Zu Georg Heym: Ophelia - Textanalytische Übung


Seminararbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1 Aufbau

2 Kommunikationsstrukturen
2.1 Perspektive
2.1.1 Textsubjekt und erste Person
2.1.2 Die zweite Person
2.1.3 Die dritte Person
2.2 Zeit
2.3 Raum

3 Metrische Analyse
3.1 Versform
3.2 Reimschema
3.3 Versenden

4 Syntaktische Analyse

5 Rhetorische Analyse
5.1 Der Fluss
5.2 Die Tiere
5.3 Die Farben
5.4 Die Wasserleiche
5.5 Die Stadt
5.6 Die Naturlandschaft

6 Literatur- und Quellenverzeichnis
6.1 Primärtext
6.2 Monographien
6.3 Herausgeberschriften
6.4 Aufsätze
6.5 Lexikonartikel
6.6 Titel

I. Einleitung

Die vorliegende Arbeit soll Georg Heyms Gedicht Ophelia nach den Kategorien der for­ma­len Gedichtanalyse beschreiben und erläutern. Dies geschieht unter Berücksichtigung des Pa­ratextes Hamlet von William Shakespeare. Wie sich an späterer Stelle zeigen wird, hat jener Text eine wesentliche Funktion für das vorliegende Werk. Eventuell vorstellbare Analo­gien zwischen beiden Werken sollen aufgezeigt, in ihrer Wirkung beurteilt und schließlich das Für und Wider abgewogen werden. Weiterhin werden die im Verlaufe dieser Ar­beit näher be­schriebenen Oppositionsbildungen innerhalb der Ophelia näher untersucht. Ab­schließend soll eine Zusammen­fassung zeigen, welche Charakteristika das Werk Heyms prä­gen und wie sich deren Wirkung gestaltet.

II. Hauptteil

1 Aufbau

Hinsichtlich des Aufbaus ist zunächst festzustellen, dass sich die zwölf Strophen, die aus ins­gesamt achtundvierzig Versen bestehen, in Ab­schnitte teilen, die mit den römischen Ziffern I und II markiert sind. Diese äußere Zweitei­lung korrespondiert mit dem inhaltlichen Aufbau: Der erste Abschnitt beschreibt, wie Ophelia durch eine ursprüngliche und natürliche Umge­bung treibt. Der zweite Ab­schnitt hingegen gestaltet sich wesentlich aktiver und spiegelt einen Vorgang wider: Der Leichnam Ophelias treibt zu­nächst durch ein ländliches Umfeld zur Mittagszeit, dann durch eine indus­triell entwickelte Stadt zur Abendzeit und zuletzt wiederum durch eine eher beschauliche Landschaft in einer idyllischen Abendstimmung. Die formale Ausgestaltung innerhalb der Abschnitte stellt sich sehr konsequent dar: Die vier Strophen des ersten Abschnitts sind, genau wie die acht Strophen des zweiten Abschnitts je­weils aus vier Versen zusammengesetzt. Innerhalb der Strophen des zweiten Abschnittes fällt aber auf, dass die Übereinstimmung zwi­schen „äußerem Auf­bau“[1] mit „innerem Aufbau“[2] aufgelöst wird: Die strophische Gliede­rung wird über­spielt, indem sich die inhaltlichen Zusammenhänge über die Strophengrenzen hinweg entfal­ten. Dieses Spannungsverhältnis kann als ers­tes Indiz für eine Entfremdung des Ophelia-Motivs von ihrer literarischen Vorgängerin gesehen wer­den. Mithin dient dieser Umstand als Vorbote der nachfolgend aufgezeigten permanenten Oppositionsbildung auf motivischer Ebene.

2 Kommunikationsstrukturen

Der shakespearesche Paratext hat eine wesentliche Funktion für das vorliegende Werk: Ophelia lässt sich nicht mehr unbefangen lesen, da der literaturhistorisch vorgeprägte Titel sofort auf die Gestalt der Ophelia aus Hamlet verweist und das Gedicht Heyms hierdurch eine deutliche Tiefendimension und -funktion erhält. Die Rezeption verläuft faktisch unter einer ständigen Ermahnung zum Vergleich. Im Folgenden soll nun überprüft werden, an wel­chen Stellen eine Analogie zwischen der vorliegenden Ophelia und ihrer literarischen Vor­gängerin angezeigt ist und welche Argumente für und gegen eine solche Hochrechnung spre­chen könnten.

2.1 Perspektive

2.1.1 Textsubjekt und erste Person

Explizite Anzeichen eines „artikulierten Ich[3], wie Pronomen oder Ausrufe, sind in Ophelia nicht auszumachen, jedoch lässt sich anhand der Fragen in Strophe zwei auf ein „fra­gendes Ich[4] schließen. Generell ist der Sprecher aber verborgen und ins Unpersönli­che zurück­gezo­gen, es werden Erschei­nungen der Natur und des Menschenlebens, schein­bar los­gelöst von einem Ich beschrieben. In Shakespeares Paratext hingegen ist es unzweifelhaft die Königin, die über den Tod ihrer Tochter Ophelia be­richtet.[5] Da es scheint, als seien einige Motive – „Bach[6] und „Gewässer[7] als Entsprechung von „Wasser“ [Verse 4, 8, 11][8], „Wasser­lauf“ [V. 12] und „Strom“ [V. 27, 36, 45], „Laub[9] als Entsprechung von „Ur­wald“ [V. 4], „Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen[10] von „Farn und Kraut“ [V. 8] und natürlich das Weiden­motiv, das explizit in beiden Werken genannt wird – aus Hamlet in Ophelia übernommen worden, könnte man nun die Überlegung an­stellen, ob es nicht die Königin ist, die auch im vorliegenden Werk spricht. Neben den motivi­schen Verknüpfungen sprechen vor allem die dargebotenen Innenansichten Ophelias für diese Annahme. Wenn etwa beschrieben wird, dass sie „entschlafen will“ [V. 19] oder sie „von eines Kusses Karmoisin“ [V. 23] träumt, wird deutlich, dass die Textinstanz in Ophelia hineinschaut und sie sehr intime Kenntnisse besitzt, wie sie etwa eine Mutter von ihrem Kind hat. Diese Verbundenheit lässt sich al­lerdings zugleich als Argument gegen die obige Annahme verwenden. Betrachtet man diese Gefühls­beschreibungen im Kontext des gesamten Gedichts, das sich ansonsten durch eine große Un­persönlichkeit auszeichnet, so verdeutlichen diese die Entfremdung umso mehr. Es lassen sich jedoch noch weitere Ein­wände gegen ein mögliches Hochrechnen der Textinstanz auf die Königin anführen: Über ihr Schicksal und ihre Todesursache kann man allenfalls mutma­ßen, konkrete Hinweise lassen sich nicht finden. Außerdem ist sie in Heyms Werk bereits tot, wäh­rend sie in Hamlet erst am Ende des vierten Aktes stirbt. Deutlichstes Indiz für die Her­auslö­sung Ophelias aus ihrem ursprünglichen Kontext ist aber das Stadt­bild, das deutlich macht, dass sie aus dem shakespeareschen Kontext gelöst wurde und eine deutliche Entindividuali­sierung erfah­ren hat[11].

2.1.2 Die zweite Person

Die gerade beschriebene Herauslösung der Ophelia aus ihrem ursprünglichen Kontext schließt an dieser Stelle die Vermutung aus, dass hier mit Laertes und dem König jene Ad­ressaten angesprochen werden, die auch in Hamlet als angesprochene Instanzen auf­treten. Eine im Text konstituierte, oder gar namentlich genannte Person wird in Ophelia ge­rade nicht an­geredet. Dieses Fehlen eines textimmanenten Adressaten führt dazu, dass wohl aus­schließ­lich auf einen intendierten Leser Bezug genommen wird.[12] Bei diesem dürfte es sich um die Gesellschaft im Allgemei­nen handeln: „Ophelia wird zur Integrationsfigur menschlicher Lei­den, zur Symbolgestalt des ent­stellten Humanen, des zerbrochenen Traums von Freiheit“.[13]

2.1.3 Die dritte Person

Es wird nur die dritte Person gebraucht, das heißt, es tritt keine angesprochene Instanz an die Textoberfläche, sondern es ist nur von Personen oder Dingen die Rede, die nicht in die Kom­munikationssituation einbezogen sind. Diese Bevorzugung der dritten Person, die einer ob­jektivierenden Darstellung dient,[14] verdeutlicht die bereits genannte Unpersönlichkeit und die Entindividualisierung der Ophelia.

2.2 Zeit

Der erste Abschnitt stellt sich eher zeitlos dar, allein die Ausdrücke „Die letzte Sonne“ [V. 5] und „Wie Nachtgewölk“ [V. 13] lassen vage Schlüsse auf eine zeitliche Dimension zu. An dieser Stelle wäre eine Analogie zu Hamlet durchaus vorstellbar, da diese Zeitlosigkeit die gerade erst durch den Titel initiierte Hochrechnung der Szenerie auf den shakespeareschen Kontext nahe legt. Dagegen enthält der zweite Abschnitt deutliche Hinweise auf die Zeit und verwischt somit eine vorstellbare Analogie der Ophelia mit ihrer Vorgängerin: Ausgehend von „Mittags“ [V. 17] geht es über „Abendrot“ [V. 31] bis „Abends“ [V. 44]. Die Erzählzeit ist also deutlich kürzer als die erzählte Zeit. Diese „Raffung[15] verstärkt die erwähnte Unpersönlich­keit noch weiter. Aber nicht nur durch Angaben zur Tageszeit wird die Zeit­lich­keit eines Gedichts er­sichtlich:[16] Aufschlussreich sind mithin die Tempora der Verben, die im vorliegenden Text grundsätzlich im Präsens sind. Eine Ausnahme liegt nur bei „starb“ [V. 7] vor, wodurch scho­nungslos vor Augen geführt wird, dass Ophelia bereits tot ist.

[...]


[1] Dieter Burdorf: Einführung in die Gedichtanalyse. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart/Weimar 1997, S. 128.

[2] Burdorf, Einführung in die Gedichtanalyse, S. 128.

[3] Rainer Nägele: Der Diskurs des andern. Hölderlins Ode »Stimme des Volks« und die Dialektik der Aufklärung. In: Le pauvre Holterling. Blätter zur Frankfurter Ausgabe 4/5. Frankfurt am Main 1980, S. 61-76.

[4] Horst Joachim Frank: Wie interpretiere ich ein Gedicht ? 6. Auflage. Basel/Tübingen 2003, S. 83.

[5] Walter Hinck: Integrationsfigur menschlicher Leiden. Zu Georg HeymsOphelia“. In : Gedichte und Interpretationen, Bd. 5: Vom Naturalismus bis zur Jahrhundertmitte. Hrsg. von Harald Hartung . Stuttgart 1983, S. 128.

[6] William Shakespeare: Hamlet. Prinz von Dänemark. In: Shakespeare in deutscher Sprache. Neue Ausgabe in sechs Bänden. Hrsg. und Schlegels Übersetzung durchgesehen von Friedrich Gundolf. 5. Bd. Berlin 1921,

S. 87, IV. Aufzug, 7. Szene, Vers 1.

[7] Shakespeare: Hamlet, IV, 7, V. 11.

[8] Georg Heym: Ophelia. In: Georg Heym: Gesammelte Gedichte. Mit einer Darstellung seines Lebens und Sterbens. Hrsg. von Carl Seelig. Zürich 1947, S. 61-62.

[9] Shakespeare: Hamlet, IV, 7, V. 2.

[10] Shakespeare: Hamlet, IV, 7, V. 4.

[11] Hinck, Integrationsfigur menschlicher Leiden, S. 129.

[12] Burdorf, Einführung in die Gedichtanalyse, S. 210.

[13] Hinck, Integrationsfigur menschlicher Leiden, S. 137.

[14] Burdorf, Einführung in die Gedichtanalyse, S. 210.

[15] Matias Martinez/Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 5. Auflage. München 2003, S. 44.

[16] Frank, Wie interpretiere ich ein Gedicht ? S. 93.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Zu Georg Heym: Ophelia - Textanalytische Übung
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V80667
ISBN (eBook)
9783638879262
ISBN (Buch)
9783638879316
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Georg, Heym, Ophelia, Textanalytische, Einführung, Neuere, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Sven Köhler (Autor:in), 2005, Zu Georg Heym: Ophelia - Textanalytische Übung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80667

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