Postmoderne Tendenzen im Film


Doktorarbeit / Dissertation, 1998

411 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Prozess der Modernisierung und seine Folgen
Der moderne Diskurs und
seine wissenschaftlich-gesellschaftliche Praxis
Der ”Ausbruch” eines unendlichen Universums
Säkularisierungsprozess und der moderne Diskurs des Subjekts
Beschleunigung des Erlangungsprozesses
unserer Kenntnisse und die Technologie
Wesenszug des modernen Diskurses: Ausdifferenzierung
Abschied von Aufklärung, Geschichte und Evolution
Das Ende des Panoptikums und der Film

Ein dioptrisches Panorama der Postmoderne
Die Auflösung des Subjekts
Der Aufstand des Figurativen und das Unbewusste
Der Prozess der Entdifferenzierung und
die postmoderne Überschreitung der Grenze
Postmodernes Wissen und Sprachspiele
Paralogien, Inbegriff der Pluralität und Dekonstruktion
Die postmoderne Praxis der Intertextualität,
Interaktion und Selbstreflexivität
Die Darstellung des Unrepräsentierbaren und die
Entteleologisierung der Geschichte

Der Film und die Wirklichkeit
Über den Genius des Films als
die Kunst des Bewegungs- und Zeit-Bilds
Suche nach der Wesenseigentümlichkeit des Films
und narrative Tradition
Über die Geschichte des Films ”Paths of Glory” (1957)
von Stanley Kubrick
Allgemeine dramaturgische Konstruktion der Erzählung
Zur dramatischen Bedeutung des Lichtes
Kameraführung
Montage

Krisenzyklus der Repräsentation und Diskurs
der ästhetischen Moderne

Die Seinsfrage des Realen und die Entropie der Repräsentation
Die Krise des Bewusstseins und die ”ästhetische Moderne”
Die ”neue Welle” der Krise
Die Metaphysik des Schreiens und der Anfang vom Ende

Zurück zum Reich des Seins
Die Ohnmacht des Denkens
Unterwegs zur postmodernen Problematisierung der Realität
Die Darstellung des Unrepräsentierbaren – die Logik
des Schweigens und die neue Struktur der Begierde

Nachwort

Bibliographie

Vorwort

Der Grund, warum der säkulare Modernisierungsprozess einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte darstellte, liegt grundsätzlich darin, dass er sich als ein neues, intellektuelles, psychologisches, wissenschaftlich-diskursives, ethisch-ästhetisches Universum der säkularen Zivilisation durchsetzte und somit einen neuen Zeitgeist mit einer völlig neuen Weltanschauung verkündete. Von diesem Zeitgeist war nicht nur die soziokulturelle, künstlerische oder wissenschaftliche Landschaft des alten aristotelisch-theologischen Zeitalters, sondern viel mehr die Welt selbst und vor allem die Art und Weise, wie die Menschen mit der Realität und mit der Welt überhaupt bis dahin umgegangen sind, betroffen. Es war die Geburt der modernen Zivilisation, die den Menschen als das Subjekt zu dem einzig gültigen Maß der Wahrheit und Freiheit machte. Das Zentrum dieses zivilisierten Universums war der Mensch als das mit Logik, Vernunft und Wille ausgestattete Subjekt/Ich, dem es erlaubt war, alle Gegebenheiten, alle Arten und Weisen des Seienden als die Enthüllung des Seins zum Objekt des Wissens/seiner Subjektivität zu machen, die Wahrheit und Wirklichkeitsbestimmung des Wirklichen (des Möglichen) zu subjektivieren, sie zu diskursivieren und zu beherrschen[1]. Die grundsätzliche Bedeutung der modern-säkularen Zivilisationsgeschichte liegt also in der geistigen Haltung, die die Welt sowie die äußeren Formen des Lebens und der Lebensweisen nach den technologisch-wissenschaftlichen und rationalen Kriterien des Subjekts mobilisieren bzw. verändern wollte, um schließlich so fortschreiten zu können.

Hier stellen sich aber einige Fragen: Was geschieht mit der Geschichte der modernen Zivilisation des Subjekts, wenn das moderne Subjekt schließlich anfangen würde, nicht nur seine Umgebung, die äußeren Formen des Lebens und der Daseinsweisen also nicht nur die Welt, sondern sich selbst im existentiellen und ontologischen Sinne zu verändern? Was für eine Bedeutung würde es für die Zivilisation haben, wenn nicht nur die Welt, sondern auch das Subjekt herausgefordert wird, und zwar so, dass das Subjekt in Frage gestellt und schließlich aufgelöst wird? Wäre es das Ende der Geschichte der modernen Zivilisation und der Beginn einer neuen postapokalyptischen Ära, in welcher die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, zwischen Geist-Körper und Technologie, Sein und Schein, Wirklichkeit und Illusion aufgelöst werden?

Wir sind heute Zeugen von solchen praktischen Entwicklungen, auf welchen aktuelle, phänomenologisch-semantische, soziokulturelle, ethisch-ästhetische, technologisch-wissenschaftliche Diskussionen über gewisse Themen wie ”Das Ende der Geschichte/Posthistorismus”, ”Posthumanismus”, ”Die Auflösung des Subjekts”, ”Das Ende der Philosophie” ”Der Wandel von einer überwiegend schriftlich-diskursiven Kultur in eine überwiegend bildlich-figurative Kultur” beruhen. Diese Themen werden zumeist im Zusammenhang mit dem Begriff ”die Postmoderne/die Postmodernität” zur Diskussion gestellt. Dabei steht der Begriff ”Postmoderne” als der Ausdruck des posthistorisch-postevolutionären und postindustriellen Zeitgeistes im Mittelpunkt solcher Diskussionen, welche sich besonders auf die soziokulturellen, techno-wissenschaftlichen, ethisch-ästhetischen und vor allem audio-visuellen und tele-kommunikativen Bereiche konzentrieren und so intensivieren. Damit möchte ich sagen, dass die Diskussion über den Begriff ”Postmoderne” keineswegs auf den rein theoretischen Überlegungen gewisser Philosophen, Theoretiker oder Kritiker basiert, sondern auf der Tatsache, dass wir uns heute von dem ethisch-ästhetischen, kulturellen, psychologischen und diskursiv-intellektuellen Universum der Moderne verabschiedet haben, und dass die Realität unserer soziokulturellen, ethisch-ästhetischen und alltäglichen Praxis selbst postmodern geworden ist.

Wie ist aber dieser postmoderne Wandel unserer soziokulturellen, ethisch-ästhetischen und technologisch-wissenschaftlichen Realität zu erklären und wie ist es dazu gekommen?

Im ersten Kapitel möchte ich, ausgehend von diesen Fragen, aufzeigen, dass der Wandel eigentlich in der alltäglichen Realität, in der praktisch-realen Welt, im Bewusstsein der ganz normalen, ordentlichen Menschen und nicht nur in den Köpfen der Künstler, Historiker, Theoretiker oder Kritiker stattfindet. So versuche ich auch im zweiten Kapitel der Arbeit ein möglichst klares Bild von den ästhetischen, ethisch-ästhetischen, epistemologisch-phänomenologischen Aspekten der geistigen Haltung der Postmoderne darzustellen, und zwar in Anlehnung an Autoren wie J.F.-Lyotard, G. Deleuze, M. Foucault, J. Derrida, P. Virilio, J. Baudrillard, welche nicht nur ethisch-ästhetische, methodologische, erkenntnistheoretische und diskursive Prinzipien der Moderne kritisieren, sondern auch in ihren unterschiedlichen Erörterungen auf die ästhetische, soziokulturelle und techno-wissenschaftliche Praxis der post-modernen Sensibilität reflektieren. Da einige dieser Theoretiker (wie z.B. J.F.- Lyotard, M. Foucault und J. Derrida) sich in ihren Kritiken an der Moderne und in ihren neuen Problemstellungen besonders auf Nietzsche, Wittgenstein, Heidegger, oder wie es bei Lyotard und Deleuze der Fall ist, sehr kritisch auf S. Freud beziehen, versuche ich auf einige Werke und Begriffe dieser Denker zurückzugreifen, und so ihre kritische Haltung gegenüber dem Prozess der Modernisierung unter bestimmten Aspekten der Postmoderne zur Diskussion zu stellen. Hierbei haben Wittgenstein und Heidegger für Theoretiker wie J. Derrida, J.F.-Lyotard und M. Foucault, welche den postmodernen Folgen der Auflösung des modernen Subjekts einen möglichst klaren Sinn zu geben versuchen, eine besondere Bedeutung. Dabei bezwecke ich, dass die Diskussion über den Begriff ”Postmoderne” durch einen geistesgeschichtlichen Hintergrund an Klarheit gewinnt und dieser nicht nur eine abgründige Verschwommenheit ausdrückt, wie es auf den ersten Blick aussieht. So hoffe ich auch, dass ein Aufzeigen des Hintergrundes der Postmoderne uns helfen wird, zugleich gewisse Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Begriffen wie Paralogien, Sprachspiele, Pluralität, Intertextualität, Grenzüberschreitung, Dekonstruktion des Undekonstruierbaren, Darstellung des Undarstellbaren (Unrepräsentierbaren) deutlicher zu sehen.[2] So versuche ich eine ästhetische Grundlage zu schaffen, auf die ich dann in den folgenden filmanalytischen Kapiteln zurückgreifen kann.

Im nächsten Kapitel der Arbeit stelle ich zuerst einige Fragen nach dem Wesen des Films und vor allem nach den praktischen Möglichkeiten der postmodernen Film-Ästhetik innerhalb der 100jährigen Geschichte des Films. Ich will also nicht nur die Filme der letzten Jahrzehnte untersuchen, die aufgrund der Tatsache, dass sie posthistorische, posthumane und postevolutionäre Entwicklungen zum Gegenstand ihrer Erzählung machen, und praktische Ungültigkeit der modernen Prinzipien demonstrieren, als postmoderne Filme betrachtet werden könnten. Es wäre vielleicht im gewissen Sinne eine akzeptable Behauptung, aber sicherlich eine leichtsinnige zugleich, welche die Bedeutung des Films für die postmoderne Ästhetik und vor allem den Beitrag des Films zur Entstehung der postmodernen Kultur außer Acht lässt. Deshalb gehe ich von der Tatsache aus, dass viele postmoderne Filme der letzten Jahre nicht nur deswegen postmodern sind, weil sie postmoderne Gegebenheiten unserer alltäglichen soziokulturellen Praxis zum Gegenstand ihrer Erzählung machen, sondern auch deswegen, weil ihre Art und Weise, wie sie die Dinge darstellen und wie sie mit den klassischen und modernen Konventionen des Films darstellerisch umgehen, wesentlich den ästhetischen Aspekten der vorwiegend figurativen, postzivilisatorischen und posthistorischen Sensibilität der postmodernen Kultur entsprechen. Diese Feststellung leitet notwendigerweise zu den Fragen über, welche auf den meine filmanalytischen Untersuchungen durchziehenden Leitgedanken sowie auf den eigentlichen Originalitätsanspruch dieser Arbeit hinweisen: Wie hat sich diese postmoderne Ästhetik im Film entwickelt? Was ist der eigentümliche Charakter des Films, bzw. des Bildes? In welchem Sinne kann man von einer postmodernen Tendenz in der Geschichte des Films reden? Stellt denn diese Tendenz eine der Wesenseigentümlichkeit des Films entsprechende oder von ihr abweichende Entwicklung dar? Wie kann sich diese Tendenz von den anderen ästhetischen Entwicklungen im Film abheben? Nach welchen ästhetischen Aspekten sollte man die Spuren dieser postmodernen Entwicklung verfolgen? Und welche anderen kulturellen und technowissenschaftlichen Entwicklungen haben bei der Entstehung der postmodernen Ästhetik im Film mitgespielt?

Ich untersuche also zuerst die Bedeutung der Geburt des Films für die Zeit, die sich selbst als post erfährt. Um die Hauptdifferenz der postmodernen Ästhetik zu kennzeichnen, stelle ich dann fest, dass die Postmodernität der Ausdruck einer grundsätzlich figurativen Sensibilität ist, und das ästhetische Bedeuten der Postmoderne hauptsächlich eine entdifferenzierte, im erkenntnistheoretisch-phänomenologischen Sinne ununterscheidbare Ordnung des figurativen Bedeutens befürwortet, während das Charakteristikum der modernen Ästhetik eine diskursive Sensibilität ist, welche eine differenzielle und diskursive Ordnung des ästhetischen Bedeutens voraussetzt. Aufgrund der Tatsache, dass die Eigentümlichkeit des Films als Bewegungs- und Zeitbilder grundsätzlich in seiner figurativen Beschaffenheit besteht, möchte ich behaupten, dass die Erfindung der Kinematographie eigentlich die Geburt einer Kunst ist, welche für die ästhetische Sensibilität der Postmoderne unter den anderen Kunstgattungen am meisten geeignet ist. Weiterhin kann man sogar behaupten, dass die Geburt des Films als die figurative Kunst der Bewegungs- und Zeitbilder ein Wendepunkt für den ästhetisch-kulturellen Wandel, ein symptomatisches Vorzeichen der zukünftigen, (also heutigen) figurativen Sensibilität der Postmoderne ist, welche sich grundsätzlich durch die Infragestellung der vertrauten Grenzen zwischen den modernen Gegensätzlichkeiten wie Subjekt und Objekt, Sein und Schein, Wirklichkeit und Illusion, Rationalität und Irrationalität, Bewusstsein und Unbewusstsein kennzeichnen lässt.

Die Tatsache, dass die wahre Kraft des Films in seiner figurativen Beschaffenheit liegt, zeigen uns die anfänglichen Werke der Geschichte des Films. Schon die ersten Werke der Geschichte des Films haben uns bewiesen, dass der Film durchaus fähig ist, nicht nur die Realität nachzuahmen, sondern sie auch, bzw. die nachgeahmte Realität zu verändern oder die alltäglichen, rational-praktischen Modalitäten unserer Wirklichkeitswahrnehmung so zu modulieren, dass man neue Dimensionen erfinden kann. Der eigentliche Grund, wieso die ersten Pioniere des Films wie Lumière, F. Zecca, Cecil Hepworth, George Méliés, Edwin S. Porter mit ihren einfachen Bildern den Zuschauer schockieren konnten, liegt also in erster Linie darin, dass sie schon am Anfang der Geschichte des Kinos gezeigt haben, dass der Film aufgrund seiner figurativen Beschaffenheit durchaus in der Lage ist, die Dinge in einer Form des Da-seins und des ”Es gibt...” darzustellen. Dies war der eigentliche Grund, warum die Zuschauer, als sie den Zug Lumières auf sich zukommen sahen, in den ersten Reihen in Deckung gingen, oder, warum die Zuschauer z.B. bei der Vorführung des Films ”Revolution in Russia” von F. Zecca die Bilder eines echten Schlachtschiffes von den Bildern der Inszenierung der Gewalt auf dem Schiff nicht unterscheiden konnten und infolgedessen tief erschüttert waren.

Im Zusammenhang mit diesen filmhistorischen Ereignissen stelle ich folgendes fest: Was das Wesen des Films in erster Linie ausmacht, ist, dass der Film im Gegensatz zur Malerei oder Fotographie, in der Lage ist, die Bilder in Bewegung zu setzen und sie zeitlich, und zwar auf beliebige Art und Weise zu modulieren. Aufgrund dieser Fähigkeit, die Bewegungsbilder zeitlich zu modulieren, ist der Film in der Lage, das Bewusstsein, bzw. die Urteilskraft des Zuschauers durch die Auflösung (Relativierung) der Grenzen zwischen Realität und Illusion, Sein und Schein, Wahrheit und Unwahrheit zu erschüttern und es auf diese Weise, mit dem postmodernen Terminus gesprochen, dem unbewussten Universum des Es gegenüberzustellen. So möchte ich behaupten, dass der Film mit dieser seinem Wesen eigentümlichen Fähigkeit schon geboren wurde, und sich mit dem Glauben an diese magische Kraft entwickelt hat. Ohne diesen Glauben würde der Film seine künstlerische Existenzberechtigung sowie seine Zukunft aufs Spiel setzen. So könnte man behaupten, dass sogar die Filme, die in den Anfängen der Geschichte des Films die natürliche Wahrnehmung nachzuahmen versuchten, die Zuschauer deswegen faszinieren konnten, weil auch sie grundsätzlich an die manipulative Macht der figurativen Eigentümlichkeit des Films glaubten. Denn sie haben durch die Nachahmung der natürlichen Wahrnehmung eine Art repräsentative Ästhetik des ”als ob”[3] zustande gebracht, welche hauptsächlich auf der Tatsache beruht, dass (die Bewegungs- und Zeit-) Bilder eine ikonische Bedeutung haben, d.h., durch Ähnlichkeit wirken und deshalb weniger verschieden sind vom Bedeuteten, bzw. den Inhalten, als linguistische Bedeutungsträger.

Nach diesen Überlegungen über das Wesen des Films als Bewegungs- und Zeitbilder stelle ich fest, dass der Film von Anfang an lange Zeit kämpfen musste, um sich gemäß seinem Charakteristikum entwickeln zu können, und so als eine unabhängige Kunst anerkannt zu werden. Denn gleich am Beginn seiner Entwicklungsgeschichte haben klassisch-realistische narrativ-repräsentative Erzählformen und –strukturen, welche hauptsächlich von der modernen realistisch-positivistischen Romanliteratur und von dem klassisch-dramatischen Theater übernommen wurden, die filmspezifische Macht der bewegten Bilder ergriffen und sie durch die verschiedenen Formen der Repräsentation und zwar im Einklang mit den grundsätzlich ethisch-ästhetischen aber auch ideologisch-politischen und wissenschaftlichen Prinzipien der Moderne auszunutzen versucht.

Ich untersuche dann diese Repräsentationsästhetik und will dabei darstellen, wie sie sich innerhalb der Geschichte des Films erzähltechnisch und inhaltlich etabliert hat und warum sie dann doch in die Krise geraten ist. Bei dieser Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der klassisch-realistischen, und narrativen Repräsentationsästhetik versuche ich besonders problematische Aspekte herauszustellen:

- Wie ist diese Repräsentationsästhetik mit dem Begriff ”Geschichte” umgegangen, und welche erzähltechnische Formen und Strukturen wurden dabei verwendet?
- Wie hat sie sich auf die Realität, die Welt und sozio-kulturelle Werte bezogen?
- Wie wurden die Zeit-Raum-Handlung - Relation, bzw. die Beziehung von Subjekt und Objekt konstruiert und die Ereignisse teleologisiert?
- Welche autoritative Rolle hat eigentlich der Filmemacher als Autor gespielt?
- Welche Funktion wurde in den klassisch-realistischen und narrativ-repräsentativen Filmen dem Zuschauer zugewiesen?
- Was für eine diskursive Funktion hat der moderne Glaube an das Subjekt und an dessen Willen zur Wahrheit (zum Wissen) und zur Macht eigentlich gespielt, indem sie die Zeit der Darstellung als symbolisch-repräsentativ rekonstruierte Zeit der Geschichtserzählung von den Funktionen und Positionen des denkenden, handelnden und erkennenden Subjekts und von den kausal und re-konstruktiv teleologisierten Ereignissen verstanden haben?
- Welche erzähltechnische Methode und ethisch-ästhetische oder psychologische (metaphysische) Prinzipien wurden in diesen Filmen verwendet, um die Innenwelt des Schauspielers als das Subjekt zu externalisieren und so die Handlung der Charaktere zu dramatisieren oder ideographisch-ideologisch zu repräsentieren?

So möchte ich, dass hauptsächlich unter diesen problematischen Aspekten meiner Untersuchung nicht nur die Entwicklungsgeschichte der Repräsentationsästhetik dargestellt, sondern auch auf die wichtigsten Ursachen ihrer ästhetischen Krise hingewiesen wird, was schließlich als dekonstruktive Spurenverfolgung der figurativ-postmodernen Tendenzen innerhalb der Geschichte des Films betrachtet werden soll. Denn die gleichen Aspekte gelten auch für die Erörterung der postmodernen Ästhetik im Film.

Die Krise der Repräsentation betrachte ich also in der Geschichte des Films als eine positive Entwicklung: Denn je mehr die Repräsentationsästhetik im Kino in die Krise geraten ist, desto eigenständiger wurden die Bilder, bzw. gewannen sie an Autonomie und sprachen viel mehr für sich selbst. Die Bilder kämpften also um ihre eigentümliche figurative Beschaffenheit, befreiten sich allmählich von den ethisch-ästhetischen Prinzipien des perspektivischen, sich rationalen Kriterien orientierenden Blicks der klassisch-realistischen und narrativen Darstellung. Neben den verschiedenen Erzählstrukturen und Darstellungsformen wie Expressionismus, Surrealismus, Neorealismus, Film Noir, welche viel wesentlicher zur Entstehung der Krise der Repräsentation beigetragen haben, gab es natürlich auch andere Entwicklungen, die eine sehr entscheidende Rolle für das Schicksal der Repräsentation und des Films überhaupt gespielt haben:

1. Die Erfindung des Fernsehers und des Videorecorders; die Entwicklung der vielfältigen, sehr komplexen nicht-repräsentativen Darstellungsformen und neue ästhetische Praktiken wie die Musik-Videoclip-Ästhetik.
2. Die Erfindung des Computers und der Animationsprogramme und dadurch entdeckte neue Darstellungsmöglichkeiten wie Cyberspace-Ästhetik und Inter-Net.
3. Weitere technologische Entwicklungen in Bezug auf die Aufnahmeausrüstung wie Kamera, Licht, Ton und Filmmaterial sowie auf die Montage.
4. Durch die neuen technologischen Entwicklungen erreichte Geschwindigkeit im Transport- und Informationswesen und deren deformativ-destruktive Auswirkung auf das Bewusstsein, das Gedächtnis, die synthetisch-konzeptuelle Vorstellungs- und Einbildungskraft sowie auf die alltäglich-normalen Formen der konventionellen, realistisch-rationalen Wahrnehmung.
5. Postevolutionäre und posthumane Entwicklungen in den techno-wissenschaftlichen und besonders biologischen Bereichen, welche das Ende des homo sapiens und die Geburt des homo technicus[4] verkünden, und so die ethisch-ontologische und metaphysische Grundlage des modernen Glaubens an das Subjekt und dessen fortschrittliche Zivilisationsgeschichte in Frage stellen.

All diese Entwicklungen, die die praktische, soziokulturelle Grundlage für ein multimediales Universum der vielfältigen, überschwänglich verschiedenen, paralogisch-polysemantischen und chaotischen Darstellungen schaffen, lassen der Repräsentation kaum eine Möglichkeit, sich als eine dominante ästhetische Praxis verwirklichen zu können. Die Tatsache, dass es in diesem multimedialen Universum der figurativen Bilder von unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen keine grundsätzliche, sondern nur die ständig durch Zeichen, Code, Simulation und verschiedene Erzähl- und Darstellungstechniken metamorphisierte, dezentrierte, modulierte und maskierte Realität gibt, macht das vollkommene, repräsentative Darstellen von Dingen und Beziehungen sowie von Ereignissen unausführbar.

Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen untersuche ich dann außer den von der klassisch-realistischen und repräsentativen Tradition des Erzählkinos abweichenden Erzählstrukturen wie Expressionismus, Surrealismus, Neorealismus oder Film Noir, auch die ästhetisch-diskursive Moderne, und zwar exemplarisch anhand der Filme von Jean-Luc Godard und stelle folgendes fest: Im Gegensatz zu den anderen Darstellungsformen ist Godard in seinen Filmen mit den Konventionen der klassisch-realistischen und narrativ-repräsentativen Ästhetik im Kino bewusster und kritischer umgegangen. Godard hat versucht, durch seine ästhetisch-diskursive Problematisierung der repräsentativen Darstellung in kritisch-intellektueller und destruktiver Art und Weise die Konventionen und Klischees des Films frei zu legen, und durch die Distanzierung des Zuschauers vom filmischen Geschehen ein kritisches, ästhetisch-diskursives Bewusstsein im Kino und vor allem beim Kinopublikum zu erzeugen. Sicherlich stellte die ästhetisch-diskursive Ästhetik Godards einen erfolgreichen Versuch dar, um die klassisch-realistischen und narrativen Modalitäten der Repräsentation durch ihre destruktiven Darstellungsformen zu terrorisieren. Dennoch musste Godard seine Hoffnung, durch sein kritisches, ästhetisch-diskursives Bewusstsein dem Überfluten der multimedialen, paralogisch-polysemantischen Bilder standhalten zu können, aufgeben. Denn selbst die destruktiven Errungenschaften seiner kritisch-diskursiven Ästhetik wurden später zusammen mit den anderen konventionellen Modalitäten des Films zum figurativen Element der postmodernen Ästhetik im Kinofilm, in Fernsehserien, Werbespots und Videoclips gemacht[5].

Mit all diesen Überlegungen möchte ich zeigen, dass die postmoderne Tendenz zum figurativen Aufbau des Kinos sich im Einklang mit der ikonischen Eigentümlichkeit des Films und unter dem Einfluss anderer technologischer und soziokultureller Entwicklungen durch die gesamte Geschichte des Films, und zwar im Widerstreit mit anderen ästhetischen Tendenzen, vor allem mit der klassisch-realistischen, teleologisch-konstruktiven, narrativ-repräsentativen und diskursiven Ästhetik der Moderne entwickelt und ihre ästhetische Hauptdifferenz ab den 70er und 80er Jahren durchgesetzt hat.

So untersuche ich im letzten Kapitel der Arbeit einige exemplarische Filme der letzten Jahrzehnte, in welchen viele ästhetische Aspekte der geistigen Haltung der Postmoderne praktiziert werden. Dabei achte ich natürlich darauf, dass jeder Film nicht jedem ästhetischen Aspekte der Postmoderne entspricht, sondern aus genrespezifischen, stilistischen oder inhaltlichen Gründen mit bestimmten Aspekten der postmodernen Ästhetik in Einklang steht. Ich versuche die exemplarisch ausgewählten Filme der 70er, 80er und 90er Jahre nicht nur in Bezug auf gewisse ästhetische, postmodern-poststrukturalistische Begriffe wie die Darstellung des Unrepräsentierbaren, die Problematisierung der Natur des Wirklichen, Dekonstruktion, paralogisch-polysemantische Pluralität, Sprachspiele/ Intertextualität, Grenzüberschreitungen, Selbstreflexivität, Simulation, die Entteleologisierung der (Geschichts-) Erzählung/Offenheit, sondern auch auf aktuelle postmoderne Diskussionsthemen wie die Auflösung des Subjekts, das Ende der Geschichte, Zivilisation, Evolution und Aufklärung, das Ende der Metasprachen, die Aufhebung der Grenzen zwischen Mensch und Maschine, Innen und Außen, Geist und Körper, Realität und Illusion, Subjekt und Objekt und die zwischen zeitlichen Unterschieden wie Vergangenheit und Gegenwart oder vorher und nachher, d.h. die Aktualisierung alles Möglichen in Medien wie im Fernsehen oder Inter-Net, in Kürze formuliert, auf die ethisch-ästhetische, soziokulturelle Realität des postmodernen Alltags hin zu untersuchen. Dadurch möchte ich, dass der Leser die film-analytischen Untersuchungen der Arbeit im Zusammenhang mit den anfänglichen theoretischen Überlegungen sehen und sie aufeinander beziehen kann.

Im letzten Kapitel der Arbeit will ich also die praktischen Möglichkeiten der postmodernen Ästhetik untersuchen und feststellen,

- wie die postklassischen und postdiskursiven Filme der letzten Jahrzehnte mit der Geschichte des Films, mit dem figurativ-selbstreflexiven, paralogisch-polysemantischen Universum multimedialer Bilder, mit der Realität sowie mit dem Zuschauer umgehen,
- für welche Realität die figurativ-selbstreflexiven Bilder der postmodernen Filme plädieren, wenn sie weder repräsentativ noch ästhetisch-diskursiv sind,
- welche ästhetischen, ethisch-diskursiven Möglichkeiten für den Zuschauer bestehen, mit den Bildern umzugehen, die zwischen den film- und genrespezifischen Konventionen und den anderen audio-visuellen Realitäten des multimedialen Universums der Bilder eine sehr ironisch-parodistische, effektiv-affektive und exzessiv-intertextuelle Medienreflexivität betreiben.

Mit den Untersuchungen postmoderner Filme will ich bei dem Leser keine nostalgischen Gefühle für die konventionellen Filme vergangener Generationen erwecken. Ich will nicht einmal darauf hindeuten, dass die Postmodernität der Filme der letzten Jahrzehnte als die negative Folge eines beklagenswerten Verlusts der ästhetischen und ethisch-diskursiven Werte der Moderne betrachtet und deshalb verurteilt werden soll. Das heißt aber nicht, dass ich beim Leser durch meine Erörterungen über die Themen wie ”Abschied von Geschichte, Evolution und Aufklärung”, ”das Ende der Philosophie”, ”die Auflösung des Subjekts”, ”das Ende der Metasprachen” die Begeisterung für die postmoderne Ästhetik der techno-visuellen Ära des digitalen Über-Menschen hervorrufen möchte. Ich nehme eher die ganze praktische Entwicklung der poststrukturalistisch-postmodernen Ästhetik im Film als Faktum an und versuche ästhetische, ethische und soziokulturelle Folgen dieser Entwicklung zur Diskussion zu stellen.

Im Brennpunkt meiner Diskussion über die poststrukturalistisch-postmodernen Filme versuche ich den Leser darauf aufmerksam zu machen, dass diese in einem posthistorischen Zeitalter, indem die Technologie immer mehr die Funktionen des homo sapiens übernimmt und das moderne Subjekt durch die Verschmelzung des Körpers mit den bio-technologischen Organismen und mitten in einer Geräte-Matrix der Bild- und Informationsmechanismen zu einem Techno-Körper (Cyborg) in einer Techno-Landschaft gemacht wird, zumindest dazu etwas beitragen wollen, dass man die Dinge nicht immer so annehmen soll, wie sie dargeboten werden, sondern, dass man den Sinn für das Unerkennbare, das Unbekannte, das Unberechenbare und das Undarstellbare haben soll. Das wollen diese Filme erreichen,

- indem sie nicht mehr der diskursiv-repräsentativen Ordnung der Lust und Begierde (den Prinzipien der Subjektivität, des Bewusstseins und dessen sekundären Ordnungen), sondern viel mehr der nicht-diskursiven, anarchisch-chaotischen (Un)Ordnung der Lust und Begierde (den Prinzipien des Unbewussten, den Primärprozessen des Es) folgen, beziehungsweise das Schauspiel, die effektiv-affektiven und figurativen Bilder, nicht die Erzählung oder die repräsentativ-diskursive Bedeutung des Dargestellten in den Vordergrund rücken,
- indem sie auf den repräsentativ-diskursiven, psychologisch-dramatischen Prozess der Charakter-Entwicklung, auf die teleologisch-konstruktive Erzählordnung der Dinge verzichten und stattdessen die Aufmerksamkeit des Zuschauers durch hyperrealistische, fraktal-fokale und affektive Präsentationen von Dingen und Ereignissen auf den Ausbruch der Darstellung übereinander geschichteter Wirklichkeitsebenen an der Oberfläche der Bilder (Leinwand) lenken,
- indem sie durch die Nebeneinanderdarstellung und Übereinanderlagerung des Speziellen und des Allgemeinen, des Subjektiven und des Objektiven, des Bestimmten und des Universellen, des Innerlichen und des Äußerlichen die Pluralität der Formen und Antworten erzeugen, die den Zugang zur Hermeneutik versperren, um die Bewusstseinsgrenzen des Zuschauers herausfordern zu können, und schließlich um die Realität zwischen den Wahrnehmungsebenen zum Wechselspiel zu machen.

In diesem Zusammenhang kann man sagen, dass die poststrukturalistisch-postmodernen Filme der letzten Jahrzehnte die intensiven Momente der affektiven und effektvollen Bilder als hyperreale, simulierte und digitalisierte Normalitäten favorisieren, welche halluzinatorische Züge tragen und die scheinbar vertrauten Dinge überraschend zu einem Netz paralogisch-dekonstruktiver Beziehungen verknüpfen, das aus der rational-diskursiven Sicht der Moderne schlicht irrational erscheint: Mit anderen Worten, in diesem Filmen tritt das ethisch-ästhetische, diskursive Denken nicht selbstherrlich taxierend, abschätzend, urteilend auf, um über die Dinge zu verfügen, sondern stellt seine eigenen ethisch-moralischen und diskursiven Maßstäbe und Interessen zurück, um die unrepräsentierbare, problematische Natur (das eigentliche Sein) der Dinge zur Geltung kommen zu lassen. Sie setzen durch ihre postmodern-figurative und paralogisch-dekonstruktive Kombinatorik die Worte, Rahmen, Figuren, Pastiche-Elemente, die neuen Darstellungsformen, die hyperrealistischen Deutlichkeiten und amorphen Klumpen sowie die multimedialen Requisiten derart zueinander in Beziehung, dass die unrepräsentierbare Natur der Dinge und der Ereignisse evoziert wird. Durch derartige Kombinatorik wollen diese Filme unsere semantischen Konventionen, repräsentativ-symbolischen und diskursiven Zeichensysteme und unser rational-diskursives, empirisches Wissen negieren. Sie versuchen also die Dinge aus den Klauen der methodologisch-diskursiven Vernunft zu befreien und suchen nach neuen Darstellungsmöglichkeiten, die es erlauben würden, zum Reich des Seins (des Ereignisses) zurückzukehren und zum Sinn der Dinge selbst vorzustoßen.

So scheinen die postmodern-figurativen Filme der letzten Jahre also durch ihre Problematisierung des Wirklichen und ihre paralogisch-polysemantische und dekonstruktive Darstellung von Nicht-Vorführbarkeiten uns zeigen zu wollen, dass die Welt nicht in einem rational-diskursiven Sinn zu ordnen ist und, dass das Bewusstsein mit dem Gewussten, die Darstellung mit dem Dargestellten, die Erzählung mit dem Erzählten und das Denken (Cogito) mit dem Gedachten und sich vorgestellten Sein (der Dinge, der Welt) nie völlig übereinstimmen können.

Der Prozess der Modernisierung und seine Folgen

Der moderne Diskurs und seine wissenschaftlich-gesellschaftliche Praxis

Die Krise bedeutet meistens das Ende eines kulturellen Prozesses, beziehungsweise den Anfang vom Ende. Mit anderen Worten, die Krise ist eine Zwischen-Phase, die die aufgrund eines Anfangs vom Ende entstandene Ungewissheit ausdrückt.

Der Begriff “Postmoderne” scheint auf den ersten Blick ebenso auf ein Moment der Krise hinzudeuten. Wenn man den Begriff “Postmoderne” betrachtet, dann verbindet man damit ein bestimmtes Konzept der Moderne, das sowohl für den so genannten Aufstieg als auch für den Verfall (Krise) der Moderne verantwortlich ist. Obwohl der Begriff “Postmoderne” in seiner Konstruktion nur in Bezug auf die Moderne einen Sinn zu haben scheint, deutet die Vorsilbe “post-“ nicht auf die Spät- oder Nachmoderne hin, sondern auf einen Wandel vom Ende der Moderne (als Periodisierung der Geistesgeschichte, bzw. Zeitgeschichte vermittelst der Paradigmen vom Fortschritt der Vernunft und der Freiheit im Diskurs der Aufklärung) zur Unbestimmtheit, der post-modernen Nach-Periodisierung.

Die Vorsilbe “post-“ deutet darauf hin, dass wir über die Moderne hinausgegangen sind; und zwar nicht nur aufgrund der entscheidenden Bedeutung der neuen Technologie, sondern auch, weil wir uns von der Ästhetik, dem intellektuellen und psychologischen Universum der modernen Periode distanziert haben. Ich würde sogar argumentieren, dass die Ursachen, die die Krise der Moderne veranlasst haben, im Prozess der Modernisierung zu suchen sind.

Eine Studie über diesen Prozess würde uns zeigen, dass

1) die gleichen Prinzipien, auf denen das Projekt der Moderne basierte, den Prozess der Modernisierung zu seinem eigenen Ende (Tod, bzw. Selbstmord) geführt haben
2) die Postmoderne, bzw. Postmodernität keineswegs eine Erfindung von Kunsttheoretikern, Künstlern und Philosophen ist, vielmehr unsere Realität und Lebenswelt “postmodern” geworden ist.

Heute stellen wir fest, dass es im Prozess der Modernisierung dem an die Stelle Gottes getretenen, säkularen Subjekt gelungen ist, unzählige Erkenntnisse in den verschiedenen Wissensgebieten, und zwar in professioneller und technisch perfekter Art und Weise zu konstruieren, jedoch ohne dabei eine Ethik begründet zu haben. Der säkulare Humanismus der Moderne ging davon aus, dass das Leben nicht Gott, sondern uns selbst gehört, dergestalt, dass wir sogar das Recht auf Selbstmord haben. Das Subjekt wurde in diesem Prozess zum Zentrum des Universums ohne Ethik, d.h., ohne zu wissen, wie es sich richtig im ethischen Sinne verhalten sollte. Das ist die eigentliche Absurdität und selbstmörderische Haltung der Moderne, die sich selbst von Anfang an zum Scheitern verurteilte. Denn wenn man das Subjekt als absolutes Maß für seine eigenen Taten gelten lässt, dann ist es fast unmöglich, die Probleme, die sich im Hinblick auf Mord und Menschenrechte ergeben, zu lösen. Weder die Sprache, noch die Logik oder gar die Wissenschaft würden es in diesem Fall dem Subjekt ermöglichen, eine allgemeingültige Ethik zu konstruieren, oder festzulegen, was “gut” ist. Demzufolge ist der Mensch sein eigener Richter ohne irgendein Gesetzbuch. Die Zunahme an Diskursgenres, die jeweils ihre spezifische Rechtschaffenheit verlangen, ist der Beweis dafür, dass es keine Gerechtigkeit im Sinne einer universellen Gesetzgebung mehr gibt, die erlauben würde, zu entscheiden, was man zu tun und was man zu lassen hat.

Die polysemantisch-paralogische Haltung der Postmoderne intensiviert das Gefühl, dass die Ethik nicht zu umgehen ist; und zwar gerade dann, wenn man trotz nicht vorgegebener Regeln ein Urteil fällen muss. Das zeigt uns auch die Grundhaltung der Postmoderne, die sich von der paradigmatisch-konstruktivistischen Haltung des modernen Diskurses unterscheidet. Der postmoderne Künstler glaubt, so möchte ich darüber hinaus argumentieren, dass er innerhalb der Codes arbeiten sollte, die die kulturelle Landschaft definieren, während der moderne Künstler glaubt, dass ideologische und kulturelle Codes zu Gunsten eines Diskurses (Meta-Sprache) transzendiert werden können.

In diesem ersten Kapitel werde ich untersuchen, wie die Moderne entstanden und dann aus denselben Gründen in die Krise geraten ist. Damit möchte ich zeigen, dass die Frage nach der Postmodernität in erster Linie mit der Frage nach der Modernität zusammenhängt, d.h., um zu wissen, was die Postmoderne ist, brauchen wir ein klares Bild der Moderne, von dem wir ausgehen können. Es soll dargestellt werden, wie der moderne Diskurs des Subjekts allmählich zur Aufspaltung und dann Auflösung desselben Subjekts führte, was dann die Postmoderne als Faktum angenommen und zur Grundlage ihrer Ästhetik gemacht hat. Deshalb halte ich es für wichtig, zu wissen, was überhaupt unter dem Prozess der Modernisierung zu verstehen ist.

Weil dieser Modernisierungsprozess in der Ära von Renaissance und Reformation verwurzelt war, und von den wissenschaftlichen Entwicklungen im 17. Jahrhundert begleitet wurde, soll zunächst versucht werden, die Geburt der Moderne am Beispiel der Galileischen Forschungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und seiner säkularen Haltung gegenüber der Kirche zusammenzufassen. So werde ich diesen Prozess nicht nur in seinem allgemeinen theoretischen Umfang beschreiben, sondern auch am Beispiel von Galileischen Revolutionen und der daraus hervorgegangenen Entwicklung konkretisieren. Denn Galilei Galileo (1564-1642) war kein Mathematiker, Physiker oder Astronom wie jeder andere. Und sicherlich war es auch nicht seine größte Entdeckung, bzw., Wiederentdeckung, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Seine wahren Entdeckungen waren diejenigen, die ihn nicht nur zum Schöpfer einer neuen Ära, sondern mehr noch zum Mythos des modernen Diskurses machten.

Der “Ausbruch” eines unendlichen Universums

Man weiß, dass es der Renaissance an einer grundsätzlich nach wissenschaftlichen Normen geprägten Alternative, bzw. einem durch bestimmte Klassifikationskriterien beherrschten System fehlte, das man an Stelle dessen hätte setzen können, was sie in Zweifel zu ziehen begann: nämlich die aristotelisch-theologische Metaphysik, besonders die Ontologie und letztlich auch die Physik.

Während der Zeit der Renaissance spielte die Astrologie eine sehr viel größere Rolle als die Astronomie. Selbst Wunder wurden aus natürlichen Wirkungen erklärt, und folglich hielt man alles für möglich und natürlich. Dazu sagt Koyré:

“Solche magische Naturalisierung des Wunderbaren machte den so genannten Naturalismus der Renaissance aus.”[6]

Es ist zuerst Galilei und der neuzeitlichen Naturwissenschaft gelungen, diesen Versuch der Renaissance den wissenschaftlichen Kriterien gemäß zu reinigen, beziehungsweise ein alternatives wissenschaftliches System zu konstruieren, zu dem die Renaissance nicht imstande war.

Für Aristoteles stellte die Physik, im Verhältnis zur Metaphysik, noch eine sekundäre Disziplin dar. Aristoteles legte der Physik metaphysische Kriterien zugrunde. Infolgedessen betrachtete Aristoteles die Physik nur als eine Anwendung von der Natur überlegenen Gesetzen im Bereich des Natürlichen. Aristotelisch-theologischen Auffassungen nach stellte das klassisch-mittelalterliche Weltbild den Kosmos als abgeschlossenes, einheitliches Ganzes dar. Dieses Ganze war qualitativ bestimmt und hierarchisch gegliedert und seine Bestandteile waren entsprechend ihrer irdischen und himmlischen Natur zu untersuchen, bzw. unterschiedlichen Gesetzen folgend. Wie z.B.: die schweren Dinge fallen, die leichten steigen, irdische bewegen sich geradlinig, himmlische im Kreise.

Der Körper, die Zeit, der Raum und die Bewegung stellten der aristotelischen Auffassung nach Kontinuitäten dar und waren bis ins Unendliche teilbar.

Mit Galileis “Discorsi” wurde dieser Kosmos von einem Universum abgelöst, das als offene, unbegrenzte, ausgedehnte Gesamtheit existierte, und nach fundamentalen Gesetzen, die überall gelten, konstruiert ist. Ein Universum, in dem alle Dinge auf derselben Seinsebene stehen, ganz im Gegensatz zur traditionellen Vorstellung mit ihrer Unterscheidung und im Gegensatz der zwei Welten von Himmel und Erde. Hier gelangte man vom Kontinuierlichen zum Diskontinuierlichen, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, von Qualitäten zu Quantitäten etc.

M. Foucault zufolge ist der wahre Skandal von Galileis Werk die Konstituierung eines unendlichen und unendlich offenen Raumes:

Dergestalt, dass sich die Ortschaft des Mittelalters gewissermaßen aufgelöst fand: der Ort einer Sache war nur mehr ein Punkt in ihrer Bewegung, so wie die Ruhe einer Sache nur mehr ihre unendlich verlangsamte Bewegung war. Anders gesagt: seit Galilei, seit dem 17. Jahrhundert setzt sich die Ausdehnung an die Stelle der Ordnung.[7]

Säkularisierungsprozess und der moderne Diskurs des Subjekts

Unter diesen neuen Aspekten hat man angefangen, alles auf menschliche Dimensionen zu reduzieren und aristotelisch-metaphysische Kriterien nicht mehr gelten zu lassen. So versuchten Galilei und neuzeitliche Wissenschaftler wie Newton sich von der aristotelisch-theologischen Physik und Ontologie zu distanzieren. Das bedeutete allerdings die Geburt der Art von modernem Diskurs, der die Enteignung des Ichs durch Gott nicht länger anerkennt, sondern die Anstrengung des Ichs darstellt, alle Gegebenheiten zu beherrschen, sich selbst einbegriffen.[8]

Das war der Anfang eines Prozesses, in dem die cartesianische Denkweise, die neuzeitliche Epoche und die Aufklärung ihre Basis haben. Seither sehen wir an der Stelle des theologischen den rationellen Diskurs und große Meta-Erzählungen als Repräsentanten des Logos eintreten. Dies alles bedeutet nicht nur die Eröffnung des hierarchisch gegliederten Kosmos zu einem unendlichen Universum, sondern viel mehr die des Denkvermögens und Willen des Subjekts zur Unendlichkeit.

Denn Galileis Beiträge zum modernen wissenschaftlichen Diskurs waren nicht nur seine Entdeckungen, sondern ebenso die Art und Weise beziehungsweise konzeptuell-platonische Methode, durch die er so genannte wissenschaftliche Errungenschaften erzielt hat: der Glaube an das Konzept, welches zuerst mit der Erfahrung im Konflikt steht, dann durch funktionale Operation der Vernunft beziehungsweise kritisch und analytisch geführte Experimente bestätigt wird. In erster Linie glaubte er aber als ein Rationalist an die Realität, die durch den Gedanken konstruiert wird:

Was der Papst Galileo anwies, war richtig mittelalterlich: “Ergebe Dich dem, was unergründlich ist, spekuliere wie Du willst, aber glaube nicht, dass wir wirklich wissen können.[9]

Als der Papst sich in Wut gegen ihn erhob, war es sicher nicht aus dem Grund, dass er experimentelle Entdeckungen gemacht hat. Solche Entdeckungen mochte er sehr. Es war viel mehr, weil er (Galilei) über den Stolz des Intellekts spottete, welcher glaubt, eine wahre Ordnung deduktiver Art und Weise begründen zu können. (...) (Kurz vor dem Beginn des Galilei-Prozesses sagte ein Botschafter aus Florentine dem Papst):

„Da Gott die Welt in unendlich verschiedener Art und Weise hätte schaffen können, könnte es nicht geleugnet werden, dass das, was Galilei entdeckt zu haben glaubte, eine von diesen unendlichen Möglichkeiten sein könnte.”

Daraufhin sagte der Papst schreiend:

“Wir dürfen dem allmächtigen Gott keine Notwendigkeit auferlegen, verstehst Du?”

Notwendigkeit ist allerdings das fatale Wort, das unsere Wissenschaft kennzeichnet. Wo es eine mathematische Deduktion der Realität gibt, ist die Notwendigkeit (und Gewissheit) dass es nicht anders sein könnte. Das ist eigentlich, was Galilei in seinem “Dialoge” mächtig und gefährlicherweise behauptet, in dem er sagt: “Wenn der Verstand irgendeine notwendige Proposition folgert, nimmt er sie wahr, genauso wie Gott selber sie wahrnimmt. Das ist” sagt er, “ eine völlige Übereinstimmung, Identität zwischen dem Verstand des Menschen und dem Gottes.”[10]

Demzufolge möchte ich hier betonen, dass vielleicht die erste - im postmodernen Sinne wissenschaftliche Meta-Erzählung gerade Galileo Galilei formulierte. Denn er behauptete, dass nicht die ganze Welt in den Büchern des Aristoteles geschrieben stehe, denn die sei gleich einem Buch, das man durch die Erfahrung erschließen und in der Sprache der Mathematik entziffern müsse.

Schließlich behauptete Galileo Galilei, dass die Wissenschaftler und besonders er selbst imstande seien, eine naturwissenschaftliche Sprache zu entwickeln, die Natur durch mathematisch geplante Experimente zu befragen und das große Buch der Natur zu lesen, welches “ in geometrischen Zeichen” geschrieben ist.[11]

Dies alles zeigt uns allerdings das entscheidende Merkmal des modernen wissenschaftlichen Diskurses, der seit Galilei bis auf den heutigen Tage gültig blieb, und heute allmählich die empirischen Möglichkeiten seiner geistigen Haltung verliert:

Im Hinblick auf die neuzeitliche Geschichte der Physik bleibt es sinnvoll, eben diesen Unterschied zwischen einer sich ausschließlich auf ihre apriorischen Grundlagen beschränkten Physik (Protophysik) und einer um einen durch Erfahrung kontrollierten Teil erweiterten Physik ( Protophysik & empirische Physik) gerade mit dem Auftreten des Experiments als eines Beweis- (oder Begründungs-) Mittels in Verbindung zu bringen. Der methodische Einsatz des Experiments und die in ihm zum Ausdruck kommende Einsicht in den für eine Wissenschaft wie die Physik so überaus fruchtbaren Zusammenhang von Vernunft und Erfahrung sind der gesamten Vor-galiläischen Physik unbekannt geblieben.[12]

Beschleunigung des Erlangungsprozesses unserer Kenntnisse und die Technologie

Ich habe argumentiert, dass der wahre Beitrag Galileis und der neuzeitlichen Wissenschaftler eine neue Methode und geistige Haltung war, die Erlangung unserer Kenntnisse in gewisser Art und Weise ermöglichte:

Dort wo von einer charakteristischen Verschiedenheit griechischen und neuzeitlichen Denkens die Rede ist, wird zumeist etwa folgendermaßen argumentiert: Das griechische Denken hat die einzigartige Stellung des Erkennenden zum Erkannten (dem Gegenstand der Erkenntnis) noch nicht entdeckt, in aller Unschuld glaubt es sich beständig geleitet von einer unverrückbaren Ordnung der Dinge, die ihrerseits in der Ordnung des Denkens ihre unproblematische Entsprechung findet. Eine solche Entsprechung wird dagegen problematisch im neuzeitlichen Denken. Ordnung der Dinge und Ordnung des Denkens fallen jetzt auseinander, bis nur noch die Ordnung des Denkens übrig bleibt, die sich die Dinge als ihren unverstandenen Rest zur beliebigen Verfügung hält. Mit anderen (ebenfalls geläufigen) Worten: Während griechisches Denken ausgezeichnet ist durch sein Vertrauen in die Verlässlichkeit des Seienden, findet neuzeitliches Denken sein Vertrauen allein noch in der Verlässlichkeit der Vernunft.[13]

Die zuerst mit Galilei, der Neuzeit und Aufklärung entstandene Dichotomie von Objekt und Subjekt ist allerdings zum Charakteristikum des modernen Diskurses geworden, der außerdem Gegensätzlichkeiten zwischen Kultur und Natur, dem Kulturellen und Bürgerlichen bzw. Alltäglichen, Mann und Frau und schließlich zwischen den Autorenherrschaften und ihren Lesern/Zuschauern, Realität und Illusion, Wahrheit und Falschheit usw. voraussetzte.

Wozu diente eigentlich solch eine Art von Diskurs als eine gewaltige Ausschließungsmaschinerie?[14] Foucault behauptet,

Man muss den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun, jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen.[15]

Ist hier die Rede von einer gewissen Ausbeutung des Objekts durch das Subjekt, was eigentlich das Objekt zur Rache berechtigt?[16]

Es versteht sich von selbst, dass diese Gegensätzlichkeit zwischen Subjekt und Objekt einen gewissen Abstand voraussetzt, der das Handeln des Subjektes gegenüber dem passiven, gleichgültigen Objekt ermöglicht, dergestalt, dass das Subjekt sich dadurch als überlegen bewährt.

So werden die Kenntnisse durch die Abstraktion des autonomen Subjekts vom im Abstand stehenden, beziehungsweise differenzierten Objekt erworben. So findet der für den modernen Diskurs charakteristische Ausdruck “Wille zur Wahrheit” durch und mit diesem Abstand seinen wahren Sinn. Das Subjekt/Vernunft wird zum archimedischen Punkt des modernen Diskurses, welcher uns ermöglichen könnte, das Ganze und alles zu erfassen.

Nach der Verbannung Gottes aus den Köpfen der Menschen wurde versucht, das entstandene Vakuum durch den Begriff Subjekt zu erfüllen, den Abstand zwischen Gott und den Menschen ( Welt) durch den repräsentativen Abstand zwischen dem Subjekt und dem Objekt zu ersetzen, nämlich durch den repräsentativen Diskurs eines logisch-analytisch denkenden Ichs und dessen Willen, statt der Religion. Lyortard zufolge neigte der Wille schon bei Descartes dazu, ein unendliches Vermögen zu sein. Im Besonderen aber in der Hegelschen Dialektik wird das Vermögen der Vernunft, das auch das Leben ist, dann im absoluten Sinne unendlich:

Die Natur ist hier nicht mehr schenkend und leitend, sie ist auszubeuten. Die Vernunft ist aber nicht mehr Konstitution eines verbindlichen Denkens, sondern sie löst ihre Axiome auf und schafft sich neue – je nachdem, welche Ergebnisse sie erhalten hat und erhalten will; die Wirklichkeit ist für sie nur der Anlass einer unaufhörlichen Umarbeitung.[17]

Ich möchte aber behaupten, dass so ein unstillbarer Appetit nach Erkenntnis schon bei Galilei zu finden ist. Das lässt sich insbesondere verdeutlichen, wenn man den jahrhundertelang Galilei zugeschriebenen Ausspruch genauer analysiert.[18]

Wer naturwissenschaftliche Fragen ohne Hilfe der Mathematik lösen will, unternimmt Undurchführbares. Man muss messen, was messbar ist und messbar machen, was es nicht ist.[19]

Obwohl nicht nachzuweisen ist, dass Galileo Galilei diesen Satz ausgesprochen oder irgendwo geschrieben hat, spiegelt jedoch dieses “Zuschreiben” jenes Ausspruchs Galileis eine geistige Grundhaltung wider, die alles, was möglich ist, für notwendig und alles, was früher verboten war, für erlaubt hält, um Erkenntnisse erlangen zu können. Und da, wo ein gewisser Abstand zwischen dem Subjekt und Objekt, zwischen unserer Kultur und der Natur ist, übernimmt die Technik, im weitesten Sinne die Technologie die Rolle, die einerseits diese Kluft überbrückt, auf der anderen Seite aber die Autonomie des Subjekts bewahrend, sie im qualitativen Sinne vertieft. Die Technologie wird dann zu einer dritten Natur des Artefakts zwischen dem Menschen und der wirklichen Natur, um den Prozess des Erlangens von Erkenntnissen zu beschleunigen.

Hier finden wir zwei entscheidende Neuerungen Galileis, die bis auf den heutigen Tag als entscheidende Merkmale des modernen wissenschaftlichen Diskurses gelten müssen: Die Mathematisierung (mathesis) der Natur und die Geometrisierung des Raums und der Bewegung, die die hierarchische Synthesis der Antike und des Mittelalters auflösen sollten. Schließlich ist es dadurch möglich geworden:

a) Einen Körper von seiner gesamten physischen Umgebung zu isolieren;
b) Eine neue Vorstellung des Raumes zu schaffen, die ihn mit dem homogenen, unendlich ausgedehnten Kontinuum der euklidischen Geometrie gleichsetzt;
c) Und eine neue Vorstellung von Bewegung und Ruhe zu schaffen, die diese als Zustände betrachtet, und auf derselben ontologischen Seinsebene ansiedelt, im Gegensatz zu den aristotelischen Vorstellungen.

Außerdem folgerte Galileo Galilei aus der Geometrisierung der Bewegung und des Raumes:

a) Die Unendlichkeit der geradlinigen Bewegung;
b) Den Ruhezustand einer Sache als ihre unendlich verlangsamte Bewegung;
c) Das Trägheitsgesetz, das besagt, dass ein Körper die ihm innewohnende Geschwindigkeit oder Ruhe nicht ohne äußeren Einflüsse ändert;
d) Und letztlich das Grundprinzip der Mechanik, dass keine Maschine Kräfte zu erzeugen oder zu vervielfältigen imstande sei, sondern die Maschinen nur Kräfte transformieren können.[20]

Besonders Galileis Mechanik und deren Grundprinzip, dass die Maschinen nicht Kräfte erzeugen, sondern sie transformieren, zeigt uns Galilei als Techniker und die Technik als Erweiterung des physischen Körpers, dessen Haut die Grenze des Selbst war, was heute nach dem Eindringen der Technologie in den Körper nicht mehr gilt.[21]

Durch die Maschine (Technologie) als Erweiterung des Körpers und der Fähigkeit des Geistes stattete man den Menschen mit dem Potential aus, individuell oder national in seiner Entwicklung fortschreiten zu können. Dieses Fortschreiten betrifft den Begriff “Bewegung”, “Raum” und “Zeit”, im besonderen den Begriff “Substanz” und “Akzidenz”, besonders, wenn man fragt: Was hat sich durch diese Prinzipien grundsätzlich geändert? Was bedeutet eigentlich die mit Hilfe dieser Prinzipien erreichte Geschwindigkeit zuerst im technischen Bereich, dann im gesellschaftlichen, kulturellen und künstlerischen?

In der klassischen aristotelischen Philosophie ist die Substanz notwendig, das Akzidenz relativ zufällig. Dies fängt an, sich mit und nach Galilei umzukehren: Das Akzidenz wird notwendig, die Substanz relativ und zufällig. Im Trägheitsprinzip und besonders in der Mechanik Galileis wird Geschwindigkeit technisch und mit modernen Worten ausgedrückt, nun mehr eine Form von Energieübertragung; Akzidenz von Übertragungen. Paul Virilio zufolge ließe sich das in zwei Worten zusammenfassen:

Bewegungs-Stabilität” und “Bewegungs-Bewegung”. Stabilität: Ich bewege mich nicht, ich stehe still. Bewegung: ich setze mich in Gang – Ich beschleunige: Bewegungs-Bewegung. Beim Übergang von “Bewegung” zu “Bewegungs-Bewegung” wird Energie übertragen, was man auch “Übertragungsakzidenz” nennt.[22]

Wir wissen, dass die technische Entwicklung sich bis zur Erfindung der Dampfmaschine und Lokomotive mit diesen Prinzipien auseinandersetzen musste. Und wir erinnern uns daran, dass erste Maschinen-Ausstellungen am Ende des 19. Jahrhundert stattfanden. Besonders durch das Prinzip der Transformation der Kräfte hatte man die Maschinen weiterentwickeln können, die noch mehr Beschleunigung in unser gesellschaftliches, kulturelles, wissenschaftliches Leben gebracht haben, bis hin zur Computer-Technologie.

Nun möchte ich auf Galileis Art und Weise der Anwendung der Technologie eingehen, die dem methodischen Einsatz des Experiments mit Hilfe der technischen Ausrüstung in den modernen Wissenschaften zu Grunde liegt: Das, was nicht durch Sinneswahrnehmung begründbar ist, durch die Reduzierung der Realität auf das Mathematische und exakte Konstruktion dessen, was in der Natur unmöglich zu sein scheint, zu beweisen. Damit meine ich Galileis bekanntes Experiment von Pisa, von dem die Biographen Galileis und darüber hinaus die Wissenschaftshistoriker jahrhundertelang erzählt haben, so dass Galileis Name heute fest mit dem Bild des schiefen Turms verbunden ist. Bei all diesen Berichten ging es um folgendes: Dieses Experiment sei ein Wendepunkt in der Geschichte des wissenschaftlichen Denkens, die endgültige Widerlegung der aristotelischen Physik, die zugleich die Entstehung einer neuen Dynamik darstellen sollten.[23] All diese Berichte rühren von dem Text Vincenzo Vivianis her:

So unter anderem die, worin bewegte Körper gleichen Stoffes, jedoch ungleichen Gewichts, die das gleiche Medium durchquerten, Geschwindigkeiten hätten, welche keineswegs proportional zu ihrer Schwere wären, wie Aristoteles behauptet hatte; sondern dass sich diese alle mit gleicher Geschwindigkeit bewegten. Was er durch wiederholte Experimente demonstrierte, ausgeführt aus der Höhe der Pisaer Glockenturms, in Gegenwart aller anderen Professoren sowie der gesamten Universität. (Auch zeigte er) ... dass ebenso wenig die Geschwindigkeit eines einzelnen bewegten Körpers, der fallend verschiedene Medien durchquert, umgekehrt proportional zur Dichte dieser Medien seien; dies folgerte er ausgehend von offensichtlich absurden und der sinnlichen Erfahrung widersprechenden Konklusionen.[24]

Es hat sich aber vor kurzem herausgestellt, dass die Experimente von Pisa von diesen Biographen und Wissenschaftshistorikern frei erfunden waren, beziehungsweise nicht nur die Experimente von Pisa, sondern dass dadurch auch Galileo Galilei selbst als Techniker zum Mythos des modernen wissenschaftlichen Diskurses gemacht worden ist; was wirklich geschah, und wie er wirklich zu dem Satz gelangte, der besagt, dass der Fallweg proportional dem Quadrat der Fallzeit und die Fallgeschwindigkeit proportional der Fallzeit selbst ist, ließ sich folgendermaßen aufklären: Offenkundig ist, dass er, um diesen Satz nachweisen zu können, ein Mess-Gerät brauchte, um proportionale Verhältnisse zwischen Fallzeit und Fallgeschwindigkeit feststellen zu können, was von den Türmen nicht zu schaffen ist, weil die Fallbewegung hier viel zu schnell ist, um Gewünschtes erkennen zu lassen.[25] All dieser Gegebenheiten bewusst, gelang es ihm, dieses so genannte Fallgesetz durch eine technische Konstruktion durchzuführen, wobei er, wie man heute weiß, als Messgerät ein Pendel verwendet hat:

So konstruiert Galilei zu diesem Zweck eine Fallrinne. Mit ihrer Hilfe wird bei nunmehr variierbaren besonderen Anfangsbedingungen je nach Neigung der Rinne, die Fallbewegung künstlich verzögert, da die bewegende Kraft jetzt nur noch mit einem Teil ihrer Größe auf den “fallenden” Körper einwirken kann. Dabei zeigt sich, dass dieser (technische)[26] Eingriff in die Fallbewegung an der gesetzmäßigen Beziehung zwischen Weg, Zeit und Geschwindigkeit nichts ändert und diese Versuche für empirische Fallbewegungen bestätigen, was das zunächst aufgestellte Fallgesetz über eine “ideale” Bewegung, nämlich die gleichförmig beschleunigte Bewegung, sagt.[27]

Nach diesen Überlegungen möchte ich feststellen, dass der moderne Diskurs, auf den die Postmoderne in dekonstruktiver Art und Weise eingeht, durch folgende 3 Punkte bestimmt ist:

- Kritik, die als Rationalität des Erkennbaren, Klassifizierung und Kategorisierung der Wissensgebiete, unendliche Umarbeitung des Wirklichen unter dem repräsentativen Schirm der Logik fungiert.
- Positivismus, der als Formalisierung oder Mathematisierung der Natur des Realen als Experimentieren durch technische Konstruktionen und künstlichen Ordnungsraum fungiert.
- Und die Metaphysik des Objekts, die als Reduzierung des möglichen Wissens auf eine Repräsentation des Subjekts und dessen Willen oder auf manche Begriffe (Konzepte) wie Fortschritt, Entwicklung, Emanzipation usw. fungiert und die Enthüllung der Erkenntnis auf der Ebene des transzendentalen Subjekts befürwortet, die sich, ausgehend von der objektiven Realität und deren kritischer, experimenteller und technischer Konstruktion, entwickelt.

Diese drei Punkte scheinen besonders notwendig zu sein, um das Universalitätsstreben des Subjekts und dessen repräsentative Diskurse durch die Verallgemeinerung des Wissens durchführen zu können.[28]

Wesenszug des modernen Diskurses: Ausdifferenzierung

Mit Galilei begann auch der große Differenzierungsprozess der Naturwissenschaften, der den Wesenszug der Früh-Moderne prägte: Die Chemie löste sich von der Physik als selbständiges Fach ab. Kaum hatte die Geographie sich als eigene Wissenschaft herausgegliedert, musste sie die Geologie und diese ihrerseits die Mineralogie und Paläontologie als eigenständige Gebiete absondern. Der Prozess war unaufhaltsam. Dieser Aufgliederungsprozess, der vielfach auch zur Zersplitterung und zu unguter Spezialisierung geführt hat, hat bis in unsere Tage kein Ende gefunden. Sogar so, dass es einem Spezialisten irgendeines Faches kaum möglich ist, die Sprache eines anderen zu verstehen. Die gesamte Fraktion der Früh-Moderne und dieser Aufgliederungsprozess symbolisierte die Machtausübung der Ratio auf das Objekt des Gesellschaftlichen, Wissenschaftlichen und Kulturellen, die Max Weber als okzidentellen Rationalismus bezeichnet: Max Weber versteht unter dem Säkularisierungsprozess, aus dem die moderne Problematik der politischen und gesellschaftlichen sowie wissenschaftlichen Rationalität entstanden ist, den Vollzug der Moderne als die Ausdifferenzierung einer substantiellen, funktionalen Vernunft in autonome Sphären. Wolfgang Welsch zufolge ist Max Weber darin mit Hegel einig, der als erster in seiner Kritik der Aufklärung die Aufspaltung der Vernunft in getrennte Wissens- und Erfahrungsbereiche als den Wesenszug der Moderne bezeichnet hat.[29]

Im Hintergrund liegt diesem beschleunigten und sehr produktiven Aufgliederungsprozess eine fundamentale Ausdifferenzierung zugrunde, die als methodische Unterscheidung vom klassischen, mittelalterlichen Denken und Erkennen fungierte: Wie vorher gezeigt wurde, wurde im neuzeitlichen Denken die Ordnung der Dinge und die Ordnung des Denkens zunächst voneinander ausdifferenziert. Im Gegensatz zur alten Denkart, die sich beständig von einer unverrückbaren Ordnung der Dinge geleitet glaubte, die ihrerseits in der Ordnung des Denkens ihre unproblematische Entsprechung fand. Durch diese Problematisierung, beziehungsweise Ausdifferenzierung, welche auch den Säkularisierungsprozess mit sich brachte, wurde die Verlässlichkeit derjenigen wissenschaftlichen Methode beiseite geschoben, die auf dem Glauben an die unverrückbare Stabilität der Natur basierte; ein Glaube, der von den Religionen geerbt war: dass die kosmische Ordnung durch den Willen Gottes geschaffen wurde.

In diesem, sich bis heute auf verschiedenen, gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Ebenen ausdehnenden Prozess war Immanuel Kant (1794) derjenige, der die durch die französische Revolution und später die Industrialisierung praktizierte geistige Haltung der Moderne formuliert und den Begriff “modern” mit dem Begriff “Aufklärung” verknüpft hat. Auch bei ihm lässt sich das moderne Konzept der wissenschaftlichen Methode “nur durch eine schnelle vorgegangene Revolution der Denkart” erklären:

Als Galilei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen ließ oder Toricelli die Luft ein Gewicht, was er sich zum voraus dem einer ihm bekannten Wassersäule gleich gedacht hatte, tragen ließ, oder in späterer Zeit Stahl, Metalle in Kalk und diesen wiederum in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab: So ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, dass die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurf hervorbringt, dass sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehe und die Natur nötigen müsse, auf ihre Frage zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam an Leitbanden gängeln lassen müsse; (...) Und so hat sogar Physik die vorteilhafte Revolution ihrer Denkart lediglich dem Einfall zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt.[30]

Entsprechend dem Kantischen Konzept, das besagt,

dass wir nämlich von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen,[31]

wird folgendes vorausgesetzt: Die Dinge sind an sich unerkennbar.

Und dass folglich das Unbedingte nicht an Dingen, so fern wir sie kennen (sie uns gegeben werden), wohl aber an ihnen, so fern wir sie nicht kennen, als Sachen an sich selbst angetroffen werden müssen.

Und weiter fügt er an Fußnoten hinzu:

Dieses Experiment der reinen Vernunft hat mit dem der Chemiker, welches sie manchmal den Versuch der Reduktion, im Allgemeinen aber das synthetische Verfahren nennen, viel Ähnliches. Die Analysis des Metaphysikers schied die reine Erkenntnis a priori in zwei sehr ungleichartige Elemente, nämlich die der Dinge als Erscheinung und dann der Dinge an sich selbst. Die Dialektik verbindet beide wiederum zur Einhelligkeit der notwendigen Vernunftideen des Unbedingten und findet, dass diese Einhelligkeit niemals anders als durch jene Unterscheidung herauskomme, welche also die wahre ist.[32]

Kants Bedeutung als Symbolfigur eines Wendepunktes in der Geschichte besteht darin: In diesem so genannten Prozess der Ausdifferenzierung wurde bis zum 18. Jahrhundert versucht, das Wissen auf dem einheitlichen und vereinheitlichenden Hintergrund einer Mathematisierung (mathesis) zu entfalten. Sogar dieser Versuch hat seinen Höhepunkt schon in dem philosophischen Denken von Descartes, Leibniz und Locke gefunden, dergestalt, dass solche Universalisierung des Wissens keine spezifische Reflexionsweise erforderte.[33] Mit und nach Kant war es nicht mehr möglich, diese Einhelligkeit der Wissensgebiete aufrechtzuerhalten. Denn die Vernunft war schon bei Kant in getrennte Wissens- und Erfahrungsbereiche aufgespaltet: in reine, theoretische, praktische, ästhetische Bereiche, etc. Diese Art von Diskurs und demgemäß charakteristische Operationen der Vernunft haben Prototypen vervielfacht und sich in allen Bereichen unseres kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens durchgesetzt.[34]

Demzufolge wäre es angemessen, Kant und den von ihm selber als “ das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muss.’’[35], bezeichneten Wendepunkt als Beginn der zweiten Phase des gesamten Modernisierungsprozesses zu betrachten, die sich im 20. Jahrhundert als ästhetische Spät-Moderne vollzogen hat. Denn die Vielfalt der Vernunft, beziehungsweise die Aufspaltung der Vernunft in verschiedene Wissensgebiete, veranlasst uns anzunehmen, dass Kant zumindest hätte vorahnen sollen, was wir heute als die Aufspaltung des Subjekts erleben: ”Wie das fraktale Objekt bis hin ins kleinste seinen elementaren Teilchen entspricht, trachtet auch das fraktale Subjekt danach, sich selber in seinen Bruchstücken anzugleichen. Diesseits jeder Repräsentation fällt es zurück bis zum winzigen molekularen Bruchteil seiner selbst (...). Daher haben wir es mit einer anderen Dimension von Differenzen zu tun. Es handelt sich nicht mehr um die Differenz zwischen einem Subjekt und einem anderen, sondern um die endlose interne Differenzierung von ein und demselben Subjekt.”[36], weil das andere nicht mehr wirklich da ist. Mithin ist es heute nicht nur sinnvoll, sondern unvermeidlich geworden, zu fragen, wo dieser Ausdifferenzierungsprozess, dem die Moral des unendlichen Willens zur Wahrheit zugrunde liegt, uns hingeführt hat? Wie ist es dazu gekommen, dass aus dem “Willen zur Wahrheit” der Nietzscheanische “ Wille zur Macht” entstanden ist? Die Umwandlung des animalischen Wesens ins mit Bewusstsein und Willen ausgestattete menschliche Wesen bewertete man als erste prähistorische Verschiebung von einer niedrigen Ebene auf eine höhere. Wir erleben aber seit dem 18. Jahrhundert, seit dem Beginn der Industrialisierung und der Institutionalisierung des Wissens und unserer intellektuellen Aktivitäten eine zweite Verschiebung, die von einem individuellen Wesen zu einem Gemeinwesen, beziehungsweise einem Kollektivum übergeht. Die Entstehung eines kollektiven Bewusstseins, dass die Kapazität des individuellen Bewusstseins übersteigt und schließlich Unterscheidungsmerkmale des Individuellen auf das Minimum reduziert – die Prinzipien der Moderne, die den Glauben an Fortschritt, historische Evolution durch die Quantifizierung aller Werte und die Ausdiffenzierung aller Gegensätzlichkeiten befürworten, führten ironischerweise dazu, dass es zu einer gigantischen, universellen Indifferenz kam, indem nicht nur das mit Konzeptualität, Erkenntnissen und Bewusstsein ausgestattete Subjekt sich auflöste, sondern auch die historische und schließlich biologische Evolution des Menschen und seine moderne Geschichte zu einem Ende kommt, wo von einem post-industriellen, post-evolutionären und post-modernen Zeitalter die Rede ist.

Abschied von Aufklärung, Geschichte und Evolution

Die Idee des historischen Fortschritts ist erstens mit der fortschreitenden Beherrschung der Natur mit Hilfe von im 16. und 17. Jahrhundert entwickelten wissenschaftlichen Methoden verbunden. Wie wir schon beschrieben haben, hat diese Beherrschung der Natur sich nach bestimmten Regeln vollzogen, die nicht nur neue Gesetze der Natur waren – wie es F. Fukayama behauptet[37] - sondern von Menschen gesetzt wurden. Besonders die Vor-galiläische Auffassung von der unverrückbaren Stabilität der Natur wurde später durch die Auffassung von der Passivität des Objekts ersetzt, welche, jegliche Umarbeitung des Wirklichen durch die fortschrittlichen Naturwissenschaften rechtfertigen sollte: Wissenschaft würde sich weiterentwickeln, während die Natur stabil und gleichmäßig bleiben würde. Daraus folgerte man eine neue, technisch-dynamische Neuordnung des Wirklichen, die die Weiterentwicklung der Naturwissenschaften und des Menschen in einer fortschrittlichen Geschichte ermöglichen könnte.

Zweitens: Nicht nur die Idee des historischen Fortschritts, sondern die Geschichte selbst ist mit der biologischen Evolutionstheorie von Charles Darwin verbunden, da sie eine Art Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Menschen ist.

Die allerersten Lebensformen entwickeln sich zu Viren, Bakterien, bis hin zu den Abermillionen von anderen Arten wie Fischen, Vögeln, Säugetieren und schließlich zu einer Affenart, die den Vorläufer des Menschen darstellt. Aus diesem Urahn des Menschen entwickelte sich im Verlaufe der Jahrmillionen der heutige Mensch, der homo sapiens, der “wissende” Mensch. Offenkundig ist, dass nur dem Urmenschen unter den anderen Wesen eine gewisse Grenzüberschreitung gelingt, die eine höher und komplexere Anpassungsfähigkeit mit sich brachte: die Fähigkeit, sich über seine Hautgrenze hinaus zu erweitern. Er war zufälligerweise das einzige Wesen, das durch die Anwendung der Technik nicht nur seine Hautgrenze überschreiten, sondern auch seinen Körperbestand erhalten konnte.

Diesen beiden revolutionären Gesichtspunkten des modernen Diskurses entsprechend, die dem Glauben an Fortschritt zugrunde liegen, wurden ein modernes Geschichtsbewusstsein konstruiert, das von einer kämpferischen Gesinnung geprägt war: z.B. Geschichte als Klassenkampf bei Karl Marx (Marxismus), als Kampf des Menschen um Anerkennung bei Hegel und Kampf der überlegenen Nation im Faschismus usw. Abgesehen von Oswald Spenglers und Arnold Toynbees zyklischen Geschichtsauffassungen, betrachteten besonders Karl Marx und Hegel die Geschickte als einen einheitlichen, voranschreitenden Prozess, der seinen jeweiligen Zweck hatte: Bei Hegel ist die Universalgeschichte der Menschheit nichts anderes als der Aufstieg des Menschen zur absoluten Vernunft und der Verwirklichung der Freiheit in politischen und sozialen Institutionen, während bei Marx die Geschichte zugunsten der Entwicklung aus anfänglich primitiven Strukturen zu immer komplexeren und höheren Formen grundsätzlich dialektisch verläuft. Und beide sprechen von einem Ende der Geschichte; bei Hegel kommt die Geschichte als Entwicklungsprozess des Menschen zu immer höheren Stufen der Vernunft und Freiheit und als Fortschritt an ihren logischen Endpunkt, wenn der Mensch das absolute Bewusstsein seiner selbst erreicht, während bei Marx die Geschichte zum Ende kommt, wenn die Gesellschaftsform frei von Widersprüchen beziehungsweise Klassenkämpfen ist.[38]

Nun möchte ich zunächst klarstellen, dass ich hier nicht die Absicht habe, auf das Fukayamasche Ende der Geschichte hinzuweisen, indem ich versuche, die Thesen von gewissen Philosophen, die von naturwissenschaftlichen Revolutionen und biologisch-historischen Evolutionstheorien herrühren, erneut aufzustellen, um zu zeigen, dass es möglich ist, vom Ende der Geschichte zu sprechen, weil die Menschheit in der heutigen kapitalistischen-liberalen Gesellschafts- und Staatsform ihre höchste Entwicklungsstufe erreicht hat. Ganz im Gegenteil: Wenn die Rede vom Ende der Geschichte überhaupt möglich ist, dann ist es nur sinnvoll, von einem praktischen Ende der Entwicklungsgeschichte als Verlust des historischen Horizonts und als Scheitern des von Naturwissenschaften und Evolutionstheorien geprägten Fortschritts zu sprechen, nicht aber als Vollzug der historischen Entwicklungszwecke. Das heißt, wenn wir nun vom Ende der Geschichte sprechen, sprechen wir nicht von einer möglichst hohen Entwicklungsstufe des Menschen, sondern von der Auflösung des Subjekts, das ironischerweise an die Idee des Fortschritts glaubte und sogar dadurch konstruiert wurde.

Demzufolge möchte ich zunächst sagen, dass wie die Idee des Fortschritts und das Konzept der menschlichen Evolution sich zusammen und sich wechselseitig beeinflussend entwickelt haben, die beiden nach der Erschütterung der naturwissenschaftlichen Grundprinzipien (wie z.B. dem Kausalitätsprinzip) und der selbstmörderischen Entwicklung der Darwinistischen Evolution zum Stillstand gekommen sind. Allerdings war der Grund, der den Glauben an naturwissenschaftliche Prinzipien erschütterte, nicht nur der folgende : In Folge von Faradays Studie über Kräfte der Materie und Maxwells Theorie über elektromagnetische Phänomene, die aufgrund ihres relativistischen Charakters das Newtonsche Konzept vom absoluten Raum und von der absoluten Zeit widerlegte, bis zu Curies und Becquerels Entdeckung von der radioaktiven, spontanen Desintegration der Materie und Rutherfords Transformation der chemischen Elemente, indem das Element aufhört, elementar zu sein, schließlich Einsteins berühmte Gleichsetzung der Materie mir der Energie, die die Auflösung der alten “Materie” bedeutete, wurde das Konzept von der Stabilität (Passivität) der Natur erschüttert.

Viel wichtiger ist es, dass all diese Entdeckungen den Charakter von Tatsachen (Fakten) geändert haben, dergestalt, dass die Gültigkeit des Kausalitätsprinzips eingeschränkt wurde: Der von Planck begründeten und von einer Reihe von Wissenschaftlern weiterentwickelten Quantenmechanik zufolge sind die Atome keine festen und harten Teilchen mehr, Elektronen außerhalb des Atomkerns sind vielmehr abstrakte Gebilde mit einer Doppelnatur, die sie uns einmal als Teilchen, einmal als Wellen erscheinen lassen. Der modernen Physik nach existiert die Materie nicht an bestimmten Orten, sondern zeigt nur die Tendenz zu existieren, so dass man nur von der Wahrscheinlichkeit der Existenz sprechen kann.[39]

Im Laufe der starren Spezialisierung ist darin nicht nur der Sinn des organischen Zusammenhanges zwischen menschlichen Fakultäten, sondern sowohl der kohärente Sinn der menschlichen Existenz als auch das Objekt selbst als vollendete Tatsache verloren gegangen. Seitdem die Technik, besser ausgedrückt die Technologie, die Oberhand über die reinen Naturwissenschaften und sogar Wissenschaftler gewonnen hat, ist nicht nur die Grenzziehung zwischen Techno-Wissenschaften und Naturwissenschaften (oder allein innerhalb der Naturwissenschaften z.B. zwischen Mathematik und Physik) schwierig geworden, sondern auch das wirkliche Objekt von seinem simulierten Doppel zu unterscheiden. Baudrillard zufolge vernichtet, “aufgrund der zunehmend komplizierter werdenden Forschung die Wissenschaft ihr Objekt: Um zu überleben, ist sie gezwungen, es künstlich als Simulationsmodell zu reproduzieren,(...) wie es scheint, hat das Subjekt zugleich mit dem Gyroskop und seinen Bezugsgrößen die Kontrolle über die Dinge verloren und dort, wo es mit ihrer Kontinuität rechnete, steht es einer Umkehrung der Kräfteverhältnisse gegenüber.”[40]

Andererseits ist aber, was die Geschichte, beziehungsweise das Geschichtsbewusstsein, konstruiert, die interaktive Beziehung zwischen Konzeption und Wirklichkeit, zwischen Bewusstsein und Handlung und nicht die kausale Nacheinanderfolge von Ereignissen in der Vergangenheit.

Aber was passiert, wenn es kaum möglich ist, sich in konzeptueller Art und Weise auf Wirklichkeit, auf das Objekt des Wissens zu beziehen, weil das Objekt sich dem Subjekt, dessen Bewusstsein, als nicht mehr es selbst darbietet? Was passiert, wenn das Gleichgewicht zwischen der Wirklichkeit und der Sinngebung verloren geht? Wie weit ist es möglich, von einer konstruktiven Interaktion zwischen dem Bewusstsein und der Handlung zu sprechen, wenn der Mensch seinem eigenen Körper entfremdet wird und nicht mehr der Herr der Handlungen seines Körpers ist. Wie konstruiert sich das Gedächtnis bezüglich der Geschichte und besonders der Zeit, wenn das Objekt zerstückelt in Unendlichkeit und verschmolzen mit seinem gleichwertigen Bild und der Verwechslung von Präsentation und Bildschirm-Repräsentation seine Aktualität verliert, keine zeit-räumliche Abstände mehr kennt und sich in Illusion verwandelt? Oder wenn unser Bewusstsein von Entfernungen und Dimensionen, wie etwa von klassischen Zeitformen als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, durch das Bewusstsein von der realen Echtzeit und der aufgeschobenen Zeit – dank der Logik der telematischen Wahrnehmung, des Oberflächenspiels der verschiedenen Realitätsebenen auf der Netzhaut des Bildschirms (der Leinwand) ersetzt wird; oder alle drei Zeitformen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich nur in Form von “jetzt” und “hier” darstellen und wahrnehmen lassen? J. Baudrillard zufolge nimmt: “hier die Geschichte ein Ende und zwar auf folgende Weise: nicht, weil es zu wenig Persönlichkeiten oder Gewalt gibt (Gewalt wird es immer geben, doch Gewalt ist nicht mit Geschichte zu verwechseln), noch weil es zu wenig Ereignisse gibt (Ereignisse wird es immer geben– dank Medien und Information!), sondern weil sie sich verlangsamt, in Indifferenz und Betäubung erstarrt. Die Geschichte kommt gar nicht mehr dazu, sich abzuspielen, ihre eigene Zweckmäßigkeit in Betracht zu ziehen und von ihrem Ende zu träumen, sie verpufft in ihrer unmittelbaren Wirkung, sie erschöpft sich im Schaueffekt, sie fällt auf sich selbst zurück und implodiert in Aktualität.”[41] Dazu möchte ich hinzufügen, dass angesichts der Codierung und Decodierung unserer Wahrnehmungsformen und der dargestellten Realität durch Informationstechniken die Regel der Sinneswahrnehmung mit der paradoxen, chaotischen Logik des Bildes (der Visualität) außer Kraft gesetzt wird. Dementsprechend könnte man sagen, dass eine derartige Logik des Bildes (der Darstellung) die dargestellte Sache beherrscht und dadurch jegliche Aktualität in die relativistische Logik der Visualität verwandelt. Von da an kann man gar nicht mehr von “Aktualität” sprechen, weil angesichts dieser durch die relativistische Fusion/Konfusion des Faktischen und des Virtuellen erzeugten Vorherrschaft des “Realen als Effekt” über das Realitätsprinzip die Aktualität all ihre Gründe verliert, die ihr Beständigkeit und Dauer verleihen. Die Geschichte verlangsamt sich, weil das Vergehen der Zeit sich derartig beschleunigt, dass die Ereignisse ohne Folgen zum ästhetischen Abenteuer des Blicks werden, wie dies z.B. während des Golfkriegs passierte.

Mit all diesen Bemerkungen möchte ich betonen, dass nicht die Zeit zu Ende geht, sondern unsere konventionellen Beziehungen zur Geschichte, ja selbst zurzeit, unterbrochen sind. Dialektisches Denken, Deduktion und Induktion, die auf Gegensätzlichkeiten beruhende moderne Denkart werden nicht mehr für gültig gehalten. An deren Stelle treten Metamorphosen und die Dialektik der Transformation. Die Wahrnehmung, das Denken, das Begreifen und die Sprache (Diskurs) müssen sich angesichts der durch technologische Entwicklung erreichten Geschwindigkeit und ihren Anforderungen erneut anpassen. Während die technologische Entwicklung voranschreitet, gewinnt nicht nur die Bewegung des Materiellen und Mechanischen an Geschwindigkeit, vielmehr verändert sich ständig die Fließbahn der Bilder und die Geschwindigkeit der Wahrnehmung: die zahllosen Formen, Symbole, Signifikate und Signifikante, Informationen, Berichte und Bilder, die uns ununterbrochen und im gleichen Augenblick treffen, nehmen uns die Möglichkeit, einen Anhaltspunkt zu finden, an dem wir uns selbst und die anderen Gesichtspunkte eines Kunstwerks sich orientieren könnten.

Die Fortschritte im Transport- und Übertragungswesen, die auf Galileischer Transformation der Kräfte und Trägheitsprinzipien beruhen, setzten die Welt in Bewegung und befreiten uns von der körperlichen Anstrengung des Gehens. Die Technik diente dazu, als sie die Oberhand über die Naturwissenschaften gewann, den Erlangungsprozess unserer Erkenntnisse zu beschleunigen. Das war am Anfang eines Prozesses, an dessen Ende wir bezeugen, dass heute alles um die Beschleunigung in allen Bereichen des Gesellschaftlichen, Kulturellen und auch Politischen geht, dergestalt, dass die Idee des Fortschritts durch diese Beschleunigung ersetzt wurde.

Ausgehend vom Trägheitsprinzip der Galileischen Mechanik, von der Mathematisierung der Naturwissenschaften und vom Sozialdarwinismus, sind wir zunächst zur totalen Mobilisierung und Motorisierung gelangt, die ihrerseits weitere technologische Entwicklungen voraussetzten. Heute ist die Rede von elektromagnetischen Übertragungstechniken, Teletechnologien, Biotechnologien, Mikromaschinen, Mikrophysik, Transplantationstechniken, Kybernetischen Technologien, Technologieverpflanzungen, Simulationstechniken, Informationstechniken und schließlich von den miniaturisierten synthetischen Organismen der Nanotechnologie, die den Menschen ermöglicht, die Technologie in sich aufzunehmen.

Der Mensch, sein Bewusstsein und all seine begrenzten Fähigkeiten werden durch die durch technologische Entwicklung erreichte Geschwindigkeit überall überfordert. In einem im “Spiegel” (Heft Nr. 16/1996) veröffentlichten Artikel stellt man fest, dass das Bewusstsein, das wie keine andere Fähigkeit des Hirns das Wesen des Menschen bestimmt, extrem beschränkt zu sein scheint:

Sein Fassungsvermögen ist winzig: das Bewusstsein vermag nicht mehr als etwa sieben Informationseinheiten gleichzeitig aufzunehmen (z.B. unbekannte Wörter vermag der Mensch zumeist nur dann auf einen Blick zu erfassen, wenn sie nicht mehr als etwa sieben Buchstaben erhalten. Sind sie länger, so ist er aufs Buchstabieren angewiesen. Bei Telefonnummern, Geräuschen oder Begriffen lässt sich dasselbe feststellen.)

- Es arbeitet geradezu lächerlich langsam: Nicht mehr als rund 40 verschiedene Ereignisse pro Sekunde kann das Bewusstsein unterscheiden – ein durchschnittlicher PC verarbeitet die millionenfache Informationsmenge.
- Es befasst sich nur mit einem verschwindend geringen Teil der im Gehirn ablaufenden Prozesse: Vermutlich nur ein Prozent der Nervenzellen ist an der Verarbeitung von Bewusstseinsinhalten beteiligt.
- Es ist ungewöhnlich träge: Experimente beweisen, dass das Bewusstsein der Wirklichkeit um etwa ein drittel Sekunde hinterherhinkt... die Experimente des Neurophysiologen Benjamin Libet von der University of California in San Francisco zählen zu den meist diskutierten seines Fachs. Er provozierte seine Kollegen mit der These, das Bewusstsein hinke hinter der Wirklichkeit her, das Ich lebe nicht im Jetzt, der menschliche Geist habe nie Kontakt zur physischen Wirklichkeit (...) Mit weiteren Experimenten erschütterte Libet sogar den Glauben an den freien und bewussten Willen des Menschen. Der Forscher bat Versuchspersonen, ihren Finger zu krümmen; den Zeitpunkt sollten sie selbst bestimmen. Währenddessen registrierte er ihre Hirnströme.

Wieder stieß er auf eine bemerkenswerte Verzögerung: zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Proband glaubte, sich für das Krümmen des Fingers zu entscheiden, waren die Neutronen in seinem Hirn längst aktiv. Mindestens ein drittel Sekunde vorher zeigte sich in den Hirnströmen, dass die Vorbereitungen für die Bewegung begonnen hatten. Im Hirn, folgert Libet, werden Entscheidungen eigenmächtig gefällt. Das Ich glaubt nur, sie aus freien Stücken auszuführen.

“die Gegenwart ist niemals anwesend.”, schließt auch der Neurologe Antonio Damasco von der University of Iowa, “ Unser Bewusstsein ist hoffnungslos verspätet, lebt der menschliche Geist dennoch im Gefängnis der Vergangenheit?”[42]

In diesem Artikel sieht man allerdings, nach welchem Maßstab das Bewusstsein beschränkter und langsamer und wie weit unser Bewusstsein überfordert ist. Auf welches relativistische Prinzip bezieht sich die Logik eines derartigen Vergleichs? Darauf würde Philippe Breton folgendermaßen antworten:

Es existierte keine andere Realität, als die durch die Beziehung der Phänomene untereinander konstruierte. Indem diese neue Methode dem Blick auf das Verhalten der Objekte absolute Priorität einräumte – unabhängig von der physikalischen Beschaffenheit der Elemente, aus denen sie bestanden – ermöglichte sie den Vergleich zwischen jeden beliebigen Objekten und insbesondere zwischen Mensch und Maschine. Die klassische Unterscheidung der Wesen entsprechend ihrer Zugehörigkeit zur mineralischen, pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Gattung wurde auf diese Weise abgelöst von einer Gegenüberstellung, für die die Materie unerheblich war, die sich dafür aber mit dem Vergleich der Komplexität des Verhaltens befasste.[43]

Die fundamentale Frage bleibt aber immer noch offen: wie würde so ein fauler, beschränkter Körper und das Bewusstsein sich an die angesichts der technologischen Entwicklung erreichten Geschwindigkeit und ihre neuen Anforderungen anpassen? Wie könnte man diesen auf die Biosphäre beschränkten Raum fortbewegen, dass er nicht zurückbleibt, hinter dem herhinkt, was sich außerhalb seiner Sphäre dank der technologischen Entwicklungen beschleunigt?

Zunächst möchte ich aber feststellen, was mit dem sich immer mehr beschleunigenden Körper grundsätzlich passiert, oder im Allgemeinen, was der Grundsatz einer Beschleunigung ist. Wenn irgendeine Materie oder ein Körper sich beschleunigt, heißt es, dass man zuerst vom Startpunkt oder von den ruhenden Gegenständen immer mehr Abstand nimmt, und zwar sowohl zeitlich als auch räumlich. Denn Geschwindigkeit ist ja – der Einsteinschen Relativitätstheorie (E=mc²) nach- kein Phänomen, sie ist die Beziehung zwischen den Phänomenen. Andererseits bedeutet Beschleunigung, die Grenze zu überschreiten, die man während der Beschleunigung hinterlässt. Hier ist dann die Rede von einer Grenzgeschwindigkeit, die ebenfalls die Aufhebung der Grenze, der Unterschiede oder Abstände bedeutet.

Nun möchte man fragen, ob die Technologie, während sie sich als dem menschlichen Körper überlegen darstellt, die benötigten Mittel erschafft, ihn an die absolute Geschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen, der Energieübertragungen und Informationsströme anzugleichen? Ich würde sogar sagen, es geht nicht mehr darum, den Körper und seinen metabolischen Bewegungszustand mit der Geschwindigkeit der schon überholten konventionellen Fahrzeuge, wie der des Autos oder des Zuges konkurrieren zu lassen, sondern den Körper zu einem metabolischen Existenzzustand zu bringen, in dem die synthetischen Organismen die Voraussetzung für den Körper und seine geistigen Fähigkeiten bis zur äußersten Grenze treiben.

Heute ist es nicht selten, dass die Menschen neben den chemischen Aufputschmitteln wie Alkohol, Kaffee, Tabak oder Drogen, auch technische Aufputschmittel der Biotechnologie, so genannte intelligente Tabletten, benutzen, um ihre geistigen Fähigkeiten durch diese technischen Stimulanzien zu erweitern, sich an den technischen Rhythmus anzupassen oder sich von dem durch die in allen Bereichen des Alltags erreichte Geschwindigkeit überlasteten Körper zu befreien. Um eine derartige Immunität oder Gleichstimmung des Körpers bzw. des Bewusstseins zu erreichen, müsste sich die technische Entwicklung, die sich früher immer am Erdhorizont und an der Oberfläche der Kontinente orientierte, nun darauf vorbereiten:

Die Masse des Lebendigen mit Mikromaschinen auszurüsten, mit deren Hilfe unsere Fähigkeiten wirkungsvoll zu stimulieren sind. Der Invalide, der dank seiner Ausrüstung seine Behinderung überwinden kann, wird plötzlich zum Vorbild für den mit Prothesen jeder Art überrüsteten Gesunden.[44]

Den Körper mit stimulierenden Körpern zu bevölkern, würde nach P. Virilio, folgendes Resultat haben:

Die Anpassung des Körpers und seiner Lebensenergie an das Zeitalter der Technologien der unmittelbaren Übertragung ist gleichbedeutend mit der Aufhebung der klassischen Unterscheidung zwischen intern und extern zum ausschließlichen Vorteil einer letzten Form von Zentralisierung oder genauer: einer Hyperzentralisierung, die der Zeit nämlich, die einer “gegenwärtigen”, um nicht zu sagen, “echten” Zeit, die endgültig die Unterscheidung zwischen der Peripherie und dem Zentrum zunichte macht, so wie ein Aufputschmittel den Wechsel zwischen Wach und wohltuender Ruhe aufhebt.[45]

Wie man sieht, hatten die Naturwissenschaften zuerst die Natur als passives “Objekt” behandelt, ihr eigenen rational-funktionalen Regeln eingegeben und die Autonomie des Subjektes gefordert, nun haben sie damit begonnen, dieses an die Stelle Gottes konstruierte Subjekt als ein Objekt der Gestaltung zu setzen, es dazu sogar umzuarbeiten. Der Körper ist nicht mehr der Ort der Psyche oder des Sozialen. Er ist viel mehr eine Struktur, die sowohl von innen als auch von außen überwacht, codiert und mit technischen miniaturisierten Organismen bevölkert werden kann. Heute stellt man die Frage, wie die Menschen neu zu gestalten sind, so dass sie mit ihren Maschinen kompatibel werden können und dass sie mit der allgegenwärtigen Geschwindigkeit schritt halten können.

Nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen wurde der Körper zu einem gigantischen Labyrinth seiner Strukturen. Dank der DNA-Forschungen und biotechnologischen Entwicklungen ist der Körper nicht mehr als gegeben hinzunehmen. Denn man kann heute in ihn zu jeder beliebigen Zeit eingreifen und um bestimmter Zwecke willen ihn bis zur äußersten Grenze verändern und gestalten. Heute ist die Rede nicht nur vom Neugestalten des biologischen Körpers, sondern auch von der Ablösung von ihm durch die Schaffung von neuen, künstlichen Körpern. Dank der Teletechnologien entsteht heute ein neuer Ort, an dem eine zweite Biosphäre existieren könnte; eine zweite Biosphäre als Doppel unserer eigenen Biosphäre I.

Es wird heute geplant, dass wir in Zukunft mit Hilfe von medialen Netzwerken irgendwo anders sein können, ohne dass wir den Ort verlassen, an dem sich unser Körper befindet. Im digitalen Zeitalter der Biotechnologie wird es möglich, zur selben Zeit an zwei Plätzen zu sein und gleichzeitig in zwei Körpern zu leben. Alle Experimente mit Cyberspace und Cybersex zielen darauf, diesen Telekörper zu gestalten, unsere Körperidentität mit ihm zu wechseln und schließlich unseren Körper durch verschiedene Perspektiven und soziale Erfahrungen mit anderen körperlichen Erscheinungsformen rasch und unruhig hin und her zu bewegen: Damit wäre eine endgültige Veränderung des Verhältnisses zwischen der Wirklichkeit und der Virtualität erreicht.

P. Virilio meint, wenn künftig nicht mehr nur agiert, sondern auch “teleagiert” – aus beliebiger Entfernung gesehen, gehört, gesprochen, berührt oder gefühlt – werden kann, dann ergibt sich die unglaubliche Möglichkeit einer plötzlichen Persönlichkeitsverdopplung des Subjekts, durch die das “Bild des Körpers” oder anders gesagt: die Selbstwahrnehmung des Individuums nicht mehr lange unbeeinträchtigt bleiben kann. Denn es würde die Aufhebung der klassischen Unterscheidung zwischen “Innen” und “Außen” bzw. der Verlust jedes Sinns der zentralen Begriffe von Sein und Handeln, hier und dort usw. bedeuten.[46]

Unser Körper wird heute zunehmend von Mikromaschinen bevölkert und immer mehr an die computergestützten Nanotechnologien angekoppelt. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine verlagert sich in den Körper. Heute spricht man von der Möglichkeit, die Körperbewegungen mit der Prothese auch von außen steuern oder geschädigte Hirnfunktionen durch Brain-Chips ersetzen zu können. Schon erschienen Bücher mit dem Titel “Engines of Creation – the coming era of nanotechnology, by K. Eric Drexler”. Die Bücher berichten von den neuen unglaublichen Möglichkeiten, die uns die Nanotechnologie anbietet: Mit Hilfe der molekularen Technologie werden Mikrochips bzw. unendlich kleine und präzise Ausrüstungen konstruiert, um unsere beschädigten Zellen zu reparieren (nicht zu heilen), innere oder äußere Räume zu kolonisieren.

Was bedeutet eigentlich die Veränderbarkeit, Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit von körperlichen Organen, Geweben, Flüssigkeiten und Funktionen? Das Ende jeder Anthropologie? Wird der Körper allmählich überflüssig, weil die Frage wie wir eine Welt und einen Körper erzeugen, zur Grundlage geworden ist? Ist das eine zeitgenössische, postanthropologische Ironie des Christentums, das nicht nur gegen die Einsperrung der Seele in den Körper revoltierte, sondern auch das Bild eines anderen Körpers kultivierte – den Körper nach der Erlösung, die Transsubstitution eines Körpers in einen anderen?[47] Was bleibt da vom Körper übrig, wenn man ihn den in Lichtgeschwindigkeit zirkulierenden Informationsströmen in den Netzwerken anpassen und in sie einspeisen lässt? Wächst das menschliche Gehirn weiter, wird komplexer und damit intelligenter, was die Verarbeitung von Informationen angeht? Selbst wenn es richtig wäre, so etwas zu behaupten, geschieht es offenkundig nicht in der biologischen Evolution des homo sapiens, sondern nur durch biotechnologische Schnittstellen zwischen Gehirn und Computern, durch die Implantation von Brain-Chips und nanotechnologischen Organismen und Systemen. Sind wir aber nicht am Ende der menschlichen Physiologie angelangt, sogar am Ende der Philosophie, die dem menschlichen Denken vertraute? Und die entscheidende Frage ist: Hört die Evolution auf, wenn die Technologie in den Körper eindringt? Die Invasion der Technologie, künstliche Intelligenz, hybride Mensch-Maschine-Systeme, Cyberkörper, Phantomkörper/fließendes Selbst, erweiterter Körper, Laseraugen, Mikrochips und dritte Hand... Könnte die Bedeutung der Technologie darin bestehen, dass sie in ein verändertes Bewusstsein einströmt, das posthistorisch, transhuman, postevolutionär und sogar außerirdisch ist? Man könnte allerdings aus diesen Entwicklungen eine langfristige Degenerierung der menschlichen Gattung folgern. Denn die technische Erweiterung des Körpers, sogar die Ersetzung gewisser Organe durch die Prothesentechnologie werden die Mutation und natürliche Selektion als die Basis und einen Stabilisationsfaktor der Evolution – wenn nicht abschaffen – zumindest abschwächen. Selbst die Anhänger der Evolutionswissenschaften bestreiten diese Tatsache nicht mehr. Paul Virilio zitiert dementsprechende Aussagen von Prof. Louis Thaler, der zu den Aposteln der Evolutionswisenschaften und infolgedessen der Selektion gehört:

Es scheint mir unbestreitbar zu sein, dass die Evolution der Menschen heute wesentlich durch das geprägt ist, was ich eine Abschwächung der Selektion nennen würde. Dieses Phänomen verdankt sich den Auswirkungen des Fortschritts, insbesondere der Medizin. (...) Mutationen bilden die Basis der Evolution. Sie sind Zufallsprodukte und statistisch gesehen wirken sie sich meistens ungünstig und nachteilig aus, d.h., der Anteil der “guten” Mutationen ist gering. Bisher jedoch setzten sie sich unter den Bedingungen des großen Drucks der natürlichen Selektion immer gegen die “schlechten” Mutationen durch. Das gilt heute nicht mehr, denn der Wert der Mutationen gleicht sich immer stärker aneinander an. (...) die Rettung von frühgeborenen Säuglingen könnte dazu führen, dass es zum Fortbestand von Mutationen kommt, die ansonsten eliminiert worden wären. Aufgrund der augenblicklichen Evolutionsdaten lässt sich langfristig eine relative “Degenerierung” der menschlichen Gattung voraussehen. (...) Sie wird in erster Linie eine größere Disparität der Eigenschaften innerhalb eines bestimmten Rahmens zu Folge haben und zwar innerhalb eines bestimmten Rahmens, der es der Gattung ermöglicht, im Gleichgewicht mit seiner Umwelt zu leben. Die natürliche Selektion ist eher ein Stabilisationsfaktor als ein Motor der Evolution. Sie führt zur Eliminierung derjenigen Exemplare, die vom Durchschnitt abweichen. Gemeinsam mit der durch die Medizin ermöglichten Abschwächung der natürlichen Selektion, aber auch dank der Entwicklung der “Technosphäre” schwächt sich dieser Mechanismus gleichfalls ab und lässt so eine größere Anzahl von Mutationen und folglich von genetischen Deformationen zu.

Dann fügt P. Virilio hinzu

Wenn es also Zwänge gibt, die aus der natürlichen Umwelt (der Biosphäre) resultierten und die nach Darwin zu einer natürlichen Selektion führen, dann gibt es auch Zwänge, die aus der künstlichen Umwelt (Technosphäre) resultieren.[48]

Diese Zwänge, die bisher trefflich mit dem Modernisierungsprozess beschrieben wurden, haben unsere Beziehung zur Geschichte grundsätzlich verändert. Das bedeutet aber nichts anderes als zu sagen, dass zuallererst unsere Beziehung zur Zeit und Wirklichkeit, die Zeit-Raum-Handlung-Relation und demzufolge zum Wissen in dissoziativer Art und Weise verändert wurde. Seit der Erfindung des Computers, der Kybernetik, der Genetik und biotechnologischen Implikationen versucht man heute in unserer Informationsgesellschaft die veraltete Logik (Technik) des Transports von materiellen Dingen und Botschaften zwischen räumlichen Orten durch eine neue Logik (Technik) zu ersetzen. Nun handelt es sich darum, Informationen zwischen vernetzten und räumlich verteilten Sender/Empfängern zu übermitteln, dergestalt, dass Gleichgültigkeit demgegenüber erreicht wird, möglichst alles als Information und Informationsverarbeitung beschreiben und codieren zu können. Diese gezielte Gleichzeitigkeit setzt andererseits auch Verwandlung alles Möglichen in Telepräsenz in Echtzeit voraus, die eigentlich eine weitere Extension des Körpers ermöglicht, der nicht mehr an der Haut aufhört oder organisch ist. “Das auf den Menschen bezogene Ziel besteht darin, dessen kognitives System der Informationsaufnahme, - Verarbeitung und –Erzeugung aus der biologischen Hardware zu lösen und es als Software zu beschreiben, die auch auf einer anderen Hardware laufen könnte.”[49]

Ich möchte dann hinzufügen, dass dadurch nicht nur die veralteten Transporttechniken sondern auch die Realität der Präsenz des Objekts in telepräsentativer Echtzeit und Simulation ersetzt beziehungsweise aufgelöst wird: Das Bild ist nicht mehr die Präsenz der Vergangenheit, sondern die , die die Existenz des Objekts hier und jetzt ersetzt. Eine “Geschichte haben” bedeutet nicht mehr nur, in einer bestimmten Zeit gewesen zu sein, was sich eigentlich schon lange den Platten oder Filmen einprägte: Nach dem Ende der Aufnahme formierte sich das Gewesene (Aufgenommene) mit einer Geschichte um, selbst wenn es nicht eigentlich eine Geschichtserzählung war. Denn der Zuschauer sieht es ja stets in der Gegenwart, im “jetzt” an. Da das Objekt sich als Telepräsenz in Echtzeit darbietet, ist diese Umformierung gar nicht mehr die einzige Möglichkeit, die Zeit und die Geschichte zu rekonstruieren.

Gemäß den konventionellen Wahrnehmungsformen existieren wir stets in einem bestimmten Zeitraum, bzw. in flüchtiger Gegenwart, und nehmen die Relation zwischen Materie, Zeit und Raum wahr. Als vierte Dimension ist die Zeit Existenzbedingung eines jeden Wesens; und jede Existenz-Ordnungsform des Gegenstands bietet uns in gewisser Weise ihre eigene Form der Zeitperzeption an. Wir nehmen den Raum, den Ablauf des Geschehens, die Ordnung der Objekte als die Materialisierung der Zeit in einem bestimmten Zustand und in einer bestimmten ganzheitlichen Umwelt wahr.

Demzufolge beschränkt sich der Raum auf die Welt/Umwelt der sinnlich wahrnehmbaren Erfahrungen in meßbaren Zeitabschnitten. Nun wird die Information zur letzten Dimension der Raum-Zeit-Materie und man stellt der Umwelt unserer natürlichen und ganzheitlichen Wahrnehmungen eine Umwelt elektro-magnetischer Daten zur Seite, die tragbar ist, und die konventionelle Perspektive des Realraums – durch die Perspektive der Echtzeit und Simulation (Cyber-Space) fraktioniert: Cyber-Space besteht aus einer gänzlich künstlichen, visuellen Umwelt, in der der Benutzer in Echtzeit aktiviert werden kann. Man hat meistens einen Helm mit kleinen Bildschirmen vor den Augen. Auf jedem Bildschirm kann man sehen, was der Computer zeigt. Wenn z.B. der Kopf gedreht wird, werden die Perspektiven durch ein Trackingsystem auf dem Helm in zutreffender Weise verändert. Wenn man einen Datenhandschuh trägt, der Sensoren enthält, ist es möglich zu sehen, wie der Computer die greifenden und zeigenden Fingerbewegungen verfolgen kann. Die Hand erscheint mit dem Handschuh in der virtuellen Szene und schwebt vor den Augen des Benutzers, ohne mit dem Arm verbunden zu sein. Man kann bestenfalls einen fragmentierten, unvollständigen, dennoch austauschbaren Körper haben. Man braucht keinen einheitlichen und unveränderlichen Körper, den wir im physikalischen Raum besitzen. Man kann ein herumschwebender Gesichtspunkt, eine tanzende Rose, eine Teekanne sein. Kurzum, man kann sein, was man sich immer vorgestellt hat, sein zu sollen. Geschlechtsunterschiede spielen keine Rolle mehr, man kann sich eine beliebige Sexualität auswählen, was eigentlich dank der biotechnischen Forschungen schon längst möglich geworden ist. Das erinnert uns an die Meditationen Descartes, in denen Descartes sich einen Dämon vorstellt, der ihn so perfekt täuschen könnte, dass die von jenem kommenden Visionen sich für ihn nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden ließen. Genauso lch eine Täuschung wird im Cyber-Space erzielt: ein virtueller Raum, der vom “realen” Raum ununterscheidbar ist. Im Gegensatz zum Kino, wo sich die bewegliche Kamera unabhängig vom unbeweglichen Zuschauer bewegt, muss der Benutzer des VR (virtual-Reality)-Systems nun wirklich im materiellen Raum umherlaufen, um eine Bewegung im virtuellen Raum wahrzunehmen.

Der Wesenszug der VR besteht darin, den Zuschauer sich physisch bewegen zu lassen, um ein Bild zu sehen, während der Benutzer der VR an die Maschine gefesselt bleibt. Die Retina und der Bildschirm werden miteinander verschmelzen. Im Zeitalter des Codes sind wir von der klassischen Simulation wie Wandgemälde, Skulpturen in menschlicher Größe, Diorama usw. zur virtuellen Realität gelangt, die uns bewiesen zu haben scheint, dass die Neigungen und die Tendenzen mehr als nur einfache Möglichkeiten sind, eine physikalische Wirklichkeit. Karl Popper zufolge: “sind sie genauso real wie Kraft oder Kraftfelder und umgekehrt sind Kräfte Neigungen, die Körper in Bewegung setzen, sie beschleunigen, und die Kraftfelder sind Neigungen, die auf ein bestimmtes Gebiet des Raums verteilt sind und sich innerhalb dieses Gebietes stetig verändern können. Kraftfelder sind Neigungsfelder, sie sind real, sie existieren.”[50]

An dieser Stelle möchte ich auf den ersten Film hinweisen, in dem all diese Aspekte der virtuellen Realität auf interessante Weise dargestellt werden: The Lawnmower Man/Der Rasenmähermann von Brett Leonard, ein Kultfilm mit einer “Cyber-Sex”-Szene. In den Hauptrollen spielen Jeff Fohay und Pierce Brosnan, der später den James Bond spielte. Der Film wurde im Jahr 1992 gedreht und ist zu der Reihe folgender Filme zu rechnen: “2001: A Space Odyssey” von S. Kubrick (1968), “War Games”(1983), “Brainstorm” (1983), “Johnny Mnermonic” (1995), “Virtuosity” (1995), “Strange Days” (1995) usw. Natürlich ist alles, was in dem Film dargestellt wird, nicht realisierbar. Dennoch beweist der Film, dass, wenn eine Vision davon teilweise realisierbar ist, diese Vision doch einflußreich sein kann. Der Vorspann des Films beginnt mit folgendem Text: “Bis zur Jahrtausendwende wird eine Technologie namens Virtuelle Realität weithin verbreitet sein. Sie wird uns erlauben, durch Computer erzeugte künstliche Welten zu betreten, die so unbegrenzt sind wie die Phantasie selbst. Ihre Schöpfer sehen in ihr Millionen positiver Anwendungsmöglichkeiten, während andere sie als eine neue Form der Gedankenkontrolle fürchten.”

Larry (Pierce Brosnan) arbeitet bei einem militärischen Institut für Cyber-Technologie. Im Institut werden Experimente ausgeführt, bei denen es um die Erweiterung des menschlichen Nervensystems (Gehirns) geht. Besonders Larry glaubt fest daran und sieht in VR die Zukunft der Menschheit. Im Film geht es hauptsächlich um ein Experiment mit Joe, der in einer Kirche aufgewachsen und unausgebildet ist. Er ist den Menschen und Gott sehr gehorsam und unfähig, Widerstand zu leisten, selbst wenn man ihm unrecht tut, was eigentlich häufig passiert. Er ist ein Rasenmäher und hat “sehr gute Hände für Maschinen”. Er liest gern Comics und nennt Comic-Figuren Cyber-Men; er glaubt sogar, dass diese Cyber-Männer ihn eines Tages besuchen würden. Joe lernt zunächst Cyber-Space kennen. Dann fängt er an, mit dem jungen Peter, dem Sohn einer Nachbarin von Larry zu spielen. Joe, der von Geburt dumm ist, wird vorgeschlagen, durch Cyber-Space-Spiele klüger zu werden. Larry bekommt Joe von der Kirche frei und bezahlt dafür. Bei den Experimenten bekommt Joe zuerst “Vitamin-Spritzen”, um sich zu entspannen. Dann wird er mit dem Computer verbunden. Larry versucht, durch elekro-chemische Schockbehandlungen Gehirnfunktionen von Joe zu entwickeln. Es wird versucht, durch virtuelle Simulationen und gewisse Spritzen die Gehirnwelle präziser zu stimulieren. Dies wird durch die Ausführung der Stromparameter erzielt.

Nach zwei Monaten wird Joe funktionsfähiger. Er lernt Auto fahren. Bei den Cyber-Space-Spielen ist er immer erfolgreicher. Sein Verhalten ändert sich. Er wehrt sich gegen den Pfarrer, der Joe nicht länger verprügeln kann. Er wird mutiger und natürlich klüger. Er lernt eine Frau kennen und erlebt mit ihr sogar seine erste sexuelle Erfahrung. Durch Computer-Simulationen und mit Informationen über Wissenschaften aufgeladenen CD-Roms werden in seinem Gehirn Erkenntnisse über Mathematik, Philosophie, Physik, Biologie, usw. gespeichert. Er kriegt allmählich Appetit auf unendliches Wissen und braucht nur 2 Minuten für jede CD-Rom. In den darauf folgenden Szenen weicht Joe allmählich von der Realität ab, er verwechselt die Realität immer wieder mit in seinem Gehirn gespeicherten Daten und bekommt die sogenannte Gehirnkrise. In manchen Experimenten gerät er sogar in Lebensgefahr. Als er dann übernatürliche Kräfte erlangt, glaubt er, Gott gesehen zu haben und/oder selber Gott zu sein. (Es wird offenkundig die christliche Auffassung vom Gott-Mensch/Mensch-Gott parodiert.) Er kann die Dinge bewegen, ohne sie zu berühren; er spricht so schnell wie ein programmierter Computer; sein Körper ändert sich allmählich, besonders seine Haut; er kann die Gedanken der anderen lesen und wird dadurch gefährlich für das Institut und dessen Projekte. Er fängt an, das Experiment zu kritisieren. Denn sein Sachverstand wird besser als der von denjenigen, die die Experimente ausführen. Er glaubt, dass diese Technologie gar nicht ein Vorstoß an die Grenze der neuen Gehirnbereiche sei, sondern die Wiederentdeckung seiner alten vergessenen Fähigkeiten, die Alchemisten und Zauberer kannten; er erobere diese alten Funktionen durch die virtuelle Realität zurück. Es sei nicht neu, was da die Technologen erreichen wollen. Unterdessen sehen wir die berühmte Cyber-Space-Szene, die zu einer der filmischen Ikonen unserer Zeit zählt: die Helden, Joe und seine Freundin, befinden sich im gleichen Raum. Jeder ist an einen eigenen kreisförmigen Rahmen gebunden, der es aber ermöglicht, dass der Körper sich frei in alle Richtungen des Raumes um 360° Grad drehen kann. Während des “Cyber-Sex” wechselt die Kamera zwischen dem virtuellen Raum, also dem, den die Protagonisten sehen und erfahren und dem physikalischen Raum. In der virtuellen Welt werden ihre Körper mit psychedelischen Computergraphiken dargestellt, während sich diese im realen Raum nur in ihrem Rahmen drehen.

Im Laufe des Films versucht Joe, sich selber zu behandeln. Dank seiner göttlichen Kräfte gelingt es ihm, sich an allen zu rächen, die ihn früher mißhandelt haben. Sein Körper wandelt sich in eine Substanz aus Licht und Energie und setzt den Pfarrer in Flammen. Als die Soldaten des Instituts ihn vernichten wollen, versucht er, sich in den Hauptcomputer hineinzuprojizieren und sich in absolute Energie umzuwandeln. Nun glaubt er “Cyber-Christus” zu sein. Larry versucht, ihn davon abzuhalten. Das gelingt ihm aber nicht. Inzwischen kontrolliert Joe die psychische Welt anderer Personen. Um etwas geschehen zu lassen, braucht er es nur zu wollen, oder dazu zu neigen: Seine Neigungen sind seine Kräfte. Er kann sich sogar in seine Simulation eines außerirdischen Wesens wandeln, mit der er die Menschen töten kann. Er kommandiert die Dinge aus beliebiger Entfernung. Schließlich gelingt es ihm, sich in den Hauptcomputer hineinzuprojezieren. Er wird zu einem wahrhaften Gott innerhalb des Computers und hat Einfluß auf die Außenwelt, die im Computer simuliert wird. Durch telemagnetische Kräfte sendet er seltsame Wesen von Visueller Realität gegen die Soldaten. Er sperrt den Computer vor jedem Zugriff. Aber am Ende wird der Hauptcomputer doch durch eine von Dr. Larry aufgestellte Zeitbombe gesprengt.

Nun könnte man fragen: wo haben uns die Ideale, die dem modernen Projekt zugrundelagen, hingeführt? Was ist aus den Prinzipien der Moderne wie Fortschritt, Evolution, Emanzipation und Verläßlichkeit der universalen Vernunft usw. geworden? Wie ist heute unsere Beziehung zur Natur und zur Realität? Wie weit kann man noch von dem Realismus, Rationalismus, von einer realitätstreuen Repräsentation und Konstruktion des Wirklichen und schließlich von einem mit Freiheit, Willen und Wissen ausgestatteten, dem Objekt entgegengesetzten Subjekt überhaupt sprechen? Existiert es noch, ich meine das Subjekt/Ich? Wird das “Ich” zu einer relationalen Identität? Ist es nicht nur eine unendliche Menge von sozialen Relationen und mentalen Verbindungen geworden? Oder, wie G. Deleuze im Hinblick auf die Schizophrenie feststellt: “ Alles ist Körper und körperlich. Alles ist Mischung von Körpern und im Körper, Verschachtelung, Penetration. Alles ist Sache der Physik…”[51]

Wenn alles Körper ist, dann müssen wir davon ausgehen, dass Körper veränderlich sind wie die Konstruktion alles Möglichen und das Wissen/die Bedeutung, die im heutigen Computerzeitalter codiert und decodiert werden können.

In unserem kybernetischen “Zeitalter der Reproduktion” werden die verschiedensten, nach einem bestimmten (De-)Codierungssystem konstruierten Wirklichkeitsschichten auf der flachen Ebene des Bildschirms des Computers/Fernsehers oder der Kinoleinwand dargestellt.[52] Die Aussage von G. Deleuze, dass alles Sache der Physik sei, klingt vielleicht ironisch, aber auch bedrohlich zugleich, wenn man sich fragt, ob die Physik heute ihr Objekt (die Realität) abschafft? Was bedeutet die “Bildauflösung”, wenn die digitale Technologie zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen eine Verbindung entstehen lässt? Vielleicht bedeutet es nicht die Abschaffung der Realität, aber sicher die bessere Auflösung des Realen und sogar nicht nur dessen räumliche, sondern auch seine zeitliche Auflösung. Werden aber dabei nicht nur die Entwicklungen der digitalen Technologie die Realität von den Konventionen der Wahrnehmung bzw. die Wahrnehmung von den starren Konventionen des Realismus befreien? Wird dadurch nicht der Glaube an das perspektivistisch-kategorische Erkennen der Welt erschüttert?

Unsere Gegenwart ist eine Zeit, in der man stets die Implosion der entgegengesetzten Varianten der Wirklichkeiten, Illusion und Realität, Implosion des Geschichtlichen und Fiktiven, Implosion des Kontinuierlichen und des Diskontinuierlichen, von Informationen, Worten, Bildern, Geräuschen gleichzeitig erlebt. In dieser Epoche des Simultanen und der totalen Ästhetisierung von Leben und Wirklichkeit steht nun die methodologische Vernunft zur Diskussion und es wird erst langsam entdeckt, wie nichtig Theorien sind, die zuvor als ewige Wahrheiten gelehrt und gefeiert wurden. Sie scheinen jetzt, besonders nach dem gesamten Prozess der Modernisierung ausprobiert, erlebt und ausgenutzt zu werden. Denn erstens: werden diese Theorien, konventionelle Erzählstrukturen und Diskursarten aller Formen des möglichen Bedeutens als für diese Krise verantwortlich befunden, in der die Moderne sich heute befindet. Zweitens: Aufgrund der Vorherrschaft des Ästhetischen in fast allen Bereichen des heutigen Lebens wurde das alte, problematische Verhältnis von Sein und Schein verschoben; zwischen Realität und Illusion, dem Nahen und dem Fernen und zwischen Original und Kopie lässt sich nicht länger mehr eindeutig unterscheiden. Durch die totale Ästhetisierung in allen Bereichen des Lebens – sogar im politischen Bereich mit der Inszenierung der Politiker und der politischen Ereignissen – wurden die Dinge, alle Dichotomien, Kriterien für ästhetische und ethische Werte, kurzum fast alles zum Verwechselbaren und Austauschbaren gemacht. Aufgrund dieses substantiellen Verlustes an referentiellem Wert sind die Dinge beliebig miteinander verknüpfbar geworden und folglich bilden sie den Reflex, nunmehr nicht nur auf eine Realität in repräsentativer Art und Weise, sondern auf Hyperrealität und auf das Imaginäre.

Jean Baudrillard, der Begriffe wie “Simulation” und “Hyperrealität” in die Diskussion über die Postmoderne eingeführt hat, meint dazu.

Wir befinden uns in der Logik der Simulation, die nichts mehr mit einer Logik der Tatsachen und Ordnung von Vernunftgründen gemein hat. Das Charakteristische an der Simulation ist die Präzision des Modells, aller Modelle, die über den winzigen Tatsachen kreisen. (...) Die Tatsachen besitzen keine eigene Flugbahn, sie entstehen im Schnittpunkt von Modellen, so dass eine einzige Tatsache von allen Modellen gleichzeitig erzeugt werden kann… diese Antizipation, diese Präzision, dieser Kurzschluß, diese Verschmelzung der Tatsache mit ihrem Modell (kein Sinnabstand, keine dialektische Polarität, keine negative Elektrizität mehr, sondern eine Implosion antagonistischer Pole) lässt in jedem Fall Raum für alle möglichen Interpretationen, selbst für die widersprüchlichsten.[53]

Um zu zeigen, wie das Reale ins Hyperreale übergeht, brauchen wir eigentlich nicht lange zu suchen. Es gibt Fernsehprogramme unter dem Namen Reality-TV, die seit einigen Jahren zu sehen sind. Sie zeigen mit Dokumentar-Aufnahmen die realen Ereignisse, die tatsächlich an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Zeitraum geschehen sein sollen. Zunächst möchte ich hier ein interessantes Beispiel aus dem lateinamerikanischen Fernsehkanal “Telenovela” in Venezuela erwähnen: Im Juni 1992 fing Telenovela an, unter dem Titel “Durch Diese Straßen” eine Fernsehserie auszustrahlen. In einem durch Krisen geschüttelten Land fand zum ersten Mal eine Analyse der realen, ökonomischen, politischen und sozialen Situation statt. Jeden Abend blieben die Straßen während der Sendezeit der Serie leer und die Einschaltquoten lagen bei 90%. Das Geheimnis dieses Erfolgs war das Folgende: Die Bestechungsfälle und Skandale, die die politische Klasse und die venezuelische Gesellschaft erschütterten, wurden von Spiel-Dokumentationen aufgearbeitet und ausgestrahlt. Telenovela machte hierbei das, was sich tatsächlich ereignete zum Thema ihrer Serie. Plötzlich sahen die Menschen, wie ihre alltäglichen Erlebnisse, die eigentlich einer Meldung wert sind, abgebildet wurden. Die Serie wurde für die Zuschauer noch spannender, als sie immer mehr dem politischen Alltag auf die Spur kam: wie bei einer reinen Nachrichtensendung begegneten die Zuschauer in jeder Episode den größten Stars der Politik. Jeder der Zuschauer wußte zum Beispiel, dass Don Cheppe, eine der Hauptfiguren der Serie, der Präsident Charlos Andress Peres ist. Die Macher der Serie gingen sogar soweit, die Liebschaften des Präsidenten darzustellen. Zwei Tage später, nach einem Bestechungsskandal des Präsidenten Peres, wurden die die politische Situation betreffenden Ereignisse zum Thema der Serie gemacht. Die Dokumentar-Aufnahmen, die in den Nachrichten gesendet wurden, wurden in der Serie spielerisch wieder dargestellt.

Im Verlauf der Serie erlebten die Zuschauer in allen Vierteln der Stadt einen Präsidenten, den weder die Nachrichten noch Zeitungen bisher gezeigt hatten. Die Wandlung im Bewusstsein der Zuschauer spielte im weiteren Verlauf der Ereignisse eine entscheidende Rolle. Denn es gab eine Wechselwirkung, einen direkteren Dialog mit dem Fernseher. Der Fernseher antwortete dem Zuschauer sofort auf das, was das Publikum sagen oder fragen wollte, weil es sich um die Nachrichten des Tages handelte: Man schlägt die Zeitungen auf und sieht am Abend dieselben Nachrichten im Fernseher als Spielfilm: Skandale nähern sich einer Fiktion!

Ein paar Wochen später machten sich opportunistische Vertreter der Armee diese Unsicherheit zu Nutze und unternahmen innerhalb von wenigen Monaten zwei Putschversuche, von denen einer mehrere Tage dauerte und sehr gewaltsam verlief. Das Hauptangriffsziel der Militärs war das Fernsehen, das eine Gruppe bewaffneter Rebellen besetzte. Daraufhin, um auch weiterhin ein Spiegel der Aktualität zu sein, wurde nach diesen Ereignissen ein ganzes Kapitel der Serie dem Staatsstreich gewidmet. Die Wirklichkeit sollte noch stärker beleuchtet und filmisch umgesetzt werden. Darüber hinaus wurden Bilder aus den Nachrichten-Sendungen in die fiktive Handlung eingefügt und mit dieser vermischt. Die Hauptfiguren der Serie bewegten sich nunmehr in einem Kontext, der dem wirklichen Leben immer näher kam. Jede Woche wurden neue Einzelheiten aus den Affären des Präsidenten aufgedeckt. Die Drehbuch-Autoren und das Produktionsteam von “Durch Diese Straßen” verfolgten die Ereignisse hautnah. Einige Szenen wurden an einem einzigen Tag gedreht, geschnitten und gesendet. Mit dem Ergebnis, dass in über hundert Episoden keine einzige Liebesszene vorkam. Die Telenovela wandelte sich: An die Stelle des Melodramas trat eine Form der Fiktion, mit der jeder Venezuelaner seinen Wunsch nach Veränderung identifizieren konnte. Es wurden höchste Einschaltquoten registriert.

Unter dem verstärkten Druck der Öffentlichkeit distanzierten sich schließlich die staatlichen Behörden von ihren Staatschef: Ein Gerichtsverfahren wurde eingeleitet. Don Chope, die Hauptfigur der Serie, und Peres, der Präsident des Landes, wurden zu einer Person vereint. Diese Funktion, die sich mit der Wirklichkeit verbindet, fängt nun an, ihrem Schöpfer fast zu entgleiten. Der Inhalt ist so gewaltig, dass er eine Ermittlung ermöglicht, die vor einigen Monaten noch reine Spekulation war: das politische Ende des Präsidenten.[54]

Hier könnte man andere Fernsehprogramme erwähnen: Unter den Titeln “Notruf” oder “Ungelöste Geheimnisse” zeigen manche Fernsehserien Augenzeugen von Ereignissen, Leute, die schon Grausamkeiten entweder miterlebten oder von ihnen betroffen waren. Sie inszenieren und rekonstruieren die angebliche Echtzeit an Orten des Geschehens und lassen Augenzeugen ihre Erlebnisse erzählen. Damit wird die Wirklichkeit zur Illusion und die Illusion zur Wirklichkeit zugleich. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird auf eine Geschichte abgelenkt, indem man überzeugend versucht, den Zuschauer mit einer Wirklichkeit und Wahrheit vertraut zu manchen, die normalerweise nirgendwo und nicht so wahrhaftig anzutreffen und zu erleben ist. Dadurch wird das Wirkliche zu einem interessanten und vielleicht magischeren Phänomen, als die Illusion und das Wunder selbst. Liegt die Ursache dafür nicht eigentlich darin, dass wir die reine Realität tatsächlich verloren haben, reizt es uns und weckt unsere Gefühle für Nostalgie vielleicht aus dem Grund, dass wir irgendwie glauben, die Realität in ihrer puren Form wieder gesehen und erkannt zu haben? Besonders dann, wenn wir die Möglichkeit haben, die Realität mit der Nicht-Realität vergleichen zu können?

Allein in Los Angeles zum Beispiel konkurrieren neun Fernsehsender, um uns solche Möglichkeiten anbieten zu können! Alle laufen den vermischten, bunten Nachrichten hinterher. Sie füllen jeden Abend Zweidrittel des Programmes. John Fischer, Redakteur von “Real News”: “Es ist ziemlich einfach, das Verbrechen im Fernsehen darzustellen. Unsere Quellen sind die verschiedenen Polizei-Dienstellen und das Büro des Sheriffs, das uns Informationen zuspielt. In einer großen Stadt ist es relativ einfach. Es liegt nicht daran, dass es hier mehr Verbrechen als anderswo gäbe. Zu viele Fernsehprogramme jagen der Kriminalität und dem Verbrechen hinterher und damit füllen wir unsere Sendung.”

Rund um die Uhr kämmen mehrere Kamerateams die Stadtviertel durch. Sie filmen, wo sie wollen. Manche Redaktionen verfügen bis zu über acht Teamwagen. Es wird unterwegs gefilmt und geschnitten. In der Zentrale verfolgt ein Computer jede Bewegung des Teams. Man weiß immer, wo die Leute sind. Wenn z.B. irgendwo ein Feuer ausgebrochen ist, sucht man ein Team, das dem Schauplatz am nächsten ist. Man kontaktiert die Teams über Funk und sie drehen das Ereignis. Man hat Abhörgeräte, mit denen man Funkgespräche der Polizei, der Feuerwehr und der Rettungsdienste verfolgt. So wird z.B. eine Schießerei auf einer offenen Straße gefilmt. Um so schnell wie möglich am Schauplatz sein zu können, verfügt man über mehrere Hubschrauber. Denn es ist wichtig und notwendig, pünktlich auf Sendung zu sein. Jeden Abend sind zumindest zwei Reporter im Außendienst, so, dass sie jederzeit live zugeschaltet werden können. Neben außergewöhnlichen Sportereignissen haben solche Nachrichten absoluten Vorrang.

Eine Nachrichten-Sprecherin: “In unserer Sendung berichten wir über alle Formen des Verbrechens. Wir hoffen, dazu beitragen zu können, dass die Kriminalität gestoppt werden kann. Mit dem, was man sagt, muss man aber vorsichtig sein, wir vermeiden eine allzu sensationelle Sprache, weil die jungen Zuschauer betroffen sein könnten.”[55]

Eine Dramatisierung der Nachrichten hat es während des Prozesses gegen O.J. Simpson gegeben. Der ehemalige Fußballstar wurde beschuldigt, die eigenen Frau und ihren Freund erstochen zu haben. Monatelang häuften sich die Sondersendungen über den Prozess. Die im Juni 1994 vom Hubschrauber aus gefilmte Verfolgungsjagd zwischen Polizei und O.J.Simpson ist bezeichnend für den neuen Stil der Nachrichtensendungen. Jeden Tag berichteten die Sender über den Verlauf der Gerichtsverhandlungen in den U.S.A.

Um die Faszination des wirklichen Lebens auf den Bildschirm zu bannen, hat John Langley den Fernsehsender “Cops” gegründet. Vier Kameras heften sich an die Fersen der Polizisten in mehreren amerikanischen Städten. “Cops” hatte einen unglaublichen Zuschauererfolg, John Langley:

Unsere Zuschauer lieben Cops, weil man nie weiß, welches Ende die Geschichte finden wird. Und das Ergebnis unserer Arbeit gleicht dem wirklichkeitsnahen Kino. Man schließt sich zunächst einer Meinung eines Polizisten an, aber zu diesem Zeitpunkt weiß keiner, was wirklich passieren wird. Man kann die Realität nicht voraussagen. Das ist nicht so wie in den klassischen Spielfilmen. Dort sieht man, wie einer sich der Tür nähert, dann folgt ein Schnitt, dann wird die Tür geöffnet und man tritt ein. Bei uns ist es ganz anders. Man tritt hinein, wenn die Tür offen ist. Cops entspricht exakt unserem Umfeld. Wir sehen, dass es wirklich existiert. Leider gehören zu dem, was wir sehen, zahlreiche Verbrechen, soziale Spannungen, dramatische und traurige Situationen, die uns stark betroffen machen. Und allen unseren Kritikern sagen wir immer wieder, dass wir nichts anderes als das Leben zeigen. Wenn Sie also nicht zuviel vom Leben wissen wollen, schalten Sie einen anderen Sender ein. Wenn sie keine Angst haben, dann bleiben Sie bei Cops.[56]

Die Sendung Cops existiert seit 6 Jahren. John Langley hat sie in 40 amerikanischen Städten filmen lassen. Das Konzept seiner Sendung ist in Süd-Amerika, Rußland, Hongkong und London kopiert worden. John Langley räumte ein, dass Cops keine Sendung für Kinder sei. Das Programm deckt alles auf, was die Polizisten wirklich sehen:

Manchmal ist das, was wir schon viel zu schrecklich, gewalttätig, ganz außerordentlich, aber auch abstoßend, zu wirklich finden, um es offen zu sagen. Sie können diese Wirklichkeit nicht ertragen. Sie können so harte und dramatische Wirklichkeit, in der Leben und Tod regieren, nicht hinnehmen. Es kommt vor, dass die gewählten Szenen, Mord etwa, so abscheulich sind, dass wir einige Passagen herausschneiden.[57]

Ich werde in den folgenden Kapiteln darauf zurückgreifen, um zu zeigen, wie in heutigen Fernsehprogrammen und besonders in Fernsehserien die Erzählung einer Geschichte immer zweitrangiger wird und an deren Stelle Spezialeffekte, die Dominanz der Musikalität, der Zufälle oder Überraschungen treten. Nun möchte ich hier nur darauf hinweisen, dass das Fernsehen neben dem Kino der größte Faktor für den Wandel der modernen zur postmodernen heutigen Generation geworden ist: Im Grunde gesehen, ist im Fernsehen alles aktuell und es wird alles aktualisiert. Die Kraft des Fernsehens ist nicht die Erzählung der Zeit, sondern die Präsenz des Jetzt, in dem die Zeit der Aussage (der Erzählung) und die Zeit des Gezeigten (Sendezeit) nicht unbedingt die gleiche Zeit ist: Da alles im Fernsehen aktualisiert wird, werden die Grenzen zwischen der Vergangenheit und Gegenwart aufgehoben. Man könnte sagen, dass aufgrund der Vergleichgültigung und Aktualisierung des Ganzen alles wiederum inaktuell wird. Schließlich möchte ich argumentieren, entsprechend einigen postmodernen Begriffen wie “Sprachspiele”, “Pluralität”, “Inkommensurabilität” und “Grenzüberschreitung-Entdifferenzierung”, dass Fernsehen im absoluten Sinn des Wortes eine echte Welt – nicht der modernen, sondern post-modernen Kultur wird. Denn es scheint ganz zu Recht kein Spiegel der Gesellschaft, sondern gerade umgekehrt zu sein: Das Fernsehen ist die Gesellschaft als ein Spiegel des Fernsehens.

Das Ende des Panoptikums und der Film

Unser Jahrhundert ist nicht zu verstehen ohne den Wandel der Wahrnehmung (“aisthesis”), der zu einem völlig neuen Weltverständtnis geführt hat. Die Erfindung des Mikroskops, des Fernrohres, der Röntgenstrahlen und des Fotoapparates waren sicherlich die weitere Ausdehnung des Feldes des Sichtbaren. Als sich aber Druckmaschinen weiter entwickelten, neue Formen von Zeitungen und Zeitschriften auftauchten und die Fotografie immer mehr verbreitet wurde, wurde der Blick immer mehr zur sozialen Ware und die Wahrnehmung überhaupt vergesellschaftet: das Telegramm, das Telefon haben die Geschwindigkeit der Kommunikation beschleunigt und andererseits hat die Erfindung des Dampfschiffes und der Eisenbahn, des Flugzeugs, das Konzept der Entfernung verändert, während die neue visuelle Kultur – Fotografie, Werbung und Kaufhäuser – die Natur der Erinnerung und Erfahrung umgestaltet haben.

Diese soziale Vervielfältigung des Blicks und der Wahrnehmung bzw. die des Bildes des Realen hat auch den Rhythmus und die Ordnung des alltäglichen Lebens in qualitativer Art und Weise bestimmt.

Trotz all dieser Veränderungen haben sich die Grundprinzipien des immer stärker mobilisierten Blicks nicht geändert. Damit meine ich hauptsächlich die Prinzipien des perspektivischen, sich nach rationalen Kriterien orientierenden Blicks. Genau diese Logik des Blicks hat von der Renaissance bis heute nicht nur die Architektur sondern auch – besonders nach der Industrialisierung – das Design der Städte bestimmt. Dieser Perspektivismus des Blicks und der Wahrnehmung hat eine sehr entscheidende Rolle für die Praxis der Repräsentation in sozialen, kulturellen und künstlerischen Bereichen gespielt; die Repräsentation, die dem modernen Diskurs zugrunde liegt.

M. Foucault zufolge, der die Modernität als panoptische Ordnung beschreibt, hat der Panoptismus bei der Institutionalisierung der gesellschaftlichen und politischen Kontrolle eine entscheidende Rolle gespielt. Für Foucault liegt die Originalität des Modernen sogar in dieser panoptischen Wieder-ordnung der Macht der Erkenntnisse und des Sichtbaren.[58] In seinem Buch “Überwachen und Strafen” nennt Foucault den Panoptismus einen “architektonischen Mechanismus, ein reines architektonisches und optisches System”, das seine Elemente streng unter Kontrolle hält,[59] genauso wie das panoptische Bewusstsein in der Malerei, in der es durch die perspektivische Logik der Darstellung die Realität von ihrer natürlichen Umwelt ins Quadrat (Konzept) zu beschlagnahmen versucht hat.

Für Foucault ist das Panopticon eine wundersame Maschine, die aus den verschiedensten Begierden gleichförmige Machtwirkungen erzeugt; eine Maschine zur Scheidung des Paares Sehen/Gesehen Werden: man wird gesehen, ohne jemals zu sehen oder man sieht alles, ohne je gesehen zu werden[60], was allerdings der Situation eines Voyeurs und im figurativen Sinne des Zuschauers im dunklen Kinosaal ähnelt.

Neben der panoptischen Mobilisierung des Blicks gab es zwei weitere Entwicklungen in der modernen Konstruktion des architektonischen Raums: das Panorama und Diorama.

Das Panaroma (griechisch: pan “alles, jedes”; horama “Anblick”) ist eigentlich eine bestimmte Form der Landschafts-Malerei mit 360 Grad Rundblick, ein Rundgemälde, das einen weiten Horizont vortäuscht: ein zylindrisches Gemälde also, das von einem im Zentrum stehenden Beobachter besichtigt wird. Ein panoramatischer Ausdruck wird folgendermaßen erzielt: Es werden realistische Techniken der Perspektive (des Perspektivismus) und des Maßstabes mit einem imaginären Beobachter (Blick) im Zentrum eines dunklen Raums kombiniert und die Umgebung des dunklen Raums, d.h., des Zentrums des Blicks von oben beleuchtet. Das Panorama stellte dem Beobachter eine praktische, räumliche und zeitliche Beweglichkeit zur Verfügung, indem es das Land und seine Landschaften mit einer städtischen Architektur vermischte und die Vergangenheit in die Gegenwart transportierte. Aufgrund dieser Vermischung der verschiedenen Zeiten und Räume wurde es für den Beobachter schwierig, eine Beurteilung der Entfernung und des Raumes zustande zu bringen. Die Ideologie der Repräsentation der panoramatischen Malerei, die verschiedene Räume und Zeiten mit einem Beobachter in einem dunklen, zeitlosen Zentrum kombiniert, lässt sich schließlich in den Kontext von einem gleichzeitigen Rekonzipieren der Idee des Horizonts und der Perspektive und der Immensitätskraft in der Malerei plazieren.[61]

Diorama (griechisch: dio “hindurch”, horama “Anblick”) ist ein Durchscheinbild; plastische Darstellung mit gemaltem Hintergrund; Bild auf durchscheinendem Stoff usw. Die technische Seite des Dioramas wurde zum ersten Mal von Daquerne Luis Jaques Mande im Jahr 1839 beschrieben. Ihm zufolge ist die dioramatische Illusion grundsätzlich auf die Manipulation des Lichtes durch den transparenten Stoff des Gemäldes angewiesen.

Das Konzept des Dioramas ist, durch das Licht und die Bewegung, die Konstruktion und Wiederbildung der Beziehung des Beobachters zu der räumlichen und zeitlichen Präsenz. Das Diorama ist vom Panorama folgendermaßen zu unterscheiden: Der Beobachter eines Dioramas war unbeweglicher als der des Panoramas. Der Blick war wieder im Zentrum des Gebäudes plaziert. Der Blick des Beobachters wurde nur dann mobilisiert, wenn der ganze dioramatische Bau mit Rollen und Schnüren zu einer Maschine wurde und die Blickwinkel des Beobachters in Bewegung setzte.

Wie man sieht, wird der Beobachter immer passiver, unbeweglicher, während der Blick des Beobachters mobilisierter und die Beweglichkeit des Blicks immer virtueller wird. Nach der Erfindung der Photographie und Kinematographie wurde der Beobachter/Zuschauer unbeweglicher, passiver und bereit, die Konstruktionen der virtuellen Realität wahrzunehmen, ohne seinen Körper zu bewegen.[62]

Von der Bildhauerei zur Architektur bis hin zur Malerei haben alle bildenden Künste im Grunde genommen versucht, die Bewegung der Realität zur Ruhe zu bringen, bzw. sie repräsentierten einen Prozess der Ruhigstellung der Bewegung des Wirklichen, indem sie paradoxerweise nach einer Beweglichkeit suchten, die die Wirklichkeit der Abbildung des Realen zur Bewegung bringen würde: Zu der kinematographischen Bewegung der Bilder mit der Geschwindigkeit von 24 mal pro Sekunde.

Bis zur Erfindung der Kinematographie kann man nur von der Illusion der räumlichen Beweglichkeit sprechen, nicht aber von der zeitlichen. Die Illusion der zeitlichen Beweglichkeit erreichte man erst durch die Kinematographie, die auch eine Art von Subjektivität hervorbrachte, die nicht mehr nur die Beziehung zur physikalischen Welt benötigte, sondern auch ihr Zeitbewusstsein sowohl in (re)konstruktiver als auch destruktiver Art und Weise veränderte. Die Tatsache, dass der Film es paradoxerweise nötig hat, als Kunst des Kontinuierlichen in jedem Fall eine Geschichte zu erzählen, während er seine gesamten Energie aus der Unterbrechung bezieht, zeigt uns, dass das Ganze nicht mehr in seiner alten Form der Geschlossenheit zu fassen ist. Die optische Wahrnehmung, die alles auf ein Mal und als Ganzes umfassen konnte, wurde durch Kinematographie in Szenen, Sequenzen und Kamera-Einstellungen segmentiert. Die optische Wahrnehmung ist selbst fragmentarisch geworden, um sich an das fraktale Objekt anzupassen. Die normale Form des Sehens, die sowohl bewegte als auch unbewegte Augenbewegungen voraussetzte, wurde durch einen passiven Wahrnehmungszustand ersetzt. Wir brauchen nicht mehr, unsere Augen zu bewegen, um ein Objekt auszuwählen und es anzublicken. Man braucht eigentlich gar keine Mobilität des Blickes, denn man sieht, was gezeigt wird. Während der Akt des Sehens – von einem Ausschnitt zu dem nächsten, von einer Einstellung zu einer anderen- sich im Laufe des Films in einem regressiven Wahrnehmungszustand befindet, wird der Effekt der virtuellen Realität durch ein in verschiedene Kamera-Einstellungen segmentiertes Ganzes erzielt. Der Akt des Sehens und die Kamera-Bewegungen/Einstellungen sind im Grunde genommen identisch und daher lässt sich sagen, dass es eigentlich keine subjektive oder objektive Kamera-Einstellungen gibt, sondern nur noch die Subjektivität des Blickwinkels/der Kamera.

Demzufolge möchte ich argumentieren, dass die Geburt der Kinematographie, bzw. die filmische Darstellung des Realen, das Ende des panoptischen Systems bedeutete. Denn das Auge ist nicht mehr der Ausgangspunkt eines absoluten Blicks, wie es im panoptischen System war. Nichts wird mehr dem Blick untergeordnet; im Gegenteil: Der Blick hat seine Kontrolle über Objekte über den Akt des Sehens verloren. Die neue Ordnung des Sehens kennt kein Subjekt, keinen Brennpunkt des panoptischen Systems, kein Zentrum und keine Peripherie mehr. In Bezug auf die Medien sagt Jean Baudrillard:

Wir erleben das Ende des perspektivischen Raums und des Panoptikums. (...) Doch muss die vom Diskurs auferlegte, negative Wendung beachtet werden: es handelt sich weder um eine Krankheit noch um eine Virusinfektion, vielmehr muss man sich die Medien so vorstellen, als seien sie in einer äußeren Erdumlaufbahn, einem Orbit, eine Art genetischer Code, der die Mutation des Realen und Hyperrealen bestimmt. Und genau wie der genetische, so erweist sich auch dieser Code als bestimmend: nämlich bestimmend für den Übergang von der repräsentativen Sphäre des Sinns zur genetischen Sphäre des programmierten Signals.

Die gesamte traditionelle Form der Kausalität wird hiermit in Frage gestellt: die perspektivische, deterministische, kritische, “aktive” und analytische Form – Unterscheidung von Ursache und Wirkung, aktiv und passiv, Subjekt und Objekt, Zweck und Mittel.[63]

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Realen ist der Film zum Symbol einer neuen Ära geworden, in der das Zeichen sich in die Realität und die Realität sich in die Hyperrealität verwandelt hat. Die wichtigste Botschaft dieser Ära ist vielleicht, dass es keine grundsätzliche Realität gibt, sondern nur die, die ständig durch Zeichen, Code und Simulationen maskiert wird. Der Film und die Geburt der Kinematographie war ein Zeichen dafür, dass es zu einer gigantischen Implosion aller Sinngebungen, zu einem Übergang in universelle Indifferenz kommen würde; ein Zeichen der Vielfalt und Zerbrochenheit und überschwenglichen Verschiedenheit, durch die das vollkommene Darstellen von Dingen und Beziehungen unausführbar gemacht wurde. Denn, je mehr die Differenzen zwischen Illusion und Realität, Vergangenheit und Gegenwart, kurz gesagt, zwischen den alten Gegensätzlichkeiten des modernen Diskurses aufgehoben wurde, desto mehr stellte man die Autonomie des Subjekts in Frage; die Autonomie, die dem Subjekt versicherte, sich in Großerzählungen, in komplett geschlossenen, exakt konstruierten Werken repräsentieren zu können.

In diesem kinematographischen Zeitalter, “ist unser Sehen stets eine Montage, eine Montage von Zeitlichkeiten” sagt Paul Virilio:

Im Film können wir sehen, wie unser Bewusstsein funktioniert. Unser Bewusstsein ist ein Montageeffekt. Es gibt kein kontinuierliches Bewusstsein, nur ein zusammengesetztes. (...) Es ist eine Collage. Es gibt nur Collagen, nur Schnitte. Damit wird recht gut das verdeutlicht, was Jean-Francois Lyotard das Verschwinden der großen Erzählungen nennt. Man glaubt nicht mehr an die klassenlose Gesellschaft und die soziale Gerechtigkeit. Wir befinden uns schon in der Zeit der Mikro-Erzählungen, der Kunst des Fragments. (...) Es wird deutlich, dass man von Einheit und Einheitlichkeit (dem Begriff der Einheit einer Kontinuität) übergehen kann zu Begriffen von Fragmentierung und Unordnung.[64]

Bevor ich dieses Kapitel abschließe, möchte ich betonen, dass ich bisher zu schildern versucht habe, wie all diese dramatischen Entwicklungen und Wendepunkte der Geschichte für uns das, was Denken, Begreifen, Wahrnehmen/Wahrgenommen-Werden und schließlich Dasein/Nicht(mehr)-Dasein, Existieren/Werden, Sein/Schein heißt, verändert haben. Das ganze Schicksal der Menschheit war von diesem tragischen Prozess betroffen, insbesondere aber die Kunst und ihre Einflüsse auf unsere Existenz- und Wahrnehmungsformen, auf unsere Beziehung zu Realität, Zeit und Raum.

Im Zeitalter der Nanotechnologien, in denen alles für Körper und körperlich gehalten wird, in denen nur noch die Rede von dem verkörperten Wissen, beziehungsweise von der Codierung/Decodierung, Konstruktion/Dekonstruktion des Wissens, der Wahrnehmung, Kommunikation und aller möglichen soziokulturellen Kontexte ist, übernimmt die Kunst überhaupt, aber besonders bildende Künste wie der Film jene entscheidende Rolle, die ich angesichts der postmodernen Problematisierung der Darstellung des Wirklichen untersuchen werde. Dabei gehe ich von der folgenden Grundidee aus, die sich mit den Worten von W. Benjamin am besten formulieren lässt:

Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung.[65]

Wie ich bereits argumentiert habe, ist die Postmoderne, beziehungsweise Postmodernität, keineswegs eine Erfindung von Kunsttheoretikern, Künstlern und Philosophen, vielmehr ist unsere Realität und Lebenswelt “postmodern” geworden. Der Postmodernismus, den ich im nächsten Kapitel untersuchen werde, erfindet diese Situation nicht, sondern versucht sie zu reflektieren. Demzufolge möchte ich argumentieren, dass der Postmodernismus, die eigentliche theoretische Basis der heutigen Diskussion ist, die hauptsächlich auf die Postmodernität unserer gesellschaftlichen, kulturellen Situation reflektiert und versucht aus diesem Faktum etwas zu machen.

Dementsprechend werde ich auch das Thema dieser Studie behandeln: In diesem ersten Kapitel habe ich versucht, zu argumentieren, wie wir und unsere Realität bzw. unsere Beziehung zur Realität, Zeit/Geschichte/Kultur und zum Raum usw. postmodern geworden sind. Im zweiten Kapitel werde ich dann versuchen, eine panoramatische Sicht der postmodernen Theorieentwicklung zu schaffen, die auf diesen Wandel der Wahrnehmung des Realen reflektiert bzw. die aus diesem Wandel entstanden ist. Danach werde ich wieder dekonstruktiverweise zur Realität zurückkehren, d.h., auf das Film-Ereignis eingehen und zeigen, wie die Hervorbringungen der Postmoderne im Bereich der filmischen Darstellung zum Ausdruck kommen.

Ein dioptrisches Panorama der Postmoderne

Die Auflösung des Subjekts

Um die Argumentation der Auflösung des Subjekts voranzutreiben und um zu einer weiteren Klärung der zentralen Begrifflichkeiten, die der postmodernen Ästhetik zugrunde liegen, zu gelangen, werden wir auf einen zentralen Gedankengang Freuds verweisen, um den sich im Grunde mehrere Aspekte der figurativen Ästhetik der Postmoderne gruppieren. Es handelt sich um die Dezentrierung des Subjekts (Ichs) und die Rebellion des Unbewussten.

Wie ich im ersten Kapitel argumentiert habe, war Gott eigentlich schon längst verschwunden, als Nietzsche dessen Tod verkündete. Daraufhin ersetzte man ihn durch ein logisch-analytisch denkendes Subjekt (Ich) und dessen unendlichen Willen. Nach der Aufspaltung der Vernunft bei Kant war S. Freud derjenige, der die Dezentrierung des Subjekts verkündete und, um die völlige Auflösung des Subjekts (den Tod des Ichs) zu verhindern, die Verstärkung des Ich-Bewusstseins forderte.

Wenn man die Schriften, Studien und Vorlesungen Freuds im Zeitraum 1923 bis 1933 vergleicht dann stellt man fest, dass er grundsätzlich zwei verschiedene Topographien des psychischen Systems entwickelt hat. Wie Freud gebrauchen wir auch die folgenden Bilder, um so den eben genannten Unterschied zu verdeutlichen. Seine erste Topographie des psychischen Systems ist in seiner Schrift “Das Ich und Es” (1923) zu finden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie man sieht, wird in dieser ersten Topographie Freuds, die nach dem Muster einer bürgerlichen Wohnung entwickelt wurde, das Psychische hauptsächlich in zwei Räume aufgeteilt: in den Raum des Unbewussten (Vorraum) und in den des Vorbewussten (Salon). Zwischen diesen beiden Haupträumen gibt es eine Verbindungs-/Verdrängungstür, an der ein Wächter (Verdränger) stehen soll.

Entsprechend dieser Topographie des psychischen Systems, befindet sich im Unbewussten ein triebhaftes, anarchistisches Volk, das Einlaß in den Salon (den Raum des Vorbewussten) begehrt. [66] Mit Freuds eigenen Worten heißt dies:

Gewöhnt, den Gesichtspunkt einer sozialen oder ethischen Wertung überallhin mitzunehmen, sind wir nicht überrascht, zu hören, dass das Treiben der niedrigen Leidenschaften im Unbewussten vor sich geht, erwarten aber, dass die seelischen Funktionen um so leichter sicheren Zugang zum Bewusstsein finden, je höher sie in dieser Wertung eingesetzt sind. [67]

Unsere geheimnisvolle Figur, der Wächter an der Verbindungstür, versucht, die wilden Triebe zu sondieren. Während er einige durchlässt, verwehrt er auf der anderen Seite anderen den Zutritt. Nicht selten gelingt dennoch diesem oder jenem Triebrepräsentanten unkontrolliert (z.B. im Schlafzustand [68] ) durch die Tür zu gelangen. In dem Fall muss der Wächter solche Eindringlinge ausfindig machen und sie wieder aus dem Salon “verdrängen” [69]

Wenn man diese Topographie als vor und nach der Verdrängungstat in zwei aufteilt, hat man dann klare Bilder vom “Ich” und “Es”. Bei Freud repräsentiert das Ich die “reale Außenwelt im Seelischen” [70] und gehört dem System des Vorbewusstseins an. Demzufolge wirkt das Ich nach dem Realitätsprinzip und ist als Repräsent des analytisch-logisch denkenden Subjekts dem Sekundärprozess gleichzusetzen. Dahingegen ist das “Es” Repräsent des Systems des Unbewussten, in dem sich ein triebhaftes, anarchistisches Volk befindet, das keine Rücksicht auf Realität, Ordnung und Zeit hat. Das “Es” wirkt nach dem Lustprinzip und ist dem Primärprozess gleichzusetzen. Dementsprechend operiert das Unbewusste figurativ und schlägt sich in Erinnerungen, Phantasien und Halluzinationen nieder.“ Es” kennt keine Einheit oder einheitliche Kontinuität. S. Freud schreibt:

Es ist leicht einzusehen, das Ich ist der durch den direkten Einfluß der Außenwelt unter Vermittlung von W-Bw. veränderte Teil des Es, gewissermaßen eine Fortsetzung der Oberflächendifferenzierung. Es bemüht sich auch, den Einfluß der Außenwelt auf das Es und seine Absichten zur Geltung zu bringen, ist bestrebt, das Realitätsprinzip an die Stelle des Lustprinzips zu setzen, welches im Es uneingeschränkt regiert. Die Wahrnehmung spielt für das Ich die Rolle, welche im Es dem Trieb zufällt. Das Ich repräsentiert, was man Vernunft und Besonnenheit nennen kann, im Gegensatz zum Es, welches die Leidenschaften enthält. [71]

Nun könnte man fragen: Was würde es bedeuten, wenn die Grenzen zwischen dem System des Unbewussten und dem des Bewusstseins bzw. Vorbewusstseins, zwischen dem “Ich” und “Es” aufgehoben würden? Würde dann das Subjekt seine Autonomie, bzw. seine Autorität über Kulturobjekt und Kunstwerk verlieren? Sind Subjekt und Bewusstsein, wie es lange Zeit vom modernen Diskurs angenommen wurde, unauslöslich miteinander verbunden?

Unsere zweite Topographie zeigt uns, dass diese Verbindung zwischen dem Subjekt/Ich und dem Bewusstsein schon bei Freud durchschnitten ist:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Freud stellt seine alte, topisch-systematische Vorstellung des Psychischen in seinem im Jahr 1932-33 verfaßten Artikel “Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit” in Frage und versucht sie durch eine dynamisch-strukturelle Auffassung zu ersetzen. Freud empfindet das Bedürfnis, seine Einstellung zum Problem bewusst-unbewusst gründlich zu revidieren. [72] In seiner früheren Auffassung hat Freud drei Termini verwendet: das Vorbewusste, das Ich und das Es; den Terminus “unbewusst” verstand er in einem topischen oder systematischen Sinn, sprach von einem System des Vorbewussten und des Unbewusstem, von einem Konflikt des Ichs mit dem System des Unbewussten. Dann entdeckte Freud, dass auch Teile des Ichs und Über-Ichs im dynamischen Sinne unbewusst sind. Er betrachtete das System des Unbewussten nicht mehr als das Ich-fremde Seelengebiet, da die Unbewusstheit nicht sein ausschließlicher Charakter ist. In seiner neuen dynamischen Auffassung gehört das Vorbewusste zum Unbewussten und das Unbewusste heißt dann in Anlehnung an den Sprachgebrauch bei Nietzsche, das Es. Dadurch entsteht eine neue Aufteilung des psychischen Systems in drei Gebiete, nämlich in Über-Ich, Ich und Es, in die er den “Seelenapparat der Person” zerlegt. [73] Freud schreibt dazu:

Wir haben uns bisher durch die Aufzählung der Vorzüge und Fähigkeiten des Ichs imponieren lassen; es ist jetzt Zeit, auch der Kehrseite zu gedenken. Das Ich ist doch nur ein Stück vom Es, ein durch die Nähe der gefahrdrohenden Außenwelt zweckmäßig verändertes Stück. (...) Im Ganzen muss das Ich die Absicht des Es durchführen, es erfüllt seine Aufgabe, wenn es die Umstände ausfindig macht, unter denen diese Absichten am besten erreicht werden können. (...) Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei strengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang miteinander zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein... die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das Es... Es fühlt sich von drei Seiten her eingeengt... [74]

Wie es auch in der neuen Zeichnung von Freud dargestellt wird, sind das Ich und das Über-Ich Instanzen, die sich sowohl im Unbewussten als auch im Vorbewusstsein aufhalten: das Über-Ich taucht in das Es ein; als Erbe des Ödipuskomplexes hat es intime Zusammenhänge mit ihm; es liegt weiter ab vom Wahrnehmungssystem als das Ich. Das Es verkehrt mit der Außenwelt nur über das Ich. Zwischen denen, nämlich dem Ich, Über-Ich und Es gibt es keine scharfe Grenzen, sondern nur noch “verschwimmende Farbenfelder”. [75]

So ist das Ich nicht identisch mit dem Bewusstsein und das Über-Ich treibt sich auch im Unbewussten herum, tangiert den Bereich des Es. Suggeriert wird ein Schema der Durchlässigkeit, der Bewegung. Der räumlichen Vorstellung, die aus sich heraus zwar eine primäre Bewegungsenergie, jedoch nur schwer eine triebhemmende Kraft erklären konnte, wird nun eine temporalisierte, dynamische Vorstellung entgegengesetzt. Dies ist nur möglich aufgrund einer strukturellen Zuschreibung: wenn das Ich und Über-Ich strukturell sowohl dem Vorbewussten als auch dem Unbewussten angehören, ergibt sich bereits innerhalb dieser Instanzen eine Dynamik. (...) Zugespitzt ließe sich sagen: statt einer mechanischen Topographie haben wir nun die Dynamik der Instanzen. Statt System haben wir die Struktur, statt der Horizontalen haben wir die Vertikale. Statt Räumlichkeit haben wir eine Zeitlichkeit [76]

Dieser Übergang von einem topisch-horizontalen System zu einer späteren dynamisch-vertikalen Struktur hätte eigentlich einen zu hermetischen, sogar postmodernen Effekt, der Freud selber fernlag: Denn, der Gedanke von Freud, der dem Subjekt bereits einen zweideutigen Platz anweist, das “Ich” in sich nicht existieren lässt, sondern es als Konstruiertes/Dekonstruiertes, als den Treffpunkt eines Kräftekonfliktes und, am allerwichtigsten, nicht mehr als Autonomes darstellt, deutet in erster Linie auf das “Aus-dem-Zentrum-Rücken” (Lacan) [77], bzw. auf das Verschwinden des Subjekts hin, was eigentlich für die postmoderne Dezentrierung im allgemeinen, besonders bei Lyotard im ästhetischen Bereich ein Ausgangspunkt ist.

Statt neue Möglichkeiten in dieser dynamischen Struktur zu sehen, forderte Freud eine psychoanalytische Kur, die auf eine Technik der reinen Ich-Stärkung reduziert ist. Diese Technik soll dem Ich ermöglichen, einen Sieg im Kampf um die Vorherrschaft im psychischen Apparat gegen die Abhängigkeit vom Es und vom Über-ich davonzutragen. [78] Genau am Ende des Artikels “Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit” plädierte Freud für folgendes: “Wo Es war, soll Ich werden” und bleibt modern. Freud gesteht zwar die Möglichkeit, dass Teile vom Ich und Über-Ich unbewusst seien, aber “ohne den nämlich primitiven und irrationalen Charakter” des Es zu besitzen. Das Ich, der Vertreter der Außenwelt und des Realitätsprizips übernimmt die Aufgabe eines Missionärs, diese Außenwelt beim Es zu repräsentieren. Dank seiner Tätigkeit der Realitätsprüfung soll das Ich getreue Abbildungen von der Außenwelt in den Erinnerungsspuren seiner Wahrnehmungen niederlegen und sie vor den ungezähmten Leidenschaften des Es schonen.

Die Mission des Vertreters des Realitätsprinzips (Ich) hat die Aufgabe, das Lustprinzip, das uneingeschränkt den Ablauf der Vorgänge im Es beherrscht, zu entthronen und es durch das Realitätsprinzip zu ersetzen, das mehr Sicherheit und größeren Erfolg verspricht. Auf die Frage, was dabei zu erreichen sei, antwortete Freud wie folgt: “Dies Alles ist zum Heil des Es”. [79] Wie hier leicht zu merken ist, identifiziert sich die Mission des Ich mit der Rolle (Funktion) eines Psychoanalytikers, der ebenfalls mit den Regeln des Realitätsprinzips, der Außenwelt und der Vernunft und mittels der Sprache operiert und darüber hinaus mit diesen Regeln und Mitteln in das Unbewusste eingreift. Es ist eigentlich nicht erstaunlich, dass Freud bei der Mission des Ichs die Rolle bzw. die Aufgabe des Psychoanalytikers sieht und die Stärkung des Ichs fordert, so dass die Existenz der Psychoanalyse als gültige und richtige Wissenschaft gerechtfertigt wird:

Immerhin wollen wir zugeben, dass die therapeutischen Bemühungen der Psychoanalyse sich einen ähnlichen Angriffspunkt gewählt haben. Ihre Absicht ist ja, das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so dass es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden. Es ist Kulturarbeit, etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee. [80]

Dagegen wendet die Postmoderne und besonders J. F. Lyotard ein, dass sich hierbei um die Kolonisierung des Unbewussten (des Es) durch das Ich und dessen Ordnungen (Realitätsprinzip) handelt. Freuds Psychoanalyse versucht, die chaotisch-paradoxalen, vernunftwidrigen Eigenschaften des Unbewussten (des Es) durch die Sprache (den Diskurs) bzw. die Regeln des Logos/der Logik zu operieren, die Unordnung in Regelmäßiges zu verwandeln. Dazu muss er natürlich im Raum des Unbewussten Regeln fordern und dort Phänomene bestimmen, die den eigenen Prinzipien des Ichs entsprechen. Das würde heißen, dass man versucht, Regeln dort zu finden, wo man gar keine erkennen kann. [81]

Ich denke, um die Gegensätzlichkeiten zwischen der psychoanalytischen Auffassung und der Grundhaltung der postmodernen Ästhetik zu verdeutlichen, müssen wir hier auf die Beziehung zwischen dem Primärvorgang und dem Sekundärvorgang (Verdrängungsproblematik) eingehen, durch die ich dann eine Grundlage für die weiteren Untersuchungen über die postmoderne Ästhetik bzw. einen Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen schaffen kann. Denn die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärvorgang und die Hypothese, dass die Psyche in ihnen auf verschiedene Weise funktioniere, gehören zu den wichtigsten Grundannahmen Freuds, auf die die Postmoderne und besonders J.F. Lyotard reflektiert. In seinem Artikel “Der Primär- und Sekundärvorgang und die Verdrängung” stellt Freud fest, dass die Primärvorgänge im psychischen Apparat von Anfang an gegeben sind, während die sekundären erst allmählich im Laufe des Lebens sich ausbilden, die primären hemmen und überlagern und ihre volle Herrschaft über sie vielleicht erst mit der Lebenshöhe erreichen. Freuds Meinung nach bleibt der Kern unseres Wesens, aus unbewussten Wunschregungen bestehend, unfaßbar, unberechenbar und zum großen Teil unhemmbar für das Vorbewusste, dessen Rolle ein für allemal darauf beschränkt wird, den aus dem Unbewussten stammenden Wunschregungen die zweckmäßigsten Wege anzuweisen. Aufgrund dieser unbewussten Wünsche sind das Vorbewusste und das Ich gezwungen, sich diesem Zwang zu fügen, ihn etwas abzuleiten und auf höherstehende Ziele zu lenken.

“Unter diesen aus dem Infantilen stammenden, unzerstörbaren und unhemmbaren Wunschregungen befinden sich nun auch solche, deren Erfüllung in das Verhältnis des Widerspruchs zu den Zielvorstellungen des sekundären Denkens getreten ist. Die Erfüllung dieser Wünsche würde nicht mehr einen Lust-, sondern einen Unlustaffekt hervorrufen und eben diese Affekt-Verwandlung macht das Wesen dessen aus, was wir als “Verdrängung” bezeichnen.” [82]

Laut Freud ist der Wunsch die motorische Kraft des psychischen Systems, die den psychischen Apparat in Bewegung bringt. In diesem Apparat wird der Ablauf der Erregung durch die Wahrnehmung von Lust und Unlust geregelt. Diese beiden Lust- Unlustprinzipien sind eigentlich der Keim zum Unbewusstsein und Vorbewusstsein. Dabei bezeichnet Freud das Unlustprinzip als Regulator für den Erregungsablauf des Sekundärvorgangs. In diesem zweiten System (Sekundärvorgang) wird eine Erinnerung so besetzt, dass der Abfluß von ihr gehemmt wird. Hier finden wir eine entscheidende Gegensätzlichkeit zwischen dem Primär- und Sekundärvorgang: “Der Primärvorgang strebt nach Abfuhr der Erregung, um mit der so gesammelten Erregungsgröße eine Wahrnehmungsidentität (mit dem Befriedigungserlebnis) herzustellen; der Sekundärvorgang hat diese Absicht verlassen und an ihrer statt die andere aufgenommen, eine Denkidentität zu erzielen.” Die von einer Hemmung befreiten Arbeitsweisen des Primärvorgangs sind im wahrsten Sinne des Wortes irregulär, inkorrekt und unberechenbar [83] im Gegensatz zum Sekundärvorgang, dessen Repräsentanz das Ich ist, das Hemmung, Realitätsprüfung, Denken und Gedächtnis ermöglicht. Damit obliegt dem Ich (Sekundärvorgang) also wesentlich das was man als Realitätsprüfung bezeichnen könnte; es kommt ihm also wesentlich gebieterische und verbieterische Funktion zu, [84] während die Primärvorgänge sich mit der ungehemmten, nach Abfluß strebenden Energie vom Unbewussten her erfüllen können.

Man merkt, dass der Sekundärvorgang dem entspricht, was wir bereits als System des Vorbewusstseins, des Ich und des Realitätsprinzips untersucht haben, während der Primärvorgang dem System des Unbewussten, dem Es und dem Lustprinzip entspricht. Und ich habe argumentiert, dass der wahre, zu hermetische Effekt der dynamischen strukturellen Dezentrierung des Subjekts Freud fernlag, was eigentlich zu einer poststrukturalistischen, sogar postmodernen Auffassung des aus dem Zentrum gerückten Subjekts geführt hätte. Stattdessen forderte Freud die Kolonisierung des Unbewussten durch das Vorbewusste, die des Es durch das Ich. Mit dem berühmten Slogan “Wo Es war, soll Ich werden.” befürwortete Freud die Stärkung des Ichs. Das bedeutete im Grunde genommen nichts anderes als die Kolonisierung des Primärprozesses durch den Sekundärprozess, “zum Heil des Es”. Genau hier, in diesem Brennpunkt der Diskussion über den repräsentativen Diskurs des Subjekts, versucht die Postmoderne die zugunsten des Ichs (des Realitätsprinzips) begründete Konstruktion der beiden gegensätzlichen Systeme umzuwälzen: Nach einer langen Zeit der Unterdrückung [85] rebelliert nun das Unbewusste, das Es, das Lustprinzip und das Figurative gegen das Bewusstsein, das Ich, das Realitätsprinzip und das Diskursive, das heißt, gegen die repräsentative Ordnung und Hierarchie des Psychischen, gegen die Verdrängung und die Verdränger.

Der Aufstand des Figurativen und das Unbewusste

An dieser Stelle möchte ich das Argument vorbringen, dass moderne Kultur in hauptsächlich “diskursiver” Weise Bedeutung schafft, während postmodernes Bedeuten vorwiegend “figurativ” ist. Man könnte sogar sagen, eine Grenze zwischen “diskursiv” und “figurativ” zu ziehen, bedeute eine Hauptunterscheidung zwischen der Moderne und Postmoderne.

Bei dieser Argumentation beziehe ich mich grundsätzlich auf J. F. Lyotard’s postmoderne Ästhetik [86], die ebenso in dekonstruktiver Art und Weise auf der freudianischen Terminologie beruht. Zunächst möchte ich darauf hinweisen , dass J. F. Lyotard in seinem höchst wichtigen Buch “Discours, figure” (1971) eine Grundlage für eine postmoderne Ästhetik des Figurativen schuf, in dem er S. Sontags Unterscheidung zwischen Moderne und Postmoderne in der Gegenüberstellung von “Diskurs” und “Figur” untermauerte. Deswegen finde ich es hier hilfreich, kurz auf den Beitrag von Susan Sontag zur postmodernen Ästhetik Lyotards und im allgemeinen einzugehen.

Die neue postmoderne “Sensibiliät” wurde zuerst Mitte der 60er Jahre systematisch von der Kritikerin Susan Sontag vorgetragen. Besonders in ihrem berühmten Artikel “Against Interpretation” (1964) stellte Sontag eine Ästhetik der Empfindung einer Ästhetik gegenüber, die sie “Interpretation” nannte. Sie behauptete, dass in einer Kultur, deren bereits klassisches Dilemma die Hypertrophie des Intellekts auf Kosten der Energie und der sensuellen Begabung ist, Interpretation die Rache des Intellekts an der Kunst sei. [87] Susan Sontags anti-diskursive Ästhetik, die der figurativen Ästhetik der Postmoderne sehr nahe kommt, lässt sich mit folgenden Prinzipien beschreiben:

a) eine Ästhetik gegen intellektuelle Kunst und Kunstkritik
b) gegen Interpretation (Hermeneutik)
c) gegen “Bedeutung”
d) gegen “Symbolismus”
e) gegen Brecht, gegen Theater des Dialogs und der Dialektik
f) Das Kunstwerk soll sinnlich sein; Literatur soll durch Worte wirken; nicht durch Bedeutungen, die ihr von marxistischen und freudianischen Kritikern aufgelegt werden. [88]

Sontags anti-diskursives Kunstkritik [89] stellte eine “Erotik der Kunst” der Interpretation der Kunst gegenüber. Demzufolgen richtete sie sich gegen die Trennung von Text und Leben. “All das geht eigentlich zurück auf jene berühmte Festellung in Nietzsches “Die Geburt der Tragödie”, dass Kunst nicht eine Nachahmung der Natur, sondern ihre metaphysische Ergänzung ist, die neben ihr errichtet wird, um sie zu überwinden.” [90] Susan Sontags kritische Haltung angesichts des Intellektuellen der diskursiven Ästhetik der Moderne stimmt mit dem ästhetischen Prinzip Nietzsches überein, das besagt, dass sogar die Ideen als Sinnesstimulanzien funktionieren sollen: “Die Empfindung ist bei mir anfangs ohne bestimmten und klaren Gegenstand; dieser bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Gemütsstimmung geht vorher und auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee.” [91]

Für Sontags Ästhetik ist die Kunst die Objektivierung des Willens oder Erweckung des Willens. Vom Standpunkt des Künstlers aus ist sie die Schaffung eines imaginären Dekors für den Willen. Sontag:

Im strengsten Sinne sind alle Bewusstseinsinhalte unnennbar. Selbst die einfachste Wahrnehmung ist in ihrer Totalität unbeschreibbar. Jedes Kunstwerk muss daher nicht nur als etwas Dargestelltes verstanden werden, sondern gleichzeitig als ein Versuch, das Unsagbare auszudrücken. In den größten Kunstwerken schwingt stets etwas mit, das sich nicht in Worte fassen lässt (Regeln des “Dekors”), etwas von dem Widerspruch zwischen dem Ausdruck und der Gegenwart des Unausdrückbaren. [92]

Sie spricht von der Abkehr vom realen Zeitablauf, vom drei-dimensionalen Raum, von der konkreten Persönlichkeit und von der Kraft jenes im Werk verkörperten “gestörten Bewusstseins” und fordert die darstellenden Künste, wie Theater und Film, auf, ins Zentrum nicht die Charaktere zu stellen, sondern die intensiven überpersönlichen Gefühle, die von Charakteren evoziert werden:

Die Wahl des “Wahnsinnigen” zum Gegenstand der Kunst ist mittlerweile zum geradezu klassischen Mittel jener Künstler geworden, die über den traditionellen “Realismus” und das heißt, über die Psychologie hinausgehen wollen. [93]

Genauso ist auch Lyotard’s postmoderne Ästhetik, die ich als Grundlage für diese Studie annehme, die Ästhetik der Begierde, die dem Lustprinzip (dem Es) den Vorrang vor dem Realitätsprinzip (dem Ich) gibt. Mit anderen Worten, in der postmodernen Ästhetik der Begierde wird “Diskurs” dem sekundären Prozess (Denkidentität) gleichgesetzt, in dem das “Ego” nach dem Realitätsprinzip wirkt, während die dem primären Prozess gleichgesetzte “Figur” das Unbewusste (das Es) bezeichnet, was nach dem Lustprinzip wirkt. Da der Sekundärprozess die Aktivität der Veränderung und Wortbildung (Logos/Logik) bedeutet, kommt er sowohl für Freud als auch für Lyotard dem Diskurs näher, als der Primärprozess, der mit der Figur identifiziert wird, die sich als Ausdrucksform des Es und Lustprinzips in wahrnehmbaren Erinnerungen, Phantasien und Halluzinationen niederschlägt. Während der Diskurs, der eine Art Energie ist, psychische Energie zu entladen, die Außenwelt transformiert, wird figurative Energie in wahrnehmbare Bilder, Erinnerungen investiert. [94] Darüber hinaus könnte man argumentieren, dass der Sekundärprozess durch den Diskurs operiert und wie der Diskurs strukturiert ist und infolgedessen nach Hindernissen, Auswahl und Kombination, Anordnung und Unterordnung von Sprache (Logos/Logik) vorgeht; im Gegensatz dazu, dass der Primärprozess durch wahrnehmbare Erinnerungen operiert und wie ein Wahrnehmungsfeld strukturiert ist, und infolgedessen ungehinderte Mobilität hat. [95]

Das Es (Primärvorgang) ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; das wenige, was wir von ihm wissen, haben wir durch das Stadium der Traumarbeit und der neurotischen Symptombildung erfahren, und das meiste davon hat negativen Charakter, lässt sich nur als Gegensatz zum Ich beschreiben. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen. Wir stellen uns vor, es sei am Ende gegen das Somatische offen, nehme die Triebbedürfnisse in sich auf, die in ihm ihren psychischen Ausdruck finden, wir können aber nicht sagen, in welchem Substrat. Von den Trieben her erfüllt es sich mit Energie, aber es hat keine Organisation, bringt keinen Gesamtwillen auf, nur das Bestreben, den Triebbedürfnissen unter Einhaltung des Lustprinzips Befriedigung zu schaffen. Für die Vorgänge im Es gelten die logischen Denkgesetze nicht, vor allem nicht der Satz des Widerspruchs. Gegensätzliche Regungen bestehen nebeneinander, ohne einander aufzuheben oder sich voneinander abzuziehen, höchstens, dass sie unter dem herrschenden ökonomischen Zwang zur Abfuhr der Energie zu Kompromißbildungen zusammentreten. Es gibt im Es nichts, was man der Negation gleichstellen könnte, auch nimmt man mit Überraschung die Ausnahme von dem Satz der Philosophen wahr, dass Raum und Zeit notwendige Formen unserer seelischen Akte seien. [96] Im Es findet sich nichts, was der Zeitvorstellung entspricht, keine Anerkennung eines zeitlichen Ablaufs und was höchst merkwürdig ist und seiner Würdigung im philosophischen Denken wartet, keine Veränderung des seelischen Vorgangs durch den Zeitablauf...” [97]

Wie ich es bisher festgestellt habe, ist Lyotards postmoderne Ästhetik ein Freudscher “unbewusster Raum”, der im Gegensatz zu Lacans Annahme steht, die besagt, dass das Unbewusste wie die Sprache strukturiert sei. [98]

1. Verdichtung und andere Widersprüche zulässt;
2. Trennung der Mobilität, der Energie und Zeitlichkeit von der Gebundenheit an Regeln zulässt: Die Vorgänge des Systems des Unbewussten sind zeitlos, d.h., sie sind nicht zeitlich geordnet, werden durch die verlaufende Zeit nicht abgeändert, haben überhaupt keine Beziehung zur Zeit. Auch die Zeitbeziehung ist an die Arbeit des Bewusstsein-Systems geknüpft. Ebensowenig kennen die Vorgänge des Unbewussten eine Rücksicht auf die Realität. Sie sind dem Lustprinzip unterworfen; ihr Schicksal hängt nur davon ab, wie stark sie sind und ob sie die Aufforderungen der Lust-Unlustregulierung erfüllen.

Fassen wir zusammen: Widerspruchslosigkeit, Primärvorgang (Beweglichkeit der Besetzungen). Zeitlosigkeit und Ersetzung der äußeren Realität durch das Psychische sind die Charaktere, die wir nur an zum System-Unbewussten gehörigen Vorgängen zu finden erwarten dürfen. [99]

Hier sehen wir, dass die charakteristischen Operationen des Lustprinzips (des Es im Primärprozess anders sind, als die Bestätigung des Realitätsprinzips (des Ich) im Sekundärprozess, bzw. als Sprache (Diskurs).

Außerdem finden wir die Verletzung einer der wichtigsten Angelpunkte der diskursiven Organisation, nämlich die der Referenz auf die aktuelle Zeit der Aussage eines/einer Sprecher(in). Hier ist, im Gegensatz zu Lacans Annahme, weder irgendein Referent noch ein Kontext eines unbewussten “Diskurses” zu erkennen. Offensichtlich ist das freudianische Unbewusste nicht imstande, mit der Realität in einer diskursiven Art und Weise umzugehen, da es dafür geeignete Eigenschaften wie die des Systems des Bewusstseins nicht besitzt. Denn während dem Primärprozess Kontinuität, Unverbundensein bzw. Unzusammengehörigkeit, Zeitlosigkeit, Nicht-Subjektivität, Nicht-Modalität und Nicht-Qualität zufallen, sind Diskontinuität, Verbundenheit, Zeitlichkeit, Subjektivität, Modalität und Qualität dem Sekundärprozess zugehörig. Und das Wort “Figur/Figurative” wird hier besonders bei Lyotard gebraucht, um jede Spur des Primärprozesses im Sekundärprozess zu bezeichnen. Die figurativen Operationen des Lustprinzips (des Es) zeigen uns eigentlich die Transversion des Sekundärprozesses durch das Unbewusste, indem es die Regeln des Diskurses dekonstruiert. [100] Genau diese Eigenschaften, wie Widerspruchlosigkeit, Mobilität der Besetzungen Zeitlosigkeit usw. untersucht Freud in seinem Buch “Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten”, in dem die figurativen Operationen, die das Objekt (in diesem Fall der Witz, aber auch das Kunstwerk) formen, in ihrer Beziehung zum Unbewussten analysiert werden. Hier sehen wir auch den Unterschied zwischen dem Ausdruck, der im Sekundärprozess, im Diskurs und in den realistischen Repräsentationen präsent ist, und dem, der zum System des Unbewussten gehört, indem es in figurativer Art und Weise operiert.

Lyotard zufolge, kann man ein Arrangement der Teile eines Objekts, nicht aus den Gesetzen der “Struktur”, zu welchen es gehört, deduzieren. Genau darin liegt auch die Wichtigkeit der Figur, die bei Freud mit der Konstitution des Wunsches in Verbindung gebracht wird. Die Figur kommt aus einer ganz anderen Szene hervor als der der Sprache, vielmehr aus der bildlichen oder bildhauerischen Szene, in der sie erscheint, bzw. auftritt. Halluzination, die mit der Natur des Bildes zu viel gemeinsam hat, konstituiert das grundsätzliche Datum der Kunst, indem sie zur Manifestation einer nicht-wahrnehmbaren Realität wird. Diese Realität, die Freud “psychische Realität” nennt, ist verwandt mit dem Lustprinzip. Die Figur, durch welche der Wunsch befriedigt wird, ist natürlich nicht auf das der Halluzination ähnliche Bild beschränkt. Das Bild ist selbst ein Ausdruck. Er ist die flüchtige, zufällige Expression einer primitiven, figurativen Kraft, der primären Phantasie. Denn, wie wir wissen sind, die Figur und genauso die Phantasie der Logik der Wahrnehmung und der Sprache nicht unterworfen. Die Figur ist vielmehr eine Art Form oder Konfiguration, die die Wahrnehmungen, die Sprache und Affekte des Subjektes ordnet; sie (die Phantasie) ist in die psychische Realität des Wunsches und dessen, was verboten ist, eingeprägt, sie ist die Spur, die dem Subjekt nach dem Entzug des Bedeutungsträgers hinterlassen wurde, das Zeichen des Mangels. So findet das Kunstwerk seinen Platz in der Lücke, die aufgrund des Entzuges des Bedeutungsträgers (Signifikant) für die Wunscherfüllung frei geblieben ist. Lyotard stellt dennoch fest, dass die Funktion der Kunst nicht die Bereitstellung eines wahren Simulakrums der Wunscherfüllung ist, sondern einfach darin liegt, dass die Kunst durch das Spiel der eigenen Figuren bezeugen soll, wie die Dekonstruktion erzielt werden kann, so dass die Figur einer unbewussten Ordnung durch ihre Inkommensurabilität bemerkbar wird.

Das Ziel der Kunst ist also die Enthüllung dieses unerfüllten Wunsches, in dem der Künstler auch seine Ungeduld und Unzufriedenheit zeigen kann. Lyotard zufolge ist das, was der Künstler ausdrückt, die Figur des Unbewussten: die Figur seines Wunsches und dessen Todes. [101] So macht Lyotard zwei Begriffe Freuds, Eros (Lebenstrieb) und Todestrieb [102], zu den Grundprinzipien der postmodernen Ästhetik. Dazu gibt Lyotard ein Beispiel, um sowohl die Unterschiede als auch den Zusammenhang zwischen Eros und Todestrieb zu schildern. Er sagt, wenn das Kind ein Zündholz anzündet, passiert folgendes:

Das Kind liebt diese verschwenderische Verwendung der Energie. Das angefachte Zündholz erzeugt in seiner eigenen Bewegung ein Simulakrum der Lust mit deren Todeskomponenten. Beim Auflodern der Flamme kann man gleichzeitig zwei gegensätzliche Bewegungen betrachten, so dass die ganze erotische, ins Simulakrum investierte Kraft sich hier entzündet, entfaltet und gleichzeitig einfach so verbrennt. Es ist folgendermaßen figurativ, dass es kein Wertobjekt ist, das ein anderes aufwiegt, womit es in Verbindung treten, sich ausgleichen und sich zu einem Ganzen neu fügen würde, das gewissen Konstitutionsregeln (einer Gruppenstruktur zum Beispiel) gehorcht. Wichtig ist im Gegenteil, dass die ganze erotische, ins Simulakrum investierte Kraft sich hier entzündet, entfaltet und einfach so verbrennt. [103]

So sagt Lyotard, dass das Verlangen des Künstlers nach dem Tod stärker als nach dem Schaffen sei. Eher müssen wir aufhören, die Frage der Kunst als die Bedingung des Schaffens zu sehen. [104] Denn wie auch P. Valéry sagte: Das Werk des Verstands existiert nur zu dessen Aktion. Und das, was außerhalb dieser Aktion übrigbleibt, ist nichts anderes als ein Objekt, das gar keine besondere Beziehung zum Verstand hat. [105] Es ist ein vollendetes und hat eine paradoxale Beziehung zum Tod.

Dementsprechend soll das postmoderne Kunstwerk weiterhin als Aktion/Tat fungieren, nicht als das Objekt, das als eine geschlossene Einheit bezeichnet, genannt, definiert und durch die kognitiven Regeln der sekundären Ordnung determiniert wird. Die paradoxale Beziehung zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Kunstwerk und Objekt, Entstehen und Vergehen, bzw. zwischen Eros (Lebenstrieb) und Todestrieb gilt für ein postmodernes Kunstwerk von Anfang an und bezeichnet den ständigen Kontakt der postmodernen Aktion mit dem Undefinierbaren und Ungedachten. Die Wahrheit erscheint dort, wo sie am wenigsten zu erwarten ist. Lyotard zufolge liegt die Kraft einer literarischen oder bildlichen Expression nicht in ihrer Harmonie, ihrer ethisch/politische Bedeutung (oder in dem “Sieg” des Ego); sie ist vielmehr das, was freie und offene Felder für die Wörter, Linien, Farben und Werte enthält und sie instandhält, so dass die Wahrheit sich darin figurieren kann. So kann der Primärprozess die Spuren seiner Operationen hinterlassen, ohne dass diese Spuren sofort durch den Sekundärprozess geordnet und unterdrückt werden. [106]

Wie leicht zu merken ist, handelt es sich bei diesen Überlegungen grundsätzlich um folgende postmoderne Frage: Wie würde (und sollte) so ein dezentriertes, aus dem Zentrum gerücktes, nicht mehr autonom, sondern als Treffpunkt eines Kräftekonfliktes dargestelltes, zwischen “Es” und “Über-Ich” eingezwängtes Subjekt mit einer derartigen Problematisierung der Realität umgehen? Was ist die endgültige Reaktion der Postmoderne auf das Prinzip Freuds “Wo Es war, soll Ich werden.” [107] ? Und welche alternativen Aspekte bietet uns diese Reaktion an?

An dieser Stelle möchte ich das Argument noch einmal erwähnen, von dem ich ausgegangen bin: Die moderne Kultur schafft Bedeutung hauptsächlich in “diskursiver” Weise, während postmodernes Bedeuten vorwiegend “figurativ” ist. Daraus folgt, dass “Diskurs” und “Figur” schließlich zwei verschiedene Arten sind, psychische Energie zu entladen. Bei der diskursiven Ordnung des künstlerischen Ausdrucks entlädt das Ich die psychische Energie nach dem Realitätsprinzip. So wird die Energie im Sekundärprozess durch die Aktivitäten der Transformation und Verbalisierung entladen. Hingegen wird die Energie im Primärprozess durch die figurative Investition in wahrnehmbare Erinnerungen/Bilder entladen. Diese Art von Investition in Erinnerungen hat viel gemeinsam mit Phantasie und Halluzination, die genauso wie der Primärprozess operieren, indem sie den Wunsch durch die Besetzung (cathexis/Katachresis) z.B. der wahrnehmbaren Erinnerung/des Bildes eines Organs in Erfüllung gehen lassen, ohne dass die Realität der Außenwelt dabei transformiert wird. Wie deutlich wird, stellt die Postmoderne und besonders J. F. Lyotard, den Primärprozess dem Sekundärprozess gegenüber. Der Sekundärprozess operiert vielleicht nicht so einfach durch den Diskurs, aber er ist wie der Diskurs strukturiert, während der Primärprozess die Energie nicht nur durch den Gebrauch der wahrnehmbaren Einengungen/Bilder entlädt, sondern auch wie ein Wahrnehmungsfeld strukturiert ist. So ähnelt die ungehinderte Mobilität des Auges in einem kontinuierlichen und asymmetrischen Feld des Visuellen der ungehinderten Beweglichkeit der Besetzungen im Primärprozess. Im Gegensatz zum Primärprozess wird die Investition der Energie im Sekundärprozess durch Regeln, Hindernisse kanalisiert. Diese Regeln und Hindernisse konstruieren eigentlich den Mechanismus der Verteidigung des Ichs, welches die Möglichkeit der Energie-Entladung der Transformation der Beziehung zwischen dem psychischen Apparat und der Außenwelt hat. [108] Man sieht, wie postmoderne Ästhetik, obwohl sie auf die freudianische Terminologie reflektiert, die Beziehungen zwischen den sogenannten primären und sekundären Prozessen des psychischen Apparats abwandelt.

Ausgehend von diesen bereits erwähnten Argumenten hält die Postmoderne den Diskurs und Freuds Heilungsmethode für dieTotalität des Ichs. Demzufolge fordert sie statt des Diskurses, der auf den Primärprozess übergreift, ein figuratives Lustprinzip, das als Primärprozess in den Sekundärprozess explodiert, d.h., sie befürwortet den Einfluß des Unbewussten auf das Bewusstsein. Diese figurative Ästhetik der Postmoderne widerspricht der Unterordnung des Bildes unter das Diktat der narrativen Bedeutung und der Repräsentation oder unter das Gesetz vom Wert. [109] Stattdessen befürwortet die Postmoderne eine auf Bildern (wahrnehmbaren Erinnerungen) basierende Bedeutung des Unbewussten. Diese Grundhaltung der Postmodernen Ästhetik stimmt auch mit der freudischen Auffassung überein: Denn “das Denken in Bildern ist also ein nur sehr unvollkommenes Bewusstwerden. Es steht auch irgendwie den unbewussten Vorgängen näher als das Denken in Worten und ist unzweifelhaft onto- wie phylogenetisch älter als dieses.” [110] Im Gegensatz zu den Worten oder Äußerungen bedeuten Bilder durch Ähnlichkeit (ikonische Zeichen) und sind deshalb weniger entfernt von dem, worauf sie sich beziehen, als sprachliche Zeichen (Bedeutungsträger). So wird, glaube ich, allmählich klar, was unter der postmodernen Abwandlung der Beziehung zwischen dem primären und dem sekundären Prozess und unter der Dezentrierung des Subjekts zu verstehen ist: Die Postmoderne befürwortet die Kolonialisierung des Sekundärprozesses durch den Primärprozess, besonders in der Art, und lehnt eine streng hierarchisch gegliederte Psyche ab. Stattdessen stellt die Postmoderne sich eine Psyche vor, in der die “Begierde” nicht mehr eine zugrunde liegende Essenz ist, sondern ganz an der Oberfläche der Darstellung explodiert und schließlich an der Oberfläche sozialer und kultureller Praxis gegenwärtig ist. Es ist die Oberfläche der Implosion, an der frei vom Diktat der narrativen Bedeutung, von der Repräsentation oder dem Gesetz des Wertes mit den verschiedenen Realitätsebenen gespielt wird. Mit anderen Worten, es ist das Oberflächenspiel der verschiedenen Realitätsebenen auf der Haut des Körpers/Objekts, bzw. auf der Netzhaut der Leinwand (des Bildschirms). Der Baum will uns gar nichts sagen, erklären oder erzählen; und er drückt doch deshalb zu viel aus: Das ist die Kraft der Selbstreflexivität der Oberfläche/Haut des Objekts/Körpers, der Expression und Darstellung. Das ist die Tiefe der Oberfläche, die damals die Zuschauer von Auguste Lumiéres “Die Ankunft des Zuges” schockierte. “Und wie die Ereignisse die Oberfläche nicht besetzen, sondern auf ihr herumspucken, ist die Oberflächenenergie nicht auf der Oberfläche lokalisiert, sondern mit ihrer Bildung und Neubildung eng verbunden.” [111] An dieser unbewussten Oberfläche deckt das Kunstwerk nicht vielleicht den Satz der Phantasien selbst, aber zumindest ihre Spuren auf, indem durch den Entzug der sekundären Bedeutung ein offener, dekonstruierter Raum zur Verfügung gestellt wird, in welchem die figurativen Operationen des Unbewussten die Gesetze der Sprache und der Wahrnehmung verdrehen, bzw. verzerrt darstellen, und in diesem unbelasteten Raum andere und neue Figuren produzieren. [112] In diesem offenen, unbewussten, dekonstruierten, figurativen Land der unendlichen Möglichkeiten können Ordnung und Unordnung, Eros und Todestrieb, Lust und Unlust, Segmentierung und Kombination, Sinn und Unsinn, Realität und Illusion gleichzeitig gefordert werden. Dieser unbewusste Raum kennt kein Zentrum und hat keine Rücksicht auf die Zeit und den Ordnungszwang des Realitätsprinzips. Dort ist das Subjekt nicht mehr präsent, das sowieso schon dezentriert ist. Dort findet kein repräsentativer Diskurs des Subjekts mehr statt, nur die Sukzession, in der das Subjekt sich verliert. Es ist ein Raum der Disjunktion, Dekonstruktion und Transgression, statt der Konjunktion, Konstruktion und Hierarchie.

[...]


[1] Im Einklang mit der Metaphysik des Subjekts also, die die Metaphysik des Göttlichen ersetzen sollte.

[2] Die Verschwommenheit dieser Begriffe rührt außerdem daher, dass diese Begriffe, die ja nicht reine theoretische Produkte der intellektuellen Einbildungskraft sind, sondern zu der ästhetischen, kulturellen und techno-wissenschaftlichen Praxis der Postmoderne gehören, sich als In-begriffe einer posthistorischen Ära so aufeinander beziehen, dass es gar nicht zu einem definitiv-diskursiven Ausdruck der Postmoderne kommt, bzw. die geistige Haltung der Postmoderne sich nicht definitiv diskursivieren lässt.

[3] Im Zeitalter der digitalisierten Bilder hat sich die Ästhetik des ”als ob” weiter entwickelt und ist schließlich in die Ästhetik des Hyperrealen und der Simulation übergegangen. In vielen Filmen der letzten Jahre wie “Matrix“, ”Man in Black”, ”Dante’s Peak”, ”Mimic”, ”Mäusejagd”, ”Flubber”, ”Im Körper des Feindes” und vielen anderen Science-Fiction- und Action-Filmen sehen wir die Dominanz dieser neuen-figurativen Ästhetik der hyperrealen, simulativen und digitalisierten Bilder. Diese Filme achten viel mehr auf das Tempo der Darstellung als auf den dramatisch-konstruktiven Inhalt der Erzählung, mehr auf Effekte und Affekte als die Charaktere und mehr auf das Ereignishafte als das Diskursive. Der Film ”Wag the Dog”; R: Barry Levinson (1997) macht sogar diese Tatsache zum Thema seiner Darstellung: Kurz vor der Präsidentenwahl wird ein amtierender amerikanischer Präsident wegen einigen sexuellen Affären angeklagt. Um die Bürger von den Affären abzulenken, lässt der Präsident einen Spezialisten (Robert De Niro) einen fiktiven Krieg gegen Albanien in den Medien inszenieren. Im Film sehen wir z.B. wie die Flucht eines jungen Mädchens aus ihrem in Schutt und Asche liegenden Dorf in Albanien durch die Mischung von Bildern und Tönen aus dem Archiv und von digital bearbeiteten Bildern inszeniert wird und so als aktuelle Bilder von wirklichen Ereignissen in Medien (im Fernsehen) gezeigt wird. Die Tatsache, dass kurz nach der amerikanischen Premiere des Films ähnliche Ereignisse im Weisen Haus und zwischen USA und Irak stattgefunden haben, bringt in die Diskussion über ”Film und Wirklichkeit” eine neue Dimension. Mit dem Ausdruck ”neue Dimension” möchte ich eigentlich darauf hinweisen, dass man heute die Frage ”wie ahmt der Film die Realität nach?” umstellt. Man stellt heute eher folgende Fragen: wo ist die Grenze zwischen der filmischen Darstellung und der Realität? Ob der Film die Realität oder die Realität den Film nachahmt? Welches Medium kommt noch schneller der Wirklichkeit nahe: der Film oder das Fernsehen? Oder, wessen Wirklichkeit ist effektiver, die Wirklichkeit des Wirklichen oder die des (Schau-)Spiels? Werden denn die Grenzen zwischen der Realität und Fiktion (Illusion) wirklich aufgelöst, oder ist es nur eine ästhetische Theorie, eine Annahme?

[4] In unserem technologischen Zeitalter ist der homo sapiens auf dem Weg, zum homo technicus zu werden. Damit meine ich nicht nur äußerliche Korrelation des Menschen zur Technologie, oder nicht nur, wie der Mensch heute den technischen Geräten wie Computer (Inter-Net), Fernsehen oder dem Auto angekoppelt wird, sondern auch, dass von der embryonalen Entwicklung des Menschen bis zu seinem Tod das Leben und die Daseinsweisen des Menschen durch die Technologie begleitet, und schließlich nicht nur quantitativ formiert sondern auch qualitativ bestimmt werden: wir sind heute Zeugen vom Ende des homo sapiens und von der Geburt des homo technicus. Dank den biotechnologischen Entwicklungen ist es heute möglich viele äußerliche und innerliche Organe des Körpers (von der Haut bis auf das Herz) durch technologische Geräte zu ersetzen, oder mit den Organen anderer Lebewesen auszutauschen. Die Prothesentechnologie ist heute soweit entwickelt, dass die Vorstellung von dem halb-menschlichen und halb-maschinellen Lebewesen heute keine futuristische Phantasie mehr ist. Denn man spricht heute sogar von der Wahrscheinlichkeit, bestimmte gestörte Gehirnzellen (wie z.B. die Zellen, die bestimmte Funktionen für das Gedächtnis übernehmen) durch Mikrochips zu ersetzen, oder den Menschen zu klonen. Sind wir Menschen nicht schon längst zum Cyborg geworden? Ist es nicht eine Wahrscheinlichkeit, dass wir in absehbarer Zukunft von den künstlerischen Tätigkeiten des geklonten, oder zum Cyborg gewordenen Menschen sprechen werden? Werden wir besondere Filme für die Cyborgs machen? Werden wir aber auch einem Cyborg, dessen Gehirnzellen mit Chips ersetzt worden sind, erklären können, was die Begriffe wie Geschichte, Geschichtserzählung, Ethik, Religion, Metaphysik, Philosophie, Bewusstsein, Unbewusstsein, Realität und Kunst bedeuten würden? Werden wir neue Denktechniken und Wahrnehmungsformen entdecken? Oder fragen wir so: was würden wir in Zukunft nicht aufs Spiel setzen, wenn bereits heute die Existenz des Menschen im ethisch-ontologischen Sinne in Frage gestellt wird?

[5] wie z.B.: Nacheinanderfolge sprunghafter Einstellungen von einem Ding; beliebige Verlangsamung oder Beschleunigung der Körperbewegungen; unkonventioneller Einsatz eines Zwischen-Titels, schriftlichen Kommentars, eines Zeichens oder Comicstrips und unkonventionelle Kamerabewegungen, welche in den späteren postmodern-figurativen Filmen als Simulakrum der Lust fungieren, statt wie in den ästhetisch-modernen Filmen Godards als kritisch-diskursive Momente, bzw. als Entfremdungseffekte, um sowohl den erzählerischen als auch den bildlichen Realismus in Frage zu stellen und so auch durch die Abwesenheit der Begierde in den Bildern eine Distanzierungswirkung zu erreichen.

[6] Koyré Alexandre, Galilei – die Anfänge der neuzeitlichen Wissenschaft. Berlin 1988, S.86. Darin sagt KOYRÉ: “Vom Beitrag der Renaissance zur wissenschaftlichen Entwicklung zu sprechen scheint ein paradoxes, ja aussichtsloses Unterfangen. Denn war auch die Renaissance eine außerordentlich vielgestaltige, fruchtbare Epoche, die unsere bildliche Vorstellung von der Welt unermeßlich bereichert hat, eines war sie nicht: von der Wissenschaft inspiriert. Das ist heute weithin erkannt. Die zu Recht so benannte renaissance des lettres et des arts bezeichnet keineswegs ein wissenschaftliches, sondern ein rhetorisches Ideal. Und es ist geradezu typisch, dass die große Reform der Logik, die die Epoche unternahm – ich denke an die Logik des Raums – den Versuch darstellte, die klassische Kunst des Beweisens durch eine Überredungskunst zu ersetzen.” (S.84)

[7] Michael Foucault, Andere Räume; in Aisthesis – Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1991, S.34

[8] J.F. Lyotard, Postmoderne für Kinder, Wien 1987, S.39

[9] Das erinnert uns an Wittgensteins Aussage über Gewißheit und Wissen, die allerdings nicht mittelalterlich klingt, sondern vielmehr dem postmodernen Wissen nahekommt: “Wir können keinen Raumpunkt hinzufügen und keinen entdecken. Man kann nur in Raum und Zeit entdecken. Und dies stimmt ja auch mit unserm natürlichen Gefühl überein. Wenn ein Mensch sein Leben lang in einem Zimmer eingesperrt ist, weiß er deswegen nicht, dass der Raum über das Zimmer hinausreicht? Woher weiß er das? Russel müßte hierauf erwidern: Das ist eine Hypothese. Es ist aber klar, dass diese Antwort unsinnig ist. Denn was wir wissen, ist ja nur eine Möglichkeit, und diese kann keine Hypothese sein.”

in: Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche aufgezeichnet von Friedlich Waismann. Aus dem Nachlaß herausgegeben von B.F. Mc Guiness. Frankfurt a.M. 1993, 4. Aufl., S. 214

[10] Georgio de Santillana, Galileo in the Present in Homage to Galileo Editor: Morton F. Kaplan, The M.I.T. Press, Massachusetts, 1965; Aufsatzsammlung, S. 21

[11] Pietro Redondi, Galilei der Ketzer,. München 1996, S. 29, 55-69

[12] Jürgen Mittelstrass, Neuzeit und Aufklärung. Studien zur Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft und Philosophie, Berlin 1970, S. 248

[13] ebd.: S. 59

[14] Bezeichnung gehört zu M. Foucault in seinem Buch Ordnung der Diskurse

[15] Michael Foucault, Die Ordnung der Diskurse, Frankfurt 1994, S. 35

[16] Jean Baudrillard, „Aber letztlich wird dabei immer noch vom Objekt verlangt, dass es Bedeutung trage; es ist das passive Element der Untersuchung, kein Schicksal, keine Herausforderung und das beste, was es unter diesen Umständen tun könnte, ist, sich zu verbergen, so wie man es ihm gründlich nahegebracht hat.

Ganz anders verhält es sich mit dem Kristall, mit dem reinen Objekt, dem reinen Ereignis, das genau genommen keinen Ursprung und kein Ende mehr hat und das vielleicht heute beginnt, sich zu erzählen. Beginnt es vielleicht sogar, sich nach Jahrhunderten freiwilliger Knechtschaft zu rächen? (...) Der Kristall rächt sich...”

In: Das Andere Selbst, Wien 1987, S. 72-74

[17] Jean-Francois Lyotard, mit anderen Immaterialität und Postmoderne, Berlin 1986, S. 45-46

[18] Prof. Christian Thiel, Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Philosophie, untersucht in seinem Artikel mit dem Titel “Nachweisen, was sich nachweisen lässt” den Ursprung des Galilei zugeschriebenen und sehr beliebten Ausdrucks. Er verfolgt die Spur des fraglichen Zitats zurück bis in das Jahr 1868, in Martin Thomas-Henri‘s Buch “Galilée des droits de la science et la méthode des sciences physiques, Didier: Paris 1968. Abschließend stellt er dann folgendes fest: Bei dieser am Schluß auf bemerkenswerte Weise abweichende Variante enden zunächst einmal meine bisherigen Nachforschungen, so dass ein kurzes Fazit angebracht erscheint. Außer Zweifel steht, dass zu Kleinerts Kegel, wonach das angebliche Galilei-Zitat nur in der deutschen Sekundärliteratur auftaucht, das Martin-Zitat die erste und bislang einzige Ausnahme bildet (sieht man von Trivialfällen wie der amerikanischen Übersetzung der Monographie Weyls ab). Zweifelhaft bleibt, wo denn nun die Worte, um die sich alles dreht, wirklich irgend einer Sprache erstmals stehen – bei Galilei, wie auch Martin durch seine Formulierung “il déclare” behauptet oder irgendwo in der auch 1868 schon sehr reichhaltigen Sekundärliteratur. Allez en avant...!” in: Mann, Heinz Herbert/ Gerlach, Peter (eds.), Regel und Ausnahme. Festschrift für Hans Holländer (Touet: Aachen/Leibzig/Paris 1995). S. 63-65

[19] Johannes Hemleben, Galilei, Hamburg 1996, S.27 und er kommentiert hinzufügend weiter: “Dieser These verdankt die Naturwissenschaft des Abendlandes ihren Aufstieg. Als Technik angewandt, wurde sie zur geistigen Großmacht, die alle früheren – mythischen – Weltbilder in Frage stellte und das Leben aller Völker der Erde grundlegend umgestaltete. Galilei bringt das Bemühen um erkennendes Erfassen der Natur-Qualitäten zum Schweigen und setzt an dessen Stelle die konsequente, quantitative Methode. In diesem Sinne steht er am Anfang eines für die ganze Menschheit schicksalbestimmenden Prozesses. Isaac Newton führte fort, was er begonnen hatte. Beide Namen sind mit der Begründung der modernen Physik untrennbar verbunden.” Merkwürdig ist es aber, dass J. Hemleben diesen fraglichen Ausdruck mit dem Gefühl der Gewißheit zitiert. Seltsam ist es, dass er darin den Ursprung einer geistigen Großmacht findet, die alle früheren mythischen Weltbilder in Frage stellt, während er nicht imstande ist, einzusehen, dass er selber dadurch Galilei mythisiert. Ich sehe in jenem Ausspruch etwas zu kritisieren, statt zu feiern, da nicht nur die Naturwissenschaft des Abendlandes ihren Aufstieg, sondern auch die von der Postmoderne als “Krise der Moderne” bezeichnete gesellschaftliche Situation ihren Ursprung dieser These verdankt.

[20] Siehe Alexandre Koyré, Galilei, die Anfänge der neuzeitlichen Wissenschaft, , Berlin 1988, S. 17, 21, 32, 38-51 und Fischer Klaus, Galileo Galilei, München 1983, S. 62-85

[21] Hier denke ich nicht nur an biotechnische Gebiete, wie DNA-Forschungen, Transplantationstechniken, auch an virtual-reality, den Hyperkörper und Cyber-Space.

[22] Paul Virilio, Technik und Fragmentierung, Paul Virilio im Gespräch mir Slyvére Lotringer in: Aisthesis, Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 199, S. 72 f

[23] Alexandre Koyré, Galilei - die Anfänge der neuzeitlichen Wissenschaften, Berlin 1988, S.59

[24] ebd., S. 63

[25] Jürgen Mittlestrass, Neuzeit und Aufklärung, , Berlin 1970, S. 183

[26] Zusatz im Klammer vom Verfasser

[27] ebd.

[28] Siehe: Michael Foucault, die Ordnung der Dinge, 1995, Frankfurt a.M., S. 269-305

[29] Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1988, S. 34

[30] Immanuel Kan t, Kritik der reinen Vernunft, 1995, Köln, S. 28, 29

[31] ebd., S. 31

[32] ebd., S. 33 f

[33] Michael Foucault, ebd., S. 304 f

[34] so wie Kant es in seiner Schrift “Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?” vorgesehen hat. In seiner in der “Berlinischen Monatschrift (Dezember 1784)’’ veröffentlichten Schrift schlägt er vor, “ von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.” Darin ist laut ihm “die Maxime, jederzeit selbst zu denken, die Aufklärung” (in: Jürgen Mittelstrass ‘ Neuzeit und Aufklärung, Berlin 1970, S. 114-119

[35] Immanuel Kan t, Kritik der reinen Vernunft, Köln 1995, S. 17

[36] Jean Baudrillard, Videowelt und fraktales Subjekt, in :Aisthesis, Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leibzig 1991, S. 252

[37] Francis Fukayama, Das Ende der Geschichte – Wo stehen wir?, München 1993, S. 15

[38] ebd., S. 93-113

[39] Erwähnenswert ist hier auch die Entropie als Hauptsatz der Thermodynamik. Entropie bedeutet grundsätzlich die Zustandsgröße der Thermodnamik, Maß für die “Unordnung” in einem abgeschlossenen System. Außerdem bedeutet die Entropie als Kommunikationstheorie die Größe des Nachrichtengehaltes einer nach statistischen Gesetzen gesteuerten Nachrichtenquelle und als Wahrscheinlichkeitsrechnung, Maß für den Grad der Ungewißheit für den Ausgang eines Versuches.

Der Entropiesatz der Physik geht von der Idee aus, die besagt, dass das Chaos sich in jeder geordneten Schöpfung verbirgt: In einem endlichen, abgeschlossenen System nimmt die Entropie (Maß für Unordnung) stets zu und strebt einem Maximalwert zu. Dementsprechend bedeutet die Entropiezunahme wachsende Unordnung. Als bestes Beispiel wäre hier chaotische Bewegung des aufgelösten Zuckers in alle Raumrichtungen im Tee oder Pflanze in einem luft- und lichtdichten Raum. Dies würde bedeuten, dass die hohe Ordnung komplizierter, organischer Moleküle sich in die Unordnung einfacher Moleküle umwandelt (C, CO2, H2O, usw.).

Im Gegensatz zur Natur, die eine maximale Unordnung anstrebt, braucht der Mensch eine maximale Ordnung, um zu überleben. Sein Zwischenhirn als Tor des Bewusstseins funktioniert wie ein Filter für die gesamten Sinneseindrücke, um eine Ordnung herzustellen. Sonst wäre das Großhirn bzw. das Bewusstsein unfähig, die Informationsflut “gesund” zu verarbeiten. Außerdem kann der Mensch sich nicht gleichzeitig auf mehrere Dinge konzentrieren, d.h., wenn er sich auf etwas konzentriert, muss er die übrigen außer Acht lassen. Dies alles zeigt uns allerdings, wie der (post)moderne Mensch angesichts der Informationsströme, der erreichten Geschwindigkeit und Komplexität in allen Bereichen des gesellschaftlich-kulturellen Lebens überfordert ist. Es ähnelt einem durch LSD-Drogen verursachten Rauschzustand, in dem der Filter des Zwischenhirns nicht mehr funktioniert. (Siehe für weitere Informationen zum Thema “Entropie und Wahrscheinlichkeit”: Christian Gerthsen, Helmut Vogel, Physik, Ein Lehrbuch zum Gebrauch neben Vorlesungen, 17. Auflage, Berlin, S. 225-230

[40] Jean Baudrillard, Das andere Selbst, Habilitation, Wien 1987, S. 69

[41] Jean Baudrillard, Das Jahr 2000 findet nicht statt, Berlin 1990, S. 13

[42] In der Zeitschrift Der Spiegel mit dem Titel Neue Erkenntnisse der Bewusstseinsforschung, Heft Nr. 16, 15.04.1996

[43] Philippe Breton, Histoire de l’informatique, Paris 1987, S. 118, zitiert von P. Virilio in Eroberung des Körpers – vom Übermenschen zum überreizten Menschen, Wien 1994, S. 151-152

[44] Paul Virilio, Die Eroberung des Körpers – vom Übermenschen zum überreizten Menschen, München-Wien 1994, S. 110

[45] ebd., S. 116

[46] ebd., S. 116 f

[47] Marvin Minsky (Neurotechnologe und Berater für den Film 2001: A Space Odyssey): “über ein Datenhandschuh kann die Maschine Informationen von meinen Fingern empfangen. Nächstes Jahr können wir vielleicht schon Kabel mit den Nerven ihres Armes verbinden...In der nächsten Zukunft könnten wir einen kleinen Stecker in den Nerv einbauen, der die ganzen Muskeln Ihres Armes kontrolliert, dann könnten wir einen Anschluß mit diesem Nerv verbinden. Die neuro-elektrische Verbindung ist interessant, denn die motorischen Nerven des Armes senden Signale aus, die wir in den Computer einspeisen könnten. Und wir könnten die Informationen der sensorischen Nerven aufnehmen: die Signale, die normalerweise ans Gehirn gesendet werden, wenn Sie etwas berühren. Dann kann der Computer das gleiche fühlen wie Sie und der kann Signale an die motorischen Nerven senden, die Ihren Arm in Bewegung setzen. Man könnte dann die Armbewegungen eines Menschen, der in einer Fabrik Tonbandgeräte montiert, vollständig mit Hilfe des Computers kontrollieren... Was ist der nächste Schritt? Man könnte eine einfache Operation durchführen, ein Stückchen des Schädelknochens entfernen und biegbare Leiterplatten mit ein paar Millionen Sensoren und Signalgebern ins Gehirn implantieren. Das könnten wir heute schon tun, wenn es nicht gewisse Vorurteile gäbe, wenn die vielen Rechtsanwälte die Erforschung des menschlichen Gehirns nicht so schwer machen würden... In einigen Jahren könnten wir, wenn wir wollen, den Computer allein durch Gedanken kontrollieren – ganz ohne Hände, Stifte, Tastaturen , Mäuse, Datenhandschuhe, Ganzkörperanzüge oder all diese wunderbaren Dinge aus der Welt der Telepräsenz. Alles, was wir sehen, ist vergänglich, sagen uns die Christen. Wir könnten aber, wenn wir unsere Zeit nicht verschwenden, in etwa 20 oder 30 Jahren in eine neue Welt des Geistes wiedergeboren werden, in der man Gedanken direkt in die Maschine diktieren kann – und das wird sein wie der Himmel.” In Kunstform – International, Band 132, November-Februar 1996, Die Zukunft des Körpers, S. 55, 65

[48] Paul Virilio, die Eroberung des Körpers – vom Übermenschen zum überreizten Menschen, München-Wien 1994, S. 125-129

[49] Florian Rötzer, die Zukunft der Körpers in: Kunstforum-International, Band 132, November-Januar 1996, Ruppichteroth, S. 59

[50] in: Paul Virilio, ebd., S. 161

[51] Gilles Deleuze: Logik des Sinns, Frankfurt a.M.1993, S. 115

Deleuze fügt in den folgenden Passagen auf den modernen Diskurs des Subjekts hindeutend hinzu:”Ihr werdet zum Monster und zum Chaos werden...” Nietzsche erwidert:”... Wir haben diese Prophezeiung schon verwirklicht...”. Und das Subjket dieses neuen Diskurses – doch es gibt kein Subjekt mehr – ist nicht der Mensch oder Gott, noch weniger der Mensch anstelle Gottes. Es ist diese freie, anonyme und nomadische Singularität, die ebenso die Menschen, die Pflanzen und die Tiere unabhängig von der Moderne ihrer Individuation und von den Formen ihrer Persanolität durchquert: Übermensch meint nichts anderes, eben den Typus, der vor allem , Philosophie erneuern sollte und der den Sinn endlcih nicht als Prädikat, nicht als Eigenschft, sondern als Ereignis behandelt.” (ebd., S. 141)

[52] Diese Oberflächenspiele erinnern mich an die mathematische Deduktion der Realität und an die geometrische Darstellung des Raumes und des Universums, in dem alle Dinge auf derselben Seinsebene stehen.

[53] Jean Baudrillard, Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 30-31

[54] Quelle: ARTE im Juni 1995, aus der Sendung Fernsehen und Wirklichkeit

[55] ebd.

[56] ebd

[57] ebd.

[58] Siehe: M. Foucault, Die Ordnung der Dinge – eine Archäologie der Humanwisenschaften, 1995, besonders Teil II

[59] M. Foucault, Überwachung und Strafen, Frankfurt a.M. 1976, S. 251-292

M. Foucaults Charakterisierung des Panoptikums beruht auf den Untersuchungen von Jeremy Bentham über panoptische Architektur bei Fabriken, Asylantenheimen, Krankenhäusern usw. (1791). Jeremy Bentham entwickelte mehrere Überwachungssysteme in seinem Buch “Panopticon” (zwischen 1787 und 1791).

[60] Ebd., S. 259, 260

[61] für weiter Informationen über Panoptikum, Panorama, Diorama siehe: Anne Friedberg, Window Shopping-Cinema and the Postmodern, Los Angeles / U.S.A 1993, S. 15-24

[62] ebd., S. 25 - 28

[63] Jean Baudrillar d, Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 48 f

[64] Paul Virilio, Technik und Fragmentierung, in: Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1991, S. 75 f

[65] Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt 1977, S. 14

[66] Käthe Trettin, die Logik und das Schweigen, Weinheim 1991, S. 8

[67] Sigmund Freud, Studienausgabe, Psychologie des Unbewußten, Frankfurt 1989, S. 295

[68] Sigmund Freud, ebd., S. 295

[69] Käthe Trettin, ebd., S. 8

[70] Sigmund Freud, ebd., S. 296

[71] ebd., S. 294

[72] Sigmund Freud, Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge, Band I, Frankfurt, S. 508

[73] Sigmund Freud ebd., S. 509-510

[74] ebd., S. 513-514

[75] ebd., S. 516

[76] Käthe Trettin, ebd., S. 9

[77] L. Althusser, Freud und Lacan, Berlin 1976, S.35: “Freud nun enthüllt uns, dass das reale Subjekt, das Individuum in seinem singulären Wesen, nicht die Gestalt eines Ego hat, das auf das Ich (moi), das Bewusstsein oder die “Existenz” – sei sie in der Existen

des für sich - der eigenen Leiblichkeit oder des “Sich-Verhaltens” – zentriert wäre; er entdeckt, dass das menschliche Subjekt dezentriert ist, konstituiert durch eine Struktur, die ebensowenig ein “Zentrum” besitzt – es sei denn im imaginären Verkennen des “Ich”, d.h., in den ideologischen Formationen, in denen dieses sich “anerkennt”.

Es wird damit deutlich geworden sein, dass damit ein Weg geebnet ist, der uns vielleicht eines Tages zu einem besseren Verständnis der Struktur des Verkennens gelangen lässt, die das vorangige Interesse jeder Erforschung der Ideologie ist.”

[78] Uwe Rosenfeld, Der Mangel an Sein- Identität als ideologischer Effekt, Giessen 1984, S. 69

[79] Sigmund Freud, ebd., S. 512-513

[80] Sigmund Freud, ebd., S. 516

[81] J.F. Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter des Experimentierens, Berlin 1985, S. 112-113

[82] Sigmund Freud, Die Traumdeutung, Frankfurt 1981, S. 572-573

[83] Sigmund Freud, ebd., S. 559-577

[84] Uwe Rosenfeld, Der Mangel an Sein – Identität als idologischer Effekt, Giessen 1984. S. 71

[85] Ich würde sagen, Unterdrückung durch die wissenschaftlich-kulturellen Diskursarten, Ideologien und Großerzählungen, in denen das Subjekt die Quelle der Wahrheit repräsentierte und sich schließlich durchsetzte.

[86] Lyotard öffentliche Karriere hat eigentlich gegen Ende der 40er Jahre begonnen, natürlich nicht als Postmodernist oder ein Philosoph der Wissenschaft, vielmehr als politischer Aktivist mit kritischen Artikeln gegen die französische Politik in Algerien. Sein erstes Buch (L Phénoménologie) wurde im Jahr 1954 veröffentlicht, in dem er die Phänomenologie kritisierte. Damals gehörte er zu einer Gruppe, zu den Schriftstellern einer Zeitschrift “Socialisme ou barbarie”, die sich in den 60ern auflöste. Er hat dann seine Dissertation in Philosophie geschrieben, die er später weiter entwickelte und als Buch veröffentlichte. Discours, figure (1971) ist vielleicht sein wichtigstes berüchtigstes Werk, in dem er höchst wichtige Aufsätze über Ästhetik, Psychoanalyse und Politik veröffentlicht hat. Wenn man auch den Titel seines Buchs “Dérive á partir der Marx et Freud” (1973) sieht, kann man sich zumindest vorstellen, wie er sich ernsthaft mit Freud beschäftigte und die beiden Denker (Marx und Freud) studierte. Seine wichtigsten Werke sind: Economie et le Différent (1983). Sein berühmtes Buch ist “Das postmoderne Wissen” (1986), mit dem er sich zum Vertreter der Postmoderne machte.

[87] Susan Sontag, Kunst und Antikunst, Frankfurt 1991, S. 15

[88] Siehe für weitere Informationen in: Scott Lash, Discourse or Figure? Postmodernism as a Regime of Signification; in Ästhetik und Kommunikation, Heft 70/71, 1989, S. 141-143

[89] Dies scheint widersprüchlich, da sie selber gegen Kunstkritik ist. Aber sie befürwortet nur die Kritik, die dem Kunstwerk dient, während sie gegen die ist, die versucht, sich an den Platz des Kunstwerks zu drängen.

[90] Susan Sontag, ebd., S. 39

[91] Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, in Werke 7, Menschliches Allzumenschliches, Köln 1994, S. 38

[92] Susan Sontag, ebd., S. 46

[93] Susan Sontag, ebd., S. 207

[94] Sigmund Freud, Studienausgabe, Psychologie des Unbewußten, 1989, S. 303; außerdem schreibt Freud in “Das Ich und das Es”: die Frage: “Wie wird etwas bewußt?”; lautet also zweckmäßiger: “Wie wird etwas vorbewußt?” Und die Antwort wäre: “Durch Verbindung mit den entsprechenden Vorstellungen.” In Psychologie des Unbewußten, S. 289

[95] Scott Lash, ebd., S. 145

[96] Freud bezieht sich hier auf Kant

[97] Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folgen, Band I, Frankfurt 1969, S. 511

[98] Siehe J . Lacan, Schriften II, Frankfurt 1975, S. 19-29, 173

Lyotard: “Das Begehren, die Energetik in Sprache aufzulösen, führt den Anayltiker zu der Annahme, das Unbewußte sei wie eine Sprache strukturiert. Der Analytiker Lacan meint dazu: “Was ich höre, höre ich nach dem Vernehmen. Das Vernehmen zwingt mich nicht zu verstehen. Was ich vernehme, bleibt darum nicht weniger ein Diskurs, und wäre dieser so wenig diskursiv wie ein Ausruf. Denn ein Ausruf ist der Sprache (Language), nicht dem expressiven Schrei zuzuordnen. Es ist ein Teil des Diskurses, der das keinem anderen abtritt wegen der Syntaxwirkungen in einer bestimmten gegebenen Sprache (langue déterminée). Hierin liegt wohl die erste Bedeutung von: Wo Es war, soll Ich werden: Das Ich soll den Ort des Es einnehmen. Um die dritte Person Neutrum Singular (wahrscheinlich auch Plural) durch die erste Person Singular zu ersetzen, muss die dritte Person eine “wirkliche” Person werden, d.h., ein potentieller Sprecher. Wo Es war, soll Ich werden. Das Es kann ich sagen, es wird zu einem Du. Ebenso muss das dem Es eigentümliches Fehlen der reinen Zeitformen einer Entwicklungsgeschichte des Subjekts, einer Erzählung im Inneren der Aussageebene des Diskurses Platz machen.” Siehe für weitere Differenzen zwischen Lyotard und Lacan , in: Jean-Francois Lyotard, Intensitäten, Berlin 1978, S. 77-86

[99] Sigmund Freud, Pychologie des Unbewußten, Studienausgabe, Frankfurt 1989, S. 145-146

[100] J. F. Lyotard, A few Words to Sign, in: Toward the Potmodern – edited by Robert Horvey and Mark S. Roberts, London 1992, S. 41-42

[101] J. F . Lyotard, The Psychoanalytic Approach to Artistic and Literary Expression, in: Toward the Postmodern – edited by Robert Horvey and Mark S. Roberts, London, 1992, S .3-6

[102] Genauso wie die Surrealisten damals (in den 30er Jahren) diese zwei Triebe zu ihren Grundprinzipien gemacht haben: Maxime Alexandre, Aragon, André Breton, Salvador Dali, Paul Éluard, Tristan Tzara, u.a. In “Manifest der Surrealisten zu “Das goldene Zeitalter” Buñuel’s: unter dem Zwischen-Titel ”Der Geschlechtstrieb und der Todestrieb: “Man erwartet heute von einem Künstler, dass er weiß, welchen fundamentalen Machenschaften er sein Künstlertum verdankt, und man kann seinen Anspruch, Künstler zu sein, nur insoweit anerkennen, als man überzeugt ist, das er diese Machenschaften vollkommen durchschaut. Nun zeigt uns die unvereingenommene Prüfung der Bedingungen, unter welchen das Problem gelöst wird – oder auf eine Lösung zielt -, dass der Künstler, z.B. Buñuel, nur der vordergründige Schauplatz einer Reihe von Gefechten sein kann, die sich zwei hintergründige, in jedem Menschen miteinander verbundene Triebe liefern: der Geschlechtstrieb und der Todestrieb” in: Salvador Dali, Retrospektive 1920-1980 Augsburg 1995, S. 110

[103] J. F. Lyotard, Essays zu einer affirmativen Ästhetik, Berlin 1982, S. 27-28

[104] J. F. Lyotard, The Psychoanalytic Approach to Artistic and Literary Expression; in: ebd., S. 6

[105] J. F . Lyotard, On Whats is “Art”, in: ebd., S. 169

[106] J. F. Lyotard, The Psychoanalytic Approach to Artistic and Literary Expression in: ebd., S. 6-7

[107] Sicherlich nicht so, wie es in Stephen King’s Roman “Es” repräsentiert (dargestellt) wird. In diesem Roman, den Regisseur Tommy Lee Wallace gefilmt hat, erscheint “Es”, in diabolischer Gestalt eines Clowns, der das Grauen, Angst und Schrecken in der Stadt Derry verbreitet: Es gegen die Menschlichkeit!

[108] J. F. Lyotard, The Psychoanalytic Approach to Artistic and Literary Expression und Jewish Oedipus in: Toward the Postmodern, London, S. 2-11, 27 - 41

[109] Wittgenstein: “Was ist das Wertvolle an einer Beethovensonate? Die Folge der Töne? Nein, sie ist ja nur eine Folge unter vielen. Ja ich behaupte sogar: auch die Gefühle Beethovens, die er beim Komponieren der Sonate hatte, waren nicht wertvoller als irgendwelche anderen Gefühle. Ebensowenig ist die Tatsache des Vorgezogenwerdens an sich etwas Wertvolles. Ist der Wert ein bestimmter Geisteszustand? Oder eine Form, die an irgendwelchen Bewusstseinsdaten haftet? Ich würde antworten: was immer man mir sagen mag, ich würde es ablehnen und zwar nicht darum, weil die Erklärung falsch ist, sondern weil sie eine Erklärung ist.

Wenn man mir irgendetwas sagt, was eine Theorie ist, so würde ich sagen: Nein, nein! Das interessiert mich nicht. Auch wenn die Theorie wahr wäre, würde sie mich nicht interessieren – sie würde nie das sein, was ich suche.” In: Wittgenstein und der Wiener Kreis, Frankfurt 1993, S.116

[110] Sigmund Freud, Psychologie des Unbewußten, Studienausgaben, Frankfurt 1989, S. 290

[111] Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Frankfurt 1993, S. 136

[112] J. F. Lyotard, The Psychanalytic Approach to Expression, in: ebd., S. 9

Ende der Leseprobe aus 411 Seiten

Details

Titel
Postmoderne Tendenzen im Film
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
411
Katalognummer
V80993
ISBN (eBook)
9783638826075
ISBN (Buch)
9783638827461
Dateigröße
1734 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Fragen weisen auf die filmanalytischen Untersuchungen durchziehenden Leitgedanken sowie auf den eigentlichen Originalitätsanspruch dieser Arbeit hinweisen: Wie hat sich die postmoderne Ästhetik im Film entwickelt? Was ist der eigentümliche Charakter des Films, bzw. des Bildes? In welchem Sinne kann man von einer postmodernen Tendenz in der Geschichte des Films reden? Stellt denn diese Tendenz eine der Wesens-eigentümlichkeit des Films entsprechende oder von ihr abweichende Entwicklung dar? Nach welchen ästhetischen Aspekten sollte man die Spuren dieser postmodernen Entwicklung verfolgen?
Schlagworte
Postmoderne, Tendenzen, Film
Arbeit zitieren
Dr. Phil. Ritvan Sentürk (Autor:in), 1998, Postmoderne Tendenzen im Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80993

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Titel: Postmoderne Tendenzen im Film



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