Polarität der Helden in den Werken von H. Hesse


Ausarbeitung, 2002

16 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsangabe

Vorwort

Der Steppenwolf

Unterm Rad

Narziß und Goldmund

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Vorwort

Das Thema meines Referates heißt ”Polarität der Helden”. In meinem Referat habe ich versucht, die Unterschiede, Unähnlichkeiten und polare Eigenschaften der Helden hervorzuheben und sie zu charakterisieren. Dieses Thema hat mich interessiert und ich habe sie gewählt, weil ich bemerkt habe, daß in vielen Werken von Hermann Hesse polar entgegengesetzte Figuren vorkommen, die einender absolut unähnlich und verschieden sind, unterschiedliche Eigenschaften haben und in der Handlung unterschiedliche Funktionen tragen. Ich würde sogar sagen, daß Polarität der Helden Hesses beliebte Methode ist, die er in vielen seinen Werken verwendet. Ich meine, daß polare Figuren verschiedene Möglichkeiten des menschlichen Schicksals repräsentieren. Hesse zeigt, wie stark ein Mensch von seinem Milieu, Elternhaus, Psyche und Erziehung abhängig ist. Mit Hilfe der Polarität betont Hesse den unterschiedlichen Lebenslauf er Helden und sucht für sie und auch für sich selbst die möglichen Lösungen und Auswege. Die drei ausgewählten Werke Steppenwolf, Unterm Rad und Narziß und Goldmund sind gute Beispiele für mein Referat. Hier betont Hesse die Unählichkeit der Helden und mit Hilfe der unterschiedlichen Figuren zeigt er die krassen Gegensätze des Lebens. Diese Werke enthalten auch viele autobiographische Züge. Für mich erwecken die Werke den Eindruck, als würde Hesse sie in der Absicht verfaßt haben, seine eigenen Erlebnisse aufzuarbeiten. Außerdem habe ich die wichtigsten Motive und Probleme, die hier behandelt werden, charakterisiert. Die Gegensätze Natur - Geist, Kunst - Intellekt stellen die Schwerpunkte der Themen dar. Der Konflikt um die Anpassung an die, durch die Gesellschaft bestimmten Normen, ist auch von besonderer Bedeutung. Die handelnden Hauptfiguren sind außerordentliche Menschen. Wahrscheinlich ist für sie auch die Frage der Unvereinbarkeit von ihrer Vorstellung von Kunst, ihren Gefühlen und Gedanken mit der gesellschaftlichen Norm von Wichtigkeit.

Der Steppenwolf

Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“, 1927 veröffentlicht, ist einer der bekanntesten, künstlerisch wertvollsten und literarisch umstrittendsten Arbeiten. Er wurde anfänglich von Kritikern und Lesern mißverstanden. Der Roman wurde erst Jahre später sehr populär, jedoch nicht in Deutschland, sondern in Amerika zu der Hippie-Zeit. Die Generation der Hippies sah in Hesse einen Gesinnungsgenossen, der wie sie zu Pazifismus eintrat, und außerdem auch noch mit der Einnahme von Drogen vertraut war. Es ist mir schwer Hesse als ein Blumenkind vorzustellen, dennoch war seine Dichtung gerade in dieser Zeit besonders populär. Wie Astrid Khera in ihrem Buch richtig bemerkt hat, daß “es Hesse nicht darum ging die Anerkennung des Publikums zu gewinnen, sondern den Weg nach Innen zu sich selbst finden.“ Und diesen Weg hat er in seinem Schaffen gefunden.

Als Hesse „Steppenwolf“ schrieb, stand er in einer persönlichen Krise. Arbeit an diesem Roman ging durch die schwierigste Periode seines Lebens und nach Ansicht seiner zahlreichen Kritiker, sei dieses Werk nur ein Versuch eine Krise zu überwinden, die sowohl persönlich, aber auch zur gleichen Zeit politisch und künstlich war. A. Khera nennt einige Faktoren, die Hesses Kriese herbeiführten: 1)“seine Abneigung, seine Unfähigkeit die zunehmenden Lasten und Opfer des Familienlebens zu akzeptieren. 2) seine Kapitulation von einer bürgerlichen Weltanschauung. 3) die unerwartete Heftigkeit der politischen Angriffe gegen Hesses Pazifismus und Mangel an Patriotismus während des Großen Krieges. 4) die Auseinandersetzung mit der psychoanalytischen Lehre von C.G. Jung und die Sitzungen mit Dr. Lang, einem Psychoanalytiker und Schüler von C.G. Jung.“* Aus diesem anfänglich nur rein beruflichen Verhältnis entwickelte sich über Jahre eine echte Freundschaft und Hesse stand völlig unter dem Einfluß von Ideen von C.G. Jung. Eine Anzahl von Kritikern erklären den „Steppenwolf“ und das Magische Theater nur aus der Sicht der Psychoanalyse und meistens durch die Lehre Jungs. Fritz Böttger beweist auch, daß “der Roman „Steppenwolf“ ein wichtiges Stück Selbstanalyse des Autors enthielt und zugleich die subjektiven Stimmungen, Verhaltensweisen und Probleme des Autors zeigt.“**

Hesse mit seinem „Steppenwolf“ hat ein modernes, aktuelles Thema angedeutet - das Hauptthema des Romans ist der moderne Mensch. Ich meine, daß Harry stellvertretend für den modernen Menschen steht. Alle anderen hier angeschnittenen Themen sind neben diesem Thema nur Nebenerscheinungen, so zu sagen Unterthemen. Z.B. das Problem des Künstlers in der bürgerlichen Welt, das Problem des Outsiders und das Verhältnis zur Bourgeoisie.

Ich meine, daß “Der Steppenwolf“ am stärksten von allen Werken autobiografisch gefärbt ist. Hesse identifiziert sich mit der Hauptfigur und versucht mit Hilfe der Psychoanalyse, die dem Roman einen modernen Ton gibt, für sich selbst einen Ausweg zu finden. Alle Hesse- Kritiker glauben, daß der Name Harry Haller ein Pseudonym für Hermann Hesse ist, den die Initialen sind die gleichen.

In diesem Roman erzählt Hesse die Geschichte des außerordentlichen, genialen Menschen, dem es nicht gelungen hat sich an die normale Welt anzupassen. Das ist das Schicksal eines Helden, eines Ritters, der den Alltag nicht erträgt und in den engen Rahmen des Lebens erstickt. Was er eigentlich will - harmlos und ein Mann seiner Zeit zu sein, woran er eigentlich scheitert. Er will sich nicht um das Leben, das ihm keineswegs angenehm, eher widerlich ist, betrogen fühlen.

Das Buch beginnt mit einem “Vorwort des Herausgebers“, des namenlosen Neffe von Harrys Wirtin, aus dessen kleinbürgerlichen Perspektive Harry Haller gesehen wird. Er ist ein gebildeter Durchschnittsbürger, redlich, bescheiden, psychisch ausgeglichen und stabil aber unzufrieden mit Harrys Rauchen und Trinken. Er, als ein typischer Vertreter der Bourgeoisie, verkörpert in sich das Verhältnis der Gesellschaft zu solchen Typen wie Harry. Er sieht Harry vom Standpunkt eines soliden Bürgers, der seinen Platz in der Welt gefunden hat. Harry erscheint ihm sonderbar, fremd, hoffnungslos tragisch, weil er sich selbst haßt. “...daß er jede Schärfe, jede Kritik, jede Bosheit, jeden Haß, dessen er fähig war, vor allem und zuerst auf sich selbst losließ“.* Ich denke, daß der fiktive Herausgeber das Leiden des Steppenwolfs grundsätzlich nicht begreift, versucht aber ihn zu verstehen. “Ich sehe in ihnen aber etwas mehr, ein Dokument der Zeit, denn Hallers Seelenkrankheit ist - das weiß ich heute - nicht die Schrulle eines Einzelnen, sondern die Krankheit der Zeit selbst, die Neurose jener Generation, welcher Haller angehört,..Haller gehört zu denen, die zwischen zwei Zeiten hineingeraten, die aus aller Geborgenheit und Unschuld herausgefallen sind, zu denen, deren Schicksal es ist, alle Fragwürdigkeiten des Menschenlebens gesteigert als persönliche Qual und Hölle zu erleben.“* Hier sieht Fritz Böttger eine subjektive Verallgemeinerung Autors. “In Wirklichkeit handelt es sich mehr um die Vereinsamung und Verzweifelung einer kleinen Intellektuellenschicht, von deren Problemen die Mehrheit der Bevölkerung, weder der um sein tägliches Brot kämpfende Kleinbürger noch der unternehmende Bourgeois, geschweige der Arbeiter, etwas wussten.’’**

Ich meine, daß dieses Thema - das Problem der Verdoppelung des Menschen, das Symbol und Gleichnis für die tiefe Vereinsamung und Ungeselligkeit, für den entfremden Individualismus, eisige Melancholie und sittlichen Verfall ist. Dieses Symbol des Wolfes verkörpert in sich alle moralischen Probleme des Haupthelden Harry Haller. Er ist ein spätbürgerlicher Intellektueller, der anscheinend ein Privatvermögen hat und braucht nicht einmal zur Arbeit zu gehen. Harry wird als ein Einzelgänger betrachtet, der nur auf sich selbst angewiesen ist. Er zieht sich in seine Einsamkeit zurück und lebt nur mit seinen Büchern, weil er sich selbst aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen hat. Daß Harry mit niemandem Kontakt hat, ist die Folgen seines eigenen Handelns und Benehmens, “er hatte ein Bedürfnis nach Einsamkeit und Unabhängigkeit.“*. Aber es ist auch wahr, daß die Einsamkeit Hallers nicht

nur sein psychologisches Problem ist, sondern aus denn trostlosen Umständen der Gesellschaft stammt. Harry schloß sich absichtlich von seiner Umwelt aus, denn schon von Jugend auf wollte er seine Freiheit zu bewahren. “Er hat sich nicht für Geld und Wohlleben, nie an Frauen oder Mächtige verkauft und hat hundertmal das, was in aller Welt Augen sein Vorteil und Glück war, weggeworfen und ausgeschlagen, um dafür seine Freiheit zu bewahren.“* Das ist Harrys grundlegendes Problem, daß er seinen Wunsch nach Unabhängigkeit mit Einsamkeit zu bezahlen muß. Also, er hat sich zur Einsamkeit verurteilt. “Nun stand es so, daß Alleinsein und Unabhängigkeit nicht mehr sein Wunsch und Ziel war, sondern sein Los, seine Verurteilung.“* Ich denke, es geschieht deswegen, weil Harry kein starker Charakter ist, der sich als einziger gegen das herrschende System auftreten konnte.

Meiner Meinung nach, ist Harrys Verhältnis zu seinem Leben und zu den Umständen des Lebens ein krasses Paradox. Er sehnt sich nach der Einsamkeit, versucht sie möglicher Weise zu bewahren und hasst sie und leidet darunter. Er sieht als einen möglichen Ausweg nur den Selbstmord.

Er hat kein Ziel mehr, seine soziale Lage drängt ihn zur Passivität und er vergeudet seine Kräfte in einem Prozeß der Selbstzerstörung, der ihn bis an Rand des Selbstmordes bringt. Ich sehe in solch einem Verhältnis seine innere Zwiespältigkeit, Polarität. Harry lebt in ständigem Zwiespalt mit sich selbst. Er fühlt sich isoliert, aber er hatte es nicht anders gewollt, “Einsamkeit ist Unabhängigkeit, ich hatte es mir gewünscht und mir erworben in langen Jahren.“* Aber er ist jedoch nicht zufrieden, denn der Wolf in ihm denkt anders.

Harry Haller sieht sich als einen gespaltenen Menschen an, er ist teils Mensch, teils Wolf. Er, der moderne Mensch, ist eine kranke, leidende Gestalt, und seine Krankheit besteht darin, daß er sich als ein polares Wesen sieht. Einerseits, als ein Dichter, ein Intellektueller, zählt er sich zu den Menschen des Geistes, für den klassische Musik, Bücher und Ruhe die höchsten Werte sind. Andererseits hat er auch eine zweite Natur, ein wölfisches Wesen, das zu bestimmten Zeiten diese geistige Maske zu vernichten und Führung Harrys zu übernehmen versucht. Astrid Khera sieht den Grund für diese Polarität darin, daß “Harry in einer Zeit lebt, in der zwei verschiedene Gesinnungsrichtungen aufeinanderstoßen - bisherige geistige Kultur des Abendlandes und eine neue Kultur des Primitiven - Jazzmusik, Rauschgift und Trunkenheit“. Sehr präzis hat der “Herausgeber“ in seinem Vorwort bemerkt. “Es gibt nun Zeiten, wo eine ganze Generation so zwischen zwei Zeiten hineingerät, daß ihr jede Selbstverständlichkeit, jede Sitte, jede Geborgenheit und Unschuld verlorengeht.“*

Die Gespaltenkeit Harrys zeigt sich besonders in seinem Verhältnis zum Bürgertum. Dieses Verhältnis scheint mir sehr interessant zu sein, weil ein Teil in Harry ein Verlangen fühlt, dieser Gesellschaft anzugehören, der andere - der wölfische - dagegen lehnt sich von der Bourgeoisie, ihre Ideale und Werte ab. Z.B. es ist für ihn unmöglich in den Bars und Tanzlokalen Erholung oder Entspannung zu finden. Harry fühlt sich niemals zu Hause - weder in der Gesellschaft noch bei einem einzelnen Menschen und das ist zugleich ein Grund für seinen Außenseitertum. Die bürgerliche Welt hat auch kein Verständnis für Harrys Ideale und Wünsche. Also, hier ist eine unüberbrückbare Kluft zwischen Harry und anderer Gesellschaft scharf bemerkt. “... nun steht es mir leider so, daß ich gerade diese Zufriedenheit gar nicht gut vertrage, daß sie mir nach kurzer Dauer unausstehlich verhaßt und ekelhaft wird und ich mich verzweifelungsvoll in andere Temperaturen flüchten muß...“*

Und jetzt steht das Problem auf, wie ein Außenseiter, der innerlich gespalten und zum Alleinsein verurteilt ist, dennoch weiter leben kann? Für den Menschen, der sich in doppelter Selbstentfremdung als Tiergestalt sieht und das Tier sich nicht bezähmen lässt, wäre nur ein einziger Ausweg möglich - der Selbstmord. Die Begegnung mit Hermine, einer Prostituierte mit lesbischer Veranlagung bedeutet die Wende der Handlung. Hermine, ein kleines hübsches Mädchen übernimmt Führung über Harry und nimmt die Rettung des mit sich selbst zerfallenen Menschen in die Hand. Harry hat ein neues Ziel jetzt - die Steppenwölfischkeit soll überwunden werden. Sie ist jetzt seine „Seelenführerin“, die ihn erstens tanzen lehrt. “Der Tanz ist eine gesellschaftliche Erscheinung, er bildet eine Brücke zum Du und Wir, er macht auch den Ungeselligsten ein wenig gesellich. Sein Rhythmus vermittelt etwas von dem wortlosen unmittelbaren Takt des Verstehens zwischen Mensch und Mensch, eine Umweltbeziehung, die Harry verlorengegangen ist, da er sich höchstens noch durch allgemeine Redensarten mit anderen Personen verständigen kann.“** In Hermine und Harry sehe ich zahlreiche Ähnlichkeiten, aber auch Polaritäte. Ich würde sagen, daß Hermine und Harry sich ergänzen und eigene Eigenschaften entwickeln. Ich zweifle noch daran ob Hermine eine wirkliche Person ist oder nur im Unbewußtsein Harrys lebt. A. Khera meint, daß Hermine als Prostituierte eine reale Gestalt in Harrys Leben ist und in seiner Gedankenwelt existiert. Hermine scheint mir ein Gegenstück zu Harry zu sein, und zugleich ist sie ein Teil von ihm, und er identifiziert sich geistig mit ihr. Sie ist wie ein Spiegel von Harry, aber doch hat sie andere Eigenschaften, als Harry. “Begreifst du das nicht, du gelehrter Herr: daß ich dir darum gefalle und für dich wichtig bin, weil ich wie eine Art Spiegel für dich bin...“* In Hermine vereinigen sich Gegensätze, sie ist Junge sowohl Mädchen, sie ist eine reale Gestalt, aber sie scheint auch ein Teil von Harry zu sein. Wie Harry ist auch Hermine innerlich gespalten. Harry sieht in Hermine auch die Mutter, sie gibt ihm zu essen und bestimmt, daß er schlafengehen muß. Harry braucht sie, weil sie ihm beibringt, wie man lebt und wie man liebt. Er glaubt jetzt, daß er die inneren Gegensätze zu vereinigen braucht und darin sieht er sein Ziel. Aber er selbst ist nicht fähig, die Pole - die Natur und den Geist - in sich zu vereinen und den Steppenwolf in sich zu töten. Erst die Begegnung mit Hermine ermöglicht die Erfüllung seines Wunsches.

Während Hermine sich um Harrys geistiges Wachstum bemüht, bringt die wirkliche Erziehung aber erst die sexuelle Liebe mit sich, die er durch Maria kennenlernt. Maria, die Geliebte aus Hermines Händen, die Tänzerin mit freier Seele und den leichten Sitten, hat eine große Bedeutung für Entwicklung Harrys. Sie erweckt in Harry längst vergessene Bilder und Erinnerungen aus seiner Vergangenheit. Sie führt den ernsten und alles schwer nehmenden Harry in die “kleinen leichten Künste und Spiele“ der Erotik ein und will nichts weiter, als Freude geben und nehmen. Maria ist auch ein Spiegel, wo sich Harrys unerfüllte Wünsche widerspiegeln. Ihre Rolle ist es mit ihrer Liebeskunst Harry zu helfen seine Isolierung zu überwinden. Dazu dient auch Pablo und sein “Magisches Theater“.

Pablo ist das Gegenstück von Harry, er ist leichtsinnig, im Gegenteil zu Harry ist er der Mann mit der starken Vitalität, den festen Nerven und der inneren Harmonie, was für Harry unmöglich ist. Pablo ist das Naturkind aus den Wäldern und Prärien Südamerikas, seine Welt ist nicht begrenzt wie Harrys, er ist vertraut mit der irdischen Freunde und der Schönheit des Daseins. In ihm ist Natur und Geist harmonisch vereinigt. Er ist mit den Geheimnissen der Seele vertraut und will Harry helfen seine Einsamkeit zu überwinden. Jetzt übernimmt Pablo die Führung Harrys. Er muß lernen den inneren Konflikt zu überwinden und über ihm zu stehen. Deshalb muß er das Lachen lernen. Im Magischen Theater unter den Augen Pablos soll nun Harrys „Lehrzeit“ abgeschlossen werden. Vor einem riesengroßen Wandspiegel mußer erkennen, daß er nicht nur aus zwei Polen - Mensch und Wolf besteht, sondern aus unzähligen Gegensätzen. “Harry besteht nicht aus zwei Wesen, sondern aus hundert, tausenden. Sein Leben schwingt (wie jedes Menschen Leben) nicht bloß zwischen zwei Polen, etwa dem Trieb und dem Geist, oder dem Heiligen und dem Wüstling, sondern es schwingt zwischen tausenden, zwischen unzählbaren Polapaaren.“* Im Magischen Theater eröffnet sich die Bilderwelt seiner Seele. Seine Aufgabe ist es nun umzulernen und seine einheitliche Natur zu erkennen. Um das zu erreichen, muß er in das Chaos seiner eigenen Seele geführt werden. In diesem Theater soll endlich Harrys kranke Psyche geheilt werden und das muß mit Hilfe des Humors geschehen. Durch den Humor ist es möglich innere polare Kräfte zu einem Zusammenspiel zu bringen. Was Harry im Magischen Theater sieht, ist nur eine Illusion, doch macht er den Fehler, indem er es für Realität ansieht und Hermine tötet. Aber gerade dadurch, meiner Meinung nach, befreit er sich und überwindet sein wölfisches Wesen. Er brauchte sie nicht mehr, ihre Aufgabe war jetzt erfüllt - sie hat einen Steppenwolf vermenschlicht.

Was am Ende des Romans geschieht - bleibt offen. Ist der Humor, den Hesse als Lösung anbietet, wirklich für Harry behilflich, oder ist er nur ein Kompromiß? Ich meine, daß diese Lösung eher optimistisch ist, weil er sich auf dem Weg befindet, sein Leben mit Humor zu betrachten und den Wolf in sich zu töten. Das er sich umgebracht hat, halte ich praktisch für ausgeschlossen, ich glaube, daß er sein Schicksal einmal akzeptieren wird. Ob er das jedoch erreichen wird darüber läßt uns Hesse im Unklaren.

Unterm Rad

“Unterm Rad” ist ein früheres Werk von Hermann Hesse, das, meiner Meinung nach, Probleme und Konflikte der damaligen Zeit und auch der Gegenwart möglichst objektiv darstellt. Es lässt dem Leser den Raum selbst Probleme zu beurteilen und eine eigene Entscheidung zu treffen. Ich meine, daß das objektive Erzählen aus einem Gesamtüberblick heraus eine intensive Reflexion zu der Handlung und auch zum eigenen Dasein voraussetzt, zugleich fordert es hohes Beobachtungskraft und ein starkes Interesse an Menschen und seiner Umwelt, an unserer Gesellschaft. Es imponiert mir, daß Hesse Wert auf gewöhnliche, wenig raffinierte Redefiguren und Ausdrücke legt, im Gegensatz zu seinen anderen Werken ist hier die Sprache einfacher und der Gedankenbericht wird immer wieder durch direkte Rede und Dialoge unterbrochen. All das macht die Erzählung für jedermann zugänglich und verständlich, obwohl im Text sehr schwierige Konflikte angedeutet sind. Z.B. das Problem des unverstandenes Kindes als Opfer falscher Erziehung von Schule und Elternhaus - mit diesem Thema übte Hesse kulturkritische Gedanken an Entwicklung der Gesellschaft und des Bürgertums. Es wird gezeigt, wie speziell die Kinder des Kleinbürgertums zu Angehörigen der bürgerlichen Klasse erzogen wurden und welche zahlreichen Opfer dieser Prozess forderte. “Erfahrungsgemäß pflegen sich aus jeder Seminaristenpromotion einer oder mehrere Kameraden im Laufe der vier Klosterjahre zu verlieren. Zuweilen stirbt einer weg und wird mit Gesang beerdigt oder mit Freundesgeleit in seine Heimat übergeführt. Zuweilen macht sich einer los oder wird besonderer Sünden wegen entfernt. Gelegentlich, doch selten und nur in der älteren Klasse, kommt etwa auch einmal vor, daß irgendein ratloser Junge aus seinen Jugendnöten einen kurzen, dunklen Ausweg durch einen Schuß oder durch einen Sprung ins Wasser findet.” *

Hans Giebenrath, dessen Geschichte Hesse erzählt, ist ein solches Opfer, und sein Tod wird zur Anklage gegen die Bedrückung der Jugend in einem inhumanen Erziehungssystem. Es wird Anschuldigung nicht gegen einen einzelnen tyrannischen Lehrer gezeigt, der mißachtet und schikaniert die Schüler. Angeklagt ist eine reaktionäre Pädagogik, die einen Schüler nicht wie eine Persönlichkeit, Individualität betrachtet und ihn nicht als einen reifen selbstständigen Menschen mit eigenen Gefühlen, Sorgen, Charaktereigenschaften anerkennt. Angeschuldigt wird der Rektor der Lateinschule, der es als seinen Beruf absieht “in den jungen Knaben die rohen Kräfte und Begierden der Natur zu bändigen und auszurotten und an ihre Stelle stille, mäßige und staatlich anerkannte Ideale zu pflanzen.”* Solche Menschen interessieren sich nicht für persönliches Leben der Jugendlichen, für ihre Wünsche, Enttäuschungen, Erlebnisse. Dieses ganze reaktionäre Erziehungssystem ist der Ansicht, daß „die Schule einen natürlichen Menschen zerbrechen, besiegeln und gewaltsam einschränken muß.”* Diskriminiert und angeklagt ist der Vater von Hans Giebenrath und die ganze philiströse Elternschaft mit ihren kleinbürgerlichen Werten und Vorstellungen.

Es ist klar, daß bei solcher Einstellung jede Gestalt sichtbar wertlos gemacht wird. Solche wertlose, nicht akzeptierte Gestalt ist der begabte Hans Giebenrath, und sein Schicksal ist sehr traurig.

Mir scheint, daß in der Erzählung “Unterm Rad” noch ein sehr wichtiges Problem angedeutet ist und nämlich der Generationenkonflikt, der in den Beziehungen zwischen dem Sohn Hans und seinem Vater gezeigt wird. Die Beziehungen zwischen den beiden sind ziemlich kalt, wir sehen, wie fremd die Mitglieder einer Familie zu einander sind, welche krasse Unterschiede sie haben und wie sie einander nicht verstehen. Der Vater von Hans Giebenrath wird in der Erzählung eindeutig negativ geschildert. Ich würde sagen, daß auch die Gestalt von Hans Giebenrath ziemlich negativ von Hermann Hesse dargestellt ist, sein Verhalten diesem Helden gegenüber ist mehr oder weniger kritisch. Positiv sind eigentlich nur zwei Figuren gezeichnet. Eine krasse Polarität zu dem ganzen Milieu bildet zunächst der Schuhmacher Flaig, eine Persönlichkeit, die sich wesentlich von anderen Menschen im Dorf unterscheidet und deren Anziehungskraft in der großen menschlichen Echtheit. Brüderlichkeit und dem Migefühl zu seinen Mitmenschen liegt. Er einziger von allen erwachsenen Personen distanziert sich von jedem Klassenhochmut und der staatlich organisierten Streberei. Er ist menschenfreundlich, benimmt sich natürlich, zuweilen ist er naiv, hat einen einfachen, volkstümlichen Charakter und er ist vielleicht ein einziger, der die Probleme von Hans Giebenrath versteht. Schuhmacher Flaig hat in der Erzählung das letzte Wort und bewertet das Geschehnisse:“Dort laufen ein paar Herren, die haben auch mitgeholfen, ihn so weit zu bringen.”*

Die andere positiv gezeigte Figur ist der Freund von Hans Giebenrath im Kloster, Hermann Heilner, ein „Dichter und Schöngeist”*, der die Initialen von Hermann Hesse in seinem Namen trägt. Giebenrath und Heilner sind, meiner Meinung nach, die Personen, die einander absolut unähnlich sind, unterschiedliche Charaktereigenschaften haben und in der Erzählung polare Typen vertreten und unterschiedliche Funktionen tragen.

Ich glaube, daß mit Hilfe solcher polaren Persönlichkeiten Hesse die Gegensätze des Lebens, seine Konflikte, Probleme, krasse auffallende Seiten des Lebens betont. Polarität der Helden in seinen Werken, wie ich bemerkt habe, spielt eine große Rolle. Das ist Hesses beliebte Methode, das sich im Fall von Hans Giebenrath und Hermann Heilner zeigt. Mit Hilfe dieser polaren Helden wird gezeichnet, wie unterschiedlich die menschlichen Wege und Schicksale sind und wie stark ein Mensch und sein Charakter von seinem Milieu, Elternhaus abhängig ist. Hesse vergleicht, wie beide begabten Jangen ihre Wege gehen, wie sie Probleme lösen und welches Ende sie haben. Über Heilner und dessen Leben nach dem Kloster wissen wir nichts, könnten aber vermuten, daß er sich im Leben durchgesetzt hat und nicht „unter die Räder gekommen ist“, wie Hans.

Giebenrath und Heilner sind einander polar entgegengesetzt. Heilner ist vor allem Außenseiter und Alleingänger, einer von den Leuten, die den Professoren ein Greuel sind. “Für sie sind Genies jene Schlimmen, die keinen Respekt vor ihnen haben, die mit vierzehn Jahren zu rauchen beginnen, mit fünfzehn sich verlieben, mit sechzehn in die Kneipen gehen, welche verbotene Bücher lesen, freche Aufsätze schreiben, den Lehrer gelegentlich höhnisch fixieren und im Diarium als Aufrührer und Karzerkandidaten notiert werden.” Heilner zählt zu den “Gehaßten, Oftbestraften, Entlaufenden, Davongejagten”. Er ist selbstsicher, verfügt über das selbstständigen Denken und Vorgehen und das starke Selbstbewußtsein, und ärgert damit die Lehrer. Hesse verstand die unüberbrückbare Kluft zwischen “Genie” und “Lehrzunft”: “Ein Schulmeister hat lieber zehn notorische Esel als ein Genie in seiner Klasse, und genau betrachtet hat er ja recht, denn seine Aufgabe ist es nicht extravaganteGeister heranzubilden, sondern gute Lateiner, Rechner und Biedermeier. ”*

Heilner ist Freidenker, ein Schwärmer, ein Dichter, der “den genialen Leichtsinn auf seine Fahne geschrieben hatte“ und “revolutionäre Reden über Schule und Leben hielt“. Er verkörpert in sich Ideale der Freiheit der Persönlichkeit, des Geistes und der unbeschränkten, vielseitigen, harmonischen Entwicklung des Menschen. Er ist leichtsinnig, sentimental, leidenschaftlich. Für Giebenrath war er das Geheimnis und er mußte über Heilner oft nachdenken:“Was war das für ein Mensch? Was Hans an Sorgen und Wünschen kannte, existierte für jenen gar nicht. Er hatte eigene Gedanken und Worte, er lebte wärmer und freier, litt seltsame Leiden und Sorgen und schien seine ganze Umgebung zu verachten...Er war beweglich und unbändig und machte täglich mehr Witze als Hans in einem Jahr. Er war schwermütig und schien seine eigene Traurigkeit wie eine fremde und köstliche Sache zu genießen.“*

Während Heiner lebhaft, kritisierend und extroventiert ist, ist Giebenrath melancholisch veranlagt, obrigkeitshörig und introventiert. Die Freundschaft solcher polar entgegengesetzten Menschen schien allen sehr merkwürdig:“...der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber. Man zählte zwar beide zu den Gescheiten und Begabtesten, aber Heilner genoß den halb spöttisch gemeinten Ruf eines Genies, während der andere in Geruch des Musterknaben stand“.*

Am Anfang war Giebenrath ein Streber, ein fleißiger begabter Junge, ein von allen Seiten geförderter Musterknabe. Sein Ehrgeiz und seine Begabung ermöglichten den erfolgreichen Weg nach oben in die Elite der besten Schülers des Landes. Aber um das zu erreichen, mußte er auf schöne Möglichkeiten eines glücklichen Jugendlebens verzichten. Er war von seiner Umgebung verführt und konnte ihr als ein weiches und unselbständiges Kind nicht einmal ein „Nein“ entgegensetzen. In der zweiten Hälfte der Erzählung zeigen sich „Folgen“ seines Erfolgs, der so viele geistige Kräfte forderte. Er, der Musterknabe, ergreift schließlich Partei für den rebellierten genialischen Freund. Die Freundschaft Heilners war für ihn der schönste Gewinn, sein Glück und Rettung. “Das neue Glücksgefühl ging brausend wie ein junger Wein durch sein Blut und durch seine Gedanken, daneben verlor Livius so gut wie Homer seine Wichtigkeit und seinen Glanz. Die Lehrer aber sahen mit Schrecken den bisherigen tadellosen Schüler Giebenrath in ein problematisches Wesen verwandelt und dem schlimmsten Einfluß des verdächtigen Heilner verlegen“.* Aber Hans war sher sensibel und sein seelischer Zustand war nicht in der Lage, Einflüsse und Anregungen des geistig frühreifen aggresiven Freundes restlos zu verarbeiten, sr konnte die Freundschaft mit den genialen Heiner und das Pauken für die Schule nichr in Einklang bringen. Deswegen wurden seine grammatikalischen Kentnisse und die Zesuren immer schlechter. Allmählich wurde Giebenrath zu einem schlechten Schüler. “Er sah ohne Anregung zu, wie bei den Lehrern sein guter Ruf stufenweise herabsank, von gut auf ziemlich, von ziemlich auf mittelmässig, und endlich aif Null.“* Schließlich versagte er im Unterricht vollständig. Seine Karriere endet mit einem seelischen Zusammenbruch. Und dafür macht der Autot das gesellschaftlich-pädagogische System verantwortlich. “Keiner dachte etwa daran, daß die Schule und der barbarische Ehrgeiz eines Vaters und einiger Lehrer dieses gebrechliche Wesen soweit gebracht hatte...nun lag das überhetzte Rößlein am Weg und war nicht mehr gebrauchlich.“ *

Sein Leben ist zerstört. Hans Giebenrath ist weder su weiterer schulischer Ausbildung noch für eine praktische Tätigkeit tauglich. Die Szene in der mechanischen Werkstatt zeigt die Fallhöhe dieses begabten Knaben von der Möglichkeit der Gelehrtenkarriere zum wenig fähigen „Lehrling“. So konnte er nicht mehr leben, beschämt, gehetzt, hilflos - begeht er im Fluß Selbstmord. Es ist nicht erwähnt, ob sein Tod ein Unglücksfall oder ein Freitod war. Aber mir scheint, daß es doch ein Protest gegen die Unterdrückung und Knechtung eines junden Menschen ist. Das war sein erster und zugleich letzter Widerstand gegen die Gesellschaft, die ihm keine Möglichkeit gegeben hat, sich frei und unabhängig zu fühlen. In diesem Fall erweist sich, daß der soziale Aufstieg auf Kosten des Menschenlebens möglich ist. Ich denke, das deschieht deswegen, weil Hans keine starke Persönlichkeit war. Er konnte gegen seine Unterdrückung keinen Widerstand leisten, wie Heilner, und allein gegen das ganze System nicht auftreten. Eine große Rolle spielt auch das, daß Hans keine Unterstützung und Hilfe in seinem Vaterhaus gefunden hat.

Narzißund Goldmund

Als Hermann Hesse im Frühjahr 1927 daranging, die Geschichte des Vaganten und Bildschnitzer Goldmund zu erzählen, wandte er sich von der Gegenwart ab. Aber an der Vergangenheit selbs lag Hesse wenig. Er war nicht bestrebt, diese Geschichte in der streng historischen Wirklichkeit wiederzugeben. Für seine Zwecke schuf er eher eine Mischwelt aus realhistorischen Geschehnissen und fiktiven ausgedachten Elementen. Die Themen, die in der Erzählung angedeutet sind, sind durchaus auf Gegenwart bezogen. Hesses “Narziß und Goldmund“ lebt so zu sagen in zwei Zeitebenen, in der Geschichtswelt und in moderner Zeit. Der Autor wollte in seiner Erzählung die Befreiung einer poetischen Seele und die freie, vollständige Entfaltung einer Persönlichkeit zeigen, die nicht wie alle früheren Gestalten von Hans Giebenrath bis zu Harry Haller durch die äußeren Umstände gehemmt, sondern durch sie gefördert werden sollte. In dieser Erzählung sehe ich auch einige Parallele zu “Unterm Rad“. In den ersten 6 Kapiteln wird die falsche Erziehung eines Kindes, die kindliche Neurose erzählt. Auch der geschilderte Schauplatz - das Kloster Mariabronn, das 14-jähriger Hesse besuchte und das auch der wichtigste Spielraum in der Schulgeschichte “Unterm Rad“ ist. Das die Geschichte im Mittelalter abspielt, ermöglichte das dem Autor für den Jugendkonflikt eine bessere Lösung finden, asl in der Schultragödie von 1906. Im Lebenslauf Goldmunds ist die Entfaltung der Persönlichkeit vorgeführt, die Hans Giebenrath versagt blieb. In der Gegenwart konnte diese Entwicklung nicht gezeigt werden, deshalb wurde sie auf eine legendare Vorzeit projeziert. Aber die Problematik der Erzählung blieb gegenwartsbezogen, deswegen kann man Goldmund nicht bloß nur als einen Klosterschüler charakterisieren, sondern auch als ein Kind des 20. Jahunderts mit dem Konflikt zwischen Trieb und Vernunft.

Die Überschrift der Erzählung deutet darauf hin, daß hier zwei Figuren als gleichberechtigte Helden im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Aber Narziß und Goldmund - das ist nicht nur ein asketischer Klosterlehrer und weltfreudiger Vagant. Diese beiden Figuren repräsentieren noch psychologische Grundtypen, die zu den persönlichen Interessen des Dichters und seiner Zeit in Beziehung stehen.

Eine besondere Rolle in der Erzählung spielt auch des Interesse des Autors an Psychoanalyse. Im Fall Goldmunds zeigt Hesse, wie das Leben eines Menschen sich verändern kann, wenn man in ihm längst vergessene Bilder erweckt. Goldmund hat seine Mutter früh verloren und ihr Verlust war für ihn sehr tragisch. Über sie wird berichtet, daß sie der Familie Schande machte und schließlich davonlief. Man könnte vermuten, daß sie nach Bräuchen damaliger Zeit eine Landstreicherin oder Hure wurde. Goldmunds Vater hat sich alle Mühe gegeben, die Erinnerung an die sittlose Mutter zu vertuschen, ihr Bild war aus dem Goldmunds Gedächnis verdrängt. Und sein Erzieher, der Klosterlehrer Narziß, wirkt auf ihn wie ein Psychoterapeut und versucht in ihm von Natur Gegebene bewußt zu machen und die Erinnerung an die Mutter dadurch zu erwecken. Damit hilft er Goldmund seine Persönlichkeitsschwierigkeiten zu beseitigen und sich individualistisch zu etnfalten. Narziß hat ihm die Augen geöffnet, daß er kein Gelehrter, kein Mönch oder Asket ist, daß er nicht zum Klosterleben geschaffen ist, da das Lernen und das abstrakte Denken nicht seinem Charakter entsprechen und er ist zum etwas Besseren und Höheren bestimmt - zur Liebe und Kunst. Vielmehr als sein Freund Narziss lebt er mit seinen Sinnen, entdeckt kurz nach seiner Flucht aus dem Kloster die Liebe zu Frauen, wird ein Landstreicher, der das Leben mit allen Sinnen in sich aufsaugt Das wichtige Motiv der Erzählung ist das Symbol der Mutter. Die perönliche Mutter ist für das Innenleben Goldmunds sehr bedeutungsvoll. Die Mutter begleitet Goldmund durch sein ganzes Leben und versorgt ihn mit jenen Bildern, die aus ihm einen Künstler machen. “Es war Eva, es war die Urmutter, die dahinterstand.“* Die Urmutter wird als alles beherrschende und umfassende Kreatur gezeigt und ich meine, daß der Weg zur Mutter Goldmunds erotische Begegnungen ist und seine vielen Geliebten zur mütterlichen Welt gehören. Und er fragt sterbend seinen Freund Narziß:“Aber wie willst du einmal sterben, Narziß, wenn du doch keine Mutter hast? Ohne Mutter kann man nicht lieben. Ohne Mutter kann man nicht sterben.“*

Schon dieses Beispiel zeigt, wie ganz und gar verschieden und unähnlich beide Helden waren. “Wie Narziß dunkel und hager, so war Goldmund leuchtend und blühend. Wie Narziß ein Denker und Zergliederer, so schien Goldmund ein Träumer und eine kindliche Seele zu sein.“*

Hier wird der Geistmensch und der Sinnenmensch, der Denker und der Künstler, der Asket und das Mütterliche gegenübergestellt. Hesse verweist damit auch auf die Thematik der Polarität des väterlichen und mütterlichen Prinzips. Narziß, der Asket, ist der völlige Gegensatz zu Goldmund, weil er versucht den Sinn des Lebens durch den Intellekt zu ergründen, während der emotionelle und träumerische Goldmund sein Leben lang größtenteils auf Wanderschaft ist, Gut und Böse am eigenen Leib erfahren und eigene Ideale finden will. Während Narziß in Begriffen denkt, stellt Goldmund immer die Bilder vor. In ihrer Freundschaft sehe ich eine echte Polarität -hier wird geschildert, wie Gegensätze von Logos und Eros, von der geistig-vernünftigen Sphäre, die Narziß repräsentiert, und der triebhaft-dämonischen Goldmunds in den zwei verschiedenen Gestalten eines sich ergänzenden Freundespaars Verkörperung finden. Während für Narziß das Leben des Klosters, der Askese, des Geistes bestimmt ist und er sich auf das Mönchdasein vorbereitet, zieht es Goldmund hinaus in die Welt, er entdeckt die Schönheit im Diesseits außerhalb der Klostermauern. Er lernt das Leben und die Liebe vieler Frauen kennen, empfängt Lust und gibt Lust. Immer wieder treibt es ihn in die Ferne, lockt ihn die Sehnsucht zum etwas Neuen, Unbekannten.

Und jetzt steht die Frage auf, was für ein Leben edler ist? Das gottgefällig reine, geordnete Leben von Narziß, oder das schwelgende, zügellose Wandern Goldmunds? Ich meine, daß diese Frage keine Antwort hat, weil hier der alte Gegensatz zwischen dem Künstler und dem Denker, zwischen schöpferischer Gestaltung und denkerischer Durchdringung der Welt geschildert wird, und deiser Gegensatz unlösbar ist. Goldmund, der sich aus dem sicheren Lebenskreis der Seßhaften ausgebrochen hat, hat die innere Freiheit, den Reichtum der Seele erworben, er hat die echte Liebe gelernt. Der intellektuelle Narziß dagegen hat keine Liebe erfahren und er bedauert das am Ende seiner Tage: "Mein Leben ist arm an Liebe gewesen, es hat mir am Besten gefehlt." *

Aber ich glaube doch, daß beide Gestalten - Goldmund, im Erleben und Auskosten der Welt und Narziß, in der strengen Selbstbewahrung des Geistes, haben sich vollendet, haben ihr Ziel erreicht und sind zu der Harmonie und der höheren Einheit gelangt.

Zusammenfassung

Die drei hier besprochenen Werke zeigen, daß sie von verschiedenen Ebenen interpretiert werden können. Mein Ziel war - die Polarität der Helden, ihre Gegensätze und auch den Einfluß den sie auf einander ausüben, zu zeigen. In diesen Werken habe ich einige gemeinsame Züge gefunden - das Motiv des Outsiders, Einzelgängers, Verachtung des Bürgertums, Konflikt zwischen Trieb und Vernunft, Jugendkonflikt, Interesse des Autors an Psychoanalyse, Gegensatz zwischen Künstler und Denker, überhaupt das Problem eines genialischen Menschen in der bürgerlischen Gesellschaft. Im Roman “Steppenwolf” kommen sehr deutlich besonders die drei ersten Themen vor. Harry Haller, der "Steppenwolf" ist ein Außenseiter des normalen, des bürgerlichen Lebens. Der Wolf ist Harry Gegenspieler, also, er ist innerlich gespalten. Er wählt die Bezeichnung für sich selbst, da er sich als Outsider, fernab der von ihm so verachteten bürgerlichen Gesellschaft sieht. Seine Beziehung zum Bürgertum ist ambivalent. Er haßt und verabscheut jene kleinbürgerliche Welt, zu der er sich aber dennoch sehr hingezogen fühlt und in ihr verhaftet steht. Diesem Gegensatz erliegt Hallers Persönlichkeit und so gelingt es ihm nicht, zu innerer Harmonie zu finden. Seine Führerin ins “normale” Leben ist Hermine, sein Spiegelbild denn sie hat kein Ekel vor der realen, der bürgerlichen Welt. Sie ist Vermittlerin zwischen der sinnlichen und der geistlichen Welt, auch Pablo und Maria haben Aufgabe, ihn in das sinnliche Leben einzuführen und zu helfen, seine Wölfischkeit zu übewinden.

In der frühen Erzählung Hermann Hesses “Unterm Rad” wird das Hauptmotiv seines Werkes deutlich: der Kampf des Einzelnen um die Entfaltung seiner Individualität gegenüber einer gleichmachenden Masse. Viele kommen bei diesem Kampf "unters Rad", wie der Hauptheld Hans, ein selbstzweifelndes sensibles Kind. Noch ein sehr wichtiges Motiv - die falsche Erziehung eines Kindes, das sich dagegen nicht wehren kann. Ich habe versucht zu zeigen, wie unterschiedlich beide Freunde - Hans und Heilner - waren, und welches Schicksal die beiden haben. Heilner, ein Genie, ein Dichter, innerlich frei und unabhängich wird dem leidenden, introventierten Hans gegenübergestellt.

Der Roman “Narziß und Goldmund” gehört zu den erfolgreichsten Titeln vor dem zweiten Weltkrieg. Es scheint, asl ob er eine Flucht vor der Wirklichkeit in die Idylle ist. Hermann Hesse analysiert in seinem Roman “Narziß und Goldmund” die Entwicklung eines jungen Knaben, dem seit der frühesten Kindheit das Leitbild seiner Mutter fehlt. Durch Gespräche mit seinem Freund Narziß entsteht ein Idealbild. Sein ganzes weiteres Leben ist geprägt von der Suche nach diesem Traumbild, welches er durch flüchtige Frauenbekanntschaften zu finden hofft. Die Freundschaft beider unterschiedlichen Helden ist zugleich die Thematik des väterlichen und mütterlichen Prinzips. Narziß repräsentiert die geistig-vernünftige Sphäre, Goldmund dagegen die triebhaft-dämonische. Hier wird also der Geistmensch und der Sinnenmensch, der Denker und der Künstler, der Asket und das Mütterliche gegenübergestellt. Das wichtige Motiv der Erzählung - der ewige Gegensatz zwischen einem Denker und Künstler, der unüberbrückbar ist. Das Buch beinhaltet so viel Charakter, so viel Leben, so viel schöne Sprache, daß kaum jemand unbezaubernd bleibt.

Literaturverzeichnis

- Hermann Hesse “Der Steppenwolf“

- Hermann Hesse “Unterm Rad“

- Hermann Hesse “Narziß und Goldmund“

- Astrid Khera “Hermann Hesses Romane der Krisenzeit in der Sicht seiner Kritiker”

- Fritz Böttger “Hermann Hesse”

- Hugo Ball ”Hermann Hesse”

- http://www.hhesse.de

- http://www.unet.univie.ac.at

- http://www.zum.de

[...]


* Astrid Khera “Hermann Hesses Romane der Krisenzeit in der Sicht seiner Kritiker”

** Fritz Böttger “Hermann Hesse”

* Hermann Hesse “Der Steppenwolf”

** Fritz Böttger “Hermann Hesse”

* Hermann Hesse “Der Steppenwolf”

* Hermann Hesse “Der Steppenwolf”

** Fritz Böttger “Hermann Hesse”

* Hermann Hesse “Der Steppenwolf”

* Hermann Hesse “Unterm Rad”

* Hermann Hesse “Unterm Rad”

* Hermann Hesse “Unterm Rad”

* Hermann Hesse “Unterm Rad”

* Hermann Hesse “Narziß und Goldmund”

* Hermann Hesse “Narziß und Goldmund”

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Polarität der Helden in den Werken von H. Hesse
Hochschule
Tartu Ülikool
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
16
Katalognummer
V106648
ISBN (eBook)
9783640049271
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hesse
Arbeit zitieren
Pripetschko, Polina (Autor:in), 2002, Polarität der Helden in den Werken von H. Hesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106648

Kommentare

  • Gast am 3.12.2005

    das sehich nicht so.

    ich glaube, dass hesse mit seinen polaren charaktere nicht krasse unterschiede von verschiedenen Menschen zeigen will, sndern den konflikt einer person und die verschiedenen richtungen seines Charakters. er stellt diesen konflikt nur durch zwei personen da. Am ende fast jeden buches stirbt einer dieser beiden. dies zeigt das sich ein teil des Charakters durchsetzt (meist der egoistischere und extrovertierte.)

  • Gast am 11.10.2002

    SUPER.

    Einfach super, das hat mir sehr geholfen!!!!!!

Blick ins Buch
Titel: Polarität der Helden in den Werken von H. Hesse



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