Zusammenfassung
Bions Arbeiten sind aus dem psychoanalytischen Diskurs nicht mehr wegzudenken. Trotzdem besteht eine große Unklarheit darüber, wie sein Werk im psychoanalytischen Theorienpluralismus eingeordnet werden soll. Einigen gilt er als Revolutionär, weil er vertraute Denkweisen der Psychoanalyse infrage stelle. Andere wiederum lehnen ihn ab, weil seine Arbeiten, insbesondere durch ihre Anlehnung an eine mathematische und geometrische Terminologie schwer verständlich sind. Seine zentralen Begriffe wie Container und Containen, Alpha- und Beta-Elemente fehlen mittlerweile in keiner psychoanalytischen Arbeit. Dabei entsteht jedoch der Eindruck, dass sie wie Schlagwörter verwendet werden, ohne Reflexion auf ihren philosophiegeschichtlichen und psychologischen Hintergrund. Deshalb soll hier der wissenschaftstheoretische Hintergrund seines Werkes herausgearbeitet werden. Das wissenschaftstheoretische Konzept der „Gegenstandsbildung“ bildet dabei das Gerüst für diese Untersuchung. Vor diesem Hintergrund werden an das Werk Bions folgende Fragen gestellt: Lässt sich von den Strukturen einer idealen geometrischen Wirklichkeit her Psychisches angemessen beschreiben? Was bedeutet es für die Psychoanalyse, wenn sie als ein deduktives System gefasst wird? Welches Bild einer psychischen Wirklichkeit stellt er mit seiner Begrifflichkeit heraus?
Abstract
In the psychoanalytical discourse the work of Bion has become indispensable. Nevertheless, it is still uncertain how his work should be classified in the psychoanalytical pluralism of theory. He is considered by some as a revolutionary, because he would question established ways of psychoanalytical thinking. Others rejected him, because his work with mathematical and geometrical terminology is difficult to understand. His central concepts, such as container and contained, alpha and beta elements are meanwhile present in all psychoanalytical works; however, this creates the impression that these concepts are used as catchwords without thinking about their philosophical, historical and psychological background. This article elaborates this philosophical historical background of his work. The scientific theoretical concept of “Gegenstandsbildung” (scientific object formation) forms the scaffold for this investigation. Against this background the following questions are posed on Bion’s work: is it possible to appropriately describe something psychic from structures of an ideal geometrical reality? What does it mean for psychoanalysis if it is comprehended as a deductive system? Which image of a psychic reality does he point out with his terminology?
Notes
Bei diesem Zitat handelt es sich um ein Zitat Freuds (Freud 1911b).
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Danksagung
Ich danke Herrn Michael Buchholz und Herrn Gödde für ihre wertvollen und kritischen Anmerkungen zu der vorliegenden Arbeit.
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W. Pohlmann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Pohlmann, W. Das Werk von Wilfred R. Bion. Forum Psychoanal 35, 53–72 (2019). https://doi.org/10.1007/s00451-018-0321-3
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