Kontrastive Phraseologie Italienisch-Deutsch am Beispiel von Tierredewendungen


Diplomarbeit, 2006

78 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung

1 Forschung und Begrifflichkeit der Phraseologie
1.1 Was versteht man heute unter Phraseologie?
1.1.1 Redewendungen, sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter

2 Woran erkennt man Phraseologismen?
2.1 Stabilität
2.2 Idiomatizität
2.3 Polylexikalität
2.4 Lexikalisierung
2.5 Reproduzierbarkeit

3 Klassifikationsmöglichkeiten

4 Italienische Phraseologie
4.1 Definition
4.2 Aktueller Stand der Forschung
4.3 Klassifikation
4.3.1 Kriterien für die Klassifikation
4.4 Geschichte der Fraseologia
4.5 Gebrauch von Redewendungen im Italienischen
4.6 Kontrastive Betrachtungen

5 Semantik
5.1 Zur Semantikforschung
5.2 Zur Bedeutung
5.3 Semantische Merkmale

6 Metapher oder Redewendung?
6.1 Die Metapher – Begriffsbestimmung und Herkunft
6.2 Geschichte der Metapherntheorie
6.2.1 Aristoteles Theorie der Metapher
6.2.2 Weitere Metapherntheorien

7 Betrachtung von Redewendungen mit Tieren
7.1 Redewendungen mit Tieren im Deutschen
7.2 Redewendungen mit Tieren im Italienischen

8 Untersuchung von Übersetzungen von Tierredewendungen
8.1 Redewendungen aus: I Malavoglia- Die Malavoglia
8.2 Redewendungen aus verschiedenen Novellen Vergas
8.3 Redewendungen aus : I promessi sposi - Die Verlobten
8.4 Redewendungen aus Erzählungen

9 Ergebnis der Untersuchung

10 Schlussbetrachtungen

11 Quellenangaben

0 Einleitung

In unzähligen Gesprächen mit Freunden und Kommilitonen, aber auch mit Verwandten und Bekannten fiel mir auf, dass jeder früher oder später eine Redewendung oder ein Sprichwort in seine Äußerungen einbaut, ganz unbewusst verwenden wir diese Ausdrücke und setzen sie instinktiv richtig ein. Sie sind für den Sprecher wie „das Salz in der Suppe“, sie machen ein Gespräch erst lebendig, Bilder und Wendungen sind für das Gespräch nämlich ein ganz wesentlicher Bestandteil.

Interessant fand ich, dass dies in vielen Sprachen der Fall ist, konkret ging es um das Deutsche und das Italienische, die beide reich an Redewendungen sind.

Als vor einiger Zeit mein Vater ein deutsches Buch las und mich nach der Bedeutung einer Redewendung fragte und sich wunderte, warum es für das Italienische eine ähnliche aber nicht identische Wendung gebe (mit einem anderen Tier), entschied ich mich dazu, genau dies näher zu untersuchen.

Der erste Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich zunächst mit den allgemeinen Aspekten der Phraseologie, der deutschen und der italienischen.

Wenn man von Redewendungen spricht, kommt man auch nicht umhin sich mit der Semantik und dem Begriff des Bildes und der Metapher zu beschäftigen, darauf wird in den Kapiteln 5 und 6 eingegangen.

Da die Phraseologie ein sehr großer Bereich ist, habe ich mich entschieden, meine Untersuchungen im zweiten Teil dieser Arbeit auf die Redewendungen zu beschränken, in denen Tiere vorkommen, da diese Redewendungen sehr zahlreich sind und sie für eine kontrastive Betrachtung sehr geeignet sind, wenn man von dem „Bild“, das zum Teil hinter den Redewendungen steckt, ausgeht. Dieses Bild kann sich in bestimmten Sprachen sehr ähneln oder sogar gleich sein, aber auch ganz andere Assoziationen auslösen, unter Umständen sogar gegenteilige.

Es wird in dieser Arbeit aufgezeigt, welche Tiere im Deutschen und welche im Italienischen am häufigsten in Redewendungen zu finden sind, was man mit den Tieren assoziiert und woher einige Wendungen kommen.

Im letzten Teil meiner Arbeit möchte ich dann Redewendungen, in denen Tiere vorkommen, aus italienischen Werken genauer unter die Lupe nehmen und insbesondere ihre Übersetzung ins Deutsche betrachten.

Während des Übersetzerstudiums stößt man oft auf Probleme wie „Wie wird diese Metapher oder diese Wendung oder dieses Wortspiel übersetzt?“, „Welches ist die ‚beste’ Übersetzung hierfür?“.

Sicher kann diese Diplomarbeit keine Antwort darauf geben, da es von vielen Faktoren abhängt, wie übersetzt wird.

Trotzdem möchte ich versuchen, die übersetzten Redewendungen zu analysieren und zu überlegen, ob genau diese Übersetzung an genau dieser Stelle passend ist, oder ob dem Ausgangstext etwas verloren geht, bzw. ob der deutsche Leser mit der Übersetzung etwas anfangen kann oder ob er „dasteht wie der Ochs am Berg“. Häufig sind hierfür äußere Faktoren ausschlaggebend:

Wann entstand das Werk? Ist die Sprache eine „ältere“, vielleicht nicht mehr gebräuchliche Sprache? Kann man das genau so ins Deutsche übertragen oder hat die deutsche Sprache eine andere Entwicklung durchlebt? Wie war das soziokulturelle Umfeld in Italien, wie ist oder wie war es in Deutschland?

Bei der Frage, ob eine Redewendung in der Form auf deutsch bzw. auf italienisch existiert, habe ich mich auf die wichtigsten Sammlungen zum Thema gestützt, nämlich den Duden – Redewendungen (11.Band)[1] und

das Dizionario dei modi di dire della lingua italiana von LAPUCCI[2] und auf das Dizionario dei modi di dire della lingua italiana von B.M.QUARTU[3].

Außerdem waren meine Familie und meine italienischen Freunde Ansprechpartner Nummer eins, wenn es darum ging, ob eine Redewendung in genau der vorgefundenen Form immer noch gebräuchlich ist, oder ob diese zwar in Werken von Verga (Werke von 1880, 1881, 1883, 1887, 1894) und Manzoni (1824) und einigen anderen Autoren benutzt wird aber heutzutage in der gesprochenen Sprache nicht mehr verwendet wird und unter Umständen gar nicht mehr bekannt ist.

1 Forschung und Begrifflichkeit der Phraseologie

Die Forschung wurde in Westeuropa vor allem von BALLY durch sein 1909 erschienenes ‚traité de stylistique française‘[4] vorangetrieben, jedoch wurde die Forschung in Mittel- und Westeuropa kaum fortgeführt.

Im sowjetischen Raum wurde die Phraseologieforschung hingegen verstärkt in den dreißiger und vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts betrieben. Schon in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts analysierten russische Linguisten feste Wortverbindungen und erarbeiteten theoretische Grundlagen der Phraseologie.

Eine Wiederbelebung gab es in der sowjetischen Phraseologie zwischen 1950 und 1970, insbesondere durch die Arbeit VINOGAROVs, durch welche die Phraseologie sich als eigenständige Forschungsdisziplin etablierte.

VINOGAROVs Klassifikation der Phraseologismen wurde später von KLAPPENBACH ins Deutsche übertragen.

Insbesondere in den 1970ern sind ausführliche Publikationen erschienen, die eine große Vielfalt an Begriffen eingeführt haben, welche auch heute noch Probleme für die Linguistik aufwerfen.

An dieser Stelle folgt ein kurzer Überblick über die wichtigsten Begriffe der Phraseologie. Fast alle diejenigen, die sich mit Wortgruppen befassten, schufen eine eigene Terminologie.

Termini wie feste oder idiomatische Verbindungen, Idiome, Wortgruppenlexeme, Phraseologismus (RATDKE), Phrasem (KLAPPENBACH), phraseologische Einheiten (BALLY), fixiertes Wortgefüge (THUN), Phrasmus (BURGER), Frasmus (HÄUSERMANN), Phraseolexem (PILZ), feste Wortkomplexe (CERNYŠEVA), verbale Stereotypen (COULMAS), sprachliche Schematismen (DANIELS), Redewendungen, sprichwörtliche Redensarten und ähnliches wurden für bestimmte festgelegte sprachliche Einheiten eingeführt und verwendet.

Mittlerweile bevorzugt man Bezeichnungen, die zum Einen auf das griechisch-lateinische phrasis ‚rednerischer Ausdruck‘ oder zum Anderen auf das griechische idioma ‚Eigentümlichkeit, Besonderheit‘ zurückgehen.

Zu Ersterem gehören Ausdrücke wie Phraseologie und Phraseologismus, zum zweiten Begriff gehören Ausdrücke wie Idiom, Idiomatik und Idiomatismus.

Semantisch betrachtet entwickelte sich das Wort phrasis im Französischen negativ.

Im 17. Jahrhundert hatte es die Nebenbedeutung „nichtssagende, inhaltsleere Redensart“[5], die Bedeutung wurde dann auch ins Deutsche übernommen.

Diese negative Bedeutung weisen fast alle Belege auf, daneben gibt es auch die Bedeutung „rednerischer Ausdruck“[6] und vor allem in älteren Wörterbüchern findet man die abwertende Bedeutung „leere Redensart, Floskel, die nichts besagt“[7]. Der Begriff Phraseologismus wird in neueren Wörterbüchern als „Idiom“[8] oder als „feste Wortverbindung, Redewendung“ bezeichnet. Das Wort „Idiom“ wird in der Linguistik nicht einheitlich gebraucht, einige sowjetische Autoren benutzen ihn gar nicht.

Aus der sowjetischen Forschung in der ehemaligen DDR wurde der Terminus Phraseologismus übernommen, der heute als Oberbegriff für feste Wendungen und feste Wortgruppen verwendet und allgemein akzeptiert wird.

SABITOVA erklärt einen Phraseologismus als „ein syntaktisch- semantisches Simplex, eine Wörterbucheinheit […], die nicht Satz und nicht Wort ist und mindestens aus zwei Lexemen besteht, einen mehr oder weniger starken Grad der Festigkeit besitzt und gemeinsam eine Bedeutung trägt.“[9] PILZ selbst hingegen verwendet den Begriff Phraseolexem. Er sagt:„ Jede Wortgruppe, die als lexikosemantische Einheit verwendet wird, oder jede lexikosemantische Einheit, die aus mehr als einem Wort besteht und nicht länger als ein Satz ist, ist ein PHRASEOLEXEM“[10] Bei diesen lexikalischen Einheiten erwähnt er weder Festigkeit noch Stabilität.

Der Begriff Idiotismus entstand im 18. Jahrhundert, GOTTSCHEID definiert ihn als „die unserer Sprache allein zuständigen Redensarten, die sich in keine andere Sprache von Wort zu Wort übersetzen lassen“.[11]

Es kamen noch weitere Begriffe hinzu, in älteren Wörterbüchern finden sich „Idiotikon“ für das Wörterbuch einer Mundart, „Idiomatologie“ als die „Lehre von den Mund- oder Spracharten“ und „idiomatisch“ als „einer Mundart oder Sprache eigentümlich“.[12]

Heute wird der Begriff Idiotikon nicht mehr verwendet und anstelle von „Idiomatologie“ wird oft „Idiomatik“ verwendet.

Aus dem Russischen und dem Englischen tauchte in den fünfziger Jahren der Ausdruck „Idiomatizität“ als Bezeichnung für eine bestimmte Eigenschaft eines Teils der festen Wendungen im Deutschen auf.

Für den neuen Terminus „fixiertes Wortgefüge“ entscheidet sich THUN, da Termini wie „phraseologische Einheiten“, „Phrasem“ und „feste Wortverbindungen“ bereits in der russischen Literatur vergeben seien.

Ein „hinreichend allgemeiner, von Wertungen und anderen unerwünschten Implikationen freierer Terminus [wird] benötigt, dessen Bestandteile nach Möglichkeit wesentliche Merkmale des Untersuchungsobjektes benennen,“ meint Thun.[13]

Auch PILZ verweist auf WISSEMANNs Terminus Wortgruppenlexem, den er „für einen terminologischen Glücksfall und im deutschen Sprachgebiet sogar für unübertrefflich hält, da er nicht nur Bezeichnung, sondern auch bereits vollständige Definition (in seinem Sinne)“ sei.[14]

Jedoch benutzt er diesen Begriff nicht, sondern er verwendet stattdessen den Begriff Phraseolexem, weil dieser international verständlicher sei.

Die Linguisten sind sich trotz der unterschiedlichen Definitionen einig, dass es sich um mindestens zwei Lexeme handelt, die eine semantische Einheit bilden. Diese Lexeme gehören zur langue, sie werden also nicht mehr individuell in der parole neu produziert. Das bedeutet, dass diese phraseologischen Einheiten des Wortschatzes abgerufen werden können und nicht als freie Lexeme im Satz produziert werden müssen.

Die heimischen Ausdrücke „Redensart“ und „Redewendung“ sind durch den Einfluß fremdsprachiger Ausdrücke entstanden.

Im alltäglichen Sprachgebrauch haben diese festen Wortverbindungen eine wichtige Stellung inne. Sie machen die Kommunikation untereinander wesentlich einfacher. Besonders fällt dies auf, wenn man sich in einer Sprache verständigen muss, in der man Redewendungen und deren Bedeutungen nicht kennt.

Auch wenn man die Grammatik und die Bedeutung der Wörter der Fremdsprache kennt, tauchen doch oft Formulierungen auf, die nicht die Summe der Einzelkomponenten sind, sondern deren Gesamtbedeutung man sich vorher angeeignet haben muss, um sie zu verstehen und anwenden zu können.

1.1 Was versteht man heute unter Phraseologie?

Es war ein langer Weg, bis ein mehr oder minder einheitlicher Begriff gefunden wurde für das Gebiet der Linguistik, das wir heut meist als Phraseologie bezeichnen.

An dieser Stelle möchte ich einige Passagen zitieren, aus Werken, mit denen ich persönlich des Öfteren zu tun hatte:

Laut PALM[15] versteht man heute unter Phraseologie zum Einen

"die Gesamtheit der Phraseologismen einer Sprache" und zum anderen das "Teilgebiet der Sprachwissenschaft, das die Phraseologismen untersucht".

Im Duden[16] steht über die Phraseologie

„Phraseologie, die :

a) Gesamtheit typischer Wortverbindungen, charakteristischer Redensarten, Redewendungen einer Sprache.
b) Zusammenstellung , Sammlung solcher Redewendungen „

José Luís de Azevedo do Campo, Herausgeber der Grundlinien der portugiesischen Phraseologie[17] gibt folgende Erläuterung zum Wesen der phraseologischen Wendungen:

„Der Wortschatz besteht nicht nur aus Einzelwörtern( Simplizia und Wortbildungskonstruktionen), sondern es gehören dazu auch feste syntaktische Wortverbindungen als Einheiten. Sie bestehen wie freie syntaktische Wortverbindungen aus Wörtern und sind nach den gleichen syntaktischen Strukturmodellen gebildet. Ihr besonderer Charakter als feste Wortverbindungen ergibt sich vor allem aus ihrer (semantischen) Idiomatizität und ihrer ( semantisch- syntaktischen) Stabilität. Damit zusammen hängt ihre Speicherung (Lexikalisierung) als lexikalische Einheit, die bei der Textgestaltung reproduziert wird.“

1.1.1 Redewendungen, sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter

Neben dem gängigen Begriff Redewendung gibt es auch den Terminus Redensart, diese zwei Begriffe werden oft synonym verwendet, da sie gemeinsame Kriterien aufweisen.

In der Sprachwissenschaft bezeichnet man eine „vorgeformte, nicht frei gebildete Wortkette“[18] als eine Redewendung, im Duden werden sie als „feste Redewendung“ bezeichnet.

Im Duden findet sich auch in diesem Zusammenhang das Adjektiv „sprichwörtlich“.

Dieser Begriff taucht bereits im 17.Jahrhundert neben dem der „einfachen Redensart“ auf. Redensart ist eine Lehnübersetzung des französischen „façon de parler“, der französische Begriff ist schon seit 1605 existent.

Die „sprichwörtliche Redensart“ erscheint erstmalig im Jahr 1663 in SCHOTTELs „Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubtsprache“[19].

Daneben ist die „Redewendung“ seit 1691 lexikographisch erfaßt und dem fremden phrase nachgebildet.

Bis ins 17. Jahrhundert hinein war mit Redensart auch die Mundart gemeint.

In seinem Werk von 1663 hatte SCHOTTEL Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten zusammengetragen, den Unterschied jedoch nicht deutlich erkennbar gemacht.

Zum ersten Mal klar getrennt und differenziert werden sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter in den Sammlungen von SCHRADER (1886), BORCHARDT (1888) und RICHTER (1889).

WANDER unternahm den ersten Versuch, Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten formal zu klassifizieren und den Unterschied deutlich zu machen.

Sein „Deutsches Sprichwörter-Lexikon“ von 1880 hat fast 1000 Einträge. PILZ bezeichnet WANDER als einen der Begründer der Parömiologie.

Für Sprichwörter ist kennzeichnend, dass sie meist eine lehrhafte Seite haben, sie beziehen sich auf das praktische Leben und sind historisch fixiert.

Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten haben das starke und meist einprägsame Bild gemeinsam, das, genauso wie das Sprichwort, traditionell festgefügt ist.

Während Redensarten Wortschatzelemente sind, sind Sprichwörter dies nicht.

Dennoch gibt es auch Redensarten, die eine feste Form haben, eine feste phraseologische Verbindung sind, die schon für sich einen Satz bilden, ohne dass sie deswegen zu den Sprichwörtern gehören. Oft müssen sie sich aber im Gegensatz zu den Sprichwörtern auf etwas Vorhergesagtes beziehen. Oder man gibt der Redensart durch einen imperativischen Lehrsatz die Form eines Sprichwortes: “Man sollte nicht wie ein Strauß den Kopf in den Sand stecken.“

Sätze, die mit Formen wie „man darf, man soll, man muss“ einen allgemeingültigen Satz ausdrücken, sind noch keine Sprichwörter, da sie in diesem Wortlaut keine feste Tradition haben.

Sprichwörter sind im Vergleich zu Redewendungen meistens ganze Sätze, die man nicht einfach so in einen anderen Satz „einbauen“ kann.

Oft werden Sprichwörter eingeleitet mit den Worten: „Wie es so schön heißt…“ oder: „Wie wir alle wissen…“

Ein Sprichwort wird von den eigenen Worten und Sätzen abgehoben oder aber in jedem Fall vom Gesprächspartner als Sprichwort erkannt.

Sprichwörter haben ihre Wurzeln in den Erfahrungen und in dem Wissen, die eine Gesellschaft erworben hat.

Meistens haben Sprichwörter auch eine belehrende Komponente oder eine Warnung (wie bei dem Sprichwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt meistens selbst hinein oder Wer zuletzt lacht, lacht am Besten).

Daraus entstehen dann Lebensregeln, Erziehungsmaxime, Gebote, immer gültige Aussagen, die einen konkreten Sachverhalt verallgemeinern oder metaphorisch darstellen.

Es entsteht eine Textwelt, deren Bedeutung nicht unbedingt mit dem im Text vermittelten Sachverhalt übereinstimmt, die aber einen durch Verallgemeinerung und/ oder Metaphorik gewonnenen tieferen Sinn vermittelt.

Zu den sprichwörtlichen Redensarten sagt PILZ, dass „vor allem diejenigen phraseologischen Einheiten als sprichwörtliche Redensarten bezeichnet werden, die (heute) einer sprach- und kulturgeschichtlichen und/oder soziologischen Erläuterung bedürfen.“[20]

Also ist eine sprichwörtliche Redensart ein verbaler, bildhafter Ausdruck.

Sprichwörtliche Redensarten sind einfach geformt und haben häufig eine Reimform. Um der Redensart mehr Aussagekraft zu verleihen wird manchmal ein Wort wiederholt.

Ein Sprichwort, dessen Bedeutung nicht auf Anhieb verständlich ist, ist beispielsweise folgendes:

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.[21]

(ein einzelnes positives Anzeichen, ein hoffnungsvoller Einzelfall lässt noch nicht auf eine endgültige Besserung der Situation schließen)

Dieses Sprichwort geht auf eine äsopsche Fabel zurück.

In dieser Fabel geht es um einen jungen Mann, der im Frühling, als er eine Schwalbe umherfliegen sieht, seinen Mantel versetzt. Als er aber später die Schwalbe erfroren liegen sieht, fühlt er sich von dieser betrogen, weil es weiterhin winterlich kalt bleibt.

Als Beispiel für eine Redewendung möchte ich folgende nennen und ihre Herkunft erläutern:

Jemandem einen Bärendienst erweise (in guter Absicht etwas tun, was dem anderen, zu dessen Nutzen es gedacht war, schadet)
Der "Bärendienst" hat seinen Ursprung in der Fabel vom Einsiedler und seinem gezähmten Bären. Um die Mücken zu verjagen, die den schlafenden Einsiedler stören, wirft der junge Bär mit einem Stein, der zwar die Mücken vertreibt, jedoch auch den Einsiedler tötet.

Da beißt die Maus keinen Faden ab

(bedeutet: das ist unabänderlich, daran ist nicht zu rütteln)
Die Entstehung dieser Redensart wurde auf unterschiedliche Weise versucht zu erklären, im Duden findet sich dazu die Erklärung, es habe sich ursprünglich um die Versicherung eines Schneiders gegenüber dem Kunden gehandelt, dass dessen Stoff bei ihm in sicheren Händen sei.

Mit jemandem Pferde stehlen können

(Sich auf jemanden absolut verlassen können, mit jemandem alles Mögliche unternehmen können)

Diese Wendung bezieht sich auf die Tatsache, dass ein Pferdedieb sehr mutig und für seine Kumpane absolut zuverlässig sein musste, da Pferdediebstahl besonders in früherer Zeit sehr streng bestraft wurde.

Diese Beispiele stammen alle aus dem Duden- Redewendungen (11.Band). Hier werden Bedeutungen der Redewendungen durch sehr leicht verständliche Beispiele illustriert und man findet meist auch einen Hinweis auf die Herkunft oder sogar die genaue Herkunftsangabe.

Im Duden werden hauptsächlich Redewendungen berücksichtigt und aufgeführt, die auf einem schriftsprachlichen Korpus beruhen, aus diesem Grund sind hier wenige Ausdrücke zu finden, die umgangssprachlicher Natur sind und noch keine Aufnahme in die Schriftsprache gefunden haben.

2 Woran erkennt man Phraseologismen?

"Phraseologismen" und "phraseologischen Einheiten" werden hier als Oberbegriffe für alle "verschiedenen Arten der in Frage kommenden sprachlichen Erscheinungen" im Sinne von FLEISCHER[22] verwendet. Weil diese sprachlichen Erscheinungen, wie z.B. feste Redewendungen, Redensarten, Sprichwörter unterschiedlichster Art sein können gibt es auch verschiedene Möglichkeiten und Auffassungen darüber, wie sie definiert und klassifiziert werden können. Zum Beispiel gibt es die Einteilung der Phraseologismen in "Phraseologie im engeren Sinne" und "Phraseologie im weiteren Sinne"[23], oder in "Zentrum und Peripherie"[24].

In den meisten Werken werden vier oder fünf Hauptmerkmale genannt, anhand derer man einen Phraseologismus erkennen kann: Stabilität, Idiomatizität, Polylexikalität, Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit. Auf diese 5 Merkmale möchte ich gleich näher eingehen und beziehe mich in den Erklärungen auf FLEISCHER, PALM, AZEVEDO DO CAMPO, PILZ und BURGER.

Die folgende Auflistung der wichtigsten Merkmale der Phraseologismen gilt insbesondere für die Phraseologismen, die in der geschriebenen Sprache vorkommen.

Bei meinen Recherchen fiel mir auf, dass bei Gesprächen oder in den Medien Phraseologismen sehr oft verwendet werden, jedoch die Sprecher nicht immer ganz genau auf die Form oder die Stabilität der Phraseologismen achten. So kamen dann häufig Wendungen zustande wie Das ist aber jetzt ganz schön starker Tobak, zu Verstärkung wurden im Gespräch oft Modalpartikeln eingefügt, die den Sinn der Äußerung zwar nicht verändern, aber die Festigkeit der Wendung beeinträchtigen. Dies ist eine Eigenart der gesprochenen Sprache und die theoretischen Ansätze, die ich im folgenden Kapitel anführe, beziehen sich natürlich in erster Linie auf die Schriftsprache.

2.1 Stabilität

Bei Redewendungen ist es häufig nicht möglich einzelne lexikalische Komponenten (Wörter) auszutauschen.[25]

Hier spricht man von lexikalisch- semantischer Stabilität.

Die Gesamtbedeutung der Redewendung ist gebunden an die Kombination einzelner, bestimmter lexikalischer Elemente.

Besonders bei phraseologisch gebundenen Wörtern liegt eine lexikalisch –semantische Stabilität vor. Bei gebundenen Formativen handelt es sich meistens um Wortbildungskonstruktionen.

Phraseologismen sind unterschiedlich stabil. Der Festigkeitsgrad und der Grad der Idiomatizität hängen sehr eng zusammen. Vollidiomatisierte Phraseologismen haben auch den höchsten Grad an Stabilität.

Besonders gut kann man dies an folgenden zwei Erscheinungen sehen:

a) an morphosyntaktischen Irregularitäten
- unflektierte attributive Adjektive im Phraseologismus (auf gut Glück, eitel Freude, sich lieb Kind machen)
- Voranstellen des attributiven Genitivs (auf des Messers Schneide stehen, auf Schusters Rappen)
- Einschränkungen im Artikelgebrauch (vor Ort sein, Hals über Kopf)
- die Valenz betreffende Irregularitäten ( Max hat an Julia einen Narren gefressen)
b) an morphosyntaktischen und lexikalisch-semantischen Restriktionen
- keine prädikative Verwendung attributiver Adjektive (das ist kalter Kaffee; Der Kaffe ist kalt=> phraseologische Bedeutung geht verloren)
- keine Transformation des attributiven Adjektivs in einem Relativsatz (der Kaffe, der kalt ist)
- keine Pluralbildung (das sind kalte Kaffee)
- keine Tempusvariation (Er frißt/fraß an Anna einen Narren)
- erhalten unikaler Komponenten (Fersengeld geben).

2.2 Idiomatizität

Es wurde bereits erwähnt, daß sich die Bedeutung eines Phraseolexems nicht aus der Summe der Bedeutungen der einzelnen Lexeme ergibt. Also muß eine Umdeutung, eine "semantische Transformation" stattgefunden haben. Dieses Phänomen nennt man Idiomatizität[26].

Idiomatizität ist eine weitere graduelle Eigenschaft von Phraseologismen.

Gibt es keine Diskrepanz zwischen der phraseologischen Bedeutung und der freien Bedeutung der Komponenten bzw. der ganzen Bedeutung des Phraseologismus gibt, liegt keine Idiomatizität vor. Besteht eine Diskrepanz, dann ist der Ausdruck idiomatisch. Je stärker die Diskrepanz zwischen den beiden Bedeutungsebenen ist, um so idiomatischer ist der Phraseologismus.

Will man den Grad der Idiomatizität feststellen, kann man testen, ob folgendes möglich ist:

- Permutation (Sie hat bei ihm einen Stein im Brett; Sie hat bei ihm im Brett einen Stein)
- Attribuierung ( Sie hat bei ihm einen dicken Stein im Brett/einen Stein im schmalen Brette)
- Substitution ( Sie hat bei ihm einen Kiesel im Brett)
- Morphologische Veränderung (Sie hat bei ihm den Stein im Brett)

Ein sehr hoher Grad an Idiomatizität liegt bei (voll)idiomatischen Phraseologismen vor.

Wenn einzelne Komponenten der Phraseologismen eine freie Bedeutung haben, spricht man von teil-idiomatischen Phraseologismen.

Phraseologismen, bei denen eine freie (wörtliche Bedeutung) der Komponenten vorliegt, nennt man nicht-idiomatische Phraseologismen.

2.3 Polylexikalität

Wichtigstes Merkmal der Polylexikalität der Phraseologismen ist, dass sie aus mehreren Wörtern bestehen. Phraseologismen bestehen aus mindestens zwei Wörtern, maximal sind es ganze Sätze.

2.4 Lexikalisierung

Eine phraseologische Wendung unterscheidet sich von einem einfachen Wort dadurch, dass die aus mehreren lexikalischen Komponenten besteht.

Sie ähnelt dem einfachen Wort aber in Idiomatizität und Stabilität.

Wie ein Wort wird auch die phraseologische Wendung lexikalisiert, also in einem Lexikon gespeichert.

Für das Wort ist das „normal“, für eine Wendung ist es eine „zusätzliche“ Markierung.

„Die Lexikalisierung der syntaktischen Konstruktion bedeutet, dass sie nicht mehr als syntaktische Konstruktion nach einem syntaktischen Strukturmodell in der Äußerung „produziert“ wird, sondern dass sie als „fertige“ lexikalische Einheit „reproduziert“ wird. Deshalb werden derartige Wortverbindungen auch als „Wortgruppenlexeme“ oder „Paralexeme“ bezeichnet.“[27]

[...]


[1] Dr. Wermke, Matthias et al. (Hrsg) (2002): Duden- Redewendungen (Band 11) 12 Bände. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag.

[2] Lapucci, Carlo (1979): Dizionario dei modi di dire della lingua italiana. Milano: Garzanti Editore.

[3] Quartu, B.M.(2001): Dizionario dei modi di dire della lingua italiana. 4.Auflage. Milano: Rizzoli.

[4] Alle o.g. Namen werden genannt bei: Fleischer, Wolfgang (1982): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig: Niemeyer.

[5] Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S.8

[6] Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S. 8

[7] In: Klappenbach R., Malige- Klappenbach H., Kempcke G. (Hrsg) (1974): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Berlin: Akademie-Verlag. S. 2792 f

[8] Dr. Wermke, Matthias et al. (Hrsg) (2001) : Duden- Das Fremdwörterbuch (5.Band).

12 Bände. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag. S.420

[9] Zitiert aus: PILZ, K.D. (1981) Redensartenforschung. Stuttgart: Sammlung Metzler. S.19

[10] PILZ, K.D. (1981) A.a.O.: S. 20

[11] Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S.9

[12] Vgl. Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S.9

[13] Zitiert nach PILZ, K.D. (1981) A.a.O.: S.26

[14] PILZ, K.D. (1981) A.a.O.: S. 27

[15] Palm, Christine (1995): Phraseologie. Eine Einführung. Tübingen: Narr Verlag. S. 104

[16] Dr. Wermke, Matthias et al. (Hrsg) (2001) : Duden- Das Fremdwörterbuch (5.Band).

A.a.O.

[17] De Azevedo do Campo, José Luís (1992) Grundlinien der portugiesischen Phraseologie Universität Rostock, Lateinamerika- Institut i.A.

[18] Dr. Wermke, Matthias et al. (Hrsg) (2002): Duden – Redewendungen (11.Band) A.a.O.: S. 9

[19] Vgl. Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S.17

[20] PILZ, K.D. (1981) A.a.O.: S.30

[21] Alle Beispiele aus: Dr. Wermke, Matthias et al. (Hrsg) (2002): Duden-Redewendungen (11.Band) A.a.O.

[22] Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S.9

[23] Palm, Christine A.a.O.: S.1f

[24] Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S. 72

[25] Fleischer, Wolfgang A.a.O.: S. 41 ff

[26] Palm, Christine A.a.O.: S.9 ff

[27] Azevedo do Campo, José Luís A.a.O.: S. 6f

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Details

Titel
Kontrastive Phraseologie Italienisch-Deutsch am Beispiel von Tierredewendungen
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Fachbereich Angewandte Sprach-und Kulturwissenschaft in Germersheim)
Veranstaltung
Sprachvergleich
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
78
Katalognummer
V63254
ISBN (eBook)
9783638563437
ISBN (Buch)
9783656771876
Dateigröße
880 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kontrastive, Phraseologie, Italienisch-Deutsch, Beispiel, Tierredewendungen, Sprachvergleich
Arbeit zitieren
Paola Trabucchi (Autor:in), 2006, Kontrastive Phraseologie Italienisch-Deutsch am Beispiel von Tierredewendungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63254

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