Entstehungsbedingungen bei Essstörungen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa


Magisterarbeit, 2004

95 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorwort

3. Essstörungen in Abgrenzung zu „normalem“ Essverhalten

4. Arten von Essstörungen
4.1 Anorexia nervosa
4.2 Bulimia nervosa
4.3 Sonstige Essstörungen

5. Symptomatik
5.1 Somatische Folgeerscheinungen bei Anorexie und Bulimie
5.2 Psychische Symptome
5.3 Soziale Folgeerscheinungen

6. Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Essstörungen

7. Zahlen zu Essstörungen
7.1 Epidemiologie
7.2 Prognose, Mortalität und Todesursachen

8. Keine Krankheiten der Neuzeit

9. Theorien zur Ätiologie
9.1 Der Psychoanalytische Ansatz
9.1.1 Das ambivalente Verhältnis zur Mutter
9.1.2 Der Gewinn durch das Symptom
9.1.3 Kritik am psychoanalytischen Ansatz
9.2 Der persönlichkeitstheoretische Ansatz
9.2.1 Das Selbstwertgefühl
9.2.2 Körperschemastörung
9.3 Der soziokulturell-gesellschaftliche Ansatz
9.3.1 Kulturtheoretische Aspekte
9.3.2 Der Feministische Ansatz
9.4 Der Biologisch-genetische Ansatz
9.4.1. Schwellensituation Pubertät
9.4.2 Biophysiologische Aspekte
9.4.3 Der Genetische Ansatz
9.4.4 Komorbidität
9.5. Der Familiendynamische Ansatz
9.5.1 Die Magersuchtsfamilie
9.5.2 Besonderheiten in der Familiendynamik
9.5.3 Sexueller Missbrauch

10. Auslösende Faktoren einer Essstörung

11. Essstörungen als Bewältigungs- und Problemlösestrategie
11.1 Realitätsbewältigung durch Sucht und Flucht
11.1.1 Essstörungen – Krankheiten mit Suchtcharakteristik
11.1.2 Verhaltensweisen Süchtiger
11.2 Aufrechterhaltende Faktoren der Magersucht und Bulimie
11.3 Funktionen von Essstörungen
11.3.1 Funktionen der Magersucht
11.3.2 Die Funktionen der Bulimie

12. Fazit

Literatur- und Internetnachweise

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa nach ICD-10

Abb. 2 Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa nach DSM-IV

Abb. 3 Kontinuum der Essstörungen

Abb. 4 Ätiologische und krankheitsaufrechterhaltende Faktoren bei der Bulimia nervosa

Abb. 5 Anorexia als multikausale Krankheit

Abb. 6 Störungsmodell für Anorexia und Bulimia nervosa

Quaeris, quare te fuga ista non adiuvet?

Tecum fugis.

(lat. Ausspruch:

Du fragst, warum dir deine Flucht nicht hilft?

Du nimmst dich selber mit.)

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Entstehungsbedingungen von Essstörungen, im Besonderen den von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, mit dem Hauptaugenmerk auf Anorexie. Zuerst werden die einzelnen Essstörungen vorgestellt, wobei auf die bekanntesten Exponenten der Essstörung, die typische Anorexie und die typische Bulimie ausführlich und auf andere Essstörungen der Vollständigkeit wegen nur kurz eingegangen wird. Das Phänomen Essstörung ist äußerst komplex. Damit sich der Leser ein Bild von der Schwere und Ernsthaftigkeit der Krankheitsbilder machen kann und um zu zeigen, dass es sich nicht nur um einen Abnehm-Tick bei skeletthaft aussehenden Mädchen oder um „fressende“ und „kotzende“ Frauen handelt, werden sowohl psychische, physische und soziale Folgeerscheinungen als auch epidemiologische und prognostische Daten aufgezeigt. Dass sich Essstörungen nicht explizit voneinander trennen lassen und mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen, wird anschließend in einem gleichnamigen Kapitel beleuchtet.

Essstörungen sind nach heutigen Erfahrungen keinesfalls auf nur eine Ursache zurückzuführen. Sie stellen einen Fall eines multikausal bedingten Krankheitsbildes dar, in dessen Genese gesellschaftliche, soziokulturelle, familiendynamische und persönlichkeitsspezifische Faktoren hineinspielen ist. Aufgrund der multifaktoriellen Entstehungsbedingungen ist es nicht ausreichend, nur einen Ansatz für die Herausbildung schwerwiegender Krankheitsbilder heranzuziehen. Deshalb werden diverse Theorien zur Ätiologie von Magersucht und Bulimie aufgezeigt. Zur Klärung der Entstehung von Anorexie und Bulimie werden diverse Theorien vorgestellt und genauer beleuchtet, unter anderem der psychoanalytische und der biologische Ansatz. Der Schwerpunkt der Theorien soll der familiendynamische Ansatz sein. Da Essstörungen bei den Betroffenen häufig in der Pubertät zum Ausbruch kommen, das heißt in einem Alter, in dem die Mädchen noch in ihrer Herkunftsfamilie leben, scheinen die familiären Rahmenbedingungen ganz offensichtlich von Bedeutung für die Genese einer Essstörung zu sein. Familien mit psychosomatisch kranken Mitgliedern zeigen scheinbar Verhaltens- und Interaktionsmuster wie auch Strukturmerkmale und Bewältigungsstrategien, mit denen sie sich von „normalen“ Familien stark unterscheiden. In der Arbeit werden spezifische Charakteristika im Interaktionsverhalten, speziell im primären Beziehungsgefüge der Patienten, dargestellt. Anschließend wird auf mögliche auslösende Situationen eingegangen. Dadurch, dass die Betroffenen über Jahre oder gar ein Leben lang an ihrer Krankheit daran festhalten, scheint der spezielle Umgang mit der Nahrung und dem eigenen Körper bestimmte Funktionen zu erfüllen. Welche Funktionen eine Anorexia oder Bulimia nervosa erfüllt, wird im Rahmen der Problemlösestrategien aufgeführt. In diesem Zusammenhang wird die Nähe zur Suchtkrankheit von Magersucht und Ess-Brech-Sucht, wie der Name schon andeutet, vorgestellt und welche Faktoren aufrechterhaltend wirken.

Die Arbeit beleuchtet verschiedene Ansätze, die die Entstehung einer Essstörung verursachen. In welcher Form die Faktoren ineinander greifen und gegenseitige Verstärkerfunktion ausüben ist bislang noch unklar. Aufgrund des jungen Alters der Betroffenen und der massiven Auswirkung auf das jeweilige Familiensystem ist es besonders interessant und relevant, die familiendynamischen Aspekte zu betrachten und weiter zu erforschen.

Da von Essstörungen überwiegend Frauen betroffen sind, wird in der Arbeit überwiegend die weibliche Form benutzt.

2. Vorwort

Die Ernährungssituation hat sich in den letzten Jahrzehnten besonders für die Menschen in den Industrienationen grundlegend gewandelt[1]. Dem generellen Lebenswandel (beispielsweise veränderte Arbeitszeiten, eine steigende Anzahl von Singlehaushalten) hat sich die Lebensmittelindustrie angepasst. Den Menschen stehen jederzeit und überall Lebens- bzw. Nahrungsmittel in diversen Variationen zur Verfügung, mitunter besteht ein regelrechter Überfluss. Dieses Überangebot an verführerischen (süß, deftig) und schnell verfügbaren (fast food) ess- und trinkbaren Produkten, führt nicht selten dazu, dass Personen entgegen ihrem Hungergefühl geleitet werden. Nicht unwesentlich wird unser Ernährungsverhalten auch von den Medien beeinflusst. Zum einen werden Süßwaren, Fertigprodukte und andere dergleichen leere Kalorienbomben, zum anderen aber werden die aktuellsten und angeblich erfolgversprechendsten Light- und Fitnessprodukte beworben. Einerseits soll der Mensch verführt werden, andererseits wird er dazu angehalten dem gängigen, von den Medien diktierten und verbreiteten, Schönheitsideal zu entsprechen bzw. diesem wenigstens nachzueifern. Die Ernährungsweise des Menschen wird von äußeren Einflüssen stark geleitet. Jedoch nicht allein durch die Medien und die unzähligen Konsummöglichkeiten. Speziell für die Herausbildung einer Essstörung sind das familiäre Beziehungsgefüge und individuelle Faktoren sehr interessante und wichtige, nicht außer Acht zu lassende, Aspekte. Noch immer ungeklärt ist, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit ein Mädchen oder eine junge Frau an einer Essstörung erkrankt. „Jeder dritte Mensch hat einmal im Leben vorübergehend eine Eßstörung“[2], das heißt er reagiert mit vermehrtem oder reduziertem Essen auf emotionale Spannungssituationen. Es gibt viele Menschen, die mit ihrem Körper unzufrieden sind und auch in regelmäßigen Abständen Diäten einhalten. Aber nur bei einem geringen Teil entwickelt sich daraus eine Essstörung, die sich dann unter bestimmten Voraussetzungen manifestiert. Nach aktuellen Angaben leiden allein in Deutschland über 100 000 Menschen an Anorexie und 600 000 Menschen an Bulimie, meist Frauen zwischen 15 und 35 Jahren.[3] Insgesamt leiden etwa 5 Millionen Frauen und Männer hierzulande an Essstörungen.[4]

Für viele sind Essstörungen explizit Krankheiten der Moderne, die sich erst mit dem Model Twiggy entwickelten. Essstörungen finden jedoch bereits seit Jahrtausenden die Erwähnung der Ärzte. Mit der Industrialisierung wurde eine Zunahme von essgestörten Frauen verzeichnet. Infolge des gesellschaftlichen Wandels, in der sich die Stellung der Frau veränderte, das Schönheitsideal schlanker wurde, die Nahrungsversorgung mit einer gewissen Regelmäßigkeit gesichert war, reagierten mehr und mehr junge Frauen mit Nahrungsverweigerung oder anderem auffälligen Essverhalten.

3. Essstörungen in Abgrenzung zu „normalem“ Essverhalten

„Der Begriff Essstörungen bzw. gestörtes Essverhalten setzt voraus, dass es ein ‚normales‘ Essverhalten gäbe. Wenn unter einem normalen Essverhalten verstanden wird, dass ein Mensch isst, wenn er hungrig ist, und zwar genau das isst, worauf er Appetit hat und genau soviel, bis er sich satt fühlt, dann gibt es wohl insbesondere nur sehr wenige Frauen, die kein gestörtes Essverhalten zeigen.“[5] Mit den sich in den letzten Jahrzehnten gewandelten Lebensstil und Lebensumständen hat sich die Ernährungsweise der Menschen zwangsläufig verändert. Die Gesellschaft ist schneller und hektischer geworden, ausgerichtet auf Konsum und Schönheit. Viele Menschen eifern dem Wunsch nach einer Traumfigur nach, weil in unserer Gesellschaft eine schlanke Figur u.a. mit Schönheit, Attraktivität, Erfolg, Leistungsfähigkeit und Glück assoziiert wird. Für viele Menschen ist es dabei frustrierend, ein bestimmtes Gewicht zu erreichen bzw. dieses zu halten. Bringen Diäten nicht den gewünschten Erfolg, dann werden zusätzliche Methoden zur Gewichtsregulation eingesetzt. Das sind dann hauptsächlich Null-Diäten, Abführmittel, entwässernde Medikamente, Appetitzügler, willentliches Erbrechen oder exzessive sportliche Aktivitäten. Diese Verhaltensweisen bergen das Risiko, sich in Form einer Essstörung zu manifestieren. Essgestörte Personen richten ihr Leben ganz auf ein bestimmtes Gewicht aus, folglich dreht sich bei ihnen alles um das Thema Essen bzw. „Nicht-Essen“, um Abnehmen bzw. nicht zunehmen. Zum Problem wird dieses selbstauferlegte Ziel, wenn das Streben nach Schlankheit die Lösung aller persönlichen Konflikte und Probleme bereithalten soll, ein Standpunkt den essgestörte Frauen häufig vertreten. In ihrer Vorstellung herrscht der Gedanke vor: wären sie erst einmal schlank, dann wäre in ihrem Leben alles besser und sie hätten keinerlei Probleme mehr. Für viele Menschen hat Essen inzwischen längst eine emotionale Funktion bekommen. Insbesondere bulimische Frauen benutzen Essen, um Entspannung, Trost, Geborgenheit und Lust zu erfahren, um Gefühle von Wut, Traurigkeit und Verzweiflung zu unterdrücken. Essgestörte neigen dazu, Essen in „schlechte“ oder „verbotene“, also dickmachende, wie beispielsweise Schokolade, Kekse, Kuchen, Chips, und „gute“ oder „erlaubte“ Nahrungsmittel zu unterteilen. Ihr Leben konzentriert sich auf das Abnehmen, womit das Leben nur noch eingeschränkt gelebt werden kann und die Betroffenen sich von ihrer Umwelt immer mehr isolieren. Verhaltensweisen, deren Sinnlosigkeit längst offenkundig sind, werden beibehalten. Eine Patientin drückte das so aus: „Ich hielt ... an der Krankheit fest, obwohl sie mir nichts mehr brachte, obwohl ich eigentlich nur noch unter ihr litt.“[6]

Mit zunehmender Dauer der Essstörung haben die Betroffenen Schwierigkeiten, körperliche Empfindungen, Gefühle und Signale differenziert wahrzunehmen und richtig zu deuten. Hunger- und Sättigungsgefühle werden falsch gedeutet, übergangen oder ignoriert. Ferner kommt es zu Verhaltensweisen, Emotionen und Kognitionen, die nur als Symptomatik im Rahmen von stark gestörten Essverhalten auftreten und die trotz ihres alarmierenden Charakters von den Betroffenen ignoriert werden.

4. Arten von Essstörungen

„Essstörungen sind gekennzeichnet durch schwere Störungen des Essverhaltens.“[7] Im Kasus der Anorexia nervosa kann sie bis zum Tode führen. Im wesentlichen werden drei Formen, unterschieden: Anorexie, Bulimie und Binge eating. Im Zusammenhang mit Essstörungen wird oftmals auch die Adipositas genannt.

Die Krankengeschichte kann zwischen den verschiedenen Krankheitsbildern wechseln, zum Beispiel wenn eine Anorektikerin bulimische Züge entwickelt oder eine Bulimikerin nach Gewichtsverlust zu einer Anorexie-Patientin wird.[8] Ebenso treten Essstörungen in Mischformen auf, und zwar in Form von Subgruppen, wie nachfolgend noch zu sehen sein wird. Aus klinischer Sicht ist es unmöglich, zwischen den Störungen klare Grenzen zu ziehen.[9]

4.1 Anorexia nervosa

Synonym werden auch Begriffe wie Magersucht bzw. Anorexie verwendet. An sich ist die Benennung Anorexie irreführend, da Anorexie wörtlich fehlendes Verlangen (griech. orexis = Sehnsucht oder Verlangen[10], Begierde[11], Anorexis = fehlendes Verlangen) bedeutet, das heißt keinen Hunger zu verspüren, Appetitlosigkeit.[12] Anorektiker haben zunächst einen gesunden Appetit, aus Angst zu essen und evtl. dadurch zuzunehmen, verweigern sie die Nahrung. Der Zusatz ‚nervosa‘ verweist auf den psychischen Hintergrund der Erkrankung.[13]

Für die Beschreibung der Merkmale von Anorexia nervosa wird das ICD-10 (International Classification of Diseases), hingegen für die Bulimie die Diagnostischen Kriterien nach DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) verwendet, weil die jeweiligen Kriterien, auch wenn sie sich nur minimal unterscheiden, meiner Ansicht nach, zutreffender sind.

Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa nach ICD-10

F 50.0 Anorexia Nervosa

A. Das Körpergewicht liegt mindestens 15% unter dem normalen oder dem für das Alter und die Körpergröße erwarteten Gewicht. Der Quetelet-Index (BMI) liegt bei 17,5 oder weniger.

B. Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch: Vermeidung von hochkalorischen („fettmachenden“) Speisen sowie eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen:

a) selbst induziertes Erbrechen
b) selbst induziertes Abführen
c) übertriebene körperliche Aktivitäten
d) Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika.

C Körperschemastörung als eine tiefverwurzelte überwertige Idee, die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.

D. Endokrine Störung der Achse Hypothalamus-Hypophyse-Gonaden, die sich bei Frauen als Amenorrhoe, bei Männern als Interessenverlust an Sexualität und Potenzverlust manifestiert.

E. Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt.

Zusätzlich wird unterschieden in:

F 50.00 Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (ohne Erbrechen, Abführen usw.), nämlich die asketische, passive bzw. restriktive Form.

F 50.01 Anorexie mit aktiven Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (Erbrechen, Abführen usw., u.U. in Verbindung mit Heißhungerattacken) und zwar in die aktive und bulimische Form.

F 50.1 Atypische Anorexia nervosa (bei ansonsten typischem klinischen Bild fehlen ein oder mehr Kernmerkmale der Anorexie, z.B. Amenorrhoe oder signifikanter Gewichtsverlust.

Abb. 1

4.2 Bulimia nervosa

Die Bulimie wird von den Betroffenen selbst oftmals als „Fress-Kotz-Sucht“ betitelt. Bulimie leitet sich aus dem griechischen Worten „bous“, Ochse, Stier, und „limos“, Hunger[14] bzw. Appetit[15] ab, also „ein so großer Hunger, dass ein Ochse verspeist werden könnte“[16]. „Die Bezeichnung beschreibt allenfalls das Hauptmerkmal der Störung, das wiederholte Auftreten von Essanfällen, bei denen unter Kontrollverlust große Nahrungsmengen in sehr kurzer Zeit verschlungen werden.“[17] Beleuchtet wird damit aber nur eine Seite des Geschehens, das zentrale psychopathologische Merkmal der Bulimie: die Heißhungerattacken.[18] Dem Aufnehmen bis zum Exzeß [dem Fressen] folgt die Ausstoßung bis zum letzten Tropfen [das Kotzen].[19]

Diagnostische Kriterien der Bulimia Nervosa nach DSM-IV:[20]

A. Wiederholte Episoden von „Freßattacken“. Eine Episode ist gekennzeichnet durch

beide der folgenden Merkmale:

a) Verzehr einer Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb eines Zeitraumes von 2 Stunden), wobei diese Nahrungsmenge erheblich größer ist, als die Menge, die die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedingungen essen würden.
b) Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Eßverhalten zu verlieren (z.B. das Gefühl, weder mit dem Essen aufhören zu können, noch Kontrolle über Art und Menge der Nahrung zu haben).

B. Wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maßnahmen, wie z.B: selbstinduziertes Erbrechen, Mißbrauch von Laxantien, Diuretika, Klistieren oder anderen Arzneimitteln, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung.

C. Die „Freßattacken“ und das unangemessene Kompensationsverhalten kommen drei Monate lang im Durchschnitt mindestens zweimal pro Woche vor.

D. Figur und Körpergewicht haben einen übermäßigen Einfluß auf die Selbstbewertung.

E. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf von Episoden einer Anorexia Nervosa auf.

Subtypen der Bulimie:

Die Bulimie wird zudem in zwei Subtypen, dem „Purging“-Typus und dem „Nicht-Purging“-Typus, unterschieden. Während der aktuellen Episode der Bulimia nervosa induziert der „Purging“-Typus regelmäßig Erbrechen oder mißbraucht Laxantien (Abführmittel), Diuretika (wassertreibende Medikamente) oder Klistiere. Der „Nicht-Purging“-Typus hingegen greift auf andere unangemessene, einer Gewichtszunahme gegensteuernde Maßnahmen zurück, wie beispielsweise Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung, wobei er aber nicht regelmäßig Erbrechen induziert oder Laxantien, Diuretika oder Klistiere mißbraucht.

Abb. 2

4.3 Sonstige Essstörungen

Neben der Anorexie und Bulimie gibt es noch weitere Essstörungen die hier nur kurz erwähnt werden sollen. Binge eating, was soviel heißt wie: Essen, wie ein Besäufnis, meint die Ess-Sucht bzw. Heißhungerstörung. Das Kennzeichen dieser Störung sind wiederholte Episoden von „Fressattacken“, ohne jedoch, wie im Kasus der Bulimie, auf die charakteristischen regelmäßigen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maßnahmen zurückzugreifen.[21]

„Zwischen der Bulimia nervosa und der psychosomatischen extremen Adipositas ist eine Patientengruppe einzuordnen, die Pudel als „latent Adipöse“ bezeichnet.“[22] Die zu der Gruppe „latente Adipositas“ gehörenden Personen sind dadurch charakterisiert, dass sie ihre Essanfälle durch enorme Anstrengungen und Diäthalten kontrollieren und damit ihr Gewicht zu regulieren versuchen.[23] Die Adipositas wird in der Literatur häufig synonym für Übergewicht verwendet. Adipositas im Sinne einer Krankheit liegt jedoch erst ab einem BMI von 30 und höher vor, also bei beträchtlichem Übergewicht. Die Betroffenen führen ihrem Körper übermäßig große Mengen an Essen zu, was aufgrund der fehlenden gewichts-regulierenden Maßnahmen Übergewicht zur Folge hat.[24] Nach DSM-IV wird Adipositas nicht als psychische Störung klassifiziert, sondern gilt bislang als rein somatische Erkrankung, da bisher empirisch nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie regelmäßig mit einem psychologischen oder einem Verhaltenssyndrom einhergeht.[25] Die Kategorie „Nicht näher bezeichnete Essstörungen“ dient der Einordnung derjenigen Störung, die die Kriterien für eine spezifische Essstörung nicht erfüllen. Für diese diagnostische Kategorie sind keine speziellen Merkmale definiert.[26] Des Weiteren werden zu der Rubrik Essstörungen Pica (Essen von ungenießbaren Stoffen beispielsweise von Papier, Sand etc.) Ruminations - und Fütterstörung im Säuglings- und Kindesalter wie auch psychogener Appetitverlust und Fasten bei Übergewicht.[27]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erklärung der Symbole:

I. Diäthaltende/
Abstinenzler
II. Erbrecher/Abführer
III. Bulimia nervosa
IV. Dünne-dicke Leute, latent Adipöse
V. extreme stabile Fettsucht

Abb. 3 Das Dysorexia-Dysponderosis Kontinuum[28] / Kontinuum der Essstörungen

Das Modell „ Kontinuum der Essstörungen “ verbildlicht abschließend, wie Essstörungen ineinander übergreifen können und dass eine eindeutige Abgrenzung der Subgruppen in nur wenigen Fällen möglich ist. Das Kontinuum berücksichtigt, dass sich im Laufe der Zeit das Krankheitsbild verändern kann, das zugrunde liegende Problem jedoch konstant bleibt.[29]

5. Symptomatik

Dass es sich bei der Magersucht und Bulimie nicht nur um einen Spleen oder eine Pubertäts- bzw. Adoleszentenkrise handelt, zeigt die nachfolgende Abhandlung von möglichen Symptomen einer Essstörung. Hierbei wird deutlich, dass es sich um durchaus ernst zu nehmende und schwere Krankheiten mit nicht selten chronifiziertem Verlaufen handelt. Art und Ausmaß organischer Komplikationen werden davon beeinflusst, ob eine Patientin an einer restriktiven oder bulimischen Anorexie oder an einer reinen Bulimie leidet. [30] Die Symptomatik wird durch Missbrauch diverser gewichtsregulierender Mittel (Abführmittel, harntreibende Substanzen), Alkoholabusus und abnormer Muskeltätigkeit zusätzlich beeinflusst.

5.1 Somatische Folgeerscheinungen bei Anorexie und Bulimie

Fast alle somatischen Störungen treten bei der Anorexia nervosa sekundär als Folge der Mangel- bzw. Fehlernährung und/oder dem damit einhergehenden bzw. daraus resultierenden Untergewicht auf.[31] Durch die unausgewogene Ernährung kommt es bei den Patientinnen zu Störungen des Hormonhaushaltes, welche sich in Form von Menstruationsstörungen äußern. Bei Magersüchtigen liegt fast regelmäßig eine sekundäre, selten eine primäre, Amenorrhoe vor. Bei Bulimikerinnen ist das Auftreten einer Amenorrhoe seltener.

Begünstigt durch den Missbrauch von Abführmitteln treten Störungen des Elektrolyt-, Säure-Basen- und Mineralhaushaltes auf. Infolgedessen können sich Herzrhythmus-, Kreislauf-, Nierenfunktions-, Knochenstoffwechselstörungen (Ostoeporose) einstellen. Aufgrund der unregelmäßigen und ungesunden Ernährung kann es außerdem zu Magenfunktionsstörungen und Völlegefühl, Verdauungstörungen (zum Beispiel Obstipation) und Sodbrennen sogar zu Geschwüren im Magen oder Zwölffingerdarm kommen.

Bei länger andauerndem Hungern wird der Gesamtstoffwechsel subnormal und der Grundumsatz reduziert. Weitere sekundäre Folgeerscheinungen sind ein verlangsamter Puls (Bradykardie), niedriger Blutdruck (Hypotonie), verringerte Körpertemperatur (Hypothermie), Durchblutungsstörungen mit kalten Händen und Füßen, Blutarmut (Anämie), Haarausfall, trockene, schuppige Haut, Verformungen der Nägel (Uhrglasnägel) und Verbreiterungen der Endglieder (Trommelschlegelfinger oder –zehen). Erst nach starker Abmagerung werden die sogenannte Lanugobehaarung, eine feine Behaarung am Körper und im Gesicht, und Hirnatrophien beobachtet. Bei Patientinnen, die wiederholt erbrechen, kann es zu Vergrößerungen der Speicheldrüsen, zu Zahnschäden (Karies und Erosion des Zahnschmelzes durch die Magensäure) bis hin zum Zahnausfall kommen.

Da Anorexie und Bulimie selten in Reinform auftreten, können die Symptome der Essstörungen dementsprechend in unterschiedlich ausgeprägter Form auftreten. Die somatischen Befunde, einschließlich der neurohormonellen Veränderungen, sind in der Regel starvationsbedingt. Mit einer Normalisierung der Ernährung und des Gewichts, ist eine Besserung derselben zu beobachten.

Der Hinweis auf die Bedrohung körperlicher Funktionsfähigkeit ist bei anorektischen Patientinnen wenig wirksam, da sie ihren Körper in der Phase der Erkrankung total ablehnen.[32] Die Betroffenen selber finden Gedanken im Hinblick auf Lebensgefahr oder Tod absurd, schon, weil sie irrig davon ausgehen, sie könnten ihr gestörtes Essverhalten jederzeit aufgeben.[33] Die Magersucht personifiziert in gewisser Weise einen „Selbstmord auf Raten“, deshalb scheinen die Betroffenen gegen Mahnungen, Flehen und Bitten seitens Eltern, Bekannter und Ärzte regelrecht immun zu sein.

5.2 Psychische Symptome

Ferner kann es durch das veränderte Essverhalten zu vielfältigen psychischen Auffälligkeiten kommen. Nicht selten sind die entkräfteten Patientinnen psychisch regelrecht verarmt, in einem Ausmaß, dass sie speziell für psychotherapeutische Kontakte kaum mehr zugänglich sind.[34] Die psychische Symptomatologie ist dadurch gekennzeichnet, dass sich Reden und Denken mehr und mehr um das Thema Essen drehen. Anfangs wird die Nahrungszufuhr verringert, Zucker und Fette werden zuerst vom Speiseplan gestrichen. Allmählich kommt es zu radikaleren Verhaltensweisen. Ritualisierungen um das Essen entstehen, beispielsweise wird das Essen in winzigste Stücke zerteilt, auf dem Teller von einer Ecke in die andere geschoben und jeder Bissen mindestens 33Mal gekaut.

Mit Fortdauer der Essstörung kommt es zu einer kognitiven Fixierung durch die übermäßige Beschäftigung mit Körpergewicht und Essen. Nahrungsaufnahme und körperliche Erscheinung werden, durch strenge Diäten bis hin zur Nahrungsverweigerung und dem Ge-/Missbrauch von Appetitzüglern und Abführmitteln, an die scheinbaren sozialen Normen anzupassen versucht.[35] Patientinnen mit Essstörungen sind üblicherweise Expertinnen im Kalorienzählen, wissen allerdings meist sehr wenig über eine gesunde und ausgewogene Ernährung sowie das Zusammenspiel von Körper und Nahrung als auch Ernährungslehre. Bestimmte Körpersignale werden entweder kaum beachtet oder fehlinterpretiert. Das Hungergefühl wird in der Regel ignoriert oder bekämpft, zum Beispiel indem die Patientinnen literweise Wasser trinken. Der Verzehr kleinster Nahrungsmengen kann zu Klagen über Völlegefühl und Magenbeschwerden führen.[36]

Anorektikerinnen sammeln mit Leidenschaft Lebensmittel, lassen diese dann verkommen bzw. vernichten sie. Mit großem Lustgewinn kochen sie für ihre Familie Mehrgänge-Menüs, essen selbst aber kaum etwas davon. Sie triumphieren über ihre Selbstbeherrschung und darüber, dass sie ihren Trieben und dem Genuss nicht erliegen, sondern diese unter Kontrolle haben.

Bei Bulimikerinnen kommt es nach den Essanfällen zu „großem psychologischem Schmerz im Sinne von Reue, schlechtem Gewissen etc.“[37] Der Verlust von Kontrolle während eines Essanfalls wird im Anschluss in Form von Ekel vor dem eigenen Körper empfunden und geht sowohl mit Scham- und Schuldgefühlen als auch mit Enttäuschung über sich selbst einher. Depressive Symptome sind bei Bulimikerinnen weit verbreitet.[38]

„Bulimie und Binge eating [und Magersucht] können durch seelische Probleme ausgelöst werden und ziehen immer seelische Probleme nach sich...“

5.3 Soziale Folgeerscheinungen

„Das Hungern, das Zählen von Kalorien und der übertriebene Bewegungsdrang fordern Zeit und Energie und werden zum wichtigsten Lebensinhalt der Betroffenen. Alles andere tritt in den Hintergrund.“[40] Das abnorme Essverhalten führt unweigerlich in die Isolation. Hobbies, Bekanntschaften und Interessen werden von der Thematik Essen bzw. Nicht-Essen dominiert oder ihr untergeordnet. Da die Betroffenen das Essen im Beisein anderer am liebsten vermeiden, aber die meisten Formen geselligen Beisammenseins auch in irgendeiner Weise mit Essen verbunden sind, kommt es zu einem Rückzug aus weiten Teilen gesellschaftlichen Lebens. „Oft bleibt nur noch die Familie als soziales Netz zurück.“[41] Die Bulimie ist nicht nur eine psychische, sondern auch eine finanzielle Belastung für die Betroffenen, so dass für soziale Aktivitäten auch aus Kostengründen nunmehr wenig Raum bleibt.[42] „Manche [Bulimie-Patientinnen] berichten, daß sie nur noch arbeiten, um zu ‚kotzen‘...“[43] Aufgrund der riesigen Nahrungsmengen, die während eines Freßanfalls verschlungen werden, kann es zu ernsthaften finanziellen Belastungen[44] bis hin zur Verschuldung ferner zu dissozialem Verhalten (Beschaffungskriminalität) kommen.[45][39]

Bei vielen der Frauen, die als geheilt gelten, gibt es Anzeichen dafür, dass die Angst vor dem Dickwerden weiterhin besteht. Die Symptomatik hält in mehr oder weniger ausgeprägter Form im späteren Leben an, oder die Patientinnen entwickeln andere Auffälligkeiten.[46] Speziell in Krisensituationen zeigt sich die Tendenz, dass auf die vertraute Lösungsstrategie Essstörung, eher unbewusst als gezielt, zurückgegriffen wird. Untersuchungen, in denen Betroffene 10 bis 20 Jahre beobachtet wurden, ergaben, dass Übergänge in andere psychische Krankheiten wie Depressionen, Zwangsstörungen oder Abhängigkeit von Drogen und Alkohol nicht selten sind. In nicht wenigen Fällen weisen essgestörte Frauen parallel zu ihrer Essstörung Auffälligkeiten dieser Art auf.

Exkurs: Tagesablauf einer Magersüchtigen

Um sich eine Vorstellung von dem durchorganisierten Tagesablauf, mit dem Ziel den eigenen Körper völlig zu beherrschen, machen zu können, möchte ich kurz widergeben wie eine magersüchtige Patientin ihren Tag gestaltete. Sie erzählte, dass sie zu schwimmen anfing und von Tag zu Tag mehr Runden zurücklegte, bis sie schließlich bis zu sechs Stunden mit Schwimmen verbrachte. Außerdem spielte sie mehrere Stunden Tennis, wenn möglich lief sie anstatt zu gehen. Auch arbeitete sie mehrere Stunden täglich an ihren Schulaufgaben, um die besten Noten zu erzielen. „Sie hielt sich einundzwanzig Stunden beschäftigt und verringerte ihre Schlafzeit auf drei Stunden.“[47] Sie richtete ihr Leben ganz nach dem Motto: „Herrschaft des Geistes über den Körper“[48] aus – und sie ist kein Einzelfall. Der hier aufgezeigte Tagesablauf einer Anorektikerin ist keine Seltenheit bei Magersüchtigen. Essgestörte leben oft nach einem strikten Tagesablauf, den sie sich selbst auferlegen und der zugunsten einer permanenten Beschäftigung mit dem Gewicht diesbezüglich regelrecht ritualisiert ist. Geringe Abweichungen von der Struktur können zu Depressionen führen, weil die geringste Abänderung ein Verlust von Halt und Kontrolle bedeuten würde.

Exkurs: Heißhungerattacke bei einer bulimischen Patientin

Eine, seit fünf Jahren, an Bulimie leidende Frau schildert detailliert, wie viel und was sie im Verlauf eines Fressanfalls zu sich nimmt: „500 g Toastbrot, 250 g Kekse, 250 g Margarine, 1 Dose Fleisch, 2 Tafeln Schokolade, 100 g Wurst und Schinken, ½ Glas Honig, 1 Liter Milch, 1 Liter Mineralwasser, ½ Flasche Cola, 150 g Fleischsalat, je 150 g Chips und Erdnüsse.“[49] Die Auflistung bestätigt, dass während solch einer Attacke unvorstellbar große Mengen an fetten, kohlehydratreichen und süssen Nahrungsmitteln durcheinander regelrecht verschlungen werden. Die Mengen nehmen mit der Dauer der Krankheit zu, anfangs ist der Magen noch nicht so weit gedehnt, dass dermaßen viel Nahrung aufgenommen werden kann. Das literweise Trinken erleichtert anschließend das Erbrechen der Nahrung. Aufgrund von Erfahrung wissen die Patientinnen was sie essen müssen, damit sie sich im Anschluss so problemlos und schnell wie nur möglich des Essens wieder entledigen können. Das wahllose Durcheinanderessen kann eigentlich nur als extrem hoher psychischer Stress und somit als pathologisch bezeichnet werden.

6. Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Essstörungen

Das Auftreten von Essstörungen wird fast immer mit einer ausgeprägten Identitäts- und Selbstwertproblematik in Zusammenhang gebracht[50]. Die Betroffenen wollen unter allen Umständen den gesellschaftlichen Normen entsprechen. Ihren Selbstwert machen sie vom Gewicht anhängig. „Je schlanker, um so höher wird in ihren Augen ihr Selbstwert sein.“[51]

Eine spezifische Essgestörten-Persönlichkeit gibt es nicht. Anorektische Patientinnen weisen viele Gemeinsamkeiten mit bulimischen Patientinnen auf, besonders wenn sie an einer Anorexie mit bulimischen Zügen leiden. Beiden Krankheiten ist die übermäßige Beschäftigung mit dem Essen und dem Körpergewicht gemein. Gemeinsames Merkmal von Anorexia nervosa- und Bulimia nervosa-Patientinnen ist eine übersteigerte Angst davor, zuzunehmen bzw. dick zu werden.[52] Was das Krankheitsverständnis angeht, unterscheiden sich Magersüchtige sehr von den Bulimikern. Magersüchtigen gelingt es, diszipliniert an ihrem Vorhaben (immer weiter und weiter abzunehmen) festzuhalten, wobei Bulimikerinnen bei einer Heißhungerattacke wieder und wieder die Kontrolle über sich verlieren. Magersüchtige sind stolz auf ihr „Können“ und ihr Durchhaltevermögen. Dass sie krank sein sollen, wollen sie gar nicht wahrhaben und streiten derlei Vorhaltungen strikt ab. Bulimikerinnen erleben nach jedem Fressanfall Schuld- und Schamgefühle, ihr Leidensdruck ist hoch, auch wenn sie erst nach länger andauernder Symptomatik Hilfe suchen. Diese Patientinnen sind angesichts ihres Umgangs mit Essen einsichtig, was sich bei Mager­süchtigen, zumindest vor einer psychotherapeutischen Auseinandersetzung, nicht feststellen lässt. Patientinnen, die an Essstörungen leiden, neigen zu dichotomen Denken, einem Denken das dem „Alles oder Nichts“-Prinzip[53] entspricht. Für die Patientinnen gibt es lediglich Schwarz oder Weiß, Gut oder Schlecht. Schattierungen, Hell- oder Dunkelgrau oder gar Farben kommen in ihren Gedanken und Leben nicht vor.

Letztendlich sind die Gemeinsamkeiten der essgestörten Patientinnen größer als ihre Unterschiede.[54]

[...]


[1] Vgl. Westenhöfer, 1992, S.5.

[2] zit. n. Magersucht. In: http://www.wdr.de... am 23.11.2001.

[3] Deutsche Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik (DIET) In: http://www.hungrig-online.de... am 07.12.2004.

[4] zit. n. http://www.magersucht.de... am 07.12.2004.

[5] Jochims, 2003, S.40, Zitat von Stimmer.

[6] Gerlinghoff/ Backmund, 2000, S.51.

[7] Saß/ Wittchen/ Zaudig,, 1996, S. 613.

[8] Vgl. Westenhöfer, 1992, S. 61.

[9] Vgl. Russell, 1989, S. 27.

[10] Vgl. Selvini-Palazzoli, 1998, S. 19.

[11] Vgl. Wilke, 1996, S. 380.

[12] Vgl. Stahr/ Barb-Priebe/ Schulz, 1998, S. 23.

[13] Bleser/ Fricke/ Wittchen, 1988, S. 7, Fußnotentext.

[14] Vgl. Westenhöfer, 1992, S. 55.

[15] Vgl. Böhme-Bloem, 1997, S. 50.

[16] Jochims, 2003, S. 16.

[17] Laessle/ Wurmser/ Pirke, 1996, S. 193.

[18] Vgl. Stahr, 1998, S. 40.

[19] Vgl. Böhme-Bloem, 1997, S. 50.

[20] Vgl. Saß/ Wittchen/Zaudig, 1996, S. 625.

[21] Vgl. Saß, 2003, S. 235.

[22] Meermann, 1997, S. 34.

[23] Vgl. Stahr, 1998, S. 22.

[24] Vgl. DHS, 1997, S. 23.

[25] Vgl. Saß, 1996, S. 613.

[26] Vgl. Remschmidt/ Schmidt/ Poustka, 2001, S. 229.

[27] Vgl. DHS, 1997, S. 29.

[28] Meermann/ Vandereycken, 1987. In: Merrmann, 1997, S.35.

[29] Vgl. Meermann/ Vandereycken, 1987, S. 5f.

[30] Vgl. Gerlinghoff/ Backmund, 2000, S. 28.

[31] Vgl. Herpertz, 1997, S. 23.

[32] Vgl. Wilke, 1996, S. 383.

[33] Vgl. Gerlinghoff, 2000, S. 28.

[34] Vgl. Selvini-Palazzoli, 1998, S. 122.

[35] Vgl. Fichter/ Warschburger, 2000, S. 562.

[36] Vgl. Laessle, 1994, S. 364.

[37] Flammer/ Alsaker, 2002, S. 283.

[38] Vgl. ebd., S. 284.

[39] Jochims, 2003, S. 12.

[40] Flammer/ Alsaker, 2002, S. 281.

[41] ebd.

[42] Vgl. Davison/ Neale, 1988, S. 511.

[43] Bleser/ Fricke/ Wittchen, 1988, S. 18.

[44] Vgl. Herpertz/ Senf, 1997, S. 9.

[45] Vgl. Bleser/ Fricke/ Wittchen, 1988, S. 18.

[46] Vgl. Flammer/ Alsaker, 2002, S. 285. mwN

[47] Bruch, 1997, S. 24.

[48] ebd. S. 24.

[49] Langsdorff, 1985, S. 21.

[50] Vgl. Stahr, 1998, S. 7.

[51] Fichter/ Warschburger, 2000, S. 562.

[52] Vgl. Laessle, 1994, S. 367.

[53] Köhler/ Niepoth, 1991, S. 305.

[54] Vgl. Jacobi/ Paul, 1991, S. 9.

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Entstehungsbedingungen bei Essstörungen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Erziehungswissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
95
Katalognummer
V41255
ISBN (eBook)
9783638395519
ISBN (Buch)
9783638721318
Dateigröße
875 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehungsbedingungen, Essstörungen, Falle, Anorexia, Bulimia
Arbeit zitieren
Dorothea Richter (Autor:in), 2004, Entstehungsbedingungen bei Essstörungen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41255

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