerwelt zu überleben. Sie schützt ihn auf seiner Burg durch einen Zauber, doch dieser ist nur innerhalb der Burg wirksam und schützt nicht das umliegende Erbland vor Feinden. Als das Erbland ihres Sohnes von Iweret geraubt wurde, setzte sie alles daran, dass dieser eines Tages erschlagen werde.

hie von warp sîn muoter ie,

diu wîse merminne,

mit allem ir sinne,

daz Iweret wurde erslagen,

wan er ir sune dem zagen

daz lant haete genomen.[8]

Wenn man nun vor diesem Hintergrund den Anfang des Textes betrachtet, hat die Meerfee also insgeheim Rachegedanken an Iweret, um ihren eigenen Sohn zu beschützen. Sie benötigt also jemanden, der in der Lage wäre diesen Feind zu erschlagen. Da nach der Geburt Lanzelets den Eltern gewîssaget wurde, dass dieser ein wîgant werden würde, und wenig später auch das Land von den Untertanen in Besitz genommen wurde. Kam dies der Meerfee nur zu Gute, denn jetzt würde niemand ihre eigentlichen Absichten bemerken und sie konnte ungestört „das Kind vor den Gefahren einer feindlich gesinnten Welt […] schützen […] [und] auf eine besondere Rolle vor[…]bereiten.“[9] Nach diesen eindeutigen Motiven der Meerfee, kann man der Ansicht von Lydia Miklautsch nur zustimmen, denn „die Fee […] im ‚Lanzelet’ steht im Dienst der ritterlichen Gesellschaft. Sie bewahrt einen Königssohn vor den Zugriffen einer feindlich gesinnten Welt und bereitet ihn auf ritterliche Bewährungstaten vor.“[10] Erst mit der Antwort, nachdem Lanzelet bittet, aus dem locus amoenus gehen zu dürfen und Auskunft über Name und Verwandtschaft verlangt, wird ihre eigentliche Absicht deutlich: „die Meerfee verknüpft Lanzelets Namenlosigkeit mit ihrer eigenen schimpflichen Not (322) und macht damit ihrer beider Ehrerwerb […] möglich und notwendig, nämlich Lanzelets Sieg über Iweret (328-338 und 3584-3599). Der Fünfzehnjährige verläßt also nicht plan- und ziellos die Frauengesellschaft, sondern mit Ziel und Aufgabe versehen.“[11] Damit ist nun offensichtlich klar, dass die wîse merminne ihren eigenen Sohn vor seinem Feind beschützen will, und dafür ist Lanzelet nun mal Mittel zum Zweck geworden. Es gibt in der Forschung aber auch noch andere Vermutungen, was die Erziehung auf der Jungfraueninsel betrifft, welche aber in unserem motivlichen Argumentationszusammenhang nicht so sehr von Bedeutung sind.

Nach den Motiven, die wir zu Beginn dargelegt haben, kann man abschließend vermuten, dass die wîse Meerfee eigennützig das Kind entführt hat.

Denn ein so treffender und damit abschließender Grund dafür, dass die Meerfee Lanzelet schon im frühen Kindesalter entführt hat, wäre die Aussage, die der Autor Plutarch gemacht hat:

Das Kindesalter ist noch in hohem Maße formbar und geschmeidig,

und den zarten Kinderseelen lassen sich Lehren unverlierbar einprägen; […].

Denn wie Siegel in weiches Wachs gedrückt werden, so muß man die Lehren den Seelen einprägen, solange sie noch kindlich sind [12]

[...]


[1] Nach der neuen Rechtschreibung verfasst.

[2] Martin, Jochen: Zur Sozialgeschichte der Kindheit. Freiburg 1986 (=Kindheit Jugend Familie II). S. 449.

[3] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Zweiter Teil: ‚Reinhart Fuchs’, ‚Lanzelet’, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg. Berlin 1980 (=Grundlagen der Germanistik 25). S. 37.

[4] Pérennec, René: Artusroman und Familie: Daz welsche buoch von Lanzelete. In: AG 11 (1979).

S. 42.

[5] Wennerhold, Markus: Späte mittelhochdeutsche Artusromane. ‚Lanzelet’, ‚Wigalois’, ‚Daniel von dem blühenden Tal’, ‚Diu Crône’. Bilanz der Forschung 1960-2000. Würzburg 2005 (=Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 27). S. 42.

[6] Hesse, Elisabeth: Zauber und Zauberer im ‚Lanzelet’ Ulrichs von Zatzikhoven. In: Zauberer und Hexen in der Kultur des Mittelalters. III. Jahrestagung der Reineke-Gesellschaft e. V., San Malo, 5.- 9. Juni 1992. Greifswald 1994 (=WODAN 33). S. 110.

[7] Hier wird zitiert nach: Ulrich von Zatzikhoven: ‚Lanzelet’. Text nach der Ausgabe von K. A. Hahn. Hrsg. von Wolfgang Spiewok und Danielle Buschinger. Greifswald 1997. Vgl. V. 3570-3572.

[8] Vgl. ebd. ‚Lanzelet’, V. 3584-3589.

[9] Miklautsch, Lydia: Studien zur Mutterrolle in den mittelhochdeutschen Großepen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Erlangen 1991. S. 95.

[10] Ebd. S. 100.

[11] Thoran, Barbara: Zur Struktur des ‚Lanzelet’ Ulrichs von Zatzikhoven. In: ZfdPh 103 (1984). S. 58.

[12] Martin, Jochen: Zur Sozialgeschichte der Kindheit. Freiburg 1986 (=Kindheit Jugend Familie II). S. 449.

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Details

Titel
Lanzelets Kindheit im Feenreich - eine funktionsorientierte Analyse
Hochschule
Universität Regensburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V68528
ISBN (eBook)
9783638610735
ISBN (Buch)
9783638727273
Dateigröße
625 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lanzelets, Kindheit, Feenreich, Analyse
Arbeit zitieren
Christiane Scheiter (Autor:in), 2006, Lanzelets Kindheit im Feenreich - eine funktionsorientierte Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68528

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