Der Fall Krupp. Ein Skandal der Homosexualität?


Seminararbeit, 2013

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Stellung der Sozialdemokraten zur Homosexualität

3. Analyse des Artikel „Krupp auf Capri“ aus dem Vorwärts vom 15.11.1902

4. Wie verschiebt sich der Gegenstand der Diskussion im Laufe des Skandals?

5. Inwiefern mischen sich homophobe und antikapitalistische Diskurselemente im Krupp-Skandal?

6. Fazit

7. Literatur

8. Quellen

1. Einleitung

Am 15.11.1902 erscheint im sozialdemokratischen Magazin „Vorwärts“ ein Artikel über den Großindustriellen Friedrich Alfred Krupp. Die Zeitung erhebt den Vorwurf, dass Krupp auf seiner Ferienresidenz Capri der homosexuellen Unzucht mit jungen Männern huldige. Am 22.11.1902 stirbt Krupp, der reichste Mann Deutschlands, unter ungeklärten Umständen. Die durch beide Ereignisse losgetretene, intensiv geführte, öffentliche Debatte über Homosexualität und weitere Themen ging als Krupp-Skandal in die Geschichte ein.

Diese Arbeit setzt sich damit auseinander, inwiefern man bei diesen Ereignissen von einem Homosexualitätsskandal sprechen kann. Dazu wird das Verhältnis der SPD zur Homosexualität in einem Vorkapitel beleuchtet. Die Widersprüchlichkeit der skandalträchtigen Bloßstellung Krupps durch ein sozialdemokratisches Organ und die Widersprüchlichkeit der Stellung der SPD zur Homosexualität allgemein sollen dargestellt werden. Als Quelle wird intensiv auf den skandalisierenden Zeitungsartikel vom 15.11.1902 eingegangen. Dabei wird vor dem Hintergrund der allgemeinen Stellung der SPD zur Homosexualität die Intention der SPD untersucht, Krupps Privatleben in einer derartigen Form auf eine politische Ebene zu heben.

Im darauf folgenden Kapitel möchte ich darauf eingehen, wie der Skandal verläuft und wo die Diskussionspunkte der Beteiligten liegen. Es soll dargestellt werden, dass der Skandal in seinem Verlauf durchaus verschiedene Wendungen nimmt. Auch die ideologische Frage der am Anfang erwähnten Widersprüchlichkeit der Stellung der SPD zur Homosexualität wird anhand der Hinzunahme antikapitalistischer Tendenzen aufgelöst . Im Fazit soll ein begründetes Urteil darüber gefällt werden, ob man den Krupp-Skandal als Homosexualitätsskandal bezeichnen kann und welche anderen Elemente den Skandal prägen.

2. Stellung der Sozialdemokraten zur Homosexualität

Bis zum Jahre 1895 habe man sich in der SPD kaum oder nur wenig mit der Homosexuellenfrage auseinandergesetzt. In „Der Neuen Zeit“ beschäftigt sich der sozialdemokratische Journalist Eduard Bernstein zum ersten mal öffentlichkeitswirksam mit dieser Thematik. Er beurteilt es als unmoralisch, den Verkehr mit einer Frau aus reiner Lust ohne den Fortpflanzungsgedanken gesellschaftlich zu dulden, andererseits aber den Verkehr zwischen Männern unter Strafe zu stellen.1 Bernstein vertritt die Position, dass man bezüglich Homosexualität nicht pauschalisieren dürfe und bei jedem Falle individuell betrachtet werden müsse, ob sich die jeweilige Person wilder Unzucht hingibt oder eine innige Beziehung zu einer anderen männlichen Person führt.2 Es lässt sich eine Zweiteilung in zulässige und dekadente Homosexualität ausmachen. Diese Position lässt sich als ein Kontinuum der Stellung der SPD im Kaiserreich bezeichnen und wird viele Male vertreten. Allgemein wird die Position der Sozialdemokraten zu Homosexualität jedoch als uneinheitlich bezeichnet.3

Im Jahre 1898 hält August Bebel im Reichstag eine Rede, in der er begründet, weshalb die SPD die Petition von Magnus Hirschfeld, der Mitbegründer des ersten deutschen Homosexuellenverbandes ist, zur Abschaffung des § 175, welcher homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt, unterstützt.4 Er droht damit, die angeblichen „rosa Listen“ der Berliner Polizei, welche Namen hochrangiger, homosexueller Politiker enthielt, zu veröffentlichen, um die verkommene Moral der Oberschicht zu entlarven. Dies habe einen unglaublichen Skandal zur Folge. Auch setzt er sich dafür ein, dass der homosexuelle Verkehr zwischen Männern und Frauen vor Gesetz gleichermaßen gehandhabt werden sollte. Sein Hauptargument zur Abschaffung des § 175 besteht jedoch darin, dass es rechtsstaatlich nicht akzeptabel sei, ein Gesetz nicht zu beachten. Er bezieht sich auf die Berliner Polizei, welche trotz ihrer „rosa List“ nicht eingreift.5

Die Enthüllung der angeblichen homosexuellen Handlungen Friedrich Alfred Krupps durch eine sozialdemokratische Zeitschrift erscheint im ersten Moment paradox, da die SPD allgemein für eine Abschaffung des § 175, welcher den Geschlechtsverkehr zwischen Männern als Straftat definierte, plädiert. Diese Widersprüchlichkeit wird auch von Dieter Richter thematisiert. Einerseits soll der § 175 abgeschafft werden, andererseits wird Homosexualität als „widernatürliches Laster“6 stigmatisiert und als typisch für die höheren Klassen bezeichnet. Diese Widersprüchlichkeit könnte dadurch erklärt werden, dass die SPD Homosexualität in Kombination mit Kapital, was automatisch zur Korruption führe, verurteilt, aber im allgemeinen auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist und Homosexualität als natürlich ansieht.7 Im Allgemeinen sehe die Sozialdemokratie homosexuellen Verkehr nicht als Indikator einer dekadenten Gesellschaft im Zerfallsprozess, was seit der Antike ein geläufiges Bild war, sondern weise darauf hin, dass Homosexualität in allen Gesellschaften zu finden sei.8

Tatsächlich scheint die Veröffentlichung von sexuellen Skandalen sowie eine steigende Thematisierung des Sexuellen zur politischen Strategie der Sozialdemokratie gehört zu haben. Damit bezweckte man die Enthüllung der moralischen Sittenlosigkeit der Gegenpartei und versuchte, sie zu diskreditieren.9 Frank Bösch beschreibt, wie die sozialdemokratische Presse das Private eines Staatsmannes geschickt in das Politische verwebt und somit über eine größere Angriffsfläche in politischen Konflikten verfügt. Auch wurden hierdurch Debatten über bisherige Tabuthemen angeregt.10 Dies geht sogar so weit, dass zeitgenössische Stimmen das Vorgehen der SPD als eine „Politik der Sensationen“ bezeichnen, welche lediglich dazu dienten, die Gegenpartei anzugreifen.11 Hier lässt sich ein weiterer Widerspruch der Stellung der SPD zur Homosexualität ausmachen. Einerseits versuchen die Sozialdemokraten, die Homosexualität prominenter Persönlichkeiten öffentlich zu machen, um die sittenlose Moral der Oberschicht bloßzustellen, andererseits wird Homosexualität als natürlich bezeichnet, da sie nicht ausschließlich in dekadenten Gesellschaften vorkomme. Es wird sich zeigen, ob sich diese Kontraste im weiteren Verlauf der Arbeit noch auflösen lassen.

3. Analyse des Artikel „Krupp auf Capri“ aus dem Vorwärts vom 15.11.1902

Der Zeitungsartikel, auf welchen ich Bezug nehme, erschien am 15.11.1902 im sozialdemokratischen Tagesblatt „Vorwärts“. Die Publikation dieses Artikels, der vermutlich aus der Feder von Kurt Eisner stammt12, wird als Auslöser des „KruppSkandals“, welcher durch kontroverse, öffentliche Diskussionen über Homosexualität, Presserecht und das Verhältnis der arbeitenden zur besitzenden Klasse charakterisiert werden kann, bezeichnet.13

Zu Beginn des Artikels verweist der Autor darauf, dass die Tatsache der Homosexualität Friedrich Alfred Krupps gerüchteweise hinter vorgehaltener Hand schon bekannt sei, man sich aber hierzu nicht äußern wolle, bis nicht „einwandfreie“14 Informationen vorlägen. Der Zeitungsartikel geschieht also unter der angeblichen Prämisse der faktischen Korrektheit, obwohl dies nicht tatsächlich belegt ist.15

Ohne bereits den konkreten Vorwurf der Homosexualität erwähnt zu haben, greift der „Vorwärts“ zu klassenkämpferischen Parolen, indem Homosexualität als „kapitalistisches Kulturbild krassester Färbung“16 bezeichnet wird. Interessant ist auch, dass diese antikapitalistische Instrumentalisierung erwähnt wird, bevor § 175 angesprochen wird. Hieraus könnte man ableiten, dass die Prioritäten des „Vorwärts“ ebenfalls in dieser Reihenfolge gesetzt sind und somit der antikapitalistische Politisierung ein größerer Wert beigemessen wird als der Frage, ob Friedrich Alfred Krupp tatsächlich homosexuell veranlagt ist.

Im folgenden macht der Autor dem Leser bewusst, welche bedeutende Persönlichkeit Friedrich Alfred Krupp im Deutschen Reich ist und was für eine Einschränkung und „Qual“17 die wortgetreue Anwendung des § 175 für diesen Mann wäre. August Bebel verweist in einer Rede darauf, dass § 175 jedoch in häufigen Fällen trotz genauster Kenntnis der Polizei nicht so ausgeführt wird, wie es im Gesetz geschrieben steht.18 Zugleich kehrt der Artikel wieder zu seiner klassenkämpferischen Komponente zurück, indem Krupp einem Besitzlosen gegenübergestellt wird, welcher nicht die Möglichkeit habe, wie der Industrielle ein Netz der Korruption zur eigenen Indemnität zu weben. Auch hier klingt wieder an, dass die Homosexualität Krupps ein typisches Beispiel der bourgeoisen Klasse sei, welche es pflege, sich mit finanzieller Macht einer Strafe zu entziehen. Der Dualismus der Gegenüberstellung von Krupp mit einem Besitzlosen zeichnet das für die Argumentation der SPD typische Bild der „Gut-und-Böse“-Moral, in der die besitzende Klasse im allgemeinen als verkommen und die Arbeiter als tugendhaft angesehen werden. Auch wird die Geschichte Capris herangezogen, um die aufgebauten Stereotype zu bekräftigen. Durch einen Verweis auf den mutmaßlich homosexuellen und pädophilen römischen Kaiser Tiberius wird impliziert, dass sich Krupp ebenfalls fern jeglicher politischer Realität der unmoralischen Sinnlichkeit und dem sittenlosen Verfall hingibt.

Dieses interpretatorische Bild wird durch die darauf folgenden Worte konterkariert. Es wird berichtet, „dass der Mann auch in seiner Capri-Muße nicht rastete“19, sondern der Insel beispielsweise einen neuen, kunstvollen Weg anlegen ließ. Der Eindruck des am Allgemeinwohl interessierten Gönners wird jedoch als Fassade durchschaut, da der wahre Grund, weshalb Krupp auf Capri sei, nicht sein Interesse am Wohlergehen der Capreser sei, sondern die italienische Gesetzeslage, welche keinen § 175 kenne.

Im folgenden wird der Vorwurf des homosexuellen Verkehrs, welcher bisher nur implizit über dem Artikel schwebte, konkret ausgesprochen. Dabei beruft man sich auf Bilder eines lokalen Fotografen, welche jedoch nicht vorliegen.20 Auf Capri habe sich durch Krupp ein „Zentrum homosexuellen Verkehrs“21 entwickelt, welches sogar durch die neapolitanische Presse schweigend geduldet werde. Moralisch stellt sich der Vorwärts über die lokale, italienische Presse, da man selbst zu solchen Vorwürfen nicht schweigen könne, wie zu Beginn des Artikels herausgestellt wird. Der „Vorwärts“ zählt Hinweise auf, welche die Korruption durch den Industriellen belegen und spricht von einem „Kriechen vor Krupp“22, welches sogar italienische Behörden erfasst habe.

Nun geht der Autor auf den Bericht eines Inspektors der öffentlichen Sicherheit ein, welcher sich mit Krupps Aktivitäten auf Capri befasst haben solle. Die Ergebnisse dieses Berichtes seien für die italienischen Behörden Anlass gewesen, Krupp der Insel zu verweisen.

[...]


1 Bernstein, Eduard: Die Beurtheilung des widernormalen Geschlechtsverkehrs, in: Die Neue Zeit 13.2.1895, S. 228-233.

2 Bösch, Frank: Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880-1914, München 2009, hier S. 98.

3 Bösch 2009: 106.

4 s. 2.

5 Stenographische Berichte: 13.1.1898, 16. Sitzung, Bd. 159, S. 410.

6 Richter, Dieter: Bruder Glücklichs trauriges Ende; in: Die Zeit, 25.7.2002.

7 Spector, Scott: Where Personal Fate Turns to Public Affair. Homosexual Scandal and Social Order in Vienna. 1900-1910; in: Austrian History Yearbook 38 (2007), 15-24, hier 18.

8 Winzen, Peter: Der erste politische Homosexualitätsskandal im Kaiserreich. Friedrich Alfred Krupp (1854-1902); in: Archiv für Kulturgeschichte 93 (2011); S. 415-450, hier S. 415-416.

9 Bösch, Frank: Das Private wird politisch. Die Sexualität des Politikers und die Massenmedien des ausgehenden 19. Jahrhundert; in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (52) 2004, S. 781-802, hier 791.

10 Bösch 2004: 796, 801.

11 Bösch 2009:109.

12 Richter, Dieter: Krupp auf Capri. Ein Skandal und seine Geschichte; in: Epkenhans, Michael; Stremmel, Ralf (Hg.): Friedrich Alfred Krupp. Ein Unternehmer im Kaiserreich, München 2010; S.157-178, hier 174; auch Bösch 2009: 101 (Anmerkung 258).

13 Winzen 2011: 415.

14 Vorwärts 15.11.1902.

15 Winzen 2011: 422. „Verbürgte Einzelheiten seiner homoerotischen Aventüren, wenn es sie überhaupt gab, sind nicht bekannt.“

16 Vorwärts 15.11.1902.

17 Vorwärts 15.11.1902.

18 Stenographische Berichte: 13.1.1898, 16. Sitzung, Bd. 159, S. 410.

19 Vorwärts 15.11.1902.

20 Bösch 2009: 101.

21 Vorwärts 15.11.1902.

22 Vorwärts 15.11.1902.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Fall Krupp. Ein Skandal der Homosexualität?
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
16
Katalognummer
V277981
ISBN (eBook)
9783656725381
ISBN (Buch)
9783656741077
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedrich Alfred Krupp, Homosexualität, Vorwärts, Kaiserreich, Krupp-Skandal, SPD
Arbeit zitieren
Hendrik Bergers (Autor:in), 2013, Der Fall Krupp. Ein Skandal der Homosexualität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277981

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