Kindliche »Unschuld« ist kein Ideal
Tugendethik und Kind-Erwachsenen-Sex
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aus dem Englischen
von Thomas Leske

Mädchen mit Pusteblume

Zusammenfassung Malón (2015)[1] [1] A. Malón (2015). Adult–child sex and the limits of liberal sexual morality. Archives of Sexual Behavior, 44(4), 1071–1083. kam zu dem Schluss, dass die üblichen Argumente gegen sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern vor der Pubertät nicht ausreichen, um deren moralische Zulässigkeit unter allen Umständen auszuschließen. Diese postulierte Lücke versuchte Malón (2017)[2] [2] A. Malón (2017). Adult–child sex and the demands of virtuous sexual morality. Sexuality and Culture, 21(1), 247–269. mit Tugendethik zu füllen. Diesen Tugendethikansatz im zweiten von Malóns Fachartikeln fechtet der vorliegende Aufsatz an, indem er (1) die Ansicht in Frage stellt, dass Sex ein außergewöhnlicher Teilaspekt der Moral ist, der eines Tugendansatzes bedarf, (2) die Ansicht in Frage stellt, dass die Tugendethik greift, wo andere Argumente gegen die Zulässigkeit von sexuellen Kind-Erwachsenen-Beziehungen scheitern, und (3) geltend macht, dass solche Beziehungen im Lichte eines anderen Tugendverständnisses tugendhaft erscheinen können.

Stichworte: Kind-Erwachsenen-Sex, kindliche Sexualität, Evolutionspsychologie, Pädophilie, Sexualentwicklung, Tugendethik

Was die drei anonymen Gutachter meinen:

„Der Artikel ist einzigartig, interessant, wichtig und sorgfältig begründet.
Er wird ein wichtiger Beitrag zur Fachliteratur sein.“

„anregend und polemisch“

„… ein großartiger Artikel. Sehr gut recherchiert …
Durchgängig gut geschrieben und begründet.“

Zitiervorschlag für das PDF: Thomas O’Carroll. Kindliche »Unschuld« ist kein Ideal: Tugendethik und Kind-Erwachsenen-Sex. Thomas Leske (Hrsg., Übers., Verlag), Gäufelden 2018, ISBN 978-3981761610 [, 3. Auflage vom 2018-11-18, DOI 10.5281/zenodo.1490770.]
Anmerkungen des Herausgebers der Übersetzung stehen unter den Fußnoten [72], [75] und [84]. "Aktualisierungen von „Kindliche »Unschuld« ist kein Ideal“" abonnieren

1 Einführung

Im ersten seiner beiden zusammenhängenden Artikel zur moralischen Einordnung sexueller Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen schloss Malón (2015), dass kantische (deontologische) und utilitaristische (konsequentialistische) ethische Analysen die Möglichkeit offen lassen, dass solche Beziehungen moralisch zulässig sind, vorausgesetzt sie sind beiderseitig gewollt und weder schädlich noch ausbeuterisch. Unter solchen Umständen, welche – wie der Autor zugesteht – gelegentlich real vorliegen können, wäre das einzige Argument gegen sie pragmatisch statt moralisch und würde auf der Möglichkeit von Schäden beruhen, die sich aus dem Bruch starker gesellschaftlicher Tabus und durch rechtliche Sanktionen ergeben. Die Folgen können sowohl für das Kind als auch den Erwachsenen Scham, Schuld, Stigmatisierung und Trauma beinhalten. Das Kind wird möglicherweise obendrein bestraft sowohl formal als auch informell, während den Erwachsenen oft eine harte Strafe erwartet.
In seinem zweiten Artikel (Malón 2017) wählt der Autor die Tugendethik als Ansatz und stellt damit nicht nur die Zulässigkeit, sondern auch die moralische Erwünschtheit von Kind-Erwachsenen-Sex in Frage. Dem ersten Fachaufsatz widerspricht die vorliegende Erwiderung nicht, sondern stellt nur den zweiten in Frage.
Dieser zweite Aufsatz besagt, dass sexuelle Handlungen sich so sehr von anderen Handlungen unterscheiden, dass sie sich auf gewöhnliche Weise nicht angemessen moralisch einordnen lassen, das heißt anhand moralischer Prinzipien und Maßstäbe, die sich auf andere Umstände anwenden ließen. Daher läuft dieser Appell an den „sexuellen Ausnahmestatus“ auf Sonderbehandlung (engl. special pleading) hinaus. Wie in anderen Fällen von Sonderbehandlung hat er nur dann Aussicht zu fruchten, wenn das Argument für den Sonderfall überwältigend stark und klar ist. Wie wir sehen werden, ist diese Bedingung alles andere als sichergestellt – weder durch den betreffenden Autor selbst noch durch diejenige seiner Quellen, welche die sorgfältigste Darstellung der Tugendethik enthält (Scruton 1986)[3].
Die Sonderbehandlung, um welche es geht, greift einen altgedienten ethischen Ansatz von Aristoteles auf, der jedoch – wie wir sehen werden – unter Umständen zu kulturabhängig ist. Diesen Spielraum nutzen zumindest einige neuzeitliche Peripatetiker[4] allzu verheerend aus – darunter auch Scruton und Malón. Aristoteles Bereitschaft, „glaubwürdige Meinungen“ (Endoxa) und damit die gängige Weisheit seiner Zeit zu bevorzugen, führt geradewegs zu kultureller Voreingenommenheit, welcher er insbesondere bei seinem Versuch unterlag, die Sklaverei ethisch zu rechtfertigen. Die Verlockung für andere, dies zu tun, zeigt sich in seiner eigenen Beschreibung: „Endoxa sind diejenigen Meinungen, die entweder von allen oder den meisten oder den Weisen und unter den Weisen entweder von allen oder den meisten oder den bekanntesten und anerkanntesten für richtig gehalten werden.” (Aristotles 2015)[5]. Mit den heutigen Ansichten der „besseren Kreise“ (geschweige denn der gemeinen Leute) über Pädophilie im Hinterkopf sind bei einer Erörterung des moralischen Stellenwerts von sexuellen Kind-Erwachsenen-Beziehungen, welche derzeit gängigen Meinungen den Vorzug gibt, die Würfel zwangsläufig so stark gezinkt, dass alternative Ansichten nicht fair betrachtet werden können (Rind 2002)[6].
Ich werde zeigen, dass Scruton (mit Malón im Schlepptau) herkömmliche Ansichten ungebührlich bevorzugt und dass sein Rückgriff auf „rhetorische Definitionen“ (engl. persuasive definitions, Stevenson 1963)[7] das Problem verschärft.
Diese Entgegnung fechtet Malóns Tugendethik für sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen an drei Punkten an, indem sie: (1) die Ansicht in Frage stellt, dass Sex ein außergewöhnlicher Teilaspekt der Moral ist, der eines Tugendansatzes bedarf, (2) die Ansicht in Frage stellt, dass Tugendethik greift, wo andere Argumente gegen die Zulässigkeit von sexuellen Kind-Erwachsenen-Beziehungen scheitern, und (3) geltend macht, dass ein tugendethischer Ansatz sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen keineswegs zwangsläufig aufgrund unzulässig verfehlter Tugendideale verurteilt, sondern erkennen kann, wie sie zumindest in Teilen ein Ideal verkörpern.
Das Augenmerk wird übereinstimmend mit Malóns Stoßrichtung auf Kindern vor der Pubertät liegen, sofern nicht anders vermerkt. Der Kontext legt in allen Fällen nahe, dass er mit „vorpubertären“ Kindern nicht nur solche meint, die sich dem Pubertätseintritt nähern (in der Vorpubertät sind), sondern auch jüngere Kinder (Malón 2015; Malón 2017). Ich will das Wort im Folgenden ebenfalls in dieser weit gefassten Bedeutung verwenden.

2 Das Trugbild des sexuellen Sonderfalls

Malón vertritt den peripatetischen Standpunkt, dass es bei einem Erwachsenen von schlechtem Charakter zeuge, wenn er sich sexuell mit Kindern einlässt. Dies deute darauf hin, dass sein Begehren nicht auf etwas gerichtet ist, das zum Gedeihen des Menschen ermuntert einschließlich seines eigenen und dem der betroffenen Kinder. Ein tugendhafter Mensch hat nach Aristoteles Philosophie einen Charakter, der ihn tendenziell in Übereinstimmung mit dem Gedeihen des Menschen handeln lässt, so dass aktive Pädophile nicht tugendhaft sein könnten, sondern lasterhaft seien.
Lasterhaft seien sie insbesondere aufgrund der Vorstellung, dass Sex einen Zweck hat, den sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen nicht erfüllen. Pädagogisch sei es falsch, Kinder von der richtigen Aufgabe von Sex wegzuführen. Nur in Übereinstimmung mit seiner wahren Teleologie könne von ihm erwartet werden, dass er zum Gedeihen des Menschen führt.
Doch was ist die wahre Teleologie von Sex? Für einige Traditionalisten liegt die Antwort auf der Hand: Fortpflanzung. Aber eine solche Verengung zwänge uns dazu, Selbstbefriedigung, Homosexualität, Verhütung und vieles mehr für lasterhaft zu erklären. Wer sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen als lasterhaft aussondern will, muss angeben, was an ihnen intrinsisch der vorgeschlagenen Teleologie von Sex so zuwider läuft, dass das Gedeihen des Menschen beeinträchtigt wird, im Unterschied zu einer Beeinträchtigung durch die feindseligen gesellschaftlichen Sitten und Gesetze. Malón versucht das, nicht indem er Fortpflanzung als alleinigen Zweck von Sex wiederbeleben will, sondern indem er die „liberal-freizügige Sexualideologie“ ablehnt, welche auf „einer wollüstigen Vorstellung von Sex als Begehren von körperlich-genitalem Genuss“ basiere. Meiner Ansicht nach lehnt er zurecht als Ideal ab, was man als „blanken Hedonismus“ bezeichnen könnte. Doch ich werde darlegen, dass (a) beiläufiges sexuelles Vergnügen zwischen Kindern und Erwachsenen als „Spiel“ moralisch zulässig ist, und dass (b) sexuelle Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen, insbesondere wenn sie im Rahmen einer engeren Beziehung stattfinden als das Etikett „Spiel“ nahe legt, nicht einem Leben nach den höchsten Idealen abträglich sind, ja vielleicht sogar dabei helfen, diese Ideale zu bestimmen, und zu ihnen beitragen.
Mein Argument stützt sich hauptsächlich auf Empirie. Doch zuerst will ich die Argumente der Tugendethik kritisieren, denen zufolge „Sex etwas anderes“ (d. h. ein moralischer Sonderfall) sei und Sexualethik auf „einem erotischen Ideal“ aufbauen müsse. Malón sagt uns, diese Leitgedanken führten uns in den Bereich „komplexer Begriffe“ und es gebe „keine gängige gemeinsame Vorstellung, was sie bedeuten“ (Malón 2017, S. 250). Damit wird ein Problem eingeräumt aber unterschätzt, für das exemplarisch der Beitrag des radikal-konservativen Philosophen Roger Scruton steht, auf dessen Überlegungen sich Malón hauptsächlich stützt.
Zum Zwecke moralischer Untersuchungen lehnt Scruton die wissenschaftliche Erforschung menschlicher Sexualität ausdrücklich ab (Scruton 1986, S. 212) und hält distanzierte, objektive Forschung nur dafür geeignet, das Verhalten „niederer Tiere“ zu erklären (ebenda, S. 33). Daran krankt seine Untersuchung von Anfang an und er beschränkt sich stattdessen auf einen subjektiven Ansatz, der in phänomenologischer Beschreibung und Begriffsanalyse gründet und darauf abzielt zu erfassen, was menschliche Erfahrung ausmacht. Für sich genommen mag das von großem Wert sein, doch entwickelt er dabei verkrampfte Definitionen, welche ihm beispielsweise die Behauptung gestatten, Tiere seien unfähig, „Erregung“ oder „Begierde“ zu verspüren.
Fairerweise sei gesagt, dass dieser nicht-empirische Ansatz an eine breite philosophische Tradition anknüpft, welcher auch Kant angehört, der die Welt menschlicher Erfahrung von der Welt wissenschaftlicher Beobachtung unterscheidet. In ersterer – so Scruton – „existieren wir als Akteure, die ihr Schicksal in die Hand nehmen und miteinander Beziehungen eingehen anhand von Begriffen, die keinen Platz in der wissenschaftlichen Welt des Universums haben … Kant bezeichnete die erste Welt als ‚transzendental‘ und die zweite als ‚empirisch‘“ (Scruton 1986, S. 4).
Erregung und Begierde wurden bereits erwähnt. Zusammen mit erotischer Liebe bilden sie die drei grundlegenden Phänomene menschlicher Sexualität, auf die sich Scruton konzentriert. Was Geschlechtsverkehr anbelangt, geht noch nicht einmal Scruton so weit, diesen für Vöglein und Bienchen wegzudefinieren. Umgekehrt können Zweifler einer Sonderstellung menschlicher Sexualität bereitwillig einräumen, dass Anzeichen dafür, dass sich Tiere ineinander verlieben, wohl in den Bereich anthropomorpher Fantasie gehören.
Handelt es sich also bei erotischer Liebe um ein kritisches Unterscheidungsmerkmal menschlicher Sexualität, das seine eigene Ethik erfordert?
Die ethisch aufgeladene Behauptung lautet, dass beim Menschen im Unterschied zu anderen Tieren sexuelle Beziehungen nur richtig passen, im Sinne von „völlig konform mit dem Gedeihen des Menschen“ gehen, soweit man die andere Person voll als solche bewusst wahrnimmt als einzelnes Wesen, nicht nur als Leib. Also „… ist das Objekt der Begierde kein Leib und keine Person, sondern vielmehr die Gesamtheit des anderen als verleiblichte Person. Dazu handelt es sich um eine Begierde, die Gegenseitigkeit erfordert, um das Begehren, als verleiblichtes Wesen begehrt zu werden von unserem Objekt der Begierde.“ (Malón 2017, S. 4). Soweit Begierden diesem Maßstab nicht genügen, seien sie abnorm und pervers.
Scruton behauptet, sexuelle Erregung und Begierde seien von einer bewussten Individualisierung geprägt, die sich auf das einzigartige, unersetzliche Einzelwesen der anderen Person richtet. Zum problematischen Fall des erregten Seemanns, der auf der Suche nach einem Weib an Land stürmt, sagt er, dass die Erregung in Gedanken ihren Anfang nehmen mag, die „lüstern von Objekt zu Objekt huschen. Doch sobald diese Gedanken sich auf die Erfahrung der Erregung konzentrieren, wird ihre Allgemeinheit abgelegt.“ Aber trifft das zu? Scruton versucht, solches Verhalten mit hochtrabenden Worten wegzuerklären:
Sein Zustand könnte als Begierde nach einem Weib beschrieben werden, doch nach keinem konkreten Weib. Aber eine solche Beschreibung stellt den Übergang völlig falsch dar, der stattfindet, sobald das Weib gefunden ist und er sich auf den Weg der Befriedigung macht. Denn nun hat er das Weib gefunden, das er haben und erregen will und auf das sich seine Gedanken und Kräfte konzentrieren. Man sollte besser sagen, dass er bis zu diesem Zeitpunkt kein Weib begehrt hat. Sein Zustand war ein Begehren, zu begehren. Und sein Bedürfnis war dergestalt, dass er die erstbeste Gelegenheit nutzte, seinen Drang zu befriedigen: Das Begehren, zu begehren, einzutauschen gegen Begehren.“ (Scruton 1986, S. 89)
Berücksichtigt man, dass Scruton sich ausdrücklich an eine – wie er sagt – „oberflächliche Beschreibung“ dessen macht, was gewöhnliche Menschen empfinden, klingt das unnötig kompliziert. Statt mit Phänomenologie haben wir es mit dem Puppentheater eines Philosophen zu tun. Die Wahrheit ist wohl eher, dass
… wir im Mythos vom persönlichen Sex gefangen sind, der uns unsere Begierden an Personen kleben lässt. Den Kleber dafür rühren wir an, indem wir sexuelle Begierden mit echten personengebundenen Beziehungen wie Liebe, Treue und Loyalität vermengen … (W. J. Earle, zitiert nach Primoratz 1999[8], S. 27)
Oder wie es Yeats poetischer ausdrückt: „Dass Gott allein, fürwahr, / Nur deinethalb dich lieben könnt, / Nicht um dein gelbes Haar.“ (Yeats 2000, S. 249)[9]
Diese Auffassung ist auch nicht auf Männer beschränkt. So meint Olivia Fane, eine ehemalige Bewährungshelferin und Sextherapeutin:
Beim Sex geht es nicht um Seelen. Wir haben sexuelles Begehren, wenn wir Sex haben wollen, nicht wenn wir jemanden lieben. Wäre es anders, so wäre ungezügelter Sex Sache der Alten nach 40 Jahren glücklicher Ehe und sie würden in Ratgeberkolumnen die armen jungen Leute darüber aufklären, wie Freundlichkeit und Rücksicht sowie eine Tasse Tee für den Partner im Bett das Blut richtig in Wallung bringen. (Fane 2017)[10]
Nach diesem Verriss einer Tugendvorstellung von sexueller Begierde verbleibt die Liebe als Kandidat für besondere ethische Bewertung, nicht aber ihr erotischer Aspekt, egal wie er definiert ist. Versuche, Liebe verbindlich für ethischen Sex zu machen, lassen aus vielen Gründen zu wünschen übrig (Primoratz 1999, S. 31). Beispielsweise wurde Lust ohne Liebe als eigennützig und rücksichtslos hingestellt, was aber kein logischer Schluss ist. Wie Hume anmerkt (Primoratz 1999, S. 32), ist sie völlig vereinbar mit Freundlichkeit und Wohlwollen, obgleich Scruton ihre „groteske Karikatur des menschlichen Geistes“ tadelt (Scruton 1986, S. 315). Eine Liebesbeziehung muss auch nicht unbedingt frei von Selbstsucht und Ausbeutung sein:
Lust ist ihrer Natur nach nicht selbst-aufopfernd wie die Liebe. Doch ist sie nicht unbedingt selbstsüchtig in dem Sinne, dass sie die Rechte und Gefühle anderer missachtet. Als Begierde ist sie neutral und lässt sich sowohl auf selbstsüchtige Art befriedigen wie auch auf eine andere. Echte Liebe kann ein sehr selbstsüchtiges Element enthalten – das Verlangen, die andere Person psychisch auf eine Art zu kontrollieren und zu beherrschen, die mit weitaus mehr Ausbeutung verbunden ist als der bloße vorübergehende Gebrauch ihres Leibes (A. H. Lesser, in Primoratz 1999, S. 32).
Tatsächlich gesteht Scruton dieses Problem ein, verschließt aber die Augen vor den Folgerungen, wenn er über ein Paar in einer Liebesbeziehung schreibt: „Aus Selbstverteidigung – welche in diesem Fall die Verteidigung unserer gemeinsamen Zukunft (engl. shared self-building) bedeutet – darf ich dein Gut zerstören. Ich darf deine berufliche Laufbahn bekämpfen, deine Freundschaften, deine Aktivitäten, überhaupt alles, das dir ohne mich die Chance gibt, glücklich zu leben.“ (Scruton 1986, S. 240).
Damit soll nicht bestritten werden, dass Liebesbeziehungen im weiteren Sinne, deren erotische Komponente im Lauf der Zeit abgeklungen sein kann, Grundlage menschlichen Gedeihens sind. Eine kameradschaftliche, kooperative, sichere Partnerschaft, die auf Liebe beruht, ist das Fundament, auf dem man das große Vorhaben der Familiengründung planen und angehen kann. Manche wenden ein, Gelegenheitssex zerstöre die Fähigkeit, Sex als Teil einer Liebesbeziehung zu erleben. Als empirische Behauptung stimmt das einfach nicht. Auf diesen Punkt gehe ich später noch ein.
Kommen wir auf unseren nicht allzu wählerischen Seemann zurück. Man könnte einwenden, dass er, wenn er nicht ausreichend bewusst individualisiert, nicht wirklich sexuelle Erregung und Begierde verspürt, sondern bloß animalische Lust. Wie Primoratz anmerkt, würde ein solches Unterschreiten schlecht zu Scrutons erklärtem Ziel passen, ein phänomenologisches Bild menschlicher Sexualität zu liefern, was nahelege, dass Scruton und seine Anhänger versuchen, eine Norm aufzustellen statt sie zu beschreiben, und dabei „rhetorische Definitionen“ als wichtigsten Trick benutzen (Primoratz 1999, S. 28).
Des Weiteren ist das kunstvoll aufgebaute, aber wacklige Kartenhaus, aus dem Scrutons Phänomenologie besteht, nicht das größte Problem für Malóns Appell an die moderne Tugendlehre. Weitaus offensichtlicher ins Auge springt mittlerweile das kulturelle Scheuklappendenken der Tugendethik, nachdem Kants Universalismus gut zwei Jahrhunderte unser ethisches Denken durchdrungen hat. Für Aristoteles beinhaltete die damalige Endoxa, wie bereits angemerkt, die allgemein anerkannte Ansicht, dass Sklaverei vertretbar sei – ganz zu schweigen von der Unterdrückung der Frauen und vielem mehr, das in einer modernen Gesellschaft unannehmbar wäre. Jemand konnte daher als Mensch gedeihen und als tugendhafte Person geachtet werden, obwohl er kein Prinzip beachtet hat, das zu einer leidenschaftlichen Kampfansage imstande gewesen wäre auf etwas, das anderweitig für abscheulich erachtet werden könnte.
Auch in unserer Zeit ist es trotz der Verfügbarkeit universalistischer Ethik (eine Beschreibung, die sowohl auf konsequentialistische als auch auf deontologische Systeme passt) und ihrer Anwendung, etwa einer stärkeren Sorge um das Wohl der Tiere, offenbar mit der Tugendethik vereinbar, dass ein Mann von gutem Ruf nebenbei gerne Tiere zum Vergnügen tötet. Damit es zum Ehrenmann der Schmalspur-Tugend gereicht, braucht man nur einer Kultur anzugehören, in welcher die eigenen Jagdgenossen zufällig die eigene Endoxa teilen – Meinungen von einer „Glaubwürdigkeit“, die wohl mehr „Gruppendenken“ geschuldet ist als ethischer Untersuchung. Nicht dass ich hierbei Jäger oder sonst jemanden verurteilen will. Mir geht es an dieser Stelle darum, die Tugendethik selbst zu beurteilen, nicht ihre Anwender.
Doch bleibt zu wünschen übrig, dass Tugendethiker denjenigen die gleiche Großzügigkeit entgegenbringen, die ihre Ansichten nicht teilen. Der Sinn und Zweck von Scrutons Tugendethik scheint jedoch in der harschen Verurteilung jener zu liegen, die sich nicht für sein äußerst engstirniges Glaubensbekenntnis begeistern können, insbesondere nicht für seine Ansicht, was als richtiges und „normales“ Sexualverhalten durchgeht. Auch wenn er Orwells 1984 nur halbherzig folgt und kein Ministerium für Liebe einführen will, dessen einzige Aufgabe im Schüren von Hass liegt, so geht die Erhebung erotischer Liebe in den Stand des Sakralen ausdrücklich auf Kosten sexueller Ausdrucksformen, die er für unwürdig hält und die dann mit absichtlich hasserfüllter und schmähender Wortwahl gebrandmarkt werden müssen wie „Perversion“ und „Obszönität“ – unterstützt von geharnischten Adjektiven wie „abscheulich“ und „widerwärtig“.
Malón verwendet zwar bis auf ein einzelnes „verachtenswert“ keine allzu emotionale Sprache (Malón 2017, S. 254). Doch er stützt sich stark auf jene, die das tun, und beschränkt sich dabei keineswegs auf Scruton, der am modernen Ende einer langen Reihe hauptsächlich theologisch ausgerichteter Denker steht, deren ähnlich grimmige Rhetorik Generationen von Jugendlichen erschreckt hat. Sie fand ihren Niederschlag in der Drohung mit Höllenfeuer für „Selbstbefleckung“ und „unreine Gedanken“, insbesondere homosexueller Natur. Scrutons eigener Ansatz als Philosoph ist säkular. Doch seine rigorose Umklammerung erotischer Liebe anstelle der theologisch überlieferten Betonung der Fortpflanzung als Teleologie von Sex trägt nichts zur Vermeidung einer äußerst engstirnigen und tadelsüchtigen Vorstellung vom Tugendideal bei. Nach seiner Auffassung sind sowohl Selbstbefriedigung als auch Homosexualität moralisch suspekt, wenn nicht pervers, zusammen mit einer breiten Palette anderer sexueller Handlungen, die viele heute als völlig normal ansehen. Das gipfelt darin, das Konzept der Perversion sogar in den geistigen Bereich auszudehnen. So erfahren wir, dass „… in seinen pervertierten Formen – den Formen des Rationalismus und der Aufklärung – der Verstand Krieg gegen das Mystische führt und die Bedingungen für seine eigene Finsternis bereitet“ (Scruton 1986, S. 71). Auch wenn sicher nicht jeder Tugendgelehrte so weit wie Scruton geht, ist Tugendethik blind für rationale grundsätzliche Einwände, weil sie letztlich auf der traditionellen Endoxa beruht. Das gilt auch für die Tugendethik, die von theologischen Dogmen abgeleitet und über Jahrhunderte kirchlicher Herrschaft etabliert wurde. Auch wenn das Scheuklappendenken der Tugendethik vielleicht eine nützliche Immunisierung gegen neue intellektuelle Torheiten utopischer Art bietet (in autoritären Regimen ein sehr düsteres Szenario, wie das Word „Finsternis“ nahelegt), die unzureichend in der empirischen Wirklichkeit geerdet sind, neigt es aus demselben Grund klar dazu, die glühende Asche vergangener Exzesse zu schüren.

3 Tugendethik und sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen

Malóns eigener Beitrag zu sexuellen Kind-Erwachsenen-Beziehungen macht drei mögliche Argumentationslinien gegen pädophiles Verhalten aus, welche der Tugendansatz ermöglicht. Sie werden unter den folgenden Überschriften betrachtet: (a) Perversion und Obszönität, (b) Die sexuelle Bindung, (c) Erotische Neutralisierung und „erweiterter“ Inzest.

3.1 Perversion und Obszönität

Der Autor steigt ins erste dieser Themen ein, indem er seinen Blick auf Vorstellungen von Normalität richtet, insbesondere diejenigen von Thomas Nagel und Roger Scruton.
Doch Nagels kurzer Aufsatz vermeidet ausdrücklich eine moralische Wertung (Nagel 1992, S. 51).[11] Er schreibt: „Wir fällen über die Schönheit, die Gesundheit oder die Intelligenz anderer ein Urteil, das durchaus bewertend und gleichwohl nicht ethischer Natur ist. Beurteilungen menschlicher Sexualität mögen in dieser Hinsicht vergleichbar sein.“ Seine Analyse stützt den Tugendethikansatz nicht. Die Folgerungen aus Nagels Verteidigung des Konzepts sexueller Perversionen als unnatürliches sexuelles Begehren scheinen eher medizinischer als moralischer Natur. Beispielsweise sagt er über Homosexualität, die Frage, ob sie als Perversion eingestuft werden soll, müsse „also in Abhängigkeit davon entschieden werden, ob Homosexualität auf störende Einflüsse zurückgeführt werden kann, welche die natürliche Tendenz zu einer heterosexuellen Entwicklung blockieren oder beeinträchtigen.“ (Nagel 1992, S. 50). Aus heteronormativer Sicht deutet das eher auf Homosexualität als Unglück hin statt als tadelnswerte Neigung.
Dagegen sieht der um harsche Wertungen nicht verlegene Scruton moralische Verbote, wo Nagel selbst bei Kind-Erwachsenen-Sex nur von praktischen Grenzen spricht. Scruton zufolge ist ein Kind noch keine Person, sondern nur deren Auftakt – eine höchst umstrittene Behauptung, welche dann als Stütze herhalten muss für eine zweifelhafte empirische Behauptung zu den Fähigkeiten von Kindern. Malón gibt ihn wie folgt wieder: „die zwischenmenschliche Gegenseitigkeit normaler Erotik ist im Kind unmöglich, und pädophiles Begehren ist intrinsisch pervers“ (Malón 2017, S. 251).
Zwei Einwände drängen sich sofort auf.
Erstens ist Scrutons Auffassung, Kinder seien keine Personen, nur haltbar, wenn man sich auf eine verkrampfte Definition des Worts „Person“ einlässt. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist jedes menschliche Einzelwesen eine Person. Sind Kinder etwa keine Menschen? Engere Definitionen sind vielleicht in einer Fachsprache vernünftig, etwa im philosophischen oder rechtlichen Zusammenhang, wobei wir skeptisch bleiben müssen: Sklaverei wurde in den Vereinigen Staaten mit der Begründung rechtfertigt, Sklaven seien keine Personen, sondern Eigentum. Selbst privatrechtliche „Körper“schaften können als juristische „Personen“ anerkannt und rechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wie Scruton zugibt. Empfindsamen Tieren wie Hunden und Pferden solle ebenfalls Personalität eingeräumt werden, meinen Philosophen, die sich für deren Rechte oder zumindest deren „Befreiung“ eingesetzt haben (Regan 1983[12]; Singer 1976[13]). Zwar ist dies ebenfalls umstritten, aber niemand vertritt den Standpunkt, Kinder seien empfindungslos, weshalb ihnen die Personalität zu verweigern sei.
Eher vernünftig erscheint es, Kindern eine Personalität zu verweigern, aufgrund der sie für ihre Taten rechtlich verantwortlich gemacht werden könnten, wofür sie zumindest ein geeignetes Alter erreicht haben sollten, wie etwa das der Strafmündigkeit. Dies beträgt zur Zeit in England und Wales zehn, steigt aber bald auf zwölf, wenn eine Gesetzesvorlage von Lord (Navnit) Dholakia aus dem Jahr 2017 verabschiedet wird (Dholakia 2017)[14]. Doch weshalb sie speziell in Bezug auf sexuelle Aktivitäten nicht als Personen gelten sollen, muss unabhängig davon gerechtfertigt werden. Statt a priori zu behaupten, Kinder seien keine Personen, weshalb sie X nicht tun oder keine zwischenmenschlichen Beziehungen vom Typ Y haben können, muss man erst ihre Fähigkeiten in Bezug auf X und Y empirisch feststellen, worauf dann entsprechend über das Vorliegen von Personalität entschieden werden kann.
Zweitens ist die Behauptung, Kinder taugten nicht für wechselseitige sexuelle Beziehungen, empirisch unbegründet. Wo bleiben die Beweise? Wagen wir nochmal einen Tiervergleich. Hunde sind anscheinend sehr wohl zu wechselseitigen liebevollen Beziehungen mit Menschen in der Lage, was oft so weit geht, dass sie ebenso hingebungsvoll und treu in ihren Gefühlen zu ihren Besitzern sind wie die Besitzer ihnen gegenüber – vielleicht sogar noch mehr. Wiederum gibt das selbst der mit der Personalität geizende Scruton zu (Scruton 2013[15], 2014[16]). Hunden mag ein tieferes Verständnis der „Intentionalität“ des anderen fehlen, auf welche Scruton als Qualifikationskriterium so viel Wert legt, was die moralische Handlungsfähigkeit in sexuellen Beziehungen anbelangt. Doch anscheinend stellt das kein Hindernis für Gegenseitigkeit dar, was viele für das moralisch wichtigste Merkmal halten dürften. Gegenseitige Zuneigung und Aufmerksamkeit für die Wünsche des anderen sollten bestehen. Was will man eigentlich mehr verlangen? Vielleicht scheint diese Analogie etwas zu weit hergeholt, weil Hunde keine Sexualpartner ihrer menschlichen Herren sind. Doch sie können es sein. Hunde scheuen sich nicht, sexuelles Interesse an Menschen auszudrücken, und wenn ihr Besitzer dieses erwidert, kann sich eine sexuelle (Liebes-)Beziehung entwickeln, wie der streitbare Holländer (und Kinderbuchautor!) Midas Dekkers in seinem Buch Geliebtes Tier bezeugt, welches der Philosoph Peter Singer in seiner Besprechung empfiehlt (Dekkers 2000[17]; Singer 2001[18]).
Wenn sogar ein Hund die erforderlichen Gefühle für eine wechselseitige Beziehung zwischenmenschlicher (von der Bezeichnung abgesehen) Art haben kann, warum sollte dann ein Kind dazu nicht in der Lage sein? Schließlich würde kaum jemand bestreiten, dass die liebevolle wechselseitige Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern vollauf zwischenmenschlich ist; was nicht heißen soll, sexuelle Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern seien unproblematisch. Aber dieser Umstand für sich genommen deutet nicht darauf hin, dass solche Probleme ein moralisches Alleinstellungsmerkmal von Sex sind.
Eine Alternativhypothese könnte sich auf Fragen konzentrieren, welche sich innerhalb eines ethischen Rahmens lösen lassen, der „Intentionalität“ außer acht lässt, weil kein ethisch relevanter Bedarf dafür besteht. Für Scruton zählen laut Malón zu den wesentlichen Merkmalen einer Person „Ichbewusstsein, Stetigkeit oder Verantwortlichkeit sowie Durchsetzungsvermögen und Ernsthaftigkeit der ersten Person“. Was sich moralisch daraus ergibt, ist für uns von Belang, nicht die psychologische Qualität der „Intentionalität“, die in sie einfließt. Der eine Punkt mit klarem moralischem Bezug ist die Verantwortlichkeit: Wie an Firmen deutlich wird, ist für sie noch nicht einmal unabdingbare Voraussetzung, dass es sich um ein lebendes, atmendes Wesen handelt. Doch für Zwecke der ethischen Bewertung sexueller Beziehungen steht nicht in erster Linie die Verantwortung des Kindes zur Debatte, sondern die des Erwachsenen, ebenso wie primär erwachsene Menschen die Verantwortung für den ethischen Umgang mit Tieren tragen, die sie besitzen oder beherrschen. In beiden Fällen, dem mit Kindern und dem mit Tieren, richtet sich der ethische Blick auf die Verantwortung der Erwachsenen, weil wir Erwachsene zur Verantwortung ziehen.
Malón erkennt Scrutons Auffassung an, dass ethisch erforderlich ist, was ich „tieferes Verständnis der ‚Intentionalität‘ des anderen“ genannt habe. Damit steht er aber vor einem Paradox: Trotz der fehlenden Fähigkeit zu solcher Intentionalität ist so manches Sexualverhalten unter Kindern als normal und gesund akzeptiert worden (besonders im zwanzigsten Jahrhundert, obgleich jetzt weniger) (de Graaf und Rademakers 2011)[19]. Zur Auflösung dieses Paradoxes will er ein paar Unterscheidungsmerkmale zur Trennung von kindlicher und erwachsener Sexualität ausgemacht haben, nachdem er angemerkt hatte: „Vielleicht sind Sexspiele unter Kindern für uns nur soweit moralisch akzeptabel, wie sie die ‚sexuelle Unschuld‘ der Teilnehmer nicht gefährden.“ (Malón 2017, S. 251).
Malón definiert „Unschuld“ nicht, und er verteidigt das Konzept auch nicht gegen den Vorwurf, dass es für einen Zustand der Unwissenheit steht, in welchem Erwachsene Kinder absichtlich halten, um sie zu kontrollieren. Unter erneuter Berufung auf Scruton gesteht er den Vorwurf mit folgender Aussage eher ein, als ihn zu entkräften: „Unsere Vorstellung von Sexualentwicklung ist eng mit dem Vorgang der Einweihung ins Erwachsensein verknüpft. Beispielsweise ist der Wert der Jungfräulichkeit und ihr Verlust mit der Trennlinie zwischen Kind und Erwachsenem verbunden“ (Malón 2017, S. 251). Bei dieser Aufwertung der Jungfräulichkeit bleibt ihre Rolle in traditionellen patriarchalen Gesellschaften unerwähnt, die sie bei der Kontrolle der Sexualität von Frauen durch Männer einnimmt.
Diese Aufwertung wurde in den letzten Jahrzehnten nicht nur aus dem feministischen Lager angefochten, sondern auch von der evolutionären Entwicklung her, obgleich mancher die aufkeimende Disziplin der Evolutionspsychologie als Einladung missdeutet, einen theoretischen Unterbau für patriarchales Denken zu schaffen. Ganz andere Schlüsse auf dem Gebiet zieht eine wachsende Schar von Gelehrten, zu der auch die Psychologin Darcia Narvaez gehört, die sich auf die moralische Entwicklung im Lauf eines Menschenlebens spezialisiert hat. Unter Berufung auf paleoanthropologische Forschung behauptet sie, dass wir fälschlicherweise „in die Vergangenheit ein Szenario wie das heutige projiziert haben mit sexueller Beschränkung und Konkurrenz, wobei von sexuellem Konkurrenzdenken um die Jungfernschaft ausgegangen wurde und von einer Betonung des Zeitpunkts des ersten sexuellen Verhaltens“. Sie meint, die Evolutionspsychologie nach Hobbes gehe „von männlicher Konkurrenz aus sowie vom männlichen Wunsch, die weibliche Fortpflanzung zu kontrollieren, um die genetische Vorherrschaft sicherzustellen“. In den Kleingruppen der Vergangenheit, die aus Jägern und Sammlern bestanden, habe es im Gegenteil „sexuelle Beziehungen Querbeet und Experimente in allen Altersstufen“ gegeben. Ferner schreibt sie: „Wie bei unseren Vettern den Bonobos wartet man nicht auf den richtigen fruchtbaren Partner. Sexuelle Beziehungen drehen sich mehr um Vergnügen als um Kontrolle.“ (Narvaez 2013, S. 342 f.)[20]. Die Schlüsse daraus für gute Kindererziehung und Pädagogik in der heutigen Welt sind tiefgründig und werden weiter unten betrachtet, wo ich eine Einschätzung treffe, nicht nur dazu, was normale Sexualität von Kindern in westlichen Wohlstandsgesellschaften anbelangt, sondern auch was aufgrund der Entwickungsgeschichte unserer Psychologie am natürlichsten für Kinder und uns alle ist (Henrich et al. 2010[21]; Hewlett und Lamb 2005[22]; Konker 1992[23]).
Wer profitiert dann in post-patriarchalen Gesellschaften von der fortgesetzten Verteidigung von „Unschuld“ und Jungfräulichkeit? In welcher Hinsicht ist die scharfe Trennung zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt zweckmäßig und gesund im Vergleich zur sicherlich realistischeren Gegenposition, dass Verstand und Fähigkeiten von Kindern sich allmählich im Lauf der Zeit entwickeln in Bezug auf Sex wie auf alles andere? Mag auch der Eintritt der Zeugungsfähigkeit ein unbestreitbarer Meilenstein der Entwicklung sein, so sprechen zugleich Anhaltspunkte dafür, dass Kinder im Vorfeld darauf aufmerksam gemacht werden müssen und dass es von Vorteil sein kann (wie weiter unten erörtert), intime Beziehungen erheblich vor der Zeit einzuüben, ab der sie zu Nachwuchs führen können.
Um die scharfe Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt zu stützen, schreibt Malón der Sexualfunktion von Kindern Einschränkungen zu, die kaum empirischen Untersuchungen geschuldet sind. Er spielt das sexuelle Interesse von Kindern zu bloßer „Neugier“ herunter. Selbst wenn sie einen Orgasmus anstreben, habe dieser „in Kindern nicht dieselbe Gestalt wie in Jugendlichen oder Erwachsenen“ (Malón 2017, S. 252). Zu diesem Punkt zitiert er Helmut Graupner, einen Anwalt für Menschenrechte, welcher im betreffenden Artikel für die Ausweitung der sexuellen Rechte von Jugendlichen und die Senkung des Schutzalters auf 14 eintritt und dabei nahelegt, dass jüngere Kinder vielleicht nicht so weit sind (Graupner 1999)[24]. Doch die Fakten aus dem Artikel lassen eine radikalere Interpretation zu. Wie Grauper gestützt auf Forschung anmerkt, sind Kinder „grundsätzlich physiologisch zur selben Bandbreite von Geschlechtsakten in der Lage wie Erwachsene“ (ebenda, S. 30). Nachweise dafür wurden in enzyklopädischer Breite zusammengestellt und vollständig belegt, was Fähigkeit und Ausmaß vorpubertärer Orgasmen anbelangt. Des Weiteren wurde das Sexualverhalten vorpubertärer Kinder im Rahmen der Elternhäuser und Vorschulen sowie der Völkerkunde beobachtet. Zudem liegen quantitative rückblickende Befunde vor (de Graaf und Rademakers 2011; Janssen 2002[25]; Larsson und Svedin 2002[26]).
Entscheidend ist Graupners Aussage, dass für einige vorpubertäre Kinder „Sexualkontakte mit (Jugendlichen oder) Erwachsenen ein positives Erlebnis sind, das sie trotz des Machtgefälles sehr genießen“ (Graupner, a. a. O., S. 33). Auch wenn nicht immer klar zwischen vorpubertären Kindern und solchen in den frühen oder späten Stadien der Pubertät unterschieden wird, so wird dieser Befund sowohl für erstere als auch für letztere von qualitativer (Burns 2015[27]; Leahy 1991[28], 1992[29]; Rivas 2013[30]; Sandfort 1984[31]) und auch quantitativer Forschung bestätigt. Quantitative Studien zeigen, dass sexuelle Erfahrungen in Kindheit und Jugend mit Erwachsenen, welche rückblickend als einvernehmlich berichtet werden, im Allgemeinen nicht mit negativen Folgen einhergehen (Arreola et al. 2008[32]; Carballo-Diéguez et al. 2012[33]; Constantine 1981[34]; Coxell et al. 1999[35]; Dolezal et al. 2014[36]; Kilpatrick 1987[37], 1992[38]; Sandfort 1992[39]; Stanley et al. 2004[40]), und teils sehr positiv geschildert werden als geprägt von „Herzlichkeit, Vergnügen, Zuneigung, Humor und sogar Wollust“ (Okami 1991)[41]. Manchmal empfindet das kindliche „Opfer“ in Fällen, die aktenkundig werden, die Gesetze als unterdrückend und meint, der deklarierte Straftäter verdiene nicht, als solcher behandelt zu werden (Leahy 1996)[42].
Fahren wir mit Malóns Einteilung in normal und pervers fort. Abgesehen von ihrem unweigerlichen Reiz auf gefestigte Traditionalisten wirkt sich eine solche Einteilung aus meiner Sicht abträglich auf das menschliche Gedeihen aus. Insbesondere handelt es sich um eine, die schroffer und ungerechtfertigter Intoleranz den Weg ebnet. Zwar geht das nicht offensichtlich aus Malóns eigenen Überlegungen hervor, wird aber klarer erkennbar, wenn man sich Scrutons Werk näher ansieht. Dieses ist von etwas geprägt, das man „Hetze“ (engl. hate speech) nennen würde, richtete es sich gegen ethnische oder religiöse Minderheiten. „Wie der Sodomit und der Nekrophile kann der Pädophile sich nicht voll der Auseinandersetzung mit einer anderen Perspektive stellen, sondern muss seine Aufmerksamkeit auf etwas beschränken, das er zugleich kontrollieren kann“, meint er (Scruton 1986, S. 296).
Dieser offen emotionale Ton erhält auch keinen Rückhalt durch belastbare empirische Belege – ja nicht einmal überhaupt irgendwelche Empirie. Ganz ohne wissenschaftliche Belege verkündet Scruton, Pädophilie sei keine sexuelle Orientierung wie jede andere. Doch es ist ein unstrittiger Gemeinplatz, dass man im Allgemeinen seiner sexuellen Orientierung gewahr wird und sie sich nicht aussucht. Pädophilie ist da keine Ausnahme, wie die Wissenschaft zunehmend anerkennt (Seto 2012)[43]. Wenn die Betroffenen sie sich nicht aussuchen, kann es sich dabei auch um keine Entscheidung für das Böse handeln. Die Untersuchung der Persönlichkeitsmerkmale von Pädophilen fand keine solchen negativen Eigenschaften. Sie zeigten sich als „freundlich und rational“ (Wilson und Cox 1983, S. 122)[44]. Ihnen fehlt es im Allgemeinen nicht an Empathie (Puglia et al. 2005)[45]. Eine klinisch relevante Symptomatik findet man sowohl unter „Pädophilen“ wie auch unter „Sexualstraftätern gegen Minderjährige“ kaum (Okami und Goldberg 1992)[46]. Wenn Scruton uns erklärt, „der Pädophile“ (ein verdächtiges Konstrukt wie „der Jude“ oder „der Neger“) erliege einem Kontrollwahn, spricht dafür nicht mehr als seine Autoritätspose.
Derlei Verkündigungen ex cathedra gibt es noch mehr. In einem ansonsten mit gelehrten Fußnoten voller Quellen und Fachgrößen gespickten Buch enthält der Abschnitt über Pädophilie als Perversion gar keine. Mangels wissenschaftlicher Belege für seine „Fakten“ wendet sich Scruton an einen Romanautor names Boris Pasternak. Bei seinem Rückgriff auf die Verführung der jungen Lara durch Komarowski in Doktor Schiwago, entgeht Scruton anscheinend, dass Komarowski der Phantasie des Autors entsprungen ist, der ihn absichtlich als schäbige, ausbeuterische Figur angelegt hat. Daher ist es kaum eine Überraschung, dass Lara sich letzlich benutzt fühlt und versucht, ihn zu erschießen. Scruton seinerseits wird von Pasternak zu dem Irrglauben verleitet, dass ein „Pädophiler“ stets ein böses Monster sei, wie es zweifellos vielen Lesern ergangen ist. Solche Leser werden zudem vom Nachdenken über all jene leibhaftigen pädophilen Persönlichkeiten im wahren Leben abgelenkt, deren Motive und Verhalten vielleicht weitaus ansprechender sind. Eigentlich wird Lara im Roman als körperlich reife 16-Jährige dargestellt statt als vorpubertäres Kind, obgleich dieser Umstand noch das kleinste Problem für Scrutons Verwertung der Episode als Anschauungsmaterial für die Gefahren der Pädophilie ist (Pasternak 1958)[47].

3.2 Die sexuelle Bindung

In Bezug auf sexuelle Erlebnisse zwischen Kindern und Erwachsenen schließt Malón sich Underwager und Wakefield an mit der Aussage, diese „gehen immer mit einer verengten Erfahrung menschlicher Erotik einher, die sich auf Genitalisierung beschränkt, was zu einem Schadenstyp führen kann, der vielleicht empirisch nicht offenkundig ist und sich nicht als irgendeine Form von Pathologie diagnostizieren lässt und sich stattdessen im Herausbilden einer fehlerhaften Vorstellung von Sex zeigt und in einer unvollständigen oder unbefriedigenden sexuellen Entwicklung des Kindes, welche dadurch dessen Fähigkeit für Intimität und emotionale Bindung zu anderen Menschen gefährdet.“ (Malón 2017, S. 252f; Underwager und Wakefield 1994[48]).
Soweit wir der persönlichen Freiheit einen hohen Stellenwert einräumen, erfordert jeder Vorschlag zur Beschränkung unserer Handlungen belastbare Belege dafür, dass sie notwendig ist, um erheblichen Schaden abzuwenden. Stattdessen werden dazu lediglich Spekulationen ins Feld geführt. Dass es keinen solchen Beleg gibt, wird implizit eingeräumt („Schadenstyp …, der vielleicht empirisch nicht offenkundig ist“). Wir haben nur einen grob irreführenden Berg von Opferforschungsliteratur, welche psychologische Probleme auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit zurückführt, obwohl andere Begleitumstände in der Familie des Opfers weitaus enger mit späterer Pathologie zusammenhängen. Zu diesen zählen insbesondere Vernachlässigung und Lieblosigkeit sowie ein Haushalt, der von Chaos und Gewalt – auch gegen das Opfer – geprägt ist (Hines und Finkelhor 2007[49]; Konker 1992[50]; Rind et al. 1998[51]).
Was jedoch vorliegt, sind Aussagen Erwachsener, welche aus dem sexuellen „Missbrauch“ in ihrer Kindheit so hervorgegangen sind, dass sie ihn nicht bloß „überlebt“ haben, sondern prächtig gediehen sind. Alles andere als eine unterentwickelte Fähigkeit für Intimität und emotionale Bindung zeigen diejenigen, welche von einer vertrauten, glücklichen Ehe berichten sowie von in jeder Hinsicht erfolgreich großgezogenen Kindern. Die Aussagen beschränken sich auch nicht auf das Ausbleiben von Schaden: Sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen werden nicht nur als zur damaligen Zeit angenehm beschrieben, sondern auch als seelisch teils zutiefst wohltuend.
Ein Beispiel ist der Psychoanalytiker und Buchgelehrte Heinz Kohut, der im Wien der 1920er aufwuchs und ein 10-jähriger Junge war, als die Ehe seiner Eltern zerbrach. Er spürte, dass er „den Zerfall der Familie recht gut überstand, was nicht zuletzt am glücklichen Umstand lag, dass ein warmherziger Tutor namens Ernst Morawetz anwesend war, der in sein Leben eintrat, als seine Mutter es gerade verließ.“ (Strozier 2001, S. 23)[52]. Die Beziehung wurde sexuell und ging von Küssen und Umarmen in zärtliches, gegenseitiges Fummeln und gegenseitigen Oralverkehr über.
Die Beziehung hatte seine Fähigkeit für Intimität und emotionale Bindung überhaupt nicht beschädigt, sondern war im Gegenteil Ausdruck von beidem. Er idealisierte seinen Tutor als „‚geistigen Führer‘, der seine ‚fast religiöse‘ Liebe zur Natur vermitteln konnte, und ihm auch Literatur, Kunst und Musik näher brachte“ (ebenda, S. 24). Später ging Kohut eine anscheinend lange und glückliche Ehe mit Betty ein, die ihm Berichten zufolge treu ergeben war, und wurde Vater eines Sohnes namens Tom. Über seine Beziehung zu Morawetz sagte Kohut: „… sie hat mir in mancherlei Hinsicht psychologisch das Leben gerettet. Ich mochte den Kerl sehr.“ (ebenda, S. 24).
Biographische Schilderungen dieser Art mag man vielleicht als anekdotenhaft und vergleichsweise selten abtun, doch sie sind äußerst bedeutend als „Schwarzer-Schwan“-Beleg. Ferner verfügen wir mittlerweile über systematische Sammlungen ähnlicher Erfahrungsberichte (Rivas 2013; Burns 2015). Diese Schilderungen weisen stark darauf hin, dass kein zwangsläufiger Zusammenhang zwischen angenehmen frühen sexuellen Kind-Erwachsenen-Begegnungen und späterem Scheitern der Sexualentwicklung besteht. Denjenigen, die behaupten, alle Schwäne seien weiß (jeder kindliche Teilnehmer solcher Begegnungen nehme eine gestörte Entwicklung), obliegt daher, die Existenz dieser Sichtungen von schwarzen Schwänen wegzuerklären.
Schilderungen wie diese stellen auch das Wesen der Verbindung in Frage, die zwischen frühem sexuellem Vergnügen und späterer Unfähigkeit, Intimität und emotionale Bindung zu entwickeln, im Raum steht. Warum sollte dem so sein? Können die Variablen nicht völlig unabhängig voneinander sein? Und wenn ein Zusammenhang besteht, könnte es sich um einen Positiven statt einen Negativen handeln? Erscheint nicht die Hypothese vernünftiger, dass ein Mangel an Intimität und Bindung überhaupt nicht von Vergnügen (ob nun sexuellem oder nicht) in enger Gesellschaft mit anderen kommt, sondern das Ergebnis unangenehmer negativer Erfahrung solcher Nähe ist, ob nun durch einen sexuellen Übergriff oder eine Vergewaltigung, oder des Aufwachsens ohne ausreichend elterliche Wärme und liebevolle Intimität? Diese Ansicht hat die lang etablierte und zunehmende Unterstützung der Fachliteratur einer Reihe von Disziplinen. Ein früher Meilenstein sind John Bowlbys klassische Studien zu Bindung und Verlust. Heutige Arbeiten erstrecken sich bis in den Bereich der Neurowissenschaften und der Paläoanthropologie (Bowlby 1969[53], 1973[54], 1980[55]; Fry 2013[56]; Hewlett und Lamb 2005; Narvaez 2009[57], 2012[58], 2013, 2016[59]).
Malón sagt uns: „… der echte Pädophile wird, auch wenn sein Motiv aufrechte Liebesgefühle, Sorge um das Kind und das Versprechen, für es einzustehen, sein mögen, stets dafür verachtet werden, dass er sexuelle Begierde als getrennt von lang anhaltender sexueller Liebe versteht.“ (Malón 2017, S. 254 f.).
Doch lang anhaltende sexuelle Liebe ist – wie Olivia Fane bestätigt – selbst für gewöhnliche Paare in weiten Teilen ein Mythos. Warum soll sie überhaupt als Idealbild gelten, wenn die geschätzten Eigenschaften einer lang anhaltenden Liebesbeziehung eher wenig bis gar nichts mit sexueller Anziehung zu tun haben, die über die ersten paar Jahre hinaus reicht? Anfängliche Leidenschaft verwandelt sich im Idealfall in Zuneigung und Treue, genau wie Fane dies oben beschrieben hat.
Inzwischen haben wir belastbare empirische Belege, welche nahelegen, dass die sexuelle Anziehung in einer Ehe tendentiell ungefähr sieben Jahre anhält, und damit die lang gehegte, gängige Ahnung vom verflixten siebten Jahr bestätigen (Dalton 2000[60]; Kurdek 1999[61]). Lässt man pädophilem Begehren seinen natürlichen Lauf, so hat dieses für ein bestimmtes Kind aller Wahrscheinlichkeit nach eine sehr ähnliche Lebensdauer.
Malón schreibt weiter: „Der Pädophile begehrt nicht die Person, sondern den Menschen in einem Lebensstadium, in welchem er noch nicht voll als Person entwickelt ist.“ (Malón 2017, S. 255). Wie oben bereits gezeigt wurde, mag der Entwicklungsstand moralisch eine Rolle spielen, wenn das Kind zur Verantwortung gezogen werden soll (die Strafmündigkeit wurde erwähnt), verfängt ansonsten aber nicht als ethisches Problem.
Der Fokus auf sexuelles Begehren lenkt in diesem Zusammenhang sogar vom Wesentlichen ab. Lassen wir erneut Olivia Fane zu Wort kommen:
Für lange verheiratete Paare ist Sex heutzutage ein Minenfeld, dass sie entzweit. Jeder meint, er sollte ihn haben, ihn genießen und mit ihm seiner Liebe Ausdruck verleihen. Beide sind zu erschöpft für wilden Sex, darben aber nach Zuneigung. Menschen sehnen sich danach, jemanden zu halten und gehalten zu werden, doch jeder bleibt auf seiner Seite des Bettes für den Fall, dass ein Geschlechtsakt verlangt wird. Es ist eine sehr schmerzliche und traurige Geschichte.
Wie kam es mit uns so weit? Was haben wir falsch gemacht? Warum sind derart viele Beziehungen nur so instabil?
Liebe und erotische Liebe sind zwei sehr unterschiedliche Gefühle. Ich gehe soweit zu behaupten, dass es sich fast um Gegensätze handelt. Aufrichtige Liebe hat mit der anderen Person zu tun: Sie dreht sich um die Sorge, den Respekt und das Verständnis für diesen anderen Menschen. Liebe dieser Art wächst, sie kann gar nicht anders. Je mehr man in die andere Person investiert, desto mehr erhält man. Man wird eins mit dem anderen und teilt sein Leid und seine Freuden. Dagegen dreht sich erotische Liebe darum, dass man etwas will.
Die Franzosen haben recht: Man kann nicht begehren, was man bereits hat (Fane, a. a. O.).
Eine pädophile Beziehung unterscheidet sich dadurch erheblich von einer Ehelichen (egal ob Hetero- oder Homoehe), dass sich die Frage nach einer Ehe oder einer anderen Form von Langzeitbeziehung nicht stellt. Die meisten heterosexuellen (und viele homosexuelle) Paare wollen Kinder aufziehen. Dieses Ziel macht die Festlegung auf eine lange und stabile Beziehung erforderlich, um den Kindern für das Aufwachsen ein sicheres Umfeld zu bieten. Wenn keine Fortpflanzung oder Adoption möglich ist, entfällt das Erfordernis komplett, entweder das sexuelle Begehren auf Dauer auszulegen oder sich auf dauerhaftes Zusammenleben mit dem Geliebten festzulegen. Es ist dann kein Ideal mehr, das man aus moralischen Gründen nicht verfehlen darf, sondern schlicht ein falsch gesetztes Ziel.
Worauf es aus ethischer Sicht in einer Kind-Erwachsenen-Beziehung ankommt, ist, dass sie nicht abrupt abgebrochen wird auf eine Weise, die dem Kind vermittelt, ausrangiert zu werden. Genau dies mache der böse, kaltschnäutzige Pädophile, lautet die bequeme Annahme. Doch gibt es keine Belege dafür, dass dies der typische Ausgang ist.
Es gibt im Gegenteil aussagekräftige Zeugnisse dafür, dass mit dem Älterwerden des Kindes in einer pädophilen Beziehung das Band zwischen ihm und dem Erwachsenen typischerweise seinen Charakter auf eine Weise ändert, die zentrale Merkmale mit der zunehmenden Unabhängigkeit eines Kindes von seinen Eltern gemein hat (Burns 2015; Rivas 2013). Im Säuglingsalter des Kindes ist die Eltern-Kind-Bindung von großer Intimität geprägt, insbesondere zwischen Mutter und Kind. In einer modernen Familie neigen die Eltern zu spielerischem Körperkontakt mit ihren Kindern in den „süßen“ Jahren vor der Pubertät. Ein zugepostertes Jugendzimmer, ein mürrischer und einsilbiger Umgangston und rebellische Ideen markieren einen Bruch dieses Musters, da der Nachwuchs anfängt, nach einer eigenen Identität zu suchen. Die Eltern werden ihm peinlich, und er will seinen eigenen Weg gehen. Doch wohin? Bemerkenswerterweise mag nun die allererste Anlaufstelle eine Freundschaft sein, welche in eine sexuelle Beziehung mündet, mit einem Erwachsenen, der nicht pädophil, sondern hebephil ist (Brongersma 1986[62]; Hines und Finkelhor 2007; Sandfort 1987[63]; Leahy 1991, 1992).
Mit ihrem jugendlichen Nachwuchs tollen Eltern eher nicht auf dem Teppich herum und umarmen und küssen ihn weniger, solange kein offensichtlicher Bedarf nach Trost oder Beruhigung während einer emotionalen Krise besteht. Teenager erscheinen oft erheblich weniger einnehmend und knuddelig als ihre jüngeren Geschwister und können sogar geradezu unausstehlich werden. Doch eine Bindung bleibt bestehen. Und die Liebe kehrt zurück zusammen mit dem Stolz der Eltern auf alles, was ihr Kind später erreicht. Dabei handelt es sich um Beobachtungen aus dem Alltag, welche – glaube ich – kaum jemand in Frage stellen dürfte.
Dieses sich wandelnde Muster ist der Dynamik einer pädophilen Beziehung nicht ganz unähnlich. Kinder wachsen unweigerlich aus der sexuellen Attraktivität für ausschließlich Pädophile heraus, sobald sich die sekundären Geschlechtsmerkmale, wie etwa Schambehaarung, entwickeln. Zusätzlich kann der Hormonschub vorübergehend ihr Aussehen durch verheerendes Wüten von Akne verunstalten. Dass sie sich ihrem erwachsenen Liebhaber gegenüber absichtlich schlecht benehmen, wie sie es gern gegenüber ihren Eltern tun, ist unwahrscheinlich, weil er eher keine Respektsperson ist, gegen die sie sich auflehnen müssen, und weil es sich um eine Beziehung handelt, die sie selbst gewählt haben und nicht aufrechterhalten müssen. Doch höchstwahrscheinlich werden sie von erotischen Begierden erfasst, welche die Art von Beziehung nicht mehr abdeckt, die der pädophile Liebhaber vermutlich bietet. Typisch für eine pädophile Beziehung ist, dass hauptsächlich der Körper des Kindes, nicht des Erwachsenen im Zentrum der Aufmerksamkeit steht: Das Kind wird körperlich begeht und begehrt selbst, begehrt zu werden. Der erwachsene Körper kann auch aktiv begehrt werden, doch gehört dies weniger häufig zwingend dazu. Mit dem Einsetzen der Pubertät ändert sich das. Der Jugendliche wird sexuell zielstrebiger als zuvor. Im Falle pädophiler Kontakte zwischen Mann und Knabe (oder seltener Frau und Mädchen) fängt der jüngere Teilnehmer typischerweise an, das andere Geschlecht zu begehren (Brongersma 1986; Lautmann 1994[64]; Leahy 1991; Li 1990[65]; Wilson und Cox 1983).
Daher neigt mit dem Aufziehen der Pubertät das pädophile wie das elterliche Band ganz natürlich zum Nachlassen. Doch besteht bei beiden kein Grund dafür, es zu zerschneiden. Dafür, dass Pädophile und Kinder nach dem Ende der sexuellen Beziehung gute Freunde bleiben können, findet man anekdotische Belege darin, dass sie Jahre später zur Hochzeit des Kindes eingeladen werden. Im Falle von Jimmy Safechuck, der als Kind ein Freund (und wahrscheinlich Geliebter) des verstorbenen Unterhaltungskünstlers Michael Jackson war, wurde die Hochzeit sogar in Jacksons palastartigem Heim Neverland abgehalten (O’Carroll 2010)[66]. Safechuck hat posthum die Jackson-Erben wegen angeblichem sexuellem Kindesmissbrauch verklagt, was aber völlig damit vereinbar ist, dass die Beziehung damals de facto einvernehmlich war (Dimond 2014)[67].

3.3 Erotische Neutralisierung und „erweiterter“ Inzest

Malón meint, hinter dem Inzestverbot stecke „ein starkes Bedürfnis danach, bestimmte Bereiche und menschliche Beziehungen sexuell zu neutralisieren, insbesondere Beziehungen in der Familie … Aus diesem Blickwinkel könnte das familiäre Inzestverbot Ausdruck eines breiter angelegten Bedürfnisses sein, bestimmte Bereiche und Institutionen kategorisch gegen das Knüpfen sexueller Beziehungen zu sperren, weil dies ihren Sinn und ihre normale Funktion gefährdet. Dadurch wären weitere Beziehungen betroffen in anderen Bereichen wie Schule, Militär und Freundschaften.“ (Malón 2017, S. 256).
Insbesondere kritisiert er an der inzestuösen sexuellen Bindung, dass sie „das notwendige Autoritätsverhältnis gefährdet, welches zwischen Eltern und Kindern bestehen muss. Inzest lässt auf eine Umkehr der hierarchischen Ordnung zur Kindererziehung schließen, wenn beispielsweise die Tochter dafür verantwortlich wird, die Bedürfnisse des Vaters zu erfüllen.“ (ebenda, S. 256).
Das eben angeführte Beispiel stellt ein moralisches Versagen des Vaters dar. Doch soll es als ein Sexuelles beschrieben werden? Feministen würden das Szenario als Teil eines weitaus größeren Musters von patriarchalem Machtmissbrauch erkennen, bei dem Frauen wie Kinder dazu gebracht werden, dem Mann zu gehorchen und auf seine Bedürfnisse bedacht zu sein auf Kosten der Eigenen – und das in jeder Hinsicht, nicht bloß in Sexueller. Als Frage der gewöhnlichen Moral und nicht der Sexualmoral fällt solcher Missbrauch direkt in den Bereich deontologischer Ethik. Ein Mann wird seiner Pflicht gegenüber den anderen Familienmitgliedern nicht gerecht, wenn er sie selbstsüchtig ausbeutet. Diejenigen Pädophilen, die Kinder achten, würden eine solche Einstellung ohne zu zögern missbilligen, genauso wie sie zwischen einvernehmlichen und übergriffigen Beziehungen unterscheiden.
Das Beispiel ist unglücklich gewählt, weil es von einem gewichtigen Punkt ablenkt, bei welchem die legitime Rolle der Autorität hervortritt und nicht deren Missbrauch. Nach diesem Leitbild vermitteln gute Eltern ihren Kindern gute Werte und versuchen ein Vorbild abzugeben durch ihr eigenes Wohlverhalten. Dabei wird stillschweigend angenommen, dass die Erwachsenen nicht in der Lage sind, ihre Kinder auf den rechten Weg zu führen, wenn sie nicht fest die Zügel in der Hand halten. Oft wird mit einer gewissen Berechtigung gesagt, dass Sexualität selbst mit einem Kontrollverlust einhergeht: Indem man sich einer Begierde hingibt, offenbart man dem Sexualpartner, ob nun Erwachsener oder Kind, dass man ihn braucht, womit man sich in einer einvernehmlichen Beziehung dessen Willkür ausliefert, die Erfüllung vorzuenthalten.
Malón weitet sein Argument über die Familie hinaus aus und spricht von „einer Generationssolidarität oder einem Generationsvertrag, wonach ich meinen Gleichgestellten schuldig bin, ihre Söhne und Töchter zu achten, für sie zu sorgen und sie zu lehren“. Diese Rolle fordert ebenso wie die familiäre Rolle, dass der Erwachsene immer die Oberhand behält und daher sexuelle Beziehungen zu Kindern meiden muss (ebenda, S. 257).
Doch selbst wenn man zugesteht, dass dieses Argument bis zu einem gewissen Punkt greift, was ich auch tue, überhöht es vielleicht den Wert von Hierarchien. Es geht um eine Ansicht, die nicht in modernen Normen gründet, sondern an die althergebrachte Wendung (klassischen Ursprungs) „Zu viel Vertraulichkeit schadet nur“ erinnert, welche man beschwor, um jene von höherem gesellschaftlichen Stand vor den Gefahren der Freundlichkeit gegenüber Untergebenen zu warnen, insbesondere gegenüber Sklaven, die dazu ermuntert werden könnten, „über ihren Stand hinaus zu denken“ (engl. „to get ideas above their station“). Diese Besorgnis um die Aufrechterhaltung der Hierarchie geht weit über sexuelle Beziehungen hinaus, wie Malón ausdrücklich einräumt, wenn er geltend macht, „die normale Eltern-Kind-Beziehung“ sei „im Innersten bedroht“ durch Freundschaft oder zumindest durch eine Freundschaft, welche auf der Gleichberechtigung zwischen Eltern und Kind beruht (ebenda, S. 256).
Doch gibt es Freundschaft in unterschiedlichen Schattierungen. Die Familie hat der englischsprachigen Welt schließlich das Wort für Vertrautheit ‚familiarity‘ beschert, was die Legitimität von Ungezwungenheit, Freundlichkeit und Intimität innerhalb einer Familie nahelegt. Dagegen ist es nicht unbedingt ein Fortschritt, wenn Freundschaften über Generationsgrenzen hinweg als unanständig unter Verdacht stehen. Die Autorität des römischen Pater Familias umfasste die rechtliche Verfügungsgewalt über Leben und Tod von Frau und Kind. In Sachen Vorbeugung von zu viel Nähe unter den Generationen mag das Wunder gewirkt haben, aber das ist wohl eher kein erstrebenswertes Vorbild. Ein weniger drastischer Gegenentwurf liegt in den streng hierarchischen Haushalten der besseren Klassen des viktorianischen Zeitalters, in welchen das Gesinde den Patriarchen mit „Sir“ und die Matriarchin mit „Ma’am“ anredete, und die Kinder „Herr Papa“ und „Frau Mama“ sagten. Bei den Kindern solcher Familien kann man kaum davon sprechen, dass sie ihre Eltern überhaupt gekannt haben. Sie fanden die nötige Unterstützung und Liebe, wenn sie Glück hatten, bei ihren Ammen und Kindermädchen. Der Umstand, dass eine solche Stellvertretung notwendig war, spricht Bände über die Unzulänglichkeit dieses unterkühlten Erziehungsstils.
Zwei weitere empirische Überlegungen ergeben sich in Bezug auf die Hierarchie unter den Generationen.
Erstens ist offensichtlich, dass im Unterschied zu Sex unter Erwachsenen beiderseitig annehmbare Sexualkontakte zwischen einem Kind und einem Erwachsenen im Allgemeinen nicht damit einhergehen, dass dieser seinem Körper freien Lauf lässt. Statt in sozusagen „gewaltiger Leidenschaft“ drückt sich pädophile Sexualität auf eine Weise spielerisch aus, welche die dem Kind eigene Sexualität spiegelt und vergilt. Solche Handlungen beschränken sich ganz überwiegend auf das, was Erwachsene als „Vorspiel“ bezeichnen würden, wie die forensische Literatur klar bestätigt (Gebhard et al. 1965[68]; Howitt 1995[69]; Mullen und Fergusson 1999[70]). Obgleich man mit Recht annehmen kann, dass dem Kind das Verlangen des Erwachsenen nach seinem Körper kaum verborgen bleibt, sorgt ihre spielerische Natur dafür, dass diese Bedürfnisse nicht denen des Kindes übergeordnet werden, und kein inhärenter Grund vorliegt, aus dem der Erwachsene die Kontrolle oder seine Autorität verliert. Vergleichbar damit ist die Art und Weise, in der ein Erwachsener mit einem Kind Fußball spielt oder spielerisch mit ihm kämpft: Er lässt sich auf Vorgaben des Kindes ein, um bei der Aktivität den Nutzen und das Vergnügen für das Kind zu maximieren. Das festigt die Bindung zwischen Kind und Erwachsenem. Dagegen versinnbildlicht die landläufige Vorstellung vom Pädophilen diesen als Mann, der Fußball mit einem Kleinkind spielt – jedoch so, als wäre es ein Erwachsener.
Daher ist es nicht widersprüchlich oder unvereinbar, zugleich Liebhaber und bewunderter Berater eines Kindes zu sein, wie das Beispiel von Heinz Kohut zeigt. Terry Leahy interviewte 19 jüngere Partner (zehn weibliche und neun männliche) mit positiven sexuellen Erfahrungen in Kindheit und/oder Jugend (im Alter von acht bis einschließlich 15 Jahren) mit einem Erwachsenen. Dabei entstand ein Bild der Beziehungen, welches er so beschreibt: „… die Erwachsenen boten sich dem Kind als Gefährten an und traten in seine Subkultur ein – eine Subkultur, die sich in die Begriffe ‚spielen‘ und ‚Spiel‘ sowie den Beziehungsbegriff ‚Freunde‘ fassen lässt. Bei den sexuellen Kontakten herrschte dieselbe kindliche Subkultur vor.“ (Leahy 1991) Dieses Leitmotiv taucht vielerorts in der Literatur auf (Okami und Goldberg 1992). Des Weiteren ist beachtenswert, dass entgegen der landläufigen Vorstellung [auch] diejenigen sexuellen Kind-Erwachsenen-Kontakte nicht mit schädlichen Langzeitfolgen verbunden sind, bei denen der Koitus mitwirkender Faktor ist (wobei typischerweise Teenager beteiligt sind) und welche einen vergleichsweise kleinen Anteil ausmachen (Laumann et al. 2003)[71].[72]
Zweitens lässt sich unschwer erkennen, dass eine Umkehrung der Hierarchie in der Praxis manchmal gut funktioniert. Die leistungsfähigsten und erfindungsreichsten Organisationen profitieren zunehmend davon, dass sie Gedanken von der Basis aufgreifen (engl. bottom up), statt welche von oben zu verordnen (engl. top down). Dies gilt auch für Beziehungen zwischen „weisen“ Älteren und „dummen“ Kindern. Es kommt beispielsweise gar nicht so selten vor, dass Mama oder Papa sich dafür Tadel einhandeln, dass sie sich im Familienauto nicht angeschnallt haben, oder eine Predigt über die Gefahren des Rauchens zu hören bekommen. Die vorherrschende Hierarchie absichtlich auf den Kopf zu stellen, bereichert das Verhältnis zwischen den Generationen ungemein. Wenn ein Elternteil sich als Pferd von einem begeisterten Kleinkind besteigen lässt, unterwirft es sich der Autorität des kleinen Reiters, der herrisch befiehlt, nach links oder nach rechts zu gehen oder geradeaus zu „gallopieren“. Diese Art Rollentausch macht nicht nur dem Kind eindeutig riesig Spaß, sondern erfüllt zugleich das elterliche Bedürfnis nach dem Gefühl, gebraucht zu werden, und kann beiden Spaß bereiten.
Selbst ein Rollentausch, der ausschließlich dafür gedacht ist, elterliche Bedürfnisse zu erfüllen, kann für das Kind von erheblichem Vorteil sein. Ein Beispiel sieht man im Filmklassiker Der weiße Hai, wenn der Vater, der sehr erwachsene Pflichten schultern muss, welche ihn zu erdrücken drohen, sich an seinen kleinen Sohn wendet und sagt: „Komm her. Gib uns einen Kuss.“[73] Als das Kind nach dem Grund fragt, antwortet er: „Weil ich es brauche.“ Indem es das Bedürfnis erfüllt, leistet es wichtige Arbeit und bekommt das gute Gefühl, einen Beitrag geleistet zu haben (Spielberg 1975)[74].
Man könnte hinzufügen, dass im Unterschied zu Scrutons gekünsteltem Gebrauch von Literatur zur Verdammung der Pädophilie, welche auf einem erfundenen und untypischen Monster beruht, unbestreitbar Wahrheit in der kleinen Filmszene aus Hollywood liegt. Sie spricht die persönliche Erfahrung des Publikums an und nicht dessen Angstfantasien. In phänomenologischer Hinsicht ist sie authentisch: Millionen von Herzen, so kann man getrost behaupten, fühlten augenblicklich mit dem Vater mit. Dagegen sind Scrutons phänomenologische Untersuchungen zwar gründlich, aber man kann sie auch für gründlich daneben halten in Bezug auf das, was die Leute tatsächlich denken und fühlen – jedenfalls im 21. Jahrhundert.

4 Weitere irrige Vorstellungen

Nachdem Malón seine drei tugendethischen Kernargumente vorgestellt hat, welche ich eben kritisiert habe, greift er sie erneut bei der Frage auf, ob „diese Ansätze überzeugend sind, und sie uns helfen können, die ethischen Dilemmata aufzuklären, welche diese Erfahrungen aufwerfen, und unsere Einstellungen und wissenschaftlichen Stellungnahmen und Streitfragen verständlicher machen“ (Malón 2017, S. 258). Dies tut er unter den beiden Hauptüberschriften „Die Wissenschaft vom Missbrauch und moralische Überzeugungen“ sowie „Die pädagogische Sicht“.
Von dieser Stelle an besteht meine Aufgabe aus zwei Punkten. Erstens werden unter den Stichworten Wissenschaft und Pädagogik weitere – meiner Meinung nach – irrige Vorstellungen eingeführt, welche es noch zu betrachten gilt, nachdem ich hoffentlich die Grenzen des Tugendansatzes im Allgemeinen aufgezeigt habe sowie in Bezug auf Kind-Erwachsenen-Sex im Besonderen. Zweitens glaube ich zwar nicht, dass beiderseits akzeptable sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen dafür verurteilt werden sollten, dass sie das von Malón vorgeschlagene Tugendideal für generationsübergreifende Beziehungen verfehlen, doch bedeutet das nicht, dass diejenigen, welche ethische sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen für möglich halten, notwendigerweise kein Gespür für das Ideal haben. Womöglich haben sie schlicht eine andere Vorstellung vom Ideal, wie ich zeigen will, indem ich eine solche Alternative umreiße.
Unter der Überschrift „Die Wissenschaft vom Missbrauch und moralische Überzeugungen“ schreibt Malón: „Wissenschaft muss den ausgeprägten moralischen Aspekt bei der Untersuchung von Kind-Erwachsenen-Sex stärker beachten und auch die Fähigkeiten und Grenzen empirischer Befunde zur Klärung ethischer Fragen“ (Malón 2017, S. 259). Hieraus ergibt sich, wie wir bereits gesehen haben, als er vom „Schadenstyp […], der vielleicht empirisch nicht offenkundig ist“ (ebenda, S. 252) sprach, dass moralischer Schaden außerhalb des empirischen Erfahrungsbereichs liegt und dass Kind-Erwachsenen-Sex vermieden werden soll, weil er schädlich sein könnte, selbst wenn sich kein Schaden aufzeigen lässt.
Aber die Annahme, moralischer Schaden könne nicht empirisch untersucht werden, ist schlichtweg falsch.[75] Beispielsweise wurde in den letzten Jahren das Konzept der „moralischen Verletzung“ (engl. moral injury) entwickelt und im Zusammenhang mit moralischen Schäden gemessen, welche Armeeangehörige davontrugen, die in eine Beteiligung an solchen Taten wie dem Töten und Verletzen anderer im Krieg hineingeraten waren oder andere nicht an verwerflichen Taten gehindert hatten oder verwerflichen Befehlen gehorcht hatten (Maguen und Litz 2016[76]; Bryan et al. 2015[77]). Das zentrale Anliegen der Tugendethik sind die stabilen moralischen Eigenschaften eines Menschen, welche man gelegentlich „Charakter“ nennt. Sie werden schon lange im Rahmen der Moralpsychologie wissenschaftlich ausgewertet. Bekannt ist etwa das Milgram-Experiment zum Gehorsam gegenüber Autoritätspersonen (Milgram 1963)[78]. Jüngere Arbeiten in dem Bereich berufen sich ausdrücklich auf Aristoteles bezüglich des Stellenwerts von Charakterbildung und menschlichem Gedeihen. Der Frage, wie ein solches in der modernen Welt am besten erreicht werden kann, nähern sie sich von der evolutionären Entwicklung her (Konker 1992; Narvaez 2012, 2016).
Demnach obliegt es den Gegnern von Kind-Erwachsenen-Sex, Forschung zur Stützung ihrer Position zu betreiben, statt sich auf dem „Vorsorgeprinzip“ auszuruhen, an welches sie implizit appellieren. Dies wäre kein leichtes Unterfangen. Die Feinheiten der relevanten Begriffe aus der Phänomenologie (oder gar ihre Verschwommenheit und Inkohärenz) wären schwierig zu operationalisieren, insbesondere die zwischenmenschliche „Intentionalität“ des sexuellen Begehrens und der sexuellen Liebe beim Menschen. Selbst wenn das vollbracht wäre, so wäre nicht gewährleistet, dass eine solche Präzisierungsarbeit moralische Werte zu Tage fördert, welche gemeinhin als wünschenswert oder wichtig erachtet werden. So sagt Malón selber in seinem Fazit: „Weil Wertvorstellungen aufeinanderprallen beim Gedanken an beachtliche Erotik, welche unter Kindern gedeiht, ist nicht verwunderlich, dass nicht leicht zu bestimmen ist, wer wirklich welche Art von Schaden davongetragen hat.“ (Malón 2017, S. 265).
Man könnte ferner anmerken, dass man sich auch mit umgekehrter Stoßrichtung auf das Vorsorgeprinzip berufen kann von dem „alternativen Ideal“ aus, welches weiter unten erschlossen wird:
Westliche Gesellschaften scheinen ihre Vergangenheit vergessen zu haben und setzen sich oft über die Säugetiereigenschaft ihrer Bürger hinweg, was zu Ordnungen und Praktiken führt, die auf willkürlichen Glaubenssystemen beruhen … Ein breit angelegter Zugang zur menschlichen Entwicklung, welcher beim Vorsorgeprinzip die Säugetiereigenschaft des Menschen berücksichtigt, wäre ein weiserer Kurs (Narvaez 2012, S. 154).
Unsere nächsten Verwandten unter den Säugetieren sind nicht dafür bekannt, das Sexualverhalten ihrer Jungtiere einzuschränken oder die Intimität Erwachsener mit ihnen. Auf Bonobos trifft sogar das glatte Gegenteil zu, wie wir oben gesehen haben. Bei der kindlichen Erfahrung von Intimität einschließlich ihres sexuellen Ausdrucks mit anderen Kindern und Erwachsenen scheint demnach die gebührende Vorsicht von uns eine Grundhaltung zu fordern, die positiv und freizügig ist statt negativ und einschränkend.
Die vorhandenen wissenschaftlichen Belege der Anthropologie dafür, dass sexuelle Kind-Erwachsenen-Kontakte in einigen Kulturen die Regel waren, wischt Malón kurzerhand als „oft anekdotisch und oberflächlich“ beiseite (Malón 2017, S. 260). Doch das trifft häufig nicht zu, und es gibt weitaus mehr von ihnen, als er anführt. Umfassende Verzeichnisse der relevanten Kulturen sind erschienen mitsamt kommentierten, ethnographischen Quellen (Janssen 2002; Werner 1986[79]). Eine Reihe dieser Kulturen wurde von qualifizierten Anthropologen viele Jahre lang eingehend untersucht.
Greifen wir nur ein besonders aufschlussreiches und sonnenklar belegtes Beispiel auf: In weiten Teilen Zentralafrikas war innerhalb der letzten hundert Jahre der Vollzug der Ehe mit kindlichen Ehefrauen vor der Pubertät vollkommen normal, was soweit ging, dass einige Stämme glaubten, dass Mädchen die Menarche nicht erreichen, wenn sie nicht schon sexuell aktiv waren. In einigen Kulturen geschah das mit Gleichaltrigen, doch in anderen eindeutig mit einem erwachsenen Ehemann. Beispielsweise sagt Audrey Richards über die Bemba von Sambia (damals Nordrhodesien), dass die Mädchen „für gewöhnlich mit zehn oder elf Jahren eine Verlobung eingehen“, und fügt hinzu: „… nachts schläft das Mädchen mit ihrem Ehemann, wobei aber nur teilweiser Beischlaf erlaubt ist. Von dieser Form vorpubertären Beischlafs, welche typisch für eine Reihe nordrhodesischer Stämme ist, glauben die Leute, dass sie die besten und beständigsten Ehen hervorbringt. Anders als in Ostafrika geht er nicht mit der Bildung von Altersklassen und einer Experimentierphase mit häufigem Partnerwechsel unter den jungen Leuten einher” (Colson und Gluckman 1951, S. 81 f.)[80].
Im selben Buch schreibt Monica Wilson über die Nyakyusa von Tansania (damals Tanganjika) und geht dabei detailliert auf die Sitte frühzeitiger Ehen ein, in denen ein vorpubertäres Mädchen überwiegend in ihrem Geburtshaus wohnt und „ab dem Alter von zehn oder früher ihren Mann besuchen und mit ihm schlafen darf“. Zunächst praktizieren sie „verhaltenen Beischlaf ohne Penetration“. Sie fügt hinzu: „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass Mädchen vor der Pubertät generell lieber nicht mit ihrem Ehemann schlafen wollen, eher das Gegenteil.“ (Colson und Gluckman 1951, S. 258 f.) Vorpubertäre sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen dieser Art verunklart Malón leider, wenn er anmerkt: „… viele Beispiele sexueller Beziehungen zwischen Mädchen und erwachsenen Männern werden nur innerhalb der Ehe akzeptiert“, was den falschen Eindruck erwecken könnte, es handele sich ausschließlich um Beispiele von Säuglings- oder Kinderverlobungen (und vielleicht fiktiven Ehen), welche erst nach der Menarche vollzogen werden (Malón 2017, S. 261).
Richards obiger Verweis auf „Altersklassen“ in Ostafrika, denen er die Bemba gegenüberstellt, bei denen sie keine Rolle spielen, untergräbt anscheinend ebenfalls Malóns Behauptung, dass „eine anthropologische Konstante in der elementaren Gliederung der Gesellschaft in Altersgruppen und Generationen besteht“ (Malón 2017, S. 261). In diesem Sinne deutet er an, dass die Argumente in Bezug auf Perversion und Obszönität eher im Hinblick auf „kleine Kinder“ plausibel sind; und räumt ein, dass Jugendlichen „für gewöhnlich ein Recht auf erotische Erfahrungen zugestanden wird“, doch die große Sorge beim Sex mit Erwachsenen sei „der Altersunterschied der Teilnehmer und der Charakter der Beziehung. Hier taucht das Bedürfnis nach einer erotischen Bindung als Teil einer verbindlicheren Beziehung auf, welche auch die bewährten Pflichten zwischen Menschen verschiedener Generationen nicht gefährdet“ (ebenda, S. 262). Zu meiner bisherigen Kritik an Konzepten der Tugendethik, welche hierbei in Anspruch genommen werden („Perversion und Obszönität“ und „erotische Bindung“ bzw. in einer früheren Formulierung „sexuelle Bindung“), muss lediglich hinzugefügt werden, dass derzeit von der Moralischen-Verletzungsperspektive aus empirischer Rückhalt für diese Behauptungen fehlt und ihnen die anekdotischen „Schwarzer-Schwan-Belege“ zu widersprechen scheinen, über welche wir in begrenztem Umfang verfügen.
Malón verweist bei seiner Betrachtung der „pädagogischen Sicht“ auf die „Vielschichtigkeit und Heftigkeit“ sexueller Konflikte beim Menschen und zieht daraus den Schluss, dass den Jugendlichen eine besondere Form von Moral vermittelt werden müsse, um mit ihnen umzugehen. Er meint: „… Moral kann als Rangliste davon aufgefasst werden, mit welcher Dringlichkeit man wie sein, handeln und leben soll; eine Liste von Idealen und Tugenden …“ (Malón 2017, S. 263). Diese spezielle Sicht auf die Moral mit der Rolle, die sie Idealen und Tugenden zuweist, braucht man nicht anzufechten, um in Frage zu stellen, dass daraus notwendigerweise folgt, dass sexuelle Konflikte einer speziellen Sexualmoral bedürfen. Geht es nicht ganz einfach darum zu vermitteln, dass man in allen Angelegenheiten aufeinander Rücksicht nehmen soll? Sexuelle Konflikte können tatsächlich sehr vielschichtig und heftig sein, was für sich genommen schon ein guter Grund ist, an der einfachsten moralischen Idee festzuhalten, welche jeder versteht, nämlich der Goldenen Regel: Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst! Sei kein Egoist! Denk an die Gefühle der anderen! Tue das „Richtige“ im weitesten Sinne des Wortes. Dies ist sozusagen Kant für jedermann – jedes Kind eingeschlossen.

5 Ein alternatives Ideal

Wie oben dargelegt wurde, sind die sexuellen Ideale, welche Scruton ins Feld führt, und die von Malón als geeignete Basis für die Kindererziehung in Sexualethik übernommen werden, alles andere als ideal. Nun folgt die angekündigte Skizze eines alternativen Ideals.
Dessen Ansprüchen gerecht zu werden, ist keine notwendige Bedingung für ethische Kind-Erwachsenen-Beziehungen, weil es als Zukunftsbild für einen gesellschaftlichen Rahmen unterbreitet wird, in welchem ethische sexuelle Beziehungen leichter gedeihen können, statt als hohe Hürde, welche der Einzelne zu überwinden hat. So meint Malón in Übereinstimmung mit mir, dass herkömmliche ethische Systeme anscheinend Raum für sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen lassen, vorausgesetzt sie erfüllen bestimmte Kriterien, vor allem muss das Kind freiwillig mitmachen. Anschließend meint Malón, solche Beziehungen seien aufgrund der Tugendethik unzulässig, weil sie zu weit hinter seinem Idealbild zurückbleiben. Ich habe bereits begründet, dass Tugendethik keine angemessene Grundlage zur Verdammung oder zum Verbot sexueller Handlungen abgibt. Doch im Unterschied zum Eindruck, den Malón womöglich vermittelt, schätze ich es sehr wohl, wenn Sexualität in einem Rahmen stattfindet, der über das „bloße“ sexuelle Vergnügen hinausweist. Zu meiner Arbeit schreibt er:
… einige Autoren (Guyon 1933[81]; O’Carroll 1980[82]) haben versucht, für so etwas wie Huxleys Schöne neue Welt einzutreten, in welcher Kindern vom Säuglingsalter an genitaler Genuss mit einer Indifferenz vermittelt wurde, welche den meisten von uns gelinde gesagt seltsam vorkommen würde. Aus der Sicht einer besonderen Sexualmoral, welche in diesem Artikel entwickelt wird, besteht das Problem darin, dass Sex bloß unter ferner liefen behandelt wird … (Malón 2017, S. 264).
Zunächst einmal will ich darauf hinweisen, dass es sich bei Schöne neue Welt um einen dystopischen Roman handelt, der eine totalitäre Gesellschaft beschreibt, in welcher trotz der Ermunterung zu sexuellem Vergnügen die Fortpflanzung vollständig unter staatlicher Kontrolle steht und den meisten Frauen die Zwangssterilisation blüht. Dagegen legt mein Verständnis vom Ideal viel Wert auf persönliche Freiheit – ein Ansatz, welcher unter Umständen im Widerstreit mit sinnlichem Vergnügen als moralischem Gut stehen mag (Huxley 1932)[83].
Was Malón „Lüstlings“denken nennt, bei dem sexuelles Begehren schlicht als Lust auf sexuelles Vergnügen gedeutet wird (unabhängig davon, ob solches Vergnügen einer Person gilt, welche gleichzeitig für ihr verleiblichtes Ich auf umfassendere Weise geliebt wird), deutet stark auf Hedonismus hin, eine Philosophie, welche im landläufigen Gebrauch zum Inbegriff egoistischen Glücksstrebens ohne Rücksicht auf andere geworden ist. Ferner deutet es auf die Oberflächlichkeit des „bloßen“ Vergnügens hin, sofern darin das einzige persönliche Lebensziel gesehen wird. Doch einige von uns, welche sich dem Vorwurf des Hedonismus in diesem abwertenden Sinn ausgesetzt sehen, verstehen ihren Standpunkt ganzheitlich als Teil einer größeren Vision, wenngleich einer, die auch mit einer gewissen Berechtigung irgendwo zwischen kitschig und scheinheilig einsortiert wurde. Ich meine grob die Vision, welche in den 1960ern und ’70ern unter dem Banner „Liebe und Frieden“ (engl. love and peace) lief und seitdem verteufelt wird. Zu den Verteuflern gehört Scruton, welcher vor dem Streben nach leeren Idealen ohne Rückhalt in Tradition und Gemeinschaft warnt:
Diese Sinnsuche außerhalb der Gesellschaft oder in einem Zukunftsbild derselben, das wir weder klar verstehen noch herbeizuführen wissen, ist auch nur Ausdruck der Entfremdung, welche sie verurteilt, und ein Versuch, der Anschauung des entfremdeten Einzelnen den Mantel der Tugend umzuhängen. Die Entfremdung wird zur Prophezeiung, und in jenen, die weiterhin ihren Trost im Gegebenen (engl. the actual) suchen, sieht man Sklaven der unlauteren Institutionen, welche sie unterstützen. Doch in Wahrheit führt kein Weg zu sexuellem Anstand zurück, welcher nicht die Pflege der Institutionen beinhaltet und den Versuch, in der tatsächlichen Gesellschaftsordnung die festen Wertungen einer öffentlichen Moral wiederherzustellen.“ (Scruton 1986, S. 350)
Tatsächlich ist Gemeinschaft unerlässlich. Wir müssen als Einzelwesen zu etwas Größerem gehören als uns selbst, womit unausweichlich eine positive Verpflichtung zu gesellschaftlichen Werten und den Institutionen einhergeht, welche ihnen Ausdruck verleihen. Einige dieser Institutionen können sehr traditionell und „altehrwürdig“ sein. Doch ebenso unerlässlich ist die radikale Neubewertung solcher Traditionen auf eine Weise, die wohl selbst Konservative wie Scruton hoch schätzen, wie etwa der prinzipienfeste Aufbruch der Pilgerväter von Englands Küste gen Amerika, um dort neue Gemeinden mit vergleichsweise weniger „unlauteren Institutionen“ zu gründen. Er könnte den „Propheten“ oder Anführern solcher Gemeinden in ähnlicher Weise eine legitime Rolle zugestehen, wie er zweifelsohne die großen Propheten der Bibel verehrt, trotz seiner abwertenden Gleichsetzung von Prophetie mit bloßer „Entfremdung“.
Es ließe sich auch anmerken, dass die Verteidiger der alten Sitten womöglich behaupten, sie verteidigten den Status quo (oder das „Gegebene“, wie Scruton sich ausdrückt), wenn sie in Wirklichkeit nostalgisch in einer fernen Vergangenheit schwelgen – ein Umstand, auf den Malón hinweist mit seiner Rede von „Idealen, welche wir nicht mehr auf Erwachsene anwenden, … wogegen wir zögern, sie als Vorgabe für Kinder zurückzunehmen“ (Malón 2017, S. 260). Scruton ist direkter. Sein Augenmerk auf die Verhinderung von „Perversion“, seine Andeutung, homosexuelle Handlungen seien moralisch fragwürdig aufgrund von Narzissmus und Obszönität (Scruton 1986, S. 310 f.), sowie seine Idealisierung der dauerhaften Paarbindung mit einem einzigen Menschen laufen alle auf eine Verteidigung der – in Scrutons Worten – „bürgerlichen Ehe“ hinaus, einer Institution, die heute eher von Zerfall als von Achtung geprägt ist (Scruton 1986, S. 363). Nachdem solche Ideale ihre Grundlage in religiösen Überzeugungen und Moralvorstellungen haben, welche im modernen Leben nicht mehr als gesellschaftlicher Kitt dienen, handelt es sich um bloße Relikte, welche so tot und bedeutungslos wie das Wort „bürgerlich“[84] selbst sind und die damit einhergehende Vorherrschaft einer wohlhabenden Gesellschaftsschicht. Es gehört in die männlich dominierte Welt des neunzehnten Jahrhunderts, welche von Werten geprägt war, die wir nicht mehr befürworten und die von der Begeisterung für Tierkämpfe bis zu imperialistischen Angriffskriegen reichten.
Was könnte also im einundzwanzigsten Jahrhundert als annehmbare, erbauliche Tugend in Frage kommen? Sprich als Tugend, welche zu „Liebe und Frieden“ passt, aber als unvereinbar mit den schlimmsten Exzessen aus jener Zeit angelegt ist, mit der dieser Slogan verbunden wird? Piers Benn, dessen Arbeit Malón zustimmend zitiert, meint:
Es gibt sexuelle Güter – ein erwähnenswerter Umstand, wenn man die etwas triste Verengung Scrutons auf sexuelle Übel frisch im Kopf hat. Auch wenn die traditionelle Sexualmoral sich um Befleckung und Tabus dreht, bekommen wir eine ebenso hilfreiche Vorstellung davon, was an Sex besonders ist, wenn wir an die Güter denken, welche innerhalb der Erotik verfügbar sind und nirgendwo sonst eine Entsprechung haben. Die Zärtlichkeit und Intimität, welche in sexuellen Beziehungen einen einzigartigen Ausdruck finden, gehören zum sexuellen Gedeihen und zur Fähigkeit zu solchen. Es handelt sich um Tugenden, die sich nicht einfach aus anderen Tugenden ableiten lassen (Benn 1999, S. 244)[85].
Benns Eintreten für Zärtlichkeit und Intimität als ausgeprägt sexuelle Tugenden mag einen gewissen Nutzen haben, obgleich es davon abhängt, was genau man unter ihnen versteht. Im Zusammenhang mit einer Eltern-Kind-Beziehung würde keiner dieser Begriffe für gewöhnlich sexuell gedeutet, obschon eine sexuelle Reaktion sich nicht aus den normalen elterlichen Gefühlen ausschließen lässt. Es wäre keine Überraschung, wenn Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren im Gehirn zumindest eine unterschwellige sexuelle Reaktion zum Vorschein bringen würden, während gewöhnliche Eltern ihr Kind streicheln oder umarmen – eine Reaktion, welche in puncto Hirntätigkeit der Vorläufer bewusster Erregung ist. Solche Befunde würden sich in ähnliche Forschungsergebnisse zur Häufigkeit sexueller Hingezogenheit zu Kindern unter „normalen“ Erwachsenen einreihen (Becker-Blease et al. 2006[86]; Briere und Runtz 1989[87]; Hall et al. 1995[88]; Smiljanich und Briere 1996[89]; Wurtele et al. 2014[90]). Daher machen sich Eltern vielleicht selbst etwas vor, wenn sie beteuern zu wissen, dass ihre Liebe zu ihren Kindern „rein“ ist. Nebenbei sei angemerkt, dass Selbsttäuschung ein Problem für die Behauptung der Phänomenologie darstellt, Introspektion sei der Königsweg zu unseren Motiven und Werten.
Doch ob es sich bei Zärtlichkeit und Intimität um ausgeprägt sexuelle Tugenden handelt, ist vielleicht weniger wichtig als die Frage, ob Kind-Erwachsenen-Sex einen ehrenwerten Platz im Zukunftsbild der Gesellschaft einnehmen kann, welche nach unserem Ideal erstrebenswert ist. Zumindest im Falle einiger Befürworter ethischen Kind-Erwachsenen-Sexes ist dieses Bild eines von Liebe und Frieden. Bei der Suche nach Frieden handelt es sich um eine, welche die Anwendung traditioneller Tugenden – insbesondere der Weisheit – zu erfordern scheint statt rein Sexueller. Traditionelle Moralisten neigen sicher dazu, „Sex und Gewalt“ zu einem Zweigespann des Lasters zu vereinen, welches auf eine Apokalypse zugallopiert, welche die Weisheit abgewandt hätte. Doch der 1960er-Jahre-Spruch „Make love, not war“ verweist auf ein weitaus erfreulicheres Merkmal von Sex, nämlich dass sein tugendhafter Ausdruck verbunden ist mit Zärtlichkeit, Intimität und der Art von Liebe, die nahezu deckungsgleich mit Wohlwollen ist. Daher scheint er zunächst im Widerspruch zu Hass, Aggression und Krieg zu stehen, bis wir gewahr werden, dass sexuelle Eifersucht und Nebenbuhlerei sich ebenso mit scharfem Wettbewerb und leidenschaftlichen Konflikten decken.
Entscheidend ist aber, dass die fördernden Umstände für solche Konflikte nicht unvermeidlich sind. Wie oben erörtert wurde, war der grausam durchgesetzte patriarchale Kodex, welcher das Sexualleben von Frauen dadurch einschränkt, dass die Männer über deren Jungfräulichkeit wachen, nicht immer weit verbreitet und auch nicht die Unterdrückung der Jugendsexualität, welche er nach sich zieht. Auch begleiteten uns solche Kodizes, welche häufig umfangreich waren (und das Verbot von Homosexualität und vielem weiteren beinhalteten) und von den großen patriarchalen Religionen durchgesetzt wurden, nicht schon immer. Sie und ihre Herrschaftssysteme sind nicht unumstößlich. Kulturen wandeln sich, was vielleicht schneller als je zuvor in unserer eigenen Epoche geschieht, die im Zuge einer Reihe von technischen Revolutionen gewaltige und immer schneller ablaufende Umwälzungen durchlaufen hat. Unter solchen Umständen gerät konservative Sexualethik wie etwa jene, die Scruton vertritt, zwangsläufig unter Druck und das Schmieden neuer, geeigneterer Kodizes ist nun – wie nicht anders zu erwarten – Gegenstand heißer Diskussionen.
Wettbewerb selbst ist nicht das Problem. Schließlich ist er bei der geschlechtlichen Zuchtwahl grundlegend für die Evolution. Auch wird im modernen Leben Wettbewerb eher gefeiert als beklagt. Er ist der Lebenssaft von Handel, Sport, technischem Fortschritt und kreativen Höchstleistungen aller Art.
Er sollte allerdings nicht mit tödlichen Konflikten in einen Topf geworfen werden, welche keineswegs unvermeidlich sind. Mittlerweile tauchen immer mehr Belege dafür auf, dass unsere Spezies sich – entgegen der landläufigen Meinung – nicht immer durch massive Gewalt gegen die eigenen Artgenossen ausgezeichnet hat. Unter unseren prähistorischen Vorfahren kam es im Verhältnis viel seltener zur Tötung von Artgenossen wie in nahezu der gesamten späteren Zeit (Gómez et al. 2016[91]; Wade 2016[92]).
Menschen sind auch kooperative Tiere mit der Fähigkeit zur Zusammenarbeit und setzen ihr Gehirn und ihre edlere Gesinnung ein, um sicherzustellen, dass der Wettbewerb nicht aus dem Ruder läuft. Wie der Umweltschützer George Monbiot angemerkt hat, sind Menschen die unangefochtenen Zusammenarbeiter unter den Säugetieren. Ohne einen beträchtlichen Grad an Selbstlosigkeit und Vertrauen hätten wir keine gesellschaftlichen Einheiten über die Familie hinaus entwickelt, geschweige denn Hochkulturen. Doch Monbiot zufolge ist etwas schrecklich schief gelaufen, wie er im Zusammenhang mit Zukunftsängsten vor Erderwärmung und Atomkrieg schreibt:
Unser gutes Naturell ist durch verschiedene Kräfte behindert worden. Doch die vielleicht stärkste davon ist die vorherrschende politische Erzählung unserer Zeit. Wir sind von Politikern, Wirtschaftswissenschaftlern und Journalisten dazu gebracht worden, eine bösartige Ideologie von extremem Wettbewerb und Individualismus zu schlucken, welche uns gegeneinander aufbringt, uns nahelegt, einander zu fürchten und zu misstrauen, und die gesellschaftlichen Bindungen schwächt, die unser Leben lebenswert machen. Die Geschichte von unserem wetteifernden, habgierig-egoistischen Naturell wurde so oft mit solcher Überzeugungskraft erzählt, dass wir sie als Beschreibung darüber angenommen haben, wer wir wirklich sind. Sie hat unsere Selbstwahrnehmung verändert. Und unsere Wahrnehmung ändert wiederum, wie wir uns verhalten (Monbiot 2017)[93].
Stattdessen will Monbiot die Geschichte vom kooperativen Menschen erzählen. Meine Vorschlag lautet, dass wir das alle tun sollten: Es bildet den Charakter, wenn wir es uns selbst sagen und auch zu anderen. Wir würden gut daran tun, den Gedanken zu verinnerlichen und gewohnheitsmäßig zum Ausgangspunkt unserer Handlungen zu machen, dass wir friedlich zusammenarbeiten können und sollen.
Insbesondere schwebt mir die Sachgeschichte von der Verbindung vor, welche zwischen frühzeitiger Intimität zwischen den Generationen (einschließlich der offen sexuell ausgedrückten) und späterer Gewaltlosigkeit besteht, wie sie der Neuropathologe James W. Prescott vor langer Zeit berichtet hat. Diese Arbeit fußt auf dem großen kulturübergreifenden Datensatz von R. B. Textor und scheint nicht angefochten worden zu sein. Leider sind ihre tiefgreifenden Folgerungen ebenfalls lange vernachlässigt worden, was sich aber zu ändern beginnt, wie wir weiter unten sehen werden (Prescott 1975)[94].
Meine Vermutung wäre, dass Kinder, deren Sexualität von früher Kindheit an durch die Eltern gefördert wird und die infolgedessen sexuelle Gefühle mit Wärme, Zuneigung und Güte verbinden, aufwüchsen, ohne an sexuelle Aggression und Gewalt gewohnt zu sein, und davon abgestoßen würden. Ein solches Szenario würde von solchen Gesellschaften begünstigt, in denen ungezwungene Intimität nicht nur ein Merkmal der Eltern-Kind-Beziehung wäre, sondern auch der von Kindern und Jugendlichen mit ihren Altersgenossen oder mit jedem willigen Partner jeden Alters, den sie finden können. Ein Hauptvorteil solcher Verhältnisse besteht in der Vermeidung des tiefen Frusts, der vor allem in der Jugend und dem damit einhergehenden starken sexuellen Verlangen vom jahrelangen Warten auf der Suche nach einem Sexualpartner kommt oder überhaupt nach jeglicher zwischenmenschlichen sexuellen Erfahrung. Dieser Frust führt unweigerlich zum Aufstauen von Wut und einer Vorliebe für das überwetteifrige und egoistische Weltbild, für das die Redensart steht „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“
Unumstritten ist, dass moderne Kulturen trotz ihres beispiellosen Wohlstands und ihrer stark gestiegenen Lebenserwartung dem Menschen nicht unbedingt zur vollen Blüte verhelfen. Eine gewisse seelische Beklemmung wurde schon lange in zivilisierten Gesellschaften festgestellt, dergestalt dass sie wohl mit dem Tempo zunimmt, mit der unser Lebensstils sich von dem wegbewegt, was unserem gewachsenen Naturell bekommt. Anscheinend leiden wir unter einer Epidemie von Entfremdung, Ängsten und ähnlichen psychischen Beschwerden, wie etwa Depressionen. Allerdings gibt es die Denkschule des „rationalen Optimismus“, welche an der naiv optimistischen Auffassung festhält, dass es noch nie besser um die Menschheit stand (Burkeman 2017)[95]. Mithilfe beeindruckender Statistiken haben Persönlichkeiten wie Steven Pinker überzeugend begründet, dass enorme Fortschritte erzielt wurden und diese (so die Hoffnung) im Begriff sind anzuhalten, weil die Größe und Reife von Institutionen einschließlich dem Welthandel zunimmt und diese insgesamt als förderlich für eine Vernetzung gelten, die Menschen einbindet und Zusammenarbeit ermöglicht (Pinker 2012).[96]
Dieses Bild ist reizvoll, aber verengt und neigt dazu, hinter dem Horizont wahrlich katastrophale, moderne Gefahren auszublenden, wie die atomare Vernichtung oder den Klimawandel, wohingegen das prähistorische Gewaltniveau durch kriegerische Auseinandersetzungen auch noch übertrieben wird (Ferguson 2013)[97]. Diese Vorstellung stützt sich auf fortgesetztes Vertrauen in eine ausbeuterische Einstellung gegenüber dem Planeten und seinen Bewohnern einschließlich seiner Tier- und Pflanzenwelt. Es handelt sich um eine Geisteshaltung, die einige wenige Leute zu Milliardären macht und zu viele andere vor Entfremdung krank, was sich nach innen (Depression, Selbstverletzung, Selbstmord) oder außen (Terrorismus, Gewaltausbrüche) richten kann.
Auch wenn die Behautung zu einfach – ja wohl sogar falsch – wäre, dass all diese Missstände speziell von der sexuellen Deprivation von Kindern und Jugendlichen ausgehen, ist mittlerweile die Theorie gut empirisch belegt, dass ganz allgemein sinnliche Deprivation eine entscheidende Rolle für die spätere geistige Gesundheit spielt, wozu auch die frühzeitige Erfahrung lustvoller, körperlicher Intimität gehört, deren sexuelle Komponente sich nicht ernsthaft abstreiten lässt. Prescott kam zu dem Schluss, dass ein Mangel an Berührungen beim Aufziehen von Kindern in den Vereinigten Staaten für deren Anfälligkeit für Somatosensory-Affectional-Deprivation (SAD) verantwortlich war, ein Leiden, das mit Depression, Gewalttätigkeit und Reizsuche (engl. Sensation-Seeking) zusammenhängt. Im Laufe seiner Arbeit mit der Gesundheitsbehörde National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) versuchte er, ein Programm zur Grundlagenforschung über die Entwicklung von Gehirn und Verhalten aufzubauen, bekam aber nicht den erforderlichen institutionellen Rückhalt, vielleicht weil solche Studien zu untergraben drohten, was viele als Grundfeste der amerikanischen elterlichen Erziehungskultur betrachten. Doch seine Theorie wurde von späteren Forschungsarbeiten bestätigt (Narvaez 2009; Prescott 1996[98]).
Obschon der größte Teil der Forschung sich auf sensorische Deprivation in Säuglingsalter und früher Kindheit konzentriert, haben sowohl Prescott als auch Narvaez aufgezeigt, dass ein andauerndes und großenteils unbefriedigtes Bedürfnis nach körperlicher Intimität einschließlich ihres freien sexuellen Ausdrucks über die ganze Kindheit und Teenagerzeit besteht. Die Gefahren, welche in der Unterdrückung dieses Bedürfnisses liegen, wurden gut in Judith Levines Buch Harmful to Minors: The Perils of Protecting Children from Sex dargelegt (Levine 2002)[99].
Man könnte den Gedanken an einen sexuellen „Sandkasten“ ins Feld führen, wo sich Sex und Beziehungen ohne die Last erwachsener Pflichten erlernen lassen, genau wie üblicherweise kleine Mädchen seit langem die Mutterrolle einüben können, indem sie mit Puppen spielen.
Das Volk der Muria aus Bastar in Zentralindien ist nur eines der Beispiele dafür. Der Anthropologe Verrier Elwin beschreibt die ausgiebige sexuelle Lehrzeit der Kinder, welche sich hauptsächlich in einem besonderen Jugendhaus abspielt, das als Ghotul bekannt ist. Säuglinge und Kleinkinder schlafen im Haus ihrer Eltern. Es gibt keine verschlossenen Türen, so dass sie unvermeidlich etwas vom Intimleben ihrer Eltern mitbekommen. Wenn die Kinder sechs oder sieben Jahre alt sind, kommt ein neues häusliches Arrangement ins Spiel. Das Kind geht ins Ghotul ab, einen selbstverwalteten Bereich mit jeweils eigenen Anführern unter den Knaben und Mädchen. Die kleinen Kinder dürfen nach Belieben zwischen dem Ghotul und ihrem Elternhaus hin und her wechseln. Innerhalb des Ghotul dürfen sie sich spielerisch im Sex erproben. Jugendliche können Geschlechtsverkehr haben, wie sie wollen, und mit unterschiedlichen Partnern experimentieren und stehen nicht unter dem Druck, sich vorzeitig festlegen zu müssen (Elwin 1947)[100].
Elwin hat einen großen Teil seines Lebens in Indien verbracht und fand, dass dieses Arrangement sehr gut funktionierte. Sein Buch über die Muria erschien 1947. Im Jahr 1982 wurde zum großen Erstaunen der Fachwelt berichtet, dass das Ghotulsystem immer noch existierte und sich sogar weiter ausdehnte (von Fürer-Haimendorf 1982)[101].
Dies heißt nicht, dass man ein solches Arrangement mal eben aus dem Stammeskontext in die moderne Gesellschaft verfrachten kann. Eine offensichtliche Befürchtung wäre, dass Mädchen schwanger werden. Elwin zufolge geschah dies in der Praxis des Ghotuls selbst ohne moderne Verhütungsmittel selten. Doch an dieser Stelle geht es darum, ein Ideal zu verfechten und nicht um die Vorstellung eines Manifests mit genauen Richtlinien, die sich unmittelbar umsetzen lassen.
Ich räume jedoch ein, dass das Zukunftsbild des alternativen Ideals, welches in diesem Abschnitt umrissen wurde, anfällig für den Vorwurf ist, dass es im Wolkenkuckucksheim vielleicht sehr gut funktioniert, aber nicht in der modernen Gesellschaft mit unserer immer stärkeren Betonung des Schutzes zulasten der Freiheit und Entwicklung von Kindern. Auf den ersten Blick erscheint die Vorstellung weltfremd, dass das Schutzalter in absehbarer Zukunft gesenkt oder abgeschafft wird, da es anscheinend weitaus stärkeren Druck genau in die entgegengesetzte Richtung gibt. Der kometenhafte Aufstieg der #MeeToo-Bewegung 2017 stellte unter vielen Umständen die Gültigkeit der sexuellen Einwilligung von Erwachsenen massiv in Frage – von Kinder ganz zu schweigen, da die Reichweite dessen, was als „Übergriff“ oder „Belästigung“ durchgeht, sich anscheinend immer weiter ausdehnt.
Einige glauben vielleicht, dass sich dieser Trend noch lange fortsetzt. Es gibt jedoch viele nachdenkliche Frauen und auch Männer, welche dem mit Unbehagen entgegensehen. Beispielsweise gehört Margaret Atwood, die mit ihrem dystopischen Roman Der Report der Magd berühmt wurde, der von einer Frau handelt, die aufgrund ihres Geschlechts unterdrückt wird, nicht zu den üblichen Verdächtigen, die angesichts der jüngsten Entwicklung Alarm schlagen. Doch genau das tat sie, wobei sie auf die Säuberungen der französischen Revolution und der Roten Garden in China verwies (Atwood 2018)[102]. Während Atwood sich auf die Aufrechterhaltung von Beweis- und Verfahrenskriterien beschränkt, gehen andere Frauen viel weiter und drücken ihre Sorge um die sexuelle Freiheit aus und um die Vergiftung der Beziehung zwischen den Geschlechtern (beispielsweise Sommers 2017[103]; Whelan 2017[104]).
Es gibt eine Krise der Geschlechterverhältnisse und ihr Ausgang ist keineswegs offensichtlich. Revolutionäre Exzesse könnten von einem moderateren neuen Zeitalter abgelöst werden, in welchem die Neubewertung gewaltfreier sexueller Beziehungen zwischen den Generationen möglich sein wird. Diesen Gedanken kann ich hier jedoch nicht weiter ausführen.

6 Ein pragmatisches Argument

Übrig bleibt noch ein pragmatisches[105] Argument, das gegen Kind-Erwachsenen-Sex in Betracht kommt. Aus konsequentialistischer Sicht lässt es sich als Erfassung der langfristigen Schäden für das betroffene Kind und selbst den Erwachsenen verstehen, welche sich aus dem gesellschaftlichen Stigma gegen die Handlung ergeben. Ferner erlaubt die Sicht der Tugendethik ein Verständnis, das der Philosoph Stephen Kershnar wie folgt beschreibt:
… gemäß einer peripatetischen Theorie sind die Gefühle und Taten eines tugendhaften Menschen so beschaffen, dass sie ihm das Gedeihen in einer Reihe von Gesellschaften (worunter die eigene sein mag) gestatten. Dafür dürfte ein sexuelles Begehren hinderlich sein, das sich auf Menschen richtet, mit denen er keinen Sex haben darf oder welche zu einer sexuellen Erwiderung außerstande sind. Doch die peripatetische Theorie ist insoweit problematisch wie sie Intuitionen widerspricht, denen zufolge die Einstellungen und Taten eines Menschen für sich genommen tugend- oder lasterhaft sind (Kershnar 2015, S. xx [sic: römische Ziffern])[106].
Allerdings ist dieser Konflikt tiefgreifend und betrifft weit mehr als nur die Sexualität. Selbst Sokrates als großes Musterbeispiel eines tugendhaften Mannes gelang es nach gewöhnlichen Maßstäben nicht zu gedeihen, als seine Gemeinde ihn gewogen und insgesamt für zu leicht befunden hat. In anderer Hinsicht bestand seine größte Stunde aus der würdevollen Fassung, mit der er das Urteil annahm und den Schierlingsbecher leerte, wobei seine resolute Rationalität und Weisheit voll aufblühte. Wenn wir uns darauf einigen können, dass Sokrates in dieser Angelegenheit Recht hatte und seine Gemeinde Unrecht, dann können wir wohl auch der Ansicht beipflichten, die Kershnar in einem früheren Aufsatz folgendermaßen formuliert hat:
Im Allgemeinen … muss man vorsichtig damit sein, vorherrschenden moralischen Einstellungen zu gestatten, die moralische Unzulässigkeit einer Handlung festzustellen, selbst in Fällen, in denen diese Einstellungen durch Stigmatisierung und Scham zu Schäden bei den daran Beteiligten führen. Das gilt insbesondere, wenn die Einstellungen moralisch suspekt sind. Nehmen wir zum Beispiel den Sachverhalt im Fall Palmore v. Sidoti, 466 U.S. 429 (1984), der vom Verfassungsgericht entschieden wurde. Eine weiße Frau, die einen schwarzen Mann geheiratet hat und mit ihm in den Südstaaten wohnt, war mit ihrem Ex-Ehemann in einen Sorgerechtsstreit um ihr gemeinsames Kind verwickelt. Das erstinstanzliche Urteil fiel zugunsten des Mannes aus aufgrund der Schäden, welche das Kind wegen der gesellschaftlichen Stigmatisierung in einem rassistischen Umfeld wahrscheinlich erleidet. Das Verfassungsgericht hob das Urteil mit der Begründung auf, dass diesem Schaden im Lichte der Verfassung kein erhebliches Gewicht bei der Entscheidung zukomme, ob die Mutter das Sorgerecht verliert, wegen des unhaltbaren Charakters der gesellschaftlichen Stigmatisierung. Wenn sich – wie ich hoffe – ein vergleichbarer Ansatz im moralischen und in einem größeren rechtlichen Rahmen durchsetzt, dann ließe sich eine Handlung aufgrund der Abscheu der Allgemeinheit dagegen nur in Abhängigkeit davon verbieten, ob die Abscheu unabhängig gerechtfertigt ist. Dieser Aufsatz befürwortet den Schluss, dass die Abscheu vor Kind-Erwachsenen-Sex ungerechtfertigt ist, solange sich empirisch nicht zeigen lässt, dass er Schaden verursacht (Kershnar 2001, S. 128)[107].
Ich behaupte, dass ungerechtfertigte Abscheu genau das ist, was durch ein Wiederaufleben des Perversions- und Obszönitätsbegriffs als Waffe gegen Kind-Erwachsenen-Sex verstärkt würde.

7 Fazit

Die ethische Einordnung von Kind-Erwachsenen-Sex läuft, wie Kershnar gezeigt hat, unvermeidlich darauf hinaus, empirisch zu bestimmen, ob dieser im weitesten Sinne schädlich ist, wobei ich in dem Zusammenhang jeden Rückschlag für die Interessen einer Person einbeziehe sowie jede Verletzung ihrer Gefühle, wenn sie hintergangen, ausgenutzt oder „benutzt“ wurde. Der Schaden oder Nutzen aus einer beiderseitig gewollten sexuellen Interaktion kann körperlich, psychisch oder moralisch sein. Belege werden hinsichtlich aller dreien gebraucht und es gibt keinen guten Grund, aus dem solche Folgen für empirische Untersuchungen unzugänglich sein sollten.
Nicht dass solche Untersuchungen unproblematisch wären. Aus theoretischer Sicht sagt Malón – wie zuvor gezeigt wurde – zurecht: „Weil Wertvorstellungen aufeinanderprallen beim Gedanken an beachtliche Erotik, welche unter Kindern gedeiht, ist nicht verwunderlich, dass nicht leicht zu bestimmen ist, wer wirklich welche Art von Schaden davongetragen hat.“ (Malón 2017, S. 265). Das Problem ist hier negativ formuliert auf eine Weise, die das Problem betont statt die Möglichkeit seiner Lösung. Ähnlich äußert sich David Archard und nimmt dabei direkter auf soziale Normen Bezug: „Um zu wissen, ob einem Kind geschadet wurde, müssen wir seine normale Funktion und Entwicklung kennen. Doch es gibt schlicht keine allgemein anerkannte zeit- und kulturübergreifende Norm für kindliche Gesundheit und Entwicklung.“ (Archard 2015, S. 221)[108] Im Zusammenhang mit Praktiken wie schmerzhaften Initiationsriten und Genitalverstümmelung geht Archard auf das Problem des Kulturrelativismus ein, wenn er die Frage behandelt, ob eine bestimmte Praktik als Misshandlung gelten soll. Statt es schulterzuckend unter der Rubrik „zu schwierig“ einzuordnen, schließt er eine gründliche Diskussion an und kommt zu ethisch verbindlichen Wertungen.
Warum soll dagegen die sexuelle Dimension ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, sowohl was eine offene theoretische Diskussion anbelangt als auch – ganz unerlässlich – auf der Ebene der Datenerhebung, Hypothesenbildung und Prüfung? Leider geschieht all das kaum, besonders was die quantitative Forschung anbelangt. In sehr geringem Umfang gibt es jedoch üppig beschreibende, qualitative Explorationsstudien sowie die Mahnung, über den gewohnten Tellerrand westlicher Wohlstandsgesellschaften (engl. WEIRD societies) hinauszuforschen (Blaise 2013[109]; Leahy 1991, 1992; Narvaez 2016; Sandfort 1984, 1987).
Das von mehreren Autoren erstellte Sexual Development in Childhood, ein (wie man denken würde) prestigeträchtiges Buch von über 500 Seiten, herausgegeben von einem führenden Sexologen, hätte bei seinem Erscheinen 2003 einen gewaltigen Beitrag auf dem Gebiet erwarten lassen. Stattdessen war es weitgehend ein Zeugnis der sehr realen Schwierigkeiten, welche die Autoren bei der Beschaffung guter Informationen hatten (Bancroft 2003)[110]. Wenig scheint sich seither getan zu haben, obwohl es eine relativ aktuelle Überblicksarbeit solcher wissenschaftlichen Studien zum normalen Sexualverhalten von Kindern gibt (de Graaf und Rademakers 2011). Was wir dagegen im Überfluss haben, sind Belege dafür, dass die Erforschung kindlicher Sexualität mittlerweile so umstritten ist, dass man sie fast nicht mehr durchführen kann und solche Arbeiten gerne ausgegrenzt oder aktiv zensiert werden (Hubbard und Verstraete 2013[111]; Lilienfeld 2002[112]; Oellerich 2000[113]; Rind et al. 2000[114]). Der Begriff „kindliche Sexualität“ wird sogar zunehmend als Widerspruch in sich hingestellt (Angelides 2004)[115].
Unter diesen Umständen wäre ein vernünftiger Ansatz, erstmal die in begrenztem Umfang vorhandenen Belege fair zu berücksichtigen samt der Tatsache, dass sie nicht die landläufige Auffassung von kindlicher Unschuld stützen (Bancroft 2003; Leahy 1991, 1992; Martinson 1973[116], 1994[117]) und darauf hindeuten, dass beiderseitig gewollte sexuelle Kind-Erwachsenen-Beziehungen an sich nicht schädlich sind und nützlich sein können (Burns 2015; Kilpatrick 1992; Leahy 1991, 1992, 1996; Okami 1991; Rind 2003[118]; Rivas 2013; Sandfort 1987, 1992).
Die von Malón aufgeworfenen Fragen laufen nicht – wie er unterstellt – darauf hinaus, dass die deontologischen und konsequentialistischen metaethischen Systeme in Sachen Sex unzulänglich sind. Es bedarf keiner Tugendethik, um die Grenzen des Erlaubten zu bestimmen. Eine solche Ethik hilft uns vielleicht bei der Suche nach dem Ideal, welche aber nicht unbedingt zur Verdammung von Kind-Erwachsenen-Sex führt.
Schließlich will ich anmerken, dass Malóns Überlegungen ebenso wie die Scrutons anscheinend tief in der alten, aber mittlerweile weithin bestrittenen Behauptung wurzeln, dass der Mensch (und dessen Sexualität) sich so sehr von anderen Tieren unterscheide, dass er aus ethischen Gründen außerhalb der wissenschaftlichen Forschung stehe. Demnach müsse unsere Sexualität stattdessen anhand von Phänomenologie und Begriffsanalyse untersucht und bewertet werden. Auf die Ansicht näher einzugehen, dass menschliche und tierische Sexualität Teil eines Kontinuums sind und in zentralen moralischen Eigenschaften übereinstimmen, sprengt den Rahmen dieses Fachartikels. Hier reicht der Hinweis auf die rasche Entwicklung dieses Forschungsfelds (Haidt und Kesebir 2010[119]; Narvaez 2009; de Waal 1996[120]).

Fußnoten

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[4]Anhänger des Aristoteles (engl. neo-Aristotelians)
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[72]A. d. Hrsg.: Interessant für deutschsprachige Leser ist in dem Zusammenhang womöglich die folgende Neuauswertung der Kinsey-Daten zum ersten Koitus nach dem Eintritt der Pubertät, welcher oft schon unterhalb der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren erfolgt: Max Welter und Bruce Rind (2016). Das gesellschaftliche Konstrukt der sexuellen Selbstbestimmung im deutschen Recht - empirische Überlegungen. In Daniela Klimke, Rüdiger Lautmann (Hrsg.), Sexualität und Strafe, 11. Beiheft zum Kriminologischen Journal, Beltz Verlag, S. 207–222. Diese ist im selben Jahr – leicht abgewandelt – auch auf Englisch erschienen: Reactions to First Postpubertal Coitus and First Male Postpubertal Same-Sex Experience in The Kinsey Sample: Examining Assumptions in German Law Concerning Sexual Self-Determination and Age Cutoffs. International Journal of Sexual Health 2(28), 117–128.
[73]eigene Übersetzung aus der englischen Originalfassung.
[74]S. Spielberg (Dir.) (1975). Jaws. Universal City, CA: Universal Pictures. Zitierte Szene: ‚Jaws—Father and son‘. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=04mIMg4PTO8. Abgerufen: 6. Dezember 2017.
[75]A. d. Hrsg.: Wegen der Sein-Sollen-Dichotomie kann man von der Untersuchung dessen, was ist, nicht darauf schließen, was sein soll. In der Welt der Moral nimmt laut Michael Huemer ethische Intuition jedoch eine ganz ähnliche Rolle ein wie gewöhnliche Empirie: „… the function of observation, which it usually fulfils, is to correspond to the physical facts. Similarly, moral facts exist independently of our intuitions, but intuitions are our way of knowing about the moral facts; the function of ethical intuitions is to correspond to the moral facts.“ (M. Huemer (2008). Revisionary Intuitionism. Social Philosophy & Policy 25. S. 368-392.)
In dem Artikel zeigt Huemer, dass ethischer Intuitionismus entgegen dem ersten Eindruck nicht dazu führt, dass man im Status quo verhaftet bleibt – ein Punkt, den O’Carroll an der Endoxa kritisiert. Huemer verweist in dem Zusammenhang ausdrücklich auf das Gebiet der Sexualmoral: „What areas are most ripe for ethical revision? The area of sexual morality is probably the clearest case, since it is an area in which common moral attitudes exhibit multiple signs of unreliability.
Im Zusammenhang mit dem Zukunftsbild, das O’Carroll später zeichnet, ist vielleicht Huemers Blick auf den moralischen Fortschritt der Menschheit von Interesse: M. Huemer (2016). A Liberal Realist Answer to Debunking Skepticism: The Empirical Case for Realism. Philos Stud 173: 1983.
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[84]A. d. Hrsg.: Zu einem anderen, liberalen Verständnis und einer Verteidigung des Bürgertums siehe die Trilogie der Volkswirtin Deidre McCloskey (Bourgeois Virtues, Bourgeois Dignity, Bourgeois Equality), die als Transgender offensichtlich mit dem Bürgertum nicht die Intoleranz verteidigen will.
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[104]E. Whelan (2017). A year of sexual unfreedom: #MeToo speaks to a misanthropic panic about unpoliced sex. Spiked (22. Dez.). http://www.spiked-online.com/newsite/article/a-year-of-sexual-unfreedom/20671. Abgerufen: 3. April 2018.
[105]oder wörtlicher übersetzt (engl. prudential) und in der Sprache der Tugendethik: „der Klugheit geschuldet“, A. d. Ü.
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