Die Rolle der FDP in den 1960er Jahren


Seminar Paper, 1999

13 Pages, Grade: 2.0


Excerpt


Gliederung

1. Einleitung
1.1 Gegenstand der Untersuchung
1.2 Der Forschungsstand
1.3 Die Methode

2. Die Rolle der FDP in den sechziger Jahren
2.1 Vorgeschichte: Die FDP bis 1956
2.1.1 Fazit
2.2 1957 – 1960: Die FDP in der Opposition
2.2.1 Das Berliner Programm 1957
2.2.2 Bundestagswahl 1957
2.2.3 Fazit
2.3 1961 – 1963: Die FDP in der Koalition mit der CDU unter Adenauer
2.3.1 Bundestagswahl 1961
2.3.2 Die „Spiegelaffäre“ und der Kanzlerwechsel 1963
2.4 1964 – 1966: Die FDP in der Koalition mit der CDU unter Erhard
2.4.1 Bundestagswahl 1965
2.4.2 Bruch der Koalition 1966
2.4.3 Fazit
2.5 1967 – 1969: Die FDP erneut in der Opposition
2.5.1 Das Aktionsprogramm „Ziele des Fortschritts“ 1967
2.5.2 Walter Scheel als Wegbereiter der sozial- liberalen Koalition
2.5.3 Das Wahlprogramm 1969
2.5.4 Bundestagswahl 1969
2.5.5 Fazit

3. Bilanz

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Gegenstand der Untersuchung

„Welche Rolle spielt die FDP heute noch“. „Warum soll man diese Partei überhaupt noch wählen?“ Solche Aussagen sind heute keine Seltenheit mehr.

Die FDP hat in den Augen vieler Leute kein politisches Profil mehr, ihre politische Glaubwürdigkeit hat sie, so scheint es, in den vielen Jahren ihrer Regierungs- beteiligung verbraucht.

Doch das war natürlich nicht immer so. Gerade in den sechziger Jahren war sie der entscheidende Faktor im Parteiensystem, gerade wenn es um die Bildung von Bundesregierungen ging. Auch wenn es um Parteiprogramme und Inhalte ging, gab es kaum ein Politikfeld das nicht zumindest teilweise durch die FDP besetzt war.

Gerade im Bereich der Deutschlandpolitik setzte die FDP neue Denkansätze und Impulse.

So proklamierte die FDP in nahezu allen außen- und deutschlandpolitischen Verlautbarungen und Programmaussagen konstant die Wiedervereinigung als vorrangiges Ziel freidemokratischer Politik. Keinem anderen Politikbereich widmete sie nur annähernd so viel Aufmerksamkeit. Keine der anderen Parteien profilierte sich durch eine Vielzahl an Deutschlandplänen, Denkschriften und Memoranden so nachdrücklich als Wiedervereinigungspartei.

An konträren Positionen in dieser Frage scheiterte 1956 die erste CDU/FDP- Koalition, sie bildete für die FDP eine der Sollb ruchstelle für das Ende der zweiten christlich-liberalen Koalition 1966 und diente der SPD/FDP Koalition 1969 als Geburtshelfer.

Gerade das Jahr 1969 steht für den Machtwechsel von einer CDU- zu einer SPD- geführten Bundesregierung und ist somit als bedeutender historischer Einschnitt in die Geschichte der Bundesrepublik zu werten.

1.2 Der Forschungsstand

Unter der verwendeten Literatur ist einiges besonders zu nennen: Als erstes das Buch von Koerfer, welches die Jahre von 1966 – 1969 beschreibt und die FDP auf ihrem Weg in die sozial- liberale Koalition zeigt.

Und des weiteren die Bücher von Henning und Lösche/Walter, die einen umfassenden Gesamteinblick in die Partei geben.

Als letztes noch das Buch von Juling, welches die einzelnen Parteiprogramme dieser Zeit beinhaltet.

1.3 Die Methode

Diese Hausarbeit ist chronologische aufgebaut, wobei die einzelnen Bundestagswahlen und verschiedenen Programme der FDP natürlich einen besonderen Stellenwert besitzen.

Die Rolle der FDP bei den Regierungsbildungen, ihre inhaltliche Veränderung und Neuorientierung, die Programme und Personen an denen diese Veränderungen sichtbar werden, sind Inhalte dieser Arbeit.

2. Die Rolle der FDP in den sechziger Jahren

2.1 Vorgeschichte : Die FDP bis 1956

Franz Blücher, seit dem 20. September 1949 Bundesminister und Vizekanzler, wurde auf dem Bundesparteitag 1950 in Düsseldorf zum Bundesvorsitzenden gewählt.

Unter seiner Parteiführung wurde zunächst die wichtigste Grundlage für die weitere Parteiarbeit, die Einrichtung der Bundesgeschäftsstelle und – geschäftsführung in Bonn geschaffen.

Neben der Einrichtung der Bundesgeschäftsstelle mit einer leistungsfähigen Pressestelle, wurden in den ersten Jahren vor allem die wichtigsten Fachausschüsse der Bundespartei gegründet.

Politisch begann sich die FDP in der Regierungskoalition mit der CDU/CSU und der DP und Bundeskanzler Konrad Adenauer mit drei Bundesministern als Regierungspartei zu etablieren.

Dabei wurde eine starke Interessenausrichtung der Partei auf eine möglichst konsequente wirtscha ftspolitische Haltung betrieben, d. h. auf eine uneingeschränkte Unterstützung der Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards und der marktwirtschaftlichen Interessen der deutschen Industrie.

Die Koalition mit der CDU/CSU wird auch nach der Bundestagswahl 1953 fortgesetzt. Nicht zuletzt wegen den schwächeren Abschneidens der FDP bei der Wahl (9,5 % der Stimmen gegenüber 11,9% bei er Wahl 1949) wird die Kritik an Blücher immer lauter und auch die Stimmen derer, die einen Führungswechsel fordern, immer mehr.

Auf dem Bundesparteitag 1954 wählte man schließlich Thomas Dehler, Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender der FDP in Bayern zum neuen Bundesvorsitzenden. Zur Profilierung der FDP gegenüber der Union boten sich in erster Linie unterschiedliche Auffassungen in der Außen- und Deutschlandpolitik und in der Saarfrage an.

Da die FDP zunehmend für Unruhe in der Regierung sorgte, versuchte Adenauer die FDP mit einer Wahlrechtsänderung in die Knie zu zwingen. Das bisher geltende Verhältniswahlrecht sollte bei Bundestagswahlen durch die teilweise Einführung des Mehrheitswahlrechts so geändert werden, das die FDP-Bundestagsfraktion nach den nächsten Bundestagswahlen so dezimiert sein würde, das sie keine politische Rolle mehr spielen würde.

Die Parteiführung der FDP erkannte aber die drohende Gefahr und versuchte ihr über eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat entgegenzuwirken.

Die FDP stürzte die CDU/FDP Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und ging eine Koalition mit der SPD ein.

Als Dehler und mit ihm eine Mehrheit der Bundestagsfraktion diese Aktion begrüßten, erklärten eine Minderheit von 16 Abgeordneten, darunter die vier Bundesminister im Februar 1956 ihren Austritt aus der Bundestagsfraktion. Der CDU blieb nichts anderes mehr übrig, als die Koalitio n mit der FDP zu kündigen. Die Gefahr einer Spaltung der FDP schien greifbar nah. Die Abweichler blieben allerdings in der Minderheit, Dehler wird auf dem Bundesparteitag 1956 mit großer Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen. Insgeheim wird aber schon über einen

Führungswechsel nachgedacht, der die Ausgangslage der Partei bei der kommenden Bundestagswahl verbessern soll.

2.1.1 Fazit

In den ersten Jahren der Regierung stand die FDP hinter der Politik Adenauers. Die Angst vor dem Expansionsdrang des östlichen Kommunismus veranlaßte die FDP sich hinter die Politik der Stärke und der Westorientierung von Adenauer zu stellen.

Der Verlust bei den Bundestagswahlen 1953 schreckte die Partei dann auf, sie fand aber eine Lösung um ihr Überleben zu sichern. Sie spielte „Opposition in der Regierung“ um sich von der CDU abzuheben und sich den Wählern als politisches Korrektiv anzubieten.

Der Bruch der Koalition schließlich hatte auch sein Gutes: Der Dauerzwist um den außenpolitischen Kurs war nun beendet, die Partei wirkte nun geschlossener; vor allem hatten sie ein Zeichen ihrer Unabhängigkeit und Selbständigkeit gesetzt.

2.2 1957 – 1960: Die FDP in der Opposition

2.2.1 Das Berliner Programm 1957

Auf dem Bundesparteitag 1957 wurde neben der Wahl Reinhold Maiers zum neuen Parteivorsitzenden ein neues Grundsatzprogramm, das „Berliner Programm“ verabschiedet.

Das Programm ist ein Kompromiß zwischen national- und rechtsliberalen auf der einen und sozial- und linksliberalen Forderungen auf der anderen Seite.

Es beinhaltet insgesamt zehn Thesen u.a. zur menschliche Freiheit, zur Sozialpolitik und zur Außen- und Deutschlandpolitik.

Ganz besonders ist die erste grundlegende These zu betrachten:

„Die Freie Demokratische Partei erstrebt auf allen Lebensgebieten die Sicherung der Freihe it des Menschen zu verantwortlichem Handeln. Aus sozialer Verantwortung lehnt sie den Marxismus und sozialistische Experimente ab, aus christlicher Verantwortung den Mißbrauch der Religion im Politischen Tageskampf“.

Mit dieser These und ihrer näheren Erläuterung zum Bergriff der Freiheit werden sowohl das eigene wollen als such die grundsätzlichen Unterschiede der FDP zur SPD und CDU/CSU knapp und präzise umschrieben.

2.2.2 Bundestagswahl 1957

Politisch schmückten sich die Freien Demokraten jetzt mit dem Etikett „Dritte Kraft“. Sie sollte den Standort beschreiben, den die Freien Demokraten nach dem nordrhein-westfälischen Koalitionswechsel und nach der Übernahme der Oppositionsrolle in Bonn besetzt hatten: die unabhängige, nach beiden Seiten hin prinzipiell offene Partei der Mitte zwischen CDU und SPD. Gemäß dem Konzept der „Dritten Kraft“ zogen sie ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf.

Das verunsicherte viele Wähler und so endete die Wahl mit einer verheerenden Niederlage für die FDP. Die Union erreichte die absolute Mehrheit und die FDP fiel auf 7,7 % der Stimmen zurück und näherten sich bedenklich nahe der Fünf-Prozent- Marke. Die Deutschen liebten keine Experimente, die FDP hatte sich ins politische Abseits gebracht.

2.2.3 Fazit

Mit dem Berliner Programm is t es der FDP 1957 zweifellos gelungen, sich politisch eigenständig zu profilieren und eine deutliche Abgrenzung vor allem zur CDU/CSU zu finden. Zugleich erfüllt das Programm innerparteilich eine wichtige Intergrationsaufgabe. Viele seiner Formulierungen lassen bewußt einen sehr breiten Auslegungsspielraum zu, der es möglich macht, die bestehenden innerparteilichen Meinungsunterschiede zu einer gemeinsamen politischen Grundsatzaussage zusammenzufassen.

Nach der Wahlniederlage wurde aber die grundsätzliche Frage nach der Beweglichkeit der FDP im bundesdeutschen Parteiensystem aufgeworfen. War es die fehlende Koalitionsaussage gewesen, die er Partei die katastrophale Niederlage eingebracht hatte? Angesichts der schmalen Wählerbasis der FDP entscheidet sich die Überlebenschance der Partei schon mit der Beantwortung der Koalitionsfrage im Wahlkampf. Erhält sie keine Leihstimmen von ihrem voraussichtlichen Koalitionspartner läuft sie Gefahr, unter die Fünf-Prozent-Hürde zu rutschen.

2.3 1961 – 1963: Die FDP in der Koalition mit der CDU unter Adenauer

2.3.1 Bundestagswahl 1961

Die FDP hatte sich wieder gefangen und war wieder auf der Höhe der Zeit. Das war nicht zuletzt der Verdienst von Erich Mende, der 1960 den glücklosen Reinhold Maier im FDP-Bundesvorsitz ablöste.

Er trieb die FDP wieder Richtung Regierungsbeteiligung, der Wunschpartner war wiederum die Union. Eine sozial- liberale Koalition zog niemand ernsthaft in Erwägung, es gab keine Grundlage für eine gemeinsame Politik.

Indes: Die Freien Demokraten konnten nicht einfach da weitermachen, wo sie Mitte der fünfziger Jahre, vor dem Koalitionsbruch, aufgehört hatten. Es bestand die Gefahr, von den Wählern als überflüssiges Anhängsel der Union betrachtet zu werden. Den Wählern mußte die Existenzberechtigung einer eigenständigen Partei zwischen CDU und SPD deutlich gemacht werden, es durfte aber zugleich kein Zweifel aufkommen, daß diese Partei geistig, politisch und mental fest im bürgerlichen Lager angesiedelt war und prinzipiell die Koalition mit den Unionsparteien anstrebte.

Mit der Parole „Mit der CDU/CSU ohne Adenauer“ gingen die Freien Demokraten auf Stimmenfang. Sie empfahlen sie dem Wähler als Mehrheitsbeschaffer – in diesem Fall des bürgerlichen Lagers. Zugleich wiesen sie aber darauf hin, das sie innerha lb der künftigen Regierung eine selbständige Rolle zu spielen gedachten, als „Korrektiv“ oder „Bremser“. Die FDP hatte nur ein Wahlversprechen: Wer FDP wähle, könne verhindern, das die Bundesrepublik auch weiterhin von einem verstockten und verschlagenen Greis regiert würde.

Und die Rechnung ging auf. Die FDP hielt als bürgerliche Milieu- und Korrektivpartei ihre Anhängerschaft und griff zugleich in neue Wählerschichten ein. Am Ende ergab das mit 12,8 % der Wählerstimmen das beste Resultat, das die FDP jemals bei Bundestagswahlen erzielte.

Doch das eigentliche Wahlziel wurde verfehlt. Adenauer blieb Kanzler. Doch die FDP ging trotzdem eine Koalition mit der Union ein, das Damoklesschwert einer großen Koalition und der Wahlrechtsreform schwebte über ihnen, machte sie gefügig und koalitionsbereit. Seitdem hat die Partei den Beinamen „Umfaller-Partei“, ein Begriff der sie bis heute verfolgt. Ihre Umfragewerte fielen in den Keller, viele junge Wähler, die mit der FDP in die Nach-Adenauer-Zeit eintreten wollten, wanderten enttäuscht ab. Das immerhin eine Begrenzung der Kanzlerschaft Adenauers, bis zur Hälfte der Legislaturperiode erreicht wurde, übersah man weithin.

2.3.2 Die „Spiegelaffäre“ und der Kanzlerwechsel 1963

Bei der Spiegelaffäre 1962 allerdings konnte die FDP einige verlorene Wähler und vor allem Sympathie wiedergewinnen. Der in die Affäre verwickelte Verteidigungsminister Strauß (CSU) konnte nur durch den Rücktritt der fünf FDP- Bundesminister zum Rücktritt gezwungen werden.

Die FDP galt fortan als Anti-Strauß-Partei und Gegner der rechtskonservativ- populistischen CSU. Sie sammelte existenzsichernde Punkte im Libertär- akademischen Bürgertum, das der FDP aus Furcht vor Strauß lange Zeit viele Sünden nachsah.

Die FDP präsentierte sich als „Rechtsstaatspartei“, erschien nicht mehr so altbacken mittelständisch und nationalliberal.

1963 war das Wahlziel der FDP quasi erreicht worden, Adenauer trat zurück und machte seinem Nachfolger Ludwig Erhard Platz. Die FDP wähnte sich am Ziel ihrer Träume, mit Erhard stand der Wunschkandidat an der Spitze der Regierung. FDP- Chef Mende war ganz in seinem Element, er war Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen sowie Vizekanzler geworden.

Doch die Begeisterung von 1961 wollte sich diesmal nicht einstellen. Die FDP wurde in der Öffentlichkeit nur noch als Korrektivpartei, lediglich als Förderverein des Kanzlers wahrgenommen. Ihre liberalen Sachaussagen traten in den Hintergrund.

2.4 1964 – 1966: Die FDP in der Koalition mit der CDU unter Erhard

2.4.1 Bundestagswahl 1965

Im Vorfeld der Bundestagswahl wurde eines immer deutlicher: Die FDP stagnierte, das jedenfalls war der Haupteindruck. Hinzu kam, das es Mende und den anderen Kabinettsmitgliedern langsam dämmerte, was Adenauer stets gewußt hatte: Erhard taugte nicht als Kanzler; das Ende seiner Popularität war nur eine Frage der Zeit.

Doch eine zündende neue Wahlkampfparole, die irgendeinen politischen Inhalt verdeutlicht hätte, fiel den Freien Demokraten nicht ein. An der Spitze der Partei fanden intellektuelle Debatten nicht statt. Das freidemokratische Schiff dümpelte vor sich hin, ohne Richtung, ohne rechtes Ziel.

Die bürgerliche Zusammengehörigkeit bekam Risse. Die FDP verlor bei der Bundestagswahl 3,3 % und kam noch auf 9,5 % der Stimmen. Die Bereitschaft sich von der Union abzukoppeln, stieg an. Sie wuchs weiter, als nach den Wahlen in der Union geradezu chaotische Zustände ausbrachen, intrigant geführte Kämpfe um die Nachfolge des glücklosen Ludwig Erhard, die das Ansehen der Bundesregierung bei den Wählern dramatisch erschütterte.

2.4.2 Bruch der Koalition 1966

1966 brach die Koalition auseinander, die politischen Gemeinsamkeiten zwischen der FDP und den Unionsparteien waren verschwunden. In der Deutschland- und Ostpolitik ging Mitte der sechziger Jahre kaum noch etwas zusammen. Gleichzeitig hatten sich die Schnittstellen zwischen Sozialdemokraten und Liberalen erheblich vermehrt. Sie drängten in der Bildungs- und Rechtspolitik auf Reformen. Ihre Forderungen lagen dicht beieinander. Allein in der Sozialpolitik waren die Gegensätze schwer zu überbrücken. Zu einer sozial- liberalen Koalition kam es dennoch nicht. Herbert Wehner und Helmut Schmidt trauten der FDP nicht viel zu, sie hielten sie für unzuverlässig, exzentrisch und politisch unberechenbar. Deshalb gaben sie allen deutschland- und ostpolitischen Gemeinsamkeiten mit der FDP zum Trotz, der Großen Koalition den Vorzug.

2.4.3 Fazit

Zwischen 1964 und 66 praktizierte die FDP einen Spagat zwischen einerseits einer loyalen Zusammenarbeit mit der Union unter Erhard mit einer relativ starken Ministermannschaft von fünf Bundesministern und andererseits dem Versuch, Eigenständigkeit und politisches Profil auf den Gebieten der Deutschlandpolitik und der Bildungs- und Rechtspolitik zu erlangen. Dazu kam eine gewisse Stagnation in der Parteiführung, die sich allzusehr auf ein „Weiterfahren auf ausgefahrenen Wegen“ beschränkte, anstatt irgendwie neue Wege bewußt zu suchen.

Wieder einmal zeigte die FDP ein Bild voller Widersprüche und Gegensätze. In Teilen stagnierten die Liberalen seit Jahren, waren konservativ starr und unbeweglich geworden. Andere Gruppen der Freien Demokraten waren im Aufbruch, vielfach zwar noch ohne präzise Vorstellungen über Richtung und Ziel, aber doch in Bewegung. Überraschend wenig Gedanken hatte sich die Parteiführung um Mende über die zum Teil rasanten Veränderungen gemacht, die während der sechziger Jahre in der parteipolitischen Landschaft, in der Sozialstruktur und in den kulturellen Orientierungen der bundesdeutschen Gesellschaft stattfanden. Die großen Parteien entideologisierten sich; die Gesellschaft enttradionalisierte sich; die neuen Mittelschichten expandierten, wurden weltoffener und modernen. Doch all die ging an der FDP bis 1966 fast spurlos vorüber, war für sie kein Grund, sich mit den daraus entstehend en Chancen und Risiken für den Liberalismus zu beschäftigen, den künftigen Raum für eine liberale Partei auszuloten und intellektuell zu besetzen. Der freidemokratische Führungskreis um Mende blieb hinter der Entwicklung zurück, die sich in diesen Jahren in der Bundesrepublik vollzog.

Da konnten auch die zweifellos kreativen, mutigen und konzeptionellen Ansätze und Vorstellungen in der Deutschland- und Ostpolitik nicht helfen. Hier ging die FDP als erste neue Wege, die aus der Adenauer-Ära hinausführten.

Insgesamt war der Liberalismus mit sich selbst nicht im reinen, redete mit vielen Zungen, der Gang in die Opposition die logische Konsequenz.

2.5 1967 – 1969: Die FDP erneut in der Opposition

2.5.1 Das Aktionsprogramm „Ziele des Fortschritts“ 1967

Die durch den Koalitionsbruch aufgezwungene Oppositionsrolle erzeugte bei der Parteiführung einen gewissen Aufrüttelungseffekt. Die Existenzgefährdung durch eine geplante Einführung des Mehrheitswahlrechts wurde akut.

Der Kampf gegen die Notstandsgesetzgebung aktivierte die Partei und erschloß ihr neue Anhänger. Mit einem neuen Aktionsprogramm „Ziele des Fortschritts“ versuchte die Partei ihre Position zur Großen Koalition zu artikulieren. Dieses, auf dem Bundesparteitag in Hannover vorgelegte Programm, beruht auf der Tatsache, das der Liberalismus den modernen Rechtsstaat geschaffen habe, der auf einer Sicherung und Gewährleistung der freiheitlichen Grundrechte seiner Bürger beruhe. Daher müsse die Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik vor allem freiheitlich und fortschrittlich, also liberal sein. Wichtig in diesem Programm ist vor allem, das Liberalismus und liberale Politik als Politik des Fortschritts deklariert und Fortschritte in der Deutschlandpolitik als besonders wichtig angesprochen werden.

2.5.2 Walter Scheel als Wegbereiter der sozial-liberalen Koalition

Die FDP war unter Druck geraten, die Fronten prallten stärker aufeinander als zuvor; der Riß durch die Partei vertiefte sich. Die jungen Rebellen wie Genscher und Scheel setzten unübersehbar auf die Reform der Partei und eine behutsame Verschiebung des politischen Standorts der Freien Demokraten. Im Visier hatten sie vor allem den Parteivorsitzenden Mende. Er wandelte sich vom Integrator zum beleidigten Polarisierer, der die Konflikte zuspitzte, statt sie wie bisher abzumildern und aus der Welt zu schaffen. Er wurde zunehmend zur Last für die Liberalen. Der Repräsentant bürgerlicher Zusammengehörigkeit und verläßlicher Partner der Union hatte, so sahen sie es, seine Schuldigkeit getan. Man wollte ihn loswerden.

So trat im Januar 1968 Walter Scheel an die Spitze der Partei. Er wurde anfangs unterschätzt, auch in seiner eigenen Partei. Trotzdem war ihm die Integration der auseinenderdriftenden Partei eher zuzutrauen als anderen. Er versuchte zu vermitteln, die Partei zusammenzuhalten. Er erkannte, das die Liberalen nach neuem Terrain Ausschau halten mußten. Die einseitige Fixierung auf die CDU hatte den politischen Gestaltungsraum und das Einflußpotential der FDP in der Vergangenheit erheblich beschnitten und die Partei nach 1966 in eine bedrohliche, existenzgefährdende Lage gebracht. Die FDP mußte daher auch die zweite Option, ein Bündnis mit der SPD ins Spiel bringen.

Erstes Anzeichen für ein solches Bündnis war die Wahl zum Bundespräsidenten 1969. Die FDP unterstützte den sozialdemokratischen Kandidaten Gustav Heinemann der schließlich mit den Stimmen der FDP im dritten Wahlgang mit sechs Stimmen Vorsprung zum dritten Bundespräsidenten der Bundesrepublik gewählt wurde.

2.5.3 Das Wahlprogramm 1969

Es beschreibt die Wandlung und Entwicklung der FDP von einer bürgerlichen Wirtschafts- und nationalliberalen Interessenpartei zu einer Partei des liberalen Fortschritts und der politischen Mobilität.

Es beinhaltet einen politischen Reformkurs in der Innen-, Wirtschafts-, und Außenpolitik. Neben Aussagen zu einer neuen Ost-, und Deutschlandpolitik wird in dieser Wahlprogrammaussage besonders eine progressive Innen- und Bildungspolitik hervorgehoben. Der Reformkurs wird besonders deutlich in Aussagen wie die Forderung zur Herabsetzung des Wahlalters, Eintreten für Pressefreiheit, Forderung zur Revision der Notstandsgesetze, Reform des Strafrechts, des Strafvollzugs und des Grundgesetzes.

Eine Neuorientierung gab es auch in der Deutschland- und Außenpolitik: Man trat nicht mehr für eine Westintegration ein wie früher mit Adenauer, sondern auch für eine Entspannungs- und Vertragspolitik zur Sowjetunion. Die DDR wurde nicht mehr nur als staatliches „Nullum“ oder „Phänomen“, wie sie Kiesinger bezeichnete, betrachtet, sondern als Gesprächs- und Vertragspartner.

2.5.4 Bundestagswahl 1969

Unter dem Duo Scheel/Genscher, das den Wahlkampf leitete, setzte die FDP zunächst die Reform des Liberalismus aus. Nichts sollte mehr auf eine Annäherung an die SPD hindeuten. Man hatte durch die offensichtliche Unterstützung der SPD bei der Wahl zum Bundespräsidenten zu viele Altliberale verschreckt. Viele von ihnen kehrten 1969 der FDP den Rücken. Die altmittelständische Basis, die sozial schon seit Jahren erodierte, brach der FDP nun auch politisch weg. „Progressiv“ an der FDP war im Wahljahr lediglich das Outfit, das Design. Die FDP wurde zur Partei der drei Punkte, eben zur „F.D.P.“. Sie versprach auf Plakaten und in Zeitungsinseraten, die alten Zöpfe abzuschneiden und Deutschland zu verändern. Mit welchem politischen Partner und auf Basis welcher Politik sie das zu tun beabsichtigte, darüber erteilte sie keine Auskünfte, das ließ sie bis wenige Tage vor den Wahlen im Dunkeln.

Doch das bloße taktieren brachte sie selbst fast unter die Fünf-Prozent-Hürde. Die FDP stand in Sommer 1969 für nichts, weder für die eine, noch für die andere Perspektive.

Als die Meinungsforscher in den Wochen vor der Wal die FDP bei nicht einmal mehr vier Prozent sahen, warf Scheel doch noch verzweifelt das Ruder herum und äußerte eine Präferenz für die Koalition mit der SPD.

Am Wahlabend fuhr die FDP schließlich gerade einmal 5,8 % der Stimmen ein. Sie erhielt die Quittung für das Machtspiel der taktischen Offenheit nach allen Seiten. Die Profillosigkeit der Freidemokraten hatten zu ihrer Niederlage geführt, übertriebenes taktieren keine Früchte getragen. Die Chance, in neuen Wähler- schichten Fuß zu fassen, war nicht wahrgenommen worden, die Modernisierung und Reform der Partei hatte man abgeblasen.

Trotz des schlecht en Wahlergebnisses ging Walter Scheel noch am Wahlabend eine sozial- liberale Koalition mit der SPD unter Willy Brandt ein. Allerdings konnte sich die Koalition , an der die FDP mit drei Ministern beteiligt war, nur auf eine schmale Parlamentsmehrheit stützen und war auch innerhalb der FDP sehr umstritten.

2.5.5 Fazit

Zwischen 1966 und 1968/69 ging in der FDP ein ganz enormer innerer, einerseits generationsbedingter, andererseits soziologisch und ideologisch bedingter Wandlungs- und Entwicklungsprozeß vor sich. Gerade der Führungswechsel von Mende zu Scheel beruhte nicht etwa nur auf innerparteilichen Absprachen oder Mehrheitsverhältnissen wie bei früheren Führungswechseln und war auch nicht etwa Ergebnis der Meinungsmache einiger politischer Publikationsorgane in der Bundesrepublik, sondern ging auf einen sehr komplexen, tieferliegenden Wandlungsprozeß in der ganzen Wähler-, Sympathisanten- und auch Mitgliederstruktur der FDP zurück.

Trat sie noch 1961 als Mehrheitsbeschaffer für die Union und Adenauer auf, war ihre Rolle bei der Wahl 1969 das des „Züngleins an der Waage“. Obwohl rein rechnerisch die Wiederauflage einer CDU/FDP Koalition möglich gewesen wäre, entschied sich die FDP für die sozial- liberale Koalition und ebnete somit den Weg für die erste SPD- geführte Bundesregierung und somit für einen Richtungs- und Politikwechsel in der Bundesrepublik.

3. Bilanz

Die Entwicklung der FDP läßt sich in den sechziger Jahren in drei Abschnitte einteilen. Die Freien Demokraten waren als die ewigen Drittplazierten niemals in der Lage, selbst den Bundeskanzler zu stellen und deshalb auf einen Koalitionspartner angewiesen.

In der ersten Phase orientierte sich die Partei ausschließlich an der CDU/CSU und gab diese Haltung auch nach vierjähriger Opposition (von 1957 bis 1961) nicht auf, obwohl eine Änderung rein rechnerisch möglich gewesen wäre. Ihr Ziel war es damals, eine absolute Mehrheit der CDU zu verhindern und 1961 den mittlerweile 85 Jahre alten Bundeskanzler Adenauer zum Rücktritt zu bewegen, um einen anderen CDU-Kanzler zur Mehrheit zu verhelfen. Sie spielten die Rolle des Mehrheitsbeschaffers der mit klarer Koalitionsaussage für die Union in den Wahlkampf ging.

In den zweiten Entwicklungsabschnitt traten die Freien Demokraten 1966 ein, als sie, ohne das Neuwahlen abgehalten worden wären, in die Opposition gerieten und diese Rolle ohne Anlehnung an eine der beiden Großparteien spielen mußten.

Drei Jahre später begann mit der Bildung der sozial- liberalen Koalition die dritte Phase. Die FDP spielte hier „Zünglein an der Waage“, bis zuletzt hielt sie die mögliche Koalitionsfrage offen, je nach Wahlergebnis würde sie sich entscheiden wollen.

Dieses Taktieren war nicht nur durch das Duo Scheel/Genscher möglich, sondern auch durch den Richtungswechsel in der Deutschland- und Ostpolitik der inhaltlich erst eine Koalition mit der SPD ermöglichte.

Außer den inhaltlichen Veränderungen der FDP waren die jeweiligen Entscheidungen der Parteivorsitzenden „Geburtshelfer“ der jeweiligen Koalitionen.

So war es 1961 Erich Mende, der die FDP bedingungslos auf Regierungskurs mit der Union trimmte. 1969 war es Walter Scheel der die Liberalen in letzter Minute auf einen Kurs in Richtung einer sozial- liberalen Koalition brachte.

Für ihr politisches Verhalten erhielt die FDP in dieser Zeit Ho hn und Spott selten einmal Lob und Anerkennung. Bis 1966 war sie in den Augen vieler Bürger nur ein Anhängsel der Union das ihr Mehrheiten für den jeweiligen Kanzler lieferte. Das Umfallen bei der Wahl 1961 als sie trotz Adenauer in die Koalition einwilligte, verstärkte nur noch diese Ansicht.

Zeigte sie dann doch einmal Courage und eigenes Profil wie beim Koalitionsbruch 1966, galt sie nur als untragbare und politische unberechenbare Partei.

Höchstens nach dem Regierungswechsel 1969 gab es positivere Wertungen für die FDP. Nur durch ihren Mut zu einer Koalition mit der SPD war ein Wechsel, ein Wandel in der Bundesrepublik und eine Belebung der politischen Szenerie möglich geworden.

Nach 29 Jahren ununterbrochener Regierungszugehörigkeit mußte die FDP 1998 zum dritten Mal in ihrer Geschichte in die Opposition. Doch anders als 1956 und 1966 ist ihre Ausgangslage heute weitaus schwieriger. Sie hat ihre Rolle als dritte politische Kraft und „Königsmacher“ verloren. Sie wird nicht mehr unbedingt zur Regierungsbildung benötigt. Ihre Rolle als Mehrheitsbeschaffer und Zünglein an der Waage hat sie mit Aufkommen der Grünen im Bund wie in den Ländern verloren.

Es bleibt abzuwarten ob es die FDP versteht mit dieser Situation umzugehen und wieder den Sprung zurück an die Regierung schafft wie sie es auch die beiden Male zuvor geschafft hatte.

Literaturverzeichnis

Brauers, Christof: Liberale Deutschlandpolitik 1949 – 1969. Positionen der F.D.P. zwischen nationaler und europäischer Orientierung.

Münster; Hamburg 1993

Henning, Friedrich: F.D.P. – Porträt einer Partei. München 1982

Juling, Peter: Programmatische Entwicklung der FDP 1946 – 1969. Einführung und Dokumente.

Meisenheim am Glan 1977

Koerfer, Daniel: Die FDP in der Ident itätskrise: Die Jahre 1966 – 1969 im Spiegel der Zeitschrift „liberal“.

Stuttgart 1981

Lösche, Peter/Walter, Franz: Die FDP: Richtungsstreit und Zukunftszweifel. Darmstadt 1996

Nohlen, Dieter (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik. 3. Auflage, Bonn: 1998

Scheel, Walter/Graf Lambsdorff, Otto (Hg.): Freiheit in Verantwortung – Deutscher Liberalismus seit 1945.

Gerlingen: 1998

Schmidt, Manfred G.: Wörterbuch zur Politik Stuttgart: 1995

Schollwer, Wolfgang: FDP im Wandel: Aufzeichnungen 1961 – 1966. München: 1994

Völk, Josef A.: Regierungskoalitionen auf Bundesebene. Dokumentation und Analyse des Koalitionswesens von 1949 – 1987.

Regensburg: 1989

Excerpt out of 13 pages

Details

Title
Die Rolle der FDP in den 1960er Jahren
College
University of Mannheim
Course
PS: Die BRD in den 1960er Jahren
Grade
2.0
Author
Year
1999
Pages
13
Catalog Number
V100378
ISBN (eBook)
9783638988049
File size
355 KB
Language
German
Keywords
Rolle, Jahren
Quote paper
Torsten Böhm (Author), 1999, Die Rolle der FDP in den 1960er Jahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100378

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Die Rolle der FDP in den 1960er Jahren



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free