Expressionistische Technikkritik dargestellt an Heinrich Lerschs industriekritischem "Mensch im Eisen"


Seminararbeit, 2006

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1.) Einleitung

2.) Technik im Expressionismus
2.1 Hintergründe und Technikbegeisterung
2.2 Expressionistische Technikkritik

3.) Ein Beispiel expressionistischer Industriekritik: Heinrich Lersch – Mensch im Eisen

4.) Schluss

5.) Literaturverzeichnis

1.) Einleitung

Der Expressionismus stellt eine sehr vielfältige Epoche in der neueren deutschen Literatur dar. Ungefähr zwischen 1910 und 1925 herrschte eine Strömung, deren Autoren teils sehr verschiedene Ideologien hatten, es in der Gestaltung der literarischen Texte jedoch genügend Gemeinsamkeiten gab, um sie in einem Begriff zusammenzufassen.[1] Der literarische Expressionismus, dessen Name ursprünglich aus der bildenden Kunst stammt, ist aber auch für seine unterschiedlichen und zahlreichen Themen bekannt, mit denen sich die Schreibenden beschäftigten. In Lyrik, Epik und Drama setzten sie sich auch mit dem Modernisierungsprozess der Gesellschaft auseinander, wobei die Beschäftigung mit der Technik und ihren neuen Errungenschaften eine große Rolle spielte. Ich werde in dieser Hausarbeit die expressionistische Technikkritik anhand eines lyrischen Beispiels darstellen, da diese Gattung überwiegend benutzt wurde, um kurz und präzise die Meinung zum Ausdruck zu bringen.

2.) Technik im Expressionismus

2.1 Hintergründe und Technikbegeisterung

Da das ehemalige Heilige Römische Reich Deutscher Nation bis zur Reichsgründung unter Wilhelm I. von Preußen 1871 eine Zusammensetzung aus einzelnen, meist kleinen, Feudalstaaten war, setzte die Industrialisierung erst drei Generationen später ein als in der ersten Industrienation England, wo dies schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Fall war. Vollständig entfalten konnte sich diese jedoch erst im zusammengeschlossenen Deutschen Reich. Dieser Prozess war für die Menschen etwas völlig Neues und Unbekanntes, die Technisierung der Arbeit in vielen Bereichen ein gewaltiger Fortschritt. Die erste Literaturepoche, die sich mit dem Thema der Industrialisierung und damit zusammenhängend mit der sozialen Frage auseinander setzte, war der Naturalismus.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts kam es im Deutschen Reich zu einer Spätindustrialisierung. Der Grund dafür waren viele neue Erfindungen, die zur Technisierung vieler weiterer Bereiche, nicht nur im industriellen Fertigungsprozess, führten, und der Aufschwung der Automobilindustrie. Damit waren die Vorraussetzungen für den italienischen Futurismus geschaffen, der 1909 durch Filippo Tommaso Marinettis ‚Manifest des Futurismus’ begründet wurde und sich mit emphatischer Begeisterung der Technik als dem Allheilmittel für die Zukunft verschrieb. „Aber wir wollen von der Vergangenheit nichts wissen, wir jungen und starken Futuristen!“,[2] proklamierte Marinetti, denn sein Gedanke war, dass ein Übergang zu einer technologisch bestimmten Lebensform stattfinde und deshalb mit allen Traditionen gebrochen werden müsse.

Manche Frühexpressionisten ließen sich von der Begeisterung der Futuristen anstecken und zeigten sich beeindruckt. Vor allem die neuen Möglichkeiten der Fortbewegung und Raumüberwindung riefen die Technik ins Bewusstsein und sorgten für ein völlig neues Lebensgefühl. Das äußerte sich im Frühexpressionismus in der Weiterführung der Eisenbahngedichttradition des 19. Jahrhunderts. Viele Eisenbahngedichte entstanden, darunter auch das wohl berühmteste von Ernst Stadler: ‚Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht’. Hier wird genauso wie in Alfred Wolfensteins ‚Fahrt’ ein kollektives Rauscherleben geschildert, wobei alle irdischen Bindungen abgestreift werden.[3] Dort ist dieses Gefühl sogar noch deutlicher beschrieben:

Seht auf, seht auf .. da steigt und schreit und hebt der Zug

Uns hoch in Glanz .. das Gleis verstummt .. die Nacht wird Flug ..

Wir alle flammen

Im wildren Schmelz des Sterns zusammen![4]

Die Fahrt entfernt sich in den Kosmos und steigert sich zur Auflösung der gesamten Außenwelt. Bei den Verfassern solcher Gedichte kann jedoch nicht wirklich Technikverständnis vorausgesetzt werden. Die technischen Geräte, die neuen Fortbewegungsmittel, wurden nur zur Steigerung des Daseinsgefühls und Erhöhung und Intensivierung des Lebens benutzt, wie es auch bei Marinetti der Fall war.[5] In der fortgeschrittenen Phase der expressionistischen Epoche wurde die Begeisterung für diese Art von Technik zunehmend zurückgenommen und verschwand schließlich ganz, da eine fortdauernde Hingabe an die Technik die völlige Überantwortung der Dichtung an den Ingenieur und seine Konstruktionen bedeutet hätte.

2.2 Expressionistische Technikkritik

Von diesem Zeitpunkt an war die neue Technik in den Augen der Expressionisten nichts Überragendes mehr; die Kritik daran herrschte vor. Ein Grund dafür war die Überforderung der Menschen durch die rasante Entwicklung im technischen Bereich; alles wurde schneller, selbstständiger und somit gefährlicher. Einen großen Topos in der expressionistischen Technikkritik stellt die Großstadt dar, in der vor allem von den neuen Erfindungen Gebrauch gemacht wurde. Die technikkritische Großstadtlyrik des Expressionismus gibt Negativeindrücke der Autoren von der Technisierung der Großstädte wieder. Die Dynamik der Modernisierungsprozesse führte zu veränderten Wahrnehmungsbedingungen bei den Großstädtern und auch der Philosoph Georg Simmel erkannte schon damals: „Die psychologische Grundlage, auf der der Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht.“[6] Gerrit Engelkes Gedicht ‚Stadt’ (1912) ist ein gutes Beispiel für diese großstädtischen Reizüberflutungen, die Stadt wird als „Ballungsraum mechanischer Funktionen“[7] dargestellt:

[...]

Und Block an Block zu einem Berg gedrückt,

Von Dampfrohr, Turm und Bahn noch überbrückt,

Von Draht, der Netz an Netze spinnt.

Der Berg, von vielen Furchen tief durchwühlt:

Das ist das große Labyrinth,

Dadurch das Schicksal Mensch um Menschen spült.

[...]

Im Fahrstuhlschacht, im Bau am Kran,

Treppauf und ab, durch Straßen über Plätze,

Auf Wagen, Rad und Straßenbahn:

Da schäumt des Menschenstrudels wirre Hetze.

[...]

Und karrt der Tod auch Hundert täglich fort,

Es braust der Lärm wie sonst an jedem Ort.

Schleppt er vom Hammer-Block den Schmied,

Schleppt er vom Kurven-Gleis den Wagenleiter:

Noch stärker brüllt das Straßenlied:

Der Wagen fährt – der Hammer dröhnt weiter.[8]

[...]


[1] Vgl. Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus, Darmstadt 2005, S. 12-13.

[2] Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910-1920, hrsg. von Thomas Anz und

Michael Stark, Stuttgart 1982.

[3] Vgl. Anz, Thomas: Literatur des Expressionismus, Stuttgart 2002, S. 117-118.

[4] Gedichte des Expressionismus, hrsg. von Dietrich Bode, Stuttgart 2001, S.173.

[5] Vgl. Daniels, Karlheinz: Expressionismus und Technik, in: Technik in der Literatur. Ein Forschungsüberblick

und zwölf Aufsätze, hrsg. von Harro Segeberg, Frankfurt am Main 1987, S. 355.

[6] Simmel, Georg: Die Großstadt und das Geistesleben, in: Die Großstadt. Jahrbuch der Gehe-Stiftung, Dresden

1903.

[7] Daniels, K.: Expressionismus und Technik, S. 361.

[8] Gerrit Engelke. Das Gesamtwerk. Rhythmus des neuen Europa, hrsg. von Hermann Blome, München 1960, S. 47

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Expressionistische Technikkritik dargestellt an Heinrich Lerschs industriekritischem "Mensch im Eisen"
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
14
Katalognummer
V82700
ISBN (eBook)
9783638013468
ISBN (Buch)
9783638917056
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Expressionistische, Technikkritik, Heinrich, Lerschs, Mensch, Eisen
Arbeit zitieren
Johannes Linsenmeier (Autor:in), 2006, Expressionistische Technikkritik dargestellt an Heinrich Lerschs industriekritischem "Mensch im Eisen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82700

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