1 Einleitung

»In dieser Zeitung verwenden wir allein aus Platzgründen in Ausnahmefällen nur männliche und nicht geschlechterspezifische Formulierungen. Wir bitten dafür um Verständnis.« (Humboldt 8/2017, S. 2) So heißt es im Impressum der Zeitung der Humboldt-Universität zu Berlin. Fußnoten oder Anmerkungen, in denen darauf hingewiesen wird, dass mit den generischen Maskulina im Text immer auch Frauen gemeint seien, waren um die Jahrtausendwende insbesondere in wissenschaftlichen Publikationen keine Seltenheit. Aber eine Anmerkung wie diese, in der für die Verwendung solcher Formen um Verständnis gebeten wird, erscheint neu. Sie zeigt an, dass das generische Maskulinum eben nicht Männer und Frauen meint, sondern als männliche Form verstanden wird, und dass die Herausgeber*innen sich deswegen bei den Leser*innen für die Verwendung der Formen rechtfertigen oder gar entschuldigen müssen. Sie legt die Annahme nahe, dass in diesem gesellschaftlichen Kontext geschlechterspezifische Formen die Norm darstellen, eine Verwendung des generischen Maskulinums hingegen als Abweichung gilt.

Zu der Frage, inwieweit und in welchen gesellschaftlichen Bereichen geschlechtergerechte Sprachformen tatsächlich genutzt werden und inwiefern interne Empfehlungen und Vorgaben dazu, wie sie beispielsweise an Universitäten existieren, auch umgesetzt werden, gibt es bisher wenig Forschung. Die einzige umfangreiche Untersuchung haben Daniel Elmiger, Eva Schaeffer-Lacroix und Verena Tunger anhand von Behördentexten in der Schweiz durchgeführt (vgl. Elmiger et al. 2017a und 2017b). Ihre Ergebnisse offenbaren einen beträchtlichen Sprachwandel in diesem Bereich. Dies zeigen sie beispielsweise anhand des Lemmas Bürger im Korpus Bundesblatt:Footnote 1 Während in den 1970er und 1980er Jahren fast ausschließlich das generische Maskulinum vorkam, waren die Formen Bürgerinnen und Bürger sowie Bürger und Bürgerinnen in den 1990er Jahren in etwa mit dem generischen Maskulinum gleichauf und haben diese ab den 2000er Jahren in der Häufigkeit überholt (vgl. Elmiger et al. 2017a, S. 75).Footnote 2

Bei den von Elmiger et al. untersuchten Behördentexten handelt es sich – wie auch bei der universitätsinternen Verwaltungssprache – in Bezug auf geschlechtergerechten Sprachgebrauch um eine besondere Art von Texten: Für diesen Bereich liegen verhältnismäßig bindende Regelungen zur Verwendung geschlechtergerechter Formen vor. Und obwohl Elmiger et al. darauf hinweisen, dass die Dokumente, in denen diese Regelungen vorgegeben werden, häufig Interpretationsspielraum offenlassen und nicht alle Personen, die an der Umsetzung arbeiten, die Vorgaben als verbindlich betrachten (vgl. Elmiger et al. 2017a, S. 68 f), zeigt ihre Untersuchung, dass entsprechende Vorgaben einen nachweisbaren Einfluss auf den Sprachgebrauch haben und dass feministische Forderungen zur Sichtbarmachung von Frauen in Sprache sich im Sprachgebrauch niedergeschlagen haben.

Im vorliegenden Artikel beschäftige ich mich mit der Frage, inwiefern als geschlechtergerecht eingeordnete Personenbezeichnungen im Bereich der Universitäten zur Norm geworden sind: Welche metasprachlichen Festlegungen zu geschlechtergerechter Sprache existieren an Universitäten, inwieweit werden diese im Sprachgebrauch der Universitäten auch umgesetzt und welche geschlechtergerechten Formen von Personenbezeichnungen werden empfohlen bzw. verwendet?Footnote 3 Diese Fragen für den gesellschaftlichen Teilbereich der Universitäten zu stellen, ist insofern bedeutsam, als Universitäten von Anfang an ein zentraler Ort waren, an dem Debatten über geschlechtergerechte Sprache geführt wurden: An Universitäten entstanden ab den 1980er Jahren dezentrale und universitätsweit gültige Leitfäden und Richtlinien zu geschlechtergerechtem Sprachgebrauch.Footnote 4 Zudem wurde ab den späten 1970er Jahren innerhalb der universitären Forschung eine Kontroverse über Fragen zu Sprache und Geschlecht geführt, beispielweise ob eine generische Verwendung des Maskulinums im Deutschen eine Benachteiligung von Frauen bedeutet. Und schließlich spielten und spielen Universitäten und Universitätsangehörige in der medialen Debatte über dieses Thema eine prominente Rolle, wie die (teils sehr negative) Berichterstattung darüber, dass die Universität Leipzig im Jahr 2013 in ihrer Satzung generische Maskulina mit generischen Feminina ersetzt hat (vgl. Stefanowitsch 2018, S. 11), oder über Lann Hornscheidts Vorschläge zur Benennung von Personen, die sich weder als Frau noch als Mann einordnen, zeigt (vgl. Trenkamp 2014; Baum 2014). Der Artikel leistet damit einen Beitrag zur Untersuchung der sprachlichen Universitätskultur und ist damit im Bereich der kulturanalytischen Linguistik verortet.

Den oben genannten Fragen widme ich mich im Folgenden anhand Überlegungen dazu, wann ein Sprachgebrauch als Norm bezeichnet werden kann und anhand einer exemplarischen Studie zu geschlechtergerechter Sprache an den drei Berliner Volluniversitäten, Freie Universität Berlin (FU), Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und Technische Universität Berlin (TU). Zunächst aber zum Kontext und den verschiedenen Formen von geschlechtergerechten und nicht-geschlechtergerechten Personenbezeichnungen.

2 Geschlechtergerechter Sprachgebrauch – von den 1970er Jahren bis heute

Die Forderungen nach geschlechtergerechter Sprache haben sich, seit sie in den 1970er Jahren zum ersten Mal für das Deutsche vorgetragen wurden, grundlegend verändert. Die Idee, dass Frauen durch, mit und in Sprache diskriminiert werden, wurde von US-amerikanischen Feminist*innen bereits in den frühen 1970er Jahren erörtert, in Deutschland von Aktivist*innen der Zweiten Welle der Frauenbewegung aufgenommen und in den folgenden Jahrzehnten in und außerhalb von Universitäten diskutiert.Footnote 5 Für den Bereich der Universität ist insbesondere die Kontroverse in den Linguistischen Berichten in den Jahren 1978 und 1979 relevant, in der Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch dafür und Hartwig Kalverkämper dagegen argumentierten, dass Frauen durch Sprache diskriminiert werden (vgl. Trömel-Plötz 1978; Kalverkämper 1979; Pusch 1979). Trömel-Plötz stellte im ersten Beitrag zum Thema zwei Bereiche der Forschung zu Frauen und Sprache vor: Frauen diskriminierende Strukturen in Einzelsprachen und Unterschiede im kommunikativen Verhalten von Frauen und Männern (vgl. Trömel-Plötz 1978). Der erste Bereich ist für den vorliegenden Aufsatz von Bedeutung. Darin zeigte sie an verschiedenen Beispielsätzen, dass Frauen und Männer im Deutschen nicht symmetrisch benannt werden, sondern Frauen durch Personenbezeichnungen und Pronomen im Maskulinum sprachlich unsichtbar gemacht werden (vgl. Trömel-Plötz 1978, S. 51 ff).

Eines von Kalverkämpers Argumenten gegen Trömel-Plötz bestand in dem Vorwurf, sie vermische »die außersprachliche Kategorie ›Sexus‹ mit der sprachlichen Kategorie ›Genus‹, indem sie von Gegebenheiten beim Genus auf Gegebenheiten des Sexus schließt« (Kalverkämper 1979, S. 60). Diese Argumentation spielt auch heute noch in der linguistischen Debatte eine wichtige Rolle, wie Reisigl und Spieß zeigen (vgl. Reisigl/Spieß 2017, S. 22). Trömel-Plötz und Pusch verteidigen jedoch die These, dass die generische Verwendung von Maskulina in vielen Fällen dazu führt, dass Frauen nicht mitgemeint sind (vgl. Pusch 1979; Guentherodt et al. 1980).

Ab den 1990er Jahren wird in Studien empirisch untersucht und weitgehend bestätigt, dass Menschen, wenn sie maskuline Personenbezeichnungen hören, eher an Männer als an Frauen denken (vgl. Braun et al. 1998; Braun et al. 2005; Klein 2004; Oelkers 1996; Stahlberg/Sczesny 2001): Die explizite Nennung weiblicher Formen hat zur Folge, dass Personen in höherem Maße an Frauen denken. Diese Studien zeigen jedoch auch, dass der Kontext von Äußerungen und insbesondere Vorstellungen davon, welche Tätigkeiten und Berufe als typisch weiblich oder typisch männlich gelten, großen Einfluss darauf haben, ob Versuchspersonen eher an Männer oder an Frauen denken (vgl. Braun et al. 1998; Klein 2004; Stahlberg/Sczesny 2001).

Als Konsequenz forderten feministische Sprachkritiker*innen eine Sichtbarmachung von Frauen in der Sprache und machten Vorschläge dazu, wie generisch maskuline Personenbezeichnungen und auch Pronomen ersetzt werden können. Unterschiedliche Vorschläge für das Deutsche wurden bereits seit den 1980er Jahren in Leitfäden und Richtlinien formuliert, die in immer größerer Zahl vor allem von öffentlichen Einrichtungen wie Ministerien und Universitäten, aber auch den Vereinten Nationen herausgegeben wurden (vgl. Wetschanow 2017).Footnote 6 Der erste Leitfaden waren die ebenfalls in den Linguistischen Berichten erschienenen, von Trömel-Plötz, Pusch und anderen verfassten »Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs« (Guentherodt et al. 1980). In diesen wurden Beidnennungen bzw. Doppelformen wie Kolleginnen und Kollegen, Neutralisierungen wie Fachkraft oder Studierende und Schrägstrichformen wie Bewerber/innen vorgeschlagen, um die ausschließliche Benennung von Personen männlichen Geschlechts zu vermeiden. Ebenfalls aus den frühen 1980er Jahren stammt das Binnen-I, wie z. B. realisiert bei LehrerInnen, das besonders in der Schweiz genutzt wird (vgl. Schröter et al. 2012, S. 359).Footnote 7 Einen weiter reichenden Vorschlag machte Pusch im Jahr 1988, als sie dem generischen Maskulinum ein generisches Femininum entgegenstellte, wie beispielsweise realisiert bei Lehrerinnen zur Benennung von Frauen und Männern (vgl. Pusch 1988). Die Vorschläge blieben in und außerhalb der Universitäten kontrovers und wurden insbesondere als nicht sprachökonomisch, weil zu lang, und als unzulässiger Eingriff in die Sprache kritisiert.

In den 2000er Jahren kamen weitere Vorschläge hinzu: Der Unterstrich bzw. Gendergap, Lehrer_innen, und das Gendersternchen, wie in Lehrer*innen, wurden vorgeschlagen, um die unserer gesellschaftlichen Ordnung zugrundeliegenden Vorstellung eines binären Geschlechterverhältnisses in Frage zu stellen und Personen benennen zu können, die sich keinem oder mehreren Geschlechtern zugehörig fühlen. Der neueste Vorschlag, dem die gleiche Motivation zugrunde liegt, ist die X‑Form, wie in Lehrx, die Lann Hornscheidt im Jahr 2012 in die Debatte eingebracht hat (vgl. Hornscheidt 2012, S. 293 ff).Footnote 8 Die drei neueren Vorschläge waren Ausdruck eines grundlegend veränderten Verständnisses von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht: Zum einen hatte sich in der Genderforschung die von schwarzen Feminist*innen eingebrachte Erkenntnis durchgesetzt, dass die Reduktion auf die Dichotomie Mann/Frau zu kurz greift, um Benachteiligungen und Diskriminierung erklären zu können. In der Forschung wird die Intersektionalität von Geschlecht mit anderen gesellschaftlichen Kategorisierungen wie insbesondere race, class und ability angenommen (vgl. Winker/Degele 2009; Walgenbach et al. 2007). Zum anderen wird, wie oben schon erwähnt, die Vorstellung eines binären Geschlechterverhältnisses inzwischen abgelehnt (vgl. Wetterer 2004).

Aktuell hat sich der Rat für deutsche Rechtschreibung, die einzige offizielle Instanz zur Sprachplanung in den deutschsprachigen Ländern, mit dem Thema beschäftigt. Am 16. November 2018 hat er mitgeteilt, weiterhin keine der Formen anzuerkennen, die es ermöglichen, Personen jenseits von Frau und Mann zu benennen. Der amtlichen Rechtschreibung entsprechen damit weiterhin nur Beidnennungen, Neutralisierungen und Schrägstrichformen. In seiner Begründung zieht sich der Rat auf die Position zurück, zum aktuellen Zeitpunkt, den er als »Erprobungsphase verschiedener Bezeichnungen des dritten Geschlechts« (Rat für deutsche Rechtschreibung 2018, S. 2) bezeichnet, nicht sprachplanerisch in eine Entwicklung eingreifen zu wollen. Obwohl unter anderem durch das Wort Erprobungsphase deutlich wird, dass der Rat davon ausgeht, dass Sprachwandel durch den Sprachgebrauch von Sprecher*innen zustande kommt, klingt in dieser Argumentation die von Gegner*innen geschlechtergerechter Sprachveränderungen häufig artikulierte Vorstellung an, dass Sprachwandel ein natürlicher Prozess sei und in die Sprache nicht eingegriffen werden dürfe (vgl. Stefanowitsch 2018, S. 16 ff).

Was als geschlechtergerechter Sprachgebrauch eingeordnet wird und was nicht, ist somit in hohem Maße eine Frage der Perspektive: Zählen dazu nur Formen, die alle Geschlechtsidentitäten inkludieren, oder eben auch solche, die Frauen sichtbar machen bzw. nicht nur Männer explizit nennen? Einigkeit herrscht – unter den Befürworter*innen geschlechtergerechter Sprache – nur in Bezug auf das generische Maskulinum: Es ist nicht-geschlechtergerecht.Footnote 9 In meine Untersuchung fließen deswegen alle Formen als im weitesten Sinne geschlechtergerecht ein, die entweder über eine Spezifizierung von Weiblichkeit, über eine Neutralisierung von Geschlecht oder über typografische Sonderzeichen bzw. andere Veränderungen der Wörter, die Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen sollen, als Ersetzungen generischer Maskulina genutzt werden: Ist eine oder sind mehrere dieser Formen im universitären Kontext zur Norm geworden?

3 Ab wann ist ein bestimmter Sprachgebrauch zur Norm geworden?

Klaus Gloy unterscheidet in Bezug auf soziale Normen, zu denen er die Sprachnormen zählt, zunächst einmal Ziel- und Gebrauchsnormen. Zielnormen sind Normen, bei denen in irgendeiner Form eine Sollensforderung vorhanden ist, bei Gebrauchsnormen fehlt diese Sollensforderung (vgl. Gloy 1975, S. 21), sie sind also nach Gloy eine statistische Größe, also »diejenige[n] Merkmalsausprägung[en] einer Variable« (Gloy 1975, S. 26), die am häufigsten gebraucht werden. In seine Typologie sprachlicher Normen nimmt Gloy nur die Zielnormen auf und bestimmt Sprachnormen als »soziale Normen, die – gleichgültig, ob formuliert oder nicht formuliert – den Umfang, die Auswahl, den spezifischen Gebrauch von Sprachmitteln in irgendeiner Hinsicht als verbindlich festlegen.« (Gloy 1975, S. 61).

Sprachnormen sind damit nach Gloy immer mit einer Sollensforderung verbunden. Es existiert in irgendeiner Form eine Erwartungshaltung, dass ein bestimmtes sprachliches Mittel in einer bestimmten Situation benutzt wird. Diese Erwartungshaltung könnte beispielsweise aus einem Grammatikalitätsurteil bestehen, dass eine Person an die sprachliche Produktion einer anderen Person anlegt. Wird meiner Erwartung nicht entsprochen, sagt eine Person beispielsweise das Apfelschorle, obwohl ich mit einem Artikel im Femininum gerechnet habe, registriere ich den Unterschied. Feministische Sprachkritiker*innen machen sich diesen Vorgang zu Nutze, beispielsweise, wenn sie typografische Sonderzeichen in Personenbezeichnungen einfügen. Wenn ich diese Form noch nicht kenne, fällt sie mir auf und es ist wahrscheinlich, dass ich mich frage und eventuell sogar darüber informiere, was sie zu bedeuten hat.

Darüber hinaus sind Sprachnormen nach Gloy »formuliert oder nicht formuliert« (Gloy 1975, S. 61). Er beschreibt sie an anderer Stelle als »die Objekte und die Ergebnisse bestimmter Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse« (Gloy 1998, S. 396). Sprachnormen entstehen demnach nicht aus dem Nichts, sondern sie sind Ergebnisse metasprachlicher Verhandlungen bzw. bewusst oder unbewusst Normen etablierenden Sprachgebrauchs. Es muss sich also, und das hat Gloy in seiner Analyse von Normierungsprozessen in der Sprachwissenschaft gezeigt, nicht um explizite oder gar bewusste Normformulierungen handeln (vgl. Gloy 1975). So ist beispielsweise die Beschreibung der Bedeutung eines Wortes in einem Wörterbucheintrag, auch wenn sie aus dem konkreten Sprachgebrauch abgeleitet sein mag und nicht als explizite bewusste Normformulierung verfasst ist, insofern Normen etablierend, als dass Wörterbücher als Autoritäten in Bezug auf die Sprache gelten.

Normierung ist ein komplexer und ständig im Wandel begriffener Prozess, der die konkrete Verwendung von Sprachmitteln durch Individuen und Institutionen in bestimmten Kontexten ebenso umfasst wie die metasprachliche Verhandlung dieser Verwendungen auf der individuellen, institutionellen und gesellschaftlichen Ebene sowie die Formulierung sprachlicher Normen durch etablierte Autoritäten. Beide Aspekte, die metasprachliche Verhandlung und den konkreten Sprachgebrauch, analysiere ich im Folgenden beispielhaft anhand von Texten der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin.

4 Geschlechtergerechte Sprache an den Berliner Universitäten

Für eine Untersuchung anhand der drei Berliner Volluniversitäten habe ich mich entschieden, weil es sich um Institutionen handelt, die vergleichbaren Bedingungen in Bezug auf sowohl Gesetzgebung als auch gesellschaftliche Debatten unterliegen, da sie alle im gleichen Stadtstaat liegen. Ich untersuche im Folgenden sowohl die Festlegungen zu geschlechtergerechtem Sprachgebrauch auf der metasprachlichen Ebene als auch den aktuellen Sprachgebrauch an den drei Hochschulen.

4.1 Metasprachliche Festlegungen zu geschlechtergerechtem Sprachgebrauch

Für die Analyse der metasprachlichen Ebene habe ich jeweils die Dokumente untersucht, in denen für die gesamte Universität Richtlinien aufgestellt bzw. Vorgaben zum Gebrauch geschlechtergerechter Sprache gemacht werden. Den Vorgaben liegt die »Gemeinsame Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung« zugrunde, die für alle drei Hochschulen Gültigkeit hat (GGO I). Bei diesen Dokumenten handelt es sich um:

  • die Frauenförderrichtlinien aller drei Universitäten (Frauenförderrichtlinien FU 1993, HU 1995, TU 2015),

  • die Verfassung der HU (Verfassung HU 2013),

  • den Leitfaden zur geschlechtergerechten Sprache der FU (Kunze o.J.),

  • den Styleguide der Online-Redaktion der HU (Online-Redaktion HU o.J.).

In den jeweiligen Frauenförderrichtlinien aus den 1990er Jahren, die weiterhin gültig sind, wird das Thema geschlechtergerechter Sprachgebrauch unter dem Stichwort Amtssprache behandelt. Inhaltlich werden die gleichen Festlegungen getroffen: In Texten der Universität soll geschlechtergerecht formuliert werden, indem Beidnennungen oder geschlechtsneutrale Formen verwendet werden. Im Wortlaut ähneln sich die Abschnitte ebenfalls stark. Im ersten Absatz des Paragraphen aus den Richtlinien der FU, der mit demjenigen der HU fast identisch ist, heißt es: »Im allgemeinen Schriftverkehr und in Rechts- und Verwaltungsvorschriften werden entweder geschlechtsneutrale Bezeichnungen oder die weibliche und die männliche Sprachform verwendet.« (Frauenförderrichtlinien FU 1993, §29).Footnote 10 In der Version der TU werden die Textsorten, auf die sich die Richtlinien beziehen, spezifiziert. Dort heißt es:

»Formulare, Schriftstücke, Richtlinien, Ausweise, Studienordnungen, Prüfungsordnungen etc. der TU werden so formuliert, daß Bezeichnungen so gewählt werden, daß die weibliche als auch die männliche Form Verwendung findet bzw. geschlechtsneutral sind.« (Frauenförderrichtlinien TU, S. 14)

Dass es jeweils Vorgaben für die gesamte Institution gibt, zeigt an, dass explizite Normformulierungen für geschlechtergerechten Sprachgebrauch gemacht werden und damit zumindest auf der metasprachlichen Ebene auf geschlechtergerechte Sprache als Norm hingearbeitet wird. An der HU ist dieser Prozess im metasprachlichen Bereich bereits deutlich weiter vorangeschritten, denn die Hochschule hat einen (wiederum fast gleichlautenden) Paragraphen zum Sprachgebrauch in ihre Verfassung aufgenommen (vgl. Verfassung HU 2013, S. 18). Bei der Verfassung handelt es sich um die Grundordnung der Universität, die sich diese laut Berliner Hochschulgesetz zu geben hat. Damit hat die HU den geschlechtergerechten Sprachgebrauch auf der Ebene von Verordnungen verankert, es handelt sich nicht mehr nur um eine Richtlinie, sondern um eine explizite Anweisung. Sanktionen für den Fall einer Missachtung sind allerdings nicht vorgesehen. Auffällig ist, dass in diesen metasprachlichen Festlegungen nur auf die Forderungen der Zweiten Welle der Frauenbewegung eingegangen wird: Geschlecht soll neutralisiert oder durch Nennung von Frauen und Männern spezifiziert werden.

An der FU gibt es zusätzlich zur Erwähnung in den Frauenförderrichtlinien ein weiteres Dokument mit universitätsweiter Bedeutung, das den geschlechtergerechten Sprachgebrauch zum Thema hat: einen von der zentralen Frauenbeauftragten herausgegebenen Leitfaden zu geschlechtergerechter Darstellung in Sprache und Bild (vgl. Kunze o.J.).Footnote 11 In diesem Leitfaden wird zwar ebenfalls vor allem die Sichtbarmachung von Frauen gefordert, es werden für Personenbezeichnungen neben den bereits in den Richtlinien empfohlenen Beidnennungen und geschlechtsneutralen Formen allerdings zusätzlich Schrägstrichformen, Binnen-I, Unterstrichform und Gendersternchen vorgestellt (vgl. Kunze o.J., S. 8). Obwohl Formen, die zur Sichtbarmachung von Frauen dienen, eine binäre Vorstellung von Geschlecht aufrechterhalten, können sie in Leitfäden neben solchen Empfehlungen Bestand haben, die eben diese binäre Vorstellung dekonstruieren sollen (vgl. Wetschanow 2017, S. 50).

An HU und TU existiert kein entsprechendes universitätsweites Dokument.Footnote 12 Dahingegen gibt es auf der Webseite der HU im Rahmen eines Styleguides, in dem die Online-Redaktion Hinweise für die Erstellung von universitätseigenen Webseiten gibt, einen Abschnitt zu geschlechtergerechter Sprache (vgl. Online-Redaktion HU, o.J.). Dort werden entsprechend der Formulierung in der Verfassung für Personenbezeichnungen Beidnennungen und Partizipien, d. h. Neutralisierungen, empfohlen. Aus Gründen der guten Lesbarkeit und der Barrierefreiheit soll »von Formen wie dem Binnen-I« (Online-Redaktion HU, o.J.) abgesehen werden. Auch wenn explizit nur das Binnen-I erwähnt ist, sind hiermit vermutlich auch Unterstrich‑, Sternchen- und X‑Formen gemeint, da auch sie von den im Text genannten Screenreadern bisher nicht korrekt wiedergegeben werden und als den Lesefluss störend kritisiert werden.Footnote 13

Es gibt damit an allen drei Hochschulen universitätsweit gültige, explizite Normformulierungen, die eine Sichtbarmachung von Frauen im Sprachgebrauch fordern. Der Kernbereich, für den diese Vorgaben gelten, ist die so genannte Amtssprache der Universitäten, also die interne Verwaltungssprache. Sie werden aber auch darüber hinaus für die gesamte schriftliche Kommunikation der Universitäten empfohlen bzw. gefordert. Neuere Vorschläge zur Sichtbarmachung weiterer Geschlechtsidentitäten spielen so gut wie keine Rolle.

4.2 Geschlechtergerechte Personenbezeichnungen im schriftlichen Sprachgebrauch der Universitäten

Auf den konkreten Sprachgebrauch hin untersuche ich die interne sowie die an die außeruniversitäre Öffentlichkeit gerichtete schriftliche Kommunikation der Universitäten. Dazu habe ich vergleichbare Texte aller drei Universitäten ausgewählt, die im Zeitraum Mai bis Juni 2017 erschienen sind bzw. in diesem Zeitraum gültig waren:

  • eine Ausgabe des Amtlichen Mitteilungsblatts (Mitteilungen FU 11/2017; Amtliches Mitteilungsblatt HU, 24/2017; Amtliches Mitteilungsblatt TU 12/2017),

  • die Startseite des Webauftritts am 5. Juni 2017 (FU 2017a; HU 2017a; TU 2017a),

  • die Startseite des Studierendenportals/der Studieninformationsseite am 5. Juni 2017 (FU 2017b; HU 2017b; TU 2017b),

  • den zentralen Universitätsflyer bzw. die Imagebroschüre (FU 2016; HU o.J.; TU o.J.),

  • die LeitbilderFootnote 14 der Humboldt-Universität und der Technischen Universität (Leitbild HU 2002; Leitbild TU 2011) sowie die Leitbegriffe der Freien Universität (FU o.J.),

  • (Online‑)Artikel aus einer Ausgabe der Universitätszeitung (Humboldt 8/2017; campus.leben Juni 2017; TUIntern 6/2017).

Aus diesen Dokumenten habe ich alle Bezeichnungen von Personen herausgesucht, die sich offenbar auf Menschen verschiedenen Geschlechts beziehen sollten, wie z. B. Studierende, Wissenschaftler oder Doktorandinnen und Doktoranden. Im aus 43.844 Tokens bestehenden Material kommen 566 entsprechende Personenbezeichnungen vor. Von diesen sind 484, und damit 85,5 %, im weitesten Sinne geschlechtergerecht, bei 82, und damit 14,5 %, handelt es sich um generische Maskulina.

Es kommen damit im internen sowie an die außeruniversitäre Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Sprachgebrauch an diesen drei Universitäten deutlich mehr geschlechtergerechte Personenbezeichnungen vor als Personenbezeichnungen im generischen Maskulinum. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass geschlechtergerechter Sprachgebrauch an den drei Universitäten in der internen sowie an die außeruniversitäre Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Kommunikation den Status einer Norm hat: Geschlechtergerechte Formen werden nicht nur vereinzelt, sondern häufig und gewohnheitsmäßig verwendet. Unter den geschlechtergerechten Personenbezeichnungen sind folgende sprachliche Formen in sehr unterschiedlicher Häufigkeit belegt (s. Tab. 1): Beidnennungen, Neutralisierungen, Schrägstrichformen und Sternchenformen:

Tab. 1 Häufigkeitsverteilung der geschlechtergerechten Formen von Personenbezeichnungen

Es zeigt sich hier, dass innerhalb der geschlechtergerechten Formen diejenigen dominieren, die zu einer ausgeglichenen sprachlichen Repräsentation von Frauen und Männern beitragen sollen und somit vor allem die Ziele der feministischen Sprachkritiker*innen der Zweiten Frauenbewegung umsetzen. Mit der Sternchenform kommt nur eine einzige der Formen vor, die von Kritiker*innen in jüngerer Zeit vorgeschlagen wurden, um eine binäre Geschlechterordnung in Frage zu stellen. Diese ist darüber hinaus mit einer absoluten Häufigkeit von nur zwei Vorkommen marginal. Innerhalb der geschlechtergerechten Personenbezeichnungen dominieren mit Beidnennungen und Neutralisierungen Formen, die von den geltenden orthografischen Normen gedeckt sind und in den universitären Richtlinien empfohlen werden. Die expliziten Normformulierungen können hier als »Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse« (Gloy 1998, S. 396) gelten, die als Ergebnis Sprachnormen zu geschlechtergerechtem Sprachgebrauch, gewissermaßen top-down, geschaffen haben.

Ein Vergleich der verschiedenen analysierten Dokumente zeigt, dass die Anzahl an geschlechtergerechten Personenbezeichnungen mit 95,7 % in den untersuchten Amtlichen Mitteilungsblättern der Universitäten am höchsten ist. In den Mitteilungsblättern werden demnach die universitätsinternen Richtlinien zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch besonders weitgehend umgesetzt. Diese Richtlinien beziehen sich ja auch gerade auf die Arten von Dokumenten, die in den Mitteilungsblättern veröffentlicht werden, also Rechts- und Verwaltungsvorschriften, darunter die in den Richtlinien der TU spezifizierten Studien- und Prüfungsordnungen, die einen überwiegenden Teil der Texte in den Mitteilungsblättern ausmachen. Die Analyse zeigt also, dass die Richtlinien für ihren Kernbereich, die sogenannte Amtssprache einen besonders hohen Grad an Verbindlichkeit aufweisen und tatsächlich umgesetzt werden.

Welche geschlechtergerechten Formen mehrheitlich gewählt werden, variiert je nach Universität. Während an der FU Geschlechtergerechtigkeit insbesondere im Amtsblatt, aber auch im Material, insgesamt häufig mithilfe von Beidnennungen wie Studentinnen und Studenten umgesetzt wird, überwiegen an HU und TU Neutralisierungen wie Studierende. Dieser Unterschied legt nahe, dass sich innerhalb von Institutionen Gewohnheiten in Bezug auf die Wahl geschlechtergerechter Formen herausbilden, gewissermaßen Diskursgemeinschaften entstehen. Dies ist nicht nur für die Gesamtinstitution, sondern auch für kleinere Einheiten innerhalb der Universität der Fall. Darauf deutet beispielsweise hin, dass im Veranstaltungskalender auf der Webseite der FU sowohl ein generisches Maskulinum als auch die einzigen zwei Belege für das Gendersternchen vorkommen. In einer Ankündigung einer Ringvorlesung am politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut wurden »die Vermittler in der Demokratie« (FU 2017a) im generischen Maskulinum benannt, und in der Einladung zur Veranstaltung »Übersetzen bei der Europäischen Union« erläuterten die Verfasser*innen unter Verwendung des Gendersternchens, dass »Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen […] die vielsprachige Kommunikation in der EU sicher[stellen]« (FU 2017a). Veranstaltungskalender sind häufig als Datenbanken programmiert, in die dezentral Mitglieder der Universität ihre Veranstaltungsankündigungen einpflegen können.Footnote 15 Die eingestellten Texte sind somit von Personen aus unterschiedlichen Einheiten verfasst und werden nicht zentral redigiert.

Gerade weil das Gendersternchen nur an dieser einzigen Stelle auf der Webseite genutzt wird, fällt es besonders auf, es entspricht nicht der Norm innerhalb der Gesamtinstitution. Die Organisator*innen der Veranstaltung »Übersetzen bei der Europäischen Union« positionieren sich mit der Verwendung des Gendersternchens als Befürworter*innen einer Gleichbehandlung aller Personen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität, und Rezipient*innen, die mit der Bedeutung des Gendersternchens vertraut sind, lesen die Verwendung als indexikalisches Zeichen mit eben dieser Bedeutung.Footnote 16 Dass sich Sprachbenutzer*innen über die Verwendung unterschiedlicher Varianten gesellschaftlich positionieren, gilt selbstverständlich nicht nur für das Gendersternchen. In der Soziolinguistik ist die Indexikalität und die damit einhergehende, Gruppenzugehörigkeiten schaffende Funktion sprachlicher Zeichen unter anderem am Beispiel phonologischer Variation erforscht worden (vgl. Eckert 2008, 2012; Spitzmüller 2013). Über jede Verwendung einer geschlechtergerechten oder nicht-geschlechtergerechten Personenbezeichnung positionieren sich die jeweiligen Sprachbenutzer*innen in der Debatte (vgl. Cameron 1995, S. 119 f). Jede Verwendung stellt außerdem als nicht-explizite Normformulierung einen Versuch dar, die gewählte Variante zumindest für den aktuellen Kontext zur Norm zu erheben oder ihren Normstatus aufrechtzuerhalten.

Eine geschlechtergerechte Personenbezeichnung hat sich – zumindest im Untersuchungsmaterial – bereits als Norm etabliert: Bei der Bezeichnung für diejenigen Personen, die an den Universitäten studieren, hat eine geschlechtergerechte Variante die generisch maskuline Form praktisch vollständig ersetzt. Im Mitteilungsblatt der FU wird die Beidnennung, Studentinnen und Studenten, benutzt, in allen anderen Texten mit Studierende fast ausschließlich die substantivierte Form des Partizip Präsens des Verbs studieren. Nur in zwei Fällen wird eine generisch maskuline Form verwendet. Im Mitteilungsblatt der FU heißt es in einer Modulbeschreibung im Anhang der Studienordnung für den BA Betriebswirtschaftslehre: »Die Studenten haben Kenntnis darüber, wie man Erwartungsnutzenfunktionen bildet […].« (Mitteilungen FU 11/2017, S. 133) Der Kontext einer Studienordnung und die Verwendung der Beidnennung Studentinnen und Studenten im vorhergehenden Satz lassen ausschließen, dass nur männliche Studierende gemeint sein könnten. Es ist eher wahrscheinlich, dass beim Redigieren des Textes nicht auf eine konsequente Verwendung geschlechtergerechter Formen geachtet wurde. Bei der anderen Form handelt es sich um eine generisch maskuline Neutralisierung im Singular: »Liegt ein wichtiger, vom Studierenden nicht zu vertretender Grund vor […].« (Amtliches Mitteilungsblatt TU 12/2017, S. 213). Lars Bülow und Rüdiger Harnisch haben diese Form bereits in anderen Studienordnungen beobachtet (vgl. Bülow/Harnisch 2017, S. 156). Sie kann als eine Rückkehr des generischen Maskulinums in einer Form interpretiert werden, die vorgeschlagen worden ist, um generische Maskulina zu vermeiden. Darüber hinaus gibt es zwei maskuline Formen an Stellen, in denen historische Kontexte beschrieben werden. Bei der Verwendung, in der die Gründungszeit der HU beschreiben wird, wird sich offenbar auf männliche Studierende bezogen, da Frauen Anfang des 19. Jahrhundert nicht das Recht hatten zu studieren (HU o.J., S. 2). Im zweiten Fall bleibt unklar, ob eine generische oder spezifische Verwendung beabsichtigt ist, es geht um die ersten Studierenden der FU, die 1949 in die USA gingen (FU 2016, S. 8).

Außerhalb der Amtssprache hat somit in meinem Untersuchungsmaterial die Form Studierende die Form Studenten so gut wie vollständig abgelöst, es sei denn, es wird über Zeiträume berichtet, in denen diese Personengruppe ausschließlich aus Männern bestand und/oder diese Form noch die Norm war. Dies zeigt sich auch an der Verwendung der Wörter als Erstglied von Komposita: Während für den aktuellen Kontext Zusammensetzungen wie Studierendenportal (TU 2017a) und Studierenden-Service-Center (HU o.J., S. 1; FU 2017a) belegt sind, heißt es über die sogenannten 68er Studentenproteste (FU 2016, S. 6; campus.leben Juni 2017), Studentenbewegung (FU 2017a, campus.leben Juni 2017) und Studentenrevolte (campus.leben Juni 2017).

Gerade im Vergleich mit den Formen, die für Wissenschaftler*innen (Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Forschende) und Doktorand*innen (Doktoranden, Doktorandinnen und Doktoranden, Promovierende) benutzt werden, wird deutlich, dass die Form Studierende auf Grund ihrer Kürze sprachökonomisch ist und außerdem in ihrer Form an das dadurch ersetzte Wort erinnert, so dass Missverständnisse ausgeschlossen sind und die Form den Rezipient*innen womöglich kaum auffällt. Diese Kombination ist, so könnte man sagen, das Geheimnis ihres Erfolgs. Sie ermöglicht es, die für den Universitätskontext wichtigste Personengruppe durch eine minimale Änderung geschlechtsneutral zu benennen. Dass sie im Vergleich zu anderen geschlechtergerechten Formen kaum auffällt, führt meines Erachtens dazu, dass sie auch eine geringere indexikalische Wirkung aufweist und so unbemerkt übernommen und durch Gebrauch zur Norm werden konnte. Die Sprachökonomie, die bereits von Kalverkämper als Argument gegen geschlechtergerechte Sprache verwendet wurde,Footnote 17 spielt offenbar eine gewisse Rolle dafür, ob eine Form sich als Norm durchsetzt bzw. durchgesetzt wird.Footnote 18

5 Fazit

Meine Analyse zum Gebrauch geschlechtergerechter Formen an Universitäten hat gezeigt, dass in diesem gesellschaftlichen Bereich in der schriftlichen Kommunikation überwiegend geschlechtergerechte Personenbezeichnungen gebraucht werden. Das generische Maskulinum ist insgesamt selten und kommt insbesondere in der inneruniversitären Verwaltungssprache fast gar nicht mehr vor. Hier hat eindeutig Sprachwandel stattgefunden, geschlechtergerechter Sprachgebrauch ist in diesem Bereich zur Norm geworden. Dies ist als Ergebnis gesellschaftlicher und inneruniversitärer Debatten zu sehen. Es wird vor allem deutlich, dass die expliziten Normformulierungen in Form von Richtlinien und Verordnungen eine hohe Verbindlichkeit insbesondere für die inneruniversitäre Verwaltungssprache haben. Normen werden somit sowohl über metasprachliche Sollensforderungen als auch über die Verwendung von Sprachmitteln etabliert.

Auffällig ist jedoch, dass an den Universitäten fast ausschließlich Formen verwendet werden, die den Zielen der Zweiten Frauenbewegung entsprechen und Frauen sichtbar machen oder zumindest Männer sprachlich nicht überrepräsentieren sollen. Die Universitäten als Gesamtinstitutionen tragen demnach dazu bei, die Vorschläge zur Sichtbarmachung von Frauen oder zur Neutralisierung von Geschlecht als institutionalisierte Norm aufrechtzuerhalten und zu einer gesamtgesellschaftlichen Norm zu erheben. Sie setzen diese Vorschläge als Vorgaben durch metasprachliche Festlegungen top-down im internen Sprachgebrauch durch. Dies führt als – nicht unbedingt beabsichtigte – Konsequenz dazu, dass sie die Nutzung neuerer Formen, die auch Personen benennen sollen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, verhindern. An der HU wird im Styleguide explizit von diesen Formen abgeraten, um »gut lesbare und auch barrierefreie Texte« (Online-Redaktion HU o.J.) zur Verfügung zu stellen. Mit der guten Lesbarkeit wird ein schon lange in der Debatte kursierendes Argument eingebracht (vgl. Stefanowitsch 2018, S. 18 f). Ob Formen wie StudentInnen und Student*innen tatsächlich schlechter lesbar sind, als eine Form wie Studentinnen und Studenten, müsste in kognitiven Studien empirisch untersucht werden. Der Verweis auf Barrierefreiheit ist allerdings ein Grund, den die meisten Befürworter*innen inkludierender Formen ernst nehmen müssen: Die Entwicklung von Screenreadern, die Gendersternchen, Binnen-I und Gendergap korrekt vorlesen können, wäre ein Lösungsvorschlag.

Die Indexikalität sprachlicher Zeichen beschränkt sich, das zeigen meine Ergebnisse, nicht auf den Sprachgebrauch von Individuen. Die Universitäten positionieren sich über ihren institutionellen Sprachgebrauch in der Gesellschaft als Befürworter*innen von Gleichstellung – allerdings offenbar zumindest aktuell als Befürworter*innen der Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Diese Institutionen, die einmal Vorreiter*innen im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit waren, bewahren nun einen Teilfortschritt. Andere gesellschaftliche Institutionen wie die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin, die grüne Partei oder die Online-Zeitschrift für jüngere Leser*innen der Zeit, ze.tt, positionieren sich hingegen über die Verwendung des Gendersternchens als Vorreiter*innen eines umfassenderen Verständnisses von Geschlechtergerechtigkeit.Footnote 19