Der Spracherwerb bilingual russisch-norwegischer Kinder


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

18 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die „Herausforderung“ der Bilingualität Russisch-Norwegisch
1.1 Kurzer Einblick ins Norwegische
1.2 Kurzer Einblick ins Russische
1.3 Die Dominanz der Landessprache

2. Russisch-norwegischer Spracherwerb
2.1 Die Problematik der Kombination Russisch-Norwegisch
2.2 Beispiele für russisch-norwegische Sprachaneignung

3. Die Sprache bei jugendlichen Bilingualen
3.1 Gründe für oder gegen den Erhalt der Nichtumgebungssprache
3.2 Russisches Sprachverhalten der norwegischen Jugendlichen

4. Schlussbemerkung

5. Literatur

Einleitung

Ein kleiner Streifen des nordöstlichsten Teils Norwegens grenzt an Russland. In diesem Grenzgebiet kommt es zu einer Häufung von bilingualen russisch-norwegisch sprechenden Einwohnern auf beiden Seiten, vor allem aber auf norwegischer Seite. Auch weiter ins Landesinnere von Norwegen hinein findet man noch einige bilinguale russisch-norwegische Einwohner.

Da Norwegen zu mehr als 75% an ein anderes Land mit germanischer Muttersprache, nämlich Schweden, grenzt, und im Allgemeinen den meisten fremdsprachlichen Kontakt mit anderen germanischen Sprachen hat, ist es ein wenig erforschtes Gebiet der Bilingualität zwischen Norwegisch und einer anderen nicht-germanischen Sprache.

In dieser Hausarbeit möchte ich in diese Thematik eindringen, um die bisher erforschten Erkenntnis näher zu beleuchten und unter dem Aspekt des kindlichen Spracherwerbs weiter zu untersuchen.

1. Die „Herausforderung“ der Bilingualität Russisch-Norwegisch

Die russische und die norwegische Sprache sind keine verwandten Sprachen. Trotz vereinzelter slavischer Lehnwörter im Norwegischen haben sie keine wirklichen Gemeinsamkeiten und gehören zu zwei unterschiedlichen Sprachfamilien.

Ob die Bilingualität zwischen Sprachen aus einer Sprachfamilie einem Kind beim Spracherwerb nun leichter fällt als der Erwerb zweier Sprachen aus unterschiedlichen Sprachfamilien, soll hier nun nicht zur Debatte stehen. Um die Problematik der Bilingualität Russisch-Norwegisch zu veranschaulichen, ist es jedoch erforderlich, einen kurzen Einblick in beide Sprachen zu geben, um beide in ihrer wesentlicher Struktur und ihrem Aufbau sowie in ihrer Phonetik zu verstehen.

1.1 Kurzer Einblick ins Norwegische

Die norwegische Sprache ist eine germanische Sprache und steht somit in direkter Verwandtschaft zum Deutschen. In der heutigen Klassifizierung zählt sie zu den nordgermanischen Sprachen, also den skandinavischen Sprachen, während Deutsch zu den westgermanischen Sprachen gehört. Trotzdem dieser Klassifizierung zufolge Niederländisch und English dem Deutschen näher sein müssten als Norwegisch, trifft dies in der Realität nicht wirklich zu. Dies hängt mit dem Lautwandel innerhalb der germanischen Sprachen zusammen. Das Norwegische erhielt einen erheblichen Einfluss aus dem Mittelniederdeutschen, was es für den deutschen Sprecher heutzutage wie eine dialektale Niederform des Hochdeutschen erscheinen lässt.

Ein sehr großer Teil der ca. 5 Millionen norwegischer Muttersprachler lebt in Norwegen selbst. Nur sehr wenige Norweger verlassen ihr Land und gehen ins Ausland. Daher ist die allgemeine Motivation, Fremdsprachen zu erlernen, in Norwegen nicht sehr hoch. Zudem gibt es keine klare Hochsprache. Zwar existiert offiziell die Schriftsprache Riksmål, also Reichssprache, doch werden innerhalb der Bevölkerung unzählbar viele Dialekte gesprochen, die sich zum Teil auch miteinander vermischen. Generell teilt man die gesprochene norwegische Sprache in die beiden Varianten Bokmål und Nynorsk ein, der wörtl. Buchsprache und Neunorwegisch.

Die norwegische Schriftsprache benutzt lateinische Buchstaben. Die Laute entsprechen im Groben denen der deutschen Sprache, und lautliche Reduktionen oder Abweichungen von der geschriebenen Sprache gibt es nicht. Es gibt Umlaute, doppelte Konsonanten und auch das aus dem Deutschen bekannte Dehnungs-h. Das -r unterliegt keiner Ausspracheregelung. Regional bedingt kann es zwischen Zungenspitzen-R und Zäpfchen-R jede Aussprachevariante geben.

Auch die norwegische Grammatik ähnelt dem Deutschen, ist aber sehr viel einfacher strukturiert. Es gibt die gleichen Tempora wie im Deutschen, doch sind die jeweiligen Verbflexionen für alle Personen in einem Tempus gleich. Allerdings fehlt das Futur als eigenständiges Tempus. Dinge der Zukunft werden mit einem Präsens-Verb ausgedrückt, das aber als Futur dient. Es gibt nur zwei Genera, ein Utrum und ein Neutrum, bei denen die beiden unterschiedlichen Artikel als Suffixe an das Substantiv angehangen werden. Die Substantive haben darüber hinaus auch nur zwei Kasus, den Nominativ und den Genitiv. Nur die Pronomina haben zusätzlich noch einen Kasus, der den Akkusativ und Dativ des Deutschen abdeckt.

Da die Flexion der Verben keine Person erkennen lässt, ist es zwingend erforderlich, in jedem Satz ein Personalpronomen einzusetzen. Die Adjektive stehen immer vor den Substantiven.

Die norwegische Satzstellung stimmt in den meisten Fällen mit der deutschen überein. Norwegisch ist wie Deutsch eine V2-Sprache, was bedeutet, dass das Verb für gewöhnlich immer die zweite Position in einem Satz einnimmt. Bei einer Nebensatzerweiterung verhält sich die Satzstellung ebenfalls in der Regel wie die des Deutschen.

Desweiteren gibt es keinen Konjunktiv im Norwegischen.

1.2 Kurzer Einblick ins Russische

Russisch ist die slavische Sprache mit den meisten Muttersprachlern: schätzungsweise 163 Millionen. Es ist eine ostslavische Sprache und verwendet das kyrillische Alphabet. Die russischen Muttersprachler leben zum größten Teil in Russland, doch auch in sehr vielen Nachbarländern wachsen Kinder mit russischer Muttersprache auf. Dies ist historisch bedingt durch die ehemaligen Grenzen der Sowjetunion, in der Russisch in jedem Land Amtssprache war. Auch als Zweitsprache wird Russisch in sehr vielen Ländern angeeignet.

In Russland selbst ist Standardrussisch die meist angesehene Sprachvariante. Als Standardrussisch bezeichnet man das Russisch, das in den großen west- bis zentralrussischen Städten gesprochen wird, vornehmlich das Russisch des Großraums Moskau. Es gibt vereinzelte dialektale Formen innerhalb der russischen Staatsgrenze und sehr viele Dialekte und Pidgin-Formen in Grenzgebieten zu anderen Ländern. So existiert eine Pidginsprache zwischen Russland und Weißrussland sowie eine zwischen Russland und der Ukraine. Eine Pidginsprache zwischen Russland und China hat es früher ebenfalls gegeben, genau wie die Handelssprache Russenorsk, eine Mischung aus Russisch und Norwegisch. Diese beiden Pidgin-Sprachen sind jedoch schon ausgestorben.

Als slavische Sprache ist Russisch sehr stark flektierend. Es gibt zwar Personalpronomina, doch werden sie in Zusammenhang mit den Tempora nicht verwendet, da jedes Verb in jeder Person und jedem Tempus eine andere Endung hat, von der man sowohl auf Genus als auch Person schließen kann. Es gibt drei Genera – Maskulinum, Femininum und Neutrum, die ihrerseits weiter unterteilt werden in belebt und unbelebt. In der Flexion gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Genera in ihrer Belebtheit und Unbelebtheit.

Das Russische kennt nur drei Tempora, eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft. Es gibt keine Artikel. Die Adjektive stehen vor den jeweiligen Substantiven. Eine große Fülle an Kasus zeichnet das Russische ebenfalls aus. Neben den aus dem Deutschen bekannten Kasus gibt es zusätzlich noch einen Instrumentalis sowie in sehr vereinzeltem Vorkommen auch noch einen Vokativ. Jeder Kasus wird stark flektiert.

Die Phonetik des Russischen ist sehr schwierig zu beschreiben, da es zum Beispiel keine festen Betonungsregeln gibt. Der Akzent kann von Wort zu Wort sehr verschieden sein. Mit der Betonung ändert sich auch die Lautreduktion. Im Russischen werden gewisse Laute reduziert, allem voran die Vokale. Besonders das –o unterliegt mehreren Reduktionsstufen, die es unmöglich machen, anhand des Schriftbildes die Aussprache eines Wortes zu erkennen. Diese muss sich angeeignet werden und kann schwerlich erlernt werden.

Ein Buchstabe bzw Laut, der im Russischen völlig fehlt, ist das –h. Das –r wird als Zungenspitzen-R ausgesprochen. Die Laute des Russischen ähneln nur sehr gering denen der germanischen Sprachen.

1.3 Die Dominanz der Landessprache

Ein wichtiger Faktor beim bilingualen Spracherwerb ist der Input, den das Kind erhält. Während sich der Input in den ersten Monaten und Jahren hauptsächlich innerhalb der Familie ergibt, wird sich das Kind spätestens beim Eintritt in einen Kinderhort oder beim Beginn der Kindergartenzeit mit dem Input der Öffentlichkeit auseinandersetzen müssen. Hierbei spielt es eine nicht zu verachtende Rolle, welche Sprache die Landessprache ist.

Innerhalb der Familie kann der Input der beiden Sprachen sehr unterschiedlich gewichtet sein. Der norwegische Input kann stark überwiegen, wenn Norwegisch von fast allen Familienmitgliedern miteinander gesprochen wird und beispielsweise Russisch nur durch den Vater auftritt, der aber die meiste Zeit über ebenfalls Norwegisch spricht. Genauso können die Eltern beide Russisch miteinander sprechen und Norwegisch nur mit anderen Menschen, was den Russisch-Input stark erhöhen würde.

Elena Tkachenko von der Universität in Oslo hat eine Theorie über drei verschiedene Inputtypen entwickelt. In ihrer Ausführung heißt es: „Families in which both parents are native speakers of the minority language are generally calimed to have stronger chances of maintining and transfering the minority language, compared to the dual-language families in which one of the parents is the native speaker of the majority language, and to the one-parent families.”[1]

Somit spielt es eine große Rolle, wie der Input der beiden Muttersprachen gewichtet ist. Je mehr Kontakt das Kind zur Sprache bekommt, die nicht die Landessprache ist, desto leichter wird es dem Kind fallen, diese Sprache auch zu erwerben.

Aber nicht nur der Input spielt eine große Rolle. Es ist ebenfalls die Einstellung, die eine Sprache entgegengebracht wird. „Wieviel Zeit verwendet ein Sprecher in einer Sprache und welche Aktivitäten kann er in seiner Sprache unternehmen?“[2] Diese Frage ist durchaus wichtig, denn die Einstellung gegenüber einer Sprache beeinflusst in der Tat die Motivation, sie anzuwenden. Spielt sich die russische Sprache nur zwischen den Eltern ab, wird sie für das Kind schnell langweilig, da alle anderen sozialen Kontakte in Norwegisch geknüpft werden. Wird Russisch auch beim Spielen oder zum Beispiel von gleichaltrigen Cousins und Cousinen gesprochen, macht es die Sprache interessanter für das Kind. „Die Einstellung zu einer Sprache drückt sich in ihrer Vitalität aus. Vitalität bedeutet so viel wie Lebendigkeit einer Sprache.“[3]

Das Überleben der Sprache, die nicht die Landessprache ist, muss somit unterstützt werden, denn nur vom elterlichen Input alleine kann das Kind die Sprache nicht im Maße der Landessprache erwerben. Diese übt eine unbewusste Dominanz aus, da die Landessprache überall präsent ist: Im Kindergarten, unter Freunden, im Fernsehen – die Landessprache, auch als Umgebungssprache bezeichnet, bleibt stets präsent und begleitet das Kind durch den kompletten Tag. Da der Kontakt zur Umgebungssprache somit nicht wirklich abbrechen kann, hat diese einen viel größeren Einfluss auf das Kind als die Nichtumgebungssprache.

In der Folge bleibt die Landessprache meist auch die Sprache, die das bilinguale Kind besser beherrscht. Denn oftmals werden die beiden Muttersprachen nicht gleichwertig erworben, da in den meisten Fällen eine Sprache des Kindes weiter entwickelt ist als die andere. Aus den natürlichen Gegebenheiten heraus ist dies für gewöhnlich die Umgebungssprache.

Aber auch die Identifikation mit der Sprache ist ein wichtiger Faktor. Manche Kinder weigern sich, die Nichtumgebungssprache zu erlernen. Sie empfinden sie als überflüssig, als Last, als erzwungenen Arbeitsaufwand. In diesem Fall kann sich das Kind nicht mit der Nichtumgebungssprache identifizieren, sondern lehnt sie ab. Andersrum ist es aber auch möglich, dass sich das Kind besonders in die Nichtumgebungssprache zurückzieht, da diese ihm als familiärer Zufluchtsort erscheint. Es ist also auch wichtig, dass das Kind eine ausgewogene Identifikation zu beiden Sprachen hat, um auch beide auf einem annähernd gleichen Niveau zu erlernen.

Um der natürlichen Dominanz der Landessprache vorzubeugen, gibt es einige Mittel und Methoden in der Spracherziehung der Kinder. Dennoch bleibt die Umgebungssprache immer ein sehr großer Einflussfaktor beim bilingualen Spracherwerb des Kindes.

[...]


[1] Tkachenko, Elena (2007): Patterns of minority language use and the acquisition of verbal morphology in Russian-Norwegian bilingual children. Oslo, Universitetspress. Seite 1

[2] Pursche, Stefanie (2007): Effizienz und Zweisprachigkeit im Gleichgewicht. Berlin, Humboldt-Universität. Seite 10

[3] ebd

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der Spracherwerb bilingual russisch-norwegischer Kinder
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
2,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V126150
ISBN (eBook)
9783640322480
ISBN (Buch)
9783640320615
Dateigröße
422 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
russisch, norwegisch, bilingual, Kinder, russisch-norwegisch
Arbeit zitieren
BA Jenny Schulz (Autor:in), 2009, Der Spracherwerb bilingual russisch-norwegischer Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126150

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