Über Peter Handke: "Die Stunde der wahren Empfindung"


Seminararbeit, 2003

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Vorworte
1.1 Schritt eins: Die Arbeit mit dem Primärtext
1.2 Schritt zwei: Die Beschäftigung mit Sekundärliteratur

2. Schwerpunktthemen
2.1 Der Sinn
2.2 Der Tod
2.3 Die Neuentdeckung der Gefühle

3. Was ist die Stunde der wahren Empfindung?

4. Schlusswort

5. Quellenangaben

1. Vorworte

1.1 Schritt eins: Die Arbeit mit dem Primärtext

Zu Beginn einer Beschäftigung mit der Rezeption des Werkes eines Autors muss logischerweise die Auseinandersetzung mit dem Primärtext stehen. In diesem Fall ist dies „Die Stunde der wahren Empfindung“ von Peter Handke und schon bei dem Versuch, die Gattung zu definieren steht der Leser vor einem Problem. Ist es ein Roman, eine Erzählung oder noch etwas Anderes?

Das Buch ist gattungsspezifisch genau so ein Sonderfall wie der Autor Handke an sich. Man kann ihn spontan ablehnen oder mögen. Im ersten Fall wird man nach der Lektüre der „Stunde der wahren Empfindung“ ungehalten den Kopf schütteln und nichts erfahren haben. Im zweiten Fall, wird die Zuneigung zur Geschichte Gregor Keuschnigs - der eines Nachts einen Traum hat, der seine bisherige Lebensweise in Frage stellt - und zum Stil Handkes zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Buch und zum Versuch, die Handlung zu analysieren und verschiedenartig zu deuten, führen. Wenn dem so ist, dann ist es sinnvoll, sich neue Denkanstöße durch Rezensionen zu holen und an diesem Punkt kommen die Literaturkritiker ins Spiel.

1.2 Schritt zwei: Die Beschäftigung mit Sekundärliteratur

Sobald ein neues, vielversprechendes Buch erscheint oder ein Buch, dessen Autor in der Regel für ambivalente Presse sorgt, erscheint in diversen Zeitungen auch immer eine Fülle von Kritiken zu diesem Werk. Diese Rezensionen haben meist nicht nur rein informativen Charakter sondern unterliegen stark der Subjektivität der Literaturkritiker, die untereinander teilweise einen regelrechten Diskurs betreiben.

Peter Handke ist ein Autor, an dem die Meinungen auseinandergehen und der das Lager der Literaturkritiker spaltet. Es gibt „Handke-Fans“ und „Handke-Gegner“, wie zum Beispiel Marcel Reich-Ranicki, der es sich zu einem Grundsatz gemacht zu haben scheint, konsequent negative Kritiken über Peter Handkes Werke zu schreiben. Das Interessante ist, dass die Kritiker, die Handke befürworten und die, die ihn ablehnen dies meist aus denselben Gründen tun und auch dieselben Aspekte in ihren Rezensionen ansprechen.

Ein ganz großer Kritikpunkt an oder Pluspunkt von Handke – je nachdem wen man fragt - ist zum Beispiel seine Sprache. Von den einen als „brillant formuliert“[1] oder „flüssig leicht“[2] bezeichnet, wirkt sie auf andere nur „sachlich nah-distanziert“[3] oder “belanglos“.[4] Die poetische Leichtigkeit, die einige Kritiker an der Erzählweise Handkes schätzen, tadeln andere wiederum als unmodernen, hohen Ton.

Auch der Erzählstil Peter Handkes wird von den Kritikern ebenso geliebt wie gehasst. Zu der „Stunde der wahren Empfindung“ schreibt Hellmuth Karasek: „Der Action-Film läuft im Kopf und nicht auf der Straße ab“.[5] Dies ist bezeichnend für Handke, in dessen Erzählungen die Innen- und Außenwelt sich oft gegenüberstehen und es passieren kann, dass die Haupthandlung tatsächlich im Kopf der Protagonisten stattfindet.

Ein weiterer häufiger Streitpunkt an Handkes Werken ist die Religiosität, die einige Kritiker in ihnen sehen und stark bemängeln. Auf „Die Stunde der wahren Empfindung“ trifft dies jedoch nicht zu.

In Bezug auf „Die Stunde der wahren Empfindung“ haben die Literaturkritiker in ihren Rezensionen weiterhin versucht, die Themen des Buches herauszuarbeiten und zu deuten. Im Großen und Ganzen kann man von drei Hauptthemen ausgehen, die bei allen Rezensenten genannt, aber verschiedenartig gedeutet werden.

2. Schwerpunktthemen

Ein wichtiges Thema in der „Stunde der wahren Empfindung“ ist der Sinn. Der Sinn des Lebens ebenso wie der Sinn alltäglicher Kleinigkeiten, Keuschnigs Bewusstwerden, dass er ihn verloren hat und seine Versuche, ihn wieder zu finden.

Ein weiteres Hauptthema ist der Tod. Einige Rezensenten sehen „Die Stunde der wahren Empfindung“ als ein Buch über die Todessehnsucht an, andere sehen den Tod nur als ein letztes Mittel, in dessen Gegenwart Keuschnig den Sinn im Leben wiederfindet.

Und schließlich spielt die Neuentdeckung der Gefühle auch eine große Rolle.

So unterschiedlich diese drei Themen sich auch anhören mögen, in Handkes Geschichte bedingen sie einander. Der Verlust des Sinnes führt zu einer Art Todessehnsucht und im Bewusstsein des Todes sieht Keuschnig plötzlich wieder Sinn im Dasein. Durch seine ganze Entwicklung, bedingt durch die Sinnsuche, hat sich ihm die Welt aber so entfremdet, dass er sie und seine Gefühle neu entdecken muss, oder wie der Rezensent der „Nürnberger Nachrichten“ sich ausdrückt: „Der Tote auf Urlaub muss alle Gefühle neu entdecken.“

2.1 Der Sinn – „Erwarte nicht von mir, dass ich dir den

Sinn deines Lebens liefere.“[6]

An dem Morgen, an dem Gregor Keuschnig aus seinem Mordtraum erwacht, hat sich für ihn alles verändert. Laut Barthel F. Sinhuber von der „Abendzeitung“ prüft er nun alle selbstverständlichen und täglichen Handlungen - wie etwa morgens den Abschied von seiner Frau, die Treffen mit seiner Geliebten oder seine Arbeit - darauf, ob er einen Bezug zu ihnen hat und erschrocken muss er feststellen, dass dies nicht so ist.

Auch der Rezensent der anonymen Kritik in den „Nürnberger Nachrichten“ beschäftigt sich intensiv mit dem Thema der Sinnfrage. Ähnlich wie Sinhuber bemerkt er, dass Keuschnig den Sinn in alltäglichen Dingen nicht mehr findet, geht aber noch weiter und sieht diese Sinnkrise im Bezug auf Keuschnigs ganzes Leben und Dasein.

Wolfgang Nagel ist ebenfalls der Ansicht, dass die Routine des Alltags das Leben für Keuschnig nur noch zu einer Abfolge „überflüssiger Handlungen und vorausahnbarer Konversationen“ macht.

Ulrich Greiner hat zu diesem Thema eine ähnliche Sichtweise wie seine Kollegen, behauptet jedoch zusätzlich, dass Peter Handkes Keuschnig stellvertretend für alle, die dies nicht können oder wollen, die Frage nach dem Sinn stellt, da wir Menschen wahnsinnig werden würden, wenn wir jede unser Alltagshandlungen auf einen Sinn untersuchen müssten.

Ich stimme mit den Rezensenten absolut darin überein, dass Keuschnig den Sinn in alltäglichen Kleinigkeiten nicht mehr sieht. Das Leuchten eines Signallichtes an Bahngleisen erscheint ihm ebenso sinnlos[7] wie das Zusammenleben mit seiner Frau.[8] Er fühlt sich fremd in seinem eigenen Leben und täuscht nur noch vor, so zu sein wie alle anderen, jedoch führt er zuerst sein Leben in gewohnter Weise weiter. Er geht zur Arbeit, besucht seine Freundin, bekommt Besuch von einem österreichischen Schriftsteller. Doch Keuschnig merkt, dass er sich mit dieser Art zu leben nicht mehr identifizieren kann und bricht schließlich aus den Konventionen der Normalität aus. Dieses Ausbrechen fängt mit Kleinigkeiten an, mit dem Bedürfnis, plötzlich die Zähne zu fletschen[9] und artet schließlich aus, als Keuschnig sich bei dem Abendessen mit dem Schriftsteller wie verrückt gebärdet und sich auszieht.

Ob Keuschnigs Suche nach dem Sinn jedoch stellvertretend für uns alle gelten kann, weiß ich nicht. Bestimmt fragen sich viele Menschen ab und zu nach dem Sinn ihres Lebens und ihres Handelns. Dies ist ein ganz normaler Prozess und sorgt dafür, dass wir über unser Dasein nachdenken und etwas verändern, wenn wir merken, dass wir unzufrieden sind.

Greiner hat in dem Punkt recht, dass Menschen wahrscheinlich wirklich wahnsinnig werden würden, wenn sie jede Alltagshandlung auf ihren Sinn untersuchen müssten, aber um sich die Frage nach dem Sinn zu stellen und sich

selbst nicht aus den Augen zu verlieren ist es nicht nötig, jegliche Alltäglichkeit zu analysieren. Ich sehe nicht die Notwendigkeit einer solch gravierenden Krise wie Keuschnig sie durchlebt. Um so aus dem Gleichgewicht zu geraten, muss man sich selbst sehr weit aus den Augen verloren haben und gerade der oben geschilderte Prozess der Selbstreflexion beugt dem vor.

Zudem ist „Die Stunde der wahren Empfindung“ ein sehr subjektives Buch und Gregor Keuschnig ist keine typische Identifikationsfigur. Ich stimme mit Ulrich Greiner also in diesem Punkt nicht überein, bin ansonsten aber durchaus der Meinung der Kritiker.

[...]


[1] Grack, Günther: Der Traum ein anderer Mensch zu werden. In: Der

Tagesspiegel (27.4.1975)

[2] Neumann, Harry: Protokolle aus Paris. Peter Handkes neue

Träume. In: Saarbrücker Zeitung (1.5.1975)

[3] Nagel, Wolfgang: Peter Handkes Stunde der wahren Empfindung. In:

Münchner Merkur (19.3.1975)

[4] Scheller, Wolf: Herr Keuschnig träumt von Mord. In: Wormser Zeitung

(15.5.1975)

[5] Karasek, Hellmuth: Worte für Gefühle von gestern. In: Der Spiegel

(7.4.1975)

[6] Handke, Peter: Die Stunde der wahren Empfindung. 1. Auflage.

Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1999. S.116

[7] Handke, Peter: S.104

[8] Handke, Peter: S.11

[9] Handke, Peter: S.22

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Über Peter Handke: "Die Stunde der wahren Empfindung"
Hochschule
Universität Paderborn
Veranstaltung
Die Rezeption des Werkes von Peter Handke
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V73329
ISBN (eBook)
9783638741194
Dateigröße
388 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Peter, Handke, Stunde, Empfindung, Rezeption, Werkes, Peter, Handke
Arbeit zitieren
MA Annika Wakup (Autor:in), 2003, Über Peter Handke: "Die Stunde der wahren Empfindung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73329

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Über Peter Handke: "Die Stunde der wahren Empfindung"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden