Eduard Mörikes Gedicht "Im Frühling" in seinem Roman "Maler Nolten"


Hausarbeit, 2003

24 Seiten, Note: 2,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Interpretation des Gedichts
2.1 Die Innen-Außen-Bewegung
2.2 Das Motiv der Sehnsucht und Liebe
2.3 Metrum und Form

3 Das Gedicht im Roman
3.1 Das Schicksal des Malers Nolten
3.1.1 Die Fundamente der Vergangenheit
3.1.2 Die Existenzen der Gegenwart
3.1.3 Nolten wagt sein Schicksal.
3.2 Parallelen zwischen Gedicht und Romanhandlung

4 Die Funktion des Gedichts

5 Literaturangaben

1 Einleitung

Der Schriftsteller und Dichter Eduard Mörike hinterließ ein sehr vielfältiges Werk. Im Vordergrund stehen die vielen Gedichte, die die verschiedensten Themen behandeln. Bedeutend darunter ist Mörikes Roman Maler Nolten, der 1832 erschien und in dem Elemente der Kunst, der Entwicklung und des Schicksals miteinander verbunden sind. Einige, unabhängig vom Roman verfasste Gedichte, hat Mörike in seiner Novelle[1] „Maler Nolten“ integriert. Darunter befindet sich auch das Gedicht „Im Frühling“, welches im Mai 1828 entstanden ist. Dieses Gedicht befindet sich ungefähr in der Mitte - relativ am Anfang des zweiten Teils - des Romans, woran verdeutlicht wird, dass es auch für die Romanhandlung eine zentrale Rolle spielt. Es bündelt das bisherige Geschehen hinsichtlich der Erinnerung, um die es hauptsächlich bei dem Protagonisten geht, und gibt zum ersten Mal Einblick in das Innere des Malers Nolten. Für den Verlauf der Handlung gibt das Gedicht eine Vorausschau auf ein vages Ende des Romans, auf die Unlösbarkeit der Konflikte, die zwischen den Figuren und für Nolten entstehen. Es deutet Noltens Nicht-Loskommen von der Vergangenheit an und demzufolge auch seine Zerrissenheit und Unbestimmtheit.

Da die verstrickte Handlung des Romans viele Themenbereiche eröffnet, werde ich das Gedicht interpretieren und die Parallelen zum Geschehen im Roman herausarbeiten.

2 Die Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Im Frühling“ ist der Naturlyrik zuzuordnen. In diesem Rollengedicht spricht ein lyrisches Ich, dessen Betrachtungen über Natur und sich selbst[2] dem Gedicht etwas Sprunghaftes verleihen. Dadurch erhält das Gedicht und somit auch das lyrische Ich eine gewisse Beweglichkeit.

2.1 Die Innen-Außen-Bewegung

Schon beim ersten Lesen vernimmt man den Wandel der Blickrichtung des lyrischen Ich: von innen nach außen, von außen nach innen. Die Wahrnehmung (außen) ist dabei Auslöser des Gemütszustandes (innen). Es wird die „reine Introversion“ zum Ausdruck gebracht sowie die „absolute Innenwelt“[3], die es für den Sprechenden zu beherrschen gilt.

Die Natur wird in der ersten Strophe vom lyrischen Ich nicht als eine Gegebenheit betrachtet. Vielmehr löst sich das Geschehen in eine Art Stimmung, in emotionales Empfinden auf. Die Bewegung in der Natur wird somit nicht rein äußerlich wahrgenommen; im Inneren des Betrachters vollzieht sich der Ablauf und wird als Erlebnis ausgesprochen[4]. Das lyrische Ich befindet sich im „Hier“ und Jetzt, ist also zeitlich eingegliedert (ebenso durch den Titel). Durch den „Frühlingshügel“ ist die Situation des Erlebens auch örtlich bestimmt: ein erhöhter Platz, der mit der Jahreszeit Frühling in Verbindung gebracht wird und auf das Herannahende einstimmt. „Was geschieht, geschieht jetzt, als unmittelbares Erlebnisgeschehen dessen, der spricht.“[5] In der zweiten Zeile vollzieht sich ein bruchloser Wechsel von der reinen Bestandsaufnahme hin zum Erlebnisgeschehen. Der Liegende versucht seine Seele mit der Natur, die inneren Bilder mit der äußeren Wahrnehmung zu verbinden:

Die Wolke wird mein Flügel,

Ein Vogel fliegt mir voraus.[6]

Die Wolke kennzeichnet hier den Seelenaufschwung des Ich, wobei ein Vogel die Seele des Ich mitzunehmen scheint und so die Verbindung von Ich und Natur erahnen lässt. Während das Ich in seinen Überlegungen und seinem Empfinden verweilt, ist der Vogel längst entschwunden. Die Abläufe in der Natur sind im Vergleich zu den Eindrücken des Ich viel flüchtiger, so dass die Verschmelzung beider nicht erfolgen kann. In den folgenden Versen wird deutlich, wie der Sprechende in seine Gedanken versinkt. Das einleitende „Ach“ drückt ein Gefühl der Beklemmung und des Bedauerns aus. Durch die Pauseninterpunktion vor dem „Ach“ wird die Introversion des Ich besonders untermauert. Das sprechende Ich kann sich dem Erlebnisstrom nicht anschließen, weil es keinen Halt findet: Es ist in Passivität gefangen. Deswegen fordert es die „alleinzige Liebe“ zum Handeln auf („Wo du bleibst“); die Aussprache wird zur Ansprache an ein Du[7], welches hier die bzw. eine Liebe vermutet lässt. Doch da auch diese, wie die Wolke und der Vogel, davonweht, geht der Wunsch des Ich, an der Liebe Halt zu finden, nicht in Erfüllung.

Die äußere Wahrnehmung der ersten Strophe verliert sich in der zweiten gänzlich. Das Gemüt wird nun mit einer Sonnenblume verglichen, die eigentlich nicht in diese Jahreszeit gehört. Die Sonnenblume richtet sich zur Sonne und öffnet sich, so wie das Gemüt des auf dem Hügel Liegenden.

Was im Inneren empfunden wird, folgt sogleich in den nächsten drei Versen:

Sehnend

Sich dehnend

In Lieben und in Hoffen.

Das lyrische Ich wartet auf ein Entgegenkommen des Frühlings, der die Sehnsucht durch eine flüchtige Bitte dringend erfüllen soll („was bist du gewillt?“). Auch wird wieder ein Du, dieses Mal der Frühling, angesprochen.

Das Ich befindet sich im „Nur-Jetzt“[8] und möchte, aufgelöst in einer Art Verzweiflung, am liebsten sofort erfahren, wonach es sich sehnt. Doch die Antwort bleibt vorerst aus.

In der dritten Strophe wendet sich der Blick wieder zur äußeren Welt. Die eben fast erreichte Verbindung des Gemüts mit der Natur klafft nun auseinander. Die Sinne des lyrischen Ich scheinen sich synästhetisch zu verselbstständigen. Der Abstand wird durch das Ansehen der Wolke und des Flusses hergestellt. Im Vergleich zu Strophe eins „wandeln“ nun die Sinne, wodurch das Bild der Bewegung von Wolke und Fluss nicht mehr so leicht wie zu Beginn ist. „Das Sehnen wird gegenstandslos“[9] und das „Nur-Jetzt“ löst sich auf. „Der Sonne goldner Kuß“ bewirkt beim lyrischen Ich kurzzeitig eine Bewegung nach innen, indem die warmen Strahlen das Gemüt und das „Geblüt“ bis in die kleinsten Äderchen in Wallung bringen. Doch sogleich verliert sich der vermeintliche Seelenfrieden und damit auch die Innerlichkeit des Ich. „Wunderbar berauschet“ sind die Augen durch den Wandel von Wolke und Fluss sowie den Sonnenstrahlen, die ein Blinzeln auslösen („als schliefen sie ein“). Die Augen können keinen Halt in diesem Wandel finden, deshalb schließen sie sich, so dass die äußere Welt bloß durch das Ohr vermittelt wird:

Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Das Ich lässt sich treiben und genießt; verhindert aber dadurch das Zulassen seiner innigsten Gefühle und Gedanken. Durch den Ton der Biene beginnt dann das eigentliche, jedoch unbestimmte Denken[10], wie in der vierten und letzten Strophe erkennbar wird:

Ich denke dies und denke das.

In die Innerlichkeit verfällt das lyrische Ich nun gänzlich. Es möchte sich endlich lösen können, doch die starke innere Zerrissenheit verhindert dies. Die Sehnsucht wächst auch zunehmend, so dass es scheint, als wäre sie an dem höchsten Punkt angelangt und als gäbe es nie eine Befriedigung. Denn das Ich weiß nicht recht, wonach es sich sehnt. Die Antwort, die gegeben wird, ist jedoch wenig aufschlussreich:

Halb ist es Lust, halb ist es Klage.

Diese Gegensätze vertiefen den überwältigten Zustand des lyrischen Ich: Es kann seinen Schmerz nicht benennen. Dem Leser wird spätestens hier klar, dass die Sehnsucht aus tief empfundenen Erinnerungen an zeitlich weit zurückliegende Ereignisse hervorgebracht wird. In dieser „schwebenden Bewegtheit“ wird „das nur erinnerte Nicht-mehr der Vergangenheit und das Noch-nicht der Zukunft“[11] erfahren.

[...]


[1] Trotz des großen Umfangs bezeichnete Mörike die erste Fassung seines Romans als Novelle.

[2] Das Gedicht wirkt wie eine Art „Selbstgespräch [...] eines nur mit sich selbst beschäftigten Gemüts.“ Heydebrand, Renate von: Eduard Mörikes Gedichtwerk. Beschreibung und Deutung der Formenvielfalt und ihrer Entwicklung. Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1972, S. 20.

[3] Beck, Adolf: Mörikes Gedicht ‚An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang’. In: Doerksen, Victor von (Hrsg.): Eduard Mörike. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975, S. 270-298.

[4] Vgl. Nibbrig, Christiaan L. Hart: Verlorene Unmittelbarkeit. Zeiterfahrung und Zeitgestaltung bei Eduard Mörike. Bonn: Bouvier Verlag Herbert Grundmann 1973, S. 69.

[5] Ebd. S. 69f.

[6] Zitiert wird aus: Baumann, Gerhart und Grosse, Siegfried (Hrsg.): Sämtliche Werke. Briefe. Ausgabe in drei Bänden. Stuttgart: J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachf. 1961, S. 238.

[7] Die Ansprachen an ein Du verdeutlichen die Dringlichkeit der Sehnsuchtserfüllung und vermitteln dem Leser, dass jemand Bestimmtes angesprochen wird.

[8] Nibbrig, S. 70.

[9] Nibbrig, S. 71.

[10] Vgl. Jochum, Uwe: Die Entdeckung der Zeit. Zur Wiederkehr der Ontologie bei Mörike. Essen: Verlag Die Blaue Eule 1988, S. 28f.

[11] Wiese, Benno von: Der Lyriker Eduard Mörike. In: Wiese, Benno von: Zwischen Utopie und Wirklichkeit. Studien zur deutschen Literatur. Düsseldorf: August Bagel Verlag 1963, S. 177-192.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Eduard Mörikes Gedicht "Im Frühling" in seinem Roman "Maler Nolten"
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Geisteswissenschaften)
Note
2,6
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V267309
ISBN (eBook)
9783656578468
ISBN (Buch)
9783668400504
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interpretation, Bedeutung, Gedicht, Funktion, Rolle im Roman, Nolten, Auflösung, Schicksal, Gedicht im Roman, Dramaturgie, Lyrik, Roman, Gedichte, Mörike, Aussage, Analyse
Arbeit zitieren
M.A. Liane Hein (Autor:in), 2003, Eduard Mörikes Gedicht "Im Frühling" in seinem Roman "Maler Nolten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267309

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