Designer-Babies und Maß-Menschen

Reproduktionsgenetik heute - morgen - übermorgen


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2005

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


1. Einleitung

Prof. Wagner: „Ein herrlich Werk ist gleich zu Stand gebracht.“

Mephisto: „Was gibt es denn?“

Wagner: „Es wird ein Mensch gemacht.“

Laboratoriums-Szene aus Goethes >Faust II<.

„Bokanowskvverfahren“, wiederholte der Direktor.

„... ein Ei, ein Embryo, ein erwachsener Mensch: das Natürliche.

Aber ein bokanowskysiertes Ei knospt und sproßt und spaltet sich.

Acht bis sechsundneunzig Knospen – und jede Knospe entwickelt

sich zu einem voll ausgebildeten Embryo, jeder Embryo zu einem

voll ausgewachsenen Menschen. Sechsundneunzig Menschenleben

entstehen zu lassen, wo einst nur eins wuchs: Fortschritt. ...

Identische Simultangeschwister, aber nicht lumpige Zwillinge oder

Drillinge wie in alten Zeiten des Lebendgebärens, als sich ein Ei

manchmal zufällig teilte, sondern Dutzendlinge, viele Dutzendlinge

auf einmal. ... „Aber leider“, der Direktor schüttelte den Kopf, „können

wir nicht unbegrenzt bokanowskysieren.“ Sechsundneunzig schien

die Höchstgrenze zu sein, zweiundsiebzig ein gutes Durchschnittsergebnis.

Aldous Huxley (Brave New World)

Dreieinhalb Milliarden Jahre Evolutionsdiktatur gehen ihrem Ende entgegen. Wir befinden uns auf dem Weg von der Vorprogrammierung zur Selbststeuerung. Der Mensch schickt sich an, göttliche Funktionen zu übernehmen, den großen Schöpfer zu entmündigen, das genetische Zepter in die eigene Hand zu nehmen, seinem hereditären Schicksal ein Schnippchen zu schlagen, dem Gefängnis aus Hirn und Haut, Knochen und Knorpeln, Fett und Fleisch mit ihren stets präsenten, psychischen Äquivalenten zu entrinnen und sich selbst nach seinem Willen zu formen. Genstruiere dich selbst – und deine Nachkommen gleich dazu –, heißt das Motto von morgen und übermorgen.

ICH als Wille und Vorstellung. Jeder nach genetischem Gusto. War es früher nur das Glück, dessen Schmieden jedem selbst oblag, ist zukünftig ein jeder seines Genoms Schmied. Möglicherweise mutiert der Hausarzt gar zum genetischen Stilberater, wenn das Überangebot an Optionen die Eigenentscheidung sabotiert.

Dass Glück und Genetik hochgradig miteinander korrelieren, muss kaum erwähnt werden. Schließlich ist das Verhältnis zwischen Körper und Geist, Leib und Seele, eines der Wechselwirkung. Mens sana in corpore sano, wusste schon Juvenal, der alte Römer.

Grandiose Aussichten also, dank einer alles und jeden glücklich-machenden Gentechnik? Ein Hoch auf die neuen Life Sciences! Vivat! Nur noch schöne, junge, gesunde, intelligente, gutgelaunte, langlebige Maß-Menschen, in ewiger Eintracht mit sich selbst und einer transgenen Tier- und Pflanzenwelt. Für viele doch wohl eher eine Horrorvision.

Goethes „Was ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen?“ lässt ahnen, wohin alle noch so paradiesisch anmutende Einseitigkeit führt. Erst der Kontrast, die spannungsvolle Dialektik der Gegensätze geben dem Leben Würze. Nur angesichts des Todes wird das ICH des Menschen geboren, predigte der heilige Augustinus. Ist der Tod - der große Motivator und pädagogische Zuchtmeister - erst eugenisch eliminiert, wo bleibt dann das ICH und sein Leben?

Alles in dieser Welt existiert ausschließlich im Angesicht seines Antagonisten: Leben nur durch Tod, Gott nur durch den Teufel, Gutes nur durch Böses, Ordnung nur durch Chaos, Perfektes nur duch Imperfektes, Schönes nur durch Hässliches, Liebe nur durch Hass, Gesundheit nur durch Krankheit, Chance nur durch Risiko und Positives nur durch Negatives. Was wäre das eine ohne das andere? Wäre es überhaupt?

Zweifellos haben Gen- und Biotechnologie andere als positive Seiten. Ethisch-moralische, existenzial-philosophische, identitäts-psychologische, sozial-politische, versicherungs-technische und tausend weitere Fragen tauchen auf, ohne deren zufriedenstellende Lösung alle Formen genetischer Glückseligkeit auf der Strecke bleiben.

Nichtsdestoweniger: Die therapeutischen, ökonomischen und anderweitigen Chancen der neuen und neuen alten Wissenschaften sind phänomenal. Nichts scheint unmöglich. Von intrauterinen Stammzell-Transplantationen und Tissue-Engineering über Gen- und Keimbahntherapie bis zu Designer-Babies und geklonten Menschen.

2. Klonen

a) Therapeutisches Klonen

Verfahrensweise: Person A werden ein paar beliebige Körperzellen entnommen. Anschließend wird in vitro jeder Zellkern mit der darin befindlichen DNA isoliert. Die Zellkerne werden in entkernte Eizellen eingepflanzt – die vorher einer weiblichen Spenderin B aus dem Eierstock entfernt wurden – und dann durch Stromstoß zum Wachsen angeregt. Es entwickeln sich Embryonen mit den „gleichen“ genetischen Informationen von A.

Im Blastozystenstadium (aus der Blastozyste (Zellkugel) entwickelt sich normalerweise die Planzenta und Monate später ein neuer Mensch) werden die extrem vielseitigen und unbegrenzt teilungsfähigen embryonalen Stammzellen entnommen - wobei die Embryonen zerstört werden - und beispielsweise für Stammzell-therapeutische Maßnahmen verwendet.

Die geklonten A-Embryonen sind allerdings keine 100-prozentigen genetischen Reproduktionen von A. Denn ein Teil der genetischen Informationen in der befruchteten Eizelle stammt von den außerhalb des Zellkerns liegenden Mitochondrien (Energieversorger der Zellen), und die werden ausschließlich vom Mutterkörper B beigesteuert. Die mitochondrische DNA leistet einen – wenn auch kleinen – Beitrag zur Bildung der zellulären Oberflächenmarker.

b) Reproduktives Klonen

... bezeichnet die künstliche Herstellung eines genetisch identischen Lebewesens. Vergleichbar dem natürlichen Sonderfall eineiiger Zwillinge.

Während in Deutschland verboten und verdrängt, zeigen amerikanische Wissenschaftler wie Gregory Stock, Biophysiker und Direktor des >Program on Medicine, Technology and Society< an der University of California in Los Angeles (UCLA) keine Berührungsängste mit Cloning und sprechen offen über das ohnehin Unvermeidliche.

Stock prophezeite in >Redesigning Humans< die Geburt des ersten menschlichen Klons innerhalb der nächsten 10 Jahre. Ein zwielichtiges Unternehmen behauptet gar, bereits Menschen geklont zu haben. (siehe www.clonaid.com)

Beim reproduktiven Klonen ist das Prozedere gleich dem therapeutischen; nur wird die mit neuer (A-) DNA versehene Eizelle nicht via Stromstoß zum Wachsen gebracht, sondern in den weiblichen Spenderorganismus B reimplantiert und von diesem ausgetragen. Nach rund 270 Tagen erblickt ein neues Individuum mit den genetischen Eigenschaften von A das Licht der Welt. Ein A-Klon ist entstanden, der aber aus mitochondrischen Gründen nicht hundertprozentig mit dem genetischen Original übereinstimmt.

Tierexperimente beweisen, dass das Verfahren bis zur Geburt des Tieres funktioniert. Klonschaf Dolly war 1996 das erste Exempel. Zwischenzeitlich wird Tierklonierung im großen Maßstab praktiziert, nicht nur um aussterbende Gattungen zu retten. (vgl. Scientific American, 19. Nov. 2000)

Faktum ist: Zellkerne können reprogrammiert werden.

Beim Klonen von Menschen stellen sich außer ethischen eine Menge Fragen.

Warum sollte man überhaupt einen Menschen klonen? Prof. Dr. E.-L. Winnacker (Biochemiker an der Ludwig Maximilians-Universität München) meinte in einem Gespräch mit Prof. Dr. med. D. Linke (Klinischer Neurophysiologe und Neurochirurg an der Universität Bonn), er hätte erst einen vernünftigen Grund zum Klonen gehört, auf einer Tagung in Tel Aviv. Dort sagte der einzige Überlebende einer durch den Holocaust ausgelöschten Familie, er wolle sich klonen lassen, um seiner Familie das Weiterleben zu ermöglichen.

Klonen von Erwachsenen sei – von Sonderfällen abgesehen – nur sinnvoll, so Winnacker, um irgendwelche genialen kognitiven und charakterlichen Eigenschaften zu konservieren, aber eben solche Eigenschaften seien seiner Ansicht nach nicht klonierbar. Es gebe kein Gen für Genialität.

Die von Bostoner Forschern entwickelten Maus-Mutanten, deren Riesenhirne mit den menschlichen Windungen durch Veränderung nur eines einzigen Gens und seines Proteins Betacatenin zustande kamen, besagen eher das Gegenteil. Zukünftige Forschungen werden uns schlauer machen.

Prof. Linke argumentierte, auch Ehepaare mit erbkranken Partnern ständen dem Klonen sicher aufgeschlossen gegenüber, wobei es denen natürlich nicht um die reine Kopie gehe, vielmehr um die Erzeugung eines genetisch veränderten (gesunden) Klons.

„Diese von mir Klonoiden genannten Wesen halte ich für etwas, an dem einzelne Gruppierungen unserer Gesellschaft großes Interesse hätten. Ich glaube, mit Ethik und Ad-hoc-Entscheidungen allein werden wir das Klonen so leicht nicht verhindern können.“ (Linke)

Interesse hätten sicher auch lesbische Paare, die ihre Liebe mit einer biologisch gemeinsamen Elternschaft krönen wollen. Eine Partnerin könnte die zum Cloning verwendete Spenderzelle, die andere die unbefruchtete Empfänger-Eizelle zur Verfügung stellen. Ausgetragen wird der Embryo von der genetisch nicht verwandten Partnerin.

Frauen, die nach der Geburt des ersten Kindes unfruchtbar sind und noch ein zweites oder drittes eigenes Kind haben möchten, könnten dazu das Erstgeborene klonieren lassen.

3. Advent der Klon-Industrie

Zweifellos ließe sich mit dem eingangs erwähnten >Bokanowskyverfahren< problemlos die Belegschaft für einen mittelständischen Reinigungsbetrieb oder was auch immer rekrutieren. Heuschrecken der private-equity-gen Art, profithungrige Venture Capitalists und ebensolche Business Angels würden Herrn oder Frau Bokanowsky - sollte es sie oder funktional äquivalente Verfahrensentwickler einmal geben - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Labortür einrennen.

Erste Konturen einer kommerziellen Klon-Industrie zeichnen sich schon seit Dolly-Zeiten ab. Kurz nachdem die renommierte Wissenschaftszeitschrift Nature der erstaunten Fachwelt vom ersten Säugetier berichtete, das aus einer erwachsenen Körper-Zelle kloniert wurde, konstituierte sich die erwähnte Clonaid Inc. Gegründet: auf den Bahamas. Wissenschaftliche Leitung: Dr. Brigitte Boisselier. Geschäftsfeld: Cloning. Corporate Mission: Eternal Life can be reached through Cloning Technology. Clonaid will allen Interessenten für ein stattliches Honorar via Selbstvermehrung ewiges Leben ermöglichen.

Obgleich dringend davor zu warnen ist, das Angebot der Klon-Sektierer (Gründer und Mitarbeiter der Firma gehören der Raelianer-Sekte an, die daran glaubt, das der Mensch vor 25.000 Jahren von Außerirdischen geschaffen wurde.) anzunehmen – die Klon-Technik ist noch viel zu risikoreich –, zeigt es doch unmissverständlich, wohin die Reise geht.

Jedes gentechnische oder biomedizinische Verfahren (Cloning, Gentherapie, intrauterine Stammzell-Transplantation etc.), das erfolgreich Krankheiten kuriert, eröffnet prinzipiell auch einen lukrativen >Optimierungsmarkt<. Aus operativer Sicht ist es einerlei, ob zum Beispiel auf dem langen Strang von Chromosom 14 ein Alzheimer-Gen ausgeschaltet, oder auf dem kurzen Strang von irgendeinem anderen Chromosom ein oder zwei Zusatzgene implementiert werden, die den Menschen schöner, schlauer oder widerstandsfähiger machen. Nachfrage nach genetischen Optimierungsleistungen aller Art ist reichlich vorhanden. Und wo Nachfrage besteht, sind die befriedigenden Unternehmen nicht weit. Money makes the world go around.

Die erste seriöse Klon-Firma – der First Mover – macht bekanntlich die besten Geschäfte. So besagt‘s die alte Marketing-Weisheit vom First Mover Advantage. (vgl. Halstenberg 2005)

Bekommen die BWL-Studenten von heute die Umsatz-, Gewinn- und Imagevorteile von Produkt-Pionieren noch anhand von Klassikern wie SAP, Dyson, Apple und Google eingebleut, lernen ihre Kollegen von morgen die gleichen Lektionen möglicherweise mit den erfolgreichen Pionieren der internationalen Klon-Industrie, wie auch immer sie heißen mögen. (Clon4you Inc.?)

3.1 Juristische Probleme

Was passiert eigentlich, wenn ein Klon ein Verbrechen begeht, ertappt, überführt und angeklagt wird, während der Gerichtsverhandlung gleich einem eineiigen Zwilling das Original auftaucht und jede Zeugenaussage hinfällig macht? Geht der Klon straffrei aus? Muss das Original dran glauben? Werden beide bestraft? Oder keiner? Die zukünftige Jurisdiktion zu dieser Thematik dürfte nicht ganz einfach sein.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Designer-Babies und Maß-Menschen
Untertitel
Reproduktionsgenetik heute - morgen - übermorgen
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V47004
ISBN (eBook)
9783638440646
ISBN (Buch)
9783638799218
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Designer-Babies, Maß-Menschen
Arbeit zitieren
Dr. Volker Halstenberg (Autor:in), 2005, Designer-Babies und Maß-Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47004

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