"Ernst und Falk". Lessings Freimaurergespräche

Eine Dialoganalyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Einleitung

„Du wirst mir unbegreiflich.“1 So wie Ernst geht es wohl auch dem Leser Lessings Spätwerk „Ernst und Falk“, auch bekannt unter dem Titel „Gespräche für Freimaurer“, der schon deutlich darauf verweist, dass der folgende Dialog an eine bestimmte Adressatengruppe gerichtet ist.2 Nicht ungewöhnlich für die Zeit der Aufklärung, in der esoterische Zirkel wie der Geheimbund der Freimaurer Hochkonjunktur hatten, von denen man sich das Eintauchen in tiefere Erkenntnis versprach3. Warum Lessing, selbst Mitglied der Loge „Zu den drei Rosen“4 mit seinem Werk jedoch eher Nichtverstehen und Missverständnisse aufzuzeigen scheint, bzw. selbige beim Leser erzeugt ist Gegenstand dieser Arbeit.

Dabei wird zunächst die erste Vorrede eines Dritten, die wohl aus Lessings Hand stammt, untersucht werden, da sie für die Erwartungen des Lesers an den ihr nachfolgenden Text entscheidend ist, besonders hinblicklich auf seinen erfolgreichen oder -losen Erkenntnisprozess.

Anschließend wird die Unterhaltung der beiden Freunde von Falks Standpunkt aus unter dem Aspekt der Begreifbarmachung analysiert. Da er schon über das Wissen verfügt, das Ernst so sehr begehrt, fällt es ihm zu, den Suchenden auf seinem Weg zur Erkenntnis zu unterstützen und über Verstehensbarrieren hinwegzuhelfen. Hierbei wird sowohl seine Auffassung vom Wesen der Freimaurerei erörtert werden, was es heißt, Freimaurer zu sein bzw. was nicht sowie seine Einstellung zur (Un)möglichkeit der Sprache, Tatsachen in Worte zu fassen was sich unmittelbar auf das Verständnis auswirkt. Im Zusammenhang hiermit werden sodann Ernsts Haltung zur Unsagbarkeit wie auch deren Folgen dargelegt werden.

Im Weiteren werden zusätzliche Verstehensproblematiken im Textverlauf aufgezeigt werden, die sowohl die Figuren des Dialogs als auch den Leser betreffen, bevor Ernsts Entwicklung im Dialog vom Wahrheitssuchenden zum aufgenommenen und schließlich erkennenden Freimaurer geschildert wird, die maßgeblich von Momenten des Falschverstehens geprägt ist.

In einem letzten Schritt wird abschließend nach Erklärungen gesucht werden, warum Lessing dem Leser das Erfassen der Ontologie der Freimäurerei wie es in der Vorrede verheißen wird, so schwer macht, bzw. warum Falk den Freund so lange durch Mystifikationen im Dunkeln lässt und ihn nur stückchenweise zur Erkenntnis führt.

1.Vorrede eines Dritten

Schon die dem Dialog vorangestellte Vorrede eines Dritten thematisiert die bestehende Problematik des Verschweigens, Verheimlichens, Unsagbaren und die damit verbundene Unwissenheit: Der Vorredner, wohl Lessing selbst5, kündigt an, dass im folgenden Werk nun „die wahre Ontologie der Freimäurerei“6 aufgezeigt werden würde. Wie noch in keiner anderen Schrift zuvor würde ein derart „bestimmter Begriff von ihrer Wesenheit gegeben werde[n]“7, der „gesunde[n] Auge[n]“8 ermögliche, ihre „wahre Gestalt“9 zu erblicken.

Warum „man nicht längst, so deutlich mit der Sprache herausgegangen sei“10, wird mit einer Analogie zum christlichen Glauben erklärt: Auch den Christen sei es lange Zeit nicht möglich gewesen, „ihren Glauben auf eine verständliche Art“11 darzulegen, ob sie es wollten oder nicht.

Somit wird hier erstmals im Werk die Behauptung aufgestellt, es gäbe Dinge, die wegen zahlreicher Gründe unsagbar wären. Welche dies sind, wird in der Vorrede jedoch nicht weiter erläutert. Was damit en detail gemeint ist, wird sich erst später im Verlauf des Zwiegespräches der beiden Dialogpartner zeigen, die bezüglich des Sachverhalts der Unsagbarkeit unterschiedliche Standpunkte vertreten.12 Der Leser wird in der Vorrede folglich noch in Unwissenheit gelassen. Die Erleuchtung soll erst in der eigentlichen Schrift erfolgen.

Letztendlich wird jedoch auch im Hauptteil an keiner Stelle das Geheimnis wörtlich preisgegeben. Immer dann, wenn Ernst - und damit meist wohl auch der intendierte Leser - glaubt, Falks Worte verstanden zu haben und in ihnen das Wesen der Freimaurerei sowie die Aufgaben und Ziele ihrer Mitglieder erkannt zu haben, erfolgt die Ernüchterung durch Falk. Dieser entgegnet stets, dass es sich bei dem eben Erfahrenen nur um bruchstückhaftes oder ungenaues Wissen handele, das entweder der Ergänzung oder Präzisierung benötige.13

Dass dennoch das Versprechen des Vorredners eingelöst wird, erkennt der Leser jedoch, wenn er Falks didaktisches Prinzip, worauf später noch genauer eingegangen wird, und damit die Ursache seiner geheimnisvollen Umschreibungen verstanden hat. Denn wenn er der Erkenntnis würdig ist und damit wohl dem esoterischen Zirkel angehört, für den diese Niederschrift konzipiert wurde, wird er auch dem Geheimnis gewahr werden.14 Nicht durch bloße Worte, sondern durch das Erfahren.

2.Falk

2.1 Was es bedeutet, Freimaurer zu heißen

Falk, der schon zu Beginn des ersten Gespräches einer Freimaurerloge angehört, nimmt im gesamten Dialog die Rolle des Lehrers ein, nachdem sein Freund Ernst die Unterhaltung abzielend darauf, etwas über das Freimaurertum zu erfahren, initiiert hat.15 Obwohl ihm die eindeutige Frage gestellt wird, ob er Freimaurer sei, antwortet Falk nicht mit einem klaren Ja oder Nein, wie es sich sein Gesprächspartner wohl wünschen würde, sondern antwortet vage „Ich glaube es zu sein“16.

Mit dieser Ernst vorerst in Ungewissheit lassenden Antwort bewirkt Falk die Fokussierung der Unterhaltung auf das Wesen der Freimaurerei an sich, da er nur so seine unverständliche Antwort bzw. den Grund seiner scheinbar unbrauchbaren Äußerung erklären kann.

Nach Michelsen bewegen sich die Freunde hier auf zwei unterschiedlichen Gesprächsebenen: Ernst auf der der „historischen, der Tatsachenwahrheiten“17, Falk hingegen in der Sphäre der „vérités éternelles“18, wodurch Ernst die Antwort des Freundes nicht verstehen kann.

Um Falks Replik zu verstehen, muss Ernst zuerst erfahren, was wahre Freimaurerei bedeutet. Denn für Falk steht fest, dass man nicht durch den bloßen Logeneintritt zum Freimaurer wird. Die Mitgliedschaft ist für ihn nicht entscheidend: „Wer nimmt nicht auf, und wer wird nicht aufgenommen!“19 Vielmehr kommt es ihm auf die richtige Gesinnung an.20

Neben der Logenaufnahme hegt er noch weitere Kritikpunkte am Wesen der gegenwärtigen Freimaurerei, die hauptsächlich Gegenstand der beiden letzten Gespräche sind, aus denen sich jedoch auch seine Redemotivation für die ersten drei Unterhaltungen ergibt: Er möchte den nach Erkenntnis dürstenden Ernst von seinem Beitrittswunsch abbringen, ihm jedoch auch zeigen, dass er ohne Aufnahme freimäurerich handeln kann. Um Freimäurer zu sein, muss man „einsehe[n] und erkenne[n], was und warum die Freimäurerei ist, wenn und wo sie gewesen, wie und wodurch sie befördert oder gehindert wird“21. Da sie weiterhin „etwas [N]otwendiges“22 und „nichts [W]illkürliches“23 ist, benötigt man nicht die Aufnahme in einen Orden, um auf sie zu „verfallen“24, sondern „auch durch eigenes Nachdenken“25.

Hierbei möchte Falk den Freund unterstützen, indem er ihm stückchenweise so viele Informationen bietet, wie es ihm möglich ist, ihm jedoch auch Rätsel aufgibt und teilweise Sachverhalte nur andeutet, um den Denkprozess seines Gegenübers zu initiieren. Nisbet26 vergleicht Falks didaktische Vorgehensweise mit dessen eigener „Gärtnermetaphorik“: „Höchstens diese Empfindung in dem Menschen von weiten veranlassen, ihr Aufkeimen begünstigen, ihre Pflanzen versetzten, begäten, beblatten“27.

2.2 Verständnisprobleme durch „Unsagbarkeit“

2.2.1 Das Geheimnis und die wahren Taten

Ist es Ernst schon schwer gefallen, mit Falks Replik auf die Frage seiner Logenaufnahme etwas anfangen zu können, so stellt ihn nun die Frage nach dem Geheimnis vor noch größere Schwierigkeiten. Denn was Freimaurerei ist, kann Falk dem Freund nicht wörtlich darlegen. Er begrenzt sich lediglich auf die Andeutung:

Nur so viel kann und darf ich dir sagen: die wahren Taten der Freimäurer sind so groß, so weit aussehend, daß ganze Jahrhundert vergehen können, ehe man sagen kann: das haben sie getan! Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt ist, - merke wohl: in der Welt ! - Und fahren fort, an alle dem Guten zu arbeiten, was noch in der Welt werden wird, - merke wohl, in der Welt.28

Nicht nur auf Grund seiner Schweigeverpflichtung gegenüber Uneingeweihten, sondern auch, da sie „Etwas, das selbst die, die es wissen, nicht sagen können“29 ist, darf Falk nicht mehr verraten. Allerdings ist das Freimaurertum keinesfalls ein „Unding“30, wie Ernst aus dieser Aussage schließt. Die echte Freimaurerei zeige sich vor allem in ihren wahren Taten, denen nur die ihrer Würdigen gewahr werden könnten.31

Diese Behauptung kann Ernst gleich aus zwei Gründen nur schwer glauben. Zum einen, da er der Meinung ist, ihre Taten bereits zu kennen, wie beispielsweise die Gründung eines Findelhauses und von ihnen nicht gerade begeistert ist. Falk muss ihn erst belehren, dass dies lediglich ihre „Taten ad extra“32 sind, die von den wahren unterschieden werden müssten. Zum anderen hat er eine divergente Vorstellung davon, was Sprache fähig zu leisten ist. Während Ernst davon überzeugt ist, dass man alles wovon man einen Begriff hat, in Worte fassen kann33, ist für Falk die Unmöglichkeit, gewisse Dinge mit einem Begriff zu belegen eine Tatsache. Würde man versuchen, das Geheimnis in einem Begriff zu fassen, wäre es sehr unwahrscheinlich, dass sich der Zuhörer unter dem genannten Wort exakt dasselbe vorstellen würde, wie der Sprecher. Da selbst eine geringe Abweichung schon gefährlich wäre, wenn er zuviel enthielte und unnütz, enthielte er zu wenig34, bleibt das Geheimnis der Freimäurer unaussprechlich.

Kiesel bemerkt, dass Falk im Gegensatz zu seinem Freund hier einen fundierten Argwohn gegenüber der Sprache hegt:

Sprache kann nicht jede Wahrheit ausdrücken, die gedacht werden kann. Und selbst, wo sie das zu leisten vermag, genügt zur Verbreitung von Wahrheit die einseitige verbale Unterweisung nicht. Die Belehrung muß zur Selbstaufklärung führen, die Mitteilung muß einen Prozeß der Selbstbelehrung initiieren.35

Da also selbst der Aufgenommene nicht von der Freimäurerei sprechen könne, bedürfe es zu ihrer Ausbreitung der wahren Taten, durch die die Würdigen sie erfahren und erraten könnten sowie schließlich durch Gefallen an der Sache selbst ähnliche Taten verrichten würden.36

Diese von Falk erörtere Unsagbarkeit der Ontologie scheint nun den Worten des Vorredners zu widersprechen, der ja gerade „einen [...] bestimmten Begriff von ihrem Wesen“37 vor Dialogbeginn angekündigt hatte.38 Spätestens hier muss also dem Leser klar werden, dass auch in diesem Text das wahre Geheimnis nicht durch Worte expliziert werden wird. Wenn überhaupt etwas preisgegeben wird, dann nicht auf verbaler Ebene. Wie Fink sagt, „kann das Geheimnis der Freimaurer nicht wie eine Parole offenbart werden, weil es nicht einfach in exoterische Worte übersetzt werden kann; es ist notwendigerweise unaussprechbar und kann nur erahnt werde.“39

Hüskens bemerkt hierzu zudem:

Nun sind die wahren Taten der Freimaurer, so wie Falk sie versteht und von Ernst begriffen haben will, an keiner Stelle des Dialoges explizit formuliert. Es finden sich lediglich explizite Aussagen darüber, was nicht unter ihre 'wahre Taten' zu rechnen ist.40

2.2.2 Aus der Unsagbarkeit bedingte Notwendigkeit des Erahnens

Bei der durch die Unsagbarkeit nötige Erahnung des Geheimnisses, möchte Falk nun den noch uneinsichtigen Ernst unterstützen. Nur durch eigenständiges Nachdenken kann man der wahren Taten der Freimäurerei und damit ihrer selbst gewahr werden.

[...]


1 Lessing, Gotthold Ephraim: Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer. In: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Hrsg. von Wilfried Barner zusammen mit Klaus Bohnen, Gunther E. Grimm, Helmuth Kiesel, Arno Schilson, Jürgen Stenzel und Conrad Wiedemann. Frankfurt am Main 2001. Bd 10 1778-1781, S.12-66; hier: S.20.

2 Vgl. Nisbet, H. B.: Zur Funktion des Geheimnisses in Lessings „Ernst und Falk“. In: Lessing und die Toleranz.Beiträge der vierten internationalen Konferenz der Lessing Society in Hamburg vom 27. bis 29. Juni 1985 ; Sonderband zum Lessing yearbook. Hrsg. von Peter Freimark, München 1986, S.291-309; hier: S.294.

3 Ebd., S.292

4 Schneider, Heinrich: Lessing. Zwölf Biographische Studien. Bern, 1951, S.177.

5 Vgl. Fink, Gonthier-Louis: Lessings Ernst und Falk. Das moralische Glaubensbekenntnis eines Kosmopolitischen Individualisten. In: Recherches Germaniques 10 (1980), S.18-64; hier: S.23.

6 Lessing, Gotthold Ephraim: Ernst und Falk, S.12.

7 Ebd.

8 Ebd.

9 Ebd.

10 Ebd.

11 Ebd.

12 Vgl. ebd., S.17.

13 Vgl. Lessing: Ernst und Falk, z.B. S.38.

14 Vgl. Fink: Lessings Ernst und Falk, S.23.

15 Vgl. Lessing: Ernst und Falk, S.14.

16 Ebd., S.15.

17 Michelsen, Peter: Die „wahren“ Taten der Freimaurer. Lessings „Ernst und Falk“. In: Geheime Gesellschaften, S.293-324, hier: S.296.

18 Ebd.

19 Lessing: Ernst und Falk, S.15.

20 Vgl. Ebd., S.16.

21 Ebd., S.15.

22 Ebd., S.16.

23 Ebd.

24 Ebd.

25 Ebd.

26 Vgl. Nisbet: Zur Funktion des Geheimnisses in Lessings „Ernst und Falk“, S.294.

27 Lessing: Ernst und Falk, S.37.

28 Lessing: Ernst und Falk, S.21.

29 Ebd., S.17.

30 Ebd., S.17.

31 Vgl. ebd.

32 Ebd., S.20.

33 Vgl. ebd., S. 17.

34 Vgl. ebd., S.17.

35 Kiesel, Helmuth: „Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer. In: Lessing. Ein Arbeitsbuch für den literaturgeschichtlichen Unterricht. Hrsg. v. Wilfried Barner u.a., München 1975, S.301.

36 Vgl. Lessing: Ernst und Falk, S.17.

37 Ebd., S.12.

38 Vgl. Hüskens-Hasselbeck, Karin: Stil und Kritik. Dialogische Argumentation in Lessings philosophischen Schriften. München 1978, S.127f.

39 Fink: Lessings Ernst und Falk, S.27.

40 Hüskens-Hasselbeck, Karin: Stil und Kritik, S.126.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
"Ernst und Falk". Lessings Freimaurergespräche
Untertitel
Eine Dialoganalyse
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
25
Katalognummer
V288283
ISBN (eBook)
9783656885610
ISBN (Buch)
9783656885627
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ernst, falk, lessings, freimaurergespräche, eine, dialoganalyse
Arbeit zitieren
Jennifer Stockum (Autor:in), 2011, "Ernst und Falk". Lessings Freimaurergespräche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288283

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