Der Zustand des Reiches aus der Perspektive der Sangspruchdichtung von Walther von der Vogelweide


Seminararbeit, 2003

16 Seiten, Note: 1,0 sehr gut


Leseprobe


1. Vorinformation

Walther von der Vogelweide gilt als der erste mittelalterliche Dichter, der sowohl Minnelyrik als auch politische Sangspruchdichtung verfasst. In seinen Tönen spielt er oftmals auf die politische Situation im Reich an. Er übt Kritik an dem jeweiligen Herrscher oder lobt diesen und bittet um finanzielle Unterstützung.[1]

Zu Walthers Lebzeiten gibt es genügend wichtige politische Ereignisse, die es wert sind, besungen zu werden. Drei große Ereignisse, die Walther ausführlich kommentiert, sind die Doppelwahl von 1198, die Krönung Ottos IV. nach der Ermordung des Staufers Philipp von Schwaben und das Doppelkönigtum von Otto IV. und Friedrich II., das zur Abdankung Ottos und der Krönung des Kindkönigs Heinrich VII. führte.

Man nimmt an, dass Walther dem niederen Adel entstammt und somit die Möglichkeit hatte, eine Schule zu besuchen. Die Dichtkunst erlernt er eventuell am Wiener Hof. Er ist nicht belehnt, hat also keinen festen Wohnsitz. Dies zwingt ihn dazu, im Reich herumzureisen um an verschiedenen Höfen Station zu machen, um sich den Lebensunterhalt zu „ersingen“. Als fahrender Sänger ist er darauf angewiesen, potente Mäzene zu haben, die ihn unterstützen. Er bezieht in seinem Leben politische Stellung zu verschiedenen Herrschern als Kritiker und wechselt dabei häufig seinen Standpunkt.

Die vorliegende Hausarbeit zum Thema „Der Zustand des Reiches aus der Perspektive der Sangspruchdichtung Walthers von der Vogelweide“ soll einen Überblick über die politische Sangspruchdichtung geben. Die Analyse ist in vier Aspekte untergliedert, weil es hauptsächlich die vier Könige und Kaiser dieser Zeit sind, die Walther in seinen Texten erwähnt und die reichspolitisch relevant waren. Kleinere Fürsten und der Papst werden nicht behandelt. In der Hausarbeit werden Strophen bearbeitet, in denen die Reichsherrscher direkt angesprochen werden oder indirekt erwähnt werden. Außerdem sind sowohl positive als auch negative Strophen dargestellt, um zu zeigen, wie weitgefächert das Spektrum von Walthers Dichtkunst war. Es werden Strophen zu Philipp von Schwaben, Otto IV., Friedrich II. und Heinrich VII. aus Walthers Sangsprüchen vorgestellt, kommentiert und analysiert, so dass Walthers politische Einstellungen und der geschichtliche Hintergrund deutlich werden. Hierzu wird Fachliteratur zu Rate gezogen und zu jeder Strophe zusammenfassend dargestellt. Die Hausarbeit ist der Versuch, die politischen Ereignisse von ungefähr 1198 bis 1230, die durch Walther kommentiert werden, aufzuzeigen und mit Hilfe der Fachliteratur einen Überblick über Walthers politische Sangspruchdichtung zu geben.

2. Sprachliche und inhaltliche Analyse von Walthers Spruchdichtung

2.1. Philipp von Schwaben

Der Staufer Philipp von Schwaben (1178-1208) gehört zu den Nachfahren Friedrichs I. (1152-1190), auch Barbarossa genannt. Barbarossa einigt sich mit dem Anführer der welfischen Partei, Heinrich dem Löwen, als es um Machtansprüche im Reich geht. Sein Nachfolger, Kaiser Heinrich VI. (1165-1197), plant, dass die Staufer den alleinigen Herrschanspruch im deutschen Reich haben, dieses Vorhaben scheitert jedoch am Widerstand einiger deutscher Fürsten. So bleibt die Tradition des Kaiserwahlrechts erhalten und die Einführung der Erblichkeit der Reichslehen bleibt auf der Strecke. Heinrich VI. herrscht über das damalige Deutschland, Italien, Burgund und Sizilien. Nach seinem plötzlichen Tod 1197 ist sein Sohn Friedrich Roger erst 3 Jahre alt und damit zu jung für den Kaisertitel. Der Erbstreit zwischen Welfen und Staufern entbrennt aufs neue (vgl. Hug 180f).

2.1.1. Die Reichsklage L 8,4

Die Reichsklage (L 8,4) ist der bekannteste Text aus Walthers politischer Dichtung. Außerdem gehört Strophe L 8,4 zu den ersten der deutschen politischen Sangspruchdichtung (vgl. Wilmanns 71). Es handelt sich hierbei um eine „allgemeine Zeitklage“ (Schweikle 336), mit welcher der Dichter die politischen Umstände um 1200 aufzeigt. Er beschreibt das Land als ein von Unruhe und Bürgerkrieg gebeuteltes Reich, das von Untreue und Gewalt beherrscht wird.

Er beginnt mit einer stereotypen Eingangsformel, wie sie schon in der Antike (vgl. Schweikle 338) und in der Bibel gebräuchlich war: Im Alten Testament sitzen Abraham, Jakob und Joseph während ihrer Visionen ebenfalls auf Steinen (vgl. Scholz 45). Walther zeichnet hier also keinesfalls ein Selbstporträt, sondern will die Aufmerksamkeit des Zuhörers gewinnen: Das „Ich“ (L 8,4) steht für „etwas Überindividuelles“ (Scholz 45) und verkörpert eine Autorität (vgl. Scholz 45). Der Sänger setzt sich mit dieser Eingangsformel mit den Denkern und Philosophen der Vergangenheit auf eine Stufe.

Er fährt mit der Benennung von „driu dinc“ (L 8,12) fort, jenen Gaben, die notwendig sind, um auf Erden zu bestehen: Das materielle Gut, die Ehre und die Huld Gottes. Allerdings ist es zu Lebzeiten Walthers besonders schwierig, diese Gaben zu erlangen, denn die Grundlagen für sie, nämlich „fride unde reht“ (L 8,26), sind nicht gegeben. Mit dem Tod des Staufers Heinrichs VI. wird das Land von Unfrieden heimgesucht. Heinrichs VI. jüngerer Bruder Philipp von Schwaben erhebt genauso Anspruch auf die Regentschaft wie der Welfe Otto von Braunschweig. Es kommt 1198 zu einer Doppelwahl: Beide werden zum König ernannt und gekrönt. Philipp erhält die Reichsinsignien, wird aber nicht am traditionellen Ort Aachen gekrönt. Ottos Krönungszeremonie dagegen findet dort statt, allerdings ohne Reichsinsignien (vgl. Schweikle 335f).

Dieser Zwist hat Unruhen und einen Bürgerkrieg zur Folge, „stíg unde wege“ (L 8,23) sind Frieden und Recht versperrt, Gewalt beherrscht die Straßen. „fríde unde reht“ (L 8,26) treten als Personifikationen genauso wie „untriuwe“ (L 8,24) und „gewalt“ (L 25) (vgl. Scholz 46) auf und verdeutlichen so noch einmal ihren Einfluss auf diese Zeit. Wegen des Thronstreits „diu driu enhabent geleites niht“ (L 8,26): Mit diesem Reisebild (L 8,23 bis 8,27) schließt Walther die Reichsklage.

2.1.2. Die Weltklage L 8,28

Die Verse der Weltklage (L 8,28) stehen im Zusammenhang mit der Reichsklage (L 8,4), sie ist im gleichen Zeitraum datiert, also um 1198. Man erkennt diese Verbindung daran, dass beide Strophen mit „Ich“ (L 8,4 und L 8,28) beginnen und sie sich zudem im Aufbau ähneln: Bei beiden liegen 22 Reimpaare und eine abschließende Gruppe aus drei Versen vor, was zur Folge hat, dass beide auch gleich lang sind. Am Ende der beiden Strophen werden Fazite gezogen in Form von Langzeilen (Schweikle 337): L 8,27/28 und L 8,50/51. Allerdings handelt es sich bei der Weltklage um „Klagen über eine defizitäre weltlich-politische Gewalt“ (Schweikle 336) und spricht damit genauer die politischen Zustände an (L 8,44-52). Sie ist spezifischer, denn „Philippe“ (L 8,51) ist am Ende des Textes direkt angesprochen.

Der Text beginnt mit der Beschreibung der Natur (L 8,28 bis L8,43), welche jedoch nicht als Erlebniserzählung, sondern zur Verdeutlichung der Weltanschauung des Autors dient. Auffallend ist hierbei das wiederholte Auftreten der Zahl vier in der Natur, die bibeltypisch ist (vgl. Scholz 47): Er benennt vier Tierarten, vier Lebensbereiche und vier Fortbewegungsarten (vgl. Scholz 47). Walther ist der Meinung, dass „haz“ (L 8,35) ein Bestandteil der Welt sei und somit auch in der Natur vorkomme: Alle Tiere „strítent starke stürme“ (L 8,37). Dieser Gedanke ist typisch für Walther als „ritterliche[r] Sänger“ (Wilmann 75), er ist der Meinung, dass es in der Natur mit Recht und Ordnung zugehe, so dass es dort „guot gerihte“ (L 8,41) gäbe. Im Gegensatz dazu steht die menschliche Welt: Die „armen künige“ (L 8,50) sind hilflos angesichts des Chaos im Reich. Walther benennt das Reich mit „tiutschiu zunge“ (L 8,44), was zeigt, dass es sich beim ersten Reich nicht um einen Flächenstaat handelte, sondern um einen Staat, dessen Grenzen zusammen mit der Sprachgrenze fallen, also einen Personalstaat.

[...]


[1] vgl. Schweikle13-31

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Zustand des Reiches aus der Perspektive der Sangspruchdichtung von Walther von der Vogelweide
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Proseminar 3
Note
1,0 sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V51483
ISBN (eBook)
9783638474412
ISBN (Buch)
9783656772880
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zustand, Reiches, Perspektive, Sangspruchdichtung, Walther, Vogelweide, Proseminar
Arbeit zitieren
Kristina Müller (Autor:in), 2003, Der Zustand des Reiches aus der Perspektive der Sangspruchdichtung von Walther von der Vogelweide, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51483

Kommentare

  • (unknown) (unknown) am 7.6.2011

    Nicht zu empfehlen. Abgesehen von inhaltlichen Fehlern, wie beispielsweise im Zusammenhang mit dem Doppelkönigtum, bleiben die Ausführungen oberflächlich und zeigen eine mangelde Auseinandersetzung mit der Thematik.

Blick ins Buch
Titel: Der Zustand des Reiches aus der Perspektive der Sangspruchdichtung von Walther von der Vogelweide



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