Die ästhetische Darstellung des Inzests und dessen Bedeutung in Lola Arias’ Theaterstück "La escuálida familia"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Kulturelle Bedeutung des Inzesttabus in der menschlichen Gesellschaft
2.1.1 Definition zu Inzest, Tabu und Inzesttabu
2.1.2 Charakter und Bedeutung des Inzesttabus nach Claude Lévi-Strauss
2.2 Ästhetische Darstellung des Inzests in La escuálida familia
2.2.1 Das Inzestmotiv der Verdunkelung der Welt
2.2.2 Das Inzestmotiv der utopischen Landschaft
2.2.3 Sprechende Namen der Charaktere
2.2.4 Mythisierung des Inzests
2.3 Inzest als Chiffre für gesellschaftliche Gewalterfahrung im Theaterstück
2.3.1 Diskurs des Vaterschaftsbegriffs
2.3.2 Diskurs des Familienbegriffs

3 Fazit

4 Schluss

5 Literatur

1 Einleitung

Das Thema Inzest hat schon immer eine Faszination auf die Menschen ausgeübt. In der modernen Gesellschaften ein absolutes Tabu, wurde es seit jeher in der Kunst thematisiert. Das bekannteste Beispiel dürfte Sophokles’ Drama König Ödipus [1] sein. Sigmund Freud fand diesen Mythos so grundlegend, dass er den Begriff des Ödipuskomplex’[2] in die moderne Psychologie einführte.

Was macht die Faszination dieses Themas aus? Der Inzest wirft die Frage nach dem Grund und dem Ursprung des menschlichen Lebens auf, seine Besonderheit liegt in seiner spezifischen Kopplung von Liebe, Begehren, Verbot und Überschreitung. Damit rührt er, wie Claude Lévi-Strauss aufzeigt, an der subjektiven, kulturellen und gesellschaftlichen Existenz des Menschen.[3]

Aufgrund seiner Behandlung als absolutes Tabu muss sich seine Thematisierung immer mit Verbot und Überschreitung auseinandersetzen. Obwohl oder gerade deswegen, weil die Inzestthematik an die Grenzen des Sagbaren stößt, ist sie ein gängiges Thema in Literatur, Film und Theater. Der Problemhorizont des Inzests wird dabei grundsätzlich etwas anderes diskutiert als in Wissensdisziplinen wie der Psychologie oder der Rechtswissenschaft. Inzest ist mehr als nur sexuelle Handlung, sondern Reflexionsfigur des Erzählens selbst.[4]

In der Auseinandersetzung mit der ästhetischen Darstellung des Inzests und durch das Aufzeigen der gewählten Problemkonstellationen wird es möglich, die besondere Relevanz der Inzestthematik in der Kunst zu verstehen. Zum Beispiel fand Inzest vermehrt Eingang in die deutsche Literatur nach 1945. Autoren wie Max Frisch[5] oder Ingeborg Bachmann[6] thematisierten ihn in ihren Werken. Dagmar von Hoff kommt in ihrer Studie Familiengeheimnisse. Inzest in Literatur und Film der Gegenwart zu dem Schluss, dass in der Inzestthematik der ‚Zivilisationsbruch’ des Holocausts Ausdruck findet[7] ; sie versteht Inzest in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur als Umdefinition des Blutschandebegriffs der Nazis[8].

Auch in der argentinischen Literatur treffen wir auf die Behandlung der Inzestthematik nach Beendigung der Militärdiktatur. Lola Arias thematisiert es mehrmals in ihrem literarischen Schaffen. Das Gedicht Berlín [9] greift den Inzest zwischen Geschwistern auf, Las hermanas [10] thematisiert Degeneration als Folge von Inzest und La rea durmiente fokussiert den elterlichen Inzest anhand der kranken Mutter. La escuálida familia [11], ein Theaterstück, das sie im Jahre 2001 verfasste, erzählt eine inzestuös gefärbte Familiengeschichte. In diesem Stück zeigt uns Lola Arias, was passiert, wenn die ‚Regel aller Regeln’, die die menschliche Existenz definieren, gebrochen wird und greift dabei auf bekannte und neue Darstellungsweisen der Inzestthematik zurück.

Meine Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die ästhetische Dimension des Inzests in La escuálida familia zu erklären. Meine These ist, dass hier Geschichte als Familiengeschichte[12] erzählt wird. Der Inzest steht als Chiffre für die gesellschaftliche Gewalterfahrung während der Militärdiktatur. Diese Behauptung werde ich anhand einer Analyse der verschiedenen Inzestmotive und durch den Diskurs des Vaterschafts- und Familienbegriffes im Theaterstück beweisen.

Meine Arbeit gliedert sich folgendermaßen: Im ersten Teil werde ich auf den Ursprung von Inzest, Tabu und schließlich dem Inzesttabu eingehen. Dann werde ich die kulturelle Bedeutung des Inzesttabus für die menschliche Gesellschaft anhand der Thesen Claude Lévi-Strauss’ erklären. Im zweiten Teil meiner Arbeit werde ich mich mit der ästhetischen Darstellung der Inzestthematik im Theaterstück beschäftigen, indem ich zunächst die von Lola Arias gewählten Motive aufzeigen und erklären werde. Danach werde ich die Darstellung des Inzests als Chiffre für gesellschaftliche Gewalterfahrungen in Argentinien während der Militärdiktatur diskutieren und dabei auf den Diskurs des Vaterschafts- und Familienbegriffs eingehen und zum Abschluss die Bedeutung des Inzestmotivs für die Darstellung gesellschaftlicher Gewalt diskutieren.

2. Hauptteil

2.1 Kulturelle Bedeutung des Inzesttabus in der menschlichen Gesellschaft

2.1.1 Definition zu Inzest, Tabu und Inzesttabu

Unter der Rubrik ‚Inzest’ findet man im Duden[13] folgende Definition: „sexuelle Beziehungen zwischen engsten Blutserwandten“, als Synonym angegeben wird „Blutschande“.

Da Inzucht Erbkrankheiten begünstigt, ist Inzest in vielen Staaten gesetzlich verboten. So wird Inzest in Deutschland juristisch als „Beischlaf unter Verwandten“ bezeichnet und gemäß §173 des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft. Nichtwissen um den Familiengrad, zum Beispiel um den Geschwisterstatus, bleibt straffrei. Diese Gesetze sollen dem Schutz des Familienverbandes dienen.

Somit hat das Inzestverbot heutzutage aufgrund unseres Wissenstands über Genetik sehr rationale Gründe. Doch bereits vor diesem Wissen um Erbgutschädigung war Inzest – von einigen Ausnahmen[14] abgesehen – in fast allen bekannten Gesellschaften ein Tabu und wurde in den meisten Kulturen mit schwersten Strafen belegt.[15] Seinen Ursprung findet das Inzesttabu in den jahrhundertealten Moralvorstellungen des Tabus. Das Wort ‘tabu’ kommt aus dem Polynesischen und bedeutet soviel wie unantastbar, heilig, verboten. Es ist religiös motiviert und bezieht sich gleichermaßen auf den Bereich des Heiligen als auch des Unreinen.[16] Allgemein betrachtet ist es ein Verbot oder Meidungsgebot, das durch gesetzliche oder aber übernatürliche Sanktionen - beispielsweise in Naturvölkern, die dem Inzest magisch-mystische Fähigkeiten nachsagen - verstärkt wird und den Geschlechtsverkehr oder die Heirat zwischen bestimmten festgelegten Kategorien der Verwandtschaft verbietet. Ursprünglich diente die Tabusitte in Händen von Häuptlinge und Adelsschicht oft als ein Machtmittel, der viele Rechtsnormen entsprangen.

In Gesellschaften ohne ausgebildeten Justizapparat (besonders bei den „primitiven“ Völkern) ersetzt die von Kindheit anerzogene Beachtung von Tabus, die oft ein kompliziertes Regelsystem bildet, den Gesetzescodex. Während Gesetze oft von wenigen Spezialisten ausgearbeitet und daher nicht immer von allgemeiner Zustimmung getragen sind, bilden die Tabus ein in einer Kultur anerkanntes grundlegendes Verhaltenssystem. (Brockhaus 1994)

Diente das Tabu bei Naturvölkern noch als ein religiös motiviertes Regulativ, hat es diesen Charakter in der modernen Gesellschaft verloren. Diese hat sich anstelle von Tabus Gesetze gegeben. Dennoch existieren Tabus weiter, wenn auch in abgeänderter Form. Man spricht im übertragenen Sinn von Tabu, wenn bestimmte Themen durch stillschweigende Übereinkunft der öffentlichen Erörterung entzogen sind. So können zum Beispiel auch Wörter tabu sein. „Tabu deckt sich in seinem Bedeutungsumfang nicht mit dem Lateinischen ‚sacer’, wie verschiedentlich angenommen wurde, obwohl fraglos viele Tabuvorstellungen auf religiösen Anschauungen beruhen.“[17] So können durchaus profane Gesichtspunkte ausschlaggebend sein, wie zum Beispiel der Schutz persönlichen Eigentums.[18]

Gemäss Brockhaus scheinen Tabus sich auf eine unbewusste Akzeptanz zu gründen, die allen Mitgliedern einer Gesellschaft gemein ist. Auch wenn diese Definition plausibel klingt, ist sie doch nicht zufriedenstellend: Sie gibt keine Auskunft über den spezifischen Charakter von Tabus: Was Tabus unentbehrlich macht und worin ihre Besonderheit liegt, bleibt unbeantwortet.

Dagmar von Hoff erklärt den Charakter des Tabus folgendermaßen: „Das Tabu löst das Gefühl der Faszination und der Ambivalenz aus. Es ist geheimnisvoll und fremdartig. Seine beunruhigende Kraft korreliert mit seiner Doppeldeutigkeit, die bereits das Wort incestus kennzeichnet: enthält es doch die Spannung von ‚rein’ und ‚unschuldig’ (castus) und ‚unrein’ und ‚sündenhaft’ (incestus). Somit lässt sich das Tabu nicht unter eine Kategorie zwingen, weshalb mit dessen Überschreitung Perspektiven von Möglichkeiten und Freiheiten – jenseits des gesellschaftlichen Lebens – verbunden sind.“[19]

Tatsächlich ist das Inzesttabu eine der frühesten Kulturleistungen der Menschheit. Die moderne Gesellschaft hat das Tabu nicht hervorgebracht, sondern überall nur geerbt.[20] Gemäß Messelken ist es die Institution, die schon auf der primitivsten der uns bekannten Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung bestand. Für Georg Simmel[21] stellt das Inzesttabu eine der größten Errungenschaften der Menschheit dar und ist damit strukturgebendes Prinzip der menschlichen Gesellschaft. Sein kulturstiftender Akt besteht im Hinausdenken über die Grenzen und im Respektieren des Unwissbaren bzw. des Vorenthaltenen. Der Ethnologe Marshall D. Sahlins sieht im Inzestverbot ein wichtiges Element der Menschwerdung und menschlichen Vergesellschaftung[22] und Claude Lévi-Strauss erklärt es sogar zu der Grundlage der menschlichen Vergesellschaftung überhaupt.

Um die Bedeutung des Inzesttabus für die menschliche Gesellschaft zu klären, werde ich im nächsten Schritt Claude Lévi-Strauss’ Definition zu Charakter und Bedeutung des Inzesttabus anführen.

2.1.2 Charakter und Bedeutung des Inzesttabus nach Claude Lévi-Strauss

Claude Lévi-Strauss zählt zu den wichtigsten Anthropologen des 20. Jahrhunderts. Er gilt als Begründer des anthropologischen Strukturalismus, der durch Rekonstruktion sozialer und mythischer Gesetzmäßigkeiten einen Zugang zu primitiven Kulturen unabhängig vom Ethnozentrismus europäischer Prägung sucht.[23] In seiner Studie „Les structures élémentaires de la parenté“[24] begründet er ein Mensch-Sein, indem er die Notwendigkeit des Inzesttabus für die menschliche Gesellschaft definiert. Ich berufe mich auf Claude Lévi-Strauss Theorien, da seine strukturelle Anthropologie mit ihrer Suche nach kulturellen Universalien trotz neuerer Studien wesentlich bleibt, um die Bedeutung des Inzesttabus als Garant für Gesellschaft und Zivilisation zu verstehen“[25].

Die Besonderheit des Inzesttabus sieht Claude Lévi-Strauss in dessen Ambivalenz begründet, da es gleichermaßen „natürlichen“[26] und „kulturellen“[27] Ursprungs ist.

Wir wir bereits unter Punkt 2.1.1 gesehen haben, ist das Inzesttabu eine Regel oder eine Norm. Da Regeln von Gesellschaften hervorgebracht werden, muss das Inzesttabu kulturell begründet sein.[28] Gleichzeitig ist es aber auch „pré-sociale“, also vorkulturell, da es beispielsweise die menschliche Paarung reguliert, und somit „natürlich“:

La prohibition de l’inceste n’est, ni purement d’origine culturelle, ni purement d’origine naturelle; et elle n’est pas, non plus, un dosage d’éléments composites empruntés partiellement à la nature et partiellement à la culture. (Lévi-Strauss 1968: 29)

Cette règle, sociale par sa nature de règle, est un même temps pré-sociale à un double titre: d’abord, par son universalité, ensuite, par le type de relations auxquelles elle impose sa norme. (Lévi-Strauss 1968: 15)

Der Menschen ist sowohl durch seine soziale Umgebung als auch durch seine Natur determiniert.[29] Das Inzesttabu ist nach Lévi-Strauss der Übergang, in dem die Natur aufhört beim Menschen als souveräne Herrschaft zu existieren. Es ist der Prozess, in dem die Natur sich selbst übersteigt. Das Inzestverbot ist somit der Schnittpunkt von Natur und Kultur und verbindet somit in einzigartiger Weise die biologische mit der sozialen Existenz des Menschen.

[…] avant elle, la culture n’est pas encore donnée; avec elle, la nature cesse d’exister, chez l’homme, comme un règne souverain. La prohibition de l’inceste est le processus par lequel la nature se dépasse elle-même: […] (Lévi-Strauss 1968: 29)

Lévi-Strauss betrachtet das Inzestverbot als Kulturleistung sowie als deren eigene Voraussetzung, als Grundlage der menschlichen Vergesellschaftung überhaupt.

Règle qui étreint ce qui, dans la société, lui est le plus étranger; mais, en même temps, règle sociale qui retient, dans la nature, ce qui est susceptible de la dépasser; la prohibition de l’inceste est, à la fois, au seuil de la culture, dans la culture, et, en un sens – nous essaierons de le montrer – la culture elle-même. (Lévi-Strauss 1968: 14)

Tritt ein Phänomen weltweit in gleicher oder ähnlicher Weise auf, entzieht es sich zwangsläufig dem Bereich der Bräuche und Traditionen und ist somit universal.

Symétriquement, il est aisé de reconnaître dans l’universel le critère de la nature. Car ce qui est constant chez tous les hommes echappe nécessairement au domaine des coutumes, des techniques et des institutions par lesquelles leurs groupes se différencient et s’opposent. […] Car la prohibition de l’inceste [...] elle constitue une règle, mais une règle, qui seule entre toutes les règles sociales, possède en même temps un caractère d’universalité. (Lévi-Strauss 1968: 10)

Obwohl Claude Lévi-Strauss bekannt war, dass Inzest in bestimmten Kulturen erlaubt war, beharrte er auf seiner Universalitätsthese: Auch in diesen Kulturen sei Inzest reglementiert gewesen, so dass Inzest oder Inzestheiraten nicht zwischen allen Verwandten, sondern nur zwischen bestimmten Gruppen erlaubt gewesen seien.[30]

Die Universalität des Inzesttabus ist die umstrittenste These Claude Lévi-Strauss’ und ist vielfach diskutiert worden. Nikolaus Sidler hat mit seiner Studie Zur Universalität des Inzesttabus. Eine kritische Untersuchung der These und der Einwände [31] den wohl umfassendsten Beitrag zu diesem Thema geleistet. Er kommt zu dem Schluss, dass, obwohl es tatsächlich Inzestehen in Alt-Ägypten und im Alt-Iran gab, es keine Gesellschaft jemals gab, „in der die Inzesterlaubnis in unvordenkliche Zeit zurückreicht und so als ursprünglich bestehender Zustand deutbar wäre“.[32] Damit bestätigt er die Universalität des Inzesttabus, da es sich für alle menschlichen Gesellschaften ausgebildet hat, so dass, wenn man das Inzesttabu als ein wichtiges Element der Vergesellschaftung der Menschheit betrachtet, die Universalitätsthese seine Bedeutung beibehält. Die Annahme allerdings, es habe sich in allen Gesellschaften erhalten, ist widerlegt.[33]

2.2 Ästhetische Darstellung des Inzests in La escuálida familia

Nachdem ich die Bedeutung des Inzesttabus für die menschliche Gesellschaft erläutert habe, möchte ich nun unter dem Aspekt der gewonnenen Erkenntnisse auf die Darstellung und Behandlung der Inzestthematik in La escuálida familia zu sprechen kommen. Dazu werde ich die Motive, die Lola Arias als Darstellung für den Inzest wählt, darstellen und ihre Bedeutung erklären. Danach möchte ich auf die ästhetische Dimension des Inzests als Thema in der Literatur zu sprechen kommen. Doch zuvor erscheint scheint es mir sinnvoll, einen kurzen Überblick über die Inzestvorfälle im Theaterstück anhand einer knappen Inhaltsangabe zu geben, um eine Übersicht zu gewährleisten.

Das Theaterstück La escuálida familia ist durchzogen von der Inzestthematik: Vater und Mutter sind Geschwister und aus Andeutungen können wir kombinieren, dass auch ihre Eltern eine Inzestheirat eingegangen haben müssen. Zudem werden alle Familienmitglieder als degeneriert beschrieben. Diese Inzeste sind unwissentlich begangen worden, im Gegensatz zu dem Inzestvorfall zwischen dem Vater und seiner Tochter Lisa, den wir als Kindesmissbrauch betrachten können, und dem zwischen den Geschwistern Luba und Reo, der aber freiwillig geschieht.

Die Geschichte nimmt ihren Anfang, als die beiden Schwestern Luba und Lisa ein „huerfano“ im Schnee finden und mit nach Hause nehmen. Sie nennen das Waisenkind, das eigentlich ein junger Mann ist, Reo. Mit ihrer Hilfe lernt Reo, der unter Wölfen aufwuchs, sprechen und schon bald erkennt die tablettensüchtige Mutter in Reo ihren als Baby ausgesetzten Sohn. Ausgesetzt wurde er, da er Anzeichen von Idiotie aufwies. Beide Schwestern verlieben sich in Reo, was die Eifersucht des Vaters weckt. Als Lisa schwanger ist, scheint es erwiesen, dass Reo der Vater des Kindes sein muss und so wird die Hochzeit der beiden arrangiert. Erkennend, dass mit der Schwangerschaft Lisas die Degeneration und der Inzest der Familie fortgesetzt wird, bringt sich die Mutter um, da sie sieht, dass sie dem Kreislauf des Inzest nicht entkommen können.

Als Reo, der sich in Luba verliebt hat, ihr beteuert, dass er nicht der Vater des Kindes ist, muss Luba den Missbrauch des Vaters an ihrer Schwester erkennen. Reo und Luba beschließen daraufhin, den Vater zu töten. Als sie aber aus Versehen Lisa, die sich in des Vaters Bett aufhält, erschießen, gestehen sie sich trotz aller vorherigen Skrupel ein, dass der Weg für ihre Liebe nun frei ist.

Als der Vater nichtsahnend Fleisch, dass er auf seinem Rückweg einer Gruppe Wölfe entreisen konnte, als Hochzeitsmahl mitbringt, steigert er die Abscheulichkeiten ins Monströse, da dies die sterblichen Überreste der Mutter sind. Als er als Brautvater seine Tochter an Reo übergeben soll, erkennt er Luba unter dem Schleier. In einem Kampf tötet Reo den eigenen Vater. Zurück bleiben Luba und Reo, die die Familientradition fortsetzen, indem sie heiraten und eine Familie gründen wollen. „Fundaremos entonces una familia de idiotas y viviremos felices en el fin de la nieve.“[34]

[...]


[1] Sophokles: König Ödipus. Übertr. und hrsg. von Wolfgang Schadewaldt. Frankfurt a. M.: Insel-Verlag., 1992.

[2] Freud, Sigmund: Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. Frankfurt a. M: Fischer Verlag, 2002.

[3] Vgl. Hoff, Dagmar von: Familiengeheimnisse. Inzest in Literatur und Film der Gegenwart. Köln: Böhlau Verlag, 2003, S.1.

[4] Vgl. Ebd., S.28.

[5] Frisch, Max: Homo Faber. Ein Bericht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1998.

[6] Bachmann, Ingeborg: Das Buch Franza. In: “Todesarten”-Projekt. Bd.2. München, Zürich: Piper, 1995.

[7] Vgl. Hoff, S.186.

[8] Vgl. Ebd., S.3.

[9] Dieses Gedicht wurde in der elektronischen Zeitschrift Los amigos de lo ajeno. Otra poesia hispanoamericana veröffentlicht und ist unter http://www.amigosdeloajeno.org/main.php?file=65.txt einsehbar.

[10] Die beiden Gedichte Las hermanas und La rea durmiente sind in der Online-Bibliothek Biblioteca Zapatos Rojos unter http://www.zapatosrojos.com.ar/Biblioteca/Lola%20Arias.htm zu finden.

[11] Arias, Lola: La escuálida familia. Buenos Aires: Libros del Rojas, 2001.

[12] Vgl. Hoff, S.3.

[13] https://www.duden.de/rechtschreibung/Inzest

[14] Vgl. hierzu Punkt 2.1.2.

[15] Siehe www.medicine-worldwide.de, www.wissen.de und Brockhaus - die Enzyklopädie: in vierundzwanzig Bänden. Mannheim: F.A. Brockhaus, 1994.

[16] Vgl. Hoff, S.32.

[17] Vgl. Ebd., S.32.

[18] Ebd., S.32.

[19] Ebd., S.5.

[20] Messelken, Karlheinz: Inzesttabu und Heiratschancen. Ein Versuch über archaische Institutionsbildung. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1974, S. 34.

[21] Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe Bd.2. Hrsg. v. Otthein Rammstedt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999.

[22] Sahlins, Marshall D.: The Social Life of Monkeys, Apes and Primitive Men. In: Readings in anthropology. Readings in cultural anthropology. Volume 2. Hrsg. von Morton H. Fried. New York: Thomas Y. Crowell Company, 1959, S. 196.

[23] Vgl. Brockhaus.

[24] Lévi-Strauss, Claude: Les structures élémentaires de la parenté. Paris: La Haye, 1968.

[25] Hoff, S.56.

[26] Siehe Lévi-Strauss, S.8: Lévi-Strauss verwendet den Begriff „état de nature“.

[27] Neuere Übersetzungen ziehen den Begriff ‘état de culture’ dem von Lévi-Strauss ursprünglich eingeführten Begriff ‘état de société’ vor. Siehe dazu Lévi-Strauss, Fußnote S.8.

[28] Siehe Ebd., S.10: „Que la prohibition de l’inceste constitue une règle n’a guère besoin d’être démontré […]” […] „Partout où la règle se manifeste, nous savons avec certitude être à l’étage de la culture.

[29] Ebd., S.3 : „L’homme est un être biologique en même temps qu’un individu social. Parmi les réponses qu’il fournit aux excitations extérieures ou intérieures, certaines relèvent intégralement de sa nature, d’autres de sa condition: [...]”.

[30] Ebd., S.9.

[31] Sidler, Nikolaus: Zur Universalität des Inzesttabus. Eine kritische Untersuchung der These und der Einwände. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1971.

[32] Ebd., S.153.

[33] Vgl. Ebd., S.175.

[34] Arias, S.44.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die ästhetische Darstellung des Inzests und dessen Bedeutung in Lola Arias’ Theaterstück "La escuálida familia"
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Argentinisches Theater der Gegenwart
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
31
Katalognummer
V122824
ISBN (eBook)
9783668711136
Dateigröße
611 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
darstellung, inzests, bedeutung, lola, arias’, theaterstück
Arbeit zitieren
Eva-Maria Dewald (Autor:in), 2003, Die ästhetische Darstellung des Inzests und dessen Bedeutung in Lola Arias’ Theaterstück "La escuálida familia", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122824

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