Die Miniaturen in der Heidelberger und der Berliner Handschrift des 'Eneasromans' von Heinrich von Veldeke


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

55 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Inhaltsverzeichnis

2. Fragestellung und Vorgehensweise

3. Der „Eneasroman“ von Heinrich von Veldeke

4. Miniaturen und Illustrationen in mittelalterlichen Handschriften

5. Die Heidelberger Handschrift
5.1 Illustrationen der Heidelberger Handschrift
5.1.1 Arbeitsprozess des Malers
5.1.2 Figuren und Gegenstände
5.3 Verhältnis von Text und Bild
5.4 Kunstgeschichtliche Einordnung

6. Die Berliner Handschrift
6.1 Illustrationen der Berliner Handschrift
6.1.1 Technische Details der Illustrationen
6.1.2 Architektur, Figuren und Gegenstände
6.2 Verhältnis von Text und Bild
6.2.1 Spruchbänder
6.2.2 Heraldik, Rüstungen und Waffen
6.2.3 Narrative Aspekte der Bilder
6.3 Kunstgeschichtliche Einordnung

7. Illustrationen im Vergleich
7.1 Vergleich der dargestellten Inhalte
7.2 Vergleich der Darstellungen

8. Schlussfolgerungen

9. Abbildungsverzeichnis

10. Literatur:

2. Fragestellung und Vorgehensweise

Bei einer Exkursion des Seminars nach Berlin, stand auch der Besuch der Staatsbibliothek Berlin- Preußischer Kulturbesitz an. Dort dürfen die Teilnehmer des Hauptseminars „Mittelalterliche Literatur aus Handschriften“ einige mittelalterliche Handschriften im Original, andere als Faksimile einsehen. Darunter war auch der Codex Ms. germ. fol. 282, eine der wenigen illustrierten Handschriften des „Eneasromans“ von Heinrich von Veldeke.

Zahlreiche mittelalterliche Handschriften weisen Miniaturen oder Illustrationen auf, die Miniaturen der Berliner Handschrift des „Eneasromans“ sind jedoch in mehrerer Hinsicht einzigartig. Zwei weitere illustrierte Handschriften des „Eneasromans“ sind überliefert, die Heidelberger und die Wiener Handschrift. Die Fragestellung dieser Seminararbeit soll nun sein: Wie sind die Illustrationen der beiden Handschriften des „Eneasromans“ von Heinrich von Veldeke, Cod. Pal. 403, Heidelberger Handschrift und Ms. germ. fol. 282, Berliner Handschrift zu bewerten?

Wie unterscheiden sich die Illustrationen voneinander?

Um diesen Fragen nachzugehen, sollen im Folgenden die Inhalte und wichtigen Charakteristika des „Eneasromans“ kurz umrissen und auf die Überlieferung der Handschriften eingegangen werden. Daran wird sich ein allgemeiner Passus über Miniaturen und Illustrationen in mittelalterlichen Handschriften anschließen. Die Illustrationen der beiden Handschriften werden erst getrennt voneinander betrachtet und anschließend miteinander verglichen.

3. Der „Eneasroman“ von Heinrich von Veldeke

Der frühhöfische „Eneasroman“ des Heinrich von Veldeke, entstanden zwischen 1170 und 1190, gilt als Hauptwerk des limburgischen Autors. Zurückgehend auf die französische Vorlage des „Roman d’ Éneas“, entstanden um 1160 und Vergils „Aeneis“ sowie die Beschreibungen des Servius zu Vergil ist im „Eneasroman“ ein antiker Stoff und eine antike Götterwelt zu einem ritterlich eingefärbten Antikenroman umgearbeitet worden.

Der Held Eneas flüchtet darin mit seinen Männern auf 20 Schiffen aus dem zerstörten Troja. Ähnlich Odysseus in Homers Odyssee, hält ihn eine Irrfahrt auf dem Mittelmeer, verfolgt von der rachsüchtigen Göttin Juno, sieben Jahre in Atem. Dann gelangt er mit Venus Hilfe nach Karthago, wo sich die Königin Dido in ihn verliebt. Unglücklich leider, denn er verlässt –auf Drängen der Götter- die Liebende, woraufhin diese sich selbst das Leben nimmt. Schließlich führt ihn das Schicksal an das eigentliche Ziel seiner Reise, nach Italien, wo er, bzw. seine Nachfahren Rom gründen. Bevor er jedoch Gründungsvater des antiken römischen Reiches werden kann, muss er sich in der Unterwelt, im Kampf und in der Minne beweisen. Er trotzt den Göttern des Hades, besiegt seine Feine und Rivalen und gewinnt die Liebe der schönen Lavinia. Aus dem Geschlecht dieser beiden gehen Romulus und Remus, die sagenumwobenen Gründer Roms, hervor.

Der „Eneasroman“ gehört mit seinen inhaltlichen und auch seinen formalen Aspekten, paarweise gereimte Kurzverse, gereimter Reim statt Assonanzen (RECLAM S. 851) in eine Gruppe von Texten, die der der gängigen epischen Helden- und Geschichtsdichtungen, den Chansons de geste entgegengesetzt wird. Mit dem „Eneasroman“ beginnt die Tradition des Versromans, die sich bis zum Artusroman weiterentwickelt.

Der Schriftdialekt der gesamten Überlieferung des „Eneasromans“ ist Hochdeutsch, viel davon auch Oberdeutsch, was in einem viel diskutierten Widerspruch zur Sprachheimat des Autors steht und in der Rezension als „Veldeke- Problem“ benannt ist.

Der „Eneasroman“ ist sehr gut überliefert. Drei der sechs mehr oder minder vollständigen Handschriften, insgesamt sind zwölf Texte bekannt, sind mit Illustrationen ergänzt worden. Die älteste dieser drei Handschriften, die Berliner Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, gilt als die wohl „schönste illustrierte Handschrift eines deutschen Gedichts aus dieser frühen Zeit überhaupt“ (RECLAM, S. 860).

Es sollen im Folgenden die Illustrationen der beiden mittelalterlichen Handschriften Ms. germ. fol. 282, Berliner Handschrift und Cod. Pal. germ. 403, Heidelberger Handschrift beschrieben und verglichen werden. Die dritte der illustrierten Handschriften, die Wiener Handschrift, datiert auf das späte 15. Jahrhundert und ist stark verkürzt. Sie soll hier nicht beachtet werden.

Zur Heranleitung an die Eneas- Handschriften schließt sich das nächste Kapitel mit einem kurzen Exkurs über die Bedeutung und Herstellung von Illustrationen oder Miniaturen in mittelalterlichen Handschriften an.

4. Miniaturen und Illustrationen in mittelalterlichen Handschriften

Sobald der Haupttext eines Werkes geschrieben worden war, konnten Rubrikator und Illustrator ihre Arbeit beginnen. Aufgabe des Rubrikators war es, die oft farbigen Initialen und Textüberschriften zu schreiben und –zur Verbesserung der Lesbarkeit- den ersten Buchstaben eines Satzes zu unterstreichen.

Für die Ausschmückung einer Handschrift mit Bildern war der Illustrator verantwortlich. Er zeichnete und malte Bordüren, Fleuronnés, bildliche Initialen und sog. Miniaturen. Der Begriff Miniatur wurde ursprünglich für die roten Verzierungen (Menningrot) verwendet. Später wurde die Bedeutung des Begriffs ausgeweitet und auf alle selbständigen Illustrationen mittelalterlicher Handschriften angewendet. Mit dem Begriff Miniatur ist die figürliche Darstellung, unabhängig von Initialen und anderen Gestaltungselementen gemeint (UNIBIBL Heidelberg, Glossar).

Es war nicht unüblich, dass mehrere Illustratoren an derselben Handschrift gearbeitet haben. Sie wurden oft, je nach ihrer Tätigkeit, Bildinitialen, Hintergründe, Personen etc. auch unterschiedlich entlohnt.

Eine Illustration entstand in der Regel mit einer Vorzeichnung auf dem Pergament oder Papier mit Silberstift oder dünner Tinte. Anschließend erfolgten der Farbauftrag und die genaue Konturierung. Farben trug man in einzelnen Schichten auf, wobei bis zu zehn Schichten verwendet wurden, um eine feine Modellierung zu erreichen. Je nach verwendetem Farbpigment und Bindemittel, konnten bestimmte Wirkungen erzielt werden. In der Karolingerzeit wurden etwa eher opake und stumpf wirkende Farben gegenüber glänzenden oder transparenten Farben, die in der ottonischen Buchmalerei en vogue waren, bevorzugt. Manche Illustrationen oder Initialen erforderten die Verwendung von Blattgold, dass zuerst aufgetragen und auf Hochglanz poliert wurde. Erst danach wurden die Farben auf den Untergrund aufgebracht.

Als Farben fanden anorganische und organische Farben Verwendung. Es ist wahrscheinlich, dass für die Heidelberger Handschrift und andere Handschriften aus dieser Zeit, anorganische Farben aus Grünspan, Azurit, Indigo und Krapp angerührt wurden, weiterhin gelber Ocker. An organischen Pigmenten wurden teilweise mit Alaun desinfizierte und fixierte farbgebende Pflanzenteile verwendet.

Wie auch heute noch in der Malerei gebräuchlich, wurden die gereinigten Farbpigmente mit einem Bindemittel versetzt, um sie zum Malen verwenden zu können. Solche Bindemittel waren Hausenblase, Eiklar oder Gummi arabicum (UNIBIBL Heidelberg Scriptorium).

5. Die Heidelberger Handschrift

Die Heidelberger Handschrift ist eine der jüngsten Handschriften des „Eneasromans“, die erhalten sind. Die Handschrift wurde laut Eintrag auf fol. 255r[1] am 11. Oktober 1419 vom Schreiber Hans Coler vermutlich in Straßburg beendet.

„Diez buch wart usz geschriben
von hans coler uf Mittwoch
vor sant gallen tage. In dem
jor do man zahlt von Xpus ge-
burt dusentvierhundert und

Noneezehen jor.“ (nach WEGENER 1927, S. 17)

Grundlage für den Codex war eine unvollständige Textvorlage, der Anfang und Schluss fehlten. Der Schreiber setzte daher an den Beginn ein Gebet mit der Bitte um Hilfe an Christus. Den Schluss, der Hans Coler vermutlich bekannt war, schrieb und reimte er selbst.

Die Handschrift ist aus Papier gefertigt. Die Schrift ist gleichmäßig mit einfachen, roten Initialen einspaltig aufgebracht (WEGENER 1927, S. 17). Als Schriftart verwendeten die Skriptoren nicht die gotische Textura, die in liturgischen Büchern Verwendung fand, sondern „eine „Bastarda“ oder Buchkursive mit vielen Merkmalen einer reinen Gebrauchsschrift, die ein sehr viel rascheres Schreibtempo erlaubt“ (WERNER 1975, S. 76).

Diese Schrift ist in der Heidelberger Eneashandschrift zwar sauber, aber nicht besonders sorgfältig verwendet worden (WEGENER 1927, S.17). Einige Überschriften sind mit roter Tinte abgesetzt und dienen meist auch als Bildtitel. Versalien am Zeilenbeginn sind rot gestrichelt. Die Initialen sind „einfache Unzialformen (Lombarden)“ (WERNER 1975, S. 76). Nur die erste Initiale auf fol. 4r ist auffälliger und aufwendiger gestaltet.

39 kolorierte Federzeichnungen illustrieren das Werk, für drei fehlende Illustrationen wurde Platz frei gelassen. Die Illustrationen sind zwischen die einzelnen Textpassagen eingegliedert.

5.1 Illustrationen der Heidelberger Handschrift

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Cod. Pal. 403, fol. 3 verso: Eroberung Trojas

Die Heidelberger Handschrift beinhaltet 39 Miniaturen, die zwischen den einspaltigen Text eingeordnet sind. Diese Miniaturen nehmen zwischen einer halben bis zu zwei Dritteln einer Seite ein und breiten sich stellenweise am Rand nach oben und unten aus. Einzig die erste Illustration in der Handschrift, fol. 3v (siehe Abbildung 1), die auch als Titelblattillustration angesehen werden kann, steht alleine auf einer Seite. Auf drei Seiten der Handschrift ist für fehlende Illustrationen Platz freigelassen worden.

Wegener (WEGENER 1927, S. 17) geht von einem einzigen Zeichner der Heidelberger Handschrift aus, Saurma- Jeltsch nennt zwei Maler und Gehilfen (SAURMA 2001/1, S. 26). Die Maler sollen die Federzeichnungen mit Wasser- und Deckfarben in hellem, kühlem Kolorit bemalt haben. Lichter sind ausgespart, hier scheint also die Papierfarbe durch. An einigen Stellen sind Silberstiftvorzeichnungen erkennbar. An Farben wurde Deckgrün oder Blaugrün, dunkles Gelb und Karmin, zartes Rosa sowie Grau verwendet.

Als Bildbühne dient bei den meisten Miniaturen ein grüner Boden, auf dem die Figuren nebeneinander oder dicht hintereinander gruppiert sind.

5.1.1 Arbeitsprozess des Malers

Die Arbeitsweise der Werkstatt Diebold Laubers, aus der auch die Heidelberger Handschrift stammt, ist von Saurma- Jeltsch in ihrem Buch „Spätformen mittelalterlicher Buchherstellung“ (SAURMA 2001/1) sehr umfassend dargestellt. Sie gibt an, dass sich die Arbeit eines Illustrators in sechs verschiedene Phasen unterteilen lässt. Im ersten Arbeitsgang werden Umrisse mit einem Blindgriffel, selten auch mit einem Bleistift vorgezeichnet. Schritt zwei erfolgt mit brauner Tinte und grober Feder. Hierbei werden Gewandung, räumliche Präsentation der Gestalt und die Gesichter ausgearbeitet. Phase drei umfasst die Kolorierung der Bilder mit jeweils einer Farbe. Sind alle Flächen ausgefüllt, wird die nächste Farbe verwendet.

Erst in Phase vier werden die bereits kolorierten Vorzeichnungen präzisiert, oft auch korrigiert. Deckfarben werden in Schritt fünf aufgetragen und anschließend, im letzten Schritt, Konturen auf der Deckfarbe wieder mit einer Rohrfeder und dunkler Tinte nachgezogen, sofern sie von der Deckfarbe übermalt worden waren. Hierbei wird „in langen, kräftigen Linien gearbeitet, die nicht selten sogar mehrere Formen miteinander verbinden“ (SAURMA 2001/1, S. 20).

An der „Eneit“, dem „Eneasroman“ haben, laut Saurma- Jeltsch, zwei Maler mit Gehilfen gearbeitet (SAURMA 2001/1, S. 26). Die Illustrationen des Heidelberger „Eneasromans“ sind denen der Heidelberger „Legenda aurea“ ähnlich, Saurma- Jeltsch spricht von einer einheitlichen Richtung „bildnerischer Ausdrucksweise“ (SAURMA 2001/1, S. 26) in diesen beiden Werken.

Im Folgenden sollen die Zeichnungen detaillierter betrachtet und beschrieben werden.

5.1.2 Figuren und Gegenstände

Die Figuren erscheinen auf jeder Illustration immer gleich groß, egal, ob sie im Hintergrund oder Vordergrund angeordnet sind. Die Gesichter zeigen fast immer dieselbe, starre Mimik. Haare und Bärte sind durchgehend dunkelgelb eingefärbt.

Wenige Figuren weisen charakteristische Gesichtszüge auf. Wegener spricht von „leicht karikierten Köpfen der Henker“ (WEGENER 1927, S. 18). Saurma- Jeltsch bezeichnet die Gesichter einerseits als naiv und etwas breit (SARUMA 2001/1, S. 26), sofern sie jugendliche Helden darstellen, andererseits als differenzierter, wenn es sich um prächtige, gereifte Helden handelt. So zeigt das Bild 243v der Heidelberger Handschrift, auf dem Eneas Lavinia grüßt, nach Saurma- Jeltsch ein weit ausdifferenzierteres Gesicht als das des jugendlichen Helden Eneas, der, ganz zu Beginn der Erzählung, in Karthago an Land geht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Cod. Pal. germ. 403, 8 verso: Eneas verlässt mit seinen Leuten das Schiff

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Cod. Pal. germ. 403, 234 verso: Eneas grüßt Lavinia

Der Kopf des Eneas wird kantiger durch den klaren Umriss, den der Maler verwendet. Auf fol. 234v erscheinen die Gesichtszüge etwas klarer und runder als in den Illustrationen noch zu Beginn des Romans. Insgesamt fallen bei der Darstellung von Eneas’ Gesicht einige Besonderheiten auf, die –bis auf die großen Ohren- auch für die anderen Figuren gelten. Eneas’ Ohren sind recht breit und die vorgewölbten Augenlider sind sehr markant. Wangen und Stirn sind durch die Umrisszeichnung klar von einander abgegrenzt.

Im Gegensatz zu den Gesichtern, sind die Körper weniger sorgfältig gezeichnet. Sie scheinen vielfach „mit gespreizten und gelängten Beinen und mit schräg abgewinkelten Füßen über dem Terrain zu schweben“ (SAURMA 2001/1, S. 26). Dies fällt besonders in der Szene, in der sich König Latinus mit seinen Vasallen berät, auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Cod. Pal. germ. 403, 176 verso: König Latinus berät sich mit seinen Vasallen

Die beiden Figuren links von König Latinus stehen mit unnatürlich gekreuzten Beinen, König Latinus und die Figur rechts hinter ihm jedoch, scheinen quasi in der Luft zu schweben oder gerade sich gerade im Sprung zu befinden.

Die Gesten der Figuren sind sehr sparsam, wenig dramatisch oder theatralisch. In den Kampfszenen fließt kein Blut.

Kleidung und Tracht der Figuren entspricht der Mode um 1420. Auffällig häufig tragen die Figuren so genannte Judenhüte, um sie als vorchristliche Heiden kenntlich zu machen. Saurma- Jeltsch weist den Gewändern eine „massiv(e), manchmal sogar lastend(e)“ (SAURMA 2001/1, S. 26) Qualität zu, eine „Monumentalität“, bzw. eine „gewisse räumliche Qualität“ (SAURMA 2001/1, S. 26). Diese fällt Ihr insbesondere auf den Illustrationen der Seiten 176v und 234r (Abbildungen 3 und 4) ins Auge.

Die Architektur ist durchgehend in zu kleinem Maßstab dargestellt, aber dafür perspektivisch einigermaßen stimmig (WEGENER 1927, S. 18).

Ein Teil der Bilder ist verwischt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Cod. Pal. 403, fol. 135 recto: Turnus Männer werden von den Verteidigern Albanes besiegt

Das nächste Unterkapitel wird sich dem Thema Text und Bild und der Frage, wie steht eine literarische einer bildnerischem Umsetzung gegenüber, befassen. Hierzu beginne ich mit einleitenden Worten zu Text- und Bild- Korrelationen im Allgemeinen.

5.3 Verhältnis von Text und Bild

Literatur und bildende Kunst können auf viele Arten miteinander verbunden sein. Sei es als literarische Beschreibung einer Figur, wie etwa der des lesenden Klosterschülers in Alfred Andersch „Sansibar oder der letzte Grund“ oder etwa als Vision eines Malers zu einem literarischen Werk, wie das surrealistische Bild Dalis zu Cervantes Roman „Don Quichotte“.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Salvadore Dali "Don Quichotte", 1983

Kunst regt auch zu Diskussionen an, welche wie Lessings Überlegungen zur Malerei und Dichtkunst angesichts der Skulpturen der Laokoon- Gruppe, wiederum zu Werken der Literatur werden können.

Im Mittelalter wurden bildliche Darstellungen vor allem für religiöse Zwecke, etwa bei der Ausgestaltung von Kirchen genutzt. Aber auch Illustrationen von Handschriften nehmen eine wichtige Stellung ein. Seit frühchristlicher Zeit wurden Bilder dazu benutzt, biblische oder christliche Texte zu visualisieren. Die Gründe dafür sind einmal die wichtige Stellung der Bibel als Lebensratgeber und Heilsbringer, zum anderen aber auch die hohe Zahl von Analphabeten, denen die heilige Schrift oder auch andere Texte nur über Bilder vermittelt werden konnten. Hierdurch war es möglich, dass eine eigene Bildersprache, eine Bildtradition entstehen konnte, die über einen eigenen Code verfügte.

Bilderzyklen in mittelalterlichen Handschriften stellen eine Besonderheit in der Verbindung von Text und Bild dar, da sie quasi unmittelbar mit dem Text verknüpft sind. In den meisten Fällen sind jedoch Autor des Textes und Maler zwei verschiedene Personen, so dass es schwierig ist, den Bildern eine auktoriale Intention nach zu weisen.

Ein Illustrationszyklus ist fast immer erzählerischer Art. Er visualisiert das Fortschreiten einer Geschichte. Dies kann in der Weise geschehen, dass ein oder mehrere im Text beschriebenen Ereignisse in einem oder in mehreren Bildern dargestellt werden. Sind es mehrere Bilder, so herrschen gewisse Ähnlichkeiten in der Darstellung vor, Bezüge zwischen den Bildern, die diese eindeutig als Teil eines Zyklus festlegen.

Grundsätzlich können Text- Bild- Beziehungen daran unterschieden werden, wie Text und Bild räumlich zueinander stehen. Schröter spricht von einem „primären Text- Bild- Kontinuum“ (SCHRÖTER 2001, S. 377), wenn von Anfang an eine gemeinsame Anordnung von Text und Bild in einer Handschrift geplant war und dies entsprechend umgesetzt wurde. Im Gegensatz dazu steht nach Schröter ein „sekundäres Text- Bild- Kontinuum“ (SCHRÖTER 2001, S. 377), in dem ein Text nachträglich mit Illustrationen, etwa in einem Anhang, versehen wird.

Die Heidelberger Handschrift entspricht sicherlich einem sehr engen primären Text- Bild- Kontinuum, da die Illustrationen in der Regel direkt zwischen den Text gesetzt wurden. Auch ist an drei fehlenden Miniaturen gut erkennbar, dass während des Schreibens Platz für Illustrationen gelassen wurde. Die Bildinhalte entsprechen den mit roter Tinte geschriebenen Bildüberschriften, den Tituli. Die Miniaturen wurden also nach dem Thema dieser Tituli gestaltet (SCHRÖTER 2001/1, S. 386). Dies wird besonders bei der Miniatur auf fol. 103r deutlich, auf der Ascanius die Burg des Tirus erobert, aber laut Bildtitulus die Burg Albane, also Eneas’ Festung gemeint sein soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Cod. Pal. germ. 403, 103 recto: Ascanius erobert die Burg des Tirus (Titulus: Albane)

Der Kampf um die angebliche Festung Albane passt hier nicht zu den geschriebenen Versen, in denen die Zerstörung von Tirus Haus beschrieben wird. Schröter mutmaßt hier ein Versehen des Schreibers (SCHRÖTER 2001, S. 386), einen Fehler im Bildtitulus, der durch die Formulierung

„ze Albâne siz sanden,

daz hûs sie verbranden“ (Vers 4806/07)

bewirkt worden sein könnte. Es sollte eigentlich die Verwüstung von Tirus’ Haus und nicht die Zerstörung der Burg Albane dargestellt werden. An diesem Fehler lässt sich jedoch erkennen, wie der Verstext den Bildtitulus beeinflussen kann und sich dies dann auch auf die Illustration selbst auswirkt (SCHRÖTER 2001, S. 386).

Ein weiterer „Fehler“ findet sich auf fol. 19v. Der Bildtitulus „Eneas lässt seinen Sohn Ascanius und einen goldenen Pokal bringen“ (SAURMA 2001/2, S. 70). In der Illustration wird Eneas’ Sohn als Säugling oder Kleinkind abgebildet. Im Text heißt es jedoch:

„Zû des selben zîten,

do ze hove wolde rîten

der jungelink Ascânijûs,“ (RECLAM, S. 50, Vers 805 bis 807)

Ein Jüngling, der sich auf einem Pferd halten kann, ist gewiss kein Säugling.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Cod. Pal. germ. 403, fol. 19 v: Eneas lässt seinen Sohn Ascanius und einen goldenen Pokal bringen.

Vielleicht interpretierte der Maler den Titulus in der Weise, dass man Eneas Sohn, ebenso wie den goldenen Pokal, zu ihm bringt, zu ihm trägt und nicht den Sohn anweist, selbst zu kommen. Vielleicht war auch die Maleranweisung am unteren Seitenrand:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„wie enas hieß ime bring(en) sine(n) sun vn(d) ein guldin kopff vn(d) eine(n) zobelinma(n)tel vn(d) sin cleinoet(er)“ (UNIBIBL Heidelberg, Bildinformation 19v), in der Ascanius genauso wie Eneas’ Geschenke an Dido herangetragen werden sollen, ausschlaggebend für die Darstellung eines Säuglings.

Die Anordnung der Bilder im Text ist nicht streng regelmäßig. Sie scheint sich eher am Inhalt der Geschichte zu orientieren als an bestimmten Verszahlen. Illustrationen und die dazu gehörigen Bildtituli finden sich in der Heidelberger Handschrift auf den Blättern:

3v: Eroberung Trojas

4r: Eneas flieht mit den Seinen zu Schiff aus dem eroberten Troja

8v: Eneas verlässt mit den Seinen das Schiff und bedankt sich beim Schiffer (lt. Titulus bezahlt er ihn)

17r: Dido (in Männertracht) empfängt Eneas vor ihrer Burg

19v: Eneas lässt seinen Sohn Ascanius und einen goldenen Pokal bringen

27r: Dido und eine Begleiterin bringen Eneas (mit Frauenfrisur) ein Getränk ans Bett, um ihn gefügig zu machen

32v: Anne bemüht sich um Dido, die sich (vor Liebe wahnsinnig) die Haare rauft

36r: Eneas und Dido auf der Jagd (in herrlichen Kleidern)

42r: Eneas und Dido umarmen sich (lt. Titulus nehmen sie sich zur Ehe)

44v: Dido verabschiedet sich von Eneas

48v: Dido fällt in Ohnmacht, während Eneas zu Schiff abreist

51r: Anne entdeckt die Selbstverbrennung Didos (die wie die hl. Agnes den Märtyrertod mit Schwert und Flammen erleidet)

53v: Die Kammerherren beobachten Didos Verbrennung (Bezug zum Märtyrertod durch die anwesenden Schergen verstärkt)

54v: Bestattung Didos (ihr Leichnam sehr klein dargestellt)

57r: Höllenfahrt: Eneas sammelt seine Leute für den Gang in die Unterwelt (bereits Begegnung mit dem Höllenrachen)

62r: Höllenfahrt: Eneas und seine Leute (lt. Titulus mit Sibille) vor dem Höllenrachen (darin arme Seelen, die vorderste versucht, sich loszukaufen)

63v: Höllenfahrt: Eneas und Sibylle ? (in Männerkleidung) vor dem Höllenrachen

67r: Höllenfahrt: Karo als Teufel fährt Eneas, einen Begleiter und zwei Verblichene über den Flegeton, Sibille als nackte Sirene besänftigt ihn mit einem Zweig in der Hand

69v: Höllenfahrt: Eneas und Sibylle (als alte Frau) mit einem Begleiter am Höllentor, Eneas hält das Schwert empor, um damit zu leuchten

71v: Höllenfahrt: Eneas, Sibylle und ihr Begleiter sehen die toten Kinder und die toten Ritter (auch König Adrastus)

77v: Höllenfahrt: Eneas und Sibylle treffen Anchises, den Vater des Eneas, der seinen Sohn umarmt

94r: Ein Bote des Königs teilt Turnus (gekleidet wie Eneas) mit, dass Latinus seine Tochter Lavine Eneas zur Frau geben wolle

98v: Ascanius tötet den zahmen Hirsch der Silviane

99r: Ascanius und der Sohn des Tirus schlagen sich mit ihrem Gefolge wegen des toten Hirschen

103r: Ascanius erobert die Burg des Tirus (lt. Titulus Albane, die Burg des Eneas)

115r: Turnus berät mit seinen Fürsten über das Vorgehen gegen Eneas

118r: Turnus erobert Albane, die Burg des Eneas

120v: Venus und Mars in Vulcanus Netz gefangen (lt. Titulus werden Venus und Turnus im Netz ertappt)

127v: Eneas verlässt die Burg Albane zu Schiff und befiehlt ihre Verteidigung

135r: Die Mannen des Turnus werden von den Verteidigern besiegt

149v: Einer der Riesen erschlägt die Mannen des Turnus

176v: Beratung von König Latinus und seinen Vasallen

185r: Oriolus (lt. Titulus: Oralatus) tötet Laureine inmitten ihrer Jungfrauen (mit Keulen)

194r: Kamille wird in einem Friedhof beigesetzt

205v: Lavine erblickt Eneas, der uner der Burg Laurente kniet und fällt in Liebe (Umdeutung in Minneszene)

234v: Eneas grüßt Lavine auf Burg Laurente

236r: Eneas spricht mit Lavine am Fenster, sie halten sich umschlungen

240v: Kampf zwischen den Mannen des Turnus und des Eneas, Eneas verlässt den Kampfplatz (lt. Titulus ist er durch einen Pfeil am Arm verwundet)

249v: Zweikampf zwischen Eneas und Turnus vor den Augen Lavines (auf dem Turnierplatz vor einer Burg) (SAURMA 2001/2, S. 70, Bildtituli und Ergänzungen)

Platzhalter für fehlende Miniaturen finden sich auf: 39v, 61r, 65r.

Dass inhaltliche Aspekte auf die Anordnung der Miniaturen gewirkt haben, lässt sich auch aus einem Vergleich der Inhaltsangabe und der Anzahl an Miniaturen zu den darin genannten Themenbereichen ableiten:

[...]


[1] Fol. XYr für folius XYrecto, meint die Vorderseite eines Blattes, im Gegensatz dazu v oder verso, was die Rückseite eines Blattes bezeichnet. Recto und Verso folgenden immer mit r oder v abgekürzt.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Die Miniaturen in der Heidelberger und der Berliner Handschrift des 'Eneasromans' von Heinrich von Veldeke
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Deutsches Seminar I)
Veranstaltung
Hauptseminar Mittelalterliche Literatur aus Handschriften
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
55
Katalognummer
V32989
ISBN (eBook)
9783638335720
ISBN (Buch)
9783640477951
Dateigröße
1920 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr umfassende Hausarbeit mit vielen Illustrationen.
Schlagworte
Miniaturen, Heidelberger, Berliner, Handschrift, Eneasromans, Heinrich, Veldeke, Hauptseminar, Mittelalterliche, Literatur, Handschriften
Arbeit zitieren
Eva Fuchs (Autor:in), 2004, Die Miniaturen in der Heidelberger und der Berliner Handschrift des 'Eneasromans' von Heinrich von Veldeke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32989

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