Peter Handke und Serbien. Das slawische Element in seinem Werk „Immer noch Sturm“


Referat (Ausarbeitung), 2014

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Peter Handke und Serbien

Das slawische Element in seinem Werk ÄImmer noch Sturm“

Peter Handke - eine Kurzbiographie

Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen geboren und sein leiblicher Vater war deutscher Unteroffizier und bereits verheiratet, als er seine Mutter Maria (geb. Siutz) kennenlernte. Noch vor seiner Geburt heiratete seine Mutter einen anderen Soldaten, Bruno Handke, und er wurde kurz nach seiner Geburt in der ehemaligen Klosterkirche von Stift Griffen katholisch getauft. Von je her hatte er ein enges Verhältnis zu seinem Großvater mütterlicherseits, Gregor Siutz, der als Bauer und Zimmermann arbeitete. Im Jahre 1944 zog er mit seiner Mutter zu den Eltern ihres Mannes in den Ostteil Berlins, das sie kurz vor der Blockade Berlins durch die Sowjets im Juni 1948 wieder verließen und in den Heimatort der Mutter übersiedelten. Von 1948 bis 1952 besuchte er die Volksschule Griffen und danach zwei Jahre die Hauptschule, bevor er im Jahre 1954 in das katholisch-humanistische Gymnasium Tanzenberg bei Maria Saal wechselte, wo er als Internatszögling bis zur siebten Klasse seine Schulzeit verbrachte. Im Jahre 1959 wechselte er ins Bundesgymnasium nach Klagenfurt, wo er im Jahre 1961 die Reifeprüfung mit Auszeichnung bestand. Schon während seiner Schulzeit war Handke schriftstellerisch tätig und sein Interesse an der slawischen Balkankultur wurde deutlich, da er anstatt mit seiner Matura- Klasse nach Griechenland zu fahren, allein nach Jugoslawien reiste. Im selben Jahr begann er mit dem Studium der Rechtswissenschaft in Graz, wo er Verbindungen zu dem Literaturkreis ÄGrazer Gruppe“ pflegte und sich der Schriftstellergruppe ÄForum Stadtpark“ anschloss. Nach der Annahme seines ersten Romans ÄDie Hornissen“ durch den Suhrkamp Verlag brach er im Jahre 1965 sein Studium ab und widmete sich ausschließlich der Schriftstellerei.

Bereits im April 1966 stellte er sein erstes Schauspiel ÄPublikumsbeschimpfung“ bei einem Treffen der ÄGruppe 47“ in Princeton vor, welches in Frankfurt am Main uraufgeführt wurde. Im November 1971 beging seine Mutter nach jahrelangen Depressionen im Alter von 51 Jahren Selbstmord, woraufhin die Erzählung ÄWunschloses Glück“ über das tragische Leben seiner Mutter entstand. In den Jahren 1973 bis 1977 war er Mitglied der Grazer Autorenversammlung und lebte ab 1973 in Paris, kurzfristig in Amerika, bevor er im Jahre 1979 nach Salzburg zurückkehrte. Seit dem Jahre 1990 lebt Handke in der Gartenstadt Chaville bei Paris.

Peter Handke - Museum in Stift Griffen

Im August 1997 konnte durch den Verein ÄKulturinitiative Stift Griffen“ im ehemaligen Prämonstratenser-Stift-Griffen eine Peter-Handke-Ausstellung eröffnet werden, die anlässlich seines 70. Geburtstages im Herbst 2012 zum Teil aktualisiert und erweitert wurde. Ein besonderes Anliegen dieses Vereins, der seit seiner Gründung im Jahre 1996 schon einige Kulturveranstaltungen in Stift Griffen durchgeführt hat, ist die wissenschaftliche Betreuung der Peter-Handke- Dokumentation im Obergeschoß von Stift Griffen, die mit ihren rund 50 literarischen Werken von Peter Handke in verschiedenen Sprachen ständig aktualisiert wird. Des Weiteren existiert innerhalb der Dokumentation der Ansatz zu einem Forschungsinstitut mit einem umfangreichen Archiv zusätzlicher Unterlagen zu seinem Leben und Werk. So fanden unter anderem auch schon Handke-Uraufführungen mit professionellen Schauspielern des Wiener Burgtheaters in Stift Griffen statt.1

Peter Handke - seine Haltung zu Serbien

Im Oktober 1998 drohte die NATO wegen der serbischen Offensive im Kosovo erstmals mit Luftangriffen, und als Reaktion fuhr Handke demonstrativ nach Belgrad, um seine Solidarität mit dem serbischen Volk zu bekunden. Im Februar 1999 erklärte er dem serbischen Staatsfernsehen, dass sein Platz in Serbien sei, falls es zu den von der NATO angedrohten Luftschlägen kommen sollte, und kritisierte die aus seiner Sicht extrem einseitige Berichterstattung über Serbien in den westlichen Medien.2 Im März 1999 begann die NATO mit den Luftangriffen gegen Serbien. Handke meldete sich in der Belgrader Zeitung Politika zu Wort, indem er seine Schriftstellerkollegen wegen deren Schweigen scharf kritisierte, und somit endgültig in die oft nicht nachvollziehbaren Gefilden der Politik eintauchte. In den Medien wurde Handke als Äeine Art serbischer Dichterbonzen“ abqualifiziert. Nur die Wochenzeitschrift Format sah darin nicht so sehr ein ÄEinverständnis mit der Politik des Slobodan Milošević, sondern eine Reaktion auf eine fragwürdige Bündnispolitik“. Außerdem habe Handke laut eines befreundeten Malers, der mit ihm Anfang April 1999 nach Belgrad gefahren ist, während des ganzen Aufenthaltes in Serbien jeden Kontakt mit Politikern sowie den serbischen Medien verweigert, lediglich für die Belgrader Zeitung Politika habe er einige Worte übrig gehabt. Am Tag seiner Heimreise wurde Handke durch den privaten Rat der Serbischen Weltgemeinschaft in Belgrad und die jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug zum ÄSerbischen Ritter“ ernannt, ein Titel, mit dem seit dem Jahre 1993 Personen mit Äaußerordentlichen Wohltaten für das serbische Volk“ ausgezeichnet werden. In einem Brief von April 1999 stellte Handke auch noch einige angeblich von ihm stammende und in den Medien immer wieder kolportierte Zitate richtig, indem er diesmal vor allem den Übersetzern und nur indirekt den Medien die Schuld an Missverständnisse zuschob. Des Weiteren kündigte er seinen Austritt aus der katholischen Kirche an, da der Papst nicht entschieden genug gegen die NATO-Angriffe auf Jugoslawien reagiert hätte. Ende April 1999 fuhr Handke mit zwei Begleiter nach Banja Luka, um sich beim katholischen Bischof der von Bosnien separierten Republika Srpska über die aktuelle Lage zu informieren. Zwei Tage später befand er sich in Belgrad und wurde sogleich von der staatlichen Nachrichtenagentur zum Äerwiesenen Freund des serbischen Volkes“ hochgejubelt. Zum geplanten Besuch im Kosovo kam es angeblich aus Sicherheitsgründen nicht und im Mai 1999 erschien ein Interview mit ihm, in dem Handke meinte, dass ÄAntiserbentum“ für ihn ein Schimpfwort wie Antisemitismus geworden sei, und dass es sich in diesem Krieg auch um ein sprachliches Problem handle.3

Seine kritiklos proserbische Haltung könnte möglicherweise in seiner teilweise slowenischen Abstammung liegen, da er nach anfänglicher strikter Ablehnung sich für die Sprache seiner Mutter und für die Familiengeschichte zu interessieren anfing. Dieses Interesse für das Slowenische kam besonders im Roman ÄDie Wiederholung“ (1986) zum Ausdruck, in dem er der slowenischen Sprache ein literarisches Denkmal setzt und einen Versuch darstellt, eine Traumwelt bzw. Gegenwelt zur (österreichischen) Wirklichkeit zu errichten. Mit der Unabhängigkeit Sloweniens im Jahre 1991 nahm jedoch seine Bewunderung für das Slowenische ein jähes Ende. Die Auflösung des jugoslawischen Staates bedeutete für ihn nicht nur das Ende einer politischen Realität, sondern vor allem das Ende seiner Traumwelt, in der er die im deutschsprachigen Raum so vermisste Wirklichkeit auf intensive Weise erleben könne. Da sich Handke am wohlsten in einem Land fühle, wo man nur Greifbarkeit, Wirklichkeit und Gegenwart spüren kann, so bedeutet für ihn die slowenische Staatsgründung nichts mehr als ein vom Ausland unterstützter Akt des bloßen Egoismus. Daher geht seine Liebe zu Slowenien mit seinem Hass gegen Österreich Hand in Hand und die jugoslawische Teilrepublik Slowenien war ein positiv behaftetes Land, wohin er vor dem realitätsfernen Österreich flüchten konnte.4

Auch in dem im Jahre 1996 veröffentlichten Text ÄGerechtigkeit für Serbien“ geht es ihm um sein ÄBedürfnis nach einer überschaubaren Welt, die noch erzählbare Züge eines Märchens trägt“. Ein Jahr zuvor hat er sich entschlossen, in das Kriegsgebiet zu reisen, und seine Erlebnisse beschreibt er in einem Reisebericht, der seiner Meinung nach ÄWort für Wort als Friedenstext“ zu lesen sei. ÄDie meisten Journalisten und Kommentatoren zeigen kein Verständnis für Handkes realitätsferne, romantisch-verklärte Darstellung der Lage am Balkan.“5 Sein Text ÄGerechtigkeit für Serbien“ löste eine Diskussion aus, die sich um den ewigen Konflikt zwischen Fiktion und Realität, zwischen Journalist und Schriftsteller, zwischen Moral und Ästhetik, zwischen Kurzlebigkeit und Dauer dreht. Eine angemessene ästhetische Reaktion auf politische Ereignisse sei laut Handke eine Sache der Sprache, der Sprachkritik. Auch in seinen Darstellungen über Jugoslawien des Jahres 1996 will er insbesondere zum Nachdenken über die Sprache anregen. ÄEr will den Menschen bewusst machen, dass die Sprache vor allem von der Presse und von der Politik leicht missbraucht werden kann. Obwohl Handke also immer wieder auf der Position eines unpolitischen Autors harrt, kann man ihm politisches Engagement doch nicht ganz absprechen.“6 So geht es ihm in erster Linie um Ädie Verteidigung der Dichtkunst“ gegenüber der ÄTatsachenkunst“, den Medien, die den Menschen eine unreale Realität vorführe, in der Wörter ohne Rücksicht auf sprachliche Authentizität eingesetzt werden. ÄJe härter er die Presse angreift, je mehr er auf seiner ästhetischen Position beharrt, um so schonungsloser sind die Reaktionen.“7

Fazit: Seine Haltung zu Serbien ist nicht so eindeutig wie dies scheinen mag, und sie ist auch eine konsequente Fortsetzung seiner schon in den 1960er Jahren formulierten Poetik, nach der die Sprache zum Zentrum seiner literarischen Aktivitäten gemacht wird. Seine Äußerungen zu aktuellen Ereignissen sowie die Nähe der Kriegsschauplätze machen es schwierig, in seinen Stellungnahmen vor allem ästhetische und nicht politische zu sehen. Außerdem hat er durch den von ihm immer wieder erhobenen Wahrheitsanspruch viel von seiner Glaubwürdigkeit verloren. Warum auch immer Handke versucht hat, den Krieg zu literarisieren, dies ist ihm nicht gelungen, aber dafür konnte er seine Leser zum Nachdenken und zu Stellungnahmen bewegen, weil niemand seinen Texten gegenüber gleichgültig bleiben kann.8

Peter Handke - sein Werk ÄImmer noch Sturm“

Das Familien- und Geschichtsdrama ÄImmer noch Sturm“ ist seine neunzehnte Arbeit für das Theater. Das Stück entstand in der Zeit von Dezember 2008 bis Juli 2010 in seinem Haus im Pariser Vorort Chaville. Der konkreten Schreib- und Überarbeitungszeit von eineinhalb Jahren geht jedoch eine lange Entwicklungs- und Konzeptionsphase voraus, deren Dauer sich bislang nur anhand von Aussagen des Autors ermessen lässt: Demnach habe Handke Äfünfzehn Jahre an diesem Stück herumgeträumt“. Dieses Stück handelt von seiner Familie mütterlicherseits, die der slowenischen Volksgruppe Kärntens angehörte, und spielt in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Während zwei Brüder seiner Mutter im Krieg an der Front fallen, schließen sich die beiden übriggebliebenen Geschwister der Partisanen-Widerstandsbewegung gegen die Nationalsozialisten an. Die ÄIch“-Figur tritt im Stück in einen Dialog mit diesen Äherbeigeträumten“ verstorbenen Ahnen.9

- Entstehungskontext

In einem Interview mit Ulrich Greiner im November 2010 für Die Zeit meinte er, dieses Stück sei Äein Sturm gegen die Geschichte, gegen Geschichte als Fortschrittskategorie“. Er schilderte auch, wie das Interesse an den Vorfahren schon in jungen Jahren entstanden ist: ÄIch verdanke das meiner Mutter, die mir immer ganz viel von den Toten erzählt hat, von den Brüdern, die sie geliebt hat und die im Krieg gefallen sind. Sie hat erzählt und erzählt, alle Einzelheiten. Das Leben der Toten hat mich immer beschäftigt, schon Die Hornissen, mein allererster Roman, beruhen auf einer Geschichte, die mir meine Mutter erzählt hat und in die ich mich hineingeträumt habe.“ Acht Jahre nach seinem Erstlingswerk ÄDie Hornissen“ schilderte er in der Erzählung ÄWunschloses Unglück“ (1972) die Lebensgeschichte seiner Mutter, die im Winter des Jahres 1971 Selbstmord begangen hatte.

Weitere 14 Jahre später nahm er in seinem Werk ÄDie Wiederholung“ (1986) die Geschichte seiner Familie wieder auf, wobei er sie erstmals mit der slowenischen Widerstandsbewegung in Verbindung brachte. Die Familie mütterlicherseits phantasierte er bereits in seinem Werk ÄZurüstungen für die Unsterblichkeit“ (1997) herbei, an dem er im Jahre 1995 arbeitete und das in vielen Aspekten an dieses Stück erinnert, nicht nur weil dort schon die neunundneunzig Äpfel vorkommen, die im Stück ÄImmer noch Sturm“ Teil des Bühnenbilds wurden. Zwei Jahre vor der Veröffentlichung dieses Stücks schrieb Handke die Erzählung ÄDie Morawische Nacht“ (2008), in der er nach einem imaginierten, in der Zukunft sich ereigneten dritten Weltkrieg in sein Dorf in Kärnten zurückkehrt und dort seinen Familienangehörigen begegnet. Hinsichtlich der im Stück ÄImmer noch Sturm“ thematisierten slowenischen und damit slawischen Herkunft seiner Familie und ihrer Kriegserfahrungen steht das Stück schließlich auch in einem Zusammenhang mit seinen in der Öffentlichkeit umstrittenen Jugoslawien-Texten.

Die Vorarbeiten zu diesem Stück basieren vor allem auf Erinnerungsberichte von Kärntner Slowenen, die am Partisanenkampf teilgenommen hatten, und Handke, der sich vor und während der Niederschrift intensiv mit der Widerstandsbewegung auseinandersetzte, fertigte mitunter umfangreiche Exzerpte dieser Texte an. Dabei dürfte der Erinnerungsbericht von Karel Prušnik-Gašper ÄGemsen auf der Lawine“, das er vermutlich von seinem Freund, dem Verleger Lojze Wieser, bereits bei dessen Erscheinen im Jahre 1980 erhielt, eine der wichtigsten Quellen für ihn gewesen sein.

[...]


1 Siehe Museum Stift Griffen und Peter-Hanke-Literaturdokumentation (besucht am 16.02.2014).

2 Vgl. Decloedt, Krieg um Peter Handke, S. 189f.

3 Vgl. Decloedt, Krieg um Peter Handke, S. 199-203.

4 Vgl. ebd., S. 190f.

5 Decloedt, Krieg um Peter Handke, S. 192.

6 Ebd., S. 196.

7 Ebd., S. 197.

8 Vgl. Decloedt, Krieg um Peter Handke, S. 207f.

9 Siehe http://handkeonline.onb.ac.at/node/623 (Zugriff: 14.02.2014).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Peter Handke und Serbien. Das slawische Element in seinem Werk „Immer noch Sturm“
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt  (Geschichte)
Veranstaltung
Kurs
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
21
Katalognummer
V278245
ISBN (eBook)
9783656710912
ISBN (Buch)
9783656712749
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Peter Handke, Serbien, Immer noch Sturm
Arbeit zitieren
DI MMag Fabian Prilasnig (Autor:in), 2014, Peter Handke und Serbien. Das slawische Element in seinem Werk „Immer noch Sturm“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278245

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